Otto Schulze
Oberzahlmeister Otto Schulze – Briefe aus Fernost – Teil 2
1908 und 1911 – 1913 – Band 79 in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort des Herausgebers
Briefe aus Tsingtau und von Reisen aus dem Jahre 1908
Reise nach Japan – April 1908
Reise nach Tschifu, Tschinwangtau und Peitaiho
Weiter in Tsingtau ab August 1908
Heimreise nach Deutschland 1908 mit der Transsibirischen Eisenbahn und Heirat
Zahlmeister auf Kreuzer „GNEISENAU“ in China
Auf Kreuzer „GNEISENAU“ bei Amoÿ China
Mit Kreuzer „GNEISENAU“ bei Wusung China
Auf Kreuzer „GNEISENAU“ in Tsingtau
Wieder in Wusung
Erneut in Tsingtau – ab März 1912
Reise nach Japan – Miyadzu – Kyoto – Nagasaki
Reise nach Japan – Nagasaki – Oktober 1912
Auf Kreuzer „GNEISENAU“ bei Amoÿ im Dezember 1912
Reise mit Kreuzer „GNEISENAU“ nach Batavia
Reise nach Japan – Beppo – Kobe jm April 1913
Heimreise nach Deutschland über See im Juni 1913
Weitere Informationen
Die maritime gelbe Buchreihe
Impressum neobooks
Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig bis zu 140 Betten. In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.
Im Februar 1992 kam mir der Gedanke, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen, dem ersten Band meiner maritimen gelben Reihe „Zeitzeugen des Alltags“:
Seemannsschicksale.
Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften als Reaktionen zu meinem Buch.
Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage nach dem Buch ermutigten mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben. Inzwischen erhielt ich unzählige positive Kommentare und Rezensionen, etwa: Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe“. Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights der Seefahrts-Literatur. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechselungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlich hat. Alle Achtung!
Die Bände 78 und 79 berichten vom Berliner Oberzahlmeister der kaiserlichen Reichsmarine Otto Schulze und seinem Dienst in Tsingtau, damals deutsche Kolonie des kaiserlichen Reiches in China. Otto Schulze hat in der Zeit von Oktober 1906 bis Ende 1908 seine Erlebnisse, Erkenntnisse sowie die Arbeit für die Marine in China schriftlich festgehalten und per Post an seine Verlobte Frieda Neuendorf in Liegnitz / Schlesien geschickt, von Ende 1912 bis Mitte 1913 an seine Ehefrau Frieda. Der Nachlassgeber, Herr Bernd Hoeckner, ein Enkel des Briefschreibers, hat dem Berlin- Brandenburgischen Wirtschaftsarchiv 300 Briefe und 800 Postkarten seines Großvaters bereitgestellt. Die Briefe sind zu einem großen Teil sehr persönlich und beschreiben auch die Gefühlslage, in der sich das getrennte Paar befand. Transliteriert wurde der Nachlass ehrenamtlich von Berliner Senioren – Bernd Liebig, Elisabeth Germelmann, Christine Jeiter, Roland Schmidt und Ingrid Schönfeld –, die als kundige Kenner der Kurrentschrift sich monatelang der Entzifferung der Briefe und Postkarten und der Übertragung in digitale Dateien widmeten. Dem Teilnehmer des Ehrenamtsprojektes, Herrn Bernd Liebig, gebührt für die Koordinierung der Arbeiten besonderer Dank.
Die Briefe enthalten viele intime Ausführungen. Damit es für den Leser nicht zu eintönig und anstrengend wird, alle privaten Details dieser Brautbriefe lesen zu müssen, wurden nur einigen Abschnitte auszugsweise zur besseren Einordnung kursiv dargestellt abgedruckt, nach Absprache mit dem BB-WA ansonsten in diesem Buch nicht weiter berücksichtigt. Sie lesen also nur die wesentlichen kulturgeschichtlich interessanten Passagen und die Reiseschilderungen nach Japan und ins Innere Chinas ohne die umfangreichen rein privaten Textteile. Sehr interessant und aufschlussreich sind die zeitbedingten rassistischen Meinungen des Briefschreibers über die Japaner („Affen“) und Afrikaner („Neger“). Das einvernehmliche Miteinander der Vertreter der imperialen europäischen Völker in Fernost wenige Monate vor dem gegenseitigen massenhaften Abschlachten im ersten Weltkrieg gibt zum Nachdenken Anlass.
Die Gesamtzahl der Briefe Otto Schulzes sprengen den Umfang eines Buches in Leimbindung. Darum wurden im Band 78 nur die Briefe bis zum Jahreswechsel 1907/08 gedruckt. Weitere Texte und Bilder folgen in diesem Band 79. Zurück nach Deutschland reiste Schulze Ende 1908 mit der Transsibirischen Eisenbahn durch das weite Zarenreich und zurück nach China Ende 1911 wieder mit dem Zug durch Russland.
Die Texte werden in Abänderung des Urtextes überwiegend in der heute gängigen Rechtschreibung wiedergegeben.
Hamburg, im Januar 2015 Jürgen Ruszkowski
Im ersten Teil (Band 78) der Briefe aus Fernost lasen Sie Interessantes über die Ausreise des Oberzahlmeisters Otto Schulze per Schiff von Hamburg nach Tsingtau, ferner Schilderungen über das Leben in der deutschen Vorzeigekolonie im Osten Chinas, über interessante Reisen ins Landesinnere oder nach Korea im Jahre 1907. Hier folgen weitere Briefe ab Januar 1908 und von Ende 1911 bis Mitte 1913.
Blick auf Tsingtau
BBWA – N8_40_13
N8/4 Briefnummer 86 – transkribiert von Ingrid Schönfeld
Tsingtau, 4. Januar 1908
…Schon heute will ich Dir danken für Deinen lieben Brief No. 71, der gestern früh pünktlich ankam… Nun werde ich aber plötzlich unterbrochen; mein Chinese meldet mir das Bad klar. ¼ Stunde zu früh, ich wollte erst um 10 Uhr baden… Soeben habe ich zwei Gratulationsbriefe an Frau Stolle und Frau Lorenz geschrieben. Beide Damen haben in diesem Monat Geburtstag, und da ich viel bei ihnen im Hause verkehrte, erweise ich ihnen diese kleine Aufmerksamkeit... Deinen lieben Brief will ich erst mit nächster Post – in vier Tagen – beantworten. Nur will ich nicht die Gelegenheit vorbeilassen, Dir ein Lebenszeichen zu senden, da morgen früh außerterminlich ein englischer Dampfer nach Chefoo geht. Mir geht es gut, was ich auch von Dir und den Eltern hoffe.
