FRANK THÖMMES
Faszientraining
Physiologische Grundlagen, Trainingsprinzipien,
Anwendung im Team- und Ausdauersport sowie
Einsatz in Prävention und Rehabilitation
Vorwort
1
Was sind Faszien?
Faszien verbinden alles mit allem
Neue Sichtweisen durch neue Methoden
Beschaffenheit von Faszien
Bedeutung von Wasser
Scherengitterstruktur
Die Bedeutung der Viskoelastizität
Formgebende Aufgaben in unserem Körper
Dreidimensionale Struktur
Zahlreiche Funktionen
Faszien als Überträger von Kräften
Faszien als Speicher von Kräften
Faszien als Ort von Beschwerden und Schmerzen
Faszien als Ort der Wahrnehmung
Faszientraining und Schmerz
Das Phänomen Schmerz
Der Urinstinkt funktioniert nicht in der modernen Welt
Schmerz, lass nach!
Faszien als Linien durch den Körper – Myofascial Lines
Vorteile eines gut funktionierenden Fasziensystems
Tensegrity Modell – Spannung ist alles
Äußere Beeinflussung des Fasziensystems
Körperwahrnehmung
2
Grundprinzipien des Faszientrainings
SMR – Self Myofascial Release
Fascial Release zum Warm-up
Fascial Release zum Cool-down
Fascial Release zur Schmerzbekämpfung
Eigenwahrnehmung
Zusatzeffekt: Rumpfkräftigung
Übungsfolge »Klassische Stützpositionen
Übungsfolge »Instabile Stützpositionen
Übungsfolge »Alternierende Stützpostion
Faszienstretching
Fasziale Muskelelemente und ihre Anordnung:
Übungshinweise
Übungsfolge »Dehnungen mit verschiedenen Richtungen
Übungsfolge »Vorbereitende Gegenbewegung
Übungsfolge »Vorbereitende Gegenbewegung
Rebound Elasticity – der Katapulteffekt
Bedeutung des Katapult-Effektes für das Gehen und Laufen
Galloway-Laufmethode
Das Flexion-Relaxation-Phänomen
Dynamische Rumpfbeugung
Körperwahrnehmung – Sensory Refinement
Individualität akzeptieren
Schutz bei Rückenbeschwerden
Neue Einstellung zu Bewegung
3
Praktische Anwendungen
Wie arbeite ich mit der Blackroll?
Was sind Triggerpunkte?
Rückenbeschwerden
Trainingsprogramm für den Rücken
Übungen bei verspanntem Nacken
Übungen für den Büroalltag
Übungen für Walker und Läufer
Faszienstretch für Fortgeschrittene
SPECIAL für Sportler
Beweglichkeit vor Stabilität
Fasziales Laufen
Vom gedämpften Laufschuh zum Barfußlaufen
4
Praktische Zusatztools
Rollen und Bälle.
Harte Rollen – Blackroll Groove
Einsatz und Vorteil der Blackroll Doppelbälle
Weitere Anwendungsoptionen der Doppelbälle
Der Autor
Links
Literaturempfehlungen
Impressum
Faszien sind mehr als reine Verpackungsmaterialien. Seit einigen Jahren hat sich diese Ansicht endlich auch in den bewegungstherapeutischen Disziplinen durchgesetzt. Osteopathen, Rolfer und Manualtherapeuten nutzen schon seit längerer Zeit Techniken, um gezielt von außen Einfluss auf das Bindegewebe zu nehmen, dessen integrierende und vielfältige Funktion uns erst in den letzten Jahren bewusst wurde.
Neu ist das Wissen, dass durch geeignete Bewegungsbelastungen die Architektur des körperweiten Faszien-Netzwerks gezielt verändert werden kann. Faszien sind trainierbar! Das ist die Botschaft, die dieses Buch meines Kollegen Frank Thömmes sehr anschaulich, fundiert und leserfreundlich vermittelt. Die Auswirkungen eines funktionierenden, elastischen Fasziensystems und dessen Bedeutung für Körpergefühl, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit in allen Lebenslagen wird aus der Sicht eines erfahrenen Sportwissenschaftlers umfassend dargelegt. Ziel eines solchen Trainings ist es, die körpereigenen Bindegewebszellen zur Schaffung eines verletzungsresistenten, kräftigen und gleichzeitig geschmeidig-flexiblen Bindegewebsnetzwerkes anzuregen.
