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Tropen
www.tropen.de
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
Mobile Library im Verlag Scribner, New York
© 2015 by David Whitehouse
Für die deutsche Ausgabe
© 2015 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Umschlag: Herburg Weiland, München
Unter Verwendung einer Illustration von © Jon Gray
Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Printausgabe: ISBN 978-3-608-50148-3
E-Book: ISBN 978-3-608-10774-6
Dieses E-Book entspricht der 1. Auflage 2014 der Printausgabe.
Für Lou
Lippen. Klebrig. Seine Mutter küsste anders. Nur wenn er Vals Make-up schmeckte, dachte er an den Altersunterschied.
»Kriegen wir jetzt Ärger?«, fragte Bobby.
»Nein«, sagte Val. »Jetzt nicht mehr.«
Die weißen Klippen Südenglands breiteten sich hinter ihnen aus und verloren sich im Blau, dort, wo Meer und Himmel miteinander verschmolzen. Hoch oben in der Fahrerkabine des Bücherbusses konnten sie das unter ihnen liegende Land nicht mehr erkennen, nur noch die unablässige Schleife des Ozeans, als führen sie zu einem weit entfernten Ziel hinüber. Eine sichelförmige Phalanx aus Polizeiautos drängte sie an den Rand der Klippen. Lichter blitzten. Hubschrauber durchschnitten die Luft. Als die Sirenen verstummten, sah er sie. In dem schwachen Licht des Armaturenbretts war sie von erlesener Schönheit.
Rosa lag mit dem Kopf in der Sonnenlache, die sich auf Vals Schoß gesammelt hatte. In Bobbys Magen rumorte es.
»Hast du Hunger?«, fragte Val. Das Geräusch – ein Schnurren – hatte seinen Ursprung in einem ganz anderen Teil seines Innern, einem, der zufrieden war, einem, den keine brodelnden, säuregefüllten Kammern oder sonstige körperliche Belange quälten.
»Nein«, sagte er und küsste sie noch einmal. Kriminalinspektor Jimmy Samas stand neben seinem Auto. Er hatte genug von dieser Jagd, auch wenn ihr unmittelbar bevorstehendes Ende ihn mit neuem Schwung erfüllte. Er wusste, dass die anderen Beamten nur auf seinen Befehl warteten, aber er konnte keinen aus dem Ärmel zaubern. Dieser Fall hatte in den Medien große Beachtung gefunden. Es war an ihm, die Ermittlungen zu leiten, und seine Kollegen gingen davon aus, dass er wusste, was zu tun war. Aber da irrten sie sich.
Manchmal hatte er das Gefühl, zu jung für seinen Job zu sein, auch wenn er genau deswegen so gut darin war. Sein jungenhaftes Wesen und seine glatte, makellose Haut machten ihn den Leuten sympathisch. Und Sympathie ist bei jeder Verhandlung ein unschätzbarer Vorzug. Dieser milchgesichtige Junge, den man da vorgeschickt hatte, um die Arbeit erwachsener Männer zu tun, tat den Leuten sofort leid, und genau in der Sekunde, in der sie abgelenkt waren, gelang es Inspektor Samas für gewöhnlich, eine Geisel zu befreien oder einen Selbstmörder vom Sprung abzuhalten.
Eine zähe, nagende Müdigkeit hinderte ihn daran, sich zu konzentrieren. Er überlegte, welcher Gesichtspunkt in der gegenwärtigen Situation Vorrang hatte. Ein wichtiger Teil seiner Ausbildung hatte darin bestanden, das jeweilige Ermittlungsziel immer wieder neu einschätzen zu lernen, und er tat gut daran, sich jetzt daran zu erinnern, während seine Augenlider vor Müdigkeit krampfartig zuckten.
Von größter Wichtigkeit war ihm die Sicherheit der beiden Kinder, Bobby Nusku und Rosa Reed, der eine zwölf, die andere dreizehn Jahre alt. Gleichzeitig aber flammten hundert andere Gedanken durch sein erhitztes Gemüt. Da war zunächst einmal die Frau, Rosas Mutter, Valerie Reed. Es war durchaus möglich, dass sie den Laster jeden Moment einfach hinunter ins Meer fuhr. Wer konnte schon wissen, was in ihr vorging? Es war eine unglaublich anstrengende Sache, sich dem Arm des Gesetzes zu entziehen, sei es nun vorsätzlich oder nicht (das würde sich noch herausstellen). Kidnapper in Ersttäterschaft, insbesondere alleinstehende Mütter, die ansonsten keinerlei Vorstrafen aufzuweisen hatten, litten sicherlich viel stärker unter dem ganzen Druck und der Angst als die meisten anderen. Ein falscher Schritt von ihm, und das Ganze könnte in einer Katastrophe enden. Er sah, wie unmittelbar hinter der Polizeiabsperrung ein Fernsehteam seine Ausrüstung aufbaute, und löste sich den Hemdkragen vom schweißverklebten Hals. Und jetzt auch noch eine live im Fernsehen übertragene Katastrophe.
Abgesehen von Ms Reed gab es da natürlich auch noch das nicht unerhebliche Problem, dass sich seiner Vermutung nach hinten im Fahrzeug ebenjener Mann versteckt hielt, dessen Verfolgung ihm nun schon seit Monaten den Schlaf raubte. Er setzte das Megafon an den Mund, ohne jedoch auf den Knopf zu drücken. Stattdessen genoss er die Stille. Eine Stille, wie es sie nur am Meer geben kann. Das Hohngelächter der Seemöwen im Sturzflug. Die von der Brandung umspülten Felsen. Er atmete tief ein und versuchte, etwas von dieser heiteren Gelassenheit auf sich abfärben zu lassen.
Der Bücherbus war an einen Sattelzug gekoppelt, einen von diesen riesigen Dingern, die einem die Zähne im Kopf durchrütteln, wenn sie auf der Autobahn vorbeidonnern – ein echter Asphalterschütterer. Der ursprünglich erbsengrün lackierte Bibliotheksanhänger war so lang, dass Val im Rückspiegel sein Heck kaum erkennen konnte, nur den rostigen Saum der Lackierung. Wenn der Bücherbus durch die Landschaft rollte, wirkte er von weitem wie eine Fata Morgana, die auf einer flüchtigen Brise dahintrieb. Mittlerweile begann die weiße Emulsionsfarbe abzublättern, mit der sie den Anhänger übermalt hatten, und seine ursprüngliche Farbe kam wieder zum Vorschein. Auch der Schriftzug »Bibliothek« tauchte langsam wieder auf, wie die Rückkehr einer längst vergessenen Erinnerung.
