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Wirrwahr

Minimalprosa

 

 

von

Günther Bach

 

 

 

Impressum

Cover: Karsten Sturm, Chichili Agency

Redaktion: Sabine Pires

EPUB ISBN 978-3-95865-426-6

MOBI ISBN 978-3-95865-427-3

© 110th / Chichili Agency 2014

Urheberrechtshinweis:

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Heute wird nichts mehr bezahlt für Gedichte.

Das ist es.

Darum wird heut

auch kein Gedicht mehr geschrieben!

Denn der Dichter fragt auch:

Wer bezahlt es?

Und nicht nur: wer liest es?

Und wenn er nicht bezahlt wird,

dann dichtet er nicht!

Soweit habt ihr´s getrieben!

 

 

Bert Brecht, „Lied der Lyriker“

 

 

 

 

Wirrwahr – ein so seltsamer Titel wie auch der des ersten Gedichtbandes von Günther Bach, des „Toten Briefkasten“.

 

Was bekannt klingt und beim ersten Hören Unsinniges erwarten lässt, macht bei genauerem Hinsehen nachdenklich. Das scheinbare Paradoxon, das Wirres und Wahres zu verknüpfen verspricht, ist durchaus wörtlich gemeint. Der Blick des Autors auf die Geschehnisse des Tages erlaubt ihm keine andere Deutung. Die versatzstückähnliche Verwendung alltäglicher Redensarten und der Verzicht auf formalästhetische sprachliche Überhöhung machen sein Anliegen deutlich. So scheint auch der Ersatz der Bezeichnung „Gedichte“ durch den Begriff „Minimalprosa“ im Titel verständlich.

 

Günther Bach, 1935 in Stendal geboren, lebt in Berlin. Über seine vielseitigen Interessen gibt seine Homepage www.guenther-mac-bach.de einen Überblick.

 

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Geschehnisse

 

 

Triviale Zeiten

 

 

Wie recht er hatte,

der Brecht,

als er uns mahnte,

nicht so romantisch zu glotzen!

 

Es ist nicht die Zeit

für Mondschein und warte nur, balde -

die unsterblich Geliebte

trifft man heute im Swingerclub

und erst unter allen Wurzeln ist Ruh´.

 

Die Säle zum Toben

im gleißenden Scheinwerferlicht

bringt heute ein schwitzender Glatzkopf

mit Glitzerkettchen am Hals,

wenn er feststellt: Lesen ist Scheiße.

 

Gut bürgerlich ist heute allenfalls,

was nebenan in der Kneipe

die Küche anbietet.

Selbst auf den Bühnen

lärmt das fäkale Spektakel.

 

Die Zeit meines Lebens –

es stand mir nicht frei, sie zu wählen:

Sie ist dieses Heute.

Wenn ich davon reden will,

muss ich seine Sprache benutzen.

 

 

Propheten

 

 

Nun ja,

es gab sie schon immer.

Früher trugen sie lange Bärte

und streuten sich Asche aufs Haupt.

Als Outfit schätzten sie alte Säcke.

 

Nur selten

hatten sie Freudiges zu vermelden;

oft schien die Bedrohung vage

und auch die Quelle der Informationen

war meist nicht ganz klar.

 

Im Allgemeinen

pflegten sie zu behaupten,

in höherem Auftrag zu handeln

und beriefen sich auf den Herrn.

Ein Beweis dafür war nicht üblich.

 

Statt dessen

wussten sie meist zu verkünden,

dass eine Umkehr von falschen Wegen

sowie etwas Reue und Buße

das Schlimmste verhindern könnten.

 

Es scheint,

dass sie selten nur recht behielten

mit der Verkündung des Unheils.

Die letzten Male, dass es so war,

liegen lange zurück.

 

Das lief so,

normalerweise,

seit einigen tausend Jahren.

 

Heute hingegen

berufen sich ihre zahllosen Erben

beim Hinweis auf drohende Zeichen,

wie Ozonloch und Gletscherschmelze,

auf die exakte Berechnung.

 

Der Nachweis

der unvermeidlichen Sintflut

wurde computergestützt erbracht,

mehrfach wissenschaftlich geprüft

und erlaubt keinen Zweifel.

 

Dies alles

wird täglich zum Besten gegeben.

Es gehört zur Nachricht des Tages

wie der Börsenbericht und das Wetter

und ist ebenso schnell vergessen.

 

Möglicherweise

kann es auch daran liegen,

dass ein Geschäft daraus wurde,

den Horror kommender Katastrophen

wirkungsvoll zu vermarkten.

 

Kein Wunder also,

wenn Bilder von lodernden Weltuntergängen

bei Bier und Chips vor dem Riesenbildschirm –

schließlich ist man nicht blöd –

derzeit nur sanftes Gruseln vermitteln.

 

Jedoch:

Zur Vorbereitung des Ernstfalls

sind die Filmchen wohl nur bedingt geeignet,

denn mit einiger Sicherheit lässt sich sagen,

dass im letzten Drehbuch

kein Happy End zu erwarten ist.

 

 

Irgendwie schade

 

 

Irgendwie schade,

dass man die Zeit nicht nutzte

und die Gelegenheit –

sie fallen so selten zusammen.

 

Irgendwie schade,

dass man die Worte nicht fand,

die man hätte sagen müssen.

Sie helfen nicht mehr,

wenn es dafür zu spät ist.

 

Irgendwie schade,