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Von Mark um ein Vorwort zu seinem bahnbrechenden Werk gebeten zu werden, ist mir ebenso eine Ehre wie ein Vergnügen. Wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie feststellen, dass es mehr ist als ein Buch über Pferde und Reiter – viel mehr sogar. Es geht um einen Menschen, der seiner Leidenschaft folgt, der erfüllt ist und wieder leer wird und den vollen Kreis beschreibt vom Anfänger zum Meister und wieder zurück zum Anfänger.
Diese Reise ist nichts für jedermann, denn sie ist alles andere als leicht. Sie erfordert Zeit und harte Arbeit und nimmt Ihnen manchmal buchstäblich den Atem. Sie ist nichts für Schwächlinge oder Kleingeister. Man braucht dafür den Willen zu lernen, bescheiden zu sein und zuzeiten zuzugeben, wie viel man doch nicht weiß.
Bei den asiatischen Kampfkünsten gibt es ein altes Sprichwort: „Wenn der Schüler bereit ist, erscheint auch der Lehrer.“ Genau das habe ich vor über zwanzig Jahren erlebt und erleben unzählige Lehrer und Schüler seit vielen Jahrhunderten. Menschen brauchen manchmal eine Weile, bis sie sich durch alles, was sie beunruhigt und von dem abhält, was sie eigentlich erreichen wollen, hindurchgearbeitet haben. Haben sie erst einmal einen einzelnen, fokussierten Punkt erreicht und sind bereit, die Dinge so, wie sie sind, zu akzeptieren, können sie sich auch mit dem aktuellen Stand auseinandersetzen.
Es ist diese Fähigkeit, mit Dingen im gegenwärtigen Zustand umzugehen, die schließlich uns allen hilft, voranzukommen. Wenn wir uns dagegen auf alles konzentrieren, was falsch ist, können wir nicht mehr erkennen, was richtig ist. Wer immer nur an die Verletzungen denkt, die ihn daran hindern, etwas zu tun, macht nicht nur oft die Verletzungen selbst schlimmer, sondern hält sich auch höchst persönlich von dem ab, was er durchaus tun könnte, und das ist gewöhnlich sehr viel mehr, als er selbst für möglich hält.
Als Mark mit mir über diese Gedanken und Ideen rund um Aikido und Horsemanship sprach, packte mich der Gedankengang sofort. Marks Arbeit ist sehr wertvoll, für das Pferd wie für den Reiter. Von meinem Lehrer habe ich gelernt, dass nur der gut in den Kampfkünsten sein kann, der seine Kunst auch lebt, jeden einzelnen Tag seines Lebens. Genau dies tut Mark, in seiner Arbeit wie in seinem Leben. Über kaum etwas freut sich ein Lehrer so sehr wie über einen Schüler, der seinen Lernstoff versteht, anwendet und danach lebt. So bleibt DER WEG lebendig.
Viel wichtiger als die Technik ist der Geist, den ein Mensch in seine Arbeit legt. Wir müssen aus der Reise lernen, nicht vom Ziel. Mark verkörpert diesen Gedanken, und ich bin voller Respekt und stolz auf das, was er erreicht hat. Es macht mich demütig, dass auch ich zu einem kleinen Teil an dieser Reise beteiligt war.
Von ganzem Herzen hoffe ich, dass Sie das, was dieses Buch zu geben hat, annehmen können und Sie durch das, was Mark auf seiner Reise mit Ihnen teilt, Ihr Leben bereichern und schöner gestalten können.
Osu, Shihan Eric Adams
Eric Adams wurde in Colorado geboren und wuchs in Alaska auf. Kampfsport und Pferde gehörten schon immer zu seinem Leben – seine Eltern waren Reitstallbesitzer. Als Jugendlicher erlernte er in Alaska asiatische Kampfsportarten und erwarb diverse Schwarze Gürtel u. a. in Shudokan Karate, Yoshinkan Aikido und Jiu-Jitsu Kobudo (Waffen). Heute betreibt er einen Dojo in Colorado.
Wann ich den Begriff „horsemanship through life“ (wie mein Buch im amerikanischen Original heißt – etwa: Horsemanship immer und überall, im ganzen Leben) – erstmals verwendet habe, kann ich nicht mehr mit Sicherheit sagen. Ich erinnere mich aber, warum ich ihn verwendet habe, und zwar als Antwort auf die Frage einer Dame, was für mich das Wichtigste an einem guten horseman, einem Pferdemann sei. Ich erklärte ihr, es gehe darum, Horsemanship auch im Alltag zu praktizieren, nicht nur mit Pferden. Die Dame blickte mich etwas verwirrt an.
Also erklärte ich weiter, dass viele Menschen (besonders solche, die ihre Pferde „im Hinterhof“ halten) meiner Erfahrung nach ihre Horsemanship, das Wissen um den guten Umgang mit Pferden, tatsächlich nur im Umgang mit ihren Pferden praktizieren. Gut möglich, dass sie sonst ihre Kinder anbrüllen, mit Kollegen streiten, sich in der Schlange an der Supermarkt-Kasse vordrängeln oder am Steuer ihres Autos Tobsuchtsanfälle bekommen. Und dann nehmen sie einfach an, sie könnten mit ihren Pferden arbeiten und plötzlich ruhig, geduldig, ihrer selbst bewusst und verständnisvoll sein.
Oder sie verbringen, am andern Ende des Spektrums, den ganzen Tag damit, sich verbal oder mental mit jeder Kleinigkeit auseinanderzusetzen (auch wenn das weder passend noch notwendig ist). Und sie glauben, sie brauchen nur zu ihrem Pferd zu gehen und können sich ihm gegenüber irgendwie in aller Ruhe behaupten, falls und sobald es nötig ist.
Das größte Problem besteht darin, dass die meisten Pferdebesitzer heutzutage nur wenig Zeit für ihre Pferde aufbringen können, von ein paar Minuten bis zu mehreren Stunden, falls überhaupt. Die restliche Zeit geht für Alltagsaufgaben drauf, die selten etwas mit Pferden zu tun haben. Ungefähr eine Stunde am Tag ist dem Pferd gewidmet, die restlichen dreiundzwanzig Stunden werden ohne Pferd verbracht. Gerade diese dreiundzwanzig Stunden aber könnten in meinen Augen die größten Verbesserungen in Bezug auf Horsemanship bringen!