An einer Seite war auch das Gewicht vermerkt: zwanzig Tonnen. Vor vielen Monaten, als sie auf den Stufen des Bücherbusses gesessen und zugesehen hatten, wie die gezackten Kondensstreifen der Düsenjets den errötenden Sommerhimmel durchschnitten, hatte Val gesagt, dass ein Wal durchaus so viel wiegen könne, »gesetzt den Fall, man schafft es, ihn zu schnappen und auf die Waage zu schmeißen«. Rosa hatte begeistert gejohlt. Sie lasen damals gerade gemeinsam Herman Melvilles Moby Dick, und jetzt, da das Meer vor ihrem Blick ausgebreitet lag, kam es Rosa so vor, als würde ein winziger Bruchteil der Geschichte auf wunderbare Weise Wirklichkeit. Während sie die Schaumkronen der Wellen nach dem flüchtigen Auftauchen eines silbrig schimmernden Walbuckels oder einer aus einem Blasloch aufsteigenden Wasserfontäne durchsuchte, verschmolz Ahabs Herz (wie ein Besessener nach ihm suchend) mit Rosas. Es schlug so wild, als könne ihre Fantasie es mit einem Überfluss an Freude zum Zerplatzen bringen. Wie schnell würde der Bücherbus wohl sinken, fragte sie sich, wenn der Wal ihn zertrümmerte und mit sich in die Tiefe zog? Sie würde nicht mehr lange auf die Antwort warten müssen.
»Ich liebe dich«, sagte Bobby, und Val zuckte zusammen, als hätte sie diese drei Wörter noch nie in einer so schmerzlichen Reihenfolge gehört.
Die Sonne stieg immer höher und verdrängte mit ihrer Hitze die kühle Luft aus der Fahrerkabine. Bobbys T-Shirt klebte ihm am Bauch und war nur noch eine durchsichtige Haut über dem bleichen Grinsen seiner Narben. Bert hechelte und der Schweiß sammelte sich auf seiner knopfartigen, schwarzglänzenden Nase.
Inspektor Samas hatte nicht mit der Gegenwart eines Hundes gerechnet. In keinem einzigen Bericht zu dem Fall war von einem Hund die Rede gewesen. Erst jetzt, als die über ihren Köpfen surrenden Polizeihubschrauber das Tier gesichtet und ihm diese Neuigkeit über das an seinem Gürtel angebrachte Funkgerät mitgeteilt hatten, erfuhr er von dessen Existenz. Ein Hund! Wie war es möglich, dass man das übersehen hatte? Auch ein so scharfsinniger Detektiv wie er konnte unmöglich alle Details eines derart ausufernden Falls überblicken. Das war ganz genau die Art von Fehler, die er unbedingt hatte vermeiden wollen. Tiere waren noch viel unberechenbarer als Kidnapper oder Flüchtige. Je weniger Haare die Variable in einer Krisensituation hatte, desto besser. Er stellte sich vor, wie sich das Tier wütend in seinen Schritt verbiss, während er versuchte, die Freilassung der Kinder auszuhandeln. All dieses Kopfzerbrechen über die ihm bevorstehende Aufgabe hatte ihm bereits die ersten stechenden Anzeichen einer katastrophalen Migräne beschert. Er schaltete sein Handy aus, für den Fall, dass bei seiner Freundin die Wehen einsetzten und sie ihn anrief. Einen Moment lang überkamen ihn Schuldgefühle. Schlechtes Timing, dachte er. Er hatte eine Aufgabe zu erledigen.
Eine Zeitlang geschah nichts. Der Bücherbus stand seltsam bewegungslos, wie schlafend am Klippenrand, umringt von Polizeiautos. Er schien in jener beklommenen Windstille gefangen, die sich kurz vor dem Hereinbrechen der Zukunft ausbreitet. Val hatte bis jetzt nie besonders viel vorausgeschaut. Ihrer Ansicht nach war die Zukunft eine Art Stereogramm, das immer gerade dann verschwand, wenn sie im Begriff war, endlich seine Umrisse zu erkennen. Doch jetzt, in diesem Augenblick, konnte sie die Zukunft ganz deutlich sehen. Sie war wunderschön und voller Liebe, und sie wollte unbedingt, dass sie eintraf, doch nie zuvor schien sie weiter entfernt zu sein. Aber vielleicht war es ja auch sie selbst, die verschwand.
»Wir haben ein Abenteuer erlebt«, sagte Val, als sei es nun vorbei. »Mehr wollten wir doch gar nicht.«
Ein warmer Schleier legte sich über Bobbys Augen. »Genau wie in einem Buch«, sagte er.
Dann warf er einen Blick in den Rückspiegel und sah dort den Inspektor, der sich dem Laster näherte. Er hatte ihn vorher schon ein paarmal gesehen, in den Fernsehnachrichten. Der Schnurrbart des Inspektors hatte lauter rote Tupfen – wie eine säuberlich zurechtgestutzte kupferfarbene Markise, die seine Lippen überschattete – und sein Hemd war zerknittert, als wären seine Kleider ohne ihn schlafen gegangen.
Während Inspektor Samas im Kopf alle Fakten durchging, die ihm über Valerie Reed bekannt waren, wurde ihm klar, dass er mehr über sie wusste als über seine eigene Freundin. Aber statt ihn traurig zu stimmen, erfüllte ihn diese Erkenntnis mit neuem Selbstvertrauen. Vielleicht, möglicherweise, war er ja tatsächlich besser für diese Ermittlungen gerüstet als irgendjemand sonst. Es hatte Gerede gegeben, darüber, wie lange sich dieser Fall nun schon hinzog und dass man ihn vielleicht einem höhergestellten, dienstälteren Beamten übertragen sollte. Unsinn, dachte er jetzt.
Als er sich dem Bücherbus bis auf vier Meter genähert hatte, lehnte sich Val aus dem Fenster. Mit der verheerenden Geschwindigkeit einer Gewehrkugel, die ein Fass durchschlägt, sorgte sie dafür, dass sich seine Zuversicht in Luft auflöste.
»Stopp«, sagte sie. »Bleiben Sie genau da stehen.« Er gehorchte. Mit gelbfingriger Hand schirmte er die Augen vor der Sonne ab, während der Wind die Asche in tanzenden Spiralen vom Ende seiner Zigarette peitschte.
»Was will der Mann da?«, fragte Bobby.
»Mit mir sprechen«, sagte Val.
»Sag ihm, er soll weggehen.«
»Er will nur schauen, ob es uns auch gut geht.«
»Natürlich geht es uns gut.« Er kletterte über Vals Beine, hielt seinen Mund an die schmale Öffnung des Fensters auf der Fahrerseite und rief: »Natürlich geht es uns gut!«
»Es geht uns gut! Es geht uns gut!«, sagte Rosa und sie fingen beide an zu lachen.
Inspektor Samas ging ein paar Schritte rückwärts. Hätte der Wind nicht mittlerweile so stark geweht, dass er ihm die Zigarette ausblies, hätte er hören können, wie die erschöpften Polizeibeamten hinter ihm erleichtert aufatmeten. Sie standen neben ihren Autos und hielten ihre Waffen auf die rückwärtige Tür des Bücherlasters gerichtet, denn sie gingen davon aus, dass von dort die größte Gefahr drohte. Es war eine lange, frustrierende Nacht gewesen, in der man flüchtigen Schatten hinterhergejagt war.
Val umschlang mit einem Arm Bobbys Taille, mit dem anderen Rosas Schultern und zog sie eng an sich. Sie vergrub ihren Kopf zwischen ihren Körpern, so dass sie beide spüren konnten, wie nass ihr Gesicht war. Bobby gab Rosa einen Schmetterlingskuss auf die Stirn, und sie schluckte so laut, dass sie es alle hören konnten.