Dieses Buch vermittelt sowohl die neuen theoretischen Grundeinsichten zum Faszientraining als auch eine umfassende und gelungene Auswahl an praktischen Übungen, die Sie unmittelbar in Ihren Alltag sowie Ihr sportliches Workout integrieren können.
Dr. Robert Schleip
Leiter des Fascial Research Center Uni Ulm
Wahrscheinlich weiß jeder, dass das Wort Bindegewebe ein Synonym für den Ausdruck Faszien ist. Doch fehlte bisher die konkrete Vorstellung, um welche Art von Gewebe es sich hierbei im Detail handelt.
Dieses Wissen ist nun verfügbar und vor allem nutzbar. Die Funktion, die Bedeutung und vor allem die Trainierbarkeit dieses besonderen Gewebes ist mittlerweile wissenschaftlich besser erforscht, es wird aber nur langsam in Trainingsabläufe integriert. Gehören Sie mit zu den Ersten, die dieses neue Wissen für ihr Fasziensystem nutzen!
Der Begriff Faszien fristete im Allgemeinen wie im fachlichen Sprachgebrauch bisher eine eher untergeordnete Rolle. Faszien waren uns bisher besser bekannt unter der Bezeichnung Bindegewebe. Seit dem internationalen Faszienkongress 2007 in Vancouver wird aber nun einheitlich ein weiter, umfassenderer Begriff der Faszien synonym zu Bindegewebe verwandt. Dazu gehören alle kollagenen (eiweißartigen), faserigen Bindegewebe, verstanden als Teil eines körperweiten Netzwerks.
Neben der umfassenderen Benennung startete auch die Neubewertung der Funktion dieser netzwerkartigen Faszien im medizinischen Sprachgebrauch und hält weiter unvermindert an. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse lassen den Schluss zu, dass dieses bisher eher als Verpackungsmaterial betrachtete Gewebe sehr wichtige Funktionen in verschiedenen Bereichen des menschlichen Lebens spielt, die bisher nicht beachtet oder anderen Strukturen zugeschrieben wurden.
Möglich wurden die zum Teil revolutionären Betrachtungsweisen und Konsequenzen durch neue und verbesserte Technologien sowie Messmethoden.
Realtime-Ultraschallgeräte, magnetische Impedanzmessung und funktionelle Magnetresonanztomographie ermöglichen heute Einblicke in Strukturen und Zusammenhänge, die früher nicht möglich gewesen waren. Die anatomischen und funktionelle Bezeichnungen und Wirkungsweisen, mit denen zum großen Teil auch heute noch therapiert und trainiert wird, basieren auf eher klassischen oder sogar historischen Untersuchungsmethoden wie dem Sezieren. Das Wissen, das noch in zahlreichen Anatomiebüchern Prüfungsstoff darstellt, ist lediglich für die Absolvierung dieser Prüfungen zu rechtfertigen. Wer tiefere Einblicke in Funktionen und Zusammenhänge des menschlichen Körpers und seiner Bewegung erlangen möchte, muss diese tradierten Pfade verlassen. Dies wird in den Bewegungswissenschaften durch das neue Konzept des funktionellen Trainings ebenfalls sichtbar. Auch hier werden komplexe Zusammenhänge stärker in den Vordergrund gestellt, als es bisher bei isoliert betrachteten Systemen wie Kraft, Ausdauer oder Koordination der Fall war.
Eines wird dabei immer deutlicher: Menschliches Leben ist ein sehr komplexes System, insbesondere die Koordination innerhalb dieses Systems. Hier waren uns die östlicheren Kulturkreise bisher einen großen Schritt voraus.
Diese Erkenntnisse über die Bedeutung und die Funktionalität unseres Fasziensystems eröffnen jedem nun neue Möglichkeiten im Bereich Gesundheit, Fitness und Sport. Denn eines ist klar: Faszien sind trainierbar! Der Frage nach dem Wie wird in diesem Buch für verschiedenen Bereiche des menschlichen Lebens nachgegangen. Seien Sie gespannt!
Faszien bestehen aus Wasser, Kollagen (Eiweiß), Zucker-Eiweißverbindungen sowie verschiedenen Klebstoffen. Diese Bestandteile verweben sich zu Strängen, Beuteln, Taschen und Umhüllungen. Die Anpassungsfähigkeit des Bindegewebes macht ihre strukturelle Einzigartigkeit aus. Die Beschaffenheit wird sehr stark durch die täglichen Anforderungen bestimmt. Daraus resultieren unterschiedliche Längen, Stärken und Gleit- sowie Reißfestigkeit des Gewebes. Dabei ist dieses kollagene Gewebe so aktiv, dass es sich innerhalb von sechs Monaten einmal vollständig erneuert.