Schauen Sie, wenn wir mit unseren Pferden zusammen sind, haben wir Gelegenheit, die normalen Utensilien eines Pferdemenschen zu gebrauchen – Halfter, Führstricke, Sättel, Trensen usw. Aber fern von unseren Pferden haben wir Gelegenheit, das wichtigste Handwerkszeug eines Pferdemenschen weiter zu verfeinern – unseren Geist und unseren Körper.
Gut in Horsemanship zu sein, bedeutet für mich nicht, wie wir uns verhalten, wenn wir mit Pferden umgehen. Es geht auch darum, wie wir uns verhalten, wenn wir nicht bei ihnen sind. Auch wer nur fünfzehn Minuten am Tag für sein Pferd übrig hat, kann den Rest des Tages an seiner Horsemanship arbeiten. Schließlich sind die Eigenschaften, die einen guten Pferdemenschen ausmachen, die gleichen, die auch für das Leben generell wichtig sind, und umgekehrt.
Die Chancen stehen gut, dass jemand, der im Alltag unschlüssig, zornig, zerstreut, zögerlich, aggressiv, streitlustig, herrisch oder ungeduldig ist, dieselben Eigenschaften auch in seine Horsemanship einbringt und dass sein Pferd diese Eigenschaften widerspiegelt. Gleichermaßen wird das Pferd höchstwahrscheinlich auch menschliche Eigenschaften wie Geduld, Ruhe, Selbstvertrauen, Bereitwilligkeit, Konzentration und Zuverlässigkeit widerspiegeln.
Ob positiv oder negativ: Die Eigenschaften, die unser Alltagsleben bestimmen, haben fast immer auch den größten Einfluss auf unsere Horsemanship. Das Größte dabei ist natürlich, dass wir nicht nur die Macht haben, uns die Eigenschaften auszusuchen, die wir im Alltag herausstellen möchten, sondern dass wir auch die Macht – und die Zeit – haben, uns darin zu üben!
Für mich nahm der Gedanke von „horsemanship through life“ vor einigen Jahren eine völlig neue Bedeutung an, als ich nämlich von einigen alten körperlichen Beschwerden sowie von dem Anschein nach davon unabhängigen persönlichen Problemen geplagt wurde. Ohne es zu merken, ließ ich zu, dass diese Probleme sich in so ziemlich jeden Aspekt meines Lebens einschließlich meiner Horsemanship einschlichen, mit einem, sagen wir mal, nicht gerade günstigen Endergebnis.
Eine Zeitlang versuchte ich, die Probleme bei meiner Horsemanship in den Griff zu bekommen, ohne an den anderen Dingen zu arbeiten, aber wie sich herausstellte, wurden sie nicht nur nicht besser, sie verschlimmerten sich bis zu einem gewissen Grad sogar. Erst als ich begann, mich außerhalb der Pferdewelt umzusehen, und einen Weg einschlug, der mich letztendlich zu den asiatischen Kampfsportarten führte, fand ich die Antworten, nach denen ich gesucht hatte. Danach nahmen die Dinge allmählich ganz automatisch wieder ihren richtigen Platz ein.
Diese Erfahrung trug zuerst zu der Einsicht bei, dass das Konzept von „horsemanship through life“ viel mehr sein konnte als ein Weg, mit Pferden umzugehen – es konnte vielmehr ein Weg sein, freundschaftlich mit Pferden zusammen zu sein. Deshalb hoffe ich, dass der Bericht, den Sie nun lesen werden, Ihnen eine kleine Hilfe sein kann – ob Sie berufsmäßig oder in der Freizeit reiten oder Pferde nur aus der Ferne bewundern –, und dass er zur Illustration der Kraft beiträgt, die der Gedanke der Freundschaft mit Pferden für uns alle verkörpern kann.
Mark Rashid
Wenn wir unseren Pferden zuhören, wächst unsere Bildung.
Tun wir’s nicht, blühen uns Erfahrungen.
Mark Rashid
Es war ein eigenartiger Laut, aber irgendwie auch vertraut. Ich hielt inne, um darüber nachzudenken, versuchte, das ungewöhnliche, beinahe geisterhafte Geräusch unterzubringen. Es klang, als sagte jemand auf sehr seltsame Art „Hi“ – aber nicht so, wie man auf der Straße jemanden grüßt, sondern mehr wie ein lang gezogenes „Hiiiiiiiije“ mit atemloser, fast heiserer Stimme. Es verklang langsam, und dann konnte ich noch eines hören. Es hatte schon mehrere gegeben, obwohl ich nicht genau sagen konnte, wie viele, und jedes schien lauter zu sein als das vorherige.
Ich versuchte mich zu erinnern, wann zuletzt ich diese ungewöhnliche Resonanz gehört hatte, und zuerst fiel mir absolut nichts ein. Nach einer Zeit, die mir schrecklich lang vorkam, tauchte endlich vor meinem inneren Auge schlagartig, wie ein Kaltwasserguss, ein Bild davon auf, wo ich es zuletzt gehört hatte.
Es war eine Art Ritual. Zwei oder drei Mal im Monat fuhr Walter Pruitt, der alte Mann, für den ich damals arbeitete, zu irgendeiner Pferdeauktion und kaufte ein paar Pferde. Was er mit heimbrachte, gehörte nicht gerade zur Creme der Pferdewelt. Fast immer waren es Pferde mit beträchtlichen Ausbildungsmängeln einschließlich einiger eingefleischter „Bocker“. Aufgrund ihrer Ausbildungs„mängel“ konnte der alte Mann sie fast immer „für ’nen Appel und ’n Ei“ kaufen, manchmal sogar für weniger.
Daheim im Stall setzte er mich auf jedes Einzelne drauf und ließ mich losreiten. Selten erzählte er mir, was mit den Pferden los war; in Anbetracht meiner gerade mal zwölf Jahre erschien ihm das wohl unnötig. Es machte auch nicht wirklich etwas aus, denn in vielen Fällen stellten sich die Pferde als eigentlich ganz in Ordnung heraus. Auch wenn die Vorbesitzer sie als „Problempferde“ bezeichnet hatten, waren viele davon so nett, wie man es sich nur wünschen konnte. Wenn wir wirklich keine Mängel an einem Pferd entdeckten, arbeiteten wir eine Weile mit ihm, bis es richtig gut ging. Und dann verkaufte der alte Mann es mit erheblichem Gewinn wieder weiter.