»Soll ich da rausgehen und ihm sagen, dass er weggehen soll?«, fragte er. Val schüttelte den Kopf. »Denn das mach ich glatt. Ich pass auf, dass dir nichts passiert!«
»Das weiß ich doch«, sagte sie. »Du bist mein Beschützer.« Sie umarmte ihn noch fester, so fest, bis ihre Knochen ächzten, als wüssten sie, dass dies möglicherweise das letzte Mal war.
»Erzähl mir eine Geschichte«, sagte er.
»Die Bücher sind alle in der Bücherei eingeschlossen«, sagte sie.
»Dann erfinde eben eine. Eine mit einem glücklichen Ende.«
»Ich hab dir das doch schon mal gesagt. So was wie ein Ende gibt es nicht.«
»Dann fang halt mit einer glücklichen Geschichte an und hör vor dem Ende auf. Wenn wir bestimmen, wo sie zu Ende ist, dann muss sie ja glücklich sein, stimmt’s?«
Sie warf noch einen Blick in den Rückspiegel.
Inspektor Samas scharrte mit der Schuhsohle über das Gras und versuchte zu entscheiden, was er als Nächstes tun sollte. Sollte er ans Fenster klopfen oder darauf warten, dass Val die Tür öffnete? Er konnte nichts dadurch gewinnen, wenn er versuchte, hier unbedingt seine Autorität zu behaupten. Zwar war er derjenige mit dem Polizeiabzeichen, doch sie hatte die Oberhand. Er beschloss abzuwarten und hoffte, dass die Diskussion dort drinnen, worum auch immer sie sich drehen mochte, nicht mehr lange dauerte. Seine Kollegen begannen bereits zu vermuten, dass er keine Ahnung hatte, was er tun sollte. Er gewöhnte sich langsam an das Gefühl, vollkommen überfordert zu sein. Dafür hatte seine bevorstehende Vaterschaft schon gründlich gesorgt.
Anders als so manch anderer Beteiligter bei einer polizeilichen Verhandlung war Val keineswegs beleidigt, dass man einen derart jungen Beamten geschickt hatte, um sich mit ihr auseinanderzusetzen. Sie beobachtete Inspektor Samas ein paar Sekunden lang, gerade lange genug, um etwas zu entdecken, das sie sehr gut nachvollziehen konnte. Angst. In diesem Moment teilten sie sich die Angst, sie und er, in trauriger Einhelligkeit, wie ein letztes Stück Brot.
Hinter ihm, außerhalb der Polizeiabsperrung, auf dem Hügelkamm, der zurück ins britische Festland führte, stand ein in grellbunten Farben lackierter Eiswagen. Auf den ersten Blick hatte sie ihn für einen ziemlich geschmacklos ausstaffierten Krankenwagen gehalten, denn er war hinter einer ganzen Reihe von Fahrzeugen geparkt, bei denen es sich tatsächlich um Krankenwagen handelte.
»Wer möchte ein Eis?«, fragte sie. Bobby und Rosa reckten ihre Hände in die Höhe und weckten dadurch Bert auf, der eben erst in einen wonnigen Schlaf gefallen war.
Val holte einen Geldschein aus ihrem Portemonnaie. Die Schließe aus Goldimitat leuchtete grünlich im Sonnenlicht. Sie knüllte den Schein fest zusammen und hielt ihn Bobby hin. Als sie die Hand öffnete, entfaltete er sich wie die Blütenblätter einer Blume.
»Hier«, sagte sie. »Nimm Rosa und Bert mit und kauf uns allen ein Eis.« Bobby ließ sich tiefer in seinen Sitz sinken. Der Gedanke, dass sie nun zum ersten Mal seit Monaten getrennt werden könnten, war ihm nicht geheuer. »Worauf wartest du noch?«
»Kommst du denn nicht mit?«
»Ich bleibe hier und passe auf den Bücherbus auf.«
»Aber dann fängt uns doch die Polizei«, sagte Rosa.
»Die Polizei wird euch nicht fangen. Die fangen nur die bösen Leute. Stimmt’s, Bobby?« Bobby verstand, was sie beabsichtigte, spielte das Spiel mit und nickte. Rosa machte es ihm nach, mit jener bezaubernden Zeitverzögerung, die sie bis zur Perfektion beherrschte. Val hatte einen neuen Plan und Bobby vertraute ihr, obwohl er nicht wusste, wie dieser Plan aussah.
Er zog seine Turnschuhe an, befestigte die Leine am Halsband des Hundes und steckte Bert die Schlaufe zwischen die Zähne. Bert war sogar für einen alten Hund ziemlich faul und bestand darauf, sich selbst spazieren zu führen.
»Geht einfach immer weiter, bis ihr an dem Eiswagen ankommt«, sagte Val. »Lasst nicht zu, dass sie euch aufhalten. Und vergesst nicht, mir ein ganz großes Eis mitzubringen, mit richtig viel Schokoladenraspeln obendrauf.«
Inspektor Samas zog den sperrigen Knoten seines Schlipses zurecht. Irgendetwas an dieser Situation nagte an seinem Gewissen. Seine Ausbildung mochte noch so gut gewesen sein – auf so etwas hatte sie ihn nicht vorbereitet. Zu was für einem Leben würde er den Jungen verdammen, wenn er ihn wieder heimbrachte? Er hatte Bobby Nuskus Vater kennengelernt. Die klaffende Lücke, die sonst das Verschwinden eines Kindes hinterlässt, war bei ihm nicht erkennbar gewesen. Dort, wo sie hätte sein sollen, gab es nur eine große Gleichgültigkeit. Welches Elend würde er nun durch seinen Versuch zu helfen auslösen? Diese Geschichte hatte kein Happy End, da war er sich sicher.
Val umarmte Rosa, die ihren kleinen Körper ganz weich und schlaff machte, damit sie sich besser an ihre Mutter anschmiegen konnte. Für eine Sekunde wurden sie eins, verschmolzen miteinander, schufen ein Wesen, das alles doppelt besaß. Dann legte Val ihre Hände an Bobbys Gesicht und zog ihn eng an sich heran. Sie küssten sich ein letztes Mal. Sie schloss die Augen und hoffte, dass alles gutgehen würde.
»Ich liebe dich«, sagte sie, und auch ihm kam es so vor, als hätte er diese Worte noch nie zuvor gehört, jedenfalls nicht so, nicht mit einem solch magischen Faden verknüpft.
Er kletterte aus der Fahrerkabine und spürte, wie ihm die kühle Luft um die Fußknöchel strich. Rosa folgte ihm und als Letztes kam Bert. Der Hund sprang hinunter in das taubenetzte Gras, das oben auf den Klippen wuchs, nur einen winzigen Fehltritt von der Felskante und dem gewaltigen Abgrund entfernt.
Der Inspektor sah fassungslos zu, wie die Kinder, die er seit dem Spätsommer gesucht hatte, Arm in Arm an ihm vorüberschlenderten, gefolgt von einem Hund, der sich allem Anschein nach selbst spazieren führte.