N8/4 Briefnummer 87 – transkribiert von Ingrid Schönfeld
Tsingtau, 7. Januar 1908
…Weißt Du, …kaum mag ich es Dir sagen, ich habe gestern einen Roman von Ompstede, „Herzeloyde“, gelesen und nicht eher aufgehört, als bis ich ihn zu Ende hatte. Liebstes, süßes Friedelchen, der größte Teil ist eigentlich unsre Lebensgeschichte, nur mit der Abweichung, dass die Figur der Herzeloyde bei mir fehlt. Wenn Du ihn bekommen kannst, dann lies ihn doch bitte auch, mein Friedelchen, ich möchte gerne wissen, wie Du den Inhalt auffasst... – Ich habe mir früher nie den Inhalt eines Romans so nahe gehen lassen, aber diesmal konnte ich beim besten Willen nicht dagegen angehen…
08.01.1908 – abends ¼ 9 Uhr
Seit 4 Uhr bin ich heute Nachmittag zu Hause, habe gelesen und komme jetzt wieder zu meiner liebsten Beschäftigung. Den Gang in den Klub schenke ich mir heute auch, da ich keinen Hunger habe. Mir ist das ganze Wirtshausessen derartig zuwider, dass ich es am liebsten nicht mehr sehen mag, dazu von Chinesen gekocht, immer derselbe nichts sagende Geschmack. Na, da habe ich es mir ganz und gar geschenkt…
Aus dem unpünktlichen Eintreffen der Post leuchtet wieder der Japaner in seiner ganzen Gemeinheit. Du musst nämlich wissen, dass die Post von Chefoo bis zur sibirischen Bahn von Japanern befördert wird. Ich war in Chefoo auf dem japanischen Postamt und sah die Affen dort sitzen in Hemdsärmeln. Am liebsten hätte den ganzen Kerlen als Zeichen meiner Hochachtung körperlich Verweise erteilt. Denn wenn die Japsen die Post pünktlich, wie es in einem geordneten Staatswesen der Fall ist, beförderten, müssten meine Briefe in 15 -16 Tagen in Deinem Besitz sein. Und Du, mein kleines, süßes Frauchen, musst auch unter der Willkür dieser Affen leiden. Du sollst auch aufgebracht werden über diese Kreaturen, darum halte ich mit meinem Zorn nie hinterm Berge. Kläre nur die Liegnitzer auf, was die Japaner ohne Ausnahme für minderwertige Geschöpfe sind, damit der Japs dort nicht ebenso in den Himmel gehoben wird, wie es leider sonst mit exotischen Gästen in unserm lieben deutschen Vaterland der Fall ist; ganz besonders tun sich in dieser offenen Verehrung Damen hervor, wie wir leider schon so häufig erlebt haben. Ein Japaner ist eben wie jeder Neger Mensch 3. Ranges und jeder eingehendere Verkehr degeneriert.
Nun komme ich zum Schluss Deines Briefes und hiermit auch zu dem Spaß, den sich die Reichsbank geleistet hat. Wenn ich zu Hause wäre und das nötige Material in den Händen hätte, dann würde ich dienstlich die horrende Unwissenheit der Reichsbank geißeln lassen. Wenn alle Bestimmungen so klar wären, wie die über Hinterlegung von Papieren und Nachsuchung des Heiratskonsens, dann könnten wir zufrieden sein. Hoffentlich hat Vater die Leute nun aufgeklärt. Er soll nur die Rangliste mitnehmen, um dem Justizrat auch die Umstände klarer zu machen. Du musst nur die Summe nachweisen, weil ich in diesem Jahre den Konsens beantrage, und ich mein Gehalt, das ich jetzt in Wilhelmshaven bezöge, zu Grunde legen muss. Wenn wir im Mai 1909 heiraten, habe ich weit mehr Gehalt, als zum Heiraten vorgeschrieben (rund 4.000 Mark), da sich April 1909 mein Gehalt und meine Seefahrtzulage erhöht...
…½ Stunde habe ich das Schreiben unterbrochen, weil ich erst mein heißes Bad nehmen musste. Nun sitze ich im Bademantel…
9. Januar 1908
Morgen früh kommt wieder Post, die mir hoffentlich meinen oder vielmehr Deinen ersehnten Brief bringt. Ich freue mich schon immer darauf von einem Freitag zum andern. Du müsstest gern einmal sehen, wie ich bin, wenn ich einen kleinen – Schwips habe. Na, zunächst war es Sylvester nicht der Fall, obwohl wir bis ½ 4 Uhr gefeiert hatten. Aber dennoch kann ich es Dir ja verraten, ich bin dann sehr liebenswürdig, aber nicht etwa die Grenze überschreitend. Aber besser ist es doch, wenn ein Schwips überhaupt nur recht, recht selten vorkommt, meinst Du nicht auch, Schatzelchen? Mitunter lässt es sich ja gar nicht vermeiden, und es kommt ganz besonders auf die Stimmung an. Bei guter Laune ein Gläschen Sekt mag ich sehr gern, und das machen wir auch, Liebstes, wenn ich wieder bei Dir bin; denn das ist doch ein Festtag für uns beide. Da muss Vater einmal seinen Weinkeller zeigen; ich habe ihn (den Weinkeller nämlich) damals gar nicht gesehen.
Mit gleicher Post schicke ich Dir ein Bild mit, das gelegentlich der Abschiedsfeier eines alten Tsingtauers im Klub aufgenommen wurde. Ich bin in Zivil und will Dir das Suchen selbst überlassen. Da es eine Blitzlichtaufnahme ist, kann man an die Ausführung keine höheren Ansprüche stellen. Findest Du mich auch, Lieb?
Vor einiger Zeit schrieb ich Dir doch, dass wir mit den Offizieren des österreichischen Kreuzes, „KAISER FRANZ JOSEF I.“ häufig zusammen waren. Vorgestern bekam ich eine Karte von ihnen aus Hongkong. Offenbar waren sie sehr fidel. Ich sende Dir die Aufnahme mit...
N8/4 Briefnummer 88 – transkribiert von Ingrid Schönfeld
Tsingtau, 15. Januar 1908
Seit fünf Tagen bin ich gar nicht zum Schreiben gekommen, da ich abends vielfach eingeladen war und am Tage – jetzt am Vierteljahresschluss – viel zu tun habe. Aber meine Gedanken schweifen stets zu Dir, habe ich doch überall ein Bild von Dir, sowohl in meinem Dienstraum, wie in meiner Privatwohnung. Mitten im eifrigsten Arbeiten, die Zahlen und Dollars fliegen nur so, halte ich oft einen Augenblick inne und sehe Dein Bild an…
Ein guter Freund von mir, ebenfalls Oberzahlmeister, mit dem ich lange in Wilhelmshaven in einem Zimmer gearbeitet habe, ist am Sonntag Vormittag gestorben, und gestern Nachmittag haben wir ihm das letzte Geleit gegeben.
Lazarett in Tsingtau
BBWA – N8_40_13
Vor acht Tagen ging er ins Lazarett und ließ sich, an einer Blinddarmentzündung erkrankt, operieren. Die Operation verlief sehr gut, und schon auf dem Wege der Besserung, noch unmittelbar vor seinem Tode scherzte er, ereilte ihn ein Lungenschlag, der seinen sofortigen Tod herbeiführte. Es ist furchtbar traurig, wenn ein gesunder, kräftiger Mann von 34 Jahren so plötzlich abberufen wird. Ich kann es mir kaum vorstellen, dass ein guter Freund, mit dem ich noch vor ganz kurzer Zeit zusammen gewesen bin, nicht mehr sein soll. Erst vor sechs Wochen war er von Hause hier angekommen, und nun ruht er schon in fremder Erde. Es ist ein Zufall, dass er keine Eltern mehr hat, nur zwei Schwestern trauern um ihn.
Nun ist unser Aufenthalt in Tsingtau bald zu Ende. Das Boot macht morgen Vormittag seine erste Probefahrt, und am 23. dampfen wir ab nach Shanghai. Hier treffe ich wieder Carl Stolle, auf dessen Wiedersehen ich mich schon unbändig freue.
Habe ich es damals nicht schon geschrieben, dass KAISER FRANZ JOSEF I ein österreichischer Kreuzer ist? Wir kommen in Shanghai wieder mit ihm zusammen. Du zeigst ja selbst für Torpedobootsmaschinen Interesse, mein süßes Lieb, aber so schlimm ist es nicht, wie Du denkst mit der Hitze; denn es ist für künstliche Ventilation genügend gesorgt. Aber dennoch kommt bei sehr heißem Wetter eine Temperatur von 50° - 60° schon vor in den Heizräumen. Hoffentlich tun unsre neuen Kessel wieder voll ihren Dienst.
Was nur die Zeitungen zu Hause alles zusammenschreiben. Wir erfahren immer erst aus dem Zeitungstratsch, was hier in China los ist. Das liegt schon im Wesen des Chinesen, hin und wieder Krach zu machen. Aber uns rührt das absolut nicht. Die Schiffe, die jetzt auf dem Jangtse liegen, wären auch ohne die vermeintliche Unruhe da. Mach Dir nur keine Sorgen, mein Liebling, hörst Du, und glaube von dem gesamten Zeitungsgeschwätz nur den zehnten Teil.
Wenn es auf der ganzen Welt so ruhig wäre, wie hier, dann brauchten sich die Gemüter nicht zu erhitzen.
Jetzt fangen die Feierlichkeiten zum chinesischen Neujahr schon an und wenn dann hie und da ´mal etwas Radau gemacht wird, so ist das völlig ohne Bedeutung. Man muss nur die chinesischen Verhältnisse kennen.
Wieder eine kurze Unterbrechung, ich habe mein gewohntes warmes Bad erst genommen und sitze jetzt wieder als Beduine – im Bademantel – …
16.01.1908
…Ich komme eben von Bord, es ist 5 Uhr Nachmittag…
… Erinnerung an unsern Lauschan-Aufenthalt. Wenn es geht, will ich mit Carl Stolle im September noch einige Tage in den Bergen verleben. Das bildet dann einen schönen Abschluss meiner Auslandszeit.
N8/4 Briefnummer 89 – transkribiert von Ingrid Schönfeld
Tsingtau, 20. Januar 1908
In der letzten Woche war ich wieder häufig eingeladen, ja zweimal hintereinander zum Gänsebraten, Sonnabend bei Familie Richter und gestern – Sonntag – bei Familie Staffeldt. Da ich diesen Vogel in gebratenem Zustand wie alle Berliner – Du sagst es ja selbst – sehr gern esse, so war es mir nicht zu viel. Ich bin drei Tage verwaist; denn mein Boot ist gestern früh 8 Uhr fortgefahren bei einem sehr schlechten Wetter – Sturm und schwerer Frost – und kommt erst morgen Abend wieder. Da mein Kommandant weiß, dass ich mir aus solchen Fahrten wenig mache, bin ich ´gleich lieber hier geblieben. Aber am Donnerstag, dem 23. muss ich doch dran glauben und wieder mal zur See fahren; dann werde ich mein großes behagliches Zimmer vermissen in diesen engen Räumen. Mein einziger Trost ist dann nur, dass die Zeit schnell vergeht und ich bald meine Heimreise antreten kann. Noch rund 300 Tage bleibe ich hier an Bord.
Du fragst nach Zobelpelzen. Ja Liebstes, diese Art von Pelzen ist nicht zu bezahlen. Die Pelze sind hellbraun, und viel teurer als Hermelin. Ein Pelzjacket aus echtem Zobel kostet die Kleinigkeit von etwa 20.000 Mark. Aber ich werde in Hankau, oder sei es sonst wo, Gelegenheit haben, andere gute Pelze zu kaufen, zur Boa und hoffentlich auch zum Jacket für Dich…
21.01.1908
…Noch immer ohne Brotstelle bin ich zu Hause, der Ofen hat das Zimmer sehr schön durchwärmt, während draußen Frost und eisiger Nordsturm herrschen…
Heute Morgen lag ich über eine Stunde mit halb geschlossenen Augen im Bett und malte mir unser Wiedersehen aus… Wenn ich erst auf der sibirischen Bahn sitze und mir das unmittelbar bevorstehende Wiedersehen ausdenke, während der Luxuszug ohne Rast die unermesslichen Schneefelder Sibiriens & Russlands durcheilt, dann werde ich ganz leise für mich lächeln, glücklich, zufrieden, erst dann werde ich von Herzen froh werden. Die Reise über Sibirien stelle ich mir als netten Abschluss meiner Auslandszeit vor. Es ist ´mal ganz etwas anderes, als eine Seereise…
Heute Vormittag war ich im Lazarett und ließ mich untersuchen, da ich vermutete, dass ich ebenfalls etwas am Blinddarm hätte. Aber meine Besorgnis hat sich, Gott sei Dank, als unberechtigt erwiesen; denn die Ärzte konstatierten eine immer wieder auftretende Folgeerscheinung des Typhus, den ich vor Jahren hatte. Es ist ohne Bedenken, nur eine gewisse Diät muss ich beobachten. Du kannst vollständig beruhigt sein. Wenn es etwas Schlimmeres wäre, würde ich es Dir vorher nicht schreiben, sondern erst, wenn alles (Operation z. B.) vorbei wäre. Zunächst dampfe ich ´mal übermorgen nach Shanghai ab. Da sind große Festlichkeiten zu Kaisers Geburtstag geplant, an denen wir teilnehmen wollen. Festessen, Bälle, da ich ja nicht tanze, ohne Dich, werde ich mir aus den Bällen wenig machen, aber hingehen muss ich schon. Den Verlauf der Feierlichkeiten berichte ich Dir nach Beendigung.
Sollte zwischen diesem und dem nächsten Brief eine größere Pause entstehen, so sei ohne Sorge; denn dieser geht morgen über Chefoo – Sibirien, während mein nächster Brief über Wladiwostok geht.
N8/4 Briefnummer 90 – transkribiert von Ingrid Schönfeld
Shanghai, 30. Januar 1908
…will ich Dir erst kurz von meinen Erlebnissen in Shanghai erzählen. Am 23. Januar gingen wir von Tsingtau fort und hatten leidliches Wetter bei der Fahrt, kamen abends des 24. hier an. S. M. S. „LEIPZIG“ ist ebenfalls hier, und ich überraschte nach dem Ankern Carl Stolle mit meinem Besuch.
Nun beginnt eine Serie von Festlichkeiten, anlässlich Kaisers Geburtstag, deren Spuren noch in unsern Gliedern sitzen. Zunächst also Begrüßungstrunk bei Carl Stolle, am 25. abends fand ein großer Ball in der Town Hall statt, veranstaltet von dem deutschen Freiwilligen-Corps. Dieses Corps besteht aus Kaufleuten, die eine Compagnie bilden zum Schutze gegen chinesische Aufstände; ebenso haben alle anderen Nationen solche Corps. Der Ball vereinigte die Créme der Gesellschaft Shanghais in dem Riesensaal der Town Hall, etwa 900 Menschen in Festkleidung, Damen in großen Balltoilette, dekolletiert, Herren in Frack, wir vons Militär kleine Uniform (wie auf unserm Bilde).
Anbei das Programm für den Abend und meine Tanzkarte, aus welcher Du ja sehen kannst, wie fleißig ich das Tanzbein geschwungen habe. Um ½ 12 Uhr ging ich mit Carl Stolle fort und war um 12 Uhr an Bord. Der 26. Januar – abends – wurde durch einen großen Fackelzug ausgefüllt, darauf gemütliches Zusammensein im Club Concordia, das sich schließlich zu einem Verbrüderungsfest zwischen Deutschen und Engländern gestaltete. Eine Rede jagte die andere und man konnte wieder einmal sehen, dass es das Natürliche, Gebotene ist, mit unsern Vettern von jenseits des Kanals stets auf gutem Fuße zu stehen. Alle Differenzen zwischen Deutschland und England sind meist nur künstliche Machenschaften der Presse. 27. Januar – Kaisers Geburtstag –Vormittags großer Empfang beim Generalkonsul. Hier hatten sich Vertreter aller Nationen eingefunden, alle in glänzenden Uniformen, um ihre Glückwünsche zu bringen. Es war eine erlauchte, buntfarbige Gesellschaft, jedenfalls eine Sache, die nicht jeder zu sehen bekommt. Beim Glase Sekt hielten wir uns etwa eine Stunde auf und fuhren dann auf die LEIPZIG, wo unser ein Frühstück harrte. Aus anliegender Speisekarte gehen die Genüsse hervor. Und, Liebstes, es war keine Kleinigkeit, sich überall durch – zu – futtern. Ich musste mich sehr schonen und auf verschiedene Sachen, die zu schwer waren, dankend verzichten, und trotzdem merke ich noch jetzt, wie schwer die vielen Dinge zu bekämpfen waren. Nachmittags fanden Aufführungen der Mannschaften S. M. S. LEIPZIG statt, die häufige Lachsalven hervorriefen. Nach den Aufführungen saß ich mit Carl Stolle noch zusammen, um in aller Ruhe uns für den Abend zu erholen, der uns im Club Concordia zu einem großen Festessen mit der deutschen Kolonie vereinigte. Der große Speisesaal war zu einem Blumengarten umgestaltet und Blumen sind für mich ein seltener Anblick, da wir im Winter in Tsingtau keine frischen Blumen haben. Die Tafel schmückten große Blumenarrangements, jeder hatte auf seinem Teller ein kleines Sträußchen, das mit einer schwarz-weiß-roten Schleife zusammen gehalten wurde. Den Tisch zierten Bänder in den Nationalfarben und bei den weichen Klängen der Stadtkapelle, bestehend aus etwa 60 Mann, meist Eingeborene von den Philippinen-Inseln, denen eine hervorragend musikalische Veranlagung eigen ist, war die Stimmung von Anfang an eine festesfreudige. Nicht zum Mindesten trug die Reichhaltigkeit der Speisekarte bei, die ich Dir zur Einsicht beifüge. Die Anfangsbuchstaben zeigen den Namen des hohen Geburtstagskindes. Da Du ja für alles, was mich betrifft, stets ein so warmes Interesse hast, sende ich die Tischkarten pp. mit. Alle diese Kleinigkeiten werden mich später an manche angenehme Stunde meines Auslandskommandos erinnern und manches Vergessene wieder wachrufen. Der 28. Januar war Ruhetag, abends hatten wir einige Herren zum Bierabend bei uns an Bord. Am 29. Januar abends 9 Uhr fand ein großes Konzert in der Town Hall statt, wozu sich die internationale erste Gesellschaft eingefunden hatte. Herren im Smoking, auch wir, Damen in großer Toilette, mit Brillanten übersäet, zeigten den Reichtum der Kaufmannschaft des ostasiatischen Paris, wie Shanghai oft genannt wird. Wenn man nach so langer Zeit stumpfsinnigen Aufenthalts in Tsingtau wieder das Shanghaier Gesellschaftsleben mit seinen Vergnügungen sieht, so kommt es jedem fast märchenhaft vor, und ich muss sagen, fast fremd. Bei diesen häufigen Abwechselungen verfliegt aber die Zeit. Denke nur, Fritzelchen, wenn Du diesen Brief bekommst, rechne noch 300 Tage weiter, und ich bin wieder bei Dir. Nun sind auch diese schweren Festtage vorbei, und das Leben tritt wieder in seine gewöhnlichen Bahnen; denn ich muss allmählich wieder etwas Dienst machen, den ich bisher in den Shanghaitagen auf sich beruhen ließ. Morgen früh gehen wir den Jangtse hinauf zum Jagen, bleiben 8 Tage in Chinkiang, 8 Tage in Nanking und gehen dann wieder nach Shanghai. Wie im vorigen Jahre, werde ich Dir wieder fortlaufende Reiseberichte schicken, so oft sich Gelegenheit bietet…
Das notarielle Schriftstück habe ich vorgestern bekommen. Nun sind wir wieder einen Schritt weiter, und ich kann meinen Heiratskonsens beantragen…
Zu Hause scheint es an Sensationen nicht zu fehlen; erst der Moltke-Harden-Prozess, und nun dieses Drama in Allenstein. So etwas ist bisher noch nicht dagewesen. Eine ganz unglaubliche Geschichte! Aber ich bin Dir dankbar, dass Du mir die Zeitungsausschnitte sandtest. Ich habe sie hier kursieren lassen und damit das Interesse sämtlicher Offiziere geweckt. Ich sehen, dass Du mit offenen Augen durch das Leben gehst. Aber bald kann eine Dame unsre Zeitungen nicht mehr lesen; denn fast täglich stehen Sachen darin, die nicht in die Öffentlichkeit gehören, ohne jeden mit Ekel und Abscheu zu erfüllen. Mir tut der Hauptmann von Goeben leid, dass er sich so in die Fesseln dieser Unwürdigen schlagen ließ. Ja, ja, wie die Liebe mitunter ihr Spiel treibt. Das gibt ja wieder einen Skandalprozess erster Sorte, bei dem wohl der größte Teil der Offiziere des Allensteiner Dragonerregiments über die Klinge springen wird...
…Nun habe ich noch eine Überraschung für Dich. Durch einen Bekannten lasse ich mir Pelze für Dich besorgen, und zwar für eine Boa, Weißfuchsfelle; aber Friedelchen, so etwas hast Du noch nicht gesehen. Ich habe es hier bei Damen der Gesellschaft gesehen und bin entzückt von der Schönheit des Felles. Dann für ein Jaket Eichhörnchenfelle, ebenfalls prächtig. Der Pelz sieht silbergrau aus und hat einen wunderbaren Glanz. Auch dieser wird sehr viel hier getragen, und ich bin überzeugt, dass Du Dich darüber sehr freuen wirst.
