Iris Maria vom Hof
Couscous Crème fraîche
Doku-Roman
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort
Missglückter Überfall
Ein Tier auf ihr
Fuck, es ist nicht einfach
Dschungelkind im Schnee
Ich will hier weg
Kai des Vergessens
Rosen mit Dornen
Just do it
Innere Stimmen
Alles im Lot
Mondgesicht
Tote Wünsche
Risse im Herzen
Champagnerdusche
Rettet mich vor mir selbst
Pechvogel
Völlig abgedreht
Nonstop
Immer noch mehr
Sonnenfinsternis
Reiner Zufall
Große Gefühle
Der Punkt geht an Katy
Herr homophob
Impressum neobooks
Ich bin Couscous Crème fraîche - die berührende Geschichte von Katy Ben Ali. Geboren 1959 in Le Havre - Katy landet von klein an zwischen allen Stühlen. Sexuelle Übergriffe in der Familie, später Drogen, auf der Straße leben, untertauchen im Pariser Rotlichtmilieu, in einer Nachtbar am Pigalle kellnern - Katys Leben schießt wie ein Jo-Jo auf und ab. Katys Schicksal sieht kein Happyend vor, aber dann wird doch noch alles gut. / Katys Leben wird zum Teil chronologisch erzählt. Manche Erinnerungen überlagern sich. Manchmal treffen Ereignisse aufeinander, auch wenn ein längerer Zeitraum dazwischen liegt. Katys Schicksal hat seine eigene Logik. / Dieses eBook steht in deutscher und in französischer Sprache zur Verfügung. Der Doku-Roman Couscous Crème fraîche ist auch als Hörbuch und als App in beiden Sprachen erhältlich.
www.roman-couscous.com
Montreuil, November 2012 /// Ein kalter, regenschwerer Abend, Metrostation Mairie de Montreuil. Verdammt noch mal, die ganze Scheiße kotzt sie an. Die Metro quillt über und sie will schleunigst heim. Katy quetscht, pufft, boxt sich bis zur automatischen Türe durch und kommt gerade noch aus der Bahn raus. Auf dem Bahnsteig, das gleiche Bild. Asoziale Pest. Teilnahmslose Typen mit Wollmützen tief ins Gesicht geschoben. Das Handy ans Ohr geklemmt. „Was?? Nein, in der Metro, in der Metro!!! Was?? Ja, die Palette Bier hab ich dabei! Was?“ Immer laut und ungeniert, auf dicke Eier machen mit nichts in der Birne. Wann immer man auftaucht, das Gesindel ist schon da. Katy hat sich die längste Strecke ihres Lebens mit solchen Irren herum geschlagen. Katy hat es inzwischen geschnallt. Mit vierundfünfzig bist du kein Unschuldsengel mehr, aber die Sorte Mensch ist aus ihrem Leben gestrichen, oh ja. Sie hat nicht übel Lust, dem nächst besten Idioten ihren Mittelfinger unter die Nase zu setzen. Die abgestumpften Frauen mit voll gestopften Plastiktüten bepackt und drei, vier plärrenden Bälgern im Schlepp nerven auch. Selbst verantwortlich für ihren Stress. Zu Familiensklavinnen abgerichtete Huren. Katy ist nicht zimperlich in ihrem Urteil. Das Schlimmste aber sind die afrikanischen Drogendealer mit den bedürftigen Strichern und den anderen Wichsern um sie herum. Katy zieht die Schotten hoch. Diese Verbrecher! Wenn Katy so etwas wie Verständnis einräumt, dann für die frierenden, ungewaschenen Straßenmusiker in den Ecken. Aber sonst? Mir hat auch keiner was geschenkt, denkt sie und stapft dickhäutig durch die Masse Menschen. / In der Metro passiert einiges, was nicht alle mitkriegen. Das hastige Ein- und Aussteigen bringt die Drogengeschäfte ins Rollen. Bestimmte Leute umklammern die Geldscheine in ihren Händen. Blitzschnell ist ein neutral eingewickeltes kleines Tütchen oder ein Riegel Shit eingewechselt. Lange Gesichter bei denjenigen, die leer ausgehen. Abgefahren, dieses Leben an der Kante. Welche Schwermut treibt die Menschen in den wachen Albtraum? Gespritzt, geschluckt, geraucht wird immer. Heroin, Kokain, Crack, Aufputschmittel, Tranquilizer, kommt auf die Kasse an. Spritzen, Aufkochbesteck, Nadeln, alles da. Aber was machst du, wenn du keinen Cent in der Tasche hast? Für die mit Geld geht es mehr oder weniger um den Kick unerlaubter Vergnügungen. Chichon, Shit, Partydrogen, alles klar, kriegst du, kriegst du. Pulver, Pillen, Kristalle, Flüssigkeiten. Aber wie kommt man an eine satte Abschussdosis, wenn man sie ohne Kohle organisieren muss? Wenn du dir nicht mal mehr ein Achtel Gramm Koks leisten kannst? Wenn du Glück hast, kannst du beim Eintüten mitmachen. Wenn du Glück hast für ein wenig Stoff. Das wird auf die Dauer nicht reichen und dann? Ganz unten angekommen machst du es für zehn oder fünfzehn Euros. Dann bist du froh, wenn dein Kunde ein Kondom akzeptiert, so sieht es aus. /// Nicht ihre Tasse Tee. Katys Gesicht erhellt sich durch ein wohliges Lächeln. Sie kann sich durch gelegentliche Jobs als Altenbetreuerin immer soviel zur Seite legen damit die kleine Tupper-Dose in ihrer Umhängetasche jeden Tag mit astrein sauberem Gras gefüllt ist. Etwas Shit bildet die eiserne Reserve. Gutes Zeug. Auf ihre Quellen ist Verlass, man kennt sich lange genug. Auf dem Schwarzmarkt weißt du sonst nie genau, was du erwischt und wie gut der tatsächliche Wirkstoff ist. Für die sorgenfreien Geldsäcke ist das egal, für eine Frau wie Katy ist gute Ware ein Zeichen sozialen Aufstiegs. Und dass sie es überhaupt soweit geschafft hat, gleicht einem Wunder. Frischer Duft, Sauberkeit und Ruhe. Auf ihre Wohnung ist sie mega stolz. Sie hat ihr Nest gefunden. Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer, Bad. Oben, auf den Hügeln von Montreuil. Im einzigen Wohnturm der Rue Lenain de Tillement. Mit der besten Aussicht auf Paris und den Eiffelturm. Und erst nachts, das Lichtermeer der Metropole. Wow, das ist mal ein Anblick auf eine der schönsten Städte der Welt. Der Stadt der Liebe mit den Taxis, in denen sich Liebespaare küssen. „Sous le ciel de Paris, mmm-hmm-hm.“ / Ihre feste Arbeit als Betreuerin des todkranken, behinderten Jungen Francois hat Katy vor drei Jahren durch einen blöden Unfall verloren. Glatteis, hingeknallt, Armbruch und zu vierzehn Prozent invalide eingestuft. Alles klar. Da war sie erst mal voll im Arsch. Hundert Prozent verladen. Ihr kaputter Arm hat Katys Leben ins Aus geschmissen. Logo, dass sie sich in ihrem Alter keine großen Hoffnungen auf noch mal Arbeit machen kann. Niente. Finito. Der Psychologe, den sie für das bisschen Invalidenrente aufsuchen musste, kam ihr mit dem bescheuerten Vorschlag: „Madame Ben Ali, Sie müssen sich positiv in ihre Zukunft projizieren.“ Ja toll. Und Katy antwortete frech: „Ich projiziere mich höchstens an die Wand, Herr Doktor.“ Ist doch wahr. „Was habe ich zu hoffen“ knurrte Katy unwirsch, „ich kann im besten Fall eine Anzeige aufgeben - Behinderte sucht Behinderten - sonst gibt mir doch kein Mensch mehr Arbeit.“ Die Fresse dieses Typen gefiel Katy von Anfang an nicht, aufgeblasenes Arschloch! Projizieren Sie sich, oh, ja! Katy hatte nicht übel Lust voll abzublocken. Bei solchen Typen kriegt sie die Krätze. Aber ihre Invalidenrente für so einen riskieren, das tat sie dann doch nicht. Besser so. /// Den Kopf zwischen den Schultern vergraben, die Hände tief in die Manteltaschen versenkt, verlässt Katy die Metrostation durch einen schmalen Seitenausgang. Sie steigt ein paar Treppen hoch zur Straße und eilt auf dem üblichen Weg zur nahen Busstation. Eilig biegt sie in Richtung Wartehäuschen ab. Ein Segen, bald ist die Mikrowelle für das Abendessen dran. Der eisige Wind bläst ihr einen weggeworfenen Pappbecher vor die Nase. Eine widerliche Sauce aus Regenwasser und Kaffeerest platscht auf ihrem frisch gereinigten Mantel, igitt. So ein Scheiß. Und während Katy versucht, den ätzenden Kaffeefleck mit einem Tempo abzuwischen, da bemerkt sie den jungen Kerl im Schatten des Straßenlichts. Nicht schwer zu erraten, was der vorhat. Ihre selbst gehäkelte Umhängetasche sieht nicht nach großen Reichtümern aus, aber ein paar Cent hat man immer dabei. Du willst Katy auf den Geist gehen, Freundchen? Dann komm mal ran an die Mutter. Katy verlangsamt ihre Schritte und dreht sich behutsam um. Ein weiterer Augenblick genügt, um den Typen einzuschätzen. Nasser Parka, blasses Gesicht, blasses Triefhaar, blasse Jeans. Blutlos. Ganz unsicherer Freier. Ihr musternder Blick verleiht ihrem Gesicht etwas Undurchsichtiges. Wie zu erwarten war: Der dahergelaufene Strauchdieb baut sich breitbeinig vor Katy auf und grinst dämlich. Und du glaubst, ich fürchte mich vor dir, schmunzelt Katy. Voll daneben gegriffen. Wehrlose ältere Frau, Mix Couscous Crème fraîche. Behinderte, wehrlose farbige ältere Frau, die leicht hinkt. Du kleiner Drecksack, dann lass dich mal überraschen. Katy hat ihren Plan. Sie macht sich in aller Ruhe bereit. Den Blick gesenkt, die Umhängetasche fest unter den Arm geklemmt, erwartet sie den Angriff mit der Gelassenheit eines Profis, der weiß, wo seine Trümpfe stecken. Na dann. Der picklige Junge reißt an Katys Ärmel und versucht an ihre Umhängetasche zu kommen. „Her mit der Tasche, Alte, sonst knallt es!“ Was für ein verpeiltes Würmchen. Katy schaut den Burschen mit weit aufgerissenen Augen an und lässt die Augenbrauen hochschnellen. Sogar seine Stimme klingt feucht, der verschluckt sich noch an seiner Spucke. Konzentriere dich, ermahnt sich Katy, konzentriere dich. Total pseudo, dieser Überfall. Schluss damit. Katy greift dem Kleinen mit beiden Händen beherzt unter den Parka, fasst nach seinem Hosenbund, zieht seinen Gürtel mit einem kräftigen Ruck hoch und zurrt dem Knaben die Eier mit dem Hosenschritt fest. Früher, mit den Bundfaltenhosen der 1980er, war das Eier kujonieren wesentlich leichter. Aber diese tief am Unterbauch sitzenden Jeans heutzutage lassen sich schlecht packen! Uff, geschafft, der Kleine ist erledigt und Katys Selbstschutzaktion erfolgreich abgeschlossen. Der kleine Pisser strauchelt, knallt auf das Pflaster und jault wie eine angefahrene Ratte. Er ist gut getroffen, das sieht man. Aber am meisten setzt ihm die Scham zu das sieht man auch. Von einer Oma mit grauen Löckchen flach gelegt, das ist das Gemeinste, was ihm passieren kann. Kleiner Wichser. Katy glotzt boshaft lachend zu ihm hinunter: „Nichts aus der Alten raus geholt, was? Pech gehabt. Schade, dass es keiner von deinen Kumpels gesehen hat.