Eins
Mein Name ist Charlie Wong, und ich bin die Tochter einer Tänzerin und eines Nudelmachers. Meine Mutter war Primaballerina an der berühmten Pekinger Tanzakademie, bevor sie durchbrannte, um meinen Vater zu heiraten: den bestaussehenden Nudelmacher von ganz Peking – so hat sie ihn zumindest immer beschrieben, bevor sie starb. Hand in Hand flüchteten die beiden nach Amerika, um dort eine Familie zu gründen. Leider schien ich nichts von den Genen meiner Mutter mitbekommen zu haben. Stattdessen kam ich ganz nach Pa, von seinem guten Aussehen einmal abgesehen. Und von seinen geschickten Händen, denn es gelang ihm trotz aller Bemühungen nicht, zumindest seine bemerkenswerten Nudelmacherfertigkeiten an mich weiterzugeben. Mit meinen zweiundzwanzig Jahren arbeitete ich daher als Tellerwäscherin in dem Restaurant in Chinatown, in dem Pa der große Nudelmeister war. Die Kunden standen Schlange an der Hintertür, um seine Nudeln ungekocht nach Hause mitzunehmen.
An jenem Tag entdeckte ich Mrs Lee an der Hintertür, als ich von meiner winzigen Spülküche durch das Fenster in die Nudelküche hinüberspähte. Sie hatte für Pa eine Extraschicht Lippenstift aufgetragen und heftete den Blick nun fest auf seine gebräunten Hände, die die Bambusstange umschlossen.
»Können Sie die Nudeln für mich bitte besonders lang machen?«, fragte sie auf Mandarin. Sie stand ein wenig steif da, bemüht, nicht an den fettigen Türrahmen zu stoßen.
Pa nickte, während er das schwere Bambusrohr anhob und es dann erneut auf seinen Teig herabsenkte, der mit jedem Durchgang immer dünner wurde. Das Ende des Rohrs steckte in einem Loch, das oberhalb der Arbeitsfläche in die Wand gebohrt war. Nudelmachen war harte Arbeit, und ich wusste, dass Pas Hände voller Schwielen waren. War der Teig flach genug, schnitt er ihn mit seinem Hackmesser in vollkommen gleichmäßige Streifen und fing an, diese von Hand langzuziehen. Er drehte sie zu einem Strang und zog sie immer weiter in die Länge. Es war wie Magie.
Er blickte auf und lächelte Mrs Lee an. »Heute ist wohl Ihr Geburtstag.«
Sie kicherte doch tatsächlich, eine Frau in ihrem Alter! »Sie sind ein kluger Mann.«
Ich hätte verächtlich geschnaubt, hätten die Kellner nicht in diesem Moment eine weitere Plastikwanne mit gestapelten Schüsseln durch das andere Fenster hereingeschoben, das das Restaurant mit der Spülküche verband. Jeder wusste, dass es Glück brachte, am eigenen Geburtstag lange Nudeln zu essen, schließlich symbolisierten sie ein langes Leben. Genauso bekannt war in Chinatown, dass Mrs Lees Mann bereits vor etlichen Jahren gestorben war. Ich kratzte die Speisereste aus den Schüsseln und stapelte dann alles in einer weiteren Wanne. Dass die Frauen Pa Komplimente machten, war nichts Neues für mich. Viel Glück bei dem Versuch, ihn sich zu angeln, Mrs Lee, dachte ich. Seit Mas Tod hatte sich Pa mit keiner Frau mehr getroffen – und so würde es vermutlich auch bleiben, denn er war noch immer in sie verliebt. Ich stemmte die schwere Geschirrwanne mühelos hoch und beförderte sie ins Spülbecken. Seit mehreren Jahren arbeitete ich nun schon als Tellerwäscherin, genau genommen, seit ich die Highschool abgeschlossen hatte – und mein gestählter Bizeps zeugte eindrucksvoll von der Plackerei. Ich senkte den Kopf, um erneut durch das niedrige Fenster in die Küche spähen zu können. Ich war neugierig, was Mrs Lee mit meinem Vater im Schilde führte. Mir schlug eine aromatische Dampfwolke entgegen, weil gerade einer der Köche Ingwer und Knoblauch in einen Wok geworfen hatte.
Pa hatte das Ende des Nudelteigs inzwischen seinem Hilfskoch in die Hand gedrückt, und gemeinsam zogen sie die Nudeln durch die ganze Küche, während ihnen der dritte Koch geschickt auswich. Mrs Lee strahlte, als Pa die fertigen Nudeln für sie aufrollte.
»Leisten Sie uns doch Gesellschaft! Ich verspreche auch, dass die Nudeln ganz zart sein werden«, säuselte sie.