»Hallo«, sagte Rosa. »Ich heiße Rosa Reed. Und wie heißen Sie?«
»Mein Name ist Jimmy Samas«, sagte der Inspektor und legte den Kopf zur Seite. Rosa blieb stehen und schrieb seinen Namen in ihr Notizbuch.
Er hatte während seiner Dienstzeit schon so einige surreale Momente erlebt, aber dieser hier übertraf sie alle. Er schien mehr mit der seltsamen, verwackelten Beschaffenheit eines Traums gemein zu haben als mit dem wirklichen Leben.
Bobby, Rosa und Bert gingen weiter, an den Polizeiautos vorbei und an den Männern und Frauen in ihren adretten blauen Uniformen mit den silbernen Abzeichen und wuchtigen Gürteln, die, schwarz glänzend, feurige Spiegelungen der Sonne zurückwarfen, vorbei an den gierigen Kamerateams und den wartenden Krankenwagen. Sie gingen immer weiter, bis sie den Eiswagen erreichten.
Inspektor Jimmy Samas näherte sich dem Bücherbus.
Bobby drehte sich erst um, als das vom Feuer geschmolzene Eis über seine zitternden Finger lief. Schwarzer Rauch färbte den Himmel.
Ihre Augenbrauen waren stets in einem starren Winkel von achtunddreißig Grad hochgezogen. Und ihre Grundierung in der Farbe gebrannten Ockers diente der Freundin von Bobbys Vater als Leinwand, auf die sie ein einziges, unveränderliches Gefühl malte: Misstrauen. Das eiweißhelle Aufblitzen der beim Schminken ausgesparten Ohrmuschel vermittelte einen flüchtigen Eindruck ihrer wahren Gesichtsfarbe, aber der neue Farbton, den sie für sich ausgesucht hatte, passte viel besser zu ihrer Gesangsstimme – einem stumpfen, zweckdienlichen Hupen. Nur sehr wenigen Menschen gelang es, Cindys Alter richtig einzuschätzen, so wie es fast unmöglich ist, das Alter eines Reptils zu erraten, das sich hinter einer ewig gleichen Maske aus Schuppen versteckt. Tatsächlich war sie ungefähr Mitte zwanzig, aber es hätten genauso gut auch ein paar Jahrzehnte mehr sein können, je nachdem, wie unerbittlich das Licht war. Samstagnachmittags sah sie immer am jüngsten aus.
Obwohl sie sich selbst als »mobile Friseurin« bezeichnete, kamen die Leute doch immer zu ihr ins Haus – oder vielmehr in das Haus von Bobbys Vater, in das sie eingezogen war, kaum drei Monate nachdem Bobbys Mutter es verlassen hatte. Obwohl Cindy keine anerkannte Berufsausbildung vorzuweisen hatte, verfügte sie dennoch über leidliches Geschick, wenn es darum ging, die Frisuren der Stars auf den Fotos der Hochglanzmagazine nachzuahmen. Einmal in der Woche bleichte sie ihre eigenen Haare über dem Spülbecken in der Küche. Der Schaden war irreversibel. Obwohl ihr zerstörter Haarschopf unübersehbar mit ihrem Kopf verbunden war, schien das ihre Kundschaft kaum abzuschrecken und bestätigte so das Sprichwort, dass es keine schlechte Publicity gibt.
Neben Haaren und Frisuren galt ihr Hauptinteresse dem Klatsch und Tratsch. Bobby setzte sich auf die Treppenstufen und hörte den Gesprächen zu, die sie mit ihren Kundinnen führte. Sie diskutierten über bestehende Gerüchte und erfanden neue, während das Klappern der Schere die Hintergrundmusik dazu lieferte. Bobby interessierte sich nicht für das Geplapper. Er konzentrierte sich nur auf eine einzige Sache: Haare. Die Haare der Kundinnen, wie sie abgeschnitten wurden und langsam auf den Teppich seiner Mutter herabsanken. Einzelne Strähnen in Braun oder Schwarz oder brüchigem billigen Blond verwoben sich zu Wollknäueln, ließen Lebensstränge verschmelzen, die sonst nie miteinander in Berührung gekommen wären. Später, wenn er allein war, klaubte er die Haare auf, teilte sie in zwei Haufen ein und stopfte sie in verschiedene Einmachgläser. Ein Glas für die Haare seiner Mutter, ein Glas für die Haare der anderen. Er konnte immer ganz genau erkennen, welche Haare von seiner Mutter stammten, denn die waren viel weicher und glatter. Wenn er sie gegen das Licht hielt, waren sie so hell wie das Leuchten, das sich hinter einem Engel auftut. Es kostete ihn Stunden, die Haare einzusammeln, und ihm schmerzten die Fingerspitzen, aber jeden Abend brachte Bobby seine Geheimakten auf den neuesten Stand, immer dann, wenn Cindys letzte Kundin gegangen war und sie selbst sich auf den Weg zum Laden machte. Dort besorgte sie sich dann Wein und prahlte damit, gegen die Kopfschmerzen immun zu sein, die ihr der Alkohol eintrug.
Die Gläser bewahrte er unter seinem Bett auf. Er war der Archivar seiner Mutter.
Einen ähnlich wichtigen Bestandteil seiner Akten bildeten seine Messungen. Er vermerkte sie akribisch in seinem Notizbuch, wobei er die Zahlen so klein wie möglich schrieb, damit sein Vater, falls er das Notizbuch jemals in seinem Versteck unter dem Schlafzimmerteppich finden sollte, erhebliche Schwierigkeiten haben würde, es zu entziffern. Wenn er sich mit ausgestreckten Armen wie eine Krabbe im Seitwärtsgang bewegte, konnte er es von einer Hauswand bis zur gegenüberliegenden mit fünf großen Schritten schaffen. Die Treppe hatte elf Stufen, auf dem Küchenboden lagen achtunddreißig Fliesen, im Deckenputz des Badezimmers waren dreiundvierzig Verwirbelungen und mit neun Minischritten gelangte man von der Toilette ins Bad. Es gab siebenundfünfzig verschiedene Transportmittel – Flugzeuge, Polizeiwagen und Hubschrauber – auf der Tapete in seinem Schlafzimmer, aber das waren nur die, die er sehen und deshalb auch zählen konnte. Bobby schätzte, dass an der hinteren Wand weitere zwanzig Fahrzeuge versteckt waren, hinter den prall gefüllten Kisten mit Cindys Sachen.
Manchmal übte er, durch das Haus zu laufen, ohne das Licht einzuschalten. Wenn man ihn nicht sehen konnte, konnte man ihn auch nicht bestrafen. In der Dunkelheit war er sich selbst am nächsten. Seine Fähigkeit, nachts zu sehen, wurde immer besser und mittlerweile konnte er sich sogar in tiefster Finsternis zurechtfinden, ohne gegen irgendwelche Möbel zu stoßen. Für den Fall, dass ihm jemals ein Einbrecher begegnete, hatte Bobby einen Plan. Er würde so lange warten, bis der Einbrecher über den Friseurstuhl fiel, der mitten im Wohnzimmer stand, und dann würde er ihm die Schere in die Kehle stoßen. Das geronnene Blut in den Teppichfasern würde zwar das Aufsammeln der Haare erschweren, aber er würde es trotzdem tun. Und das würde dann deutlicher als alles andere beweisen, mit welch beispiellosem Pflichtbewusstsein er sich seinen geheimen Akten widmete.
