Über das Buch:
Brooke Baxter hat alles erreicht, was die Welt zu bieten hat: Eine beeindruckende Karriere, ein wunderschönes Zuhause und zwei wunderbare Kinder. Ihr kürzlich wiedergefundener Glaube gibt ihr Kraft und Lebensfreude. Doch dann ereignet sich ein dramatischer Unfall. Das Leben ihrer dreijährigen Tochter hängt an einem seidenen Faden und Brooke macht ihren Mann Peter dafür verantwortlich. Wird ihre Ehe diese Krise überstehen, kann ihr neuer Glaube dem Druck standhalten und erwartet sie am Ende dieser Dunkelheit tatsächlich ein freudiger Morgen?

Über die Autorin:
Karen Kingsbury war Journalistin bei der Los Angeles Times. Seit einiger Zeit widmet sie sich ganz dem Schreiben christlicher Romane. Sie lebt mit ihrem Mann, 3 eigenen und 3 adoptierten Kindern in Washington.

Kapitel 8

Landon wurde vom Klingeln des Telefons aus dem Tiefschlaf gerissen.

Er stützte den Ellbogen auf sein Kopfkissen und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf den Wecker. Acht Uhr fünfzehn. Er brauchte ein paar Sekunden, bis er klar denken konnte. Es war Montagmorgen, sein freier Tag, oder? Wer rief ihn so früh am Morgen an? Seit Hayleys Unfall war über eine Woche vergangen, und Ashley hatte kein einziges Mal angerufen. War sie das jetzt? Vermisste sie ihn und hatte sie erkannt, wie verrückt es von ihr war, ihn nicht an sich heranzulassen …?

Beim vierten Klingeln griff er zum Hörer. „Hallo?“

„Blake, hier ist Hauptmann Dillon.“

„Ja, Sir.“ Er setzte sich auf und rieb sich mit seiner freien Hand die Augen. Warum rief sein Vorgesetzter ihn an seinem freien Tag so früh am Morgen an, es sei denn … Bilder vom 11. September schossen ihm durch den Kopf. „Gibt es einen Notfall, Sir? Brauchen Sie mich?“

„Beruhigen Sie sich, Blake.“ Der Hauptmann schmunzelte am anderen Ende der Leitung. „Es gibt keinen Notfall. Ich habe vergessen, wie früh es ist. Entschuldigen Sie.“

„Oh.“ Landon atmete hörbar aus. „Das macht nichts.“ Er drückte das Kissen auf seine nackte Brust und lehnte sich dagegen. „Was kann ich für Sie tun, Sir?“

„Ich weiß, dass Sie heute Ihren freien Tag haben, Blake, aber heute um ein Uhr trifft sich hier die oberste Leitung der Feuerwehr, und wir würden uns freuen, wenn Sie zu dieser Sitzung kommen könnten.“

„Ja, Sir. Natürlich.“ Die oberste Feuerwehrleitung? Die Hauptleute und der Bataillonskommandeur? Warum wollten sie ihn bei einer solchen Sitzung dabei haben? Er lehnte sich zurück und starrte aus dem Fenster auf die Gebäude der gegenüberliegenden Straßenseite. Diese Fragen müssten bis später warten. „Um ein Uhr?“

„Ja.“ Der Hauptmann lachte wieder. „Schlafen Sie noch eine Runde, ja? Heute ist schließlich Ihr freier Tag.“

„Ja, Sir. Das mache ich.“ Landon legte auf und schaute das Telefon an. Sein Jahr bei der Feuerwehr in New York City war erst am ersten Januar zu Ende. Jetzt war Oktober. Es war noch zu früh für seine jährliche Beurteilung. Worum ging es dann?

Landon rutschte wieder unter die Decke und steckte sich das Kissen unter den Kopf. Hatte er bei einem Einsatz etwas falsch gemacht, in einem seiner letzten Berichte ein Detail übersehen? Er konnte sich an nichts erinnern, aber so etwas kam vor. Und wenn so etwas vorkam, wurden Sitzungen einberaumt, um über das Problem zu sprechen. Sein leerer Magen knurrte. Ihm wurde fast übel. Er hatte sein ganzes Herz und seine ganze Seele in die Arbeit bei der New Yorker Feuerwehr gesteckt. Wie konnte er einen falschen Bericht abgeliefert haben? Landon starrte zur Decke und dachte an die letzten Wochen zurück. Er war natürlich abgelenkt gewesen. Seine Gedanken kreisten häufig um Ashley. Seit der Woche, als Reagan ihm von Hayley erzählt hatte, dachte er ständig an die Baxters.

Aber an seinem Tagesablauf hatte sich dadurch nichts geändert.

Männerbibelkreis am Donnerstagabend, Gottesdienst am Sonntag, ehrenamtliche Mitarbeit am Montag- und Mittwochnachmittag – an zwei von seinen vier freien Tagen. An seiner Arbeit war in dieser Zeit nichts Außergewöhnliches passiert, keine größeren Brände, keine Toten, nichts, das eine Untