Der Titel dieses kleinen Wörterbuchs klingt verheißungsvoll: Zu zwei zentralen, angesichts der Globalisierungsdynamik und der damit verbundenen weltweiten gesellschaftlichen Veränderungsprozesse heiß diskutierten Gebieten, nämlich Kultur und Religion, die zudem vielfältige Überschneidungen aufweisen, soll „Basiswissen“ vermittelt werden, und zwar in Form von 101 Artikeln, die schließlich den unterschiedlichen Ansprüchen von Unterricht, Studium und Beruf genügen sollen...
Mag sein, dass die knappen Texte nicht für alle Zusammenhänge ausreichen; mag sein, dass sie bisweilen sehr komplex und voraussetzungsvoll sind; mag sein, dass 101 Grundbegriffe ohnehin eine viel zu begrenzte Auswahl darstellen, oder dass nach Ansicht von Leserinnen und Lesern ganz andere Begriffe oder andere Perspektiven auf sie grundlegend sind. Dennoch: Wir wollten ein „Hosentaschenbuch“ vorlegen, griffbereit, um immer wieder Hilfen zum Verständnis von Diskussions- und Textzusammenhängen zu bieten, mitunter kleine Entdeckungen zu ermöglichen und nicht zuletzt der interdisziplinären, interkulturellen, interreligiösen und ökumenischen Verständigung zu dienen, indem es auf kleinem Raum eine überschaubare Anzahl von Beiträgen, die jeweils in einen thematischen Zusammenhang aus den Bereichen Kultur und Religion einführen, versammelt. Dass der religiöse Zusammenhang hier primär aus der christentumsgeprägten Perspektive und deshalb aus der Perspektive christlicher Theologie behandelt wird, ist der Tatsache geschuldet, dass der Kontext der Leserinnen und Leser wohl nach wie vor ein vorrangig christlich geprägter, zugleich „eigener“ und „fremder“ ist. In diesem Sinne verstehen wir das „Basiswissen“ als Orientierungshilfe ad intra wie ad extra.
Für das vorliegende Wörterbuch haben wir über 80 ausgewiesene Fachleute aus unterschiedlichen Disziplinen der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften zur Mitarbeit gewinnen können. Das Ergebnis selbst ist ein Beispiel für internationale, interdisziplinäre und interkulturelle Zusammenarbeit. Darüber freuen wir uns sehr und danken den Autorinnen und Autoren herzlich für die gute Kooperation. Ihre Beiträge haben wir bewusst, abgesehen von redaktionellen Bearbeitungen, in ihrem jeweiligen Charakter belassen. Wann immer es sich anbietet, berücksichtigen die Autorinnen und Autoren die Grunddimensionen „Gott, Welt und Mensch“ in ihren zumeist eine, im Fall von Weltreligionen sowie wenigen anderen Grundbegriffen zwei Seiten umfassenden Beiträgen.
Empfehlungen einschlägiger Literatur (auch jeweils in der neuesten Auflage) bieten eine Hilfe zur Vertiefung.
Wir danken Herrn Stefan Rotsch für die Gestaltung des druckfertigen Layouts und dem Kohlhammer-Verlag, namentlich Herrn Jürgen Schneider, für die Aufnahme des Bandes in das Verlagsprogramm und die gute Zusammenarbeit.
Frankfurt a.M., Frühjahrsanfang 2007
Beate-Irene Hämel, Thomas Schreijäck
Der Begriff will die Tatsache bewusst machen, dass Juden, Christen u. Muslime in je spezifischer Weise den biblisch (Gen 12,1–25,18) bezeugten Erzvater Abraham (A.) als „Vater des Glaubens“ verehren. Juden, Christen u. Muslime teilen damit ein Erbe, das sie so mit Angehörigen aller nicht a.R. indischen od. chinesischen Ursprungs nicht teilen. Diese besondere Verbindung ist dadurch gegeben, dass Christen sich für die Rechtfertigung ihres Christus-Zeugnisses in Schlüsseltexten des NT auf A. zurück beziehen (insbes. Gal 3 u. 4; Röm 4, Joh 8), Muslime explizit vom → Koran her den → Islam als millat Ibrahim (Religion A.s) begreifen. Dabei erfolgt der Zugriff auf A. in den drei → Religionen so, dass Gemeinsames u. Trennendes deutlich wird.
Gemeinsam ist Juden, Christen u. Muslimen die durch A. vorgelebte Grundhaltung des Menschen vor Gott, die sich in Akten radikalen Gottvertrauens manifestiert. Dieses Gottvertrauen kommt für Juden vor allem im nicht vollzogenen Opfer des Sohnes A.s, Isaak, zum Ausdruck (die Akeda in Gen 22), für Christen im Glauben an die Auferweckung des Gekreuzigten durch → Gott, der sich so als ein Gott erweist, „der die Toten lebendig macht u. das, was nicht ist, ins Dasein ruft“ (Röm 4,17), für Muslime im Kampf gegen alle vom Mensch gemachten Götzenbilder u. Idole zugunsten des einen u. wahren Schöpfergottes (Sure 21,57–67).
Kirchlich aufgenommen wurde eine Juden, Christen u. Muslime verbindende A.s-Theologie durch das II. Vatikanische Konzil. Es hat in einer eigenen Religionen-Erklärung (Nostra aetate) den Glauben von Muslimen (Nr. 3) u. Juden (Nr. 4) neu bewertet. Die Kirchenkonstitution des Konzils hatte dafür die Weichen gestellt: „Der Heilswille umfasst aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen bes. die Muslim, die sich zum Glauben A.s bekennen [...]“ (Lumen Gentium 16).
Mit A. aber haben Juden, Christen u. Muslime stets auch ihr Eigenprofil gegeneinander geschärft, sodass es von Anfang an immer auch „Streit um A.“ gab. Juden haben durch A. ihre besondere Erwählung („Bund“) u. ihre spezifischen Landverheißungen gerechtfertigt gesehen u. sich dadurch von Christen u. Muslimen abgegrenzt. Christen haben gegen Juden unter Berufung auf A. ihren Christus-Glauben gerechtfertigt, gleichzeitig durch Christus A. übertrumpft („Noch ehe A. wurde, bin ich“; Joh 8,58) u. so eine weitere durch A. legitimierte Religion (wie den Islam) von vornherein ausgeschlossen. Muslime, deren Religion nach → Judentum u. → Christentum in die Weltgeschichte eintritt, haben sich über A. ihre sachliche Priorität als wahre Religion auf Kosten von Juden u. Muslimen verschafft: „A. war weder Jude noch Christ, er war ein gottergebener Hanif u. kein Heide. Die Menschen, die A. am nächsten stehen, sind diejenigen, die ihm seinerzeit gefolgt sind u. dieser Prophet [Mohammed] u. die, die mit ihm gläubig sind“ (Sure 3,67f.)