Allerdings waren nicht alle Pferde so friedlich, wenn ich mich daraufsetzte. Ab und zu gerieten wir an eines, das, aus welchen Gründen auch immer, nicht daran interessiert war, jemanden auf seinem Rücken spazieren zu tragen. Viele sprangen oder buckelten ohne ersichtlichen Grund aus dem Stand los, manche schon, wenn ich nur den Fuß in den Steigbügel setzte. Andere warteten, bis ich mich im Sattel zurechtgesetzt hatte, bevor sie explodierten, und wieder andere gingen ein paar Minuten sehr schön, bevor sie Dampf abließen.
Seltsamerweise war der alte Mann, wenn ich in den Sattel eines neuen Pferdes kletterte, u. A. daran interessiert zu sehen, wie gut das Pferd bockte, wenn es denn bockte. Die Pferde, die „gut“ bockten, waren nämlich für eine Karriere als Rodeopferde bestimmt und wurden von ihm an einen Kumpel verkauft, der in diesem Geschäft tätig war. Auf diesem Weg konnte der alte Mann sie vor dem sicheren Gang zum Pferdemetzger bewahren. Gute Reitpferde konnten sie vielleicht nicht werden, aber wenigstens konnten sie tun, was sie am besten konnten – und das war bocken.
Das Leben der Rodeopferde pflegte der alte Mann folgendermaßen zu kommentieren: „Kein schlechter Job. Acht Sekunden Arbeit pro Woche, den Rest auf der grünen Wiese stehen und Gras fressen – hoffentlich finde ich für mich auch mal so was.“
Jedenfalls hatte ich im Verlauf von zwei Monaten auf einer ganzen Reihe dieser Auktionspferde gesessen, ein oder zwei waren ein bisschen herumgehüpft, ansonsten hatte es keine besonderen Vorkommnisse gegeben. Aber an einem ungewöhnlich kalten und windigen Tag sollte ich einen großen, vier Jahre alten Schimmelwallach reiten. Er maß über 160 cm Stock und wog circa 1300 Pfund. Am Boden war er ruhig genug. Er ließ sich problemlos einfangen, putzen und satteln und er schien auch nichts dagegen zu haben, dass ich aufstieg. Das Problem kam, als ich ihn zum Antreten aufforderte – und was für ein Problem!
Ich drückte dem großen Pferd sacht die Absätze in die Flanken, aber es bewegte sich keinen Zentimeter. Ich drückte etwas fester, aber es kam immer noch keine Reaktion. Ich hieb ihm die Absätze hinein und spürte, wie sich sein Körper anspannte, aber er bewegte sich noch immer nicht. Ich holte noch kräftiger aus, und dann passierte es. Es fing recht harmlos an: Das Pferd grunzte ein wenig und machte einen sehr steifen Schritt nach vorn. Den Bruchteil einer Sekunde hielt es inne, zog sich dann in so etwas wie eine unnatürliche Ballposition zusammen, quietschte laut und katapultierte sich hoch in die Luft.
Anfangs drückte mich der Satz tief in den Sattel. Dort hielt mich die Schwerkraft fest, bis wir den Scheitelpunkt erreichten und die Talfahrt begannen. Dass ich von den Aktionen des Pferdes überrascht wurde, wäre die Untertreibung des Jahres gewesen. Instinktiv hatte ich auf dem Weg nach oben das Sattelhorn gepackt. Als es nach unten ging, verlor ich jedoch den Sitz und versuchte, ihn mithilfe dieses meines Griffs wiederzufinden. Die harte Landung warf mich nach vorn auf den Pferdehals, aber kaum gelandet, stieg das Pferd auch schon und katapultierte sich erneut in die Luft. Im Sprung wurde mein Oberkörper abrupt nach hinten gerissen, was mich beinahe wieder gerade in den Sattel gesetzt hätte, aber dann gab der Schimmel seinem Körper in der Luft noch eine kleine Drehung mit, und das war ein kleines bisschen zu viel für mich.
Wir trennten uns in der Luft, er ging nach rechts ab, ich nach links. Zu meiner nicht geringen Überraschung landete ich relativ harmlos auf der oberen Zaunstange, Kopf und Arme nach draußen, den Körper innerhalb des Zauns. Meine Achselhöhlen hatten den Großteil meines Gewichts zu tragen, mit dem linken Fuß konnte ich mich auf einer Stange weiter unten abstützen. Ich schlug ziemlich hart auf und prellte mir die Innenseite der Arme, den oberen Brustkasten, das Kinn und den linken Oberschenkel, ansonsten aber war ich verhältnismäßig unbeschädigt und einfach froh, aus einem Schlamassel entkommen zu sein, der noch viel schlimmer hätte ausgehen können. Der alte Mann allerdings war offensichtlich nicht beeindruckt.
Mehr als ein Mal hatte der alte Mann sein Missfallen daran geäußert, dass ich, wenn ich im Sattel in Schwierigkeiten geriet, manchmal dazu neigte, mich „ans Leder zu krallen“, besonders gern ans Sattelhorn. Dies war keine Ausnahme. Ich hing immer noch über dem Zaun, und das Pferd raste quietschend und buckelnd im Round Pen herum, wenn es nicht gerade Lektionen über der Erde ausführte, als der alte Mann zu mir herüber kam.
„Sich am Leder festzukrallen ist keine Art, ein Pferd aussitzen zu lernen“, sagte er mit einer Spur von Entrüstung in der Stimme. „Wenn einer so schlecht reitet, dass das Pferd ihn herunterbocken kann, dann verdient er, am Boden zu landen, schlicht und ergreifend.“
Du hast leicht reden, dachte ich, während ich mit den Armen über dem Zaun hing. Dich hat er ja auch nicht wie eine Stoffpuppe herumgebeutelt.