Der Teppich maß einen Meter mal einen Meter fünfzig – so stand es auf dem Etikett –, war an dem einen Ende rot und wurde dann bis zum anderen Ende immer gelber. Genau die Farben, die ein leergegessener Teller nach einem ordentlichen englischen Frühstück hatte. Andere Teppiche kamen einem im Vergleich dazu unscheinbar und langweilig vor. Kein Wunder, dass sie den Teppich so geliebt hatte.
Häuser sind Körper. Ihre Erinnerungen finden sich in den Narben wieder, die ihnen geblieben sind. Bobby machte Skizzen von jedem einzelnen Zimmer. Er benutzte dazu den Kohlestift, mit dem seine Mutter ihn immer gezeichnet hatte. Die Bilder ordnete er dann in eine spezielle Rubrik am Ende der Akten ein, die der Kunst vorbehalten war. Er wusste, dass ihr dieser Teil der Akten am besten gefallen würde.
Der schwarze Fleck an der Wand über dem Herd erinnerte an den Moment, als ihr eine Pfanne mit Öl in Flammen aufgegangen war, weil sich sein Vater – lüstern und betrunken – von hinten an sie herangeschlichen hatte. Der Fleck war zweieinhalb Hände breit. In der Wand neben der Treppe klaffte ein fast zwanzig Zentimeter großes, an den Rändern abgebröckeltes Loch, wo sie bei ihrer darauffolgenden Flucht mit dem Fuß durch den Verputz gestoßen war und sich den Knöchel gebrochen hatte. Dann gab es da noch die Kerben, die sie mit ihren Fingernägeln in das Kopfteil des Bettes gegraben hatte, und die Überbleibsel der Staffelei, die Bruce in Stücke geschlagen hatte.
Bobby stellte sich vor, wie stolz seine Mutter auf sein Archiv sein würde, wenn sie zurückkehrte. Diese Eintragungen würden es ihnen ermöglichen, das Haus nach exakten Spezifikationen nachzubauen. Diesmal jedoch oben auf einem Berggipfel. Innen würde es identisch sein. Im Wohnzimmer lindgrüne Vorhänge und schokoladenbraune Wandleisten. Cremefarbene Fliesen auf dem Küchenboden, dessen helle Fläche jeden einzelnen verschütteten Tropfen sofort verriet. Dieselbe Lücke zwischen Geschirrschrank und Kühlschrank, genau sechsundsiebzig Zentimeter breit, in der man alle möglichen verlorengegangenen Gegenstände wiederfinden konnte. Aber wenn sie dann die Gartentür öffneten, würden Wolken über den Rasen treiben. Adler würden in den Abflussrohren nisten, und er würde den Schnee vom Gipfel schöpfen und ihn zu glasklarem, reinstem Waschwasser schmelzen. Die ganze Welt wäre ihr Garten, genau wie sie es versprochen hatte.
Nach ihrem Weggang schienen die Tage länger zu dauern. Bobby scheuchte die immer langsamer werdenden Stunden im Kreis um seine Armbanduhr. Bis zu dem Augenblick, in dem seine Mutter zurückkehrte, gab es nur eine einzige andere Person auf der ganzen Welt, die von seinen Akten wusste. Der Name dieser Person war Sunny Clay und er war Bobbys bester und einziger Freund. Und darüber hinaus war er sein Bodyguard. Deshalb trug er auch eine sich stetig wandelnde Maske aus blauen Flecken und Beulen in changierenden Farben, wie eine fleischgewordene Ode an ein Korallenriff.
Am ersten Samstagmorgen der Sommerferien ging Bobby zu Sunnys Haus. Die ganze Welt schien ihn mit ihrem Glitzern daran erinnern zu wollen, wie viele leere, unbeschriebene Tage sich vor ihnen ausdehnten, die er und Sunny mit allen nur erdenklichen Fantasien füllen konnten. Vor Aufregung kroch ihm ein heißes Kribbeln den Rücken hinunter. Endlich öffnete Sunny die Tür. Den Ausdruck, den er im Gesicht hatte, kannte Bobby nur zu gut.
»Hallo, Bobby«, sagte er.
»Hallo, Sunny«, sagte Bobby.
»Weißt du, was heute für ein Tag ist?«
»Ich weiß, dass Samstag ist. Reicht dir das als Antwort?«
»Nein, das reicht nicht«, sagte Sunny.
Bobby seufzte. Er hakte die Daumen in die Schlaufen seines Gürtels und zog sich die Jeans hoch. »Dann musst du es mir wohl besser sagen.«
»Heute ist ein bedeutender Tag. Heute ist der Tag, an dem wir mit Phase drei beginnen.«
Bobby hatte sich vor Phase drei gefürchtet. Die Phasen eins und zwei waren schwer genug gewesen. Knochen waren zu Bruch gegangen. Blut war vergossen worden. Es war nicht gerade erholsam gewesen.
Aber sie hatten einen Plan gefasst, hatten eine Mission zu erfüllen und konnten nun unmöglich aufgeben. Wenn alles vorbei war, würde es niemand mehr wagen, Bobby Nusku zu schikanieren, keiner von den anderen Schülern und auch sein Vater nicht, niemals wieder. Wenn der Sommer zu Ende war, würde Sunny ein Cyborg sein. Dann konnte er Bobby mit all der zusätzlichen Kraft und Schnelligkeit beschützen, die ihm als halb Mensch, halb Roboter zur Verfügung stehen würde.
Das Ganze war Sunnys Idee gewesen. Zwar behauptete er, diesen Wunsch schon seit langem gehegt zu haben, aber eigentlich war ihm der Gedanke erst gekommen, nachdem er Bobby kennengelernt hatte. Sunny war auf dem Schulhof auf Bobby zugegangen und hatte ihn gefragt, ob er irgendetwas über das Graben eines Tunnels wisse.
»Ein Tunnel?«
»Ja, ein Tunnel.«
»Nein, nicht direkt.«
»Dann lernst du’s halt mit der Zeit, das schaffen wir schon.«
Bobby vermutete, dass Sunny ihm eine Falle stellen wollte. Er überlegte kurz, ob er davonrennen sollte, aber in diesem Moment streckte Sunny ihm seine offene Handfläche entgegen. Als Bobby schließlich wieder die Augen öffnete, stellte er überrascht fest, dass er nicht geschlagen worden war. Sie schüttelten sich die Hand, und Bobby war beeindruckt, mit wie viel Kraft Sunny zupackte.
Sunny hatte Bobby während der ganzen vorherigen Woche beobachtet. Er hatte ihn dabei beobachtet, wie er sich in den Pausen mutterseelenallein am Rand des Sportplatzes herumdrückte. Er hatte zugesehen, wie Bobby versuchte, drei älteren Jungen aus dem Weg zu gehen, die ihn quer über den Fußballplatz gejagt hatten. Er hatte zugesehen, wie einer von ihnen Bobby in den Matsch stieß, und das nicht nur einmal, sondern zweimal direkt hintereinander, und war ihm dann unbemerkt auf die Toilette gefolgt, wo Bobby versuchte, sein Hemd im Waschbecken zu reinigen, wodurch er jedoch alles nur noch schlimmer machte.
