Bettina Musall und Eva-Maria Schnurr (Hg.)
ENGLANDS KRONE
Die britische Monarchie
im Wandel der Zeit
Stefan Berg, Felix Bohr, Georg Bönisch,
Sebastian Borger, Thomas Darnstädt,
Martin Doerry, Marco Evers, Jan Fleischhauer,
Angelika Franz, Dagmar Freist, Annette Großbongardt,
Konstantin von Hammerstein, Wolfgang Höbel,
Hans Hoyng, Britta Kessing, Uwe Klußmann,
Joachim Kronsbein, Romain Leick, Johannes Saltzwedel,
Christoph Scheuermann, Michael Sontheimer,
Frank Thadeusz, Peter Wende
Deutsche Verlags-Anstalt
INHALT
VORWORT
EINLEITUNG
»WER DIE QUEEN ANSCHAUT, SIEHT BRITISCHE GESCHICHTE«
RULE, BRITANNIA!
TEIL I – RITTER UND RIVALEN
GESALBT UND GEKRÖNT
EIN NORMANNE AUF DEM THRON
WUCHT DER TRAGÖDIE
HELD UND MESSIAS
»ZITTERE UND VERZAGE!«
TRINKGELD FÜR DEN HENKER
EWIGES SCHEUSAL
TEIL II – GLAUBENSKAMPF
UND REVOLUTION
REFORMER WIDER WILLEN
DIE MACHT DER FEENKÖNIGIN
INTRIGANTIN ODER OPFER?
DER KOMÖDIANT DES HOFES
OHNE KOPF UND KRONE
KUNST DES SCHMEICHELNS
KÖNIGREICH GOTTES
SIEG DES PARLAMENTS
DAS RECHT DER MENSCHEN
TEIL III – WELTREICH UND PARLAMENTARISMUS
KÖNIGE AUS HANNOVER
DER AKKORDARBEITER
MITTELPUNKT DER WELT
DELIKATE ERMITTLUNGEN
TEIL IV – DEMOKRATIE UND MEDIENZEITALTER
NIE GELÖSCHTE FLAMME
»DIE FRAU, DIE ICH LIEBE«
BECHERN FÜR BRITANNIEN
DAS UNTERNEHMEN WINDSOR
DER FLUCH DER PRINZEN
FAMILIENSACHE
»DIE KRONE HAT GERADE EINE STARKE ZEIT«
ANHANG
BUCHHINWEISE
AUTORENVERZEICHNIS
DANK
PERSONENREGISTER
VORWORT
Als Queen Elizabeth 2012 anlässlich ihres 60. Thronjubiläums Bilanz zog, erinnerte sie an die zwölf Premierminister, die sie als Königin bisher erlebt hat. Nicht ausgeschlossen, dass es noch mehr werden.
Politiker kommen und gehen, die britische Monarchie bleibt. Seit mehr als 1000 Jahren folgt beinahe nahtlos ein Regent auf den nächsten, getreu dem Ausruf: »Der König ist tot, es lebe der König.« Bis ins frühe Mittelalter kann Elizabeth II. ihre Ahnen zurückverfolgen, eine Galerie berühmter und illustrer Häupter, von denen etliche zu den ganz großen Figuren der europäischen Geschichte gehören – oder zu den finsteren, obskuren und berüchtigten.
Wilhelm der Eroberer unterwarf in der Schlacht bei Hastings 1066 die Angelsachsen, trat das Erbe ihrer Könige an und führte kontinentale Gepflogenheiten wie das Lehnswesen auf der Insel ein. Heinrich II. heiratete England zur Großmacht empor, indem er Eleonore von Aquitanien ehelichte und das Angevinische Reich begründete. Heinrich VIII. wurde berühmt, weil er einige seiner Ehefrauen köpfen ließ. Die englische Geschichte prägte er entscheidend, als er mit der Gründung der Anglikanischen Kirche den römisch-katholischen Einfluss im Land zurückdrängte. Seine Tochter Elizabeth I. besiegte die Spanische Armada, Queen Victoria machte das Empire groß – beide Monarchinnen gaben einem ganzen Zeitalter ihren Namen.
Nicht zuletzt wegen dieser legendären Gestalten geht vom britischen Königshaus eine Faszination aus, die viel größer ist als die aller anderen europäischen Monarchien. Staunen lässt auch die Überlebensfähigkeit der britischen Krone. Die »Royals« überdauerten Revolutionen und Skandale – heute sind sie beliebter denn je.
Was also machte die Könige und Königinnen ausgerechnet in jenem Land so erfolgreich, in dem auch der Parlamentarismus groß wurde? Wie überstanden sie Krisen, Kriege und Intrigen, und wie schafften sie es, in einer sich dramatisch verändernden Welt die royale Tradition aufrechtzuerhalten? Dieses Buch sucht Antworten im Leben und in der Regentschaft jener Monarchen, die bis heute die englische Geschichte am stärksten geprägt haben.
Flexibilität und Pragmatismus seien typisch sowohl für die britische Verfassung als auch für die Briten selbst, glaubt die Historikerin Karina Urbach. Das sei eine wichtige Voraussetzung der parlamentarischen Monarchie, wie sie sich zuerst in England entwickelte. Früher als die Menschen in kontinentaleuropäischen Ländern wehrten sich die Engländer gegen absolutistische Bestrebungen ihrer Herrscher und versuchten, deren Macht zu begrenzen.
Das Jahrhundert der Glorreichen Revolution von 1688 ist deshalb eine Schlüsselepoche für die Geschichte der britischen Monarchie. Der Historiker Peter Wende, ehemaliger Direktor des Deutschen Historischen Instituts in London, beschreibt, wie religiöse Gegensätze und Kompetenzstreitigkeiten zwischen König und Parlament das Land beinahe zerrissen und wie Karl I. in einem öffentlichen Schauprozess schließlich zum Tode verurteilt wurde. Ein blutiger Bürgerkrieg war die Folge. SPIEGEL-Autor Jan Fleischhauer rekonstruiert die Herrschaft Oliver Cromwells. Kein Mann habe die öffentliche Meinung so sehr gespalten wie der Lordprotektor, so Fleischhauer: Während er den einen schon zu Lebzeiten als Freiheitsheld galt, war er anderen als Diktator verhasst – der einzige ungekrönte König der Insel.
Ein echter Monarch sollte nach den Wirren Einigkeit und Ordnung des Landes sichern, deshalb holte man den König zurück. Doch als sich eine katholische Thronfolge anbahnte, kam es zur Glorious Revolution. Die Oldenburger Frühneuzeit-Forscherin Dagmar Freist schildert, wie das Parlament seine Befugnisse in einem immer noch monarchisch-aristokratischen Staatswesen ausbauen konnte.
Auch britische Philosophen und Staatslehrer spielten eine zentrale Rolle bei der Weiterentwicklung der Monarchie, allen voran John Locke. Nicht etwa von Gott, sondern vom Volk werde jedwede Macht, also auch der König, legitimiert, so seine Überzeugung. SPIEGEL-Autor Thomas Darnstädt porträtiert den Aufklärer und seine revolutionären Ideen.
Einen Aspekt ihrer Geschichte verschweigen die Royals allerdings gerne, und zwar den deutschen. Weil ein nicht-katholischer Thronerbe gesucht wurde, bestieg der in Hannover residierende Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg 1714 als Georg I. den britischen Thron, ein entfernter Verwandter des Stuart-Geschlechts. SPIEGEL-Redakteur Johannes Saltzwedel erklärt, warum der Welfe – wie auch seine unmittelbaren Nachfolger – ein bemitleidenswert schwacher Monarch war. Eine weitere Verbindung zu Deutschland schuf Queen Victoria, als sie 1840 Albert von Sachsen-Coburg und Gotha heiratete. Der gemeinsame Sohn, Eduard VII., war der erste britische Herrscher des Königshauses »Saxe-Coburg and Gotha«. Allerdings änderte sein Nachfolger, Georg V., im Ersten Weltkrieg den Namen nach dem Familienanwesen in »Windsor« – eine öffentliche Distanzierung von der nun heiklen deutschen Herkunft.
Damit schützte er die Familie aber nicht vor Skandalen. Sein Sohn Eduard VIII. verzichtete zunächst aufgrund seiner großen Liebe zur Schauspielerin Wallis Simpson auf die Krone, dann trank er auch noch Tee mit Adolf Hitler. SPIEGEL-Autor Michael Sontheimer staunt über die Zurückhaltung der damaligen britischen Presse. Kein Vergleich zu den Paparazzi unserer Zeit, die spätestens seit dem Tod Prinzessin Dianas die Mitglieder des Königshauses wie Popstars unter medialen Dauerbeschuss nehmen, wie SPIEGEL-Autor Martin Doerry beschreibt.
Die Royals gelten bis heute als Symbol der Beständigkeit in einer sich rapide verändernden Welt, sagt der frühere Thatcher-Berater Michael Dobbs im Interview. Der Geadelte mit Sitz im House of Lords und Autor der Serie »House of Cards« sieht bei allen Schwächen eine gewisse Überlegenheit der Monarchie: »Hätten wir einen gewählten Präsidenten, hätte der es viel schwerer, sich herauszuhalten und über allem zu stehen.«
Die amtierende Königin Elizabeth II. bringt auf den Punkt, was wohl für ihre gesamte Ahnenreihe gilt: »Wie alle großartigen Familien haben auch wir unsere exzentrischen Seiten, unsere ungestümen Kinder und unsere Familienstreitigkeiten.« Vielleicht ist es gerade das, was die Royals ausmacht.
Hamburg, im Frühjahr 2015
Bettina Musall und Eva-Maria Schnurr
EINLEITUNG
»WER DIE QUEEN ANSCHAUT,
SIEHT BRITISCHE GESCHICHTE«
Gespräch mit der Historikerin Karina Urbach
über die Langlebigkeit der Monarchie,
das Arbeitsethos von Elizabeth II. und den Versuch,
brisante Dokumente unter Verschluss zu halten
Das Gespräch führten Annette Großbongardt
und Eva-Maria Schnurr.
SPIEGEL: Sie leben seit zehn Jahren vorwiegend in England und sind auch bei britischen Medien gefragt, wenn es darum geht, die Monarchie zu deuten. Wie erleben Sie die Queen?
URBACH: Für die Engländer ist Elizabeth II. die Verkörperung der Geschichte. Die Briten sind sehr geschichtsverliebt – das ist gewissermaßen schon eine Obsession. Im englischen Fernsehen sieht man eigentlich ständig Sendungen über Queen Victoria oder den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Wer die Queen anschaut, sieht nicht die knuddelige Großmutter, sondern die britische Historie.
SPIEGEL: Für einen Bundesbürger ist die Monarchie eine überkommene Staatsform, zwei Drittel der Briten jedoch sind auch heute noch für das Königshaus. Was lieben sie so an ihrer Krone?
URBACH: Elizabeth II. ist zum nationalen Symbol geworden, das ist ihre größte Leistung, die sie mit viel Disziplin und Beständigkeit erreicht hat. Indem man sie feiert, feiert die Nation sich selbst. Man könnte das auch kritisch sehen und sagen, das ist ein Bewahren der Monarchie in Aspik. Elizabeth hat keine Innovationen gebracht. Ein Beispiel ist ihre Kunstsammlung, die um 1900 stehengeblieben ist.
SPIEGEL: Welcher Typ einer Monarchin ist sie: Eine Arbeitskönigin, die zuverlässig ihre Pflicht erfüllt? Auf der »official website of The British Monarchy« heißt es: »Der Arbeitsalltag der Queen beginnt wie der vieler Menschen – an ihrem Schreibtisch.«
URBACH: Ich glaube, sie wird auch an ihrem Schreibtisch sterben. Sie verkörpert diese Arbeitsethik, absolut. Aber sie weiß auch, sie muss sichtbar sein, mit Wohltätigkeitsprojekten glänzen, sonst ist die Relevanz weg. Wenn man sie nicht sehen würde, wäre es wie bei Queen Victoria in ihrer Trauerzeit. Dann käme die Kritik: Was tun die eigentlich für uns? Warum kostet das so viel?
SPIEGEL:Aktuell ist die königliche Familie jedenfalls auf einem Allzeithoch.
URBACH: So beliebt war sie nicht immer, in den Siebzigerjahren etwa befand sich die britische Gesellschaft im Umbruch, und die Royal Family wirkte altbacken. In den Neunzigern gab es dann die endlosen Scheidungskriege. Aber inzwischen sind die Royals eine Art Hollywood-Ersatz, sie sind Stars – und ein Trost. Man schaut sie an und denkt: Ach ja, die Queen ist immer da, auch jedes Weihnachten, das ist irgendwie schön. Sicher spielt auch eine Rolle, dass sie sozusagen über der Politik schwebt. Die Wut über Entscheidungen der Regierung oder soziale Probleme trifft die Politiker, nicht sie. Winston Churchill hat das auf den Punkt gebracht: Wenn eine Schlacht verloren ist, macht man die Regierung verantwortlich; wird sie gewonnen, jubelt das Volk der Königin zu.
SPIEGEL: Wie viel Macht hat denn die Königin heute noch? Formal hat sie ja vor allem repräsentative Pflichten, allerdings trifft sie einmal pro Woche den Premierminister und muss »gehört« werden. Hat sie dadurch mehr Einfluss auf die aktuelle Politik als etwa der deutsche Bundespräsident?
URBACH: Das ist zu vermuten, aber wir wissen zu wenig. Bekannt ist, dass sie mehrmals nachfragt, wenn ihr etwas nicht gefällt: »Sind Sie sich sicher, wirklich sicher, dass Sie das so machen wollen?« Sie hat ja ein enormes Herrschaftswissen und Erfahrung, dank der zwölf Premierminister, die sie schon erlebt hat. Auch in der Zeitgeschichte liegt vieles im Dunkeln, was die Einflussnahme des Königshauses angeht, denn die Royal Archives sind für die Zeit nach 1918 für Historiker versperrt. Wir wissen bloß, dass wir nichts wissen über die politische Rolle der Royal Family. Es ist ein Skandal, dass wir keinen Zugang bekommen.
SPIEGEL: Was vermuten Sie dahinter?
URBACH: Sie wollen die Kontrolle über ihre Geschichte, die Deutungshoheit bei sich behalten, etwa über ihre Rolle in der Zwischenkriegszeit. Und ich glaube, dass die Royals sehr viel politischer waren und sind, als man denkt. Sie sagen, die Archive seien privat, aber die Queen ist doch nicht privat! Das Archiv wird auch durch Steuergelder finanziert.
SPIEGEL:Wo steht die Queen politisch?
Karina Urbach
Die habilitierte Historikerin ist spezialisiert auf die deutsch-britischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Sie hat eine Biografie über Queen Victoria veröffentlicht (Verlag C. H. Beck). Ihr Buch über britische Nazi-Verbindungen »Go-Betweens for Hitler« erscheint 2015 bei Oxford University Press. Sie lehrt in London und lebt in Cambridge.
URBACH: Sie ist konservativ, aber eine Sozialkonservative. Der ultraliberale Kurs von Margaret Thatcher ging ihr viel zu weit, dafür hat sie die Premierministerin sogar kritisiert, ebenso wie für deren Politik gegen ihr liebstes Kind, das Commonwealth. Das ist eine der wenigen politischen Informationen, die wir haben, jemand aus dem Palast hat sie, vermutlich mit Wissen der Queen, der Sunday Times gesteckt. Plötzlich wurde klar, dass sie in der Tagespolitik tatsächlich mitspielen will. Allerdings musste sie einen Rückzieher machen, als es publik wurde, denn das Volk will keinen Monarchen, der sichtbar Politik macht.
SPIEGEL: Die letzte Königin, die offen ihr Veto gegen die Regierung eingelegt hat, war Königin Anne, die 1702 den Thron bestieg?
URBACH: Queen Anne war ein Desaster in vielerlei Hinsicht, politisch viel zu schwach. Auch Queen Victoria versuchte noch, Einfluss zu nehmen, und sie war vielleicht die Letzte, der das eingeschränkt noch gelang. Aber das wissen wir auch erst jetzt seit der Veröffentlichung ihrer Tagebücher; ihre Zeitgenossen hatten davon keine Ahnung.
SPIEGEL: Die Royals erfahren bis heute mehr Aufmerksamkeit als andere Königshäuser in Europa, warum?
URBACH: Elizabeth II. ist die Doyenne, die dienstälteste Monarchin nach dem König von Thailand. Ihr Königreich wird immer noch als Großmacht wahrgenommen.
SPIEGEL: Tatsächlich ist sie ja auch immer noch Staatsoberhaupt von Neuseeland, Kanada, Australien, von Tuvalu und Barbados. Welche Rolle spielt das heutzutage?
URBACH: Diese Weltmachtreste sind exotisch, das hat Glamour. Die Niederlande etwa haben das nicht.
SPIEGEL: Was ist das Besondere an der britischen Monarchie, wenn man in die Geschichte zurückschaut?
URBACH: Interessanterweise ihre frühe Schwäche. Die Glorious Revolution fand ja schon 1688 statt, das Parlament stoppte die absolutistischen Bestrebungen ihrer Könige endgültig, sehr viel eher als in anderen europäischen Staaten. Danach war das Parlament de facto mächtiger als der König, der mehr oder weniger in eine repräsentative Rolle zurückfiel. Um seine Bedeutung zu sichern, musste er seine Rolle neu definieren.
SPIEGEL: Wie das?
URBACH: Queen Victoria gelang das beispielhaft: Sie hat gemeinsam mit ihrem Mann das Hofzeremoniell neu erfunden, die Pracht und Perfektion, mit der Krönungen, Hochzeiten, Beerdigungen inszeniert wurden. Mit ihrem Premierminister Benjamin Disraeli hat sie die Idee vom britischen Empire genutzt, um ihre Rolle in der Welt zu stärken.
SPIEGEL: Wie kam es, dass Frauen in England so früh an der Macht waren?
URBACH: Die Engländer hatten schlicht kein Salisches Erbrecht, das heißt: Die Töchter waren erbberechtigt. Es gab, vom 16. Jahrhundert an, sechs Königinnen: Maria Tudor, Elizabeth I., Maria II., die mit Wilhelm III. von Oranien regierte, Queen Anne, Victoria und jetzt Elizabeth II. – viele von ihnen waren sehr lange an der Macht und dadurch sehr prägend. Und sie profitieren sicher auch vom weiblichen Vorteil: Man sieht sie als Mutter der Nation, die das Land zusammenhält. Mit Ausnahme von Anne sind starke Frauen ein Kennzeichen der englischen Monarchie.
SPIEGEL: Wenn man einen Engländer nachts wecken und fragen würde, wer der wichtigste Monarch war – was würde er sagen?
URBACH: Elizabeth I.! Sie kann als die Größte gelten: Sie hat sich als Warrior Queen inszeniert, im Kampf gegen Rom und Spanien, sie hat die Armada besiegt; aber sie trat auch als soziale Mutter ihres Landes auf. Zu den Ikonen im kollektiven Gedächtnis der Briten gehört unbedingt auch Heinrich VIII., ein ganz großer Politiker und wohl der stärkste aller Könige. Er ist für seine Frauen- und Sexskandale bekannt, aber er hat viel geleistet. Er war so klug, nie gegen die Volksmeinung zu kämpfen, er hat immer mit dem Volk gearbeitet.
SPIEGEL: Anders als der absolutistisch auftretende Karl I., den das Parlament 1649 schließlich hinrichten ließ.
URBACH: Karl war einfach zu weit gegangen, er wollte seine Neigung zum Katholischen gegen die Interessen des Adels und damit des Parlamentes durchsetzen. Heinrich VIII. und Elizabeth I. waren da viel geschickter: Sie haben mit der führenden Schicht zusammengearbeitet und einen gemeinsamen äußeren Feind gesucht – die katholische Kirche und Spanien. So entfachten sie Patriotismus und konnten ihre Pläne durchsetzen.
SPIEGEL: England gilt als älteste europäische Monarchie, ist aber gleichzeitig durch seine lange parlamentarische Tradition geprägt. Wie passt das zusammen?
URBACH: Die britische Verfassung ist nicht verschriftlicht. Es gibt zwar einige zentrale Gesetze, Richtlinien und Gebräuche, aber eben auch viele Freiräume. So konnten sich beide Systeme gut miteinander arrangieren.
SPIEGEL: Hat diese Flexibilität die Monarchie auch so überlebensfähig gemacht? Immerhin überstand sie Revolution und Bürgerkrieg.
URBACH: Es gab keinen Masterplan, das hat sich in ständiger Auseinandersetzung mit dem Parlament so herausgebildet. Die Monarchen waren fast immer so pragmatisch, es nie zum Bruch kommen zu lassen. Nach der Revolution war klar, dass sie es nie wieder wagen durften, in Richtung Absolutismus zu gehen, wenn sie überleben wollten. Die Drohung, im Zweifelsfall ausgetauscht zu werden, schwebte über ihnen.
SPIEGEL: Trotzdem haben sich die Engländer nach der Revolution ihren König zurückgeholt – sie hätten das Land ja auch in Richtung Republik weiterentwickeln können …
URBACH: Die Idee einer Republik stand gar nicht im Raum. Den mächtigen Männern im Land, den Besitzenden, Geschäftsleuten, Adeligen, war immer klar, dass sie vor allem für die Außendarstellung einen König brauchten. Allerdings suchten sie sich schwache Könige wie Karl II. oder die Hannoveraner, die aus diesem deutschen Kleinstaat kamen. Sie waren arm und manipulierbar – perfekt.
SPIEGEL: Dann hatte von nun an das Volk das Sagen in Großbritannien?
URBACH: Vorsicht, das Volk war im Parlament nicht vertreten, es war die Versammlung der besitzenden Klassen, der Adeligen und Landbesitzer. Sie haben die Industrialisierung vorangebracht, sie waren die eigentliche Macht im Land, denn sie mussten dem König Gelder bewilligen. Viele Adelige waren viel reicher als die hannoveranischen Georgs.
SPIEGEL: In Niedersachsen wird gerade der 300 Jahre seit der Thronbesteigung des Hauses Hannover 1714 gedacht. Wie würdigt man das Erbe in London?
URBACH: Das wird auf die kunsthistorische Ebene abgeschoben. Es gibt Ausstellungen, man zeigt schöne Bilder, aber im britischen Königshaus wird die Verbindung mit Deutschland noch immer heruntergespielt.
SPIEGEL: Warum?
URBACH: Man möchte sich als indigene englische Monarchie verkaufen, da stören die Georgs eher, außerdem liegt wegen der Weltkriege noch immer etwas Belastendes auf der Verwandtschaft zu den Deutschen. Trotzdem: Sie sehen sich auch in der Traditionslinie zu den Hannoveranern und würden den Familienzusammenhalt und das Ansehen der Vorfahren immer verteidigen.
SPIEGEL: Wie viel Macht hatten die Könige nach der Revolution von 1688 noch?
