Königin der Herzen
Charismatische Herrscherin, Ikone Preußens, Leitfigur der Befreiungskriege. Kaum eine Herrscherin hat in nur 34 Lebensjahren so viel Sympathie und Aufmerksamkeit auf sich gelenkt wie Luise von Preußen. Christine Gräfin von Brühl, deren Familiengeschichte mit der Luises verbunden ist, wirft einen ganz persönlichen Blick auf eine der faszinierendsten Persönlichkeiten der deutschen Geschichte.
Luise von Preußen (1776-1810) erlangte nach ihrer Heirat mit Friedrich Wilhelm III. dank ihrer Schönheit und Güte eine Popularität, die sie weit über die Grenzen des Landes hin bekannt und beliebt machte. Nach ihrem überraschend frühen Tod im Alter von 34 Jahren wird sie zur „Königin der Herzen“. Novalis, Kleist, Jean Paul, August Wilhelm Schlegel huldigen ihr in ihren Werken. Der Luisenkult ist Geschichte, doch die Verehrung der preußischen Monarchin seit nunmehr 200 Jahren ungebrochen. Entlang der wichtigsten Lebensstationen Luises (der heutigen sogenannten Königin-Luisen-Route) über Hohenzieritz, Neustrelitz, Gransee und Paretz bis nach Berlin zum Mausoleum im Park von Schloss Charlottenburg, wo die Königin bestattet wurde, folgt diese Biographie einem faszinierenden Leben, das die Menschen bis heute bewegt.
Die preussische Madonna
Auf den Spuren der Königin Luise
Für Dr. Mechthild Wolf,
die mir die Mark in endlosen gemeinsamen Wanderungen erschlossen hat
Inhaltsübersicht
Informationen zum Buch
Vorwort
1. Schloss Hohenzieritz – Ein jähes Ende
2. Luise lebt! – Faszination und Mythos
3. Neustrelitz und Mirow – Luises Herkunft und Familie
4. Fürstenberg – Hochzeit und Leben in Berlin
5. Dannenwalde und Gransee – Pferdewechsel und Nachtwache
6. Schloss Oranienburg – Niederlage und Flucht vor Napoleon
7. Paretz – Erntedank und Rückkehr aus dem Exil
8. Mausoleum Charlottenburg – Vom Mythos zum Kult
9. Ein Nachhall wie Donnerschlag – Die preußische Madonna
Anhang
Anmerkungen
Zeittafel
Bibliographie
Personenregister
Dank
Bildnachweis
Über Christine von Brühl
Impressum
Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …
Die Geschichte meiner Familie war immer eng mit der Geschichte Preußens verwoben. Obwohl man die Brühls eher mit Sachsen und der Niederlausitz verbindet, wo sie bis zum Zweiten Weltkrieg in ihrem eigentlichen Stammschloss Pförten residierten, finden sich im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Mitglieder der Familie, die auch Ämter am königlichen Hof in Berlin oder Potsdam bekleideten.
So war es ein Graf von Brühl, Carl Adolph mit Vornamen (1742–1802), in manchen Quellen Charles genannt, der zum Erzieher und später Oberhofmeister des Kronprinzen Friedrich Wilhelm ernannt wurde, des späteren Königs und Ehemannes Luise von Preußens. Er zog mit seiner Familie ins oberste Stockwerk des Kronprinzenpalais’ am Prachtboulevard Unter den Linden in Berlin, wo Friedrich Wilhelm wohnte, und wich dem Regenten nicht mehr von der Seite.
Wenn Carl Adolph Brühl auch nicht so lange am preußischen Hof tätig war wie sein Gegenpart Sophie Marie Gräfin von Voss, die Oberhofmeisterin der Königin Luise, und anders als diese auch keineswegs darüber Tagebuch führte, befand er sich doch in den entscheidenden Jahren der Jugend und Regentschaft Friedrich Wilhelms in seiner unmittelbaren Nähe. Die Tagebuchaufzeichnungen von Sophie von Voss1, Ende des 19. Jahrhunderts publiziert, bieten bis heute eine Fülle an Informationen über das Leben am preußischen Hofe. Ähnlich viel hätte auch Oberhofmeister Carl über seinen Schützling und späteren königlichen Dienstherrn zu berichten gehabt.
Auch der Bruder Carl Adolphs, Heinrich Graf von Brühl (1743–1792), stand in preußischen Diensten. Er war königlicher Generalmajor und Gesandter in München. Sein jüngster Bruder, Hans Moritz (1746–1811), wohnhaft in dem kunsthistorisch interessanten schinkelschen Schloss Seifersdorf bei Dresden, ging seinerseits als »Chaussee-Brühl« in die Annalen der Geschichtsschreibung ein: Er war verantwortlich für die Straßen und Wege des Landes. Hans Moritz’ einziger Sohn Karl (1772–1837), sein Name wird bisweilen auch mit »C« geschrieben, wurde Generalintendant der Berliner Museen sowie des königlichen Schauspielhauses am Gendarmenmarkt. Er lebte in einer Wohnung im Magnus-Haus, direkt am Kupfergraben im Bezirk Berlin-Mitte, und schrieb mit seinen Inszenierungen, insbesondere der »Zauberflöte«, zu der niemand anderes als Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) selbst das Bühnenbild schuf, Theatergeschichte. Unter seiner Ägide kamen auch die Werke Heinrich von Kleists endlich in Berlin zur Aufführung. Während sein Vorgänger August Wilhelm Iffland die Stücke rigoros abgelehnt hatte, wurden unter Brühls Generalintendanz sowohl »Käthchen von Heilbronn« als auch »Prinz Friedrich von Homburg«, »Der zerbrochne Krug« und »Familie Schroffenstein« am Gendarmenmarkt auf die Bühne gebracht.