„Lern’ du erst mal besser reiten“, sagte er im Weggehen. „Dann brauchst du dir auch keine Gedanken darum zu machen, abgeworfen zu werden.“
Ich hatte dem alten Mann viele Male zugesehen, wenn er ritt, und immer war mir die Leichtigkeit aufgefallen, mit der die Pferde sich unter ihm bewegten. Bei ihm sah Reiten mühelos aus, als ob er und das Pferd eins wären. Kurz nach meinem Sturz von dem großen Schimmel saß ich auf dem Zaun und sah zu, wie der alte Mann eineinhalb Stunden ein junges Pferd ritt. Er tat nichts Besonderes, und das Pferd machte einen ziemlich ruhigen Eindruck. Deshalb überraschte es mich selbst, als ich nach ungefähr der Hälfte des Ritts feststellte, dass ich fast die ganze Zeit am Grinsen gewesen war.
Damals wusste ich nicht, warum ich gegrinst hatte, und ich brauchte einige Jahre, um es herauszufinden. Schließlich merkte ich, dass sich das Lächeln deshalb auf meinem Gesicht breitgemacht hatte, weil sie einfach so gut zusammen aussahen. Kein Stress, keine Steifheit, keine Ängstlichkeit, keine Spannung, keine Gewalt. Nur ein Mann und ein Pferd, die sich mühelos zusammen bewegten, wie es eigentlich sein sollte.
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt begann ich zu verstehen, was der alte Mann mir über meine Reiterei hatte sagen wollen. Eine ganze Weile hatte ich gedacht, er hätte einfach nur sagen wollen: „Halt dich nicht am Leder fest.“ Warum er das nicht wollte, war mir nicht ganz klar, abgesehen davon, dass ein echter Reiter so etwas vielleicht nicht tat. Ich dachte, ich müsste mich am Leder festhalten, um im Sattel zu bleiben.
Und darin lag das Problem mit meinem ganzen Gedankengang. Ich versuchte, auf dem Pferd zu bleiben, nicht mit dem Pferd. Wenn der alte Mann ritt, ritt er mit dem Pferd. Wenn ich ritt, ritt ich auf dem Pferd, was sich sehr oft zu einem gegen das Pferd entwickelte. Wenn man gegen das Pferd reitet, kann man sich im Sattel oft überhaupt nicht mehr bewegen. Wenn man beim Reiten aufhört sich zu bewegen, wird man sehr starr und steif – manchmal fast wie eine Schaufensterpuppe. Stellen Sie sich einen Augenblick eine Schaufensterpuppe auf einem Pferd im Trab vor, oder noch besser, wie ein Pferd sich fühlen würde, das versucht, mit einer Schaufensterpuppe auf dem Rücken zu traben.
Und genauso ritt ich – steif und unbeweglich im Sattel. Je steifer du bist, desto einfacher ist es natürlich, einen ungeplanten Abflug zu machen. Mir war nämlich nicht klar, dass ich, wenn ich das Sattelhorn packte, um oben zu bleiben, sowieso schon so gut wie weg vom Fenster war. Vielleicht nicht so weit weg, dass ich am Boden gelegen hätte, aber ich arbeitete immer noch gegen das Pferd anstatt mit ihm. Mein Griff um das Sattelhorn musste in einer enormen Steifheit enden, die in der um das Horn gekrallten Hand begann und sich durch den ganzen Körper hindurch fortsetzte und den Schaufensterpuppen-Effekt bewirkte. Wenn das geschah, war es nur eine Frage der Zeit, bis ich Bodenberührung hatte. Was, um der Wahrheit die Ehre zu geben, häufig genug der Fall war.
Na ja, nachdem ich das herausbekommen hatte, beschloss ich, es wäre Zeit, meinen Reitstil zu ändern. Ich verbrachte noch mehr Zeit damit, dem alten Mann beim Reiten zuzusehen, und versuchte herauszufinden, was genau er eigentlich im Sattel tat, um mit jedem Pferd, das er ritt, im Einklang zu bleiben. Je länger ich ihn beobachtete, desto mehr dämmerte mir, dass nicht das, was er im Sattel tat, seine Reiterei so mühelos erscheinen ließ, sondern das, was er nicht tat. Er stützte sich nicht fest mit den Füßen im Bügel ab, wie ich es tat, seit ich versuchte, auf bockenden Pferden das Gleichgewicht zu halten. Seine Beine hingen eher lose seitlich am Pferd herab, die Füße ruhten entspannt im Bügel. Was das Pferd auch tat, ob es ruhig seines Weges ging oder einen Riesenwirbel machte, seine Beine sahen immer sehr lose aus. Da seine Beine lose waren, war es auch der Rest seines Körpers, und weil sein Körper lose blieb, konnte er sich in die Bewegungen des Pferdes einfügen.
Ausgerüstet mit dieser neuen Information versuchte ich, die Reiterei des alten Mannes nachzuahmen. Von da an ließ ich mir, wenn ich aufsaß, eine Minute Zeit, um meine Beine zu entspannen, bevor ich das Pferd zum Antreten aufforderte. Der schwierige Teil dabei war, sie auch während des Reitens lose zu halten. Es dauerte aber nicht allzu lang, bis es mir leichter und leichter fiel, meine Beine die ganze Zeit entspannt zu halten. Nicht gerade überraschend fühlte sich diese Reiterei sehr viel besser an, und wenn ich zurückblickte, war es eigentlich auch die Art, wie ich am Anfang, vor einigen Jahren geritten war. Erst als ich einige Pferde geritten hatte, die unerwartet angefangen hatten zu bocken, hatte ich angefangen, mit angespannten Beinen (und deshalb auch mit angespanntem Körper) zu reiten. Nach einer Weile war mir diese Anspannung zur Gewohnheit geworden.
Interessanterweise bemerkte ich, als ich anfing, meine Beine mehr zu entspannen, Steifheiten in anderen Körperteilen, besonders in den Schultern, den Armen und den Händen. Ich dachte, ich würde diese Steifheiten wohl besser ebenfalls los, und nach kurzer Zeit war ich damit beschäftigt, mich beim Reiten insgesamt zu entspannen. Als mir dies auf Dauer gelang, merkte ich, wie sich mein Gleichgewicht im Sattel und dann auch meine ganze Reiterei verbesserten. Es ging zweifellos aufwärts!
