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Über den Autor
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Blake Nelson, geboren 1960 in Chicago, verbrachte seine Kindheit und Jugend in Portland, Oregon. Heute lebt er mit seiner Frau in New York. Er ist Autor zahlreicher Jugendbücher; bei Beltz & Gelberg erschienen von ihm bereits Cool Girl, Rockstar Superstar und Paranoid Park, dessen Verfilmung beim Filmfestival Cannes 2007 mit dem Sonderpreis ausgezeichnet wurde.
Impressum
Ebenfalls lieferbar:
»emmaboy tomgirl« – im Unterricht
in der Reihe Lesen – Verstehen – Lernen
ISBN 978-3-407-62710-0
Beltz Medien-Service, Postfach 10 05 65, 69445 Weinheim
Kostenloser Download: www.beltz.de/lehrer
Dieses E-Book ist auch als Printausgabe erhältlich
(ISBN 978-3-407-74110-3)
www.beltz.de
© 2015 Beltz & Gelberg
in der Verlagsgruppe Beltz · Weinheim Basel
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2008 u.d.T.
Gender Blender bei Delacorte Press,
an imprint of Random House Children’s Books
Copyright © 2006 by Blake Nelson
Published by Arrangement with ALLOY ENTERTAINMENT,
New York, NY USA
Vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH,
30827 Garbsen
Aus dem Amerikanischen von Friederike Levin
Neue Rechtschreibung
Einband: Molly Z.
E-Book: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza
ISBN 978-3-407-74568-2
Für Ione Barrows, die alles erklärt hat.
Vielen Dank:
  
Ben Schrank, Claudia Gabel, Josh Bank, Leslie Morgenstein, Wendy Loggia, Beverly Horowitz und all den großartigen Menschen bei Alloy Entertainment und Random House Children’s Books. Und besonderen Dank an Beth Rosenberg, die mir auf jede erdenkliche Art geholfen hat.

Inhalt

Baseball im Regen
Emmas Spitzname
Sexualkunde
Emma steht auf Jeff!
Toms Alltag
Ein Mädchenleben
Eine ungewöhnliche Aufgabe
Emma stellt Tom zur Rede
Auf dem Trampolin
Total durcheinander
Wie man pinkelt
Erwischt!
Toms erste Klavierstunde
Emmas wilde Fahrt
Tom speist nach Baker-Art
Emma isst bei Witherspoons
Toms erstes nacktes Mädchen
Gefahr in Verzug
Tom kriegt was zu sehen
Emma startet durch
Eine kleine Wette
Morgenlatte
Gerüchteküche
Emma verpasst was
Tom gegen die Grrlzillas
Ausgetrickst!
Tom überschlägt sich
Wasser marsch!
Küssen auf Französisch
Auftritt im Keller
Kelly macht Tom fertig
Emma kommt noch mal davon
Aussprache
Alles dran!
Mission erfüllt
Sicher ist sicher
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Es war ein nasser, vernieselter Morgen. Tom Witherspoon stand an der Abwurfstelle der George-Wilson-Schule in Seattle, wo er sich vor Unterrichtsbeginn mit ein paar Leuten zum Baseball-Freundschaftsspiel verabredet hatte. Gerade hatte Tom Zach Leland ausgeschlagen, der wie üblich einen Wutanfall bekam.
»Das ist unfair! Ich war noch nicht so weit!«
»Warst du wohl, du Weichei!«, schrie der Spieler am ersten Base.
»Selber Weichei!«, brüllte Zach zurück und schmetterte seinen Schläger auf den Boden.
»Setz dich hin und lass jemand anderen dran!«, rief der Spieler am dritten Base.
Tom zog am Schirm seines perfekt eingetragenen Mariners-Caps. Auf der anderen Seite des Feldes saßen einige Mädchen auf einer Bank, einschließlich seiner Nachbarin Emma Baker. Sie verbrachten die Zeit kichernd und mit irgendwas beschäftigt, was Mädchen in der sechsten Klasse eben so taten. Emma und er waren unzertrennlich gewesen, als sie noch jünger waren. Aber jetzt gehörte sie zur Clique der Grrlzillas. Tom wusste eigentlich gar nicht, was Grrlzillas waren, außer entsetzlich nervig. Ihm wäre es lieber gewesen, sie hätten sich woanders hingesetzt – sie machten ihn nervös.