Pa überreichte ihr das Nudelpaket mit einer altmodischen Verbeugung aus der Hüfte. »Sie sind wirklich sehr freundlich, aber ich habe alle Hände voll zu tun mit meinen beiden Töchtern. Sie wissen ja, wie es ist.«
»Natürlich«, entgegnete sie und ließ die stark geschminkten Mundwinkel hängen. »Dann eben beim nächsten Mal.«
»Ja. Ich wünsche Ihnen ein langes, glückliches Leben«, sagte Pa und wandte sich an seinen Hilfskoch. »Holst du mir bitte einen Sack Mehl aus dem Keller?«
Eigentlich hätte ich diejenige sein müssen, die ihm beim Nudelmachen assistierte. Seit ich ein kleines Kind war, nahm mich Pa schon mit ins Restaurant, damit ich ihm zusah und von ihm lernte. Doch so sehr ich mich auch bemühte, mir fiel immer alles auf den Boden. »Du musst dem Teig gut zureden«, erklärte Pa stets, und ich malträtierte ihn stattdessen. Als Nudelmeister brauchte man magische Finger. Meine waren so ungeschickt, als würde ich Fausthandschuhe tragen. Genau wie Pa war ich groß und schlank, aber während seine ausgeprägte Nase und die scharf gezeichneten Wangenknochen bei einem Mann stark und attraktiv wirkten, waren sie für ein Mädchen wie mich zu markant – zumindest behaupteten das Tante Monica und Onkel Henry. Wie Pa und der Rest seiner Familie hatte ich eine eher dunkle Haut und war für ein chinesisches Mädchen zu hager und knochig. Außerdem hatte ich von klein auf gelernt, keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, und das gelang mir in den meisten Fällen auch.
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Im Restaurant war es nachmittags ruhiger, aber meine Beine schmerzten bereits, weil ich seit den frühen Morgenstunden auf den Beinen war. Ich spritzte Spülmittel ins Becken und drehte dann das Heißwasser auf. Anfangs war es für mich unerträglich gewesen, meine Hände in das kochend heiße Wasser zu tauchen, selbst dann, wenn ich zuvor ein wenig kaltes Wasser beigemischt hatte. Ich hatte es mit Handschuhen versucht, bis mir aufgegangen war, dass das dampfende Wasser ohnehin am oberen Ende der Handschuhe hereinsickerte, wenn ich die Arme tiefer eintauchte. Ich hatte also die Wassertemperatur Tag für Tag erhöht, bis meine Hände und Arme sich daran gewöhnt hatten. Wenn ich schon zu nichts anderem taugte, wollte ich wenigstens die beste Tellerwäscherin sein, die ich nur sein konnte. Dass meine Hände dabei rot und spröde wurden, machte mir nichts aus – das war nun einmal der Preis, den ich zu zahlen hatte.
Der aufsteigende Dampf sorgte zusammen mit den hohen Augusttemperaturen für drückende Hitze. Ich ließ einen Stapel Schüsseln ins Wasser gleiten und tauchte meine Hände und Unterarme ein. Meine Haut war inzwischen so rau und unempfindlich geworden, dass ich kaum noch zusammenzuckte. Je heißer das Wasser, desto schneller konnte ich arbeiten. Das Restaurant verfügte zwar über eine Spülmaschine, aber die war so antiquiert, dass ich das Geschirr vor dem Beladen so gut wie möglich vorreinigen musste, statt meine Zeit damit zu vergeuden, die Auffangsiebe von Rückständen zu befreien. Spülte ich die Schüsseln nicht gründlich genug vor, musste ich jede Waschladung noch einmal kontrollieren, wenn sie aus der Maschine kam. Vor allem während des Mittags- und Abendansturms zählte jede Sekunde, sonst ging uns rasch das saubere Geschirr und Besteck aus.
Ich hob einen weiteren Stapel benutzter Schüsseln aus der Plastikwanne und erstarrte, als ich feststellte, dass eine große Kakerlake daran hing. Auf keinen Fall wollte ich den Stapel ins Spülwasser befördern und hinterher die verbrühte Kakerlake herausfischen müssen. Das Insekt machte sich meine Unschlüssigkeit zunutze und krabbelte meine Hand und anschließend meinen Arm hinauf.
Ich kreischte. Der Geschirrstapel fiel scheppernd zu Boden, während ich wild auf die Kakerlake einschlug und versuchte, sie von meinem T-Shirt zu verjagen, bevor sie mein Gesicht erreicht hatte. Plötzlich erschien ein weißes Geschirrtuch in meinem Blickfeld und fegte die Kakerlake von meinem Körper. Sie landete auf dem Boden und blieb mit den dicken Beinen strampelnd auf dem Rücken liegen, bevor sie von einem Männerschuh zerdrückt wurde.