Auch einige weibliche Mitglieder der Familie brachten es in dieser Zeit zu Ruhm: Christina Gräfin Brühl (1756 bis 1816), genannt Tina, eine geborene Schleyerweber und Ehefrau des »Chaussee-Brühls«, war mit zahlreichen Geistesgrößen ihrer Zeit befreundet und korrespondierte eifrig mit Herder und Wieland. Goethe widmete ihr einige seiner Gedichte. Unweit von Seifersdorf legte sie einen wundersamen Landschaftsgarten an und schmückte ihn mit Skulpturen aus Stein mit gemeißelten, sinnreichen Zitaten und sentimentalen Erinnerungsarchitekturen. Heute noch kann man dort angenehm durch den schattigen Grund des Rödertals spazieren.
Auch Marie Gräfin von Brühl (1779–1836), Tochter des Oberhofmeisters Carl Adolph Brühl und seiner Gattin, einer gestrengen Engländerin namens Sophie Gomm, war am preußischen Hof keine Unbekannte. Sie heiratete Carl von Clausewitz, Schüler von Gerhard Johann Scharnhorst, sowie später preußischer General und Militärtheoretiker, und stand ihm bei den Aufzeichnungen zu seiner berühmt gewordenen Publikation »Vom Kriege« hilfreich zur Seite. Auf der Basis ihres intensiven Briefwechsels mit Clausewitz verfasste sie das Vorwort zu dem bekannten Handbuch und bemühte sich intensiv um seine Verbreitung.
Eine einzige Ausnahme gibt es in der Geschichte, die zeigt, dass die Beziehungen der Brühls zu Preußen nicht immer von gegenseitiger Sympathie geprägt waren. Allein die Berühmtheit der Person, die dafür verantwortlich war, hat dazu beigetragen, dass diese Episode die Wahrnehmung der preußisch-sächsischen Geschichte bis heute negativ geprägt hat. Sie hat auch den Ruf der Familie Brühl im damaligen Berlin einigermaßen beeinträchtigt. Niemand Geringerer als Friedrich II. von Preußen (1712–1786) war es, den man mit der Nennung unseres Familiennamens innerhalb von Sekunden zur Weißglut bringen konnte. Der Zorn, den er gegen meinen Urahn Heinrich Graf von Brühl (1700–1763) hegte, sächsischer Premierminister Augusts III. und Erbauer der nach ihm benannten Brühlschen Terrassen in Dresden, war legendär. Während der Preußenkönig dafür bekannt war, dass er seine Truppen zu größter Disziplin ermahnte und keinerlei Brandschatzung oder Plünderungen duldete, wich er im Fall Brühl von diesem Prinzip ab: Im Siebenjährigen Krieg, den Sachsen an der Seite erst Russlands und später Österreichs gegen Preußen verlor, gestattete er seinen Soldaten, sämtliche Besitzungen Brühls, wo auch immer sie sich befanden, auszurauben und zu zerstören.
Der Premier floh im Gefolge seines Königs nach Warschau, wo die sächsischen Herrscher zu der Zeit polnische Könige waren, doch das war Friedrich II. keineswegs genug: Auch Heinrich Brühls Frau Marianne (1717–1762), eine geborene Kolowrat-Krakowsky, musste die barocke Elbestadt auf Geheiß des preußischen Königs umgehend verlassen. Im sächsischen Landesarchiv ist der Brief einsehbar, in dem sich Friedrich II. über die Frau des Ministers erboste. Intrigen würde sie in Dresden gegen ihn spinnen und die Soldaten dazu ermutigen, zu desertieren: »Es gibt nichts Einfacheres als sich zu rächen, wenn man es will. Es soll Ihnen genügen, zu wissen, dass ich dazu im Stande bin, und dass Ihr Mann und Sie meine Geduld nicht ausnützen sollten, sonst werden Sie entsetzliche Folgen zu spüren bekommen«, schreibt ihr der böse Friederich am 1. April 1757 auf Französisch.
Von anderen damaligen Brühlschen Familienanwesen wie Schloss Nischwitz bei Leipzig wird berichtet, nur der Hinweis des ansässigen Pfarrers, das Feuer könne auf die nahe gelegene Kirche übergreifen, wenn die preußischen Truppen das Schloss anzündeten, habe die Soldaten von der Brandschatzung abhalten können. Ein Glück, dass der Kirchenmann so beherzt eingegriffen hat, denn das Schloss, das zwischenzeitlich als Krankenhaus und Altersheim diente, ist vor einiger Zeit hergerichtet worden und stellt heute wieder ein Kleinod dar wie ehedem. Sowohl das Treppenhaus als auch den Gartensaal schmücken herrliche Wandmalereien. Hinter dem Anwesen erstreckt sich der weitläufige Landschaftspark mit seinen hohen, alten Bäumen, weiten grasbewachsenen Fluren und nur einigen wenigen Blumenrabatten. Die verschlungenen Pfade führen zu einem erhöhten Ufer, von dem man hinaus ins flache Land und bis zum Mulde-Fluss hinübersehen kann.
Bisweilen mieten Studenten der Leipziger Universität das Schloss für ihren jährlichen Maskenball. Dann beleuchten Fackeln die dunklen Parkwege, und die Wipfel der Bäume zaubern wilde Schatten auf die Schlossmauern. Die bodentiefen Fenster im ebenerdig liegenden Gartensaal stehen weit offen, und junge Leute, verkleidet mit bunten Masken und höfischen Gewändern, strömen übermütig kichernd zur Polonaise ins Freie. Man könnte meinen, die Zeit sei stehengeblieben.
Warum Friedrich II. den Minister nicht mochte, ist nie abschließend ergründet worden. Ob er sich mit seiner harrschen Vorgehensweise dafür rächen wollte, dass Heinrich Brühl das Angebot ausgeschlagen hatte, am preußischen Hof zum Berater zu avancieren? Oder ob Friedrich Sachsen und seine Regierung nebst ihrem Premier grundsätzlich ablehnte, weil sie sich im Siebenjährigen Krieg auf die Seite Österreichs geschlagen und ihm seine Provinz Schlesien hatte abspenstig machen wollen? Friedrich muss eine Art Hassliebe für den Minister gehegt haben, sonst hätte er nicht versucht, ihn zu engagieren. Doch Heinrich zog es vor, seinem sächsischen König treu zu bleiben. Schließlich hatte er seine Karriere schon als Page am Dresdner Hof begonnen. Wer weiß, ob er in Potsdam je zu einem derart einflussreichen Mann hätte werden können.
Und er war sicher gut beraten. Das Vertrauen, das die sächsischen Herrscher Brühl entgegenbrachten, allein die herrschaftliche Hofhaltung, die ihm August III. zugestand, sprechen eindeutig dafür. Nicht zuletzt die prächtige Gemälde- und Kunstsammlung sowie das weltberühmte Schwanenservice aus Meißener Porzellan, die er während dessen Regentschaft erwerben konnte, beweisen, dass es richtig gewesen war, sich gegen den Preußenkönig zu entscheiden. Heute gelten die Kunstwerke, die Brühl einst erwarb, als Schätze europäischen Ranges und gehören zu den herausragenden Exponaten in Museen wie den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden oder der Eremitage in St. Petersburg.
Die Brühls haben Friedrich II. seine mangelhaften Umgangsformen nie nachgesehen. Bis heute trägt der Preußenkönig in Familienkreisen allenfalls den Beinamen »Zwo« oder »der Kleine«.
Doch es geht hier weniger darum, die Parallelen zwischen der Geschichte Preußens und der Familie Brühl zu schildern. Sie zeigen lediglich Spuren der Vergangenheit, die bis in die Gegenwart reichen, auch in meine eigene Gegenwart. Das entbehrt nicht einer gewissen Faszination. Die verwandtschaftliche Nähe zu Menschen, die sich in unmittelbarer Umgebung von Luise von Preußen aufhielten, bestärkte mich in dem Vorhaben, dem Leben dieser ungewöhnlichen und faszinierenden Frau nachzuspüren und es aufzuzeichnen. Vieles von dem, was man inzwischen über sie weiß, klingt heute widersprüchlich oder ist nur schwer nachvollziehbar. Luise von Preußen muss derart anmutig und schön gewesen sein, dass jeder, der sie zum ersten Mal sah, fasziniert und hingerissen war. Dabei war sie so ungebildet, dass einige ihrer Briefe wie Kinderreime klingen oder wie die Tagebucheinträge eines Backfisches. Dennoch muss sie einen nicht unerheblichen Einfluss auf die politischen Entscheidungen ihres Mannes, König Friedrich Wilhelms III., gehabt haben.
Viele ausgezeichnete Bücher sind über sie und ihre Zeit erschienen. Man denke allein an »Königin Luise« von Gertrud Mander, »Ein Stern in Wetterwolken« von Heinz Ohff oder »Preußens Luise« von Gunter de Bruyn, nicht zuletzt auch sein wunderbares Werk »Als Poesie gut«, um nur einige wenige zu nennen. Großartig auch das Buch »Luisenkult. Die Unsterblichkeit der Königin von Preußen« von Philipp Demandt. Aus ihnen wird in vorliegender Biographie wiederholt zitiert werden. Was an Luise bis heute fasziniert, waren ihr unprätentiöser Charme und ihre Herzensbildung. Sie hat es geschafft, Menschen jeglicher Herkunft rückhaltlos für sich zu gewinnen, und diese Zuwendung immer mit freundlicher Anteilnahme erwidert. Sie war eine Lady Di des 19. Jahrhunderts, eine preußische Sissi, doch im Gegensatz zu diesen Frauen blieb sie sich selbst immer treu. Sogar als die Verehrung für Luise längst die Züge eines Starkults angenommen hatte, als die Menschen vor Glück jubelten, schon wenn sie ihrer ansichtig wurden, blieb sie freundlich und ohne Allüren, gab sie sich direkt, aufrichtig und liebevoll zugewandt. Was ihr intuitiv naheliegend und selbstverständlich erschien, was das Allermenschlichste war, das hat sie prompt getan – und damit lag sie bis zuletzt immer richtig.
Dabei war sie auf diese Aufgabe keineswegs vorbereitet worden. Sie war eine unerfahrene, ungebildete kleine Prinzessin, geboren 1776 in Hannover als Tochter eines weichherzigen Vaters, wohnhaft in Hannover, und einer Mutter, die schon früh verstorben war, aufgewachsen in Darmstadt bei der Großmutter ohne echten heimatlichen Bezug. Niemand hatte sie auf das Leben und die Aufgaben einer Königin vorbereitet. Aber sie ließ sich nicht beirren, blieb ihrem Mann, dem König, treu, erwiderte seine Liebe, hielt unverbrüchlich zu ihren Kindern und war – was sie selbst anbetrifft – nie wehleidig. Luise hat sich nie beklagt. Sie scheint eine unerschütterliche Frohnatur gewesen zu sein, eine Frau, die bei aller femininer Leichtfüßigkeit und Emotionalität anstandslos und zuverlässig das tat, was von ihr erwartet wurde. Dieses Selbstverständnis einer Frau, diese Unerschütterlichkeit in seinem innersten Wesen zu begreifen, das ist meine eigentliche Intention. Denn dadurch – davon bin ich überzeugt – entfaltet Luise von Preußen bis heute ihre ungeheure Wirkungskraft.
