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Wolfgang Burr (Hrsg.)

Innovation

Theorien, Konzepte und Methoden der Innovationsforschung

 

1. Auflage

 

Hanni Adler

Annette Biedermann

Wolfgang Burr

Carsten Dreher

Jelena K. Eickhölter

Holger Ernst

Klaus Fichter

Alexander Fliaster

Martin Gersch

Alexander Gerybadze

Wolfgang H. Güttel

Cornelius Herstatt

Carola Jungwirth

Stefan Konlechner

Elisabeth F. Müller

Dietrich von der Oelsnitz

Xenia Schmidt

Tim Schweisfurth

Michael Stephan

Peter Walgenbach

Verlag W. Kohlhammer

1. Auflage 2014

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-022591-6

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-025015-4

epub:    ISBN 978-3-17-025016-1

mobi:    ISBN 978-3-17-025017-8

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Vorwort

 

 

Die betriebswirtschaftliche Innovationsforschung ist seit langem stark empirisch orientiert. Die Sammlung von empirischen Daten und ihre Auswertung mit wissenschaftlichen Methoden dominieren heute in vielen Beiträgen von Innovationsforschern. Demgegenüber ist die Forschung an den theoretischen Grundlagen des Fachgebietes in den letzten 20 Jahren eher in den Hintergrund getreten. Für die Innovationsforschung ist typisch, dass sie ihre Theorien überwiegend aus anderen Disziplinen der Betriebswirtschaftslehre, z. B. der Organisationslehre (situativer Ansatz, Neue Institutionenökonomik) oder der Managementlehre (resource-based view, competence-based view), und aus Nachbardisziplinen, wie z. B. der Volkswirtschaftslehre (Theorien der Industrieevolution) oder den Sozialwissenschaften (z. B. Neoinstitutionalismus, Population Ecology-Ansatz), importiert und diese Theorien dann auf Innovationsfragestellungen anwendet.

Streng genommen erscheint es daher nicht korrekt, von Innovationstheorien zu sprechen, wenn man darunter originäre Theorien versteht, die aus der Innovationsforschung selbst hervorgegangen und spezifisch für die Anwendung auf Innovationsfragestellungen entwickelt worden sind. Vielmehr sind Theorien der Innovationsforschung zu verstehen als Theorien, die von Innovationsforschern angewandt werden, aber im Regelfall in anderen Teilgebieten der Betriebswirtschaftslehre oder in nahestehenden Fachdisziplinen ursprünglich entwickelt wurden.

Auch bei den empirischen Methoden stützt sich die Innovationsforschung oftmals auf Instrumente und Methoden, die von der Statistik, der Ökonometrie oder der empirischen Sozialforschung entwickelt wurden (z. B. quantitative Methoden, Fallstudienforschung, Fragebogendesign). Vereinzelt gibt es Arbeiten von Innovationsforschern, die eigenständige empirische Methoden, z. B. zur automatisierten Auswertung von Patentdaten, entwickelt haben.

Überragende originäre Leistungen der betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung sind bei der Entwicklung von Konzepten und Modellen zu verzeichnen. Zu nennen sind hier beispielsweise das Promotorenmodell, das Lead-User-Konzept, Diffusions- und Adoptionsmodelle für Innovationen sowie das Open Innovation-Konzept. Auch bei den in der Praxis angewandten Instrumenten und Methoden hat die Innovationsforschung originäre Leistungen erbracht, z. B. Technologie- und Patentportfolios für die strategische Technologieplanung, Verfahren der Patentbewertung, Kreativitätstechniken wie TRIZ etc.

Es stellen sich folgende Fragen: Hat die betriebswirtschaftliche Innovationsforschung in den letzten Jahren der Grundlagenforschung, verstanden als Entwicklung neuer Theorien und innovationspezifischer empirischer Grundlagenmethoden, zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet? Könnte es eine Zukunftsaufgabe der betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung sein, originäre und eigenständige Innovationstheorien und auf Innovationsfragen zugeschnittene empirische Methoden zu entwickeln? Jeder Leser des vorliegenden Bandes wird darauf seine eigenen Antworten finden.

Das vorliegende Buch möchte die in der heutigen Innovationsforschung angewandten Theorien, Konzepte und empirischen Methoden darstellen. Die Darstellung muss notwendigerweise unvollständig bleiben. Eine vollständige Darstellung ist angesichts der Globalität, Interdisziplinarität und Heterogenität der heutigen Innovationsforschung und der Vielzahl von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die in diesem immer mehr an Bedeutung gewinnenden Teilgebiet der Betriebswirtschaftslehre heute arbeiten, kaum erreichbar.

Der vorliegende Band richtet sich an Innovationsforscher/innen und fortgeschrittene Studierende der Betriebswirtschaftslehre, für die der heutige State-of-the-Art von Theorien, Konzepten und Methoden der Innovationsforschung im Überblick dargestellt wird.

Mein herzlicher Dank gilt den 20 Autoren/innen, ohne deren Engagement, Einsatzfreude, Kreativität und Kooperationsbereitschaft der vorliegende Band nie möglich gewesen wäre. Dass Autorinnen so viel Zeit und Energie für Beiträge zu einer Monographie verwenden, ist nicht selbstverständlich. Die intrinsische Motivation und die Leidenschaft der Autoren für ihr Fachgebiet und ihr Thema merkt man jedem einzelnen Beitrag an. Mir hat die Zusammenarbeit mit allen beteiligten Autoren sehr viel Freude bereitet, ich habe bei diesem Projekt sehr viel über das eigene Fachgebiet gelernt und viele wertvolle Anregungen für eigene weiterführende Forschung erhalten. Dem interessierten Leser wird es bei der Lektüre des Buches sicherlich genauso gehen.

Besonderen Dank schulde ich unserer Verwaltungsangestellten Frau Claudia Schneider, die mit großer Detailgenauigkeit und hohem persönlichem Einsatz die Beiträge in Form gebracht und zu einem Gesamtwerk aus einem Guss integriert hat. Herrn Dr. Uwe Fliegauf vom Kohlhammer Verlag und seinem Lektorat danke ich für die professionelle Zusammenarbeit, die wohlwollende Begleitung und die wichtige Unterstützung bei diesem Projekt.

