Herausgegeben von
Zita Bereuter & Claudia Czesch
© Luftschacht Verlag – Wien 2014
www.luftschacht.com
Einzelrechte © jeweils bei den AutorInnen
Herausgegeben von Zita Bereuter und Claudia Czesch
Coverillustration: Gerhard Haderer
Covergestaltung: Zita Bereuter und Jürgen Lagger
Satz: Klara Kostal
Die Wahl der angewendeten Rechtschreibung obliegt dem/der jeweiligen AutorIn. Layout- und Formatvorgaben der einzelnen Texte wurden in der Regel beibehalten.
ISBN: 978-3-902844-45-3
eISBN: 978-3-902844-79-8
Zita Bereuter, Claudia Czesch
Haare raufen
David Wagner
Haare streicheln
Christoph Strolz
Meine Schwester
Lukas Lengersdorff
Samson
Paul Klambauer
Homo Homini Zombie
Horst Bayer
Haarig
Stefan Dorfstetter
Secret Spots
Julia Hager
Lido Mödling oder Die Pechsträhne des großen Petrowitsch Murian
Wilhelm Hengl
Dein Nichts ohne Rufzeichen
Kurt Kreibich
Paul musste weg
Romana Ledl
Oma ist ein schweres Wort
Sabine Schönfellner
Wie die Hunde
Zita Bereuter, Claudia Czesch
„Da! Der FM4-Wortlaut-Wettbewerb! (…) Heute ist Einreichschluss, für einen zart gesponnenen Zerbrechlichkeitstext vom Reißbrett reicht die Zeit nicht mehr. Jetzt heißt es Risiko fahren, und irgendetwas Grobes zusammenkloppen, das radikal aussieht“, wird der Jungautor in Homo Homini Zombie (Seite 43) nervös. „Mir bleiben noch fünf Stunden, um das auf zehn Seiten hochzuziehen. Wird knapp, kann klappen.“
Es war knapp, es hat geklappt.
Paul Klambauer wurde mit dieser Kurzgeschichte Dritter.
Wir haben sehr gelacht, trifft Paul Klambauer mit seiner Beschreibung der Jungautoren im Fitnesscenter und ihrer Alltags-Schreib- Probleme doch immer wieder herrlich die Realität*.
Nur so viel – die meisten Geschichten erreichen uns wenige Stunden vor Einsendeschluss, der heuer am 5.5. um 00:00 Uhr war. Die Siegergeschichte etwa hat Christoph Strolz am 5.5. um 21:22 Uhr abgeschickt. Sieben der hier vorliegenden Kurzgeschichten erreichten uns am 5.5.
An dieser Stelle herzlichen Dank allen Autorinnen und Autoren für ihre Einsendungen!
Wochenlang hat sich die Vorjury durch haarige Texte gelesen. Wieder und wieder wurden Kurzgeschichten weitergereicht, besprochen und noch mal gelesen. Nicht immer eine einfache Aufgabe – manchmal zum Haare raufen! Großen Dank daher auch an die redaktionelle Vorjury (die FM4-RedakteurInnen Jenny Blochberger, Anna Katharina Laggner, Conny Lee, Maria Motter, Christian Pausch, Martin Pieper, Simon Welebil, Irmgard Wutscher und Markus Zachbauer, sowie Jürgen Lagger vom Luftschacht Verlag und die beiden Herausgeberinnen).
Nach einer eintägigen Sitzung konnte sich die Vorjury auf zwanzig Kurzgeschichten einigen. Es lag dann an der Hauptjury, daraus die vorliegenden besten zehn auszuwählen. Irene Diwiak (Gewinnerin von Wortlaut 2013), Jens Friebe (Musiker und Musikjournalist), Gerhard Haderer (Karikaturist und Zeichner), Eva Menasse (Schriftstellerin) sowie David Wagner (Schriftsteller) waren sich bei manchen Texten schnell einig, bei anderen wurde länger diskutiert. Sprache, Stil und Form wurden analysiert. Schließlich gab es für die besten drei wie beim Wettlesen um den Bachmannpreis mehrere Wahldurchgänge. „Es war knapp, es hat geklappt.“
Der äußerst kompetenten, fairen und diskussionsfreudigen Jury sei aufrichtig gedankt!
Gewonnen hat schließlich der – nach Meinung der Jury – abstrakteste Text, der eine interessante Verpelzung der Welt zeige. Das Thema „haarig“ sei kongenial umgesetzt: in dieser literarischen Verzauberung auf kurzer Strecke, in der alles haarig wird.
„Und ja, meine Kaffeetasse fühlt sich tatsächlich pelzig an.“ – Der Zeichner Gerhard Haderer hat diesen Satz für das Cover illustriert. Darüber haben wir uns sehr gefreut! Tausend Dank!
Besonders angetan war die Jury auch vom Beginn der Coming-Of- Age-Geschichte, die es auf den zweiten Platz geschafft hat: „Wir alle dachten damals, dass Paul das schönste Mädchen war, das wir jemals gesehen hatten.“
Daneben spannt sich der Bogen von einigen Großmüttern (eine hat Haare wie Lady Gaga, eine eher Haare auf den Zähnen und wieder eine andere radelt im Sommer an den Lido von Mödling) bis hin zu Tieren – einem kastrierten Kater und einigen toten Tieren in einer Wohnanlage. Auffällig viele Tote gibt es auch im Umfeld eines Friseurs und schließlich werden noch geheime Spots für Freerider verraten. Oder auch nicht.
Gratulation jedenfalls allen in diesem Buch versammelten Autorinnen und Autoren!
Besonderer Dank noch an David Wagner für das Vorwort!
Genug erzählt – viel Vergnügen beim Lesen!
Zita Bereuter und Claudia Czesch
(Herausgeberinnen)
* Anmerkung: Übrigens das erste Mal in der Wortlautgeschichte, dass ein Text, in dem „FM4“ genannt wird, die anbiederungsresistente Jury passiert hat.
Wie liegen die Haare? Müsste ich nicht mal wieder zum Friseur? Wieso steht diese Strähne so störrisch ab?
Mit Haaren haben wir alle fast jeden Tag zu tun. Zumindest, solange wir welche haben. Haare müssen gewaschen, gekämmt oder gebürstet werden. Sie wollen gepflegt und vielleicht zu Zöpfen geflochten werden. Und sie sollten eigentlich immer gestreichelt werden.
„Haarig“, so lautete das Thema beim diesjährigen FM4-Kurzgeschichtenwettbewerb – und dementsprechend ging es in den eingereichten Erzählungen um Friseure, Haarschnitte und Locken. Es ging aber auch um Bedenkliches, Besorgniserregendes, Gefährliches und Heikles, denn eine haarige Angelegenheit kann ja auch eine nicht leicht zu lösende sein.
Die Jury las und die Jury diskutierte. Sie freute sich und sie ärgerte sich über Texte. Über die, die in diesem Buch enthalten sind, freute sie sich auf jeden Fall, weil doch jede dieser Geschichten ihre eigene Antwort auf die Frage findet, was eine haarige Angelegenheit sein könnte.
Die Jury bestand aus Irene Diwiak (die den Wettbewerb im Vorjahr gewonnen hat), Jens Friebe, Gerhard Haderer, Eva Menasse und meiner Wenigkeit. Und ich darf sagen: Es hat uns großen Spaß gemacht. Es war kitzlig, knifflig, kompliziert und nicht einfach zu lösen, wir waren kritisch, manches war uns nicht geheuer, anderes war heikel, es war problematisch, aber nicht wirklich schwierig, vielleicht ein wenig diffizil, kurz vor Schluss verzwickt, am Ende aber konnten wir uns auf drei Preisträgertexte einigen – und ich in diesem Satz fast alle Synonyme des Wortes haarig, die der Duden vorschlägt, unterbringen.
Schreiben ist ja eigentlich leicht – Autoren müssen bloß passende Wörter wählen und aneinanderfügen. Und damit unter Umständen (aber nicht unbedingt) etwas erzählen. Oft aber liegt in einem so verfassten Text dann ein Satz nicht richtig, ein anderer steht vielleicht störrisch ab, vielleicht ist die Geschichte nicht richtig durchgekämmt, schief geschnitten oder ihre Stränge sind eventuell nicht richtig verflochten. Geschichten und Frisuren haben einiges gemeinsam – und es kommt wohl nicht von ungefähr, dass so viele Friseure gute Geschichtenerzähler sind: sie sind es gewohnt, mit haarigen Situationen zurechtzukommen.
