Alexander Kords
ARJEN ROBBEN
ARJEN
ROBBEN
Originalausgabe
1. Auflage 2015
© 2015 CBX Verlag, ein Imprint der Singer GmbH
Frankfurter Ring 150
80807 München
info@cbx-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf in keinerlei Form – auch nicht auszugsweise – ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Lektorat: Ulla Bucarey / Cornelius Traub
Umschlaggestaltung: Nina Knollhuber
Umschlagabbildung: imago / VI Images
Satz: Julia Swiersy
Illustrationen: Salome / Fotolia.com
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
ISBN: 978-3-945794-05-0
Inhalt |
01. | Ein talentierter Knirps aus dem niederländischen Idyll |
02. | Erst Profidebüt, dann Weltmeisterschaft |
03. | Batman & Robben bei der PSV Eindhoven |
04. | Mehr Schatten als Licht im zweiten Jahr bei der PSV |
05. | Zwei gebrochene Füße beim FC Chelsea |
06. | Arjen Robben vervollständigt seine englische Titelsammlung |
07. | Der »Spieler aus Glas« geht nach Madrid |
08. | Das Arjen-Robben-Tor-Festival beim FC Bayern München |
09. | Verletzt zur WM 2010 |
10. | Ein halbes Jahr ohne Fußball |
11. | Verletzungen, Egoismus-Debatte, verschossene Elfmeter – Robbens dramatische Saison 2011/2012 |
12. | Historische Pleite bei der EM 2012 |
13. | Das Triple: Die Krönung einer einmaligen Karriere |
14. | Guardiola »in love with Robben« |
15. | Der nächste Anlauf für die Elftal |
16. | Der beste Arjen Robben aller Zeiten |
Quellenverzeichnis | |
Bilderverzeichnis |
01. Ein talentierter Knirps |
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Der schiefe Turm von Pisa gehört zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten Europas. Doch knapp 1.500 Kilometer nordöstlich der italienischen Stadt gibt es ein Gebäude, das noch extremer geneigt ist, aber kaum über die Grenzen des Ortes, in dem es steht, bekannt ist. Es handelt sich um den Kirchturm der Walfriduskerk – der Wallfahrtskirche St. Walfridus – im niederländischen Bedum. Exakt 4,18 Grad beträgt die Neigung des 36 Meter hohen Turms, und wenn er genau so groß wäre wie sein Pendant in Pisa, dann wäre er sechs Zentimeter weiter geneigt. Die Kirche, die dem Heiligen Walfridus gewidmet ist, der im zehnten Jahrhundert das Christentum nach Bedum brachte, ist das Wahrzeichen der niederländischen Gemeinde.
Etwas mehr als 10.000 Einwohner hat Bedum, die meisten von ihnen leben im Hauptort gleichen Namens. Vom kleinen Bahnhof im Norden der Kleinstadt kommt man in einer Viertelstunde in die Großstadt Groningen, in die andere Richtung erreicht man innerhalb von 30 Minuten Delfzijl an der Nordsee. Von dort aus legen regelmäßig Fähren nach Emden ab. Doch so weit muss man gar nicht reisen, um es sich in Bedum gut gehen zu lassen. Drei Supermärkte gibt es im Ort, außerdem mehrere Bars. Als Fußballfreund kommt man in der Gemeinde allerdings nur bedingt auf seine Kosten, der örtliche Verein SV Bedum spielt nur in der fünften niederländischen Liga.
Entstanden ist der Club im Jahr 2013 als Fusion der Christelijke Voetbalvereniging Bedum, kurz CVVB, und der Voetbalvereniging Bedum. Im Jahr 1989, als es beide Vereine noch gab, trat ein Fünfjähriger dem VV Bedum bei, der später zu einem der besten Fußballspieler der Niederlande werden sollte: Arjen Robben, Sohn des Sportlehrers Hans und der Postangestellten Marjo Robben. Als Arjen, ihr erstes Kind, am 23. Januar 1984 zur Welt kam, lebte das Paar im Süden von Bedum, in einem Eckhaus aus roten Backsteinen in De Vogelkers 11. Sämtliche Straßen des Viertels sind nach Baumarten benannt, Vogelkers bedeutet Traubenkirsche, De Kastanje und De Acacia sind gleich in der Nähe. Im Westen und im Süden der Einfamilienhaussiedlung ist ein Kanal angelegt, dahinter gibt es nichts als Wald und Wiesen, auf denen Kühe grasen. Idyllischer kann ein Kind kaum aufwachsen.