Sunny wusste nur zu genau, was es hieß, einsam zu sein. Lärmende Menschenmengen, die im Kreis um eine betäubende Stille in der Mitte wirbeln, dort, wo man selbst sitzt. Der unbezähmbare Schmerz, den das Lachen anderer Menschen hervorruft. Die Breite einer Felsschlucht, die zwischen dir und einer Person liegt, die du eigentlich mit der Hand berühren könntest. Auch er hatte sich schon oft so gefühlt, als wäre er bis in die Knochen mit Radioaktivität verseucht.
Sunny war ziemlich groß für einen Zwölfjährigen. Bobby hingegen war klein und giftig und bleich wie eine Schüssel Milch. Er sah aus, als bräuchte er dringend einen Freund, egal in welcher Form oder Farbe. Dieses neue Bündnis war also von beiderseitigem Vorteil.
»Komm mit«, sagte Sunny. Bobby ging voller Stolz hinter ihm her, zu dem Teil des Schulgebäudes, wo die Räume für den Kunstunterricht lagen. Dabei versuchte er, sich dem Rhythmus von Sunnys Schritten anzupassen.
»Warum willst du einen Tunnel graben?«, fragte Bobby, als sie die Backsteinmauer erreicht hatten. Ein Dornengebüsch schirmte sie vom restlichen Teil des Schulhofes ab.
»Damit wir hier rauskönnen. Du willst doch auch hier raus, oder?« Bobby dachte sofort daran, in was für Schwierigkeiten sie das bringen würde. So hatte seine Mutter ihn schließlich erzogen. Aber dann stemmte er verlegen die Hände in die Hüften und versuchte, sich so gerade und aufrecht wie möglich hinzustellen.
»Na klar.«
»Und hast du auch die ganzen Gefängnisfilme gesehen?« Als Sunnys Vater ihn und seine Mutter verlassen hatte, hatte er seine ziemlich große Videosammlung alter Filme zurückgelassen. Sunny war nächtelang aufgeblieben und hatte sie alle gierig in sich aufgesogen.
»Äh ja«, sagte Bobby, unsicher, was Sunny damit überhaupt sagen wollte.
»Dann weißt du genauso gut wie ich, dass man nur mit Hilfe eines Tunnels entkommen kann.« Sunny lehnte sich an die Wand und strich mit der Hand über das Mauerwerk. Unter seinen Fingerspitzen zerfiel der Zement zu Staub.
»Aber das hier ist die Wand zu den Kunstunterrichtsräumen. Wenn du hier einen Tunnel durchgräbst, brichst du doch nur in die Schule ein.«
»Doch nicht die Art von Tunnel!«, sagte Sunny. Er legte sich auf den Bauch, steckte die Hand in das Gebüsch und zog eine Schachtel heraus, in der sich zwei gestohlene Dosen mit schwarzer Farbe befanden. Bobby starrte auf die Erde und spürte, wie sie sich immer weiter von ihm entfernte. Das wäre wohl ungefähr die Aussicht, die er vom Galgen aus haben würde, dachte er.
Aber er wollte Sunny auf keinen Fall im Stich lassen. Im Gegenteil. Am liebsten wäre er vor Begeisterung auf seinen Rücken geklettert und hätte beide Fäuste in die Luft gereckt.
Sunny malte den halbkreisförmigen Umriss eines Tunnels an die Wand, so wie er es bei Wile E. Coyote in zahllosen Road-Runner-Cartoons gesehen hatte. Das war nun etwas, was Bobby tatsächlich auch kannte. Aber er hatte nicht den Mut, Sunny zu sagen, woher ihm das bekannt vorkam, denn er hoffte immer noch, er könne sich irren und Sunny wäre in Wirklichkeit gar nicht verrückt. Sunny drückte Bobby einen Pinsel in die Hand und sagte ihm, er solle dabei helfen, die leere Mitte des Tunnels schwarz zu malen.
»Das wird nicht funktionieren. Das ist dir doch klar, oder?«, sagte Bobby, während er großzügig Farbe auf der Wand verteilte.
»Falsch«, sagte Sunny. »Dieser Tunnel wird dafür sorgen, dass ich heute aus der Schule rauskomme.« Bobby bewunderte die Leidenschaft, mit der sein neuer Freund an den Erfolg glaubte. Seine Überzeugung mochte zwar hirnverbrannt sein, aber sie war stark genug, um Bobby mitzureißen. Und das war alles, was Sunny hatte erreichen wollen. Er wusste nur zu genau, wie albern sein Plan war, aber während dieser letzten Stunde hatte der ängstliche Junge von eben, dem er dabei zugesehen hatte, wie er den Inhalt seiner Tasche aus dem Matsch hinter dem Fußballfeld klaubte, kaum einen Blick über die Schulter geworfen. Er hatte es nicht nötig gehabt.
»Möchtest du nachher mit zu mir nach Hause kommen?«, fragte Sunny.
»Zu dir nach Hause?«
»Ja.«
»Warum?«
»Um mit uns zu Abend zu essen.«
»Macht das deinen Eltern denn nichts aus?«
»Wir sind nur zu zweit, ich und meine Mutter.«
»Oh. Na, okay, dann komm ich mit.«
»Okay«, sagte Sunny. »Gut.« Er krempelte Bobbys rechten Hemdsärmel hoch und malte ihm mit dem dünnsten Pinsel, den er finden konnte, seine Adresse auf den Unterarm. Es raschelte im Gebüsch und sie drehten sich um, gerade als Mr Oats zum Vorschein kam. In den Mundwinkeln des Lehrers sammelte sich der Speichel.
»Was zum Teufel macht ihr da?«, fragte er. Erschrocken fuhr Sunny herum und spurtete in den Tunnel. Er prallte gegen die Wand, fiel bewusstlos zu Boden und blieb dort mit ausgestreckten Armen und Beinen liegen, von oben bis unten mit schwarzer Farbe bedeckt. Und so hatte der Tunnel tatsächlich dafür gesorgt, dass er aus der Schule herauskam.
Sie verbrachten das gesamte nächste Wochenende auf dem Speicher von Sunnys Haus, sahen die alten Filme von Sunnys Vater, stellten begeistert fest, dass sie wesentlich jünger waren, als es das rot umrahmte Alter vorne auf den Kassettenhüllen erlaubte, stopften sich mit Schokolade voll und tranken Brause aus langen Strohhalmen. Weil Bobby darauf bestand, holte Sunny sämtliches Spielzeug, das er besaß, aus dem Schrank in seinem Schlafzimmer. Es passte alles in einen verbeulten Schuhkarton. Mit einer ungesunden Mischung aus Angst und Scham öffnete Sunny den Deckel. Er tat das so langsam wie möglich. Aber im Gegensatz zu allen anderen Freunden, die Sunny je zu sich nach Hause eingeladen hatte, sagte Bobby kein einziges Wort dazu, wie altmodisch und überholt die wenigen Spielsachen waren oder dass ein paar von ihnen nur noch mit Tesafilm zusammengehalten wurden. Die grünen Plastiksoldaten erwachten in seinen Händen zu neuem Leben und selbst Sunny vergaß, dass ihnen lauter Arme und Beine fehlten.