N8/4 Briefnummer 91 – transkribiert von Erika Schönfeld
Jangtse, 1. Februar 1908
…Gestern Vormittag ist mein voriger Brief an Dich von Shanghai abgegangen, aber ich will Dir schon heute meine, wenn auch geringen, Erlebnisse von meiner neuen Jangtse-Fahrt schildern. Zunächst dampften wir gestern früh ½ 9 Uhr von Shanghai ab, vorbei an englischen, amerikanischen, französischen, österreichischen, japanischen, chinesischen Kriegsschiffen. Mit Carl Stolle tauschte ich im Vorbeifahren noch Abschiedsgrüße mit dem Taschentuch – sehen wir uns doch erst Ende März in Japan wieder. Carl Stolle hat durch den Tod seines Schwiegervaters Trauer bekommen. Ich kannte den 63jährigen Herrn sehr gut. Er war lange sehr schwer krank und ist nun gerade am Hochzeitstage seiner einzigen Tochter, dem 7. Januar, durch den Tod erlöst worden. Mit Carl Stolle bin ich fast immer in Shanghai zusammen gewesen, immer haben wir Zukunftspläne geschmiedet, freudig hoffend auf unsre gemeinsame Heimkehr über Sibirien. Ihm geht es genau wie mir. Auch er hat große Sehnsucht nach seiner Frau, auf diesem Punkt des Sehnens nach dem süßen Frauchen traf auch er mich stets in all meinem Denken und Hoffen, und gegenseitig sprachen wir uns Mut zu, haben wir doch „nur“ noch 10 Monate bis zur Heimreise. Gelegentlich meines Urlaubs hast Du auch Gelegenheit, Frau Stolle in Berlin kennen zu lernen, da Stolle´s beabsichtigen, einige Zeit in Berlin zu verweilen. Ich freue mich schon so darauf, mein Mauselchen, Du auch? Carl Stolle fährt morgen mit S. M. S. LEIPZIG nach Südchina und kommt ebenfalls Ende März nach Nagasaki.
Nun bin ich wieder einmal auf dem Jangtse. Der Fluss hat jetzt ein anderes Aussehen, als im Sommer, er ist nicht so breit und tief, aber immerhin noch teilweise 3 – 4.000 Meter breit mit 40 - 50 m Wassertiefe in der Fahrrinne. Das Wetter war gestern recht kalt, heute regnets. Während der Fahrt schossen wir gestern vom Boot aus auf wilde Enten und haben drei erlegt. Morgen Abend sollen sie uns gut schmecken. Wilde Enten sind äußerst schmackhaft.
Um 7 Uhr gingen wir zu Anker und liegen bis morgen vormittags hier. Heute waren einige Herren am Lande zur Jagd und brachten zwei Hasen und einige Schnepfen mit. Es gibt hier alle möglichen Wildsorten, so dass wir in den Tagen unsres Jangtse-Aufenthalts viel Abwechslung in der Verpflegung haben werden. Wir liegen hier in einer Wildnis, am Ufer stehen einige schmutzige Chinesenhütten, im Hintergrund Berge, auf dem höchsten eine Pagode. Na, mein süßes Fritzelchen, die Gegend habe ich Dir ja im vorigen Jahr eingehend geschildert. Morgen Vormittag wollen wir auf Umwegen nach Chinkiang gehen, lediglich, um vom Boot aus auf Enten und Gänse zu schießen. Es ist ´mal ganz etwas anderes, als der sonstige Dienst und eine derartige Jagdtour für 14 Tage lässt sich eben nur von einem Torpedoboot aus machen. Unter Führung unseres staatlich angestellten Marinelotsen für den Jangtse, der früher als Kapitän auf Flussdampfern hier fuhr und auch Reserveoffizier in der Marine ist, gehen wir flussaufwärts und suchen uns die besten Jagdgründe aus. Möchtest Du auch einmal mitmachen, mein Fritzelchen? In dieser Wildnis zu leben, fern von allem Weltengetriebe, hat doch einen eignen Reiz. Bis 9 Uhr abends saßen wir alle in der Messe zusammen und erzählten Anekdoten und Jagdgeschichten… Nun will nun auch wie die anderen Herrn ins Bett gehen…
Chinkiang, 2. Februar 1908
…Nun sind wir auf unsrer ersten Station angelangt, mit einer kleinen Programmänderung; anstatt Vormittags gingen wir bereits heute Morgen 6 Uhr von unsrer gestrigen Ankerstelle fort, freilich der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe; denn heute früh kam ganz plötzlich starker Wind auf, und da wir sehr dicht am Ufer lagen, mussten wir schleunigst losgehen, um nicht unsanft aufs Trockene gesetzt zu werden. Denn weißt Du, Mauselchen, selbst die besten Schiffe kommen auf dem Land nur sehr schlecht fort, abgesehen von den Luftschiffen, die ja doch auch nur die Luft als Region haben. So sind wir schon um ½ 9 Uhr hier angekommen. Heute ist chinesisch Neujahr, da haben die Chinesen alles bunt mit Flaggen geschmückt. Neben uns liegt ein kleiner chinesischer Kreuzer, der auch in bunter Flaggengala prangt. Jetzt ist für 14 Tage Schluss mit dem Schießen. Nun feiert er und legt sein ganzes Geld in Feuerwerkskörpern und Reisschnaps an, d. h. nur das gemeine Volk. Wenn der Kuli dann kein moneÿ mehr hat, fängt er sein gewohntes Tagewerk wieder an, bis wieder Neujahr ist. Man kann den armen Kerls auch ruhig einige Feiertage gönnen, da er ohne Unterbrechung das ganze Jahr arbeitet…
Dass man sich in Deutschland das Land der gelben Affen in Bezug auf die Mode zum Vorbild genommen hat, wundert mich gar nicht mehr. Die Deutschen, ganz besonders die Damen, finden alles Exotische vorbildlich und übertragen diesen Geschmack selbst auf ihre Straßentoilette. Ich hatte eigentlich die Absicht, für Dich und mich Kimonos mitzubringen, um, wenn wir abends so ganz entre nous sind, so recht zwanglos zusammenzusitzen. In mancher Beziehung sind die Kimonos sehr bequem. Man schlüpft nur hinein und ist bekleidet, aber nur scheinbar; denn man kann es hier bei den Japanern und Japanerinnen sehen, dass der leiseste Windzug genügt, um die unbekleideten Beine zu zeigen. Zum ganz bequemen Kostüm abends vorm Schlafengehen und im Schlafzimmer lasse ich mir einen Kimono gefallen und halte ihn sogar für praktisch, aber am Morgen stundenlang darin herumzulaufen, wäre auch nicht mein Fall. Also, Liebstes, Du kannst mir ja noch schreiben, ob Du für den angegebenen Zweck einen Kimono haben möchtest, dann will ich in Japan mich darnach umsehen. Die lächerliche Wirkung dieser Tracht würde bei uns beiden ja fortfallen, da wir ja dann nur ganz unter uns sind. Jedenfalls kaufen viele Herren der Marina Kimonos für ihre Frauen…
Mit dem Stoff zum Brautkleid ist es rein Geschmacksache. Hierin könnten mir andere Damen keinen Rat geben, auch nicht die Schwestern in der Mission (Lehrerinnen nennst Du sie, sie heißen aber „Mütter“ und nennen alle Mädchen in der Mission „Kinder“). Am allerwenigsten könnte ich es im Geschäft erfahren, da es in Japan und China keine Verkäuferinnen gibt, die den europäischen Geschmack so eingehend kennen, sondern nur das verkaufen, was verlangt wird. Ich persönlich finde japanische Seide ebenso schön, wie Crèpe de chine, habe Dir aber nur aus dem Grunde den Vorschlag gemacht, Crepé de chine zu wählen, weil hierin keine Nachahmungen vorkommen, während unsre Seide zu Hause kaum von der japanischen zu unterscheiden ist…
04.02.1908
Gestern kam ich nicht dazu, meinen Brief fortzusetzen, weil wir zur Jagd waren. Ein Jagdgelände, etwa eine Stunde von Chinkiang entfernt, wählten wir aus. Um 7 Uhr fuhren wir von hier ab und ankerten um 8 Uhr. ½ 9 Uhr gingen wir an Land, Treiber nahmen wir von unsrer Mannschaft mit, und nun stiefelten wir durch Reisfelder, oft bis zum Knie im Wasser oder Lehm, bis wir an das Jagdgebiet kamen. Rehe, Fasanen, Schnepfen, Hasen, wilde Tauben, Wachteln, ja sogar Wildschweine gibt es hier. Es war eine recht beschwerliche Tour, aber mit Humor zogen wir uns häufig gegenseitig aus dem Morast. Zu vier Schützen schossen wir ein Reh, einen Hasen, einen Fasan und eine Schnepfe. Der Hase erlag meinem tödlichen Blei. Eine kleine Type hält den Moment fest, als wir eben an Bord gekommen waren und unsre Strecke ausgelegt hatten. Hoffentlich ist das Bild gelungen, damit ich Dir einen Abzug schicken kann. Mir ist die Tour gut bekommen, wenn es auch ziemlich anstrengend ist, sechs Stunden über Stock und Stein zu stolpern, namentlich wenn es ungewohnte Arbeit ist. Daher ging ich früh schlafen…
…mein Bursche und weckte mich: „Herr Oberzahlmeister, es ist 8 Uhr“… Na, da musste ich wohl endlich aufstehen…
Morgen früh gehen wir nach einer Insel flussaufwärts. Hier soll es viele Fasanen geben. Es tut mir immer leid, auf diese schönen Tiere zu schießen, aber sie sind doch zu schmackhaft. Sogar Goldfasanen haben wir hier.