»Du bist wirklich die ungeschickteste Tellerwäscherin, die wir je hatten!«, schimpfte Mr Hu, der Inhaber des Restaurants. Seine runden Wangen schienen stets von einer Ölschicht bedeckt zu sein. »Beseitige das sofort!«
»Es tut mir leid«, stammelte ich. »Ich wollte …«
»Ich will es nicht hören!«
Pa tauchte in der Tür auf. »Mr Hu, sie arbeitet wirklich hart.«
Mr Hu war sofort besänftigt, als er meinen Vater sah. Ohne Pa hätte sein Restaurant einen Großteil seiner Kunden verloren. »Ich weiß, ich weiß. Und kräftig ist sie auch. Räum einfach schnell die Sauerei weg, Charlie. Und gib dir in Zukunft mehr Mühe. Porzellan ist teuer, das weißt du.«
Ich begann umgehend damit, das zerbrochene Geschirr aufzufegen. Als Mr Hu weg war, sagte ich auf Englisch: »Danke, Pa.« Ich verstand zwar Chinesisch, sprach es jedoch nicht sehr gut, und Pa und ich kommunizierten deswegen normalerweise auf Englisch. Manchmal sagte er auch etwas auf Chinesisch zu mir, und ich antwortete auf Englisch.
»Mit Seifenhänden kann jedem einmal eine Schüssel entgleiten. Der Mann braucht dringend Urlaub.« Pa gab mir einen liebevollen Klaps auf die Schulter, bevor er in seine Nudelküche zurückkehrte.
Ich wusste nicht, ob das Restaurant mich auch weiter beschäftigt hätte, wenn Pa nicht gewesen wäre, denn an billigen Arbeitskräften herrschte in diesem Teil New Yorks wahrlich kein Mangel. Aber ich gab mir wirklich Mühe, und das Restaurant hatte schon einige Tellerwäscher verschlissen, bevor es mich eingestellt hatte. Selbst in Chinatown war Geschirrspülen Drecksarbeit.
Eine Stunde später lag ich quer auf einigen Stühlen, die an der Rückwand des Restaurants aufgestellt waren, und schlief. Alle Mitarbeiter hielten dort während ihrer Pausen ein Schläfchen, denn unsere Schichten konnten sich vom frühen Morgen bis spät in die Nacht hinein ziehen, je nachdem, wie voll es im Restaurant war. Wenn spätabends noch Gäste auftauchten, blieb das Lokal geöffnet. Solange wir den Tischen den Rücken zukehrten und nicht zu laut schnarchten, wurden wir geduldet.
Jemand tippte mir seitlich an den Kopf. Ich schreckte aus dem Schlaf und löste meine Wange vom Kunstlederpolster des Stuhls, gereizt und desorientiert. »Was?« Als Erstes sah ich die vergilbte Tapete, bevor ich mich umdrehte und mein Blick auf das herzförmige Gesicht meiner kleinen Schwester Lisa fiel. »Du sollst doch meine Haare nicht anfassen!«
»Sorry«, sagte sie, aber ich sah ihr an, dass sie es mit Absicht gemacht hatte. »Du wärst sonst nicht aufgewacht.«
Ich stützte mich auf den Ellbogen und sah sie stirnrunzelnd an. »Hast du es denn versucht?«
»Nein, das weiß ich aus Erfahrung.« Als ich die Augen verdrehte, beugte sie sich vor und flüsterte: »Ich habe ein Jobangebot für dich in der Zeitung entdeckt.«
Ich musste erst warten, bis meine Schicht zu Ende war, bevor ich herausfand, um was für ein Angebot es sich handelte. Nachdem Lisa mir die Neuigkeit verkündet hatte, hatte ich sie nämlich schnell aus dem Restaurant gescheucht, bevor ich Ärger mit Mr Hu bekam und er mir vorwerfen konnte, ich würde meine Pause hinauszögern. Ich wusste, dass Lisa zu Hause auf mich warten würde. Es war zwar normalerweise spät, wenn Pa und ich endlich in unserer Wohnung eintrafen, aber Lisa versuchte meistens, bis dahin wach zu bleiben. War sie doch schon eingeschlafen, wachte sie auf, sobald sie uns hereinkommen hörte. Es war ihr wichtig zu wissen, dass wir wohlbehalten nach Hause gekommen waren.
»Was sollte uns in Chinatown schon passieren?«, hatte ich sie einmal gefragt.
»Taschendiebstahl, Messerstecherei, Raubüberfall, Bandenkrieg«, hatte sie geantwortet.
Womit sie nicht unrecht hatte. Lisa war zwar erst elf, aber immer schon reif für ihr Alter gewesen. Manchmal sah ich ihr beim Schlafen zu und wünschte mir, sie vor einem Leben, wie ich es führte, bewahren zu können. Wie gerne hätte ich vor ihr verheimlicht, wie müde ich fast immer war, doch es war unmöglich, sie zum Narren zu halten. Egal wie oft ich ihr weismachte, ich sei mit meinem Leben als Tellerwäscherin vollauf zufrieden: Lisa suchte dennoch weiter nach Alternativen für mich.