“ Katy mimt die erbarmungslose Bestie. Der Kleine dreht sich seitwärts und versucht stöhnend auf die Beine zu kommen. „Also mein Junge, das war es dann, Brasil, la-lalalalalala-la.“ Im Takt der Melodie schubst Katy das hilflose Bündel ein paar Mal leicht an und summt dann halb abgewandt „La-lalalalalala-la, Rache ist Blutwurst.“ Kackarschmongole, denkt Katy noch, du hast es nicht anders gewollt! Ich gebe dir einen guten Rat. Pass in Zukunft immer gut auf, wen du vor dir hast. Dann entscheide, was du machst oder was du besser nicht machst. /// Es herrscht der übliche Stau im Berufsverkehr. Katy döst in einer der hinteren Busreihen und schiebt sich ein Kaugummi in den Mund. Dieser kleine Scheißkerl, dass ich nicht lache! Mich überfallen, mich, die ganz andere Angriffe überstanden hat. Der gleiche Hosenscheißer wie Laurent, unser Jüngster. Und obwohl Katy heute mit ihrer verfluchten Familie so was von überhaupt nichts mehr am Hut hat - den Kleinsten hat sie immer beschützt. Irgendwie ist das meine Bestimmung gewesen, sinniert Katy. Kaum war ich groß genug, bemutterte ich ihn, habe gewaschen was ich konnte. Von den Drecksklamotten bis zu seinem Po. Habe den ganzen Tag aufgeräumt und doch hat alles nichts genützt. Leck’ mich, unsere Wohnung war eine chaotische Steppe. Oh ja, ein Irrsinn das, ein Irrsinn. Nicht ein Foto an der Wand. Kein Album, keine Souvenirs oder Postkarten. Als Kind hab’ ich nur auf die Mütze gekriegt, kann man nicht anders sagen. Ich war nicht so stumpf wie meine drei Brüder. Als Mädchen braucht man Zärtlichkeit, mehr Liebe, aber das alles bekam ich nie. Das tut immer noch weh. La Cucaracha! Läuse und Kakerlaken empfingen dich, wenn du bei uns zuhause abends in die Kiste gestiegen bist, bäh! Und tagsüber Läuse knipsen, auch eine schöne Tätigkeit. Alles Tierchen der Armut, blöde Monster das! In der Küche war es am schlimmsten. Da krochen orange farbige Nacktschnecken durch die Gegend und wenn man drüber lief machten sie ein ekliges Geräusch. Glitsch. Horror, ein Horror das! Der Saustall in dem wir hausten, lag im Erdgeschoss und war total feucht. Bei uns stank es immer nach Schimmel und Essen gleichzeitig. Und nach White Star, nach Ricard, nach Mutters Menthol-Rauch und Vaters Gauloises. Unter der Spüle kamen die Schnecken heraus. Mein kleiner Bruder und ich, wir krabbelten unter den Küchentisch und beobachteten, wie sie heraus krochen. Das war die Wohnung in Le Havre, Rue Turenne. Immerhin, wir hatten als erste einen Fernseher und einen Kühlschrank mit Tiefkühlfach. Keine Waschmaschine, aber eine Spülmaschine, die aber von Anfang an nicht funktioniert hat. Wir waren so durchgeknallt als Familie, das kann sich keiner vorstellen. Und ich vergesse nie, wie Laurent, der wie erwähnt nicht zu den Mutigsten zählte, einmal auf den Schlafzimmervorhang gekraxelt ist und sich auf mich herunter fallen ließ. Er war drei und ich gut vier, so um den Dreh. Plumps, ich landete rücklings im Pinkel-Pott und klebte drin fest. Wie eine Schildkröte auf dem Rücken, alle Vier von sich gestreckt. Nichts zu machen, ich saß fest und Laurent kriegte mich nicht wieder heraus. Mein Bruder war gezwungen, Nina, die Nachbarin von gegenüber um Hilfe zu bitten und die kam auch sofort und holte mich raus. Nina hat überhaupt so manchen Blödsinn gedeckt, den wir verzapft haben. Meine verkackte Familie, die gleiche asoziale Bande wie an der Metrostation. Katy fallen kurz die Augen zu. Oh ja, finito, sie ist raus aus der Nummer.