Der kleine Arjen hatte gerade erst laufen gelernt, als er damit begann, gegen Bälle zu treten. Anfangs flitzte er mit Tennisbällen am Fuß durch den elterlichen Garten und legte so die Basis für die Dribbelkünste, die ihn später als Profikicker auszeichnen würden. Sobald Ball und Rasenfläche vor dem Haus zu klein für ihn wurden, wechselte er zum großen Spielgerät und auf eine Wiese am Ende von De Kastanje. Dort trieb er stundenlang den Ball vor sich her oder spielte gegen einen Freund, der sich ihm im Eins gegen Eins stellte. Dass einige Jahre später auf der Wiese ein Fußballplatz angelegt werden würde, der den Namen »Arjen Robben Veld« trägt, hätte sich zu dieser Zeit kein Bewohner von Bedum denken können – trotz der Fertigkeiten, die der kleine Ballkünstler schon früh an den Tag legte.
Noch bevor Arjen eingeschult wurde, meldete ihn sein Vater beim VV Bedum an. Hans Robben hatte selbst beim FC Groningen Fußball gespielt, es dort allerdings nicht bis in die Profimannschaft geschafft. Dennoch hatte er seinem Sohn einiges an Talent vererbt und ihm ein paar Tricks beigebracht, wie Arjens erster Trainer Jan Potma schnell feststellen konnte. »Arjen hatte schon als Kind alles, was man braucht«, blickte der Coach in einem Gespräch mit der Münchner Abendzeitung zurück. »Tempo, Technik, Übersicht. Er war ein richtiger Wirbelwind.«1 Beim VV Bedum erhielt Robben Junior einen Spielerpass für die E-Jugend, versehen mit der Nummer 116.
Regelmäßig sorgte Arjen in Ligaspielen für Frust bei seinen Gegenspielern. »Es gab Spiele, die wir 20:0 gewonnen haben, in denen Arjen 18 Tore geschossen hat«2, erinnerte sich JaapHeres, der ehemalige Geschäftsführer des VV Bedum, in einem Interview mit der tz. Einhundert Tore in einer Saison waren keine Seltenheit für Arjen, seine Rekordmarke lag bei 151 Treffern in einer Spielzeit. Üblicherweise schnappte sich der Kicker gleich nach dem Anstoß den Ball, dribbelte sich durch die gegnerischen Abwehrreihen und schloss wuchtig mit seinem starken linken Fuß ab. Da er stets ein Stück kleiner war als seine Altersgenossen und sich dadurch so flink und wendig bewegte, musste er nicht befürchten, gefoult zu werden. Und sollte er in der ersten Halbzeit wieder einmal bereits zahlreiche Treffer erzielt haben, dann gab ihm sein Vater eine besondere Aufgabe für den zweiten Abschnitt: nur in der Verteidigung spielen etwa oder nur mit dem rechten Fuß schießen – was den Junior allerdings nicht davon abhielt, fleißig weiter sein Torekonto zu erhöhen.
Von 1990 an besuchte Arjen die Togtemaarschool, rund zehn Minuten Fußweg von seinem Zuhause entfernt – und wie auf dem Fußballplatz glänzte er auch im Klassenraum. »Arjen war ein Musterschüler, ein Junge, wie man sich ihn als Lehrer nur wünschen kann«, erzählte Wim Heemstra, einer der ersten Lehrer des jungen Kickers, der tz. Wissbegierig, fleißig und gut erzogen sei er gewesen, und außerdem »immer der Beste, in fast allem«, wusste der ehemalige Lehrer zu berichten. Einzig das Singen und das Malen hätten Arjen nicht gelegen, was sich an seinen ansonsten hervorragenden Zeugnissen bemerkbar machte. Einen gewissen Ehrgeiz zu entwickeln, dazu hatten ihn seine Eltern erzogen. »Wir haben versucht, ihm zu zeigen, dass es wichtig ist, Ziele zu haben«, erklärte sein Vater Hans.3
Auch in der Schule war Arjen nicht vom Ball zu trennen und spielte seine Klassenkameraden in den Pausen auf dem Schulhof schwindlig. Der Umstand, dass ihm fußballerisch niemand das Wasser reichen konnte, führte aber keineswegs zu Anfällen von Arroganz bei Arjen – im Gegenteil. »Er war immer sehr beliebt«, so Lehrer Heemstra, der bis heute mit Familie Robben befreundet ist. »Wenn er heute nach Bedum zurückkommt, trifft er sich immer mit seinen besten Freunden von früher.«4
Neben dem Fußball gewann Arjen regelmäßig die Schachturniere seiner Schule und turnte gerne. Die Wendigkeit, die er dabei trainierte, kam ihm wiederum auf dem Fußballplatz zugute. Zudem war er sehr gut im Tennis und wurde sogar in die niederländische Jugendauswahl berufen. Drei Mal pro Woche fuhren seine Eltern 150 Kilometer, um ihn zum Training zu bringen – bis die Anstrengung zu groß wurde und Arjen begann, sich voll auf den Fußball zu konzentrieren. Dass der kleine Robben sich so gerne sportlich betätigte, kam nicht von ungefähr, schließlich war seine ganze Familie davon angetan. So war auch Mutter Marjo einst Sportlehrerin und als Turnerin aktiv, und Arjens jüngere Schwester Vivien begeisterte sich ebenfalls für das Turnen. Und Miranda und Jolanda Robben, zwei Großcousinen von Arjen, spielten Handball und sollten später Mitglieder der niederländischen Nationalmannschaft werden.