Wenn ich ehrlich war, hätte ich nichts gegen eine Veränderung einzuwenden gehabt. Allerdings sehnte ich mich nicht nur nach einer neuen Arbeit oder einem neuen Umfeld, sondern nach einem vollkommen anderen Leben. Ich wollte nicht das Wo verändern, sondern das Wie. Während manche Menschen davon träumten, eines Tages anderswo zu sein, träumte ich davon, jemand anders zu sein. Jemand, dessen schulische Leistungen früher nicht zum unteren Drittel der Klasse gezählt hatten, jemand, der selbstsicher war, elegant und schön – so wie Ma es gewesen war und wie Lisa es sein würde, wenn sie erst älter war. Im Gegensatz zu mir kam Lisa ganz nach Ma, vom rosigen Schimmer ihrer Haut bis zu der geschmeidigen Anmut, mit der sie sich bewegte. Manchmal sah ich Lisa und Pa an und flehte insgeheim zu den Göttern: »Könnte ich im nächsten Leben bitte nicht mehr in eine so gut aussehende Familie hineingeboren werden?« Es war nicht leicht, eine Kuh inmitten von Gazellen zu sein.
Jeden Abend sagten Lisa und ich Gute Nacht zu Pa, bevor er in seinem winzigen Wandschrank von einem Zimmer verschwand, und klappten dann den Plastiktisch im Wohnzimmer zusammen und stellten ihn in die Ecke. Tagsüber lehnte meine Matratze mitsamt Betttuch an der Wand. Wir zwängten sie zwischen Sofa und die drei kleinen Fernseher, die sich an der gegenüberliegenden Wand stapelten. Nur der oberste funktionierte, aber Pa brachte es nicht über sich, die anderen beiden wegzuwerfen. »Vielleicht sind sie uns irgendwann noch einmal nützlich«, argumentierte er. Dann zogen wir die verschlissene Patchworkdecke vom Sofa und legten den Brandfleck frei, den ich einmal mit dem Bügeleisen verursacht hatte, breiteten ein Laken darüber und holten Lisas Kissen und Decke hervor, die ich in mühevoller Arbeit aus Stoffresten zusammengenäht hatte. Lisa wurde allmählich zu groß, um auf das kurze Sofa zu passen, und ich hatte keine Ahnung, was wir tun würden, wenn es so weit war.
Obwohl ich Lisa regelmäßig drängte, schlafen zu gehen, bevor Pa und ich nach Hause kamen, freute ich mich insgeheim auf jene nächtlichen Momente der ungestörten Zweisamkeit: Lisa auf dem Sofa und ich vor ihr auf meiner Matratze auf dem Boden, plaudernd und lesend, bevor uns der Schlaf übermannte.
»Wie war es heute bei Onkel Henry und Tante Monica?«, fragte ich.
Sie verzog das Gesicht und sagte dann: »Gut.«
»Sei nicht undankbar«, rügte ich. »Wir können uns …«
»… glücklich schätzen, dass sie mich unter dem Deckmantel verwandtschaftlicher Fürsorge als unbezahlte Sklavin in Onkel Henrys Praxis schuften lassen, ich weiß«, beendete Lisa meinen Satz. Onkel Henry war ein in Chinatown bekannter Arzt für traditionelle chinesische Medizin. Lisa half nach der Schule in seiner Praxis aus, erledigte Papierkram und putzte, bis die Praxis abends zumachte und sie nach Hause ging. Jetzt in den Sommerferien packte sie sogar ganztags mit an.
Ich grinste und konnte es mir nicht verkneifen zu fragen: »Wie bist du nur so unerträglich frech geworden?«
»Genauso, wie du so eine Moralpredigerin geworden bist.«
Wir streckten uns gegenseitig die Zunge heraus, obwohl ich wusste, dass ich für derartige Kindereien zu erwachsen hätte sein müssen.
»Dabei dachte ich eigentlich, dass du Ärztin werden willst«, fügte ich hinzu.
»Ich weiß, ich weiß.« Sie seufzte. »Ich kann in der Praxis schon mal Erfahrungen sammeln, auch wenn Onkel Henry kein westlicher Arzt ist.«
»Na komm, fang an zu lesen«, forderte ich sie auf und reichte ihr das Taschenbuch.