Le Havre, Mai 1968 /// Katy merkt wie der Vater die Wohnungstüre abschließt, abends wird alles verriegelt, damit keiner abhaut. Katy ist noch ein kleines Mädchen, ihr Oberkörper flach wie der ihrer Brüder. Mit neuneinhalb hat sie noch keine Titten, nur mickrige Brustwarzen. Ihre Möse ist ohne Haare, sie hat die schmalen Schenkel eines Kindes. Katy verkriecht sich unter ihrer dünnen Decke und versucht einzuschlafen. Keine Chance, aus dem Küchenradio dröhnt Johnny Hallyday mit seinem Megahit „Jeune Homme.“ Da kommt ihr das Bild hoch, wie sie das erste Mal mit einem Bruder zwischen den Beinen aufwachte. Angst und Schuldgefühl machen sich breit, sie wird später wieder Besuch bekommen. Ihr ältester Bruder Gérard schleicht sich zuerst ran, dann wirft sich der ein Jahr jüngere Denis auf sie. Die Jungen würden am liebsten Tag und Nacht herum vögeln. Hormonstau. Und weil sie die kleine Katy haben, schieben sie täglich eine Nummer mit ihr. Heimlich, im Dunkeln wenn der Vater seinen Rausch ausschläft und nichts mehr mitkriegt. Bepisster Quatsch. Katy kapiert so was nicht. Dreckskerle. Seit ihre Brüder einen hoch kriegen sind sie nur noch bescheuert! Katy hat null Ahnung, warum die beiden auf ihr Piss-Ding so stolz sind. Bloß weil es wächst und sie abspritzen? Bei jeder Gelegenheit werden die Pimmellängen verglichen. Katy schüttelt sich vor Ekel. Gérard war es, der ihr als erster sagte ich liebe dich. Kotz, würg. Der erste Mann in ihrem Leben, der ihr sagt, ich liebe dich, ist ihr Bruder, toll. / Katy hält die Klappe. Der Vater Ben Ali würde die Brüder tot prügeln. Einen nach dem anderen, wie er es immer macht, wenn er austeilt. Zuerst den Älteren und dann den Jüngeren, immer in der männlichen Rangfolge. Letztes Jahr hat das brutale Schwein Gérard den Unterarm gebrochen. Richtig gebrochen, willentlich, nach hinten gedreht, knirsch und knack. Überansage, keineswegs. Das Stück Arm ist seither schief eingehängt, keine schöne Erfahrung. Ein anderes Mal, als der Vater zufällig entdeckte, dass sich Denis eine Pistole auf den Steiß tätowieren ließ, da war vielleicht was los: „Du mit deinem Schwulenarsch, du Schwuchtel, pass bloß auf, wenn ich dich mit einem Kerl erwische, dann mach ich dich platt. Ein Arschficker streckt seine Beine nicht unter meinen Tisch, dass das klar ist!“ Denis sieht nämlich ziemlich gut aus. Gérard ist auch nicht übel, aber Denis ist der bessere Typ. Schlank, drahtig, ganz egal, was für miese Klamotten er anhat. Früher war Katy auch mega stolz auf ihre großen Brüder, aber jetzt haben die erst mal für die nächsten Jahre verkackt, Schweinebande! /// „Du hast uns versprochen, die Schnauze zu halten, vergiss das nie!“ Denis ist heute als erster dran. Für Katy ist es gleichgültig, weil der eine wie der andere das gleiche Programm schiebt. Denis muss seinen entflammten Ständer mit viel Speichel schmieren, bis er ihn in Katys Kindermöse hinein kriegt. „Lass mich verdammt noch mal ran“, jammert er und flüstert gemeine Wörter wie geile Braut und so n Käse. Katy regt sich nicht. Da bemerkt sie, wie sich seine Lippen zu einem feuchten Kuss öffnen. Katy verschließt Mund und Augen so fest sie kann, seine nasse Zunge in ihrem Mund ist genau so fies wie sein Piss-Ding in ihrer Muschi. Ekel. Denis stinkt wie die Pest. Wie denn anders, wenn in dieser Familie keine Zahnbürsten verwendet werden und die Eltern die Dusche meiden, als wäre dort die Ursache für ihr schäbiges Leben vergraben? Da wäscht sich keiner. Der Vater kratzt sich höchstens am Sack. „Tut doch nicht weh?“, fragt der Heuchler, als er den warmen Blutfluss aus Katys Möse spürt. Sein Piss-Ding nimmt er deshalb nicht heraus. Seine Geilheit, das Bedürfnis, sich schnell zu befriedigen stachelt ihn zu sehr an. Er will der harte Kerl sein, der die Fotze reitet. Katy rührt sich keinen Millimeter und lässt Denis machen. Der stößt, dabei schwitzt er wie sonst was, fertig. Dann rollt er von Katy herunter und schleicht mit eingezogenem Kopf davon. /// Der ältere, Gérard, kommt heute nicht. Mit dicken Tränen auf den Wangen knipst Katy ihre Taschenlampe an, tapst zur Dusche und säubert ihre Beine von dem schwarzen Blut. Das nasse Laken fliegt in die Dreckwäsche. Katy schämt sich für das, was die Brüder ihr antun. Auf leisen Sohlen zurück, klettert sie über einen Stuhl auf den Kleiderschrank und holt sich ein paar Zwiebeln. Ihr Vater verstaut hier oben rote und braune Zwiebeln, Gemüsezwiebeln und Schalotten. Er findet, dass ein eigenes Zimmer für ein einzelnes Mädchen überflüssig sei und somit der Allgemeinheit gehört. Ja gut. Für Katy ist hier ein Vorrat zum Naschen wenn sie hungrig aufwacht in der Nacht. Wenn sie Trost nach den Überfällen der Brüder braucht. Und, die Zwiebeln vertreiben die Bazillen, die von den Brüdern herein gebracht werden. / Wenn Katy in ihren späteren Jahren an die sexuellen Übergriffe auf ihren kindlichen Körper denkt, an Hilflosigkeit und Scham und all den seelischen und körperlichen Schmerz, dann kann sie nicht mehr genau sagen, wie es wann angefangen hat. Ein Schleier aus Verdrängung erleichtert ihr Vergessen. Geblieben sind Erinnerungsfetzen, die sie mit einer Mischung aus Trotz und Resignation aus sich heraus schreit, wenn sie zu viel gekifft und zu stark getrunken hat. Tiere, alles Tiere! Zu den Brüdern zählt der Wichs-Opa, der hat sich genau so an Katy vergriffen. Und da war sie erst fünf.