Die vorliegende Biographie begibt sich auf die letzte Kutschfahrt der Königin, die Strecke, die ihr Sarg nach ihrem Tod von Hohenzieritz zurück an den königlichen Hof genommen hat. Sie führt durch Mecklenburg, Brandenburg und Berlin, streift Ortschaften wie Neustrelitz, woher ihre Familie stammte, Dannenwalde, wo die Pferde gewechselt wurden, oder Gransee, wo der Sarg der Königin unter unbeschreiblicher Trauer und Anteilnahme der Bevölkerung eine Nacht lang auf dem Marktplatz aufgebahrt wurde. Die einzelnen Stationen werfen Schlaglichter auf die Jugendzeit Luises in Darmstadt oder ihre Flucht vor Napoleon und die Jahre im ostpreußischen Exil, Lebensabschnitte, die sie nicht in dieser Region zubrachte. Die Beschreibung endet im Berliner Park von Schloss Charlottenburg, in dem Luise in einem eigens für sie errichteten Mausoleum ihre letzte Ruhestätte fand.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen dabei Plätze, an denen man heute noch authentisch ihrer Präsenz nachspüren kann, die Kastanienallee in Groß Gievitz, durch die sie, fernab von Hof und Gesellschaft, gemeinsam mit dem Kronprinzen spazierte, ihr Schlafzimmer in Charlottenburg, in dem ihr Bett steht, ihre Bürste, der Kamm und der Spiegel zu sehen sind, die sie bei der allmorgendlichen Toilette benutzte, oder die Stelle im Park von Hohenzieritz, wo sie ihre letzte Tasse Tee im Freien einnahm, bevor sie starb. Ziel ist es, den Mythos Luise begreifbar zu machen, den Mantelsaum dieser Frau zu fassen zu kriegen, die eine derartige Faszination bei vielen ihrer Zeitgenossen auslöste.
Geschichte kommt von Geschichten erzählen, eine Tradition, die in Adelsfamilien schon immer ganz besonders gepflegt wurde. Es macht die Vergangenheit plastisch und verständlich. Interessanter noch sind Geschichten, die einen klaren Bezug zur Realität haben, eine Verbindung zwischen Gestern und Heute. Wer mit seinen Kindern oder Freunden durch den Berliner Tiergarten spaziert und ihnen etwas über die Königin Luise erzählen kann, an deren Standbild sie gerade vorbeigelaufen sind, macht diesen Spaziergang lebendig und anschaulich. Wer durch Darmstadt oder Frankfurt wandert und weiß, dass die mecklenburgische Prinzessin mit ihrer Schwester vor Jahrhunderten hier zugegen war, entdeckt Ansichten einer Stadt und macht Augenblicke erlebbar, die anderen flüchtigen Besuchern verborgen bleiben. Er stellt eine Nähe zwischen sich und dem Ort her, an dem er sich befindet und lebt. Das vermittelt ihm Vertrautheit und Zugehörigkeit, auch Selbstvertrauen. Zu nicht mehr, aber keineswegs weniger leistet die Beschäftigung mit Geschichte ausgezeichnete Dienste.
Strahlend schön hebt sich Schloss Hohenzieritz in cremefarbenem Weiß vom dichten, sommerlich grünen Laub der Parkbäume ab. Unübersehbar glänzt das Wappen der Herzöge von Mecklenburg-Strelitz am Giebel in leuchtendem Rot, Blau und Gold. Steile Treppen führen zum Eingang hinauf. In der vornehmen grauen Eingangstür sind Fenster eingelassen, die goldene Klinke liegt schwer in der Hand. Obwohl Hohenzieritz eigentlich kein großes Schloss ist, wirkt es herrschaftlich.
Die Tür öffnet und schließt sich in steter Folge. »Vorsicht, Kante & Stufe. Stolpergefahr« steht gleich neben der Eingangstür. Mitarbeiter des Nationalparkamts Müritz gehen ein und aus, einige in gewöhnlicher Amtskleidung, andere in Regenjacken mit Kapuzen und klobigen Gummistiefeln. Seit 2001 ist das Parkamt im Schloss untergebracht. Das bekannte Naturschutzgebiet am Ufer der Müritz, das hier verwaltet wird, liegt nur wenige Kilometer weit entfernt.
Die zwei Flügelbauten, die in einigem Abstand rechts und links vom Hauptgebäude stehen, sind ebenso sorgfältig saniert wie das Haupthaus, die Mauern frisch versiegelt, alle Fenster und Simse neu gefasst. Geht man um das Anwesen herum, wird man des herrlichen Landschaftsgartens gewahr, der sich dahinter ausbreitet. Von der Anhöhe, auf der das Schloss steht, scheinen sich Wiesen- und Waldflächen in sanften Wellen stetig abwärts zu bewegen. An seinen Grenzen geht der Park nahezu ansatzlos in die Umgebung über. Selbst die hellbraunen Kühe, die auf der Wiese weiden, scheinen zur Gartengestaltung zu gehören. Es ist, als sei der Park ein Teil der Landschaft.