Wenn wir morgen Nachmittag wiederkommen, ist hoffentlich die sibirische Post hier…
Mir geht es gut, das Herumlaufen im Jagdgelände bekommt mir recht gut. Am 7. früh gehen wir nach Nanking für einige Tage, wo wir hauptsächlich Jagd auf wilde Gänse machen werden...
N8/4 Briefnummer 92 – transkribiert von Erika Schönfeld
Nanking, 11. Februar 1908
– Dieser Brief enthält nur Privates –
…Meine, wenn auch geringen Erlebnisse während der Jangtse-Fahrt schildere ich Dir im nächsten Brief…
N8/4 Briefnummer 93 – transkribiert von Erika Schönfeld
Nanking, 12. Februar 1908
Zunächst will ich Dir schnell erzählen, dass ich gestern von der mir seit vorigem Jahre bekannten Dolmetscher des Konsulats ein Stück Brokatseide bekommen habe, 15 m lang und 0,80 m breit, braungelbe Seide mit Goldmustern durchwirkt, unter Garantie der Echtheit des Goldes und Reinheit der Seide. Der betreffend Herr hatte es für sich anfertigen lassen, und hat es mir in liebenswürdiger Weise überlassen, da er noch ein Stück gleichen Musters bestellt hat. Ich sage Dir, Liebstes, entzückend sieht der Stoff aus, und passt wunderbar zu Vorhängen, 4 Stück á 3 ½ m. Mit dem anderen Stück, das ich in Tsingtau habe, haben wir nun Stoff zu 6 Vorhängen. Das reicht doch wohl vorläufig aus, nicht wahr, Schatzilieb? Soviel steht fest, dass wir dann Vorhänge haben, wie sie nur wenige Leute zu Hause aufweisen können. Nach meinen Informationen kostet ein Meter Brokatstoff bei Michels in Berlin sage und schreibe 40 Mark, ich habe nach deutschem Gelde 9 Mark bezahlt. Für Möbelbezüge ist der Stoff zu schade, da ein Zerschneiden nicht angebracht ist. Wenn wir dann die Brokatvorhänge angebracht haben, kannst Du Dir schon wie eine Fürstin vorkommen inmitten der Gold- und Seidenpracht.
Wegen des Silbers möchte ich Dir meinen neuesten Entschluss mitteilen. Glatte Löffel bekommen wir zu Hause viel besser und geschmackvoller. Dagegen werde ich Moccalöffel mitbringen, dann einige Gegenstände für die Tafel, wie Salzfässer pp., also nur Kuriositäten. Wirkliche Gebrauchsgegenstände kaufen wir zu Hause; denn auch mit dem Silbergehalt ist es mangelhaft, 68% nur, während unsre Silbersachen in der Heimat 80% haben. Wir wollen uns doch nicht mit minderwertigen Sachen beladen. Diese Erfahrungen sammelt man erst, wenn man länger in China ist. Ähnlich ist es mit japanischen Sachen, von denen ich ebenfalls nur einige wirklich gute Gegenstände mitbringen werde. In Chinkiang habe ich einige Tabletts und einen Handschuhkasten gekauft, verfertigt aus dem Mutt des Jangtse mit Perlmuttereinlage. Mutt ist der Schlamm, der sich an den Ufern absetzt, und grade beim Jangtse sehr zähe ist. Die Sachen sehen ganz niedlich aus und sind Spezialität von Chinkiang.
Unser Aufenthalt im Jangtse ist nun auch zu Ende. Morgen früh gehen wir wieder fort nach Shanghai, wo wir bis zum 23. bleiben, um dann auf zwei Tage wieder nach Tsingtau zu gehen. Wieder ist damit ein neuer Abschnitt meines Auslandskommandos vorbei. Ich war mehrere Male noch auf Jagd; von der Beute zehren wir noch längere Zeit. Einige Bilder werde ich Dir schicken, sobald sie fertig sind. Sie werden unsre Sammlung vervollständigen. Nähere Beschreibung werde ich Dir persönlich bei meiner Rückkehr geben. Ich muss jetzt einige Zeit unterbrechen, da es Zeit zum Abendessen ist. Nachher komme ich wieder… Mit dem Schreiben will es heute schlecht gehen, ich bin noch müde von gestern. Daher gute Nacht für heute…
Shanghai, 18.02.1908
Nun sind wir wieder hier angelangt, am 14. abends liefen wir bei prächtigem Mondschein hier ein – ein schönes Bild die unermessliche Reihe von Kriegs- und Handelsschiffen aller Nationen in Mondbeleuchtung!
Carl Stolle ist abgedampft, und nun liegt ein Kreuzer S. M. S „ARCONA“ hier. An Bord befindet sich als Zahlmeister ebenfalls ein guter Freund von mir, der seit 1 ¼ Jahren verheiratet ist und seit einem Monat glücklicher Vater eines Jungen ist. Er muss noch1 ½ Jahre von seiner jungen Frau getrennt sein, da haben wir es doch besser, Schatzelchen, nicht wahr? Nur noch 10 Monate Trennung; denn ungefähr heute in 10 Monaten bin ich hoffentlich bei Dir. S. M. S. ARCONA ist nämlich jetzt erst von der Heimat gekommen.
Bei unsrer Ankunft in Shanghai lag bereits die letzte sibirische Post hier und hierbei Dein lieber Brief No. 77…
Von den Überschwemmungen an der Ostsee habe ich noch nichts gelesen, da wir die Zeitungen mit der Seepost bekommen, nicht über Sibirien. Ebenso wenig habe ich etwas von dem Morde in Wilhelmshaven gelesen…
Shanghai, 20.02.1908
Von dem Weißfuchs bin ich abgekommen. Das Fell ist zu teuer und hält nur 2 - 3 Jahre, während der Mantel aus Eichhörnchenfellen dauerhafter ist, aber nur noch einmal gerben lassen, das verstehen die Chinesen nicht. Sollten die Felle nicht zum Muff reichen, dann schreibe mir bitte, damit ich noch mehrere beschaffen kann.