Jeden Abend vor dem Schlafengehen las Lisa mir aus dem Buch Pilgerreise von John Bunyan vor. Anfangs hatte ich versucht, ihr daraus vorzulesen, dabei jedoch solche Schwierigkeiten gehabt, dass kurzerhand sie das Lesen übernommen hatte. In der Schule hatte regelmäßig das vernichtende Urteil »unmotiviert und faul« in meinem Zeugnis gestanden, weil die Lehrer keine Ahnung gehabt hatten von den vielen Stunden, die ich mich abends mit meinen Schulbüchern abmühte. In der zehnten Klasse hatte meine Englischlehrerin uns eine Liste der hundert wichtigsten Klassiker der amerikanischen Literatur gegeben, und ich war immer noch fest entschlossen, mich erfolgreich durch diese Liste zu arbeiten. Im Englischunterricht war es mir nur mit Mühe und Not gelungen, nicht durchzufallen, und die Lehrerin hatte mich kaum beachtet, mich nur hin und wieder ermahnt, mich mehr anzustrengen. Aus der Ferne aber hatte ich sie verehrt: ihren messerscharfen Verstand, ihre wilden Haare, ihre gestikulierenden Hände. Ich hatte es nie gewagt, ihr anzuvertrauen, wie schwer ich mich zu Hause mit dem Lesen ihrer Bücher tat, dass ich es selbst nach stundenlanger Arbeit nicht schaffte, auch nur die Hälfte ihrer Lesehausaufgaben zu erledigen. Von dem Moment an, in dem Lisa anfing zu lesen, flüssig und mühelos, wurde mir der Unterschied zwischen uns klar. Obwohl ich eine »ABC« war, was für »American-born Chinese« stand, war schriftliches Englisch eine Fremdsprache für mich.
Meine Lehrer hatten oft den Wunsch geäußert, mit Pa zu sprechen, doch er hatte sich nie getraut, zu Elternabenden in der Schule zu erscheinen. Er fand, sein Englisch sei zu schlecht, und ich glaube, er fühlte sich auch generell eingeschüchtert von diesen eloquenten Akademikern. Seine fehlende Bildung als Nudelmacher war ihm nur allzu deutlich bewusst. Sein Bruder, Onkel Henry, war der älteste Sohn und hatte eine gründliche Ausbildung in traditioneller chinesischer Medizin erhalten, auch wenn er kein offizielles Arztdiplom besaß. Für Pas Ausbildung war anschließend kein Geld mehr übrig gewesen. Einmal hatte ich den Vater einer Mitschülerin in der Schule erlebt, der sein Kind vor einem Lehrer verteidigt hatte, und für einen Moment hatte ich mich der Traumvorstellung hingegeben, es sei Pa. Mein Herz hatte einen kleinen Sprung gemacht. Einmal war Tante Monica an Pas Stelle in die Schule gekommen und hatte meinen Lehrern erklärt, dass ich mehr Zeit brauche, um zu Hause mit anzupacken, es sei eine Schande, dass mein Vater für uns kochen müsse. Als ich Pa davon erzählt hatte, hatte er ihre Hilfe von da an höflich zurückgewiesen. Umso wichtiger war es mir nun, dass ich gewissenhaft zu sämtlichen Elternabenden von Lisa erschien.
Als sie an diesem Abend das Buch aufschlug und zu lesen begann, gab ich mir Mühe, aufmerksam zuzuhören. Meine Arme und Beine waren bleischwer, und mein Rücken schmerzte von der gebeugten Haltung über dem Spülbecken. Ich war froh, endlich die Beine ausstrecken zu können. Ehe ich mich dessen versah, tippte mir Lisa zum zweiten Mal an diesem Tag auf den Kopf.
»Warum tust du das?«, protestierte ich und gab vor, die ganze Zeit wach gewesen zu sein.
»Ich dachte, wir lesen dieses Buch, um etwas für unsere Bildung zu tun«, sagte Lisa. »Wie soll das gehen, wenn du dabei schläfst?«
»Ich schlafe nicht.« Nach einer kurzen Pause fügte ich hinzu: »Jedenfalls nicht mehr. Wenigstens tun wir so etwas für deine Bildung.«
»Kann ich dir von der Stellenanzeige erzählen, bevor du wieder einpennst?«
Ich stöhnte genervt. »Wann hörst du endlich auf, so ein optimistischer kleiner Biber zu sein? Du weißt doch, dass ich ohnehin nicht eingestellt werde, und wenn doch, verliere ich den Job sofort wieder.«
»Aber nur, weil du noch nicht die richtige Arbeit für dich gefunden hast. Sieh dir das an.« Lisa hielt mir einen Fetzen Papier unter die Nase, den sie aus einer englischsprachigen Zeitung gerissen hatte. Vermutlich hatte sie die Zeitung in der Schulbibliothek zwischen die Finger bekommen, denn Pa kaufte nur chinesische Zeitungen, die weder Lisa noch ich lesen konnten.
Ich setzte mich aufrecht hin, um die Anzeige laut vorzulesen. »Empfangsdame für Tanzstudio gesucht.«
»Tanzstudio«, wiederholte Lisa leise und ehrfürchtig.
»Die nehmen mich sowieso nicht«, sagte ich. »Als Empfangsdame bin ich eine Niete, das müsstest du mittlerweile wissen.« Ich hatte ein paarmal versucht, außerhalb Chinatowns zu arbeiten, aber die Telefone, die ich hatte bedienen sollen, besaßen so viele Knöpfe, und Computer waren für mich ein Buch mit sieben Siegeln, weil wir zu Hause keinen besaßen und ich auch in der Schule nur ein paar Stunden Computerunterricht gehabt hatte. Am schlimmsten wurde es, wenn ich Termine notieren musste. Danach dauerte es meist nicht mehr lange, bis ich wieder in der Spülküche stand.