Als Bobby langsam seine Sachen zusammensuchte und sich anschickte, den kurzen Heimweg anzutreten, machte keiner von beiden eine Bemerkung darüber, wie schwer es ihnen fiel, sich zu trennen.
»Ich kann dich vor diesen Jungs in der Schule beschützen«, sagte Sunny.
»Was?«
»Ich kann sie zwingen, damit aufzuhören.«
»Nein, kannst du nicht.«
»Kann ich wohl. Ich kann jeden Tag mit dir zusammen zur Schule gehen und auch wieder zurück. Ich könnte zu dir nach Hause kommen und dich morgens abholen und nach der Schule könnte ich dich wieder bis vor die Tür begleiten.«
»Nein«, sagte Bobby. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er nicht wollte, dass Sunny seinen Vater kennenlernte. »Das geht auf keinen Fall.« Sie schüttelten sich noch einmal die Hand. »Aber danke trotzdem.«
Sunny ignorierte die Bitten seiner Mutter, doch endlich ins Bett zu gehen. Er verbrachte den Abend damit, sich Terminator 2 anzusehen. Dieses unzerstörbare, von künstlichem menschlichen Fleisch umhüllte Metallskelett beschützte den Jungen namens John Connor um jeden Preis, komme, was da wolle. Er hatte eine Idee und fing sofort an, sich Notizen zu machen. Um das Ganze korrekt auszuführen, würde man es in drei separaten Phasen angehen müssen. Es war viel zu riskant, sein gesamtes Skelett in nur einer einzigen Operation durch Stahl zu ersetzen, in jeglicher Hinsicht.
Am nächsten Morgen wartete Sunny neben dem Tunnel. Er musste feststellen, dass sein Enthusiasmus für diese Idee – genau wie bei allen anderen Ideen, die er je gehabt hatte – ungefähr genau so schnell verpufft war, wie die Farbe gebraucht hatte, um in der Wochenendsonne zu trocknen. Aber diesmal war es anders. Diese neue Idee würde er ausführen, egal was passierte, immer vorausgesetzt, er bekam ein wenig Hilfe dabei.
Als Bobby eintraf, winkte ihn Sunny vom Busch aus zu sich. Während er näher kam, sah Sunny, dass Bobbys Hemd schon wieder voller Schlamm war und dass eine Mischung aus Rotz und Tränen ihre Bahnen durch sein dreckverschmiertes Gesicht gezogen hatte. In seinem linken Nasenloch glitzerte ein einzelner Blutstropfen.
»Was machst du hier?«, fragte Bobby und zwang seinen Fuß, fest auf der Erde zu ruhen, damit sein Bein aufhörte zu zittern.
»Ich habe einen Plan und du musst mir dabei helfen«, antwortete Sunny.
»Was denn für einen Plan?«
»Einen Plan, um dich zu beschützen.«
Bobby öffnete den Mund und wollte sagen, dass er keinen Beschützer brauchte, aber er brachte keinen Laut hervor.
Sunny kam hinter dem Busch hervor, gerade rechtzeitig, um Bobby aufzufangen, der mit solcher Gewalt zu schluchzen begann, dass sie beide davon durchgeschüttelt wurden. »Ich werde mich zu einem Cyborg umbauen.«
Trotz seiner Verzweiflung musste Bobby sich beherrschen, um nicht laut loszulachen.
Doch Phase eins, so waghalsig sie auch gewesen sein mochte, war genau nach Plan verlaufen. Sunny stellte zwei Stühle in seinen Garten und legte sein rechtes Bein darauf. Dann plazierten sie rechts und links von seinem Fußgelenk zwei Sandsäcke, um den Fuß in der richtigen Position zu halten, und breiteten unter ihm einen Schlafsack aus, der als behelfsmäßiges Auffangpolster dienen sollte. Bobby rollte ein Handtuch so fest zusammen, bis der Stoff knirschte, und steckte es Sunny in den Mund, der daraufhin die Zähne zusammenpresste. Genau wie sie es geübt hatten, nickte Sunny nun dreimal, um Bobby zu bedeuten, dass er bereit sei. Das dritte Nicken war das Signal für Bobby, vom Dach des Schuppens auf das Bein zu springen und Tibia und Fibula säuberlich in zwei Teile zu brechen. Der Sprung war rasch und präzise. Vögel flohen vor dem Echo.
Sunny gab vor, vom Schuppen gestürzt und dabei unglücklich gefallen zu sein. Der behandelnde Chirurg sagte ihm, er habe es hier mit einem der glattesten Brüche zu tun, die er je gesehen habe. Sunny dankte ihm und sorgte dadurch unter den Anwesenden im OP für große Verwirrung.
Mit geradezu stählernem Willen kämpfte sich Sunny durch die nun folgenden schmerzerfüllten Monate, und das Ergebnis war genau das, was er und Bobby sich erhofft hatten: Unter dem glänzenden, sich kräuselnden Narbengewebe – genau fünfzehn Zentimeter lang und der Form nach fast identisch mit Italien – befand sich eine starre Metallstange. Fest. Unzerstörbar. Der erste Teil von Sunnys Skelett war ausgetauscht.
Phase zwei gestaltete sich nicht annähernd so erfolgreich. Ein x-förmiger Narbenwust markierte die Stelle an Sunnys Unterarm, wo der Knochen diesmal sehr unsauber gebrochen war. Es war zwar eine Metallstange eingesetzt worden, aber der Arm blieb schwach und krumm. Der Vorschlaghammer war einfach zu unhandlich für Bobby gewesen. Er hatte das Werkzeug, das doppelt so groß war wie er selbst, nicht kontrollieren können, und sowohl Sunnys Mutter Jules als auch das Krankenhauspersonal weigerten sich, den Lügen darüber, was passiert war, auch nur den geringsten Glauben zu schenken. Aber ungeachtet dessen hatten sie ihr jeweiliges Ziel für Phase eins und zwei erreicht. Und da sie nun schon so weit gekommen waren, konnte sie nichts davon abhalten, ihren Plan auch bis zu Ende durchzuführen.
Bevor sie mit Phase drei begannen, erklärte Sunny, sie könnten unmöglich mit leerem Magen zu Werke gehen. Bobby hatte eigentlich immer Hunger und stimmte ihm daher enthusiastisch zu. Ein gewaltiger Zitronen-Käsekuchen türmte sich im Kühlschrank auf, von dem sie beide ein großes Stück hinunterschlangen. Bobby strich sich mit der Zunge über die Zähne und kostete euphorisch die letzten Reste aus, bis schließlich der Zuckerrausch ein wenig nachließ. Sein Vater hatte zu Hause ein striktes Verbot gegen solche Nahrungsmittel ausgesprochen. Er erlaubte nicht einmal, dass Bobby Kaugummi kaute. Er behauptete, es würde, wenn Bobby es herunterschluckte, noch sieben Jahre später seine Eingeweide verkleben. Bobby stellte sich vor, wie sich im Innern seines Brustkorbes ein buntes Durcheinander ausbreitete. Er fand das vollkommen in Ordnung. Das war genau das Gefühl, das er hatte, wenn er mit Sunny zusammen war.