Le Havre, April 1964 /// Tsch-tsch-tsch, das Wichsen von Opa. Er ruft Katy jedes Mal zu sich, wenn die Oma weg ist, ihr Wichs-Opa Gaston. „Ach, Liebes,“ fängt der Opa brummend an, „wärme mir die Eingeweide mein Schatz!“ Katy muss ihm dann einen blasen oder mit ihren zwei kleinen Händen einen runter holen. Wenn sie das Wichsen nicht richtig hin kriegt, dann hilft er mit. Dann besteht er aber darauf, dass sie nicht weg schaut. Oder er setzt sie auf seinen Schoß und reibt seinen Schwanz zwischen ihren Arschbacken. Diese krautigen Haare am Sack. Katy war schon mal ganz wund von der Nummer. Katy lässt alles über sich ergehen. „Du Zwerg, du und deine winzige Möse“, murmelt er sauer, wenn er sie auf sich setzt. Dann kommt so was wie: „Mein Schatz, deine innere Umgebung kneift, das wird sich bald ändern.“ Diese doofen Sprüche bringen Katy mehr zum Lachen als zum Weinen. Sie versteht so und so Bahnhof. Zu der Zeit geht sie noch nicht einmal zur Schule. Wenn der Opa fertig ist, dann schrumpelt sein hässlicher Pimmel wieder zu dem Piss-Ding, von dem ihre Oma denkt, er hätte es nur zum pinkeln. Dann streichelt er Katy ganz lieb übers Haar und steckt ihr Schokolade oder ein Päckchen Kaugummi zu. Ob der Opa die Sache mit den Eingeweiden auch seiner eigenen Tochter verpasst hat? Die hätte dann vielleicht besser auf ihr kleines Mädchen aufgepasst. Oder auch nicht. Katys Mutter, die fette Larve, kriegt den Arsch für überhaupt nichts hoch! Eines Tages fliegt die Sache auf, bis dahin hält Katy dicht. Was soll denn die Oma von ihr denken, das kann sie Marceline nicht antun. Ihre Oma hat Katy lieber als den Opa. Die Oma nimmt sie als einzige in den Arm und kämmt ihr die Haare, Marceline ist als einzige nett zu Katy. Dieser lieben Oma darf Katy keinen bösen Kummer anhängen, nein! / Die Bombe platzt, weil sich Katy verplappert. Mist. Sie sitzt gerade auf dem Klo. Ihr Vater reißt die Tür auf, die Hose aufgeknöpft und sein Ding in der Hand. Katy bekommt einen Heulkrampf und brüllt: „Sieht ja aus wie der von Opa!“ Und klack, eine auf die Nuss. „Hau ab, du Nichtsnutz!“ Katy zieht fix die Unterhose hoch und hechtet vorsichtshalber unter den Küchentisch. Der Vater verrichtet sein Geschäft, kommt aus dem Klo geschossen und schnappt sich die Larve: „Ruf’ sofort deinen Vater an! Der hat augenblicklich aufzulaufen, augenblicklich, hörst du!“ Und als der Opa ankommt, da ist der Skandal perfekt. Den Brüdern steht die Panik ins Gesicht geschrieben als sie kapieren worum es geht. Kann kommen, dass die Göre überhaupt alles heraus quatscht! / Katy hält die Klappe. Sie spuckt nichts vom Opa aus und sie verrät die Brüder nicht. „Ich hab doch bloß mal Opas Eier gesehen“, gesteht sie kleinlaut. Mehr ist nicht aus ihr herauszuquetschen. Besser so. Ihr Sauf-Kopf von Vater hat seinen Karabiner und den Revolver immer griffbereit. Sie mussten sich schon oft vor ihm verstecken, weil er im Vollrausch um sich geballert hat. All der Schrecken, der von diesem Vater ausging, oh ja, sicher das. Sie haben sich oft unterm Bett versteckt. Zusammen mit der Larve als sie noch nicht ganz so fett war. Sobald sie das trockene plop-plop vom Laden seines Karabiners hörten verschwanden sie wie verabredet im Untergrund. Dieser Blödian. Bei der Sache mit dem Opa macht er alle mit den Fäusten nieder. Den Opa, die Mutter, die Brüder. Zwei Küchenstühle müssen dran glauben und das schmutzige Geschirr im Waschbecken. Verdammte Hacke, die Beziehung zu den Großeltern ist im Arsch. Katy erwischt er am Arm und schleudert sie durch die Luft bis sie an den heißen Herd kracht. Zisch, macht die Haut der linken Hand als sie auf den heißen Kochtopf trifft. Ab da kriegt Katy nichts mehr mit. Sie sieht nur noch Sterne.
Le Havre, Oktober 1970 /// Es geschieht ungefähr zwei Jahre nach den ersten nächtlichen Besuchen der Brüder, als Katy von einem Fremden vergewaltigt wird. Widerliches Schwein das, der trickst sie ganz übel aus. Der Vorfall ereignet sich am frühen Abend. Katy hat den dicken Schal ihrer Mutter über ihr dünnes Kleidchen gezogen und ist auf dem Weg, eine Kanne voll Öl zu besorgen. Die kabylische Küche benötigt oft und viel Öl. Katy kümmert sich um alles. Katy schwingt den Besen seit sie neun ist. Kocht mittags Kartoffeln für die Brüder, kocht abends Couscous für den Vater. Bedient tagsüber die fette Larve. Bring mir ein Tässchen Tee, Katy! Setze Kaffee auf, aber dalli. Oder: du Schlampe, kannst du mal fegen. Oder: hebe mir sofort den Fotoroman auf, wenn die Mutter über eine ihrer Liebesschnulzen eingepennt ist. Katys Arbeit gleicht dem einer erwachsenen Haushaltshilfe. Von den zwei großen Kochtöpfen, die der Haushalt besitzt, steht der eine immer auf dem Herd, auf dem anderen steht die kleine Katy und rührt ihre Mahlzeit. Nudeln mit Fleischsauce, wenn Geld da ist. Sonst Gemüse aus dem Garten. Und jede Menge Kartoffeln mit Essigsauce, das stopft den Magen am besten. Am Sonntag gibt es ab und zu Pommes frites mit Braten. Aber nur in den aller besten Zeiten. Dann bekommen die Kinder sogar einen Löffel Bratenblut eingeflößt. Das macht bärenstark. Haben die Gören bei ihrem brutalen Vater auch nötig. /// Katy hat sich mit etwas Geld aus der Haushaltskasse auf den Weg gemacht. Da hält ein glatt rasierter Monsieur auf seinem Moped an. Eine nagelneue Lederjacke am Körper. „Salut, Kleine, halt, warte mal! Kannst du mir aus der Klemme helfen?