Meine letzte Stelle bei einer Buchhaltungsfirma hatte ich nur ein paar Tage behalten. Die Firma war klein und nicht sehr erfolgreich gewesen, und als wichtige Unterlagen nach Midtown gebracht werden sollten, hatte man keinen Kurier beauftragt, sondern mich geschickt. Ein großer Fehler. Wie immer hatte ich den richtigen Bus nicht gefunden und mich verlaufen. Als ich die richtige Buslinie schließlich doch noch entdeckt hatte, war mir aufgefallen, dass ich meinen Geldbeutel im Büro vergessen hatte. Entschlossen, den Auftrag dennoch erfolgreich zu erledigen, war ich schließlich die ganze Strecke gelaufen. Am Ziel angekommen, hatte ich auf den dicken braunen Umschlag hinuntergeblickt, den ich ausliefern sollte: Er war fleckig und zerknittert gewesen, weil ich ihn während des ganzen Wegs nervös in den Händen geknetet hatte. Wieder einmal war ich nach kurzer Zeit gefeuert worden.
»Vielleicht bist du ja in der Zwischenzeit besser geworden. Das letzte Mal ist schon eine Weile her.« Lisa nickte energisch mit dem Kopf, um mir zu zeigen, wie sicher sie sich dessen war.
»Das bezweifle ich.« Unwillkürlich spähte ich zu einem Foto von Ma hoch, das über uns an der Wand hing. Tanzstudios waren für Lisa und mich magische Orte, denn sie symbolisierten Mas leidenschaftliche Liebe zum Tanz und ihr großes Talent. Sie war gestorben, als Lisa erst drei Jahre alt gewesen war, aber wir hatten beide unsere Kindheit damit verbracht, immer wieder die Fotos von ihr zu bewundern: Ma, unglaublich jung mit siebzehn Jahren, in einem Kleid aus bestickter Seide, auf einem Bein balancierend und den Körper zur Kamera gedreht, einen weißen Fächer über dem Kopf schwingend; ein alter chinesischer Zeitungsausschnitt, auf dem eine Reihe Balletttänzerinnen der Tanzakademie bei einer diplomatischen Veranstaltung zu sehen sind; Ma im Vordergrund, in einem dramatischen Kostüm der Pekinger Oper, wie sie vor einem weißen Mann im Anzug einen Knicks macht.
Lisa konnte sich nicht mehr an Ma erinnern, aber ich schon. Seit Ma mit Pa in die Vereinigten Staaten gekommen war, hatte sie nie wieder vor Publikum getanzt. Sie sprach kein Englisch, kannte niemanden aus der Welt des Balletts, verstand nicht, wie das amerikanische System funktionierte. Schon bald war ihr Leben ohnehin von harter Arbeit aufgefressen worden. Aber sie hatte mir Ballettstunden gegeben, hatte sich nicht davon abhalten lassen, dass unsere winzige Wohnung so wenig Platz bot. Unter der Woche arbeitete sie Tag und Nacht als Kellnerin im selben Nudelrestaurant wie Pa, doch sobald sie einen freien Tag hatte, schob sie alle Möbel zur Seite und unterrichtete mich, während Pa in der Tür stand und zusah.
Es war weniger Ballett, was sie mir beibrachte, als vielmehr Turnen: Dehnübungen, Handstand, Liegestütze, Pirouetten – alles, was auf der begrenzten Fläche möglich war. Ich stellte mich sicher nicht besonders geschickt an, doch wenn Mas Hände mich sanft, aber bestimmt korrigierten, meine Hüfte, meine Arme, meinen Hals in die richtige Position schoben, fühlte ich mich stark und gelenkig und kam mir ausnahmsweise einmal nicht wie eine Versagerin vor. Wenn wir trainierten, wurde Ma zu einer anderen Person, dann wurde sie leidenschaftlich und schonungslos.
»Wir müssen das jetzt machen, solange du noch jung bist«, erklärte sie. »Diese Biegsamkeit und Kraft werden dich danach nie wieder verlassen.«
Ich weiß noch, dass ich mich immer darüber gewundert hatte, warum Pa in der Tür stehen blieb und zusah, obwohl er dabei so traurig wirkte.
Unter den Fotos von Ma, die bei uns an der Wand hingen, stand ein großes Glas, auf das Lisa mit ihrer runden, kindlichen Schrift »Broadway-Geld« geschrieben hatte und das wir mit Werbeflyern für verschiedene Broadway-Musicals beklebt hatten. In dem Glas befanden sich Geldscheine und Münzen, denn Lisa und ich sparten seit Jahren darauf, mit Pa zu einer Broadwayaufführung zu gehen. Wenn er die Tänzerinnen sah, würde Ma zu ihm zurückkehren, wenn auch nur für eine oder zwei Stunden, so glaubten wir. Welches Musical es werden sollte, hatten wir noch nicht festgelegt, da wir nicht wussten, wann wir genug für drei Eintrittskarten zusammenhaben würden. Ich hatte das Geld erst kürzlich gezählt und festgestellt, dass es bisher nur für eine Person reichte.