URBACH: Darüber waren sie sich manchmal selbst im Unklaren. Manche neigten zur Überschätzung und wurden zurückgepfiffen. Georg III., wegen seiner Liebe zur Landwirtschaft auch »Farmer Georg« genannt, hat versucht, außenpolitisch noch eine Rolle zu spielen. Aber er verlor Nordamerika, das hat seine Regierungszeit überschattet. Sein Sohn Georg IV. war dann in vielem nur noch eine Witzfigur. Eigentlich war die ganze Regierungszeit der Hannoveraner ein einziger Abstieg für die Monarchie. Queen Victoria musste einen radikalen Schnitt machen, um der Institution wieder Relevanz zu verleihen. Sie erfand die Monarchie quasi noch einmal neu: Als Wohlfahrts- und Familienmonarchie. Damit hat sie vermutlich das Überleben der Krone gesichert, denn das Ansehen stieg wieder. Ihre »Royal Family« stellte sie fast bürgerlich dar, als gehöre sie zum ganz normalen Volk.
SPIEGEL: Ein Image, das bis heute gepflegt wird?
URBACH: Ja, die Queen führt das weiter. Man gibt sich ganz bodenständig: Prinz Philip grillt, und die Kinder spielen im Garten, so will man gesehen werden. Seit dem Desaster um Diana hat die Queen die bestbezahlten PR-Berater, die man haben kann, sie kontrolliert ihr Image bis ins Detail, nichts wird dem Zufall überlassen. Derzeit wird Charles medial als Großvater aufgebaut, die jungen Leute William und Kate und Harry sind die Musketiere, und alle halten fest zusammen. Das ist natürlich hochidealisiert und entspricht nicht der Realität.
SPIEGEL: Wie nahbar waren die britischen Könige für ihr Volk?
URBACH: Wenn Nahbarkeit entstand, dann nicht planvoll, sondern eher wegen schlechter Organisation. Unter Victoria konnte das Volk in den Windsor Great Park gehen und durch die Fenster in den Palast schauen, das hat Victoria furchtbar aufgeregt, so sehr, dass sie sich dann andere Rückzugsorte wie Balmoral Castle zulegte. Bürger mit Anliegen wurden nicht einfach so vorgelassen.
SPIEGEL: Dabei gab es in England schon früh eine kritische Öffentlichkeit: Flugschriften oder Karikaturen äußerten bereits seit dem 16. Jahrhundert teils heftigen Unmut über den König, ja machten ihn teilweise sogar lächerlich.
URBACH: Die Kritik an den Monarchen war immer ein Ventil für das Volk. Letztlich kanalisiert man damit ja auch republikanische Bestrebungen: Man kann den Ärger herauslassen, ohne die gesamte Institution infrage zu stellen. Die Könige versuchten anfangs, solche Pamphlete mit Zensur zu verhindern, später reagierten sie mit Gegenpropaganda. Victoria war besonders entsetzt über die Karikaturen, die ihren Mann Albert lächerlich machten und antideutsche Ressentiments schürten. Sie ließ dann selbst Pamphlete drucken. Und im 20. Jahrhundert versuchte man, sich die Zeitungs-Tycoone gewogen zu machen, das ist eigentlich bis heute so.
SPIEGEL: Manipulierte Presse im Land, in dem die Pressefreiheit entstand?
URBACH: Das geschieht natürlich indirekt. Der Ritterschlag durch die Königin ist bis heute ein gesellschaftliches Ziel in Großbritannien. Dafür aber muss man brav sein. Journalisten, die kritisch berichten, werden eben nicht mehr zu Reisen eingeladen und bekommen keine Informationen mehr vom Hofe. Sie könnten auch Ärger mit ihrem Chefredakteur bekommen, der vielleicht noch gern »Sir« werden würde. Auch die Fernsehanstalten halten sich zurück. Unser Versuch, eine Sendung über die restriktive Archivpolitik der Royal Archives zu machen, wurde von der BBC abgelehnt. Solange die Queen lebt, ist eine solche Berichterstattung nicht erwünscht.
SPIEGEL: Was wäre an dem Archivmaterial besonders spannend?
URBACH: Die Königsfamilie war trotz des Ersten Weltkriegs sehr pro-deutsch eingestellt. Es gibt viele Verschwörungstheorien. Eduard VIII., später Herzog von Windsor, und sein Bruder, der Herzog von Kent, hatten enge Verbindungen zu den deutschen Verwandten, den Häusern Hessen und Sachsen-Coburg, in denen es viele stramme Nazis gab. Es hat bis 1939 über diese Kanäle definitiv Kontakte zu Hitler gegeben. Aber die Royal Archives haben zu diesem Thema kein einziges Dokument freigegeben. Nach 1945 hat die Royal Family sogar versucht, die Privatbriefe, die sie an ihre deutschen Verwandten geschrieben hatte, in Deutschland und dann in den USA einzusammeln und in die königlichen Archive zu bringen. Um eine Veröffentlichung der Windsor-Akte zu verhindern und so die königliche Familie zu schützen, schrieb Premier Winston Churchill sogar zweimal an den amerikanischen Präsidenten Dwight Eisenhower.
SPIEGEL: Der Queen selbst könnte man doch keinen Vorwurf machen, sie wurde ja gerade 18 Jahre alt im Krieg.
URBACH: Sie schützt wohl auch ihren Vater Georg VI., der stark für die Appeasement-Politik gegenüber Hitler eingetreten ist.
SPIEGEL: Elizabeth II. ist schon 88 Jahre alt, allzu lange dürfte sie nicht mehr herrschen. Hat die Monarchie nach ihr noch eine Zukunft?
URBACH: Aber ja. Kaum jemand in der britischen Gesellschaft hat ein Interesse daran, dass sich etwas ändert. Das Establishment nicht, denn wenn die Monarchie abgeschafft würde, dann würde das System der königlichen Ehrungen, der Royal Honours, wegfallen und auch das überkommene Erbrecht des Adels hinterfragt werden. Und die Durchschnittsengländer ebenso wenig, denn sie verehren die Königin, der royale Glamour bietet Trost und Kompensation für den trüben Alltag.