Mit der Zeit stieg mein Selbstvertrauen in meine Reitkünste ganz beträchtlich, was hauptsächlich daran lag, dass ich seit Monaten nicht mehr „nach Leder gegriffen“ hatte und trotzdem nicht heruntergeflogen war, obwohl es manchmal recht stürmisch zugegangen war. Seit der große Schimmel mich abgesetzt hatte, war ich tatsächlich auf einigen Pferden gesessen, die mindestens ebenso große Sätze machten, wenn nicht noch größere, und hatte problemlos mitgehen können. Aber wahrscheinlich hatte meine Zufriedenheit noch einen anderen Grund. Vor Kurzem hatte der alte Mann mir ein seltenes Kompliment gemacht: Er sei sehr beeindruckt davon, wie ich in letzter Zeit geritten sei. Noch Tage danach schwebte ich auf Wolke sieben.
Ein paar Monate später liefen die Dinge ein wenig schief. Es war Frühling, und der Schnee war schon fast ganz weggeschmolzen. Die Reste tauten kräftig, und die ganze Ranch war von trüben Rinnsalen durchflossen. Das Gute an dieser Jahreszeit war, dass die winterlich einförmig braunen Weiden einen ersten Schimmer von Grün aufwiesen. Wenn der Wind richtig stand, konnte man richtig riechen, wie das neue Gras sich seinen Weg durch den Matsch nach oben suchte.
Später am Morgen, nachdem ich meine Arbeit erledigt hatte, sollte ich für den alten Mann eine kleine braune Stute namens Sissie im Gelände reiten. Ich hatte die Stute schon oft geritten, und wir waren immer gut miteinander ausgekommen. Der alte Mann hatte sie im vergangenen Sommer gekauft, und da sie vom ersten Tag an kaum Schwierigkeiten gemacht hatte, erhoffte er sich einiges von ihr und wollte sie nun verkaufen. Das einzige Problem war, dass wir sie fast nur auf dem Platz gearbeitet hatten. Es hatte sehr viel Schnee gelegen, und es war so gut wie unmöglich gewesen, mit ihr auszureiten.
Sie hatte vorher weder beim Reiten noch im Umgang größere Schwierigkeiten gemacht, aber an diesem Tag schien sie praktisch von dem Moment an, als ich sie von der Koppel holen wollte, irgendwie von der Rolle zu sein. Kaum hatte ich ihr das Halfter angelegt, um sie in den Stall zu führen, als sie auch schon die Ohren anlegte und mit dem Schweif schlug. Beim Aufsatteln stampfte sie herum und schielte mich böse an. Als ich aufsitzen wollte, wich sie mir ein paarmal aus. Ich fand ihr Verhalten ein bisschen seltsam, gar nicht wie sonst, und als ich es dem alten Mann gegenüber erwähnte, schien auch er ein wenig beunruhigt.
„Dann mach nicht viel mit ihr“, sagte er. „Reit’ nur bis zum zweiten Weidetor und wieder zurück. Mal sehen, wie sie sich dann anfühlt. Wenn sie immer noch nicht in Ordnung ist, stell’ sie wieder weg, und wir schauen sie uns morgen noch mal an.“ Ich nickte und ritt an.
„Nur Schritt“, sagte er noch nachträglich.
Das zweite Tor war nicht sehr weit weg, vielleicht nicht ganz einen Kilometer, und es war alles ebenes Gelände. Wir waren noch nicht weit gekommen, als ich merkte, dass die kleine Stute sich komisch bewegte. Irgendetwas stimmte nicht mit ihrer Hinterhand – sie lahmte nicht gerade, aber sie trat auch nicht richtig vor. Ich dachte daran umzukehren, aber da es sich nicht allzu schlimm anfühlte, beschloss ich weiterzureiten, obwohl die ständig angelegten Ohren deutlich ihren Missmut verrieten.
Wir hatten vielleicht drei Viertel des Wegs zum zweiten Tor zurückgelegt, als Sissie plötzlich die Füße in den Boden stemmte und keinen Schritt mehr weitergehen wollte. Ich trieb sie vorwärts, aber sie reagierte nicht. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte, deshalb beschloss ich abzusitzen und sie nach Hause zu führen, statt es auf einen Kampf mit ihr ankommen zu lassen, wenn es ihr nicht gut ging. Wir befanden uns sowieso gerade in schlechtem Gelände, alles voller Stümpfe und Fallholz von einem kurzen Unwetter im letzten Herbst, das einen Großteil der Bäume den Weg entlang umgeholzt hatte.
Als ich den rechten Fuß aus dem Bügel zog und absteigen wollte, ging die kleine Stute plötzlich in die Luft. Sie können sich vorstellen, in was für einer ungünstigen Position ich war. Ich war halb oben, halb unten, beide Hände um das Sattelhorn gekrallt und das rechte Bein irgendwie um den Sattelkranz geschlungen. Sie machte einen abrupten Satz zur Seite, von mir weg und gefolgt von zwei Riesenbocksprüngen. Bevor ich recht wusste, wie mir geschah, flog ich schon mit einem halben Purzelbaum hoch über ihren Kopf weg.
Ich weiß noch, dass ich im Herunterkommen dachte: Junge, das wird böse enden, und das tat es auch. Ich schlug auf dem Rücken auf, mit einem Aufprall, wie ich noch keinen erlebt hatte. Zu meinem Glück traf ich zwar auf keinem der vielen umgestürzten Baumstämme auf, aber doch auf dem einen Punkt innerhalb eines meilenweiten Radius, der noch nicht getaut war. Dieser eine Punkt lag im Schatten der einzigen beiden Bäume, die das Unwetter überlebt hatten, und er war steinhart und unbarmherzig.
Es schlug mir mit entsetzlicher Gewalt die Luft aus den Lungen, und ich lag benommen da und konnte nicht atmen. Erst nach Minuten, wie mir schien, konnte ich mich überhaupt bewegen, und dann rollte ich mich nur herum, auf die rechte Seite, zum Weg hin. Ich konnte nicht richtig sehen und versuchte Luft zu holen, aber es ging keine Luft hinein. Zu hören war der Hufschlag der kleinen Stute – sie verließ mich in aller Eile, vermutlich in Richtung Stall.