Die Anlage von Hohenzieritz, 1771 angelegt, zählt zu den frühesten Beispielen englischer Gartenbaukunst im norddeutschen Raum. Sie wurde wahrscheinlich von Archibald Thompson entworfen, einem Schüler Capability Browns. Dank Prinzessin Sophie Charlotte von Mecklenburg-Strelitz (1744–1818), die 1761 Georg III., König von England, geheiratet hatte, pflegte die Familie frühzeitig enge Beziehungen zum britischen Herrscherhaus. Auch für Luise von Preußen war dies gewissermaßen prägend. Sophie Charlotte war die Schwester ihres Vaters, Herzog Carls von Mecklenburg-Strelitz (1741–1816).
Sommerliche Hitze hängt wie schweres wollenes Tuch in der Luft. Wie immer reichen hier in der Gegend nur wenige niederschlagsarme Tage, um den Boden so auszudörren, dass er bei jedem Schritt vor Trockenheit raschelt. Weit sieht man von der Rückseite des Schlosses ins Mecklenburger Land hinaus. Grenzenlose Sicht. Kein Berg, keine Erhebung schränkt den Blick ein, kein Haus, keine Mauer, noch sonst ein höheres Gebäude bremst ihn. Wie ein Meer, erstarrt zu grünen Wiesen, Wäldern und braunen Ackerflächen, liegt das Land dem Betrachter zu Füßen. In der Ferne ist das Blau eines Sees zu erahnen.
Ähnlich heiß und sommerlich muss es im Juli vor zweihundert Jahren gewesen sein. Damals war Luise zu Besuch nach Mecklenburg gekommen, um sich hier nach entbehrungsreicher Zeit im Exil erstmals wieder mit ihrem Vater zu treffen. Drei lange Jahre hatte das preußische Königspaar auf der Flucht vor Napoleon in Königsberg und Memel verbracht. Luise hatte sich unheimlich auf das Wiedersehen gefreut: »Bester Päp! Ich bin tull und varucky. Eben diesen Augenblick hat mir der gute liebevolle König die Erlaubnis gegeben, zu Ihnen zu kommen, bester Vater!«, schreibt sie ihm, wie oft zitiert, am 19. Juni 1810. Ihre Briefe sind voller solcher eigentümlichen Wortschöpfungen und Lautverschiebungen, die charakteristisch waren für ihr lebhaftes, ungestümes Wesen: »Ich glühe vor Freude und schwitze wie ein Braten.«2
Doch das Wiedersehen sollte kein freudiges bleiben. Wenige Tage nach dem feierlichen Empfang in der herrlich geschmückten Residenzstadt Neustrelitz mit feierlichen Diners und Festivitäten verspürte die 34-jährige Luise Kopfschmerzen und musste sich nach Hohenzieritz zurückziehen. Ihr Vater hatte ihr für die Zeit ihres Besuches seinen Sommersitz nördlich der Residenzstadt zur Verfügung gestellt. Am nächsten Morgen fieberte sie und blieb im Bett liegen. Noch war keiner über die Maßen besorgt. Die Erkältung verschlimmerte sich, bald war von einer Lungenentzündung die Rede, doch selbst als sich Brustkrämpfe einstellten, schlug niemand Alarm. Sie waren bei Luise schon öfter vorgekommen. Zu ihrem Unglück war Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836), ihr Leibarzt, nicht im Lande. Er kannte seine hochherrschaftliche Patientin in- und auswendig, hatte sie auf der Flucht vor den Franzosen begleitet und sie dabei im Winter 1806 gar vom Typhus kuriert. Hufeland hätte vielleicht bemerkt, wie ernst die Lage war.
Doch niemand schritt ein. Die Königin hütete das Bett. Tagelang keine Besserung. Draußen brütete die Julihitze. Oberhofmeisterin Sophie Gräfin von Voss (1729–1814), erste Hofdame der Königin, wurde hinzugerufen. Sie hatte sich kurzzeitig auf ihren Familiensitz nach Groß Gievitz, unweit von Hohenzieritz, zurückgezogen. Die Oberhofmeisterin sorgte dafür, dass Luises Krankenlager ins Erdgeschoss verlegt wurde, weil es dort kühler war. Im Arbeitszimmer des Vaters wurde das Bett aufgestellt, gleich links vom Hauptportal, der grauen Tür, durch die heute die Müritzer Parkwächter ein- und ausstiefeln.
Allein der König, Friedrich Wilhelm III. von Preußen (1770–1840), der in Charlottenburg seinen Staatsgeschäften nachging und in täglichen Bulletins über den Gesundheitszustand seiner Frau informiert wurde, war besorgt. Schließlich schickte er einen Berliner Arzt nach Hohenzieritz, den Sanitätsrat Ernst Ludwig Heim (1747–1834), der ähnlich wie Hufeland das Vertrauen der Familie genoss, doch Luises Zustand war inzwischen lebensbedrohlich geworden. Am 18. Juli stellte sich eine Herzembolie ein, die von Atemnot und schweren Erstickungsanfällen begleitet war. Per Eilbote wurde der König in Sanssouci benachrichtigt. Er übergab die Geschäfte seinem Staatsminister Karl August Graf von Hardenberg (1750–1822), nahm seine beiden ältesten Söhne, Kronprinz Friedrich sowie Wilhelm, mit und eilte, so schnell ihn die Kutsche trug, nach Hohenzieritz. Ihm war klar, dass seine Frau schwerkrank war, doch selbst er ahnte zu diesem Zeitpunkt nicht, dass Luise im Sterben lag.