“ „Ich, Monsieur, wie kann ich Ihnen helfen?“ „Du gehst doch zur Schule? Wenn du hier in der Nähe wohnst, was ich stark annehme, dann gehst du in die Schule Claude Bernard?“ „Das stimmt, Monsieur.“ „Gut, meine Kleine. Wie heißt du überhaupt?“ „Katy, Monsieur.“ „Also Katy, ich suche diese Schule Claude Bernard wie ein Verrückter und finde sie nicht.“ / Wie ist der kürzeste Weg zu Claude Bernard? Nicht so einfach. Katy läuft, wenn sie überhaupt mal zur Schule kommt blind hinter den Brüdern her. Katy strengt sich unheimlich an, sie möchte behilflich sein. So ist sie von klein an. Katy tut alles, für jeden, bis zum Umfallen. Die kleine Katy ist eine Seele von Mensch und kriegt trotzdem immer eins auf die Mütze. „Also, Monsieur, wenn Sie...“ fängt Katy an, „also wenn Sie von hier aus...“ „Weißt du was?“, schlägt der Monsieur vor, „du steigst hinten auf und sagst mir, wie ich fahren soll. Einverstanden?“ „Ist gut Monsieur.“ „Sobald ich weiß, wo es ist, bring ich dich zurück. Oder kannst du Moped fahren nicht ausstehen, weil du ein Mädchen bist? Das wäre schade.“ „Nein, nein, Monsieur, ich steh’ total auf Mopeds!“ „Also, dann steige auf. Halte dich gut fest, nicht, dass du mir runter fällst.“ / Ein eiskalter Wind bläst Katy ins Gesicht als sie loszischen. Mit einer Hand presst Katy die leere Ölkanne an sich, mit der anderen Hand hält sie ihr hoch flatterndes Kleidchen fest. Katy schreit gegen den Wind: „Hier rechts Monsieur. Hier links Monsieur. Verstehen Sie mich überhaupt?“ Katy wird klar, dass der Monsieur ganz andere Absichten hat. Verfluchte Kiste! Die Schule ist bereits hinter ihnen und der Monsieur gibt ordentlich Stoff. Er rast in einem Tempo, bei dem Katy nicht abspringen kann. Oh weh, was wird passieren schießt es Katy durch den Kopf. Ich werde viel zu spät nach Hause kommen. Wie komm’ ich bloß aus der Scheiße raus? / Sie sind am Arsch der Welt als der Monsieur endlich anhält. Kein Mensch weit und breit. Kein Schimmer, wo sie sind. Felder, Gebüsch, Weidezäune, die Lichter der Stadt hinter ihnen. Der Monsieur lässt Katy keinen Moment aus den Augen. Weil er das Moped so liebevoll abstellt, schöpft Katy Hoffnung, dass es vielleicht nicht so schlimm wird. Einer, der sich eine Lederjacke leistet, ein gemeiner Verbrecher? Da wird sie von zwei brutalen Händen gepackt und zu Boden gestoßen, wumm. Die Erde ist nass, fühlt sich kalt an. Der Typ wirft sich auf Katy, das Vieh. Sie spürt seinen harten Körper. Wie der Tod. Der macht ihr das Licht aus. Katy möchte schreien - nicht ein Ton kommt heraus. Beißen und kratzen - ihre Glieder rühren sich nicht. Als der Typ sein Knie zwischen ihre Schenkel presst, pisst sie sich vor Schreck in die Hose. Das bringt ihn für eine Sekunde durcheinander. Katy springt auf, rast los, da knallt ihr das Moped voll ins Kreuz. Au! Das tut weh, das tut echt weh. Das ist das Aus, das Aus. Der Mann begräbt sie mit seinem Körper. Katy weiß, wie es weiter geht, Brasil, la-la-lalalalala-la. Dieser Typ ist so schwer, wie ihre beiden Brüder zusammen. Tap, tap, tap. Während er ihre Unterhose herunter reißt, greift Katy im Halbdunklen um sich herum und kriegt einen Stein zu fassen. Ein ziemlich dickes Ding von einem Stein. Krach, ein satter Schlag auf seine Birne. Pah, pah, dir gebe ich es. Katy schlägt zu bis Blut über seine Augen fließt. „Du mieses Ding, kleine Nutte, Drecksstück!“ Und während der Typ versucht, sich das Blut aus den Augen zu reiben, kommt Katy frei und spurtet in einem Affenzahn los. Richtung Straße. Beim ersten sich nähernden Auto macht sie wild Zeichen: „Hilfe! Hilfe!“ Der Wagen verlangsamt seine Fahrt. Der Fahrer kurbelt sein Seitenfenster herunter. Das ist es dann aber auch. „Bitte, bitte nehmen Sie mich mit. Hier ist einer, der mir gewaltig Scherereien macht!“ Das interessiert den Autofahrer kein Stück. Die Kleine ist von oben bis unten dreckig. / Der Autostopp-Versuch wiederholt sich noch zweimal, dann gibt Katy auf. Sie muss zu Fuß zurück. Durch die Vorstadt mit den Wohntürmen, im Zickzack, immer hin und her. Und mit der Panik im Nacken der beschissene Monsieur kommt gleich um die Ecke und schnappt sie sich. Mist, die Ölkanne und der Schal der Mutter sind weg. Und als sie nach dem Geld sucht und nichts mehr findet, Scheiße, auch weg. Eine Tracht Prügel setzt es, kein Vertun. Ob alles weg ist oder nur ein Teil. Was willst du machen. /// Katy rafft mit ihren fast 12 Jahren ziemlich genau, dass ein Leben wie das ihre null Wert hat. Und selbst wenn sie wegen der Vergewaltigungen zu einer Sozialstation oder zur Polizei ginge - bringt das nichts. Überhaupt nichts. Und, man muss sich erst mal trauen, diese bösen Sachen zu erzählen. Und die komplette Familie verraten, niemals. Seine Bande haut man nicht in die Pfanne. Wie dürr sie in jenen Jahren ist, dürr und federleicht. Bei einer schulischen Reihenuntersuchung wird sie gefragt, ob sie genug zu essen bekommt. Katy, die selbst kocht, pah! Bei der Gelegenheit fallen ihre blauen Flecken an Rücken und Beinen auf und die lila schwarze Beule am Kopf. Katy tischt den Sozialtussen eine schöne Wahrheit auf: „Da läuft was ab, wenn man als einziges Mädchen mit nur Brüdern aufwächst! Da ist was los! Da geht die Post ab!“ Das kapieren sie, das geht in ihre Schädel, noch Fragen? Dass dahinter eine zweite Wahrheit steckt, das kommt irgendwie nicht hoch. Manchmal wäre Katy gerne tot. Aus die Maus.