Schmerz durchzuckte meinen Oberkörper – schlimmer Schmerz. Ich schloss die Augen und versuchte erneut Atem zu holen, aber ich bekam immer noch keine Luft. In mir kam langsam Panik auf. Ein aufgeregtes Wiehern der Stute verklang in der Ferne. Ich öffnete die Augen und konnte besser sehen, aber was ich sah, ergab irgendwie keinen Sinn. In der Ferne standen Bäume, aber ich wusste nicht genau, was für welche. Auf dem Boden lagen ebenfalls eine Menge Bäume herum, was seltsam war, denn sie sahen so ziemlich aus wie die Bäume, die standen. Ich konnte mir nicht vorstellen, warum manche aufrecht standen und manche nicht. Alles war ein wenig in Nebel gehüllt.
Wieder versuchte ich Atem zu holen, und diesmal gelangte ein wenig Luft unter Schmerzen in meine Lunge. Aber so schnell die Luft hereingekommen war, so schnell stieß mein Körper sie wieder aus. Später fand ich heraus, dass diese spezielle unwillkürliche Reaktion der Versuch meines Körpers war, wieder normal zu atmen, nachdem er so unnatürlich der Luft beraubt worden war.
Wieder versuchte ich Luft zu holen, und wieder wurde sie sofort wieder ausgetrieben. Ich kämpfte mich langsam auf Hände und Füße, atmete mühsam ein, und weg war die Luft wieder. Ich versuchte zu husten, aber das ging überhaupt nicht. Ich versuchte, mich auf einen Punkt am Boden zu konzentrieren und dann ein bisschen mehr Luft zu holen. Sie ging hinein und kam wieder heraus, aber diesmal etwas langsamer, wenn auch immer noch mühsam. Ungefähr da wurde mir, glaube ich, erstmals vage ein höchst seltsames Geräusch bewusst.
Das war das allererste Mal, dass ich das ungewöhnliche Geräusch hörte – diesen irgendwie geisterhaften Laut, der klang, als ob jemand mit atemloser, fast heiserer Stimme „Hi“ sagen wollte, ein langes, lang gezogenes „Hiiiiii“.
Und hier, vierunddreißig Jahre später, hörte ich den Laut wieder. Die Umstände waren auf unheimliche Art ähnlich. Auf Hände und Knie gestützt, starrte ich auf einen kleinen Punkt am Boden und versuchte Luft zu holen. Zuerst war mir nicht ganz klar, wie ich hierhergekommen war oder wo ich überhaupt war.
Ich sah nach rechts und sah nicht weit entfernt einen hellgrauen, leicht verbeulten Cowboyhut umgedreht im Dreck liegen.
Das ist meiner, sagte irgendetwas weit hinten in meinem Kopf.
Instinktiv versuchte ich dorthin zu kriechen, wo der Hut lag. Aber kaum hatte ich versucht, die Hand nach dem Hut auszustrecken, als heftiger Schmerz meine ganze linke Seite durchzuckte. Der Schmerz stoppte mich augenblicklich, und reflexhaft legte ich schnell die rechte Hand darauf. Dann hörte ich den seltsamen Laut wieder.
Diesmal, als sich die Spinnweben langsam auflösten, wurde mir bewusst, dass das Geräusch, das ich hörte, laut war – extrem, fast unnatürlich laut. Es war geradezu elektronisch verstärkt laut, wie durch Lautsprecher übertragen. Durch den Nebel im Kopf sah ich die Situation langsam klarer, während das Puzzle sich allmählich zusammensetzte.
Das Erste, was mir klar wurde, war, dass der ungewöhnliche Laut dadurch entstand, dass ich wieder zu Atem zu kommen versuchte. Der Grund, warum mir das so schwerfiel, war, dass ich gerade auf offenbar höchst spektakuläre Weise vom Pferd geflogen war. Ich kriegte wohl meine fünf Sinne nicht richtig zusammen, weil ich mir bei der Landung den Kopf angeschlagen hatte. Und atmen konnte ich nicht, weil es mir die Luft aus der Lunge gepresst hatte.
Dann fiel unscharf auch das letzte Puzzleteilchen auf seinen Platz. Das Geräusch war deshalb so ungewöhnlich laut, weil es vermittels eines drahtlosen Mikrofons an mir durch die ganze Halle, in der ich mich befand, übertragen wurde.
O Mann, sagte ich mir, du hast ein Mikro um.
Ich sah zu der Tasche an meiner Wollweste hinunter und tatsächlich: Darin steckte der Sender für ein drahtloses Mikro. Ich fasste nach oben und fand nah an meinem Mund das kleine Mikro befestigt.
Das heißt, dass ich ein Seminar gebe. Ärgerlich schüttelte ich langsam den Kopf. Ich bin gerade mitten in einem Seminar vom Pferd gefallen!
Ich langte hinunter und suchte den Ein-/Ausschaltknopf am Sender. Es dauerte ein paar Sekunden, aber schließlich fand ich ihn und schaltete ihn aus. Sofort wurde es in der Halle still, fast zu still. Ich konnte immer noch hören, wie ich Atem zu holen versuchte, aber sonst war so gut wie nichts zu hören. Ich fing an, mich umzuschauen, um die Orientierung wiederzufinden. Eine Frau kam mit sehr besorgtem Gesicht auf mich zu. Daneben ging noch jemand.
„Bleiben Sie einen Augenblick liegen“, hörte ich eine Stimme mit englischem Akzent.
„Sind Sie in Ordnung?“ Eine weitere Stimme mit Akzent.
Mühsam drehte ich mich um und ergriff meinen Hut. Ich schüttelte den Dreck ab und glättete die Falten ein wenig, bevor ich ihn wieder aufsetzte.
„Ich bin okay“, grummelte ich. „Mir ist nur die Luft weggeblieben. Wie geht’s dem Pferd?“
„Sind Sie sicher, dass Sie in Ordnung sind?“
„Yeah, mir geht’s gut“, war meine atemlose Antwort.
Bei Sinnen war ich wohl wieder, aber ich konnte mir um alles in der Welt nicht vorstellen, warum alle mit englischem Akzent sprachen. Dann, als ich langsam die Halle beäugte, sah ich das große Pferd. Anscheinend war ich auf der einen Seite geritten, während die einigermaßen geschockten Zuschauer sich hinter einer provisorischen Abgrenzung auf der anderen Seite drängten. Sie waren etwas anders angezogen, als ich es gewöhnt war. Die Halle sah auch ungewohnt aus. Wenn die Leute sprachen, sprachen sie mit englischem Akzent. Dann ging mir endlich ein Licht auf – ich war in England! Ich war gerade vom Pferd gefallen, während ich in England ein Seminar abhielt!