Trotz allem Trennenden bemühen sich heute auch in Deutschland Organisationen um ein besseres Verstehen u. eine gedeihliche Zusammenarbeit zw. Juden, Christen u. Muslimen im Geiste A.s: Gesellschaften wie „Freunde A.s“ in München (Prof. M. Görg) od. „A.ische Teams“ (J. Micksch). Geleitet wird solche Arbeit von dem Vertrauen, dass A. weder durch das Judentum, das Christentum od. den Islam vereinnahmt werden kann, sondern vorbildlicher Glaubenszeuge vor Gott bleibt. In diesem Sinne nennen alle drei → Heiligen Schriften A. den „Freund Gottes“ (Jes 41,6; Jak 2,23; Sure 4,125), der Juden, Christen u. Muslimen im rechten Geist die Freundschaft zu Gott lehren kann.
Görg, M., Abraham als Ausgangspunkt für eine „abrahamitische Ökumene“? In: A. Renz/S. Leimgruber (Hg.), Lernprozess Christen – Muslime. Gesellschaftliche Kontexte – Theologische Grundlagen – Begegnungsfelder, Münster 2003, 142–150. – Kratz, R.G./Nagel, T. (Hg.), „Abraham, unser Vater“. Die gemeinsamen Wurzeln von Judentum, Christentum und Islam, Göttingen 2003. – Micksch, J., Abrahamische und interreligiöse Teams, Frankfurt a.M. 2003. – Naumann, Th., Ismael – Abrahams verlorener Sohn, in: R. Weth (Hg.), Bekenntnis zu dem einen Gott? Christen und Muslime zwischen Mission und Dialog, Neukirchen-Vluyn 2000, 70–89. – Kuschel, K.-J., Streit um Abraham. Was Juden, Christen und Muslime trennt – und was sie eint, München 1994 (Düsseldorf 2001).
Karl-Josef Kuschel
Der Begriff des religiösen A.es bezeichnet grundsätzlich eine religiöse Tätigkeit u. Aufgabe, die von den individuellen Charakteristika einer Person unabhängig ist: Im A. wird eine bestimmte Verantwortung u. Funktion od. ein bestimmtes Handeln mit religiöser Autorität ausgestattet u. dauerhaft legitimiert.
Der A.sbegriff wurde insbes. im → Christentum entwickelt, hat dort aber im Laufe der Geschichte unterschiedliche Interpretationen erhalten. Am profiliertesten ist das A.sverständnis dort, wo seine Autorität u. Legitimation von → Gott selbst abgeleitet ist. So versteht etwa Paulus das ApostelA. in Entsprechung zu Christus, der sich für Andere hingab, als Dienst am Anderen. Durch die spätere Entwicklung erhält das durch die Vollmacht Christi ausgestattete A. gar eine Heil vermittelnde Bedeutung, wobei im Rahmen der zunehmenden Hierarchisierung kirchlicher Ämter dem Papst eine besondere Bedeutung zukommt. Der Protestantismus wendet sich zwar gegen diese Heilsbedeutung des A.es, hält jedoch an der Notwendigkeit des kirchlichen A.es fest. Das religiöse A. bedarf jedoch nicht notwendigerweise einer auf Gott zurückgeführten Begründung. In religiösen Traditionen wie etwa dem → Daoismus, dem der Gedanke eines persönlichen Gottes von Hause aus fremd ist, beruht die A.sautorität auf dem in der Ordination offiziell anerkannten Wissen der Priester um den absoluten Urgrund (tao bzw. dao) des Kosmos u. ihrer Kenntnis der Techniken, die zum Einssein mit diesem Urgrund führen.
Mit dem religiösen A. geht häufig eine besondere Verantwortung für die jeweilige → Religion gegenüber der Welt einher: Sorgten in der kirchlichen → Tradition die ordinierten A.sträger („Kleriker“) für die Bewahrung des religiösen Erbes, der sich die Laien unterzuordnen hatten, wurde im → Buddhismus durch das MönchsA. die Erhaltung u. Vermittlung der Lehre sichergestellt. Dabei wäre es zwar falsch, zw. „Volksreligion“ hier u. „A.sreligion“ dort zu trennen – Laien wie A.sträger sind gleichermaßen um rechte Gesinnung, rechten Glauben od. rechtes Tun besorgt. Das religiöse A. ist jedoch nochmals in besonderer Weise mit der Autorität ausgestattet, die Religion gegenüber der Welt offiziell zu vertreten u. in ihrem Namen zu sprechen.
Im religiösen A.sträger selbst treffen Individuum u. Institution aufeinander. Je höher der Organisationsgrad einer Religion ist, desto deutlicher kommen überindividuelle Funktionen u. Verantwortlichkeiten im A. selbst zum Ausdruck. Religiöses Expertentum in Gestalt von Schamanen, Heilern od. Zauberern ist hingegen nur eingeschränkt als A. zu verstehen; hier steht das Charisma des jeweiligen Experten – seine besonderen religiösen Fähigkeiten – im Vordergrund, während das A. weitergehende Institutionalisierungsprozesse der jeweiligen Religion voraussetzt. Allerdings finden sich in vielen Religionen durchaus auch beide Ausdrucksformen religiöser Spezialisierung – so etwa das A. des Priesters neben der religiös bedeutsamen Rolle des „Medizinmanns“. Auch können Formen des Expertentums nebeneinander bestehen, die durch das persönliche Charisma od. durch die Institution des A.es legitimiert sind, so etwa im Falle des → Propheten.
Weber, M., Religion und Gesellschaft, Frankfurt a.M. 2006. – Schneider, Th./Wenz, G. (Hg.), Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge, Bd. 1 (=Grundlagen und Grundfragen), Freiburg i.B.-Göttingen 2004. – Sattler, D./Wenz, G. (Hg.), Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge, Bd. 2 (=Ursprünge und Wandlungen), Freiburg i.B.-Göttingen 2006. – Kehrer, G., Organisierte Religion, Stuttgart 1982.
Klaus Hock
A (aus gr. anthropos=Mensch u. gr. logos=Vernunft od. Wort) ist die begründete Rede vom Menschen u. versucht der Frage „Was ist der Mensch?“ aus den verschiedensten Perspektiven nachzuspüren. Es gibt z.B. naturwissenschaftliche, philosophische, theologische (→ Theologie), pädagogische od. kulturwissenschaftliche (→ Kulturwissenschaft) A.n, die in unterschiedlichen → Kontexten u. Denkhorizonten nach dem → Sinn u. der Bedeutung menschlicher Existenz fragen. Nur wenn man sich diesen Fragen stellt, können ethische Orientierungen (→ Ethik) im konkreten Umgang mit menschlichem → Leben gefunden werden.