Entschuldigen Sie, liebe Leser, ich wünsche frohe Lektüre – ich muss hier leider abbrechen, denn ich muss dringend zum Friseur …
David Wagner
(Schriftsteller)
geb. 1979 in Tirol. Besuch einer Fachschule für gewerbliche Holzbildhauerei. Anschließend Produktion soliden Kunsthandwerks und schlechter bildender Kunst. Studienberechtigungsprüfung. Ab 2000 Philosophiestudium in Innsbruck und Wien. Diplom 2006 mit einer wissenschaftshistorischen Arbeit. Lebt in Wien. Arbeitet seit 2007 als Mann für alles und Mädchen fürs Grobe. Schreibt seit Jahren für die Schublade.
Natürlich geht so etwas nicht von heute auf morgen. Solche Veränderungen vollziehen sich niemals schlagartig, und auch wenn ich weiß, dass man mit solchen Behauptungen sehr sehr vorsichtig sein muss: So ist die Welt wohl einfach nicht gestrickt. Vielmehr neigt sie zu fast unmerklich schleichenden Prozessen, zu ganz sanftpfotigen Bewegungen auf frisch gefallenem Schnee oder auf weichem, mit Wasser vollgesogenem Moos. Ich meine mich zu erinnern, dass ich es zuerst an meiner Kaffeetasse bemerkt hatte. Als ich sie eines Tages aus dem Geschirrspüler nahm und im Hängeschrank über der Spüle verstauen wollte, fühlte sie sich ein bisschen eigenartig an. Freilich nicht eigenartig genug, um der Sache augenblicklich auf den Grund gehen zu müssen. Nur eigenartig genug, dass ich mich ein ganz klein wenig bemühen musste. Sie kennen das vermutlich, wenn man scheinbar einen minimalen Widerstand überwinden muss, um einen flüchtigen, unstimmigen Eindruck zu ignorieren. Dieser Widerstand begann allmählich größer zu werden. Bis er sich schließlich zu einer solchen Hürde aufgebaut hatte, dass ich, als ich wieder einmal meine Tasse aus dem Geschirrspüler nehmen und im Hängeschrank über der Spüle verstauen wollte, nicht mehr umhin kam festzustellen: Ja, es ist so, selbst meine Schwester hält mich für ein Arschloch. Und ja, meine Kaffeetasse fühlt sich tatsächlich pelzig an.
Ich weiß, dass man erst recht mit solchen Behauptungen sehr sehr vorsichtig sein muss, aber dennoch: Menschen neigen dazu, Eindrücke, die einfach nicht passen wollen, für eine Art von Täuschung zu halten. Sie gehen zunächst davon aus, dass etwas mit ihrer Wahrnehmung nicht stimmt. Und auf den ersten Blick schien es auch so, dass es wirklich an mir lag und nicht an den Dingen. Auf den zweiten Blick waren es dann doch die Dinge. Auf den dritten dann wieder ich.