Mein erster Gedanke war: Wie ist das passiert? Wie zum Kuckuck bin ich heruntergeflogen? Ich bin seit Jahren nicht mehr heruntergeflogen!
Nun, ich war zwar wirklich schon eine ganze Weile nicht mehr vom Pferd gefallen, aber anscheinend hatte ich es mir nur aufgespart, bis es sich auch richtig gelohnt hatte. Dieser Sturz war so etwas wie ein Weckruf – und zwar einer, den ich besser beachtet hätte, wie sich schnell herausstellte.
Von der kleinen Pferderanch, wo ich als Kind so viel Zeit mit dem alten Mann verbracht hatte, bis zu dieser Halle in England war es sowohl im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn ein weiter Weg gewesen. Wenn ich daran zurückdenke, staune ich immer noch. In meiner Jugend war die Arbeit mit Pferden einfach etwas, das mir Spaß machte, wie Basketball spielen mit meinen Freunden, im Schulhof herumhängen oder zu Abend essen. Ich betrachtete es nie als etwas Besonderes. Und ich habe ganz gewiss nicht daran gedacht, dass dabei jemals etwas herauskommen würde.
Eine Zeitlang war ich sogar ganz ab von Pferden und machte professionell Musik. Als ich nach dieser freiwilligen Pause wieder mit Pferden zu tun bekam, war es auf ziemlich unspektakuläre Art: Ich arbeitete hier mit einem Pferd, dort mit einem anderen, ich ritt in den Ferien spazieren usw. Nach einiger Zeit arbeitete ich wieder regulär auf verschiedenen Ranches und in Verleihställen, und schließlich führte mein Weg von geführten Ausritten über die Arbeit mit Rindern zur Leitung von Pferde- und Viehzuchtbetrieben bis zum Foreman, dem Vorarbeiter auf einer Ranch. Wenn es um Pferde ging, blieb ich immer den drei Prinzipien treu, die ich in den Jahren mit dem alten Mann unvermerkt verinnerlicht hatte.
Das Erste war, immer mit dem Pferd zu arbeiten, nicht dagegen, ob auf dem Pferderücken oder vom Boden aus. Die anderen beiden waren sehr einfache Prinzipien, die ich erst nach Jahren verstand. Einer der Gründe, warum ich so lange brauchte, um sie zu verstehen, war vermutlich die Art, wie sie mir ursprünglich vermittelt wurden.
Es hatte zwei Tage ohne Unterlass geregnet, und als die Sintflut schließlich zum Stillstand kam, war der Boden durchgeweicht und die Pferdeweide ein einziger Matsch. Der alte Mann beschloss, die etwa vierzigköpfige Herde von der Weide zu nehmen und sie auf drei Matschkoppeln zu verteilen, bis die Weide ein wenig abgetrocknet war. So hätte das junge Frühlingsgras wenigstens eine Chance, gesund und kräftig nachzuwachsen.
Diese drei Koppeln lagen an einem leichten Abhang, sodass der Regen schnell abgeflossen war. Sie waren noch ein bisschen rutschig, und wir würden ein paar Tage Heu füttern müssen, aber wenigstens brauchten wir uns keine Sorgen zu machen, dass wir für den Sommer kein Grasfutter haben würden.
Der alte Mann brachte die Herde herein mit einem großartigen kleinen Pferd namens Blue. Blue war kurzbeinig und sehr kompakt, eine Art alter Bulldog-Typ – nah am Boden, Tonnen von Kraft, dabei schnell auf den Beinen. Geplant war, die Herde zu sammeln, sie durch das südliche Weidetor und durch die mittlere Weide zu führen, nach Osten in Richtung Stall abzuwenden und sie in den ersten, verhältnismäßig großen Round Pen zu bringen. Von dort sollten sie auf die drei Koppeln verteilt werden. Ich war zu Fuß unterwegs und hatte die Aufgabe, hinter dem alten Mann und den Pferden die Tore zu schließen.
Alles ließ sich gut an. Der alte Mann hatte die Pferde aus der südlichen Weide herausgebracht, ohne dass sie je schneller als im Schritt gegangen wären. Meisterlich drehte er sie nach Osten und in Richtung Round Pen am Stall. Das Tor zum Round Pen war bereits geöffnet, und er brachte sie ohne große Mühe hinein. Dann kam der schwierige Teil.
Der alte Mann wollte die Herde sortieren: die jungen Pferde in eine Koppel und zwei verschiedene befreundete Gruppen in die anderen beiden. Auf diese Weise hoffte er größere Streitereien zur Futterzeit zu vermeiden, weil wir ja wie gesagt ein Weile Heu verteilen mussten. Innerhalb von Minuten hatte er die jungen Pferde von der Herde getrennt und sie auf der Westseite, in der Nähe der drei Tore zu den Koppeln, aufgestellt. Er hieß mich das mittlere Tor öffnen, und mit ein paar kaum merklichen Bewegungen seinerseits und von Seiten des Pferdes ließ er sie durch das mittlere Tor marschieren, das ich hinter ihnen schloss.
Er begann die restliche Herde in zwei Gruppen zu teilen, wobei er versuchte, befreundete Pferde zusammenzuhalten. Schnell erreichte er, dass eine Gruppe auf der rechten und die andere auf der linken Seite des Round Pen Aufstellung nahm. Ich sollte das linke Tor öffnen, damit er die Gruppe hindurchtreiben konnte.
Das Problem mit diesem speziellen Tor war, dass es sich nicht gut öffnen und schließen ließ. Es hatte noch nie sehr genau gepasst, und jetzt, nach all dem Regen, war das Holz so aufgequollen, dass das Ende des Tors im Matsch versank. Es war auch noch ein besonders schweres hölzernes Schwingtor, und ich musste das Ende mit beiden Händen anheben, um es halb hüpfend, halb ziehend so weit öffnen zu können, dass die Pferde es passieren konnten.
Ich brauchte eine ganze Weile, bis das Tor weit genug offen war, aber schließlich trieb der alte Mann die Pferde auf das Tor zu. Sobald er jedoch die kleine Gruppe in Bewegung setzte, begann die andere, dieser zu folgen.