Wasser spielt bei der Funktionalität der Faszien eine wichtige Rolle. Zu hohe oder einseitige Belastungen und Bewegungsmangel führen zu einer Dehydration (Entwässerung) des Gewebes. Dadurch geht dem Bindegewebe die Elastizität und damit die Belastungs- und Regenerationsfähigkeit verloren. Bis in die kleinsten Fasern ist dieses System hydraulisch organisiert und extrem anpassbar in Form und Länge.
Die Anordnung der Faszien ist von besonderer Bedeutung für deren optimale Funktionalität und damit auch Gesundheit. Die Gitteranordnung erlaubt eine maximale Reißfestigkeit bzw. Dehnung ohne die Gefahr einer strukturellen Verletzung dieser Anordnung. Bei einer zu geringen, einseitigen oder zu intensiven Nutzung dieser Funktionalität lässt diese allmählich nach. Dies führt zum Verlust der hohen Elastizität. Bei jungen und trainierten Menschen sind optimale Strukturen häufiger anzutreffen als bei älteren oder untrainierten Personen.
Das Fasziensystem ist bis in die kleinsten Einheiten mit Wasser durchsetzt. Vor allem die elastischeren Fasern verfügen über einen hohen Wasseranteil. Unelastischeren Fasern hingegen mangelt es an Flüssigkeitsanteilen und deshalb auch an Viskoelastizität, der Fähigkeit, dehnbar mit gleichzeitig hoher Zugfestigkeit zu sein. Für die praktische Trainingsarbeit bedeutet dies vor allem, gezielte Pausen für das Fasziensystem und dessen Hydration einzusetzen (vgl. Galloway-Methode für Läufer).
Faszien haben die Eigenschaft und Fähigkeit, unterschiedlichste Strukturen wie Knochen, Muskeln, Organe miteinander zu verbinden, damit alles an seinem Platz bleibt und die jeweilige Funktion erfolgen kann. Dabei sind zum Teil beachtliche Anpassungen erforderlich. Außerdem bildet sich an Stellen, an denen Strukturen des Körpers verletzt oder beschädigt wurden, neues Bindegewebe, um die entstandene Lücke – wie bei einer Schnittverletzung – wieder zu schließen. Faszien sind überall im Körper und grenzen selbst kleinste Einheiten voneinander ab.
Faszien sind in vielen verschiedenen Ebenen angeordnet. Von der Haut, die unseren Organismus zur Außenwelt abgrenzt bis hin zur Knochenhaut, die unsere Knochen umhüllt, geben Faszien unserem Körper Form und Struktur.
Dieses körperweite Netzwerk durchdringt den Körper von oben nach unten, von vorne nach hinten und von außen nach innen.
› Epimysium + Aponeurosen
› Perimysium + Septen
› Endomysium
Die klassische Einteilung unseres Bewegungsapparates in einen aktiven und passiven Teil entspricht nach dem aktuellen Kenntnisstand der Faszienforschung nicht mehr der Realität. In den Muskeln wird die Energie bereitgestellt, um Muskelkontraktionen zu bewirken. Diese Kräfte müssen auf die Knochen beziehungsweise unser Skelettsystem übertragen werden, um Bewegungen der Gelenke und damit des Körpers zu erzeugen. Die Verbindung zwischen Muskeln und Knochen wird durch Faszien hergestellt, indem die Faszien sich in Form von Sehnen am Knochen befestigen. Jede Sehne unseres Körpers ist folglich eine Faszie. Aber auch alle gelenkstabilisierenden Bänder, die das Gelenk in seiner angedachten Bewegungsform führen, sind Faszien und befestigen Anteile verschiedener Knochen miteinander. Faszien übertragen also Kräfte auf unser Skelett und nehmen demnach eine sehr wichtige Funktion im aktiven Bewegungsapparat ein – und sind damit auch häufiger von Beschwerden betroffen. Neben der reinen Kraftübertragung auf ein Gelenk ist jedoch vielmehr die flächenförmige Verteilung von Kraft, das Bilden eines Spannungsnetzwerks in Bewegung, entscheidend. Diese Spannungswirkung ist sehr komplex und kann gut oder weniger gut koordiniert sein – je nach Leistungs- und Koordinationsfähigkeit des umspannenden Fasziensystems.