Ich senkte meinen Blick wieder auf die Stellenanzeige. Allein die Vorstellung, in einem Tanzstudio zu arbeiten, erschien mir wie ein Traum. Ich würde jeden Tag den Tänzern zusehen können.
Lisas Stimme riss mich aus meinen Gedanken. »Am Montag ist der Vorstellungstermin. Was hast du zu verlieren?«
Am nächsten Morgen wachte ich davon auf, dass Pa sich leise in unserer Kochnische zu schaffen machte. Es war Sonntag, und Pa und ich hatten frei. Zwischen dem Wohnzimmer, in dem Lisa und ich schliefen, und der winzigen Küchenzeile gab es nur einen offenen Durchgang, keine Tür, und in diesem Durchgang befanden sich die Altäre für Ma und für unsere Vorfahren. Pa machte jeden Morgen Frühstück für Mas Geist, obwohl ihr Tod nun schon acht Jahre her war. Überhaupt aßen wir zu Hause keinen Bissen, ohne die Speisen vorher vor Mas Altar gestellt und sie ihr angeboten zu haben. Auf dem Altar stand ein gerahmtes Portraitfoto von ihr als junge Frau. Pa zündete gerade ein Räucherstäbchen an und murmelte: »Hier ist dein Tee, Liebes.«
Bis Lisa und ich meine Matratze und unser Bettzeug beiseitegeräumt hatten, hatte Pa bereits die chinesische Eiertropfensuppe fürs Frühstück zubereitet und unsere Schüsseln auf einen kleinen Tisch vor Mas Altar gestellt. Lisa und ich traten hinzu, um uns vor Ma zu verneigen und Räucherstäbchen für die Götter anzuzünden. Nachdem Mas Geist gegessen hatte, nahmen wir die Schüsseln mit ins Wohnzimmer und setzten uns an den Plastiktisch, um selbst unser Frühstück einzunehmen.
Als älteste Frau im Haus hätte ich eigentlich die meiste Hausarbeit übernehmen müssen, aber ich hatte mich von Kindesbeinen an unfähig gezeigt, häusliche Fähigkeiten zu erlernen, hatte mich bei jedem Kochversuch verbrannt und den Boden so schlecht gefegt, dass Ma es noch einmal tun musste. Zum Glück war Pa ein hervorragender Koch, und wir nahmen zusätzlich oft Reste aus dem Restaurant mit nach Hause. Es schien ihm nichts auszumachen, dass ich so unbeholfen war, auch wenn ihn Onkel Henry und Tante Monica oft dafür rügten, dass er mich zu sehr verwöhnte.
Während wir zu dritt um den Klapptisch saßen, rührte ich meine Suppe um, um sie abzukühlen, erst im Uhrzeigersinn und dann in die andere Richtung.
Pa schüttelte missbilligend den Kopf. »Manche sagen, dass es Glück bringt, wenn man im Uhrzeigersinn rührt, andere behaupten, man müsse gegen den Uhrzeigersinn rühren. Aber willkürlich in beide Richtungen ist sicher nicht der richtige Weg.«
»Entschuldige«, sagte ich. »Ich war gerade in Gedanken. Pa, meinst du, mich könnte morgen Nachmittag jemand in der Spülküche vertreten?«
Er hob mit besorgter Miene den Kopf. »Warum? Fühlst du dich nicht gut?«
»Vorstellungsgespräch.« Mir war klar, dass wir jeden Cent brauchten, den Pa und ich zusammen verdienen konnten, und so wurde ich von heftigen Schuldgefühlen gepackt, wenn ich daran dachte, wie viel Geld uns entging, wenn ich zu diesem Termin ging. Und das, obwohl ich vermutlich ohnehin keine Chance hatte. Also schüttelte ich den Kopf und ruderte zurück: »Nein, schon gut, ich muss da nicht hin …«
»Doch, doch«, ermunterte mich Pa. »Das ist doch gut, sehr gut sogar. Du verdienst wirklich ein besseres Leben. Um was für ein Unternehmen geht es denn?«
Lisa und ich tauschten vielsagende Blicke aus. »Eine Computerfirma«, antwortete sie.
»Es ist ein sehr bekanntes Unternehmen«, fügte ich hinzu. Wir wussten beide, dass Pa sich Sorgen machen würde, wenn er wusste, dass es um ein Tanzstudio ging. Wurden dort unanständige Tanzstile praktiziert? Würden die Männer dort versuchen, sich seiner Tochter unsittlich zu nähern? Und so weiter und so fort.