Ich ging zum Fenster, hielt die Tasse ins grelle Sonnenlicht, doch ich sah nichts, nur spiegelnd blanke Keramik. Ich überlegte kurz, meine Tasse einfach wegzuwerfen, öffnete dann aber doch den Hängeschrank und stellte sie an ihren Platz. Am liebsten wäre mir gewesen, wenn ich sie versehentlich fallengelassen hätte. So wäre ich sie ein für alle Mal losgeworden und hätte mir dennoch nicht vorwerfen können, verschwenderisch zu sein. Doch es wäre ohnehin sinnlos gewesen, die Tasse wegzuwerfen. Denn dass sich bald auch mein Wasserglas, bald die Teekanne, irgendwann selbst die Furnierholzplatte meines Schreibtisches haarig anfühlte, sprach dafür, dass sich entweder etwas ganz Grundlegendes an der Beschaffenheit der Welt änderte, oder etwas ganz Grundsätzliches mit meinem Tastsinn geschah. Es war zwar abwegig und beunruhigend, meinem Tastsinn nicht mehr trauen zu können, doch weniger abwegig und beunruhigend als der Gedanke, dass dem Kugelschreiber, der Fernbedienung, sämtlichen Türklinken und Altglasflaschen, ja selbst der Zellophanhaut noch ungeöffneter Versandkataloge feine Härchen gewachsen sind. Ich ging ins Arbeitszimmer, setzte mich zum scharfen Lichtkegel meiner Schreibtischlampe. Ohne viel Hoffnung betrachtete ich meine Fingerkuppen, sah wie erwartet nichts, nur Papillaren, nur die verschlungenen Irrwege eines Labyrinths. Doch selbst wenn ich etwas entdeckt hätte, selbst wenn ich bei genauem Hinsehen tatsächlich festgestellt hätte, dass mir feine Härchen auf den Fingerkuppen gewachsen sind. Was unterschied meinen Sehsinn von meinem vielleicht defekten Tastsinn? Was, wenn ich zwar auf meinen Fingerkuppen, nicht aber auf den Gegenständen feine Härchen entdeckt hätte, während in Wirklichkeit … nein, ist ein diffuses Grundvertrauen erst einmal erschüttert, verliert von Wirklichkeit zu sprechen seinen Sinn. Es schien mir also recht schnell sinnlos zu fragen, woran es lag, wer objektiv eher Schuld hat oder hatte. Das hieß freilich nicht, dass es auch sinnlos war, nach einer guten Erklärung zu suchen, denn es gibt gute Erklärungen. Es gibt sie zumindest insofern, als dass sie besser als die schlechten sind. Ich vertrat fürs Erste den Standpunkt, dass es besser wäre, wenn nur etwas mit meinen Fingerkuppen nicht stimmte. Selbst heute würde ich wohl sagen, dass die beste Erklärung für die Pelzigkeit der Dinge eben jene ist, dass etwas mit meinen Empfindungen nicht stimmt. Nur bin ich längst so weit, mit allen denkbaren Erklärungen umgehen zu können. Dass ich heute nur noch ungern eine beste Erklärung nennen würde, liegt also einzig daran, dass es keine wirklich schlechte mehr gibt.
Das ist jetzt so. Das war anfangs anders. Als ich baden wollte, musste ich einsehen, dass meine Fingerkuppentheorie zu kurz griff. Denn nicht nur der Wannenrand, auf den ich meine Hände legte, sondern auch das Wasser in der Wanne das mich aufnahm und umspülte, fühlte sich pelzig an. Ich lag im Wasser, wie betäubt von dieser warmen Weichheit. Ich ließ meine Wange die Wannenwand entlanggleiten. Ich leckte widerwillig über den verchromten Wasserhahn und war dann peinlich berührt darüber, dass ich das pelzige Gefühl auf meiner Zunge als angenehm empfand. Ich legte mich rücklings auf den Badezimmerboden. Ich legte mich bäuchlings aufs Parkett des Wohnzimmers und während sich die Fliesenböden in Küche und Bad merkbar borstig, ja fast schon stachlig anfühlten, war das Parkett nahezu flauschig weich. Die Wände aller Räume hatten die Haptik eines Nerzpelzes, egal mit welchem Körperteil ich sie berührte. Das Ceranfeld in der Küche fühlte sich eher an wie die mit zartem blondem Flaum bedeckten Wangen mancher Frauen. Allem schien ein Fell gewachsen, das mich ebenso anzog wie anwiderte, nie gleichzeitig, immer abwechselnd, je nachdem, welche Assoziationen in mir hochstiegen: das zarte Unterfell einer Angorakatze. Das muffige Deckhaar eines nass gewordenen Hunds. Das Weiß frisch gepflückter Baumwolle. Die drahtige Achselbehaarung eines bettlägerigen Greises usw. usf. Manchmal meinte ich, mich in einem Alptraum zu befinden. Dann wieder schien mir, dass die Welt ein irgendwie besserer Ort geworden sei und auch ich ein irgendwie besserer Mensch. Beides schien möglich, beide Deutungen bekämpften sich, ehe sie dann allmählich verblassten und ehe mir, ob nun wach oder träumend, klar wurde, dass sich weder an der grundsoliden Beschaffenheit der Welt noch an meinen beschränkten Möglichkeiten in ihr wirklich Entscheidendes verändert hat.