„Bleib hier am Tor stehen“, sagte er zu mir. „Wenn die andere Gruppe dieser hier in die Koppel zu folgen versucht, stellst du dich einfach in den Weg und scheuchst sie zurück.“
„In den Weg stellen?“, fragte ich leicht beunruhigt. „Und wenn sie mich umrennen?“
„Ach, mach dir keine Sorgen“, sagte er überzeugt. „Sie rennen dich schon nicht um.“
„Okay“, antwortete ich in weit weniger überzeugtem Ton.
Wahrscheinlich kann jeder eine oder zwei Geschichten von einer leisen Stimme erzählen, die sich an einem bestimmten Punkt seines Lebens aus heiterem Himmel vernehmen ließ. Sie wissen schon: Die Stimme, die Sie hören, wenn Sie im Begriff sind, etwas zu tun, was zuerst eine gute Idee zu sein schien, bei genauerer Betrachtung aber eher nach einem monumentalen Fehler aussieht. Nun, das war für mich eine dieser Gelegenheiten.
Da stand ich also beim Tor, und die Pferde fingen gerade an, es nacheinander zu passieren, hinein in die Koppel. Plötzlich fiel es den jungen Pferden in der Nachbarkoppel ein, ein bisschen Rabatz zu machen und zum Ende der Koppel zu galoppieren. Ein Blick genügte, und die Pferde, die gerade ganz brav durchs Tor marschiert waren, beschlossen, sie könnten ebenso gut mitmachen. Und schon waren sie ebenfalls auf und davon.
Die im vollen Galopp davonrasenden Pferde wirkten auf die Pferde, die noch im Round Pen waren, wie ein Vakuum, das sie auf das offene Tor und auf mich zusaugte. Sie fielen in Trab und ein paar Meter vor mir in Galopp. Der alte Mann war nicht in der Position, ihnen allen den Weg abzuschneiden, aber er schaffte es, etwa die Hälfte vom Tor wegzutreiben.
Ungefähr da begann die leise Stimme zu mir zu sprechen. Sie sagte so etwas wie: Vielleicht wäre es ganz gut, jetzt aus dem Weg zu gehen. Eine Sekunde zog ich es in Betracht – einfach die oberste Stange am Tor packen und mich hinaufschwingen. Aber nur eine Sekunde. In meinem Kopf hallten die Anweisungen des alten Mannes wider: „In den Weg stellen und zurückscheuchen“, und schon sprang ich von meiner Stellung neben dem Tor mitten auf den Weg. Wie ich den alten Mann verstanden hatte, war das so ziemlich alles, was ich tun musste, um eine Herde durchgehender Pferde am Durchgehen zu hindern. Offensichtlich hatte ich da etwas gründlich missverstanden, denn in kürzester Zeit waren diese Pferde in ihrem Eifer, zu den Kameraden in der Koppel zu kommen, glatt über mich weggaloppiert.
Die Ersten schubsten mich zurück auf das Tor, wo ich ausrutschte und hinfiel. Ein Pferd erwischte mich mit einem Huf noch am Oberschenkel, als es einen Satz über mich machte, ein anderes trat mir gegen die Rippen. Beides waren keine schlimmen Verletzungen, es gab kaum einen blauen Fleck, aber als ich da so mit dem Gesicht im Dreck lag, packte mich plötzlich die Wut. Ich setzte mich auf die Knie und besah mir meine lehmverschmierten Sachen, während mir der Matsch von den Händen tropfte.
„Verflixt!“, brüllte ich.
Hinter mir hörte ich den alten Mann lachen. Ich drehte mich um und sah, dass er die noch übrigen Pferde auf der anderen Seite des Round Pen zusammenhielt.
„Du siehst vielleicht aus!“, kicherte er.
„Ach ja?“, sagte ich herausfordernd und kam mühsam auf die Füße. „Sie haben doch gesagt, sie würden mich nicht umrennen!“
„Genau das war dein Fehler.“ Er kicherte immer noch ein bisschen. „Du hättest auf die Gäule hören sollen statt auf mich.“
Viele Male hatte der alte Mann gesagt, man solle immer auf das hören, was das Pferd einem zu sagen versuchte. Ich muss zugeben, dass ich damals nicht recht verstand, was er damit meinte. Der Gedanke, dass ein Pferd mit einem Menschen zu „reden“ versuchte, war mir so fremd, dass er einfach keinen Sinn ergab. Infolgedessen hatte ich aufgehört, mir darüber Gedanken zu machen.
Vermutlich wusste der alte Mann, dass ich dieses Konzept nicht verstanden hatte, und ich kann es zwar nicht beweisen, aber es könnte sein, dass er die ganze Situation bewusst herbeigeführt hatte, um mich mehr zum Nachdenken zu bringen. Wie dem auch sei, jedenfalls erreichte er, was er wollte. Eines ist sicher – von diesem Tag an betrachtete ich Pferde und ihr Verhalten ganz anders als vorher.
An diesem Tag geschah noch etwas für mich ziemlich Wichtiges. Sehen Sie, lange Zeit hatte ich das Gefühl, dass der alte Mann mich absichtlich hereingelegt hatte, und das gefiel mir nicht. Schließlich hatte ich ihm vertraut, als er mir sagte, die Pferde würden mich nicht umrennen. Deshalb hatte ich mich ihnen in den Weg gestellt. Wie hätte ich es besser wissen sollen? Damals war ich nicht nur noch ziemlich jung, ich hatte auch noch nicht viel Erfahrung mit Pferden, auf die ich mich hätte verlassen können. Deshalb setzte ich mein ganzes Vertrauen und schlussendlich meine Sicherheit auf das, was der alte Mann mir sagte.
Es fiel mir leicht, mein Vertrauen in ihn zu setzen, ohne die Situation selbst zu durchdenken. Schließlich war ich in meinem Alter, wenn Sie so wollen, programmiert darauf, Anweisungen blindlings zu befolgen. Sehen Sie, Kindern wird von frühester Jugend an beigebracht, Ältere nicht in Frage zu stellen. Trägt man Kindern etwas zu und sagt ihnen, es ist in Ordnung, wenn sie das tun, dann nehmen sie einfach an, dass dem auch so ist. Mit anderen Worten: Man bringt Kindern bei, dem Urteil älterer Menschen zu vertrauen, nicht ihrem eigenen.