SPIEGEL: Was passiert, wenn die Queen stirbt?
URBACH: Dann werden sich die Schleusen erst mal öffnen. Es wird sicher eine Krise geben, weil Charles so unbeliebt ist. Einiges wird neu verhandelt werden, einiges wird sich vielleicht auch ändern, aber ich bin überzeugt, dass die Monarchie nicht abgeschafft wird.
SPIEGEL: Könnte Charles übergangen werden?
URBACH: Nein! Er plant seit Dekaden, was er macht, wenn er König ist, das ist sein Lebensziel.
SPIEGEL: Haben Sie die Queen eigentlich mal persönlich getroffen?
URBACH: Ja, bei einer Historikertagung in Windsor Great Park. Sie fragte nach dem Thema, es ging um das Hofzeremoniell. »Oh, my God!«, sagte sie da. Uns wurde freigestellt, sie mit einem Knicks zu begrüßen oder ihr die Hand zu geben. Allerdings musste man warten, bis sie einen berührt. Die Republikaner unter uns weigerten sich natürlich, einen Knicks zu machen, die anderen taten es.
SPIEGEL: Und Sie?
URBACH: Um ehrlich zu sein, ich habe einen Knicks gemacht.
SPIEGEL: Frau Urbach, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
RULE, BRITANNIA!
Regentschaften
englisch-britischer Monarchen
TEIL I
RITTER UND RIVALEN
GESALBT UND GEKRÖNT
Im Frühmittelalter kämpften Angelsachsen
und Wikinger um die Herrschaft auf der Insel. Am Ende griff sich ein Normannenherzog den Thron.
Von Angelika Franz
Viel hätte nicht gefehlt, und England hieße heute nicht England. Wer waren schon die Angeln, nach denen die Insel benannt wurde? Ein wüster Haufen germanischer Immigranten, die von Schleswig-Holstein auf die Insel gekommen waren. Dort hatten sie sich mit Sachsen aus der norddeutschen Ebene zu den Angelsachsen zusammengetan und regierten nun in sieben kleinen Königreichen vor sich hin.
Viel zu melden hatten die Angelsachsen noch nicht in Europa Anfang des 9. Jahrhunderts. Die großen Player der Geschichte saßen im Frankenreich Karls des Großen oder in Skandinavien, von wo aus die Wikinger ein riesiges Handelsnetzwerk mit Verbindungen bis in den Orient aufzogen und sich schon mal darauf vorbereiteten, in Kürze bis nach Amerika zu reisen.
Bevor sie aber den Atlantik überquerten, lag auf ihrem Weg noch diese Insel unweit der heimatlichen Küste. 793 tauchten die Nordmänner in Britannien auf und plünderten das Kloster Lindisfarne – der Überfall markiert den Beginn einer langen Reihe von Überfällen der Wikinger.
Zunächst beschränkte sich ihre Taktik auf kurze Raubzüge, nach denen sie wieder verschwanden. Doch mit der Zeit blieben einige zurück und übernahmen die Macht von den schlecht gerüsteten Angelsachsen. Im Jahr 870 war in ganz Britannien nur noch ein einziges Königreich übrig, das die Wikinger nicht kontrollierten: Wessex, im Südwesten der Insel, angrenzend an Wales. Hätten sie das auch noch erobert, dann würde England heute wohl nicht England heißen, sondern Daneland.
Wessex aber hatte einen besonders fähigen König, Alfred, der sich den Eindringlingen entgegenstellte. Es gelang ihm, den Wikingern fast den gesamten Südwesten Britanniens abzutrotzen, ihr Anführer ließ sich taufen. Die Wikinger zogen sich in den Nordosten der Insel zurück und blieben fortan friedlich. Die übrigen angelsächsischen Reiche erkannten Alfreds Oberherrschaft an. Damit wurde er zum ersten König eines mehr oder weniger vereinten Englands – zumindest jenes Teils des Landes, der nicht von Wikingern besetzt war.
Ein Königreich hatte in jenen Jahren allerdings noch wenig mit prächtigem Hofstaat zu tun. Viel unterschied einen König noch nicht vom einfachen Oberhaupt eines Stammes. Die Aufgabe eines angelsächsischen Königs bestand vornehmlich darin, ständig durch das Gebiet seiner Untertanen zu reisen. Er sprach Recht, organisierte die waffenfähigen Männer für die Verteidigung oder Angriffe auf Nachbarn und verteilte die auf Kriegszügen gemachte Beute. König war man nicht von Geburt. Auch wenn oft der älteste Sohn auf den Vater folgte – seine Machtposition musste erst vom Witenagemot, dem Rat der wichtigsten geistlichen und weltlichen Würdenträger, bestätigt werden.
Alfred entwickelte die Königsherrschaft einen bedeutenden Schritt weiter: Er baute eine Flotte und ein stehendes Heer auf und ließ die Küsten sichern, um das Land besser vor Wikingerüberfällen zu schützen. Die Grafschaften (Shires) wurden nun genau erfasst, um das Land effizienter zu verwalten. Alte angelsächsische Stammesrechte ließ Alfred systematisch sammeln und neu herausgeben. Vor allem aber sorgte er für Bildung in seinem bislang weitgehend analphabetischen Volk: Seine eigenen Kinder, Söhne wie Töchter, sollten lesen und schreiben lernen, die Sprösslinge seiner Edelleute ließ er gleich mit unterrichten, und auch talentierter Nachwuchs aus weniger adliger Kinderstube durfte die Schule an seinem Hof besuchen.
In den folgenden Jahrzehnten kristallisierten sich Regeln und Rituale der Königsherrschaft mehr und mehr heraus. Alfreds Urenkel wurde zu Pfingsten 973 erstmals in einer Zeremonie gekrönt. Der Erzbischof von Canterbury, der wichtigste Kirchenvertreter des Landes, hatte den Symbolwert einer Krönungszeremonie erkannt und sich ein entsprechend pompöses Schauspiel ausgedacht. Bis heute bilden die frühmittelalterlichen Rituale den Kern der englischen Krönungsfeierlichkeiten: Das Volk bestätigt seinen König, und der verspricht im Gegenzug, seinem Volk zu dienen. Dann wird der Herrscher vom Erzbischof gesalbt und schließlich gekrönt.