Für das jüdisch-christliche Menschenbild, das sich der Überlieferung der → Bibel verdankt, gilt, dass der Mensch als Geschöpf ein Beziehungswesen (Ich u. Anderer; → Gemeinschaft; Mann u. Frau; Leib u. → Seele) ist, das seinen Ursprung (→ Schöpfung) u. seine Vollendung (→ Tod) in → Gott findet. Gott hat den Menschen angesprochen u. zur verantwortungsvollen → Liebe angesichts des Nächsten berufen. Gottes- u. Nächstenliebe stehen im Zentrum ethischer Orientierung. Das ist auch der Kern der Rede vom Menschen als Ebenbild, d.h. Stellvertreter Gottes in Gen 1,24ff.
Das Leben geschieht in der Zeit, die einen Anfang u. ein Ende kennt u. in der die Beziehungen zu Gott, zum anderen Menschen, zur Natur u. zu mir selbst gelebt werden. Im Unterschied zu östlicher Religiosität (→ Buddhismus, Hinduismus) ist das Leben für die monotheistischen → Religionen (→ Judentum, Christentum, Islam) durch Einmaligkeit u. Unwiederholbarkeit gekennzeichnet. Das Erreichen der Vollkommenheit od. → Erlösung ist nämlich nicht nur Sache menschlicher → Freiheit u. Entschiedenheit, sondern auch Sache Gottes, der das Heil aller Menschen schon in der Geschichte (nicht erst im ewigen Leben) will u. seine Gnade schenkt. Auch der Tod kann die Beziehungen, die unser Leben ausmachen, nicht zerstören – dafür steht die biblische Hoffnung auf die unbegreifliche Auferweckung des ganzen Menschen, weil sowohl Seele als auch Leib für die Bezogenheit u. Beziehungsfähigkeit des Menschen über den Tod hinaus stehen.
Die mehrfache Bezogenheit des Menschen ist eine Gegebenheit, von der her die menschliche Freiheit zu verstehen ist. Das Freiheitsvermögen u. die Fähigkeit der Selbstreflexion (Selbstbewusstsein) gelten in der abendländischen Geistesgeschichte als herausragende Charakteristika des Menschen. Gegen eine allzu absolut gedachte → Autonomie des Menschen rufen die monotheistischen Religionen in Erinnerung, dass der Mensch schon vieles empfangen hat, bevor er sein Leben u. seine Freiheit entfaltet. Die Freiheit ist eine eingesetzte, die ihren Ursprung aber nicht eindeutig u. bruchlos fassen kann. Hinzu kommt die Erfahrung von → Sünde u. Schuld. Diese konfrontiert mit dem Scheitern menschlicher Freiheitsgeschichte, wenn sich der Mensch seiner Verantwortung entzieht, u. verschärft die Frage nach Heil, Erlösung u. Vergebung, die aufgrund von Umkehr u. Gnade wieder in zuvor gestörte od. zerstörte Beziehungen des Lebens hineinholt. Somit steht auch die rätselhafte Ambivalenz menschlicher Existenz zw. Glücken u. Scheitern vor Augen, die sich in der Frage nach dem Leiden u. dem Tod zuspitzt. Fraglichkeit u. Ambivalenz lassen die Hoffnung auf ein letztes Gelingen des Lebens laut werden, in dem nicht Vernichtung u. Scheitern, sondern das Glücken der Beziehungen das letzte Wort hat. Gegenüber jenen Versuchen, die den Menschen endgültig definieren od. entschlüsseln wollen, ist an der bleibenden Geheimnishaftigkeit u. Unbegreiflichkeit des Menschen festzuhalten, die dafür steht, dass der Mensch niemals Mittel zum Zweck werden darf (I. Kant), sondern in seiner Unverfügbarkeit u. Einzigkeit zu respektieren ist.
Dirscherl, E., Grundriss Theologischer Anthropologie. Die Entschiedenheit des Menschen angesichts des Anderen, Regensburg 2006. – Wulf, Ch., Anthropologie, Geschichte – Kultur – Philosophie, Hamburg 2004. – Janowski, B., Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn 22003. – Höhn, H.-J., zustimmen. Der zwiespältige Grund des Daseins, Würzburg 2001.
Erwin Dirscherl
(gr. átheos=gottlos; atheóthēs=Gottlosigkeit, Gottesleugnung, Unglaube) ist die Verneinung der Existenz → Gottes. Das Wort A. hat sich erst seit dem 16. Jh. eingebürgert, obwohl Gottesleugnung so alt ist wie der Gottesglaube (→ Glaube) selbst. In der Geschichte der → Religionen wurden häufig Andersgläubige aus politischen Gründen der Gottlosigkeit beschuldigt: Sokrates in der griechischen Antike, die ersten Christen in der römischen Kaiserzeit, Spinoza u. Fichte in der Neuzeit.
Die Auffassung einer Person, die nicht davon überzeugt ist, dass Göttliches existiert, kann als schwacher A. bezeichnet werden. Unter einem starken A. wird dagegen die ausdrückliche Behauptung der Nicht-Existenz Gottes bzw. der Götter verstanden. Angesichts der unterstellten Unwahrheit (→ Wahrheit) des Gottesglaubens muss der A. eine Erklärung für die Entstehung u. weite Verbreitung dieser falschen Überzeugung anbieten. Die älteste u. häufigste Erklärung besagt, dass Gott bzw. die Götter von den Menschen erfunden wurden – aus politischen od. psychologischen Gründen bzw. aufgrund ungenügender Kenntnis der Natur, so etwa Cicero, Machiavelli, Holbach, Feuerbach, Marx u. Freud. Die Entlarvung des Glaubens an Gott als Schöpfung des Menschen wird häufig mit der Aufforderung verbunden, sich von der Religion zu emanzipieren. Gottesvorstellungen seien nicht nur falsch, sondern für die Menschen u. die Gesellschaft schädlich u. müssten bekämpft werden. Die atheistische Auffassung, dass die Annahme der Existenz Gottes das Resultat menschlicher Erfindung sei, kam bei L. Feuerbach zur Vollendung. Feuerbach erklärt Religion als Ergebnis der Projektion menschlicher Eigenschaften auf ein göttliches Wesen: Gott hat nicht den Menschen, sondern der Mensch Gott nach seinem Bild erschaffen.