 

Stuttgart, im Juli 2014

Wolfgang Burr

Inhalt

 

 

  1. Geschichte der Innovationsforschung
  2.      Die frühen Phasen der deutschsprachigen betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung (bis 1980) (Burr, Universität Stuttgart)
  3.      Zur Entwicklung der englischsprachigen betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Innovationsforschung (Gerybadze, Universität Hohenheim)
  4. Theorien der Innovationsforschung
  5.      Interaktive Innovationstheorien als alternative »Schule« der Innovationsforschung (Fichter, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg)
  6.      Organisation und Innovation (Walgenbach, Universität Jena)
  7.      Netzwerktheorien, soziales Kapital und Innovation (Fliaster, Universität Bamberg)
  8.      Innovationen aus einer ressourcen- und kompetenzorientierten Perspektive (Gersch, Adler, Dreher, Biedermann, FU Berlin)
  9.      Theorien der Industrieevolution (Stephan, Universität Marburg)
  10. Konzepte und Modelle der Innovationsforschung
  11.      Die theoretischen und methodischen Grundlagen von User Innovation – eine Kozitationsanalyse (Herstatt, Schweisfurth, TU Hamburg-Harburg und TU München)
  12.      Intrapreneurship – Mitarbeiter als Erfolgsfaktor der Innovation (von der Oelsnitz, Eickhölter, TU Braunschweig)
  13.      Innovationen durch Clustermanagement (Jungwirth, Müller, Universität Passau)
  14.      Ambidextrie als Ansatz zur Balancierung von Effizienz und Innovativität in Organisationen (Güttel, Konlechner, Johannes Kepler Universität Linz)
  15. Methoden der Innovationsforschung
  16.      Der Einsatz von Fallstudien in der betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung (Burr, Schmidt, Universität Stuttgart)
  17.      Quantitative Methoden in der Innovationsforschung (Ernst, WHU – Otto Beisheim School of Management, Vallendar)
  18. Autoren
  19. Stichwortverzeichnis

Geschichte der Innovationsforschung

 

 

Die frühen Phasen der deutschsprachigen betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung (bis 1980) (Burr, Universität Stuttgart)

Zur Entwicklung der englischsprachigen betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Innovationsforschung (Gerybadze, Universität Hohenheim)

Die frühen Phasen der deutschsprachigen betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung (bis 1980)

Wolfgang Burr

Inhalt

1

Vorläufer der betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung

1.1

Volkswirtschaftliche Innovationsforschung: Schumpeter und seine Vorläufer

1.2

Firmenfestschriften, Unternehmerbiographien und Literatur zu Erfindungen

1.3

Die technisch orientierte Betriebswirtschaftslehre (Nicklisch, Dietrich, Gutenberg)

2

Die ersten Arbeiten zur betriebswirtschaftlichen FuE- und Innovationsforschung

2.1

Frühe Einzelbeiträge

2.2

Die ersten umfassenden Gesamtdarstellungen

3

Die erste Blütezeit der betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung (1965–1980)

3.1

Thematische Schwerpunkte und fachliche Herkunft der frühen Innovationsforschung

3.2

Fünf Grundausrichtungen der frühen betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung nach der Zielsetzung/Forschungsmethode und der Adressatengruppe

3.2.1

Arbeiten mit Fokus auf Begriffsarbeit und Klassifikation und beschreibende Darstellungen

3.2.2

Primär theoretisch-konzeptionelle Arbeiten

3.2.3

Primär empirische Arbeiten (qualitative oder quantitative Methodik)

3.2.4

Arbeiten mit Fokus auf Methodenentwicklung und Methodenanwendung in der Praxis

3.2.5

Praktikerliteratur und Lehrbücher zum FuE- und Innovationsmanagement

4

Interdisziplinäre Arbeiten zur Innovationsforschung, die im Grenzgebiet von VWL und BWL anzusiedeln sind (v. a. Arbeiten mit einem Industrial Organization-Hintergrund)

5

Innovationsliteratur aus der/zur DDR

6

Weitere Entwicklung der betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung nach 1980

Literaturverzeichnis

 

 

Die Auswahl und nachfolgende Darstellung der Beiträge kann kein vollständiges Bild der deutschsprachigen Innovationsforschung erbringen. Klaus Brockhoff konstatiert in seiner kurzen Geschichte des Technologie- und Innovationsmanagements, dass »…eine vollständige Übersicht über alle relevant erscheinenden Publikationen kaum zu gewinnen ist« (Brockhoff 2002, S. 388).

Grundlage der nachfolgenden Darstellung der frühen Phasen der deutschsprachigen Innovationsforschung sind Buchpublikationen, v. a. Dissertationen und Habilitationen sowie ausgewählte Journalartikel bis zum Jahr 1980. Dies erscheint angemessen, weil in den frühen Phasen der Innovationsforschung bis 1980 viele wichtige Erkenntnisse noch zuerst in Buchpublikationen und erst nach ca. 1980 immer mehr in Journalpublikationen veröffentlicht wurden. Publikationen deutscher Innovationsforscher in ausländischen Journalen werden nicht erfasst, ebenso deutsche Übersetzungen ausländischer Arbeiten zur Innovationsforschung. Die Auswertung basiert auf einer umfassenden Literaturanalyse, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Die Darstellung der deutschsprachigen Innovationsforschung auf ca. 30 Seiten muss sich notwendigerweise auf die wesentlichen Entwicklungslinien des Fachgebietes in Deutschland und den Zeitraum bis 1980 beschränken.

Es ist ein Mangel an Überblicksdarstellungen zur Entwicklung der betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung zu konstatieren. Eine umfangreiche Bibliographie zu Management in Forschung und Entwicklung hat das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung 1971 erstellt (vgl. Händle 1971). Die hierin erfasste Literatur von 600 überwiegend US-amerikanischen (aber auch deutschsprachigen) Veröffentlichungen beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Jahren 1957–1967, es werden aber auch Arbeiten vor 1957 erfasst. Seit dieser Publikation des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung ist nach Wissen des Verfassers dieses Beitrags kaum ein Überblicksbeitrag verfasst worden, der sich auf die frühen Phasen der betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Schweiz, Österreich) konzentriert hat. Überblicksartige Darstellungen finden sich beispielsweise im Handwörterbuch der Betriebswirtschaftslehre bzw. im Handwörterbuch der Produktionswirtschaft. In letzterem stellt der Überblicksbeitrag von Schröder (1979) Grundbegriffe, FuE-Produktionsfunktionen, Teilaspekte der FuE-Planung sowie der FuE-Organisation auf kompaktem Raum dar. Der Beitrag von Schröder gibt einen sehr guten Literaturüberblick zu Innovationsarbeiten bis 1979. Überblicke zu den frühen Phasen der Innovationsforschung finden sich auch bei Brockhoff (2002), der sich allerdings sehr stark auf volkswirtschaftliche Vorläufer der Innovationsforschung stützt. Eine wichtige Quelle ist auch die sehr empfehlenswerte Internet-Seite Mueller Science, die online die wichtigsten Quellen der Innovationsforschung von 1912 bis 1997 auflistet (siehe http://www.muellerscience.com/SPEZIALITAETEN/Technik/Lit_Innovation_1912_1997.htm).

Die Abgrenzung in Entwicklungsphasen bzw. Generationen der betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung ist sehr schwierig, teilweise sogar beliebig und willkürlich (vgl. zu dieser Kritik Brockhoff 2002, S. 387). Dennoch wird in diesem Beitrag zwischen einer frühen Phase der Innovationsforschung bis ca. 1980 und einer späten Phase, in der das Fach als etabliert gelten kann in der Betriebswirtschaftslehre (ab ca. 1980) unterschieden.

1          Vorläufer der betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung

1.1        Volkswirtschaftliche Innovationsforschung: Schumpeter und seine Vorläufer

Bereits vor Joseph A. Schumpeter (1883–1950) haben sich Volkswirte mit Neuerungen beschäftigt, wenngleich der Begriff Innovation dafür nicht verwendet wurde. So beschrieb beispielsweise Karl Knies, ein Mitglied der historischen Schule der Volkswirtschaftslehre, bereits 1853 in seinem Buch »Die Eisenbahnen und ihre Wirkungen« die starken Veränderungen für das Leben der Einzelnen und der Völker sowie für Unternehmen und Wirtschaftszweige, die von neuen Transporttechniken ausgehen (vgl. Knies 1853). Knies behandelt hier Themen mit direkter Innovationsrelevanz. So führt er beispielsweise aus: »Würde es möglich sein, die an ganz vereinzelten Punkten wol einmal vorkommende Ertheilung von Patenten für neue wissenschaftliche Entdeckungen zu einem Schutz- und Prohibitionssystem für die nationalen Errungenschaften des geistigen Fortschrittes im Allgemeinen und für die Dauer wirksam zu erweitern, so würden daraus zweifelsohne unmeßbar größere Folgen für das gesamte und gerade auch für das wirthschaftliche Leben der Völker hervorgehen, als durch die Erschwerung und Verhinderung des internationalen Verkehres mit materiellen Sachgütern.« (Knies 1853, S. 147). Auch Albert Schäffle hat sich bereits 1867 mit den Wirkungen des Patentwesens und von Urheberrechten auf die Offenheit von Märkten befasst (vgl. Schäffle 1867). Auch John Steward Mill, Charles Babbage, Jean Baptiste Say, Friedrich List und Karl Marx haben frühzeitig Themen angesprochen, die einen Innovationsbezug aufwiesen (vgl. Brockhoff 2002, S. 394–397, 399–401). Diese Beispiele zeigen, dass es bereits lange vor Schumpeter in der Volkswirtschaftslehre Forscher gab, die sich mit Neuerungen und ihren Rahmenbedingungen und Voraussetzungen befasst haben. Eine vielversprechende Forschungsaufgabe könnte sein, das Gesamtwerk von Gerhardt Wieser, einem von Schumpeters Lehrern, auf innovationsrelevante Themen zu untersuchen.

Die Ausführungen Schumpeters in seinem Buch »Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung« (vgl. Schumpeter 1912) zu den neuen Kombinationen (später Innovationen genannt) als treibende Kräfte für wirtschaftliche Entwicklungen können somit nicht als die erstmalige Beschäftigung eines Ökonomen mit Neuerung und neuen Produkten und Startpunkt der Innovationsforschung in der Ökonomie verstanden werden, sie haben aber die Innovationsthematik in den Mittelpunkt gerückt und für die Fachgemeinde sichtbar auf die Forschungsagenda gesetzt. Die Arbeiten Schumpeters sind später auch in der Betriebswirtschaftslehre und in der betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung rezipiert und integriert worden. Schumpeter kann damit als einer der frühen Vorläufer der betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung verstanden werden.

1.2        Firmenfestschriften, Unternehmerbiographien und Literatur zu Erfindungen

Unternehmensfestschriften werden oftmals von Unternehmen anlässlich von Firmenjubiläen verfasst; sie dienen der Beschreibung der Unternehmensentwicklung von der Gründung bis zur Gegenwart und der Selbstdarstellung der Unternehmen. In vielen Festschriften werden auch Fragen der Entwicklung neuer Produkte oder der Einführung neuer Herstellverfahren thematisiert. So wird beispielsweise in der Festschrift anlässlich des 100jährigen Firmenjubiläums der Friedrich Krupp AG beschrieben, wie verschiedene neue Herstellverfahren für Stahl sich im Markt anboten und wie sich Krupp für ein bestimmtes Herstellverfahren entschied (vgl. Krupp 1912). Viele andere Firmen haben frühe Firmenfestschriften herausgegeben, in denen auch Fragen des Technologie- und Innovationsmanagements in diesen Unternehmen behandelt wurden (vgl. Opel 1912, Henkel 1926, BASF 1965 als Beispiele stellvertretend für andere Unternehmensfestschriften). Solche Firmenfestschriften technologieorientierter Unternehmen können als frühe Vorläuferarbeiten der betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung verstanden werden, in denen die Bedeutung von Technologie für und in Unternehmen thematisiert wurde. Ein Beispiel für eine sehr umfangreiche Firmenfestschrift jüngeren Datums ist die dreibändige Festschrift der AEG »Forschen und Schaffen« aus dem Jahr 1965 (vgl. AEG 1965, 1965a, 1965b). In diesem sehr umfangreichen Werk werden nicht unternehmensinterne Prozesse der Entwicklung neuer Produkte und ihrer Durchsetzung im Markt oder einzelne Projekte im Detail beschrieben. Vielmehr wird ein Bild der von der AEG seit ihrer Gründung im Jahr 1887 hervorgebrachten technischen Lösungen präsentiert und aufgezeigt, in welchen Technologiefeldern und Arbeitsgebieten (z. B. Krafterzeugung, Kraftverteilung, Kraftmaschinen, Starkstromtechnik, Industrietechnik, Verkehrstechnik, Schiffbau und Flugwesen, Mess- und Relaistechnik, Geräte für Haushalt, Gewerbe, Landwirtschaft und Büro, Fernmeldetechnik, physikalische Technik und Forschung) die AEG in der Vergangenheit technologische Durchbrüche erreicht hat und welche technischen Pionierleistungen die AEG vollbracht hat. Es handelt sich somit um ein Geschichtsbuch, das die technologischen Leistungen und damit die technologische Leistungsfähigkeit der AEG historisch dokumentiert. Die mit umfangreichen Bildern illustrierte Technikgeschichte steht im Vordergrund, betriebswirtschaftliche Probleme des FuE- und Innovationsmanagements werden kaum explizit behandelt, sind im Hintergrund aber immer präsent bzw. vom betriebswirtschaftlich gebildeten Leser erahnbar.

Auch Biographien und Lebensbeschreibungen bekannter Erfinder-Unternehmer können als Vorläufer betriebswirtschaftlicher Innovationsforschung verstanden werden. Sieht man sich beispielsweise die Lebensbeschreibungen von Gottlieb Daimler (vgl. Hegele 1934, Siebertz 1940), Rudolf Diesel (vgl. Diesel 1942), Ernst Abbe (vgl. Auerbach 1918) oder Werner von Siemens (vgl. Landau 1922) an, so wird in diesen Biographien oft beschrieben, wie diese Erfinder ihre Idee entwickelt und im eigenen Unternehmen zur Umsetzung gebracht haben, welche Hemmnisse dabei auftraten, wie die Konkurrenten auf die Neuerungen reagierten etc. In solchen Biographien finden sich oft Textstellen zu erfinderischer Tätigkeit in Unternehmen. Exemplarisch verdeutlicht dies die von Alois Riedler 1916 verfasste Biographie zu Emil Rathenau (vgl. Riedler 1916), in der die Forschungs- und Entwicklungsarbeit von Ingenieuren in Großbetrieben auf mehreren Seiten beschrieben wird. (vgl. Riedler 1916, S. 144–151) und sich eine schöne Textstelle zu Innovationsbarrieren findet: »Das Werden des Fortschritts ist ein harter Kampf, zuerst gegen die eigenwillige Sache, solange sie nicht voll und richtig erkannt ist, dann gegen die Macht der Überlieferung und die Trägheit des Bestehenden und schließlich gegen die Wettbewerber, die oft den heftigsten Widerstand leisten. Der Fortschrittsmann hat neben sich immer Kritiker, die nach dem bisherigen Gesichtskreis urteilen, und Praktiker, die sich mit der neuen Sache befassen sollen, aber das Alte, Selbsterlebte gewohnt sind und über sich hat er die entscheidende, mehr oder weniger sachkundige Stelle.« (Riedler 1916, S. 149). Alle diese Fragestellungen und Probleme sind originäre Themen der Innovationsforschung, wie sie heute verstanden wird. Dabei sind diese frühen Erfinderbiographien immer ohne eine theoretische Fundierung, dies kompensieren sie oftmals durch eine sehr lebendige, anschauliche, praxisnahe Darstellung in Verbindung mit einer mehr oder weniger sorgfältigen Quellenarbeit. Interessant an diesen biographischen Darstellungen ist die Verbindung von Personen (deren Herkunft, familiärer Hintergrund und beruflicher Werdegang oft sehr ausführlich dargestellt werden), Darstellung mit der Hervorbringung und Durchsetzung der jeweiligen bahnbrechenden technischen Erfindung und der Entwicklung des aufgebauten Unternehmens.

Inspirierend für die betriebswirtschaftliche Innovationsforschung kann auch frühe Literatur zu einzelnen Erfindungen und ihrer beschreibenden Darstellung gewesen sein. So werden bei Gabriel Christoph Busch (1801) in seinem Werk »Versuch eines Handbuchs der Erfindungen« und bei Beckmann (1782) in seiner Publikation »Beyträge zur Geschichte der Erfindungen«, die in späteren Jahren und Auflagen zu einem mehrbändigen Werk ausgebaut wurde, eine Vielzahl von technischen Erfindungen in verschiedenen Industriezweigen anschaulich beschrieben. Aus heutiger Sicht waren diese Werke grundlegende Beiträge zur Technikgeschichte, in denen sich die Autoren nicht nur mit konkreten Erfindungen in der Praxis, sondern auch mit den grundlegenden Begriffen der Erfindung und der Technologie auseinandersetzen und damit Vorarbeiten für die nachfolgende betriebs- und volkswirtschaftliche Innovationsforschung leisteten.

1.3        Die technisch orientierte Betriebswirtschaftslehre (Nicklisch, Dietrich, Gutenberg)

Die Rolle der Technik in einem Betrieb wurde schon früh in der Betriebswirtschaftslehre betont. In den frühen Arbeiten von Nicklisch 1912, Dietrich 1914 und Gutenberg 1951 wird ein Betrieb immer auch als eine technische Einheit verstanden mit der Aufgabe, in der Produktion die Produktionsfaktoren zu kombinieren und damit betriebliche Leistungen zu erstellen (vgl. Weitz 1960, S. 19–80). Die enge Integration von wirtschaftlichen und technischen Fragestellungen in einem Betrieb drückt Weitz sehr gut aus: »Den außerordentlich komplizierten Zusammenhang zwischen den beiden großen Komponenten der Betriebswirtschaft: Wirtschaft und Technik voll und ganz in das betriebswirtschaftliche Denken aufzunehmen, erscheint daher als eine der vornehmsten Aufgaben der modernen Betriebswirtschaftslehre.« (Weitz 1960, S. 143). Diese Vorreiter einer technisch orientierten Betriebswirtschaftslehre haben sich allerdings mit der Entwicklung neuer Produkte und ihrer Einführung in den Markt nicht explizit beschäftigt, aber durch das Verständnis des Betriebes als wirtschaftlicher und technischer Einheit den Boden dafür bereitet.

2          Die ersten Arbeiten zur betriebswirtschaftlichen FuE- und Innovationsforschung

2.1        Frühe Einzelbeiträge

Eine der frühesten Publikationen, in denen Fragen des FuE- und Innovationsmanagements behandelt wurden, war das von Heinrich Nicklisch in 2. Auflage herausgegebene Handwörterbuch der Betriebswirtschaft aus dem Jahr 1939. Darin findet sich ein Beitrag des Patentanwaltes Gustav Rauter zu Fragen des Patent-, Muster- und Zeichenschutzes. Darin geht der Verfasser auf Fragen der Beantragung und Durchsetzung von Patenten, Gebrauchsmustern, Geschmacksmustern und Warenzeichen ein. Der Verfasser argumentiert auf juristischer Grundlage, ohne sich auf konkrete Gesetzesvorschriften zu berufen. Es wird eine anschauliche, praxisnahe Darstellung erreicht, auf welche Punkte Hervorbringer neuer Ideen achten müssen, wenn sie ihre Ideen schützen möchten. Im selben Handwörterbuch der Betriebswirtschaftslehre erschien auch ein Beitrag von Dipl.-Kfm. Arno Sölter zur chemischen Industrie (vgl. Sölter 1939). Darin findet sich folgende Passage mit eindeutigem Bezug zu FuE- und Innovationsfragen: »Wenn die Rentabilitätsverhältnisse in der Chemie im Allgemeinen als günstig angesehen werden müssen, herrschen doch in dieser Hinsicht vielfach falsche Vorstellungen. Der »Gewinn« einer Firma an einem Monopolartikel (z. B. in der pharmazeutischen Industrie) wird oft identifiziert mit dem Gesamtgewinn der Firma. Es wird jedoch vergessen, daß dieser Artikel auf Jahre hinaus durch seinen eigenen Versuchs- und Anlaufsaufwand vorbelastet ist, daß er aber auch ferner den Aufwand für alle die Versuche mittragen muß, die zu keinem wirtschaftlichen Ergebnis geführt haben, daß er weiterhin noch die vielen »Mitläuferartikel« unterstützen muß, die aus wissenschaftlichen Repräsentationsgründen oder kaufmännischen Notwendigkeiten beibehalten werden. Schließlich wird oft die Stellung des Monopolartikels erschüttert (neue Erfindungen, Gesetzgebung), so daß bei den Dispositionen für das laufende Geschäft auch dieses Risiko berücksichtigt werden muß.« (Sölter 1939, Sp. 1377). Insgesamt betrachtet ist das Handwörterbuch der Betriebswirtschaft aus dem Jahr 1939 eine der frühesten Publikationen, in denen Fragen des FuE- und Innovationsmanagements in die wissenschaftliche Betriebswirtschaftslehre eingebracht wurden.

In der Festschrift für Alexander Hoffmann veröffentlichte Eugen Sieber 1939 einen Beitrag zur Behandlung von FuE-Kosten in der Erfolgsrechnung und Kalkulation (vgl. Sieber 1939). Der Beitrag entstand vor dem Hintergrund der im Aufbau befindlichen Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Zentrale Begriffe wie FuE und Grundlagenforschung werden definiert. Dabei erinnert die Begriffsdefinition der FuE von Sieber durchaus an die begriffliche Festlegung von Schumpeter in seiner bekannten Aufzählung von fünf Arten neuer Kombinationen (vgl. Schumpeter 1931, S. 100 f.). Sieber nimmt aber auf die Arbeiten von Schumpeter nicht explizit Bezug. Des Weiteren werden von Sieber Institutionen, die Grundlagenforschung betreiben, im Überblick dargestellt (vgl. Sieber 1939, S. 9). Breiten Raum nehmen in dem Beitrag Probleme der Erfassung von FuE im Rechnungswesen und in der Kalkulation ein. Betreffend die Organisation von FuE werden konkrete FuE-Prozesse in der Pharma- und Flugzeugindustrie beschrieben und konkrete Firmenbeispiele, z. B. der Unternehmen Junkers und BASF, präsentiert (vgl. Sieber 1939, S. 10 f.). Die Arbeit von Sieber kann somit als eine der ersten konzeptionell und gleichzeitig auch empirisch geprägten betriebswirtschaftlichen Forschungsarbeiten gelten.

2.2        Die ersten umfassenden Gesamtdarstellungen

Eine der ersten innovationsbezogenen Veröffentlichungen in Deutschland stellt die Dissertation von Abromeit (1955) dar. Die Arbeit wurde von Mellerowicz in Berlin betreut und behandelte Fragen der FuE im betriebswirtschaftlichen Kontext, wie z. B. Wettbewerbsmotive für industrielle FuE (vgl. Abromeit 1955, S. 124), Auswirkungen neu entwickelter Produkte auf das bisherige Produktprogramm, Grenzen des Patentschutzes, Chancen und Risiken neu entwickelter Produkte sowie Verwertungsmöglichkeiten für unvorhergesehene Forschungsergebnisse an der Peripherie des Produktportfolios z. B. durch Lizenzvergabe oder Patentverkauf (vgl. Abromeit 1955, S. 125–127). Hier werden wichtige Themen der nachfolgenden Innovationsforschung angerissen und aufgeworfen. Wichtige betriebswirtschaftliche Innovationsthemen wie das Finden von Ideen für neue Produkte, die Auswahl neuer Produkte, die Planung der technischen Produktentwicklung und die Einführung neuer Produkte wurden in der Arbeit von Abromeit ausführlich erörtert (vgl. Abromeit 1955, S. 165–227). Von der Methodik her ist die Arbeit von Abromeit praxisnah-beschreibend gehalten, sie verzichtet auf eine theoretische Grundlegung. Abgesehen von einfachen Praxisbeispielen enthält die Arbeit von Abromeit auch keine empirischen Erhebungen oder Auswertungen.

Die Dissertation von Bruggmann 1957 an der Universität St. Gallen (vgl. Bruggmann 1957) wurde von Ulrich und Mötteli betreut. Diese Arbeit ist neben der Arbeit von Abromeit (1955) einer der ersten breit angelegten Überblicksbeiträge zu betriebswirtschaftlichen Fragen des Innovationsmanagements. Die Arbeit enthält keine explizite theoretische Grundlage und stellt auch keine eigene empirische Erhebung vor, aber sie stellt grundlegende Fragen im Überblick und Zusammenhang dar, die in späteren Arbeiten immer wieder aufgegriffen wurden: Grundbegriffe (Forschung, reine Forschung, Zweckforschung) werden definiert (vgl. Bruggmann 1957, S. 1–9), ökonomische und außerökonomische Motive industrieller Forschungsarbeit werden ebenso herausgearbeitet wie Ziele industrieller FuE (vgl. Bruggmann 1957, S. 17–39). Bruggmann behandelt als einer der ersten die Fragen nach den Einflussfaktoren, die die Aufnahme, das Ausmaß und die Richtung industrieller Forschungstätigkeit bestimmen (vgl. Bruggmann 1957, S. 39–65). Themen mit Querverbindungen zu anderen Teilgebieten der Betriebswirtschaftslehre, wie z. B. Planung, Organisation und Kontrolle industrieller FuE, Kostenrechnung, Bilanzierung und Finanzierungsmodelle für industrielle FuE und Personalprobleme der industriellen Forschung, werden das erste Mal in einem breiten Überblick dargestellt.

Konrad Mellerowicz hat eine grundlegende Monographie mit einem Umfang von 300 Seiten zum Thema »Forschung und Entwicklung als betriebswirtschaftliche Aufgabe« (so der Buchtitel, vgl. Mellerowicz 1958) geschrieben. Mellerowicz behandelt betriebswirtschaftliche Aspekte von Forschung und Entwicklung, aber nicht Innovationsfragestellungen. Das Buch von Mellerowicz kann auch als Reaktion auf die Arbeiten von Erich Gutenberg verstanden werden, der Fragen der Neuproduktentwicklung als Aufgabe von Ingenieuren und damit als außerhalb der Betriebswirtschaftslehre stehend auffasste (vgl. hierzu auch Kortschak 2009, S. 610, Fn. 8 und die Ausführungen am Ende von Abschnitt 3.1. dieses Beitrags). Mellerowicz gibt einen breiten Überblick über betriebswirtschaftliche Aspekte von FuE: Planung und Kontrolle, Verrechnung und Bilanzierung von FuE (vgl. Mellerowicz 1958, S. 11). Neben umfangreichen Begriffsdefinitionen (zum Begriff der FuE vgl. Mellerowicz 1958, S. 10) werden viele wichtige Themen darüber hinaus behandelt, wie z. B. gewerblicher Rechtsschutz, v. a. Patentierung und Lizenzierung (vgl. Mellerowicz 1958, S. 141–160), Risiken von FuE (vgl. Mellerowicz 1958, S. 43 ff.), Finanzierung von FuE (vgl. Mellerowicz 1958, S. 58 ff.), Organisation von FuE im Unternehmen (vgl. Mellerowicz 1958, S. 75 ff.). Diese Themen haben die nachfolgende betriebswirtschaftliche Forschung lange beschäftigt. Eine explizite Theoriegrundlage weist die Arbeit nicht auf, dafür präsentiert Mellerowicz als einer der ersten Betriebswirte Fallstudien, Praxisbeispiele und Branchenstudien zu FuE (vgl. Mellerowicz 1958, S. 15–17, 46–58) in seiner betont anschaulich, praxis- und problemnah gehaltenen Darstellung der betriebswirtschaftlichen Kernfragestellungen von FuE.