Schnapp. Tom ließ den Ball in seinen Handschuh fallen. Immer noch kein Schlagmann in Sicht. Er sah zu Emma hinüber, die mit den anderen Mädchen tuschelte. In der vierten Klasse hatten sie zusammen ein Baumhaus gebaut und endlose Stunden darin verbracht. Sie waren früh aufgestanden und mit den Rädern durch die Gegend gezogen. Auf dem überwucherten Weg am Bach neben dem Park waren sie umhergestreift und hatten Käfer und coole Steine gesammelt. Aber das gehörte längst der Vergangenheit an.
Endlich tauchte ein neuer Batter auf. Na super! Es war Jane Hennessey. Tom freute sich nicht über ihr Erscheinen. Jane war ein großes, athletisches Mädchen aus der Siebten, von der man wusste, dass sie die Bälle aus dem Spielfeld hinausschlug. Weit hinaus.
»He, Tom!«, rief Zach hinter der Absperrung. »Meinst du, du schaffst ein Strike Out gegen ein Mädchen?«
»Gegen dich habe ich es schließlich auch geschafft, oder?«, konterte Tom. Er zog am Schirm seines Caps, bis es die Augen verdeckte. Den ganzen Winter über hatte er pitchen geübt und gehofft, dass sie ihn im Frühjahr ins Team der Schulmannschaft aufnehmen würden. Wenn er nicht wenigstens ein paar Fastballs an Jane Hennessey vorbei schaffen würde, wäre das ziemlich übel.
»Wirf schon!«, schrie Zach.
Jane grinste, holte ein paar Mal aus und wartete auf seinen Wurf. Tom ließ den Blick über das Spielfeld schweifen. Sein Vater hatte am vergangenen Samstag mit ihm geübt und ihm gezeigt, wie er seine Würfe platzieren musste. Tom versuchte, sich zu erinnern, was er ihm über große Batter gesagt hatte. Man musste tief und weit außen werfen. Oder hatte er tief und weit innen gesagt? Tom konnte sich Einzelheiten schlecht merken, vor allem unter Druck. Egal. Er musste bloß zielen. Er musste es gegen Jane schaffen.
»Komm schon! Wirf!«, rief der Junge am ersten Base. »Es klingelt gleich.«
Tom zielte, holte aus und warf seinen besten Fastball. Jane schmetterte den Ball auf das dritte Base zu. Genau in dem Moment teilte sich der dritte Baseman sein Snickers mit dem Shortstop. Keiner von beiden bemerkte den Ball, als er an ihnen vorbeischoss.
»He!«, brüllte Tom. »Warum fängst du nicht?«
Der dritte Baseman drehte sich hilflos um, als der Ball ins Außenfeld rollte. Er sah Tom an und zuckte mit den Schultern.
Tom sprintete selbst hinter dem Ball her – er war mittelgroß, dünn und zählte in seiner Klasse zu den schnelleren Jungs. Jetzt rannte er, so schnell er konnte. Auf keinen Fall durfte Jane Hennessey wegen seines Wurfs punkten. Der Ball rollte zu der Bank, auf der Emma mit ihren Freundinnen saß, und blieb vor Courtney Halls Füßen liegen. Tom rannte darauf zu, wollte danach greifen – doch Courtney kickte ihn weg.
»Hey, lass das!« Tom unternahm einen zweiten Versuch, als ein anderes Mädchen den Ball mit dem Absatz von ihm wegschubste. Der Ball rollte unter die Bank und Tom kroch ihm hinterher – direkt unter Margaret Cooper. Unglücklicherweise hatte Margaret einen Rock an.