»In Ordnung«, sagte Pa. »Dann gehe ich heute beim Restaurant vorbei und informiere Mr Hu.«
Eine Stunde später verließ Pa die Wohnung, um einzukaufen und mit seinen Freunden im Gerüchtepark zu plaudern. Das war unser Spitzname für den großen Park in Chinatown. Lisa und ich nutzten die Zeit, um ein Outfit zu finden, das ich zum Vorstellungsgespräch anziehen konnte. Wir durchsuchten sämtliche Schränke, und es war wirklich ein Segen, dass Pa nie etwas wegwarf, denn am Ende entdeckten wir tief vergraben in einem Müllsack voller Kleidung, die man uns vermacht hatte, ein rotes Kleid. Es war so lang, dass ich es mit einem Gürtel raffen musste, damit ich nicht auf den Saum trat.
Meine Frisur war auch nicht gerade vorzeigbar. Erst kürzlich hatte ich Mrs Tam, der Inhaberin des Schönheitssalons in unserer Straße, erlaubt, sich an meinen Haaren auszutoben.
»Ich gebe dir einen Preisnachlass, weil wir Nachbarinnen sind«, hatte sie gesagt. »Vertrau mir, ich weiß, wie man junge Frauen in Schönheiten verwandelt.«
Trotz der Mehrkosten hatte ich mich also bereit erklärt, Mrs Tam eine Chance zu geben. Normalerweise schnitt Lisa mir die Haare. Mrs Tam hatte mir einen Stufenschnitt verpasst, um auf die Weise meine »Naturwelle zu betonen«, mit dem Ergebnis, dass meine dicken, widerspenstigen Haare nun wild in alle Richtungen abstanden. Als Mrs Tam das Ergebnis sah, riet sie mir zu einer Dauerwelle, um die Frisur zu retten, aber dafür hatte ich kein Geld mehr übrig.
»Gefunden!« Lisa zog einen langen roten Stoffstreifen aus einem alten Koffer und kam zu mir, um ihn mir um den Kopf zu wickeln und den Großteil meiner unvorteilhaften Frisur darunter zu verbergen.
Gemeinsam blickten wir in den Spiegel.
»Passt das Tuch denn farblich zum Kleid?«, fragte ich.
Lisa kniff die Augen zusammen. »Fast.«
»Muss reichen.« Das große, sackartige Kleid verhüllte meinen ganzen Körper, und das Tuch auf meinem Kopf sah aus wie ein roter Turban, dessen Enden an meinem Rücken herabhingen wie ein Tierschwanz. »Ist das nicht zu viel Rot?«
»Nein«, beruhigte mich Lisa, um Unterstützung bemüht. »Du siehst aus wie eine feurige Zigeunerin, Charlie.«
Ich umarmte sie rasch. Dann starrten wir auf meine derben Tellerwäscherschuhe hinunter.
»Die werden es schon tun«, sagte ich.
»Ich glaube, du solltest lieber hochhackige Schuhe tragen«, widersprach Lisa. »Tanzen Turniertänzerinnen nicht auch mit hohen Schuhen? Damit würdest du vielleicht einen besseren Eindruck machen. Außerdem hast du so hübsche Füße.«
»Schlauberger«, murmelte ich und ließ mich auf alle viere nieder, um erneut tief im Kleiderschrank zu kramen. Lisa wusste genau, wie sie mich überzeugen konnte. Meine schmalen, hoch gewölbten Füße waren das Einzige, was ich von Ma geerbt hatte. Lisa hatte sie immer »Cinderellafüße« genannt, bevor ich angefangen hatte, derbe Arbeitsschuhe zu tragen.
Schließlich grub ich das einzige Paar Pumps aus, das ich besaß. Die Absätze waren zerschrammt, und das schwarze Kunstleder blätterte im Bereich der Zehen ab und gab den Blick auf hellgraue Stellen frei.
»Warte.« Lisa wühlte in der Küchenschublade herum und zog einen schwarzen Filzstift daraus hervor.
Mit einer Schere schnitt ich die abstehenden Fetzen vom Schuh, bevor ich begann, mit dem Filzstift sämtliche grauen und abgeriebenen Stellen zu übermalen. Nachdem ich fertig war, sahen die Schuhe bei genauer Betrachtung immer noch furchtbar aus. Die bemalten Flächen besaßen eine vollkommen andere Struktur als das restliche Material, aber aus der Ferne war das Ergebnis vorzeigbar, wie ich fand.
»Sieht super aus«, lautete Lisas Urteil.
»Du hast bloß Angst, dass ich einen Rückzieher mache«, sagte ich.
»Hast du das denn vor?«
Ich warf einen Blick auf das Foto von Ma in ihrer grazilen einbeinigen Ballettposition, bevor ich erneut den großen roten Fleck betrachtete, der mir aus dem Spiegel entgegenleuchtete. »Tja, ich schätze mal, besser wird es nicht. Ich bin bereit.«