Es bleibt festzuhalten, dass die frühen Arbeiten der betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung entweder aus der unternehmerischen Praxis kamen (z. B. Rauter 1939) oder sehr von der unternehmerischen Praxis inspiriert waren und auch sehr praxisnah gehalten waren (z. B. Sölter 1939). Ebenfalls ist sehr auffällig, dass die frühen impulsgebenden Arbeiten sehr stark auf Aspekte des Rechnungswesens und der Kostenrechnung abgestellt haben (vgl. Sieber 1939, Mellerowicz 1958). Somit hat sich die frühe Innovationsforschung aus dem Rechnungswesen und der Kostenrechnung heraus entwickelt, einem klassischen Kerngebiet der Betriebswirtschaftslehre. Die ersten spezialisierten Einzelbeiträge (Rauter 1939, Sölter 1939, Sieber 1939) sind die Innovationsthematik aus dem Patentrecht (Rauter 1939) aus Sicht einer speziellen Industrie (Chemieindustrie bei Sölter 1939) und aus der Kostenrechnung (vgl. Sieber 1939) heraus angegangen. Daneben waren die ersten Überblicksdarstellungen (in Buchform mit entsprechend großem Seitenumfang: Abromeit 1955, Bruggmann 1957 und Mellerowicz 1958) breit angelegt und – was oftmals typisch ist für ein in der Entstehung befindliches betriebswirtschaftliches Forschungsfeld – eher praxisnah und theoriefern ausgerichtet.

3          Die erste Blütezeit der betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung (1965–1980)

3.1        Thematische Schwerpunkte und fachliche Herkunft der frühen Innovationsforschung

Aus dem Rechnungswesen/der Kostenrechnung

Karl Hax (1957) hat eine Monographie zur »Substanzerhaltung der Betriebe« geschrieben. Darin werden Grundfragen der Unternehmensrechnung und Substanzrechnung thematisiert. Kurz geht Hax dabei auf die Bedeutung von technischem Fortschritt für die Ausgestaltung der Substanzrechnung ein. Ein Kernproblem der Substanzerhaltung und ihrer Erfassung im Rechnungswesen ist dabei, dass die wieder zu beschaffenden Einsatzgüter nicht mehr identisch sind mit den vorher beschafften Einsatzgütern, v. a. bei Betriebsmitteln, aufgrund von technischem Fortschritt (vgl. Hax 1957, S. 43–46, 49–52). Hax thematisiert hier auch, woher der technische Fortschritt kommt, entweder von der Technik bzw. Angebotsseite oder der Bedarfsseite (vgl. Hax 1957, S. 45), ein Thema, das die nachfolgende Innovationsforschung unter der Bezeichnung technology push versus demand pull beschäftigt hat. Auch die Entwicklung und Einführung neuer Produktionsverfahren wird bei Hax kurz angesprochen, insbesondere unter dem Aspekt, dass es hierbei große Unterschiede zwischen den Unternehmen und Branchen gibt (vgl. Hax 1957, S. 47 f.). Ebenfalls greift Hax die Frage auf, wie FuE-Aufwand in der Bilanz behandelt werden soll (vgl. Hax 1957, S. 181 f.). Theoretisch ist die Arbeit von Hax in klassischer betriebswirtschaftlicher Theorie zur Substanzerhaltung bzw. zum Problem der Berücksichtigung von Inflation im Rechnungswesen verankert, Hax zitiert die klassischen Arbeiten von Schmalenbach, Schmidt, Rieger, Schäfer, Prion, Mahlberg und Walb zu diesem Thema. Eine eigene empirische Datenerhebung nimmt Hax nicht vor.

Zu nennen ist insbesondere die Arbeit von Mellerowicz (1958), der das Thema FuE vor allem aus der Sichtweise der Kosten- und Leistungsrechnung angegangen ist. Sein grundlegendes Werk wurde bereits im Abschnitt zu den frühen Arbeiten der Innovationsforschung als eine der allerersten breit konzipierten Monographien der betriebswirtschaftlichen FuE-Forschung behandelt.

Aus der Investitions- und Finanzierungstheorie

Zu nennen ist hier die Arbeit von Winfried Gürtzgen (1966) mit dem Titel »Forschung und Entwicklung als industrielle Investition«, eine Dissertation betreut von Erich Gutenberg. Bemerkenswert an dieser Arbeit ist, dass Gürtzgen das von Gutenberg entwickelte System der produktiven Faktoren um Wissenschaft und Technik als industriellen Leistungsfaktor erweitert. Thematischer Schwerpunkt der Arbeit sind investitionspolitische Überlegungen zur Durchführung von FuE-Aufgaben, v. a. die Auswahl von FuE-Projekten unter Aspekten der technischen Durchführbarkeit, der Kongruenz mit allgemeinen Unternehmenszielen und des ökonomischen Potenzials (Kosten, Vollendungszeit, Leistungsfähigkeit, Marktfähigkeit) (vgl. Gürtzgen 1966, S. 92–110). Gürtzgen berücksichtigt insbesondere den Faktor der Ungewissheit bei der Auswahl von FuE-Projekten (vgl Gürtzgen 1966, S. 110 ff.). Der zweite inhaltliche Schwerpunkt der Arbeit ist das mit der Projektauswahl zusammenhängende Thema der Aufstellung von FuE-Programmen und die Eruierung von Determinanten des FuE-Budgets (vgl. Gürtzgen 1966, S. 185–211). Fragestellungen der Finanzierung von FuE unter den Aspekten Risikotragfähigkeit, Kontinuität, Gleichmäßigkeit und Langfristigkeit der Finanzierung, Struktur von FuE-Investitionen und Finanzierungsmodelle (Eigen- versus Fremdfinanzierung) nehmen in der Arbeit nur geringen Raum ein (vgl. Gürtzgen 1966, S. 212–232).

Die Dissertation von Christian Neuling an der TU Berlin bearbeitete das Thema »Die Innovation als Investition«; sie stammt aus dem Jahr 1972. Die Arbeit von Neuling konzentriert sich auf die frühen Phasen von Innovationsprojekten, umfasst also mehr als FuE-Projekte (vgl. Neuling 1972, S. 43, 45). Theoretisch basiert die Arbeit auf Investitionstheorie und Investitionsrechnung unter Unsicherheit sowie der Erforschung unternehmerischer Ziele. Die Arbeit entwickelt keine eigene Datenerhebung, rezipiert aber vorhandene empirische Studien (vgl. Neuling 1972, S. 77). Bemerkenswert an der Arbeit von Neuling sind folgende Punkte: Es werden Schätz- und Prognosewerte von Innovationsprojekten mit den später realisierten Ergebnissen der Innovationsprojekte (Dauer, Kosten, Rentabilität) verglichen (vgl. Neuling 1972, S. 2, 44). Derart wird die Anwendung von Prognosemethoden (z. B. Regressions- und Produktionsfunktionen, vgl. Neuling 1972, S. 84 ff.) und Verfahren der Investitionsrechnung auf Innovationsprojekte einer kritischen Prüfung unterzogen. Es ist das Verdienst von Neuling, die Datenbeschaffung und Datengenauigkeit in FuE-Projekten als einer der ersten Forscher thematisiert und problematisiert zu haben. Auch hat Neuling als einer der ersten die Exploration (Erforschung) und die Exploitation (Erprobung) in FuE-Projekten thematisiert (vgl. Neuling 1972, S. 74) und die Kosten- und Erfolgsverteilung zwischen diesen Phasen des FuE-Prozesses untersucht, was erst Jahre später in der ressourcenökonomischen Innovationsforschung wieder aufgegriffen wurde.

Aus der Organisationstheorie und der Managementlehre

Die Forschung von Eberhard Witte zur Organisation komplexer Entscheidungsverläufe, in denen neuartige Probleme angegangen werden (Projekt Columbus, vgl. Witte 1968 a, b) erschließt das Thema Innovation bzw. innovative Entscheidungen von der Organisationslehre her. Die Arbeiten von Witte sind eine der ersten, die über qualitative Fallstudien hinausgingen und empirisch-quantitative Methoden in die Innovationsforschung einführten. Bemerkenswert sind an den Arbeiten von Witte insbesondere die extrem sorgfältige methodische Vorgehensweise bei der Datenerhebung und Datenauswertung und die Entwicklung neuer Forschungsmethoden (Dokumentenanalyse, Spiegelbilderhebung) für die Innovationsforschung (vgl. insbesondere Witte 1968 und 1968 b). Auf der Grundlage dieser empirischen Erhebungen entwickelte Witte seine Erkenntnisse zum Entscheidungsablauf bei komplexen, neuartigen Entscheidungen und das Promotorenmodell der Innovation (vgl. Witte 1968a, S. 638, 644–646). In der späteren Publikation »Organisation für Innovationsentscheidungen« (1972) hat Witte das Promotoren-Modell weiter spezifiziert und auch für die nachfolgende Innovationsforschung wichtige Themen, wie z. B. die Messung des Innovationsgrades (vgl. Witte 1972, S. 47 ff.), aufgeworfen. Witte (1973) entwickelte weitere Charakteristika innovationsfähiger Organisationen. Witte hat in diesem Zeitschriftenbeitrag das Thema »Modulorganisation und modulare Prozesse« aufgeworfen, das in der Innovations- und Organisationforschung Jahrzehnte später wieder aufgegriffen wurde. Das auch in diesem Beitrag dargestellte Promotorenmodell und die Organisation von Innovationsprozessen haben die nachfolgende Innovationsforschung ebenfalls lange beschäftigt.

Die von Gerhard Krüger an der TH Karlsruhe betreute Dissertation von Heinz Strebel aus dem Jahr 1968 hatte zum Thema »Die Bedeutung von Forschung und Entwicklung für das Wachstum industrieller Unternehmungen«. Entsprechend der frühen Entwicklungsphase der deutschen Innovationsforschung wurde hier viel Mühe auf saubere Begriffsarbeit, z. B. zum FuE-Begriff gelegt. Der Kern der Arbeit befasst sich mit der Gestaltung, Überwachung und Steuerung von FuE-Programmen (was heute als FuE-Controlling bezeichnet werden würde). Daneben werden auch Fragen des gewerblichen Rechtsschutzes (heute: Patentmanagement) und die Wahl des Einführungszeitpunktes sowie Hemmnisse für Innovationen behandelt. Der Innovationsthematik wird unter dem Aspekt der Verwertung von FuE-Ergebnissen Raum gegeben. Die Arbeit von Strebel dürfte damit eine der ersten sein, die breiter gefasste Fragen des Innovationsmanagements (im Gegensatz zu FuE-Management) in die deutschsprachige Innovationsforschung einführt. Theoretisch orientiert sich Strebel (1968) an den Arbeiten von Schumpeter und Ansätzen zu einer Theorie des Unternehmenswachstums, wie sie sich bei Edith Penrose, Alfred Marshall und Erich Gutenberg finden, die der Autor auch rezipiert. Von der empirischen Methodik her weist die Arbeit keine eigene Empirie auf, sondern sie basiert auf Literaturauswertung und praktischen Fallbeispielen. Interessant ist insbesondere die im Anhang zu findende Datensammlung zu FuE in den verschiedenen Branchen, die z. B. die Dominanz der Chemieindustrie und der Elektroindustrie vor der Autoindustrie hinsichtlich der Ausgaben für FuE im Jahr 1963 aufzeigt (vgl. Strebel 1968, S. 259).

Die Dissertation von Götz Schmidt (1969) an der Universität Gießen zum Thema »Produkt-Innovation und Organisation« wurde von Knut Bleicher und Dietger Hahn betreut und im Jahr 1970 abgeschlossen. Sie hat neue Themen in der Innovationsforschung aufgeworfen bzw. als eine der ersten Arbeiten aufgegriffen wie z. B. Organisation zur Förderung der Produktinnovation (z. B. funktionale Organisation). Schmidt unterscheidet die Organisation der kreativen Phase, der Entscheidungsphase und der Realisationsphase und damit verschiedene Phasen im Innovationsprozess (vgl. Schmidt 1969, S. 91 ff., 151 ff., 170 ff., 192), die Bedeutung von Gruppenarbeit in der kreativen Phase (vgl. ebenda, S. 121 ff.). Er betont die Bedeutung von Projektgruppen und Kollegien als organisatorische Lösungen für innovationsbezogene Arbeit (vgl. ebenda, S. 134–137). Theoretisch basiert die Arbeit auf dem situativen Ansatz der Organisationslehre; eine eigene empirische Grundlage hat die Arbeit nicht.

Auch die Dissertation von Dieter-Jobst Böning (1969), betreut von W. Hasenack und W. Lücke an der Universität Göttingen, zum Thema »Bestimmungsfaktoren der Intensität industrieller Forschung und Entwicklung« ist überwiegend aus der Organisations- und Managementperspektive heraus entstanden. In dieser Arbeit werden für die weitere Innovationsforschung wichtige Themen sehr frühzeitig aufgegriffen, z. B. Vertragsforschung (vgl. Böning 1969, S. 24 f.), Probleme bei der Bestimmung des FuE-Aufwandes und FuE-Ertrags und die hierfür verfügbaren quantitativen und qualitativen Methoden (vgl. Böning 1969, S. 48 ff.) sowie der Einfluss der steuerlichen Behandlung und der staatlichen Finanzierung von FuE-Ausgaben auf die FuE-Intensität (vgl. Böning 1969, S. 210 ff., 216 ff.). Ebenfalls wird umfangreiches statistisches Material präsentiert, v. a. zu einem Vergleich zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA (vgl. Böning 1969, S. 226–255). Eine eigene Datenerhebung ist in der Arbeit nicht erfolgt.