Zwar wurde das Land nunmehr seit über zwei Jahrhunderten von Angelsachsen regiert. Doch die Wikinger waren auf der Insel immer noch allgegenwärtig, vor allem im Norden hatten sich viele für immer niedergelassen. Und der Süden des Landes wurde immer wieder von Plünderungszügen heimgesucht. 1002 gab der englische König Æthelred Order, am 13. November – dem St. Brice’s Day, dem Gedenktag des heiligen Bischofs Brictius – sämtliche Dänen zu ermorden, derer man habhaft werden konnte.
Wie groß die Wut und Angst der Engländer gegenüber den Skandinaviern gewesen sein muss, wird an den Geschehnissen in der Stadt Oxford deutlich. Hier hatten sich viele ansässige Dänen an den einzigen Ort geflüchtet, an dem sie sich sicher wähnten: die Kirche. Doch Schergen des Königs brannten die Kirche nieder – mit Männern, Frauen und Kindern darin. Als im Jahr 2008 auf dem Gelände des St. John’s College Archäologen die Skelette von 37 Menschen fanden, die kurz vor ihrem Tod schlimmste Verletzungen – darunter auch Brandwunden – erlitten hatten, glaubten sie zunächst, auf die Opfer des St. Brice’s Day Massakers gestoßen zu sein. Doch obwohl die Datierung stimmt, haben neuere Analysen ergeben, dass die Toten wohl eher Krieger aus Skandinavien waren – und damit möglicherweise zu genau den Plünderern gehörten, die den Zorn Æthelreds ausgelöst hatten.
Die Dänen sollten sich rächen: Ihr König Sven Gabelbart landete wenige Jahre später auf der Insel und jagte den englischen König davon. Es war wohl auch ein persönlicher Feldzug: Svens Schwester, vermuten Historiker, war unter den Toten des St.-Brice’s-Day-Massakers gewesen.
England geriet erneut unter dänische Herrschaft, jetzt wurde das ganze Land von einem Wikingerkönig regiert. Sven und nach ihm sein Sohn Knut, bekannt unter dem Beinamen »der Große«, regierten nun ein England und Dänemark umfassendes Großreich.
Als König von England herrschten sie faktisch über einen zentral organisierten Staat: In den Grafschaften regierten als königliche Amtsträger nun mächtige Earls, die vom König eingesetzt und auch entlassen werden konnten, daneben bildete sich eine hierarchische Verwaltungsstruktur aus, mit Gerichts- und Steuerrechten, an deren Spitze der König stand. Am Hofe gab es nun feste Ämter wie das des Mundschenks, des Kämmerers oder des Hofmeisters. Entscheidend zur Sicherung seiner Macht war des Königs Einfluss auf die Kirche: Schon früh gelang es ihm, seine Anhänger als Bischof oder Abt einzusetzen.
Knut starb zu früh, als dass die Dänen ihre Herrschaft über England auf Dauer hätten behaupten können. 1042 kam wieder ein Abkömmling der Angelsachsen an die Macht, Æthelreds Sohn Eduard. Er war in der Normandie aufgewachsen, in der Heimat seiner Mutter Emma. In ihm waren zum ersten Mal die angelsächsische und die skandinavische Blutlinie vereint.
Die Engländer hatten allerdings eher das Gefühl, sie würden von einem Fremden regiert. Eduard war im Herzen Normanne. Nicht einmal die Hochzeit mit Edith, Tochter des mächtigsten Earls im ganzen Land, konnte ihn englisch machen. Die Ehe blieb kinderlos, Eduard umgab sich mit Beratern aus der Normandie und brachte die normannische Kultur auf die Insel. In London setzte der König seiner Exilheimat ein eindrucksvolles Denkmal: Westminster Abbey, die erste normannisch-romanische Kirche auf englischem Boden.
Nur zu glaubhaft schien es deshalb, dass ein normannischer Herzog namens Wilhelm behauptete, Eduard habe ihn offiziell zu seinem Nachfolger ernannt. Durch seine Großtante Emma konnte er vage Verwandtschaftsbeziehungen zur englischen Krone vorweisen. Und vor allem gelang es ihm, konkurrierende Thronprätendenten mit schlagkräftigen Truppen und gewiefter Propaganda aus dem Feld zu schlagen.
Die Normannen waren Nachfahren von Wikingern, die sich 911 an der französischen Kanalküste festgesetzt und viel von der Kultur übernommen hatten. Mit ihrer Herrschaft endete die Epoche der angelsächsischen Könige. Wilhelm der Eroberer ließ sich 1066 als erster normannischer König von England in der Westminster Abbey krönen. So hatten die Nordmänner am Ende doch gesiegt.
EIN NORMANNE AUF DEM THRON
Wilhelm der Eroberer war ein brutaler Kriegsherr,
doch er erwies sich als geschickter Staatslenker.
Von Uwe Klußmann
Der Mann, der England den Angelsachsen entreißen sollte, wuchs in der französischen Normandie auf. Von der märchenhaften Kindheit eines Fürstensohnes war für ihn wenig zu spüren. Der illegitime Sohn des normannischen Herzogs Robert I. und der Tochter eines Gerbers, 1027 oder 1028 in Falaise geboren, wurde groß in einer Atmosphäre brutaler Machtkämpfe. Adelige bereicherten sich durch Feldzüge gegen Nachbarn.
Der Junge erlebte Mord und Totschlag aus nächster Nähe. In seinem Schlafzimmer ermordeten Verschwörer den Haushofmeister. Auch sein Hauslehrer starb eines gewaltsamen Todes. Mit seinem Onkel musste er immer wieder vor Aufrührern fliehen, sie versteckten sich in Hütten armer Leute. So blickte er früh in menschliche Abgründe.