»Hilfe!«, kreischte Margaret. Sie reagierte besonders empfindlich auf Jungs. Zwei Tage zuvor hatte sich Toms bester Freund Brad von hinten an sie herangeschlichen und ihr vor allen Leuten die Jogginghose runtergezogen.
»Was machst du da?«, schrie Margaret. »Hau ab!«
Tom hatte sich in ihrem Rock verfangen und versuchte, sich zu befreien. Er musste den Ball unbedingt haben. Einen Punkt für Jane Hennessey konnte er nicht zulassen.
»Perversenalarm!«, schrie Courtney. Zusammen mit ihren Grrlzillas kam sie Margaret zu Hilfe. Rachel Simms trat Tom in den Hintern und holte mit ihrem Rucksack nach ihm aus. Die anderen Mädchen verprügelten ihn mit Heften, Sportbeuteln und allem, was sie bei sich hatten. Eine stach sogar mit einem Regenschirm auf ihn ein.
»Aufhören!« Tom hatte den Ball erwischt und sprang auf die Füße. »Ich wollte nur den Ball holen.« Er wandte sich hilfesuchend an Emma.
Sie runzelte aber nur die Stirn und verschränkte die Arme vor der Brust.
Inzwischen hatte Jane das dritte Base umrundet. Tom befreite sich von den Mädchen und warf den Ball, so hart er konnte. Doch es war zu spät. Jane joggte mühelos heim. Als Gipfel der Kränkung streifte ihm Courtney ein Hello-Kitty-Schlüsselband über den Kopf. »Spanner!«, rief sie.
Tom fluchte vor sich hin, während Jane ihre Mitspieler abklatschte.
»Was Jungs alles tun, um einem Mädchen unter den Rock zu schielen.« Rachel schüttelte den Kopf.
»Ich war hinter dem Ball her«, sagte Tom mit zusammengebissenen Zähnen. »Vor lauter Labern habt ihr nichts davon mitgekriegt, aber Jane war gerade dabei zu punkten!«
»Na klar«, schnaubte Margaret.
Tom hob die Hände. »Logisch. Wir haben das Spiel nur veranstaltet, damit ich mir Margarets Blümchenunterhosen ansehen kann.«
Ashley Orendorfer, auch eine Grrlzilla, verdrehte die Augen. »Du tust mir echt leid.« Und Emma blickte ihn voller Abscheu an.
Courtney warf sich ihren Rucksack über die Schulter. »Pass mal auf, Spoonie. Allmählich finden wir das zum Kotzen, was ihr Jungs immer mit uns macht. ZUM KOTZEN. Ab sofort drehen wir den Spieß um. Gewöhnt euch also schon mal dran.«
Und mit diesen Worten reckten alle Grrlzillas das Kinn in die Luft und marschierten entschlossen den Berg hinauf zum Schulgebäude.
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Emma Baker stand an ihrem Spind und räumte den schweren Rucksack aus, der sie mit all den Heften, Ordnern, Karteikarten und Spiralblöcken beinahe erdrückte. Außerdem hatte sie ihre Sportsachen und die Notenblätter für den Klavierunterricht hineingestopft, dazu einen Stapel Flugblätter für den Plätzchenverkauf der Pfadfinderinnen, die sie in der Mittagspause austeilen sollte. Gleich würde es zur ersten Stunde läuten, und sie hatte ihren heiß geliebten Glitzerfüller noch nicht gefunden. Hektisch durchwühlte sie den Rucksack und betete, dass sie ihn nicht verloren hatte.
Genau genommen war Emma in letzter Zeit immer hektisch, bei allem, was sie tat. Je älter sie wurde, desto stressiger schien ihr Alltag zu werden. Das meiste ging auf das Konto ihrer Mutter.
Zugegeben, Mrs. Baker hatte noch nie etwas vorgeschlagen, was Emma nicht mochte: Bodenturnen, Klavierstunden, Pfadfinder-Treffen und all ihre anderen Hobbys. Nur hätte sie ab und zu lieber gar nichts auf dem Programm stehen gehabt.