Gegen fünf Uhr früh erreichte die Kutsche das mecklenburgische Schloss. Der Morgen graute, der Himmel war noch nicht hell. Der König ging sofort in das Zimmer, in dem seine Frau lag, und erschrak, weil sie derart verändert aussah. Die schweren und anhaltenden Krämpfe hatten ihr das Äußerste an Kraft abverlangt.
Luise war nicht allein. Die Oberhofmeisterin stand an ihrem Bett, auch Dr. Heim war zugegen. Luises Vater Carl war aus Neustrelitz gekommen, ebenso ihr Bruder Georg (1779–1860), zu dem sie ein enges Verhältnis hatte. Als Luise des Königs gewahr wurde, ging ein Leuchten über ihr Gesicht. Sie begrüßte ihn überschwänglich: »Lieber Freund, wie freue ich mich Dich zu sehen, gut, dass Du wieder da bist.«3 Luise und Friedrich Wilhelm duzten sich. Schon wenige Tage nach ihrer Eheschließung hatten die beiden den preußischen Hof damit in Erstaunen versetzt, dass sie von der standesgemäßen Form der Anrede in dritter Person absahen. Sie brachen darin mit allen Konventionen. In den europäischen Herrscherhäusern siezten sich zu der Zeit selbst Geschwister untereinander.
Der König trat rasch an Luises Bett und erwiderte ihre Begrüßung. Sie fühlte sich erleichtert durch sein Kommen, fragte ihn nach seinem Befinden, nach dem Verlauf seiner Reise, doch er sah, dass ihre Kräfte schwanden. Keiner hatte ihr bislang gesagt, dass ihr Ende nahe sei. Er kniete sich an ihr Bett, nahm ihre Hand und fragte, ob sie noch einen letzten Wunsch habe. Sie verstand ihn erst nicht, wollte ihm darauf nicht antworten, rief nach einem anderen, der ihr die schlimme Nachricht bestätigen sollte, doch allmählich begriff sie: »Dein Glück und die Erziehung der Kinder«, antwortete sie schließlich.4 Er hielt weiter ihre Hand und hauchte in ihre Finger, um sie zu wärmen. Sie erwähnte Hardenberg, den Minister, dem sie am meisten vertraute. Er werde ihm zur Seite stehen, so hoffte sie für ihren Mann. Bis zur letzten Sekunde, so würden es Zeitgenossen später erzählen, habe sich Luise von Preußen um das Wohl ihrer Familie und des Landes gesorgt.
Der König ließ sie nicht mehr los, hielt ihre Finger während der nächsten Anfälle fest in beiden Händen. Auch Luises letzte Worte sind überliefert: »Ich sterbe von oben herunter … Ach Gott, Herr Jesus, verlass mich nicht.« Schließlich rief sie: »Herr Jesus mach es kurz.«5 Dann wurde sie erlöst. Der König selbst drückte ihr die Augen zu. Es war der frühe Morgen des 19. Juli 1810. Die Uhr im Zimmer schlug neun.
Die Autopsie würde später zeigen, dass Luises Lunge stark angegriffen war, der rechte Flügel von einem Tumor zerfressen. Hier kam jegliche Hilfe zu spät. Niemand hatte um ihren Zustand gewusst. Luise war erst Anfang dreißig. Ihr Tod kam völlig überraschend.
Der König war wie gelähmt. Gemeinsam mit seinen Kindern ging er in den Garten. Auch Karl und Charlotte, die beiden jüngeren Geschwister, hatten inzwischen das Sterbelager ihrer Mutter erreicht. Sie suchten nach der Stelle, wo Luise sich zum letzten Mal draußen aufgehalten hatte. Bei der sommerlichen Teestunde Ende Juni hier auf ihrer Lieblingsbank musste Luise schon Kopfschmerzen verspürt haben. Die Kinder pflückten Blumen, Fritz, Wilhelm und Karl jeder für sich eine weiße Rose, Charlotte wand einen Kranz aus Rosen. Ihr Leben lang wird die weiße Rose fortan ihr Sinnbild sein. Ihre Geschwister nannten Charlotte daraufhin Blanchefour nach gleichnamiger Hauptperson aus Der Zauberring, einem Roman von Friedrich de la Motte Fouqué (1777–1843), der zur Lieblingslektüre der Kinder zählte.6 Der König wählte eine Rose mit drei Knospen als Sinnbild für die drei jüngsten Kinder, die nicht zugegen waren: Alexandrine, Luise und Albrecht. Zehn Kinder hatte Luise insgesamt geboren, der Jüngste zählte bei ihrem Tod noch kein Jahr. Sieben erreichten das Erwachsenenalter, vier Jungen und drei Mädchen. In ihrem kurzen Leben hatte die Königin für reiche Nachkommenschaft gesorgt.