Saint-Jean-Pied-de-Port, Juni 1984 /// Der Vater Ben Ali stirbt nahe der spanischen Grenze. Saint-Jean ist ein weithin bekanntes Städtchen, sehr beliebt bei den Touristen. Zwei Flüsse mit romantischen Brücken, mittelalterliche Häuser mit Holzbalkonen über dem Wasser. Stadtmauer, Zitadelle, Kirche Notre Dame. Die Altstadt traditionell aus rosa und grauem Sandstein erbaut, schön. / „Diese verfickte Scheiße“, meutert Katy biestig, als sie in Saint-Jean eintrifft. Ihre Mutter und die zwei älteren Brüder sind bereits da. Ihr kleiner Bruder wollte nicht zur Beerdigung kommen. Hat sich der bekloppte Kabyle noch was geleistet zum guten Schluss. Ganz freiwillig ist die Sauf-Nase allerdings nicht zu diesem Aufenthalt gekommen, der alte Gauner. Er erholt sich gerade im Schatten hoher Palmen. So jubelten sie als Kinder, wenn der Vater in den Knast einfuhr. Die Einweisung in Saint-Jean kommt dem dummen Spruch ziemlich nahe. Palmen stehen hier tatsächlich ein paar herum. Nur dass es diesmal nicht der Knast ist, sondern das Irrenhaus. Delirium tremens, weiße Mäuse. Der ist so was von ausgetickt, dass sie ihn abholen mussten. Der hat zuletzt nur noch verrück gespielt. Der hat sich in die Ecken geschmissen und den nackten Arsch in die Luft gehoben, Schwein. Seine Kacke hat er an die Wände geschmiert, die Bude vollgepisst. Grobschlächtig gezittert hat er, dass ihm der Löffel öfter im Hals stecken blieb wenn Katy ihn füttern musste. Alles immer nachts, weil sich sein Tag-Nacht-Rhythmus umgedreht hat. Katy stellte sich ganz gemeine Schmarotzer in seinem Hirn vor, die ihn zur Strafe für seine Untaten in den Wahnsinn treiben. Irgendwie war Katy der Krankheit dankbar, die Hilflosigkeit dieses Idioten von einem Vater verschaffte ihr Urlaub von seinen Schlägen. Verkommener Irrer. Am Ende fast ein Glücksfall. Schwein bleibt Schwein. Und Larve bleibt Larve. Die Mutter war wenig beeindruckt von dem Komplett-Absturz ihres Mannes. Schlampe. Fette Larve. Aber so war sie immer. Kein Interesse an nichts, oh nein. In wenigen Stunden wird der alte Sack unter die Erde verfrachtet. Ein Segen das.
Le Havre, Oktober 1979 /// Von Anfang an macht das Delirium des Vaters Katys Leben zur Hölle. Noch schlimmer als sowieso. Einmal steht es ihr so im Hals dass sie ihre Mutter stinkig anbrüllt. „Kümmerst du dich überhaupt jemals um irgendwas? Du rufst doch noch nicht mal jemand an, wenn der verrückte Idiot nachts durchknallt!“ „Was soll denn der Scheiß jetzt?“, stänkert die Mutter zurück, „du, mach mir hier nicht die Dramaqueen! In dieser Wohnung habe immer noch ich das Sagen, verstanden! Koch mir was, ich hab’ Hunger!“ „Willst du ihn auf kleiner Flamme verrecken lassen oder wie?!“ „Mach du lieber deine Arbeit! Wie es hier schon wieder aussieht!“ In Katys Kindertagen war es nicht viel anders. Oh ja, Katy schrubbte und kochte und räumte auf, während sich die fette Larve vor dem Fernseher den nächsten Fotoroman reinzog. Diese Mutter war schon immer das Allerletzte. Das Maul gehalten, wenn der Alte um sich schlug. Und immer brav die Schenkel breit gemacht, wenn er ankam. Klar hörte die kleine Katy alles, wenn der Alte mit seiner Morgenlatte auf die Larve drauf stieg. Rein, raus, rein, raus, schönes Wetter heute. Und wenn es mal nicht sofort hinhaute, dann tanzte der Vater den Twist mit der Mutter und schallerte ihr ein paar. Katy durfte selten zur Schule weil irgendjemand die Hausarbeit machen musste. Die fette Larve hat noch nie irgendetwas gemacht. Höchstens wenn sie wegen neuer Klamotten zur Fürsorge mussten. Dann war die Larve gezwungen ihren fetten Arsch zu lüften. Sonst war die schöne Kohle futsch, die sie als Kindergeld einsackte. /// „Armeleutepack! Melonenfresser!“ Die Mitschüler waren gnadenlos, wenn die Bande Ben Ali mit haargenau den gleichen Schuhen ankam. Von der Beihilfe, konnte jeder sofort sehen. Ätzend, die blöden Dinger an den Füßen sahen nicht nur beschissen aus, die passen keinem, nie. Wie die Klamotten. Zu klein oder zu groß. Katy kam immer mit kaputten Füßen zur Schule. „Hinkefüße! Klumpfüße!“ Den Brüdern war es schnuppe, aber Katy stank das gewaltig. Auch, wenn sie keine Unterhosen anhatte. War doch zu peinlich. Dieser Stress, dass alle ihren Hintern sahen wenn sie an die Tafel musste. Deshalb klaute Katy Wäsche. Wenn sie alleine auf dem Heimweg war, streifte sie unter den Wäscheleinen vor den Sozialwohnungen durch und zisch, das Einsammeln von Unterhosen und Unterhemden begann. Ein notwendiges Übel. Katy hatte es schwer genug. Ausgeschlossen sein, stinkend in der Scheiße verkommen, das war kein Leben für zarte Gemüter. Die Jungs schlugen sofort zu und verpassten jedem eine fette Abreibung, der ihnen auf die Füße trat. Und wie sie aussahen, war denen scheißegal. Aber wie sollte Katy damit klar kommen? Ihr war es nicht egal, wie verdreckt oder verlaust sie oft ankam. Ihr war es nicht egal, dass die anderen über sie herfielen und sie verspotteten. Katy wollte so gern ihr Leben auf die Kette kriegen. Einmal verweigerte sie aus Protest den Küchendienst. „Lass mich zur Schule Mutter dann koch ich wieder!“ „Streik?“, blaffte die Larve zurück, „spinnst du! Das hast du von den Kommunisten. Ich wusste es gleich, unser linker Bürgermeister bringt nichts als Aufstand!“ Die Mutter ließ Katy nicht aus dem Haus. „Schule hilft dir einen Dreck!“, schrie sie ihr ins Gesicht. „Noch so ein Putsch und ich zerstückele dich in mehrere Teile!“ Alles zusammen gerechnet besuchte Katy die Schule ungefähr sechs Monate im Jahr. Mehr war nicht drin. Logo, dass sie nie nichts folgen konnte. Schulpflicht, pah, nicht bei ihrer Mutter. Die fette Larve holte den Arzt und behauptete, Katy hätte wieder die ganze Nacht gekotzt. Zack und die Krankmeldung war in ihrer Hand.