Mit zehn Jahren wechselte Arjen von den E- zu den D-Junioren des VV Bedum. Bei einer der dortigen Partien war zwei Jahre später auch Luit Zwaneveld, ein Scout des FC Groningen, anwesend – und der erkannte auf den ersten Blick Arjens herausragende spielerische Fähigkeiten. Rückblickend relativierte er jedoch seinen Anteil an der Entdeckung des Talents. »Stolz muss ich auf diesen Fang nicht sein«, meinte Zwaneveld, der sich im Juni 2014 nach 25 Jahren aus dem Scouting-Geschäft zurückzog, und fügte an: »Selbst meine Omi hätte gemerkt, dass Arjen ein Riesenkicker werden würde.«5
Im Gegensatz zum VV Bedum spielte der FC Groningen im niederländischen Fußball ganz oben mit. Als sich Arjen Robben dem Verein im Sommer 1996 anschloss, befand sich dessen Profimannschaft gerade im gesicherten Mittelfeld der Eredivisie, der höchsten Liga des Landes. Nach Arjens Aufnahme in die Groninger Jugendakademie holte Zwaneveld den Jungen zunächst jeden Tag von der Schule ab, fuhr ihn mit dem Auto zum Training in die Großstadt und brachte ihn anschließend wieder nach Bedum zurück. Nach wenigen Monaten wechselte Arjen allerdings die Schule und besuchte fortan das Kamerlingh Onnes College in Groningen. Die zehn Kilometer lange Strecke von Bedum in die Stadt und zurück absolvierte er bald täglich mit dem Fahrrad. Dabei machte er sogar den Weg zur Schule zu einer sportlichen Herausforderung und versuchte, immer schneller am Ziel zu sein.
Beim FC Groningen kam Arjen erstmals mit der Coerver-Methode in Kontakt, nach der die Nachwuchsspieler des Clubs trainiert wurden. Entwickelt wurde das Konzept von Weil Coerver, einem niederländischen Coach, der vor allem in den 1970er-Jahren mit Feyenoord Rotterdam erfolgreich war. Coerver, der wegen seiner visionären Ideen auch der »Albert Einstein des Fußballs« genannt wurde, setzte auf einen sechsstufigen Trainingsplan, der darauf abzielte, die vorhandenen Fertigkeiten junger Spieler auszubauen und stetig zu verfeinern.
Die Basis der Coerver-Methode, die auch heute noch in den Jugendabteilungen vieler Vereine weltweit eingesetzt wird, bildet die Ballbeherrschung, die jeder Kicker mit einem eigenen Ball übt. Dabei achtet der Trainer darauf, dass seine Schützlinge beide Füße einsetzen – also nicht nur ihren stärkeren. Erst wenn ein Spieler durch ständige Wiederholungen problemlos mit dem Ball umgehen kann, schreitet er voran zur nächsten Stufe: der Annahme des Balles sowie dem sicheren Passen. Darauf folgen das Zweikampfverhalten im Duell Eins gegen Eins, die Schnelligkeit mit und ohne Ball, der Schuss aufs Tor und schließlich das Spiel in kleinen Gruppen. Coerver baute die Reihenfolge der Schritte entsprechend der Fertigkeiten auf, die für die Beherrschung des Spiels am wichtigsten sind. Kann ein Kicker etwa den Ball nicht fehlerfrei am Fuß führen, so ist es gemäß der Methode übereilt, mit Zweikampfübungen zu beginnen oder an seiner Geschwindigkeit zu arbeiten.
Neben seinem intuitiven Verständnis für das Spiel und dem Können, das er auf der Straße und beim VV Bedum erworben hatte, erhielt Arjen nun auch eine Schulung in den Bewegungsabläufen, die ihn während seiner gesamten Karriere begleiten würden. Zudem gab ihm sein Jugendtrainer Barend Beltman, der schon als Spieler für den FC Groningen aktiv war, eine feste Position. Nachdem Arjen in Bedum ständig zwischen Sturm und offensivem Mittelfeld gependelt war, legte ihn Beltman auf die klassische Zehn fest – als Mann hinter den Spitzen. Allein in der Saison 1999/2000 erzielte Arjendort 53 Treffer in 21 Spielen für Groningens Junioren – es war also höchste Zeit, ihn an herausforderndere Aufgaben heranzuführen.
02. Erst Profidebüt, |
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