Den Stoff zum Brautkleid habe ich noch nicht gekauft. Es war kein passender Stoff vorrätig, und da ja noch genügend Zeit ist, kann ich ihn ja auch später kaufen und ihn Dir persönlich überreichen…
N8/4 Briefnummer 94 – transkribiert von Erika Schönfeld
Shanghai, 22. Februar 1908
In meiner Langeweile hat mich das Leben in Shanghai etwas aufgerüttelt. Das Straßenleben allein wirkt schon wunder und fast jeden Nachmittag gehe oder fahre ich hinaus ins Freie, im großstädtischen Straßenleben. Auch bot vor einigen Tagen eine Theatervorstellung des Deutschen Theater-Vereins eine schöne Abwechselung: „Die Fledermaus“ wurde gespielt. Reizende, allgemein bekannte Melodien erheiterten ebenso das Gemüt, wie der Inhalt der Operette selbst, die übrigens, obwohl von Dilettanten gespielt, in hervorragender Weise auf der Bühne gespielt wurde. Mir zum großen Teil bekannte Damen und Herren der ersten Gesellschaft Shanghais hatten sich der großen Mühe unterzogen, und es ist ihnen brillant geglückt. An Einladungen mangelt es nicht, so dass ich heute Abend an Bord geblieben bin und nicht das Fest des amerikanischen Freiwilligenkorps mitmache. Heute wird der Geburtstag des amerikanischen Nationalhelden Washington gefeiert und wir waren auch dazu eingeladen, um die deutsche Marine würdig zu vertreten. Da ich aber nicht recht auf dem Posten bin, will ich einige Zeit lieber bei Dir sein, und mich schonen. Ein langer Schlaf wird mich vielleicht wieder kurieren. Immer noch die alte Sache mit dem Typhus. Und ich werd es wohl nicht eher los werden, ehe ich nicht unter Deinen liebenden Händen eine gründliche Diät durchmache, die ich leider jetzt nicht ermöglichen kann . Das ist noch ein Grund mehr, der mir das leben im Ausland mitunter so schwer macht und mich mit allen Fasern meines Herzens die Rückkehr ersehnen lässt. Du musst Dir jedoch keine Sorgen machen, Liebstes, hörst Du, aber ich möchte Dir doch sagen, wie es mir geht. Und dass ich mich gerade sehr wohl fühle, kann ich nicht behaupten. Na, das wird alles besser, wenn ich erst bei Dir bin. Die kurze Zeit werde ich wohl noch aushalten, und wenn es gar nicht mehr geht, dann steige ich kurzer Hand aus. Ich will jetzt ins Bett gehen, es ist ½ 10 Uhr, und hoffentlich morgen früh neu gestärkt aufstehen…
Sonnabend, 22.02.1908
Um selbst sicher zu gehen, ließ ich mich heute Morgen von dem Stabsarzt S. M. S. „ILTIS“, das neben uns an der Boje liegt, untersuchen, und konstertierte, wie ich voraussah, dasselbe Leiden, was ich gestern erwähnte. Na, es ist jedenfalls eine Beruhigung für mich, umso mehr, als vor drei Tagen der österreichisch-ungarische Generalkonsul nach der Operation an einer Blinddarmentzündung starb und heute Morgen unter Beteiligung aller Nationen zur letzten Ruhe bestattet wurde. Vor 8 Tagen war er noch mit seiner Frau zugleich mit mir in der „Fledermaus“. Er hinterlässt eine junge, hübsche Frau und zwei kleine Kinder. Es ist doch furchtbar traurig. – Mit den Österreichern haben wir hier viel Verkehr, besonders mit den Marineoffizieren. Sie sind alle nette Leute. Zum größten Teil kenne ich sie von Tsingtau. Überhaupt kommen wir naturgemäß mit allen Nationen zusammen mit Ausnahme von den Vertretern des Affengeschlechtes, die hier ebenso wenig, wie anderswo von Europäern und Amerikanern beachtet werden…
Wir haben heute prächtiges, warmes Wetter; schade, dass heute hier unser letzter Tag ist. Morgen früh 6 Uhr dampfen wir ab nach Tsingtau. Hoffentlich haben wir gutes Wetter. Vor dem kalten Winter in Tsingtau habe ich schon einen heiligen Respekt, nur gut, dass wir nur einige Tage dort bleiben…
Durch einen Besuch musste ich im Schreiben unterbrechen, und jetzt bin ich vom ILTIS gekommen, wo ich zum Mittagessen eingeladen war…
Aus der Art, wie der Japaner dort auftritt, wie er die Damen mit Geschenken überladet, geht die ganze heimtürkische, hinterlistige Handlungsweise des ganzen Raubgesindels hervor. Auf diese Weise glaubt der Kerl zu seinem Ziel zu kommen. Hier und dort findet er ein militärisches Schriftstück, das der hinterlistige Geselle mitgehen heißt. Lehre mich einer diese Japsen kennen…
N8/4 Briefnummer 95 (4) – transkribiert von Erika Schönfeld
Tsingtau, 27. Februar 1908
…Wie ich Dir im vorigen Brief angekündigt habe, will ich die morgige Postverbindung über Chafoo benutzen, um Dir zunächst meine Ankunft in Tsingtau anzukündigen. Vorgestern Abend kamen wir hier an, nachdem wir auf dem ersten Teil unsrer Fahrt von Shanghai hierher wieder einmal ziemlich schlechtes Wetter gehabt hatten. Aber in der Nacht wurde es etwas ruhiger, wenngleich die Gefahr, aus dem Bett zu fliegen, noch immer vorlag. Wie immer in solchen Fällen schimpfte ich weidlich auf die Seefahrt, und als ich es denn im Bett gar nicht mehr aushalten konnte, ging ich auf die Kommandobrücke, nicht ohne einen sehnsüchtigen Blick auf dein Bild zu werfen, mich damit tröstend: „Ja, ja Schatzelchen, so geht’s einem armen Seemann. Na noch 9 Monate!“ Dann leistete ich dem wachhabenden Offizier Gesellschaft, der in mein Schimpfen mit einstimmte. Bei Morgengrauen verfügte ich mich wieder ins Bett und konnte nun schlafen. Ich habe ja immer gesagt, das Schiff, auf welchem man fährt, kann nicht groß genug sein. Na, da sind wir wieder in dem öden Tsingtau angelangt. Abends ½ 7 Uhr war ich in meiner Landwohnung, da kam auch schon Herr Staffeldt und nahm mich zu sich mit; da war nämlich große Gesellschaft, die, nebenbei bemerkt, wieder bis ½ 4 Uhr morgens dauerte, dazu Fichtners, Richters, Vorläufers und andere. Es war sehr gemütlich. Jetzt komme ich eben von der Geburtstagsfeier der kleinen Staffeldt’schen Zwillinge. Sie sind 6 Jahre alt geworden, und Onkel Schulze musste doch dabei sein. So ein Dutzend solcher kleiner Kerle, Jungens und Mädchen, stellten die Nerven auf eine harte Probe, bis schließlich um ½ 7 Uhr Ruhe war. Nun habe ich bei Staffeldts zu Abend gegessen und mich dann verabschiedet, da ich noch an Dich schreiben müsste. Frau Staffeldt lässt Dich bestens grüßen. So sitze ich in meiner gemütlichen Wohnung beim Scheine der elektrischen Lampe. Draußen regnets und S.90 lässt soeben seine Sirene ertönen, es wird nämlich Nacht-Torpedoschießen abgehalten, daher bin ich für heute und morgen ausgestiegen. Unsres Bleibens hier ist jedoch nicht lange; denn wir erwarten nur den Ablösedampfer „SILVIA“ hier und gehen dann wieder nach Shanghai, also in etwa 8 Tagen. Wenn man aus dieser Stadt mit ihrem internationalen Getriebe nach Tsingtau kommt, dann begreift man einfach nicht, wie man es überhaupt hier aushalten kann, besonders im Winter. Aber es macht die Gewohnheit viel beim Menschen. Augenblicklich steht Tsingtau im Zeichen der Vergnügungen und Gesellschaften. Heute Abend ist großes karnevalistisches Konzert, jedoch schenke ich es mir…