Le Havre, August 1967 /// Seit er fünfunddreißig ist geht der Vater Ben Ali keiner regelmäßigen Arbeit mehr nach - soweit er das überhaupt mal getan hat. In Le Havre jedenfalls nicht mehr. In viel früheren Jahren vielleicht, bevor er verheiratet war. Klauen tut er auf jeden Fall immer noch. Besonders jetzt, bei den Gelegenheitsjobs, wo er auftaucht und am nächsten Tag wieder abhaut. Bei seiner letzten Anstellung als Holzarbeiter hat er einen Unfall gebaut, das brachte dem faulen Sack geschenkte hundert Prozent Invalidität ein, super. Ab da hat er einen Freifahrtschein für die tägliche Dreierwette beim Pferdelotto. / Zu der Sozialwohnung, in der sie hausen, gehört eine Gartenparzelle mit einem kleinen Betonpavillon statt Keller. Katys Vater züchtet Kaninchen und baut Gemüse an. Damit vertreibt er sich die Zeit, wenn er nicht gerade zocken geht. Und natürlich verbessert sein Hobby die Ernährungslage der Familie, insbesondere seine eigene. Katy ist achteinhalb Jahre alt und ganz verschossen in Poupette, ihr liebes graues Hasentier! Ein richtiger Schnuffel. Den nimmt sie beim Füttern in den Arm süß wie der ist. Und wie der mit der Nase schnüffelt, zu niedlich. Katy schiebt ihm zu gerne ein Salatblatt zwischen die weichen Backen, das Poupette dann genüsslich zerkaut. Ein echter Nimmersatt der kleine Kerl. „Mama, darf Poupette heute bei mir schlafen? Bitte, bitte!“ Ein Haustier ist Katys innigster Wunsch. „Kommt überhaupt nicht infrage!“, kreischt die Larve, „so ein Drecksvieh bringt nur Allergien ins Haus!“ „Der ist so lieb...“ protestiert Katy und schiebt ab in den Garten. Dann geht sie eben zu ihm, wenn er nicht zu ihr kommen darf. Als einige Tage später der Vater mit Poupette in der Wohnungstür erscheint, glaubt Katy an ein Wunder. Wow, ihr Vater macht ihr Poupette zum Geschenk? Da wird die Larve schön blöd aus der Wäsche schauen. Der Vater kommt näher, starrt Katy verständnislos an. Katy kreischt vor Vergnügen und klatscht aus Vorfreude in die Hände, jubelnd streckt sie ihrem Vater beide Arme entgegen. „Ja, ja, gib ihn mir. Gib ihn mir!“ „Welche Begeisterung?“, grunzt der Vater, „was glaubst du, kleine Kröte, was das wird?“ Er verpasst Poupette einen beinharten Karateschlag in den Nacken, hängt ihn kopfüber in den Fensterrahmen. Katy schreit auf, stürzt sich auf den Vater und schlägt mit beiden Fäusten wild auf ihn ein. Da hat sie voll einen ausgewischt bekommen. „Mörder du!“, Katy überkommt ein Weinkrampf, dass sie fast keine Luft mehr kriegt, während die Larve ungerührt eine Seite ihres Liebesromans umblätter,. Dann muss Katy mit ansehen, wie der Vater einen Eimer aufstellt. Wie er dem armen Tier ein Auge herausreißt. Das Blut pisst nur so aus Poupette heraus und nicht ein Spritzer landet auf dem Fell. Danach zieht der Vater Poupette die Haut ab und schneidet ihn in Stücke. In der Nacht träumt Katy von Poupette und seinem Auge. Der Vater hat eine grausame Art, Tiere zu schlachten. Er bringt auch Igel um und frisst sie auf, oh ja. Eine kabylische Tradition. Und es ist nicht einmal leicht, einen Igel zu töten, weil man Igel hinter ihren Stacheln so schlecht erwischt. Der Vater stößt sein Jagdmesser hinein und dreht es herum bis der Igel tot ist. Wenn die Stacheln ab sind, bleibt fast nichts über. Katy hasst die Kabylen für diese Morde. Ihr Vater ist ein echter Wilder. Und trotzdem kommt es vor, dass sie ihm Sachen abschaut. Zum Beispiel dass sie sich das Gesichtchen mit seinem Rasierschaum einpinselt. Das darf keiner mitkriegen, Katy ist ja nicht blöd. Als sie sich einmal unbeaufsichtigt an seinen Ricard vergreift, holla, eine scharfe Nummer. Zu bescheuert! Katy schenkt sich zwei Tassen des gelblichen Likörs ein und merkt zu spät, dass auf der Flasche Markierungsstriche sind, verflucht! Katy kippt einen kleinen Rest zurück und streckt die fehlende Menge mit Wasser. Scheiße, der Ricard wird fast weiß! Voll ins Klo gegriffen madre mio. Was jetzt? Und natürlich tritt ein, was kommen muss. „Wer hat meinen Ricard geklaut?“, grölt der Vater, „wer von euch hat das verbrochen?“ „Die Mutter, die Mutter...“ feixt Katy und kichert angeschickert. „Du Miststück. Du verkommene Schlampe! Dem eigenen Gatten den LikööüßÜäöüüäüßßß