Es läutete, und Courtney trat neben Emma an den Spind, um mit ihr gemeinsam zur ersten Stunde zu gehen.
»Wer hätte das von Tom gedacht?«, sagte Courtney entnervt. »Der ist doch pervers!«
Courtney ging Emma ebenfalls auf die Nerven. Emma wusste immer noch nicht genau, ob sie überhaupt zu den Grrlzillas passte. Eigentlich hatte sie kein Problem mit Jungs. Sie hatten ihr nie etwas getan. Aber mit Tom war das anders. Den konnte sie allmählich wirklich nicht mehr leiden. Seit letztem Sommer ließ Tom sie nicht mehr in ihr Baumhaus. Er und Brad Hailey hatten zu ihr gesagt, es sei jetzt ein »Chillhaus« nur für Jungs, und sie wollten keine weichlichen Mädchen um sich haben. Bei der Erinnerung an Tom und seine Freunde, die sie ausgelacht und weggeschubst hatten, bekam Emma auf der Stelle Bauchweh.
»Stimmt, der ist ziemlich nervig«, antwortete sie.
»Denk an das Grrlzilla-Motto«, sagte Courtney und warf ihr Haar nach hinten. »Nicht alle Jungs sind pervers, aber alle Perversen sind Jungs.«
»Kann sein«, antwortete Emma lahm.
Kurz bevor sie beim Klassenzimmer angekommen waren, tauchte Jeff Matthews im Flur auf. Jeff sah extrem gut aus. Er trug teure Turnschuhe, eine Daunenweste, Cargohosen und eine weiße Muschelkette, die seine Sonnenbräune von den Ferien in San Diego noch stärker hervorhob. Emma war total verknallt in ihn, wie eigentlich alle Mädchen aus der Sechsten.
»Oh, mein Gott«, flüsterte Emma. »Warum ist Jeff bloß so süß?«
Courtney gab Emma einen Schubs. »Geh und rede mit ihm.«
»Nein, nein, nein«, sagte Emma und warf einen besorgten Blick auf ihre Bluse. Sie hatte gerade ihren ersten BH bei Nordstrom gekauft und wusste nicht, ob er richtig saß.
»Los, sag was zu ihm«, meinte Courtney in dem autoritären Tonfall, den sie öfter draufhatte. »Sonst wird er dich nie bemerken.«
»Ich weiß, ich weiß«, seufzte Emma. »Er ist bloß so …cool. Und ich bin so …«
»Beschäftigt?«
Emma sah sie wütend an.
»Zu spät«, murmelte Courtney. »Jetzt hat sich schon Sienna Jones an ihn drangehängt.«
»Worüber reden sie wohl?«
»Lipgloss vermutlich«, meinte Courtney. »Sienna Jones redet nie über was anderes.«
Emma sah sich Jeff genau an und versuchte, Mut zu fassen. Sie kriegte doch sonst alles auf die Reihe, warum nicht das mit ihm? Sie musste sich bloß vorstellen, er wäre eins von ihren Projekten. »Vielleicht spreche ich ihn am Samstag beim Turnen an. Seine Schwester gehört auch zum Team, und er kommt immer, um ihr zuzusehen.«
»Er kommt, um sich die Mädchen in Strumpfhosen anzusehen«, korrigierte Courtney.
Emma runzelte die Stirn. »Glaubst du wirklich, dass er so drauf ist?«
»Aber hallo!«
»Und wenn schon«, sagte Emma und ignorierte Courtneys hochgezogene Augenbrauen. »Ich mag ihn trotzdem.«
Als sie vor dem Klassenraum standen, blickte Emma noch einmal an sich runter. Sie hatte eine typische Turnerfigur – klein und dünn. Ihre Mutter meinte immer, an ihr sei alles klein und niedlich. Neben Courtney, die viel größer und auch weiter entwickelt war, fühlte sie sich wie eine Elfe. Emma fand, dass Courtneys Spitzname – Queen Kong – zwar etwas beleidigend war, aber immer noch besser als der, den ihr Tom und Brad verpasst hatten. Wie sollte jemand, der so cool wie Jeff Matthews war, jemanden mögen, der als Giftzwerg bezeichnet wurde?
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Tom rannte zum Sexualkundeunterricht. Er war verschwitzt, verdreckt und deprimiert. Dass Jane Hennessey gegen ihn gepunktet hatte, ärgerte ihn maßlos. Er ließ sich hinter Brad auf seinen Stuhl fallen, und dann vollführten sie ihr gewohntes Begrüßungsritual: Hände schütteln, Hände drücken, Zeigefinger ausstrecken, oben Klatschen, unten Klatschen. Anschließend wandte sich Brad wieder seiner Nacktskizze von Ms. O’Connor, der neuen Musiklehrerin, zu.
»Guck mal«, sagte er.
Tom sah sich die Zeichnung an. »Ja, ganz okay, aber willst du mal was richtig Cooles sehen?« Er kramte in seiner Tasche und zog eine flache Pfeilspitze aus Stein hervor. Stolz reichte er sie Brad.
»Mann! Wo hast du die denn her?«
»Gestern Abend im Wald gefunden. Ist vielleicht von einem Indianerstamm. Sieh dir mal die Schrift auf der Unterseite an.«
Brad drehte die Pfeilspitze um. Auf der Rückseite waren seltsame Zeichen zu erkennen. »Die sehen wie kleine Bildchen aus oder so.«
»Ist vielleicht eine uralte Nachricht.«
»Und bedeutet Made in Taiwan
»Haha, sehr witzig!« Tom nahm Brad die Pfeilspitze wieder weg und ließ sie in seine Tasche gleiten. »Dieses Ding ist wertvoll. Ich werde es bei eBay verkaufen.«
»So, Leute, setzt euch bitte«, sagte Ms. Andre.
Brad und Tom drehten sich auf ihren Stühlen nach vorn. Sie mochten Ms. Andre. Sie hatte ein freundliches Lächeln und trug ihr langes, schwarzes Haar zu einem Zopf geflochten. Außerdem war sie witzig, und gleich am ersten Schultag hatte sie darauf bestanden, dass die ganze Klasse »Penis« sagte. Die Mädchen auch.
Dann ging die Tür auf und Jeff Matthews trat ein.
»Guck mal, wer uns da mit seiner Anwesenheit beehrt«, raunte Brad.
»Guten Morgen zusammen«, rief Ms. Andre. »Heute beginnen wir mit unserer Diskussion über Geschlechtsunterschiede und die Frage, wie die Gesellschaft diese Unterschiede beurteilt.«
Die Jungen fingen an zu stöhnen. Die Mädchen tauschten besorgte Blicke aus.
»Die meisten Lebewesen haben ein Geschlecht«, begann Ms. Andre. »Sie sind entweder männlich oder weiblich.«
Während Ms. Andre MÄNNLICH und WEIBLICH an die Tafel schrieb, stieß Brad Tom in die Seite und deutete auf Kelly Angstrom. Sie war das hübscheste Mädchen in der sechsten Klasse. Sie hatte seidig glänzendes, rotblondes Haar, milchzarte Haut und beachtliche Kurven. Heute trug sie einen roten Pullover mit V-Ausschnitt. Wenn man sie aus dem richtigen Winkel betrachtete, dann konnte man beinahe ihre …
»Tom?«, fragte Ms. Andre plötzlich.
»Äh … was?«
»Kannst du mir ein paar typische Eigenschaften deines Geschlechts nennen?«
»Äh …«, stotterte Tom. »Jungs mögen Sport?«
Ms. Andre schrieb SPORT an die Tafel. »Ist Sport etwas, was nur Jungs mögen?«
»Nein«, sagte Emma. »Mädchen mögen auch Sport.«
»Genau«, bestätigte ein anderes Mädchen. »Wer sagt, dass Mädchen Sport nicht mögen?«
»Na ja, sie sind jedenfalls nicht besonders gut darin«, sagte Tom.
»Jane Hennessey hat dich heute Morgen am Arsch gekriegt!«, warf Courtney ein.
»Wenn deine dämlichen Grrlzillas nicht gewesen wären, hätte ich sie plattgemacht!«
Courtney kicherte. »Du wolltest bloß unter Margarets Rock gucken!«
»Das war ein Unfall!«
»Beruhigt euch, alle miteinander«, sagte Ms. Andre. »Könnte man sagen: Die Gesellschaft vermutet, dass nur Jungs Sport mögen, aber in Wirklichkeit mögen auch Mädchen Sport?«
»Ist doch egal, was Mädchen mögen«, brummelte Brad.
»Also gut, Brad«, sagte Ms. Andre. »Freut mich, dass du zugehört hast. Welche Fähigkeiten haben Mädchen deiner Meinung nach, die Jungs nicht haben?«
Brad dachte nach. »Äh … sie reden viel?«
»Reden Jungs nicht?«
»Nicht wie Mädchen«, sagte Brad. »Mädchen labern sich die Köpfe leer. Laber, laber, laber, laber. Sie halten nie die Klappe.«
»Wir haben wenigstens was zu sagen«, warf Emma ein.
»Genau«, sagte Courtney. »Wir haben wenigstens wirklich was im Hirn.«
»Gut, gut, das reicht«, ging Ms. Andre dazwischen. »Ich denke, wir können uns darauf einigen, dass Jungen und Mädchen was im Hirn haben. Wenigstens theoretisch.« Sie sah sich in der Klasse um. »Margaret? Fällt dir zu Jungs etwas ein, was für ihr Geschlecht typisch ist?«
Margaret fiel nichts ein.
»Unterscheiden sich Jungs körperlich von Mädchen?«, half Ms. Andre nach.
»Ach ja«, rief Courtney. »Sie kriegen einen Ständer, wenn sie eng tanzen.«
Sämtliche Jungs prusteten los. Ein paar Mädchen auch. Emma fühlte, wie sie knallrot wurde.
»Courtney hat recht«, sagte Ms. Andre. »Wobei wir ein anderes Wort dafür benutzen wollen.« Sie wandte sich um und schrieb EREKTION an die Tafel.
Dann meldete sich Jeff Matthews.
»Ja, Jeff? Hast du etwas hinzuzufügen?«, fragte Ms. Andre.
Jeff grinste Ms. Andre an und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Tja, wir sind eben hier die Harten. Jungs chillen lieber, zocken Computerspiele und fetzen auf ihren Mountainbikes durch die Gegend. Mädchen hängen mit ihrer Clique zu Hause rum und glotzen Soaps.«
Die Mädchen gerieten in Verzückung über Jeffs brillante Erkenntnis. Brad ließ seinen Kopf mit der Stirn auf die Tischplatte fallen.
»Sehr gut, Jeff«, sagte Ms. Andre. »Du verfügst scheinbar über umfangreiche Kenntnisse. Nun, so richtig interessant wird es, wenn man die Geschlechtsunterschiede verstehen will. Und damit komme ich zu unserer Aufgabe für diese Woche.«
Tom spürte, dass etwas Übles im Anmarsch war, irgendein gefühlsduseliger Auftrag, und wahrscheinlich auch noch als Hausaufgabe. Er schielte ein letztes Mal zu Kelly hinüber. Ihr Ausschnitt ließ sogar noch mehr erkennen als vorher. Tom senkte den Blick und versuchte, an etwas anderes zu denken: Baseball, Mountainbikes, Autounfälle. Wenn er nicht aufhörte, an Kelly zu denken, würde er den ganzen Tag hier in diesem Klassenzimmer festsitzen.
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Wie üblich regnete es bei Schulschluss. Emma wartete mit Courtney unter dem großen, blauen Vordach auf den Bus. Als er kam, suchten sich die beiden Mädchen einen Platz in der Mitte. Emma hoffte, sie könnten weiter über Jeff Matthews reden, aber Courtney war viel zu beschäftigt, weil sie Brad piesacken musste.
»He, Brad«, rief Courtney, »das war rattenscharf vorhin, als du rausgekriegt hast, dass Mädchen reden können. Du bist ja sooo schlau.«
»Sieh an. Queen Kong spricht.«
»Vielleicht kriegst du nächstes Jahr raus, was Mädchen reden.«
»Was Mädchen reden, weiß ich schon.« Brad trat von unten gegen ihren Sitz. »Einen Riesenhaufen Scheiße, dampfend heiß serviert!«
»Oh, Brad, ich liebe es, wenn du von deinen Essgewohnheiten erzählst.« Courtney sah ihn mit Kulleraugen an.
Emma hoffte, dass Courtney keinen witzigen Kommentar von ihr erwartete.
Brad und Courtney kabbelten sich weiter, bis sie Brads Haltestelle erreicht hatten. Wenig später stieg auch Courtney aus und im Bus kehrte Stille ein. Emma war mit Tom und noch ein paar anderen übrig geblieben, die in der Birch Street wohnten, an der Endhaltestelle.
Emma spähte zu Tom hinüber. Er hatte etwas aus seiner Tasche gezogen. Es sah nach einer kleinen Pfeilspitze aus. Tom trieb sich ständig im Wald herum, auf Erkundungstour und auf der Suche nach irgendwelchem Krempel. Früher hätte er sie gefragt, ob sie mitkommen wollte.
»Was ist das?«, fragte sie.
»Geht dich nichts an.«
»Ich kann fragen, was ich will«, sagte Emma. Warum musste er so grob sein? Sie betrachtete die Pfeilspitze. »Wo hast du die gefunden?«
»Nirgends.«
Sie seufzte. »Warum kannst du nicht einfach normal darauf antworten.«
»Niemand außer mir weiß …«
»Und niemand außer mir kriegt’s raus«, äffte sie ihn nach. »Mann, bist du originell.« Emma sah ihn wütend an. »Übrigens, was du in Sexualkunde gesagt hast, war einfach genial. Mädchen mögen keinen Sport? Total lächerlich.«
»Mögen vielleicht schon«, gab Tom zu. »Können bloß nicht.«
»Das ist nicht wahr.«
»Ist es doch«, widersprach Tom. »Bewiesene Tatsache.«
»Von wem bewiesen?«
Tom ließ die Pfeilspitze wieder in seiner Tasche verschwinden. »Von allen. Mädchen sind nicht so gut beim Football und beim Baseball. Oder Tennis. Oder Golf.«
»Und was ist mit Turnen?«
Tom zuckte mit den Schultern. »Turnen ist aber kein richtiger Sport.«
»Was?« Emma konnte es nicht glauben.
»Ach, komm schon. Auf dem Boden herumrollen? An Balken schaukeln?«
»Wie bitte? Hast du schon mal bei der Olympiade zugeguckt? Turnen ist nicht nur ein richtiger Sport, es ist auch eine der ältesten Sportarten der Welt.«
»Vielleicht alt. Aber nicht wie Baseball.«
»Baseball? Was ist schon Baseball? Ein Haufen fetter Typen, die mit einem Stock nach einem Ball schlagen«, konterte Emma.
»Richtige Sportarten haben außerdem Mannschaften«, erklärte Tom geduldig. »Deshalb nennt man das auch Mannschaftssport.«
»Das ist total affig.« Emma wandte sich ab und starrte aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Häuser und Vorgärten. Genau in dem Moment fuhren sie am Haus von Jeff Matthews vorbei. Er stand in der Einfahrt und half seiner Mutter, Einkäufe aus ihrem Minivan auszuladen.
Emma presste ihr Gesicht an die Scheibe.
Tom versuchte, ihrem Blick zu folgen. »Was gibt’s denn da zu sehen?«
»Nichts«, sagte Emma und setzte sich zurück. Es war aber schon zu spät.
»Na, wenn das nicht unser Schönling Matthews ist!«, rief er. »Unser Mega-Aufreißer.«