Anschließend ging der König mit seinen Kindern zurück in das Zimmer der Verstorbenen, und sie legten die Blumen auf ihr Sterbelager: »Den Kranz Charlottens auf die Stelle der Brust, ich meine Rose in die Gegend ihres dereinst für mich so warm schlagenden Herzens und die übrigen Blumen um diese herum«, beschrieb es der König. Schon wenige Stunden nach Luises Tod setzte er sich hin und begann, seine Eindrücke zu notieren, seine Erinnerungen an den »unglücklichsten Tag meines Lebens«.7
Ähnlich wie zu ihrem Mann, pflegte Luise auch eine innige Beziehung zu ihren Kindern. Umso schwerer fiel es ihnen jetzt, ihren Tod zu begreifen. Die Mutter hatte sie in aller Öffentlichkeit umarmt und geküsst, sie hatte sie nach Möglichkeit jederzeit um sich haben wollen. Zahlreiche Abbildungen zeigen Luise beschäftigt mit einer häuslichen Tätigkeit, sitzend oder stehend im Kreis ihrer Kinder, auf Spaziergängen Hand in Hand mit den Kleinen oder im Garten, gemeinsam in ein Spiel vertieft. Auch dahingehend brach sie mit standesgemäßen Konventionen. Die berühmt gewordene Skulptur »Preußische Madonna« von Fritz Schaper stellt Luise mit ihrem Sohn Wilhelm auf dem Arm dar. Sie benahm sich nicht wie eine Königin. Vielmehr prägte sie ein tiefbürgerliches Bild vom idyllischen Beisammensein in der engsten Familie.
Jahrelang konnten sich die Kinder nicht über den Tod der Mutter trösten. Der König versank in tiefe Melancholie. Dreißig Jahre würde er seine Frau überleben. Erst nach vierzehn Jahren entschloss er sich wieder zu einer Ehe, doch seine zweite Frau, Auguste Gräfin Harrach, erhoben zur Fürstin Liegnitz (1800–1873), stieß auf allgemeine Ablehnung. Die Kinder wollten das Andenken ihrer Mutter nicht getrübt sehen. Bei Familienzusammenkünften musste sich die Fürstin vom König fernhalten. Auch von wichtigen Ereignissen bei Hofe blieb sie ausgeschlossen. Sie trug die Last mit Würde und erwarb sich dauerhafte Anerkennung und Respekt im Hause Hohenzollern. Die wahre Königin und Mutter der Nation jedoch blieb des Königs erste Frau: Luise.
Hohenzieritz birgt bis heute zahlreiche Erinnerungen an Luises letzte Tage. Das Zimmer, in dem sie starb, wurde zur Gedenkstätte umgestaltet. Schon kurz nach ihrem Tod beauftragte ihr Vater den aus Helsen stammenden, später Mecklenburg-Strelitzer Hofbildhauer Christian Philipp Wolff (vor 1772–1820) mit der »Dekoration« des Sterbegemachs. Schon damals wurden die Räumlichkeiten stark verändert. Nach dem Ersten Weltkrieg ging das Schloss 1919 in den Besitz des neu gegründeten Freistaates Mecklenburg-Strelitz über und wurde zum Museum. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es abwechselnd Flüchtlingsunterkunft, Hühnerstall und Verkaufsstelle. Das Inventar wurde in alle vier Himmelsrichtungen verstreut.
In den fünfziger Jahren begann die Instandsetzung. Der Rat der Gemeinde zog ein, später war das Wissenschaftliche Zentrum für Landwirtschaft hier untergebracht. Seit das Nationalparkamt eingezogen ist, wurde an historischer Stelle in den Räumen gleich links vom Haupteingang wieder eine Gedenkstätte eingerichtet. Sie hat erst recht nichts mehr von der stimmungsvollen Atmosphäre eines Wohnraumes aus dem 18. Jahrhundert, der, eilig in ein würdevolles Krankenzimmer umgestaltet, zu dem Ort wurde, an dem die beliebteste Königin Preußens starb. Der Raum ist gefliest, die Wände sind mattweiß gestrichen mit grauer Umrandung. Ein kniehohes Gitter versperrt den Zugang. Durch bunte Fensterscheiben fällt gedämpftes Licht auf einen Sarkophag. In der Mitte des Zimmers steht ein Sockel mit einer liegenden Büste der Verstorbenen, die der Berliner Bildhauer Christian Daniel Rauch (1777–1857) anfertigte. Zahlreiche Kränze schmücken das Ensemble. Es ist eine Grabstätte geworden. Obwohl Luise von Preußen nicht in Hohenzieritz beerdigt wurde, sieht das Zimmer, in dem sie starb, wie ein Mausoleum aus.
Auch das Vorzimmer in der Gedenkstätte lässt von der einstigen Situation nichts mehr erahnen. Seine Ausstattung steht vielmehr für die an Anbetung grenzende Verehrung, die Luise von Preußen genoss. Die Wände hängen voller farbenfroher Reproduktionen bekannter Gemälde und Abbildungen der königlichen Familie sowie der Herzöge von Mecklenburg-Strelitz. Eine von ihnen zeigt ihren freundlichzurückhaltenden Vater Carl, der aus Angst vor Krankheiten mehr Zeit in Kurbädern verbrachte als am Schreibtisch. Sein Abbild in grauer Perücke mit dem leicht verlegenen Seitenblick prägt sich ein. Zu erkennen sind nahe und ferne Verwandte, Porträts der vielen Kinder, dabei immer und immer wieder Luise selbst in allen erdenklichen Situationen. Es scheint keinen Augenblick ihres kurzen Lebens zu geben, der nicht in Bildern festgehalten wurde. Die Bilderflut wirkt so massiv, als sei die Fotografie schon erfunden gewesen.