Die Habilitation von Klaus Brockhoff, betreut an der Universität Bonn von Horst Albach und Wilhelm Krelle, entstand zum Thema »Forschungsplanung in Unternehmen« im Jahr 1969. Im Mittelpunkt steht Rationalität in Forschung und Entwicklung bei komplexen Entscheidungsproblemen, insbesondere bei der Projektbewertung und Projektauswahl. Rationales Entscheiden tritt damit an die Stelle von Tradition und Daumenregeln als Entscheidungshilfen in FuE. Damit FuE-Planung rational sein kann, müssen Prognosen zu FuE-Aufwand und FuE-Erfolgen bei der Bewertung einzelner Forschungsprojekte gemäß wissenschaftlicher Standards bzw. Methoden (z. B. Faktorenanalyse) und auf der Grundlage ausreichender Datengrundlagen erfolgen. Klaus Brockhoff beschreibt ebenso den Einsatz von Optimierungsmodellen zur Planung ganzer FuE-Programme und problematisiert die optimale Höhe von FuE-Aufwendungen. Eine explizite theoretische Fundierung, die sich durch die gesamte Arbeit zieht, fehlt bei Brockhoff (1969). Die Arbeit von Brockhoff rezipiert vorhandene ökonometrische Studien zum Erfolg von Forschungsplanung (vgl. Brockhoff 1969, S. 217–220), entwickelt aber auch eine eigene empirische Untersuchung bei Unternehmen der chemischen Industrie in Deutschland (vgl. Brockhoff, 1969, S. 223–241).

Die Dissertation von Horst Geschka (1970) zum Thema »Forschung und Entwicklung als Gegenstand betrieblicher Entscheidungen« wurde betreut von Eberhard Dülfer an der TU Darmstadt. Die Arbeit wirft neue Fragen für die Innovationsforschung auf, z. B. Regeln in FuE (vgl. Geschka 1970, S. 122) oder die Bedeutung von Informationstechnik für FuE-Prozesse (Geschka 1970, S. 193 ff.). Auch das von Geschka entwickelte Verständnis eines FuE-Prozesses als Lernprozess (Geschka 1970, S. 175 ff.) hat die nachfolgende Forschung lange beschäftigt. Die Perspektive der Arbeit ist sehr interessant: Rationalität und Optimierung von FuE sind die dominierenden Themen, die Arbeit nähert sich aber gleichzeitig auch der irrationalen Seite von FuE an und greift wichtige Themen wie Kreativität in FuE, Intuition bei Entscheidungen etc. (vgl. Geschka 1970, S. 123, 137, 189) auf. Theoretisch basiert die Arbeit auf der Entscheidungstheorie und konzeptionellen Arbeiten zum Ablauf von Entscheidungsprozessen und zur Gestaltungsfunktion einer Unternehmensführung. Die Arbeit präsentiert keine eigene Empirie. Für FuE geeignete Methoden z. B. der Investitionsrechnung, des Operations Research und Methoden aus der betrieblichen Praxis werden aus der vorhandenen Literatur rezipiert und kritisch gewürdigt. Die Arbeit von Geschka ist eine klassische Literaturarbeit ohne eigene Empirie, die sehr viele neue Themen für die Innovationsforschung erschlossen hat.

Die Dissertation von Alfred Kieser zum Thema »Unternehmenswachstum und Produktinnovation« wurde von Grochla betreut und ist 1970 veröffentlicht worden (vgl. Kieser 1970). Die Arbeit von Kieser behandelt den Einfluss des FuE-Prozesses und des nachgelagerten Innovationsprozesses auf das Wachstum und den Wachstumsprozess eines Unternehmens. Im Vordergrund stehen dabei begrenzt rationale Entscheidungen der Unternehmensführung in Bezug auf das Innovationsverhalten im Unternehmen. Kieser fokussiert dabei auf drei Prozesse des Entscheidungsverhaltens von Unternehmen: die Suche nach alternativen Innovationsprojekten, Strategien der Organisation zur Vermeidung der mit Innovationen einhergehenden Unsicherheit und Prozesse des Umweltscanning zur Entdeckung von Innovationsmöglichkeiten im Sinne eines Frühwarnsystems (vgl. Kieser 1970, S. 101). Theoretisch basiert die Arbeit auf der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie. Bemerkenswert an der Arbeit von Kieser ist, dass sie eine der frühesten quantitativ-großzahligen Erhebungen (empirische Untersuchung der Pharmaindustrie) in Form einer Computersimulation an der Schnittstelle zwischen deutschsprachiger Organisations- und Innovationsforschung darstellt. Zur Ab-sicherung des Simulationsmodells hat Kieser auch Fallstudien in Form halbstandardisierter Interviews mit sechs deutschen Pharmafirmen durchgeführt (vgl. derselbe, S. 121 ff.).

Die Dissertation von Werner F. Hostettler (1972) zum Thema »Bestimmungsfaktoren industrieller FuE« wurde an der Universität St. Gallen von Ulrich und Seigwart betreut. Die Arbeit von Hostettler hat einen sehr breiten, nicht immer klar erkennbaren thematischen Fokus, sie schließt auch Fragen der FuE-Politik (z. B. Ziele von FuE, Systemgestaltung im FuE-Bereich) und des Risikomanagements in FuE-Projekten ein. Theoretisch zieht die Dissertation von Hostettler Ansätze der Motivationspsychologie (das führt zu dem Thema der monetären Anreize für FuE-Arbeit) und den Systemansatz nach Ulrich heran. Die letztere theoretische Perspektive führt dazu, dass technischer Fortschritt als gesellschaftliches Bedürfnis verstanden werden kann. Dies drückt sich in den Unterfragen aus: Wie dient technischer Fortschritt der Systemerhaltung (Demokratie, Vollbeschäftigung, wirtschaftliche Unabhängigkeit, Landesverteidigung) und der Systementwicklung (Wachstum)? Daneben wird technischer Fortschritt als Bedürfnis der Käufer von Produkten ausgeführt. In methodischer Hinsicht ist die Arbeit interessant, weil sie eine der ersten empirischen Innovationsarbeiten ist, in der eine Fallstudie (hier: zu Innovation durch neue Funktionen in Waschprogrammen von Waschmaschinen) präsentiert wurde (vgl. Hostettler 1972, S. 91 ff.).