Vor allem durch die Evolutionstheorie Ch. Darwins, die ein wörtliches Verständnis der biblischen Lehre von der Erschaffung des Menschen durch Gott (→ Schöpfung) unmöglich gemacht hat, verlor der Glaube an Gott die Funktion einer Erklärung für Vorgänge in der Natur. So vertreten die meisten Naturwissenschaftler heute einen sog. methodologischen A., demzufolge Ereignisse in der Erfahrungswelt ohne Annahme der Existenz Gottes wissenschaftlich erklärt werden können. Der methodologische A. kann ergänzt werden durch einen pragmatischen A., der die Existenz von Gott od. Göttern nicht ausdrücklich ausschließt, diese Vorstellung aber als unnötig od. überflüssig betrachtet. Mit dem methodologischen u. dem pragmatischen A. verwandt ist ein semantischer A., für den die Annahme der Existenz Gottes sinnlos ist, da Aussagen, in denen auf Gott od. Götter Bezug genommen wird, nicht verifiziert od. falsifiziert werden können.
Der theoretische A. ist eine Form des starken A., der ausdrücklich philosophische Argumente gegen die Existenz Gottes formuliert: N. Hoerster, J. L. Mackie. Eine Position, die sich von diesem starken A. ebenso unterscheidet wie von ausdrücklicher Religiosität, ist der Agnostizismus (gr. agnōsía=Unkenntnis). Der Agnostizismus geht davon aus, dass die Frage der Existenz od. Nicht-Existenz von Gott bzw. Göttern mit Mitteln der menschlichen Vernunft nicht entschieden werden kann – Protagoras, Hume. Th. Huxley, der das Wort Agnostizismus eingeführt hat, verstand darunter jedoch ursprünglich die Lehre von der Unmöglichkeit, das → Transzendente trotz seiner Realität rational zu erkennen.
Dennett, D. C., Breaking the Spell. Religion as Natural Phenomenon, New York 2006. – Faber, R./Lanwerd, S. (Hg.), Atheismus: Ideologie, Philosophie oder Mentalität?, Würzburg 2006. – Mackie, J. L., Das Wunder des Theismus. Argumente für und gegen die Existenz Gottes, Stuttgart 1985 (1986).
Thomas M. Schmidt
A., Selbst-Gesetzlichkeit, ist nach I. Kant das einzig mögliche Prinzip von Moral, weil jede Art von Fremdgesetzlichkeit, Heteronomie, die Selbstbestimmung des vernünftigen menschlichen Willens, die → Freiheit des Individuums, nicht nur in Frage stellen, sondern aufheben u. somit moralisches Handeln, Kausalität aus Freiheit, unmöglich machen würde. In diesem Sinn ist A. das grundlegende Signum des neuzeitlichen Freiheitsbewusstseins u. Selbstverständnisses. In Analogie hierzu spricht man von der A., der Eigengesetzlichkeit unterschiedlicher Wirklichkeitsbereiche, wie der Biologie, Ökonomie, Technik, → Ästhetik usw.
Insofern der christliche → Glaube (→ Christentum) grundlegend Glaube an → Gott als transzendenten (→ Transzendenz) u. absoluten Herrn u. Schöpfer der Welt ist, scheint er dem Gedanken der A. zu widersprechen u. von der Heteronomie, näherhin der Theonomie, der Bestimmung durch Gott, auszugehen. Gleichwohl bezeugt das AT insges. den Glauben an JHWH (→ Judentum) als den sein Volk aus der Knechtschaft herausführenden Befreiergott u. ist die befreiende Botschaft Jesu sowie dessen zu endgültiger Freiheit führende Erlösungstat (→ Erlösung) am Kreuz der Kern des NT. Dementsprechend durchzieht die Geschichte des christlichen Denkens bis heute ein ambivalentes Verhältnis zum A.sgedanken. Schon Augustinus changiert zw. der Betonung der menschlichen Freiheit u. der Alleinwirksamkeit der göttlichen Gnade. Ganz ähnlich spricht Luther von der „Freiheit eines Christenmenschen“, insistiert aber zugleich auf dessen Abhängigkeit von der unverfügbaren göttlichen Gnade. Auch die nachtridentinische katholische → Theologie konnte das Verhältnis von göttlichem Handeln u. menschlicher Freiheit, also von Theonomie u. A., nicht wirklich lösen. Mit dem Gedanken, dass A. u. Theonomie sich nicht widersprechen müssen, dass vielmehr recht verstandene A. sogar nur dann heteronome Fremdbestimmung ausschließt, wenn sie theonom vertieft ist, will die nach dem II. Vatikanischen Konzil entwickelte „autonome Moral“ (A. Auer, J. Fuchs, F. Böckle, D. Mieth u.a.) christlichen Gottglauben mit neuzeitlichem Freiheitsdenken vermitteln. Besondere Beachtung dürfte auf Dauer der dies weiterführende Ansatz des Dogmatikers Th. Pröpper verdienen, der den neuzeitlichen A.sgedanken noch vorbehaltloser aufgreift u. von der unbestreitbar vorgegebenen Freiheit des Menschen ausgeht, um von hier aus den christlichen Glauben als konkrete u. einzig adäquate Verwirklichung, als Erfahrungsraum von Freiheit im umfassenden Sinn zu entwerfen. Nach Pröpper ist somit A. kein Gegensatz zu, sondern gerade der Ausgangspunkt, der Grund der Möglichkeit von Begegnung, u. zwar sowohl mit anderen Menschen als auch mit Gott, u. damit auch Fundament u. Motor jeder Art von praktischem Einsatz für politisch-gesellschaftliche Befreiung. Nicht zuletzt dürfte von diesem A.sverständnis her auch ein → Dialog der Theologie mit den menschliche Selbstbestimmung erneut bestreitenden Biowissenschaften am ehesten möglich sein.
Herrmann, Ch.S. u.a. (Hg.), Bewusstsein. Philosophie, Neurowissenschaften, Ethik, München 2005. – Pröpper, Th., Evangelium und freie Vernunft. Konturen einer theologischen Hermeneutik, Freiburg-Basel-Wien 2001. – Gerhardt, V., Selbstbestimmung: das Prinzip der Individualität, Stuttgart 1999.
Albert Franz
Der Begriff Ä. bezeichnet eine Teildisziplin der Philosophie, deren Theorien sich mit dem Schönen, dem Erhabenen u. anderen sinnlich-geistig wirksamen Qualitäten befassen, wie sie sowohl in der Natur als auch in den Künsten bei wertender Betrachtung hervortreten. Der semantisch nicht eindeutige Begriff Ä. kann neben der Theorie der ästhetischen Qualitäten u. der Kunst aber auch die besondere Struktur der Gegenstände dieser Theorie bedeuten. So spricht man von der Ä. eines Bauwerks, der Ä. einer Aufführung usw.