Die Vitrinen sind voll mit einem eigentümlichen Sammelsurium aus Gegenständen unterschiedlichster kunsthistorischer Bedeutung. Da gesellen sich Schmuckstücke zu kleinen Bildern, Schächtelchen zu Gemmen und altmodischem Zierrat – augenscheinlich nichts von übergroßem materiellen Wert, doch jeder Gegenstand stellt eine direkte Verbindung zu Luise her. Ein Schaufenster widmet sich ausschließlich den Publikationen über Luise. Alle Bücher sind sorgfältig arrangiert und ausgestellt. Ein weiteres huldigt der Uhr, die zu dem Zeitpunkt geschlagen haben soll, als die Königin verstarb. Auf verschlungenen Erbpfaden erreichte die barocke Tischstanduhr ein Schwesternpaar, das sie wiederum der Gedenkstätte als Leihgabe vermachte. Daneben ist ein Foto der beiden Damen zu sehen, beide in Würde ergraut.
Eine andere Vitrine enthält die Brosche, die Luise ihrer Erzieherin Salomé de Gélieu schenkte. Obwohl Madame de Gélieu – sie stammte aus der Schweiz und unterichtete Luise und ihre Schwestern in Französisch – die Mecklenburger Prinzessinnen nur wenige Jahre betreute, blieb ihr die Königin ihr Leben lang treu. In vielen Briefen beteuerte sie ihre Anhänglichkeit und sorgte dafür, dass Preußen der Schweizerin eine Leibrente auszahlte. Auch diese Brosche ist auf kuriosen Wegen vom Busen der Hofdame in die Hände eines Nachfahren namens Dykerhoff in Düsseldorf gelangt und hat 2002 den Weg in die Gedenkstätte gefunden. All dies ist genau belegt. Ein alter Stich zeigt die ehrwürdige Erzieherin, sie trägt genau das Schmuckstück, das daneben in der Vitrine liegt. Es fehlt eigentlich nur ein roter Pfeil, der die Stelle näher bezeichnet, wo die Brosche auf dem Bild zu sehen ist.
Es berührt, mit welch heiligem Ernst hier der Stunde des Ablebens der Königin gedacht wird, ist die Wiedereinrichtung der Gedenkstätte doch allein der Initiative eines Vereins zu verdanken, dessen Mitglieder sich der preußischen Königin aus rein privater Leidenschaft widmen. In den Jahren, in denen das Schloss anderweitig genutzt wurde, gab es auch kein Sterbezimmer. Klägliche Überreste der einst bedeutenden Einrichtung fanden sich in einem Raum im rechten Untergeschoss. Ein gemeinsames Lebenswerk ist hier zu erkennen, der feste Glauben daran, dass Königin Luise um nichts in der Welt in Vergessenheit geraten darf, eine Art schwärmerische Zuneigung, die durchaus ihre historische Entsprechung in dem Mythos findet, der die Herrscherin schon zu Lebzeiten umgab.
Während der König und seine Kinder in Hohenzieritz versuchten, das Unfassbare zu begreifen, entwickelte sich um sie herum rastloses Treiben. Auch dem distanziertesten Beobachter musste in diesem Augenblick klar sein, dass Luises Tod die Chance für Preußen schlechthin war. Das Land hatte 1806 in den Schlachten von Jena und Auerstedt gegen Napoleon Bonaparte (1769–1821) beispiellose Niederlagen erlitten. In den nachfolgenden Friedensverhandlungen hatte es über die Hälfte seines Territoriums verloren. Die Regierung musste Reparationen in Höhe von 32 Millionen Talern an Frankreich zahlen. Als Folge dieser Verhandlungen hätte Preußen auch ganz von der Landkarte verschwunden sein können. Es schien, als habe Napoleon sich an den Mächtigen eines Landes rächen wollen, die Jahrzehnte zuvor darüber geherrscht hatten. In diesen Zeiten der Demütigungen und Schwächung kam der Tod Luises gerade recht. Sie wurde als Opfer dargestellt, ihr Sterben als teuerster Tribut. Ein Volk vereint in der Trauer um seine geliebte Königin – nichts konnte wirkungsvoller sein, um im Land selbst Mut zu schöpfen und nach außen Zusammenhalt, Kraft und neues Selbstbewusstsein zu demonstrieren.
Eiligst wurde Bildhauer Wolff gerufen. Er musste die Totenmaske abnehmen. Gleich anschließend wurde der Leichnam in essiggetränkte Tücher gewickelt. Nur eines hatte jetzt Priorität: Wie bleibt die Tote bei der sommerlichen Hitze möglichst lange Zeit unversehrt? Ein Staatsakt sollte zelebriert werden, ein Begräbnis, das an Dramatik alles zuvor Gewesene überbot. So viele Menschen wie möglich sollten Gelegenheit bekommen, Luise noch einmal zu sehen. In Hohenzieritz sollte der Trauerzug beginnen, durch die Städte und Dörfer am Rande der Straße verlaufen, bis nach Berlin. Dort würde daraus längst ein Triumphzug geworden sein.
Fieberhaft wurde das Reglement zur Überführung der Leiche zusammengestellt. Eine pechschwarze Kutsche musste es sein, die den Sarg transportierte, rabenschwarze Pferde wurden davorgespannt. Zehn herzoglich-strelitzsche Kammerherren hatten am 25. Juli 1810 um zwei Uhr früh vor Schloss Hohenzieritz bereitzustehen. Sie hoben den Sarg auf den königlichen Leichenwagen und gaben der Königin bis zur preußischen Landesgrenze das Geleit. Gleich hinter dem Leichenwagen folgte die königliche Kutsche. Da Friedrich Wilhelm mit den Kindern schon nach Berlin vorausgefahren war, saß darin tiefverschleiert nur eine einzige Person: ihre treue Oberhofmeisterin Sophie Voss, die später über den Trauerzug berichtete: »Was ich in diesen drei Tagen gelitten habe, kann kein menschliches Wort sagen.«8
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