Sie nahmen zwei Flaschen Coca-Cola mit und setzten sich auf die Mauer im Vorgarten, direkt unter den Abfluss der Dachrinne. Der Himmel hatte das schmutzige Grau eines Taubenflügels. Es begann zu regnen. Die benzinverpesteten Pfützen auf der Straße erzitterten und die Fenster der vorüberkriechenden Autos waren mit wirren Hieroglyphen beschlagen. Sunny leckte seine Handfläche ab und wischte sich dann damit über die Stirn.
»Und was ist, wenn du mich nicht mehr leiden kannst, wenn du ein Cyborg bist?«, fragte Bobby. Sosehr er auch Sunnys Bemühungen, ihn zu beschützen, zu schätzen wusste, so hatte er doch weit mehr Angst davor, ihn als Freund zu verlieren, als davor, auf dem Schulhof verprügelt zu werden.
Sunny presste seine Zunge gegen die Schneidezähne. Rosafarbene Klumpen lugten wie Maden zwischen den Lücken hervor.
»Das ist genau der Teil meines Gehirns, den ich behalten werde«, sagte er.
Sunnys Mutter Jules kam aus dem Haus, in den Schatten ihres Regenschirms gehüllt. Sie war eine stille, freundliche Frau und machte sich nur um zwei Dinge Sorgen: den immer schlechter werdenden Gesundheitszustand ihrer Eltern (die Hunderte von Kilometern entfernt wohnten) und das bemerkenswerte Talent ihres einzigen Kindes, sich selbst die dramatischsten Verletzungen zuzufügen. Sie sprach sehr langsam, in der Hoffnung, dass ihre Worte so ihren Weg in seine Ohren finden würden.
»Hörst du mir zu?«
»Äh, ja«, sagte Sunny.
»Also, was habe ich denn dann gerade gesagt?« Er wand sich. Sie gab ihm einen Klaps auf den Kopf, aber nur sehr leicht. Sie wusste, wie zerbrechlich er war. »Ich habe gesagt, geht auf keinen Fall auf das Gerüst.«
Das Gerüst hatte man am Haus hochgezogen, um neue Fenster einzubauen. Bobby und Sunny waren bereits fleißig dabei, sich auf die beste Methode zum Hochklettern zu einigen – vollkommen lautlos, wie das nur Kinder können. Selbst in dem Moment, als Jules sie zwang – Hand aufs Herz – zu schwören, fragten sie sich, wie hoch sie wohl kommen würden.
»Sunny, Schatz, ich sage dir doch solche Sachen nur, weil ich dich liebhabe, das weißt du doch, oder?«
»Klar weiß ich das.«
»Außer wenn ich dir sage, dass du dein Zimmer aufräumen sollst. Das mache ich, weil du immer so ein verdammtes Chaos hinterlässt und mir das echt zum Hals raushängt.«
»Ich weiß.« Jules strich Sunny übers Haar.
»Ich hab dich lieb«, sagte er.
»Ich hab dich auch lieb, mein Schatz.« Sie verabschiedete sich von Bobby und ging langsam in Richtung Innenstadt. Bobbys schlechtes Gewissen war gerade groß genug, um ihn eine Entschuldigung flüstern zu lassen, die sie im Weggehen nicht mehr hörte. Schuld war ein Gefühl, das er nur zu gut kannte. Die Erwachsenen verwechselten das öfter mit tadellosen Manieren.
Die Jungen kletterten die mit Farbe und Verputz befleckte Leiter hoch, bis sie den dritten Stock des Gerüstes erreicht hatten. Dort stellten sie sich an den Rand und warfen zerborstene Ziegelsplitter in die Tiefe. Dabei pfiffen sie schrille Bombengeräusche durch die Lippen und knurrten kehlig die Explosion hinterher. Dort oben wurde die Stadt zu einer stumpfsinnigen Prozession aus Schornsteinen, die sich schweigend unter dem Sprühregen dahinzog, jeglicher Zukunft und Vergangenheit beraubt. Zusammen mit den Menschen, die in ihr wohnten, war sie einem Moment ausgeliefert, dem sie nur zu gern entflohen wäre. Aus dieser Höhe schien Sunnys Tunnel gar keine so schlechte Idee gewesen zu sein.
Sunny versuchte, sein T-Shirt auszuziehen. Bobby musste ihm dabei helfen, seinen Kopf durch den Halsausschnitt zu zwängen, während Sunny sich bückte wie eine ungehorsame Marionette. Sunnys linker Arm war immer noch schlaff und kraftlos. Der Gips war erst vor ein paar Tagen entfernt worden. Sie konnten das Metall unter der Haut spüren, den kalten, steifen Klumpen ihres mühsam errungenen Erfolges. Sunnys nassglänzender Körper hatte schon jetzt etwas Roboterhaftes an sich, ein geschmeidiger, funktionstüchtiger Motor, voll jugendlicher Leistungsstärke.
»Möge Phase drei beginnen«, schrie Sunny und ging auf den äußersten Rand der Plattform zu, drei Stockwerke über dem Erdboden. Bobby wurde plötzlich übel und seine Knie gaben nach.
In Phase drei, der letzten Phase, sollten Metallplatten in Sunnys Schädel eingesetzt werden. Hätten sie damit nur noch wenig länger gewartet, wäre ihnen womöglich jene sorglose Missachtung der Gefahr verlorengegangen, die Jungen bis zu einem gewissen Alter auszeichnet. Verschwindet die Gefahr, ist auch die Kindheit zunichtegemacht.
Sunny wiegte sich auf seinen Fußsohlen vor und zurück und begann dann mit derselben Gewissheit, mit der er in das warme Wasser einer Badewanne steigen würde, auf Bobby zuzurennen. Seine Arme breiteten sich wie Flügel zu beiden Seiten seines Körpers aus, aber an den wie panische Aale zuckenden Kiefernmuskeln konnte Bobby erkennen, dass er an seinem Vorhaben bereits die ersten Zweifel hatte.
»Mission abbrechen! Mission abbrechen!«, schrie Sunny und grub die Fersen in das Holz. Aber die Oberfläche war glatt und schlüpfrig. Es blieb ihm nicht genug Zeit, um anzuhalten. Bobby fasste ihn am Fußgelenk und rammte ihm gleichzeitig die Schulter ins Knie. Sunnys Bein wurde blockiert und nach links geschleudert, was ihm jedoch nur noch mehr Schwung zu verleihen schien. Nachdem Sunny den Rand des Gerüstes hinter sich gelassen hatte, schien er für den Bruchteil einer Sekunde auf wundervolle Weise schwerelos zu sein. Er tauchte mit fast völliger Lautlosigkeit in die Luft ein, nur durchbrochen vom Gelächter der Singvögel, die diese jämmerliche Flugimitation mit ihrem Hohn überschütteten. Kopfüber, dem Erdboden entgegentaumelnd, rief er: »Ich werde dich beschützen, Bobby Nusku!«