In den ersten Jahren seiner Herrschaft musste der junge Herzog sich immer wieder gegen Aufstände durchsetzen. Mal rebellierten seine Vasallen, mal waren Lehnsleute des französischen Königs die Frondeure. Doch allmählich festigte »Wilhelm der Bastard«, wie ihn seine Feinde verächtlich nannten, seine Macht in der Normandie. Sein Erfolgsrezept, das Bündnis von Krone, Altar und Adel, sollte sich auch später in seiner Königsherrschaft bewähren.
Als er um 1051 Mathilde, die Tochter des Grafen Balduin V. von Flandern, aus politischen Gründen heiratete, protestierte Papst Leo IX., der bedeutendste mittelalterliche Papst deutscher Abstammung. Er lehnte die Verbindung angeblich wegen einer zu engen Verwandtschaft der Familien ab. Doch mit dem späteren Papst Nikolaus II. gelang Wilhelm eine Verständigung. Dabei half ihm, dass das Kirchenoberhaupt gerade Verbündete gegen einen Gegenpapst suchte. Papst Nikolaus II. genehmigte die Ehe, was das Ansehen des Herzogs hob. Seine Stellung festigte auch, dass er kriegerische Angriffe der Provinz Anjou und des französischen Königs erfolgreich abgewehrt hatte. Eindruck machte schon seine kräftigte Statur; mit einer Größe von 1,78 Metern überragte er die meisten seiner Zeitgenossen.
Beim Ausbau seiner Macht stützte er sich vor allem auf die Kirche. Zehn herzogliche Klöster unterstanden ihm in der Normandie. Der normannische Adel zahlte erhebliche Dotationen an die Klöster. Dabei ging es nicht um reine Wohltaten aus christlicher Überzeugung. Die Klöster spielten eine wachsende Rolle in der Geldwirtschaft. Normannische Adelige nutzten Klöster, um Ländereien zu verkaufen, mit Mönchen als Maklern.
Wilhelm sorgte schließlich für eine Übernahme von Klöstern durch weltliche Adelige. Einen der Bischofssitze von Rouen bekam sein Halbbruder Odo von Bayeux. Die Söhne derselben Mutter waren mehr als drei Jahrzehnte enge Gefährten in der Führung des normannischen Herrschaftsgebietes und unterstützten sich darin, die Feudalaristokratie mit ihren Grafen und Vicomtes der Macht des Herzogs zu unterwerfen.
Wilhelms Vertrauter William Fitz Osbern verfügte über interne Informationen aus England. Denn sein Bruder war einer der Hofprediger König Eduards des Bekenners. Und so wusste der Herzog der Normandie ziemlich gut Bescheid über das Militär der Engländer. Die Nachrichten von jenseits des Kanals verfolgte Wilhelm besonders aufmerksam. Der englische König lag in einer Dauerfehde mit Schottland und Wales. Auch er war normannisch geprägt, denn er hatte vor seiner Krönung mehrere Jahre im Herzogtum Normandie verbracht. In seinem Dienst standen normannische Adelige und Prälaten, Normannen erwarben in England Boden und bauten Burgen, etwa Richards Castle bei Hereford nahe der Grenze zu Wales.
Während Herzog Wilhelm seine Rivalen besiegt und so sein Reich erheblich gestärkt hatte, konnte sich die englische Königsmacht nicht gegen ihre Gegner auf der Insel durchsetzen. Aus der Schwäche Eduards entstand Wilhelms Plan, England zu erobern. Umsichtig weitete der normannische Herzog seinen Einfluss auf den Inselstaat aus. In den letzten Jahren der Herrschaft Eduards hatte er mögliche Nachfolger fest im Blick. So machte er Harold Godwinson, Earl von Wessex, einen der Thronanwärter, 1064 zu seinem Vasallen, der ihn bei einem Feldzug begleitete.
Als Eduard der Bekenner im Januar 1066 schließlich starb, wählte die englische Ratsversammlung (Witenagemot) Harold zum neuen König. Diesen Schritt erklärte Wilhelm für illegitim: Der kinderlose Eduard habe ihn zum Nachfolger bestimmt, über seine Großtante war er tatsächlich mit dem angelsächsischen Königsgeschlecht verwandt. Zügig bereitete er die Invasion vor. Die Zeichen standen günstig: Nicht nur der spätere Kaiser Heinrich IV. hatte für ihn Partei ergriffen, sogar Papst Alexander II. sandte eine geweihte Fahne an das Invasionsheer.
Wilhelms Kriegsschiffe waren am 12. August startklar, doch er spielte auf Zeit in einem erfolgreichen Nervenkrieg. Er ließ seinen Gegner Harold an der englischen Küste so lange warten, bis der wegen Versorgungsproblemen am 8. September sein Heer auflösen musste. Drei Wochen später schlugen die Normannen los. Zu Wilhelms Truppe gehörten zahlreiche Söldner aus verschiedenen Teilen Frankreichs und sogar aus Süditalien. Zwar ließ der Herzog für den Krieg werben wie für einen Kreuzzug. So ließ er den Kämpfern ein von Papst Alexander geweihtes Banner zeigen. Doch vielen der rauen Gesellen ging es wohl eher ums Beutemachen.
Bei Einbruch der Nacht am 27. September 1066 begann Wilhelms Flotte von Dives-sur-Mer aus mit der Überquerung des Ärmelkanals. Er kommandierte eine Flotte von 300 Booten mit mindestens 7000 Mann. Nach der Landung bei Pevensey an der Südostküste Englands ließ der Herrscher in der alten römischen Festung einen inneren Wall errichten. Von dort aus verlegte er seine Truppen in das heutige Seebad Hastings. Dabei verwüstete er das umliegende Land, um den Feind zu einem zu frühen Gegenangriff zu provozieren.