Es gibt z. Zt. auch nicht-philosophisch organisierte Ä.en, die sich nicht so sehr in dem Gegenstandsbereich als vielmehr methodisch von der philosophischen Ä. unterscheiden: z.B. empirische Ä. als Teil der Soziologie, der Psychologie od. der Ökologie; theologische Ä. als Versuch, z.B. der christlichen → Theologie, die Schönheit u. Herrlichkeit der → Offenbarung mit genuin theologischer Methodik zu vergegenwärtigen u. in der Inkarnation den Urtypus der Schönheit als Anschaubarkeit des Wahren (→ Wahrheit) zu sehen (vgl. das Werk von H. U. v. Balthasar).
Der Terminus Ä. (von gr. aisthesis=sinnliche → Wahrnehmung) wurde von dem Philosophen A. G. Baumgarten als Name für die von ihm begründete Theorie sinnlicher Erkenntnis gewählt, deren Grundlegung er in dem zweibändigen Werk Aesthetica von 1750 leistete. Zum heute noch fortwirkenden Gründungsimpuls der Ä. gehört es, dass sie sich gegen die Verabsolutierung der Verstandesrationalität wendet u. deren Ergänzung durch eigenständige erkennende u. wertende Leistungen der menschlichen Sinnlichkeit einfordert. So ist philosophische Ä. vom Beginn bis heute in weiten Bereichen Rationalitätskritik (vgl. z.B. Th. W. Adornos Ä. od. die Tendenz der → Postmoderne, Ä. als umfassende Theorie sinnlicher Wahrnehmung zu verstehen).
War Baumgarten beim Begriff des Schönen noch von einer in den Dingen u. Kunstwerken selbst liegenden, d.h. an sich seienden Vollkommenheit (perfectio phaenomenon) ausgegangen, für deren Reichtum sich der Mensch durch ein „schön Denken“ sensibilisieren könne, so vollzieht Kant im Rahmen seiner kritischen Philosophie die bis heute folgenreiche Subjektivierung der ästhetischen Konstellation, der gemäß sich das Schöne u. andere ästhetische Qualitäten nach der Fähigkeit der zweckfreien, überpersönlichen, d.h. „interesselosen“ u. nichtbegrifflichen Schätzung des ästhetisch reflektierenden Menschen richten müssen. Die in dieser ästhetischen Distanz zu gewinnende Lust in der Beurteilung des Schönen u. der Kunst geht aus der allseitigen Anregung u. Interaktion der Erkenntnisvermögen (Verstand, Einbildungskraft, Vernunft) hervor u. unterscheidet sich Kant zufolge von jeder unmittelbar durch die Sinne erwirkten Lust am Angenehmen.
Mit der Subjektivierung des Schönen u. seiner zunehmenden Abkoppelung vom Wahren u. Guten verfällt der ehemalige Zentralbegriff der A. in der Moderne u. wird unfähig, den wesentlichen Charakter der Kunst (der „nicht mehr schönen Künste“) zu erfassen. Die gegenwärtige Entwicklung einer Ästhetisierung der → Lebenswelt (MedienÄ., Design, Körperkult, Kosmetik, Werbung usw.) bei gleichzeitiger Abwertung des Schönen, vor allem hinsichtlich der großen Kunst, stellt die Ä. vor die Aufgabe, den Geltungscharakter ihrer zentralen Begriffe zu prüfen u. zu aktualisieren.
Reicher, M.E., Einführung in die philosophische Ästhetik, Darmstadt 2005. – Henckmann, W./Lotter, K. (Hg.), Lexikon der Ästhetik, München 22004. – Scheer, B., Einführung in die philosophische Ästhetik, Darmstadt 1997.
Brigitte Scheer
B. kommt von dem gr. Wort ta biblia, das wörtlich übersetzt „die Bücher“ bedeutet (auf dem Umweg über das Mittellateinische wurde aus dem ursprünglichen Plural ein Singular). In der antiken jüdischen Literatur (Josephus) wurde dieses gr. Wort für die → heiligen Schriften Israels verwendet, bei den frühen Christen (Origenes, Johannes Chrysostomus) dagegen bereits (wie noch heute) für die Gesamtheit der Schriften des AT u. des NT. Die Christen (→ Christentum) übernahmen die B. Israels, deren Bücher überwiegend in der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends v.Chr. entstanden, als grundlegende Urkunde des eigenen → Glaubens. Damit wurde gegen manchen Widerstand, z.B. Markions, festgehalten, dass der → Gott Jesu kein anderer als der Gott des AT war. Die später (zw. Mitte des 1. Jh.s u. Anfang des 2. Jh.s n.Chr.) entstandenen christlichen Schriften wurden der jüdischen B. als zweiter Teil angehängt.
Der Umfang christlicher B.ausgaben ist konfessionell etwas unterschiedlich. Während die Kirche bis zur Reformation u. die katholische Kirche bis heute unter B. weitgehend die Bücher verstanden, die in der Septuaginta (der griechischen Übersetzung bzw. Ausgabe des AT) gesammelt waren, entschieden sich die Reformatoren, nur die Bücher als Teil der B. anzuerkennen, die im hebräischen Original verfügbar waren. Damit wurden sieben Bücher ausgeschieden od. in den Anhang verwiesen, die auf Griechisch abgefasst worden waren od. deren hebräische Vorlage nicht mehr vorhanden war (Judit, Tobit, 1/2 Makkabäer, Weisheit, Jesus Sirach, Baruch, ferner Zusätze zu Esther u. Daniel). Diese Bücher heißen in den reformierten Kirchen Apokryphen, bei den Katholiken deuterokanonische Bücher. Abgesehen von diesem Unterschied besteht die B. aber bei reformierten wie katholischen Christen aus denselben Büchern: 39 (bzw. katholisch: 46) Bücher im AT, 27 Bücher im NT.
Die alttestamentlichen Schriften sind weit überwiegend auf Hebräisch abgefasst worden. Ihre Einteilung u. Reihenfolge unterscheiden sich in der christlichen Tradition vom → Judentum. Auf die Tora (=5 Bücher Mose, Pentateuch) folgen in christlichen Ausgaben die Geschichtsbücher, dann die Weisheitsbücher (zu denen auch mit einer gewissen Sonderstellung die Psalmen gezählt werden) u. die Prophetenbücher (→ Prophet). Hinter dieser Vierteilung steht als Grundidee die Abfolge Uroffenbarung (→ Offenbarung) – Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft.
Die neutestamentlichen Bücher sind durchweg auf Griechisch entstanden. Voran stehen wegen ihrer Bedeutung die vier Evangelien, auf die (als Fortsetzung des Lukasevangeliums) die Apostelgeschichte folgt. Den Abschluss bildet das Buch von den letzten Dingen, die Offenbarung des Johannes. Dazwischen stehen das Korpus der Paulusbriefe, das 14 Briefe umfasst, u. die sieben Katholischen (=allgemeinen, für die Allgemeinheit bestimmten) Briefe, die nicht an einzelne Gemeinden gerichtet sind.
Die B. gilt in den christlichen → Kirchen als inspiriert, d.h. als vom Hl. Geist vermitteltes Wort Gottes. Damit ist keine wörtliche Eingebung gemeint (Verbalinspiration), sondern das Wirken des Hl. Geistes in Israel u. der Kirche, das die dort entstandenen Schriften zu einer authentischen Selbstmitteilung Gottes macht.
Schmidt, W.H., Alttestamentlicher Glaube, Neukirchen-Vluyn 92004. – Roloff, J., Einführung in das Neue Testament, Stuttgart 1995 (2003). – Gnilka, J., Theologie des Neuen Testaments, Freiburg i.B. 1994 (1999).
Thomas Schmeller
Mit dem Begriff B. sind traditionsreiche u. vielschichtige Vorstellungen von Gestaltungsprozessen (formatio) u. Zuständen (forma) verbunden, die diesen Kernbegriff der Erziehungswissenschaft u. Pädagogik markieren. B. artikuliert ein kritisch-reflexives Verhältnis, das Menschen zu sich (Selbstbezug), zu den Mitmenschen (Sozialbezug) u. zur Welt (Sachbezug) haben. Diese Verhältnisse markieren die Achsen der → Ethik, der Macht u. des Wissens. B. ist eine Sorge um sich (epimeleia heautou) als Sorge um eine mündige Lebensführung u. ist der Versuch, menschliche Erfahrungen in der Totalität eines endlichen leiblich-kognitiven Wesens als Prozess zu denken. Während der Begriff der Erziehung die Signatur der Zucht trägt, wird mit B. seit der Antike der Mensch als ein in den Grenzen seiner Möglichkeiten freies Wesen (→ Freiheit) begriffen, das sein → Leben u. seine Verhältnisse zu gestalten hat. B. steht für eine Widerständigkeit u. Weigerung, Menschen in den Dienst ihrer Nutzbarmachung zu stellen.
Wortgeschichtlich geht der Begriff B. auf Meister Eckart zurück, der B. als das Einbilden → Gottes in die → Seele begreift. Geleitet von der imago-dei-Vorstellung übersetzt er formatio mit B. Die Ebenbildlichkeit des Menschen (imago dei) zu Gott setzt ihn in die Spannung der Selbstgestaltung unter der Maßgabe einer unverfügbaren Geschöpflichkeit (P. de Mirandola). Als kanonische B. umschließt sie von der Antike bis in die Moderne hinein die septem artes liberales u. generiert sich als subjektive Aneignung von → Kultur über schulische Lehrpläne. Seine spezifisch pädagogische Prägung erlangt der Begriff ab dem letzten Drittel des 18. Jh.s, als er zur anthropologischen (Bildsamkeit) (→ Anthropologie) u. kulturell-sozialen (B.sbürgertum) Selbstbeschreibung wird. Ab dem 19. Jh. wird B. im Rahmen eines Berechtigungswesens funktionalisiert, das den Mangel an Besitz od. Adelstiteln durch B.szertifikate auszugleichen sucht. So steht B. bis heute individuell u. gesellschaftlich für sozialen u. ökonomischen Fortschritt u. wird in dieser Deformation zu einer marktfähigen Ware.
Der Begriff ist eingebettet in unterschiedliche Konzeptionen u. umfasst – anders als die bloße Rede von B. – differenzierte theoretische Zusammenhänge u. Problemstellungen. In dieser Anbindung ist B. im Zeichen der gr. paideia als skeptische Umwendung (Sokrates/Platon) od. als an die Sprachlichkeit des Menschen gebundenes rhetorisches Ethos (Isokrates/Aristoteles) verstehbar, ferner tendiert sie auf → Autonomie u. Mündigkeit als Selbstregierung (I. Kant) u. kann als Bestimmung des Menschen (F. Schiller/W. von Humboldt) begriffen werden. B. ist eine fortwährende Tätigkeit (energeia), die die auf Aktualisierung drängenden Möglichkeiten des Menschen (dynamis) zu verwirklichen trachtet. In ihrem Bezug zur Kultur wird sie zur Aneignung des Allgemeinen sowie zur gesellschaftlichen Integration (Hegel) u. steht in der Spannung einer auf Nutzbarmachung ausgerichteten Ausbildung u. einer gestaltenden ästhetischen B. (→ Ästhetik) als Lebenskunst (F. Nietzsche). Als HalbB. gebiert sie belangslose Gelehrsamkeit, sodass B. zur Sorge um B. wird (Th. W. Adorno). Sie trägt seither ein paradoxes Deutungsmuster, das sich von dem ihr innewohnenden kritischreflexiven Ethos löst, zugleich HalbB. befördert, auf nützliche Kompetenzen eingeschränkt u. insges. als Humankapital im Kontext Lebenslangen Lernens (PISA) auslegbar wird. Gegenwärtig kann eine Vielfalt von B.skonzeptionen herausgestellt werden, die einem historischen Einheitsgedanken einer großen Erzählung von B. (F. Lyotard) widersteht. B. wird gedeutet als Umgang mit Schlüsselproblemen, als Selbständigkeit im Denken u. als Emanzipation, als Kritik u. skeptisch-kritische Haltung od. als eine das Verhältnis zu sich als einem leiblich-vernünftigen Wesen artikulierende Lebenskunst eines Ethos der Selbstäußerlichkeit. Der Begriff B. lässt sich so in seinem Problemgehalt von verwandten Begriffen wie Lernen, Erziehung, Sozialisation, Kompetenz u. Ausbildung unterscheiden.
Dörpinghaus, A./Poenitsch, A./Wigger, L., Einführung in die Theorie der Bildung, Darmstadt 2006. – Pleines, J.-E. (Hg.) Bildungstheorien. Probleme und Positionen, Freiburg-Basel-Wien 1978. – Lichtenstein, E., Bildung, in: J. Ritter (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, Basel-Stuttgart 1971, 921–937.
Andreas Dörpinghaus
Im weitesten Sinne bezeichnet böse die schädliche Eigenschaft von Ereignissen od. Sachen, im engeren Sinne die schädigende Absicht von Personen u. Handlungen (→ Ethik, Freiheit). Das Wort wird als Sammelbegriff für alles Schädliche, mit Vorzug aber in anthropologischen (→ Anthropologie), weltanschaulichen u. religiösen Kontexten verwendet. Zum Substantiv wird das B. dann erhoben, wenn dessen Struktur, prinzipielle Bedeutung od. eine Gefahr herausgehoben wird, die Einzelerklärungen übersteigt. Präzisierungen (z.B. moralisch, metaphysisch, radikal) fügen das metaphorische Reden in reflektierte Zusammenhänge ein; oft wird es zu einem eigenen Wesen verselbständigt. In der westlichen, monotheistisch geprägten → Kultur erscheinen böse u. B.s meist als Verneinung od. Zerstörung des entsprechenden Guten. Wo das Gute etwa in menschlicher Befreiung kulminiert, wird das B. zur Unterdrückung; wird es als → Freiheit formalisiert, gerät es zum „Drama der Freiheit“ (R. Safranski). In grundsätzlichen Zusammenhängen erscheint es zugleich als unwiderrufliches Unheil (→ Sünde). Politisch od. psychologisch, mit gesellschaftlichen od. moralisch-religiösen Mitteln, lässt es sich nicht überwinden. Zwar sind analytische Klärungen unverzichtbar, aber der Fortschritt kann in neue Spiralen des B.n führen, wie man an Gewaltzusammenhängen erkennt (→ Frieden).
Können wir das B. erklären? Immer ist die Neigung gegeben, Menschheit u. Welt in Gut u. B. einzuteilen u. aus diesem Spannungsfeld zu erklären; in diesem Fall ist von Dualismus die Rede, etwa bei einem Moralismus, der zw. guten u. bösen Menschen unterscheidet, bei vergleichbaren Verfahren in → Politik od. Geschichte, bei Weltanschauungen od. → Religionen, die das B. aus Prinzip u. Gegenprinzip erklären. Der Manichäismus ließ die Welt aus einem guten u. bösen Prinzip entstehen, der → Daoismus erklärt die Wirklichkeit aus einem engen Wechselspiel von Gegensätzen. Im → Buddhismus wird alles zum Schein, der aus Selbstbezogenheit entsteht. Die monotheistischen Religionen konnten den Dualismus nur unvollständig überwinden. Dem personal gedachten Teufel, der die Destruktion geschichtlich vorantreibt, kommt oft ein hohes Erklärungspotential zu. Gemäß christlich augustinischer Tradition, die katholische u. evangelische Denkformen stark prägt, ist das B. (Egoismus, Hochmut, Ungehorsam) den Menschen von Geburt an ins Herz gesenkt (Sünde). In → Christentum u. → Islam brechen apokalyptische Strömungen auf, die Regeln menschlichen Umgangs außer Kraft setzen.
In der europäischen Kultur zeigt sich dieses Doppelgesicht. Einerseits wirken in ihr humanisierende u. menschenrechtliche Traditionen. Andererseits hat der Kampf gegen das B. zur Verteufelung u. abgrundtiefen Entwürdigung von Menschen (→ Rassismus, Geschlechterdifferenz) geführt. Im Europa des 20. Jh.s hat Religion gelernt, ihre Interpretationskompetenz über das B. mit Philosophie, Humanwissenschaften u. Kunst zu teilen. In jedem Fall geht es darum, Menschen neben allem Engagement für das Gute in ihre Ohnmacht, Endlichkeit u. Schuldfähigkeit einzuüben. So mag es gelingen, den Widerspruch des B.n im Geheimnis des Göttlichen selbst aufzuheben.
Ricoeur, P., Das Böse. Eine Herausforderung für Philosophie und Theologie, Zürich 2006. – Safranski, R., Das Böse oder das Drama der Freiheit, München 1997 (Frankfurt a.M. 2006). – Laube, J. (Hg.), Das Böse in den Weltreligionen, Darmstadt 2003. – Häring, H., Das Problem des Bösen in der Theologie, Darmstadt 21999.
Hermann Häring
Im 5. Jh. v.Chr. in Nordindien durch den Fürstensohn Gautama Shakyamuni, genannt der Buddha (=der Erwachte), gestiftete Erlösungsreligion auf der Basis des indischen zyklischen Weltbildes. Vor Gautama soll es schon mehrere Vorzeitbuddhas gegeben haben, u. weitere werden folgen, als nächster der künftige Buddha Maitreya. Gautama hatte mit 29 Jahren Elternhaus, Ehefrau u. Kind verlassen, um nach Befreiung von den Problemen Krankheit, Alter u. → Tod zu suchen. Nach sechs Jahren vergeblicher Askeseübungen erlangte er eines Nachts in meditativer Versenkung unter einem Baum „Erleuchtung“, d.h. intuitive Einsicht in die Natur des Daseinskreislaufes u. den Weg zur → Erlösung. Er formulierte seine Erkenntnisse in den „Vier edlen Wahrheiten“ vom Leiden als Grundverfasstheit der Existenz u. dem „Edlen achtfachen Pfad“ zu seiner Überwindung. Gier, Hass u. Unwissenheit bezeichnete er als Grundübel des → Lebens; zu ihrer Überwindung sei es nötig, sich um richtige Erkenntnis der → Wahrheit, ethisches Leben (→ Ethik) (insbes. Verzicht auf die Schädigung anderer) u. → Meditation zu bemühen. Wer hierin Vollendung erlangt u. alle Folgen vergangener Taten (Karma) beseitigt hat, ist vom Zyklus von Geburt, Tod u. Wiedergeburt erlöst u. geht ins Nirvana (=Verlöschen) ein. Im Unterschied zum Christen, der auf Ewiges Leben hofft, wollen Buddhisten aus dem ewigen, unerlösten Weiterlebenmüssen aussteigen u. zur völligen Ruhe kommen. Der alte B. kennt keine Erlösergestalt; der Buddha hat zwar den Weg gewiesen, aber gehen muss jeder Mensch ihn selbst.
Bald nach seiner Erleuchtung begann Gautama zu lehren u. Schüler u. Schülerinnen um sich zu scharen. Er gründete einen Mönchs- u. Nonnenorden, den er auf ein Leben in Armut u. Keuschheit, zu Alkohol- u. Gewaltverzicht u. zum gemeinsamen monatlichen Sündenbekenntnis (→ Sünde) verpflichtete. 45 Jahre lang zog der Buddha lehrend durch Nordindien. Mindestens 500 seiner Schüler u. eine unbekannte, aber ebenfalls hohe Zahl seiner Schülerinnen erfuhr die Erleuchtung. Nach seinem Tode wurden auf mehreren Mönchskonzilen seine Lehren memoriert u. erst mündlich, im 1. Jh. v.Chr. auch schriftlich festgelegt. Der buddhistische Kanon umfasst drei Teile: die Ordensregeln, die Lehrreden des Buddha u. philosophische Abhandlungen.
Kaiser Ashoka (3. Jh. v.Chr.), der Einiger Indiens, erhob den B. zur Staatsreligion. Im ganzen Land ließ er auf Inschriften die Bürger zu ethischem Verhalten auffordern. Er begann auch mit der buddhistischen Auslandsmission (→ Mission). Der bis zur Zeitenwende dominierende alte B. (von Mahayana-Anhängern pejorativ Hinayana=Kleines Fahrzeug genannt) herrscht in Gestalt seiner letzten noch existierenden Schule, dem Theravada (=Lehre der Alten), bis heute in Sri Lanka, Birma, Thailand, Kambodscha u. Laos.
Um Christi Geburt entstand das Mahayana (=Großes Fahrzeug) als zweite Schulrichtung des B. Im Gegensatz zum Hinayana vertritt es die Auffassung, dass jeder Mensch (u. nicht nur einer pro Weltzeitalter) Buddha werden könne; Frauen allerdings müssen zuvor als Männer wiedergeboren werden. Symbolgestalt des Mahayana ist der Bodhisattva, ein werdender Buddha, der die Ruhe des Nirvana nicht genießen will, solange es noch Leiden gibt. Zum Bodhisattva-Ideal gehört es daher, anderen auf ihrem Erleuchtungsweg zu helfen. Legenden berichteten von bes. selbstlosen Taten der Bodhisattvas. Es entstand ein Pantheon mythischer Bodhisattvas u. Buddhas, die von den Gläubigen um Hilfe angerufen, aber auch als Vorbilder verehrt wurden. Damit war der Typus der transzendenten (→ Transzendenz) Erlösergestalt nachträglich in den B. gelangt. Allerdings blieb die persönliche Praxis bedeutsamer Teil des Pfades.
Im Mahayana entstanden einflussreiche Schulen der buddhistischen Philosophie. Nagarjuna (ca. 2. Jh. n.Chr.) begründete die Lehre des Mittleren Weges (Madhyamika). Die irdische Welt sei letztlich nicht vom Nirvana, dem Erlösungszustand, getrennt, sondern mit diesem identisch. Die „Nur-Bewusstseins-Lehre“ (Cittamatra) von Maitreya, Asanga u. Vasubandhu (ab 4. Jh. n.Chr.) besagt, dass Sinneswahrnehmungen nicht so sehr eine objektive Realität, als vielmehr den → Geist des/der Wahrnehmenden (→ Wahrnehmung) widerspiegeln. Das Mahayana ist die vorherrschende Form des B. in Vietnam, China, Korea, Japan u. im tibetischen Kulturkreis (→ Kultur). Zwei in Japan bedeutsame Sonderrichtungen des Mahayana sind die Schule des „Reinen Landes“, deren wichtigste Praxis die Anrufung des Namens Amidas darstellt, u. der Chan- (japanisch Zen-)B., der die Meditation als zentrale Praxis betrachtet. Hauptrichtungen des Zen sind die Soto-Schule mit gegenstandsloser Meditation u. die Rinzai-Schule mit der Meditation über ein Koan, einen kurzen, rational nicht auflösbaren Sinnspruch.
Etwa ab dem 6. Jh. n.Chr. trat das Vajrayana (=Diamantfahrzeug) auf, die esoterische Schulrichtung (→ Esoterik) des B. Nach seinen Haupttexten (Tantras) auch „tantrischer B.“ genannt, enthält es Geheimrituale (→ Ritus), Einweihungen, Mantras (=heilige Formeln), Mandalas (=Modelle des psychophysischen Kosmos), zahllose teils friedliche, teils dämonische Gottheiten als Meditationsobjekte, die alle die Buddhaschaft symbolisieren u. zum Zeichen ihrer vielen Eigenschaften häufig mehrere Köpfe, Arm- u. Beinpaare aufweisen, sowie die grundlegende Polarität von Weisheit u. Mitgefühl, der beiden Aspekte des erleuchteten Bewusstseins. Trotz seiner mitunter exzentrischen Symbolik (→ Symbol) basiert das Vajrayana bis in die Details auf buddhistischer Lehre. Es wird heute vor allem in zwei Kulturkreisen gepflegt: in Japan u. Korea in einer frühen Form aus dem 8. Jh. (japanische Schulen: Shingon u. Tendai), in Nepal, Ladakh, Sikkim, Bhutan, Tibet u. der Mongolei zusätzlich in einer späteren Form aus dem 9.–12. Jh., die in vier Schulen (Gelugpa, Sakyapa, Kagyüpa, Nyingmapa) praktiziert wird. In Bhutan ist der tantrische B. Staatsreligion.
Im 20. Jh. fasste der B. verstärkt im Westen Fuß. Am erfolgreichsten sind das Theravada (vertreten durch Nyanatiloka, Ayya Khema), das japanische Zen (Daisetz T. Suzuki, Alan Watts) u. der tibetische B. (XIV. Dalai Lama, Anagarika Govinda, Ole Nydahl). Der Dalai Lama, Oberhaupt des tibetischen B., erwarb sich als Friedenspolitiker internationale Anerkennung (Friedensnobelpreis 1989). In Deutschland sind die meisten buddhistischen Gruppen in der Deutschen Buddhistischen Union (München) organisiert.
Hutter, M., Das ewige Rad. Religion und Kultur im Buddhismus, Graz 2001. – Dalai Lama, Der Weg zur Freiheit. Zentrale tibetisch-buddhistische Lehren, München 1996 (2002). – Buddhismus aktuell (Vierteljahreszeitschrift der Deutschen Buddhistischen Union), München: www.buddhismus-aktuell.de
Adelheid Hermann-Pfandt
„Christen“ nennt man gegen Ende des 1. Jh.s n.Chr. zum ersten Mal in Antiochia, der damaligen Hauptstadt Syriens, die Anhänger des Jesus von Nazaret (vgl. Apg 11,26). Diese selbst verstanden sich eher als „die des Weges“ (vgl. Apg 9,2; 19,9.23; 22,4; 24,14.22); das bedeutet: Sie haben Jesus u. seine Botschaft für sich als „Weg“ erkannt u. sehen sich als „Jünger“, die ihm auf diesem „Weg“ folgen, weil sie ihn als „Heilsweg“ begreifen.
Die Fremdbezeichnung „Christen“ basiert auf dem frühen Bekenntnis der Jesusanhänger, die zunächst alle aus dem → Judentum kamen u. Jesus für den im Judentum erwarteten Messias hielten. (Christos ist dafür die gr., Christus die lat. Übersetzung.) Dies war nur einer von vielen Titeln, mit denen man Person, Leben u. Werk Jesu auf einen gültigen Nenner zu bringen versuchte (neben → vgl.