Die Ansicht des alten Offiziers über den Fall Schönebeck halte auch ich für durchaus richtig. Hoffentlich ringen wir uns endlich auch in unserm allgemeinen Leben dazu durch. Auch ich bin ein Feind der Duelle, besonders wenn es sich um Sachen handelt, die besser mit der Reitpeitsche bezahlt werden. Aber mach´ nur jemand etwas dagegen in unsrem deutschen Vaterland, wo alles immer noch mehr auf die Spitze getrieben wird, als es zur Zeit des 30jährigen Krieges war. Ich bin überzeugt, wenn der Name des alten Offiziers bekannt würde, der diese, seine vernünftige Ansicht veröffentlicht hat, seines Bleibens in der großen Armee wäre nicht mehr lange…
N8/4 Briefnummer 96 – transkribiert von Erika Schönfeld
Tsingtau, 2. März 1908
…Heute früh ist der Dampfer SILVIA mit abgelösten Leuten für das Gouvernement eingetroffen. Als Transportzahlmeister ist der Oberzahlmeister Trenter mitgekommen, ein guter Freund von mir, der jung verheiratet ist. Er erzählt mir heute, wie wohl er sich in seiner jungen Ehe fühlt, wie nett es ist, eine liebe Frau zu haben, die ihm das Heim so traulich macht. Er hat mir ordentlich das Herz schwer gemacht, dass ich nun noch 9 Monate von Dir, Liebstes, getrennt sein muss. Jedenfalls wird auch dieses Ehepaar eines von denen sein, wo wir viel verkehren werden. Seine Frau habe ich in Kiel kennen gelernt, sie ist sehr sympathisch. Ich habe mit Herrn Trenter, obwohl er 7 Jahre älter ist, als ich, immer gut harmoniert und hoffe auch, dass Du mit Frau Trenter übereinstimmen wirst. Herr Trenter fährt mit der SILVIA wieder nach Hause und ist Ende April wieder bei seiner Frau. Auch er sagt, dass er nie wieder von seiner Frau fortgehen würde, ebenso schreibt ihm seine Frau, dass sie es auch nicht wieder zugeben würde.
Du erkundigst Dich so angelegentlich nach Frau Stolle. Es ist schwer, einen Charakter brieflich zu schildern. Sie ist eine nette Frau, und hat, wie alle Damen, ihre Eigenheiten, auf die man leicht Rücksicht nehmen kann. Jedenfalls bin ich immer gern bei ihnen im Hause gewesen. Ob sie stolz und titelsüchtig ist, fragst Du. Na, Du kleines Dummchen, unter gleichgestellten Frauen fällt der Titel doch überhaupt fort, und dann gibt es solche Borniertheit bei uns nicht, dass die Frauen sich mit dem Dienstgrad des Mannes anreden. Du musst Frau Stolle später selbst kennen lernen, ebenso wie Du auch Frau Lorenz sehen wirst. Herr Lorenz ist Oberzahlmeister a. D. und jetzt Bankier in Wilhelmshaven, ein sehr wohlhabender Mann, in dessen Hause ich gern verkehrte und der sich mit seiner Frau schon darauf freut, mein kleines, süßes Frauchen bald kennen zu lernen…
Torpedoboot „S.90“
BBWA – N8_40_22_8
Übermorgen früh gehen wir wieder nach Shanghai. Gestern und heute waren S. M. S. ARCONA und S.90 hinausgefahren, um einem gestrandeten englischen Dampfer zu Hilfe zu kommen. Leider ist der Dampfer gänzlich verlassen, während die Besatzung noch gerettet werden konnte. Es ist dieselbe Stelle, an welcher auch das alte Kanonenboot ILTIS 1896 mit Mann und Maus unterging. – Seemannslos! …
N8/4 Briefnummer 97 – transkribiert von Erika Schönfeld
Shanghai, 5. März 1908
… Heute Nachmittag sind wir wieder einmal in Shanghai angekommen, nachdem wir gestern früh 4 Uhr Tsingtau verlassen hatten. Gern wäre ich noch einige Tage dort geblieben, um mit Herrn Trenter noch einige Tage zusammen zu sein. Aber da wir unsern Reiseplan einhalten wollten, dampften wir eben ab. Leidliches Wetter, wenn auch noch lange nicht ruhig zu nennen, – na, da sind wir denn wieder. Hier erwartete uns Post aus der Heimat und für mich speziell Dein lieber Brief No. 80. Nimm meinen innigsten Dank, mein Liebstes, ich habe mich sehr darüber gefreut. Das Gruppenbild aus dem Klub führt Dich in den Kreis der ersten Vertreter Tsingtaus…
Der Absender der Karte mit den österreichischen Offizieren ist der Kommissär (wie die Zahlmeister bei den Österreichern heißen); wenn ich nicht irre, steht er als einziger hoch. Jedenfalls erkennst Du ihn am Kneifer. Bei der Einfahrt heute haben wir uns per distance begrüßt, wir passierten den KAISER-FRANZ-JOSEPH I“ und ankern nicht weit von ihm. Morgen geht er fort von hier nach dem Petschili-Golf; in Japan treffen wir uns vielleicht wieder. Unsre Karte hast Du doch bekommen. Was meinst Du, wenn wir ihn und seine junge Frau in Wien besuchten gelegentlich unsrer Hochzeitsreise? So halb habe ich es schon versprochen, und nach dem Bilde muss seine Frau ganz nett sein…
N8/4 Briefnummer 98 – transkribiert von Erika Schönfeld
Tsingtau, 12. März 1908
…Wieder ´mal in Tsingtau! Unseren Aufenthalt in Shanghai haben wir ganz plötzlich abbrechen müssen wegen einer kleine Havarie und mussten nach hier gehen, um das Dock aufzusuchen. Wie gewöhnlich bei unsern Fahrten hatten wir auch diesmal kein gutes Wetter. Aber unser Boot hat doch wieder einmal seine Seetüchtigkeit bewiesen. Bei der schwersten See hielt es sich einfach brillant. Aber dennoch war es uns unmöglich, irgendein Gericht zu kochen, da in der Kombüse (Küche) eben keines Bleibens war. So lebten wir denn 1 ½ Tage von Brot und Wurst… Geschimpft habe ich wieder einmal, wie ein Zahnbrecher, auf die verteufelte Seefahrt. Aber was hilft’s? So kamen wir denn unter munteren Tänzen unsres Bootes in wilder See mit 10stündiger Verspätung hier an. Gott sei Dank! Nun reparieren wir unsre Schäden im Dock und warten auf Befehl für die Reise nach Japan…
13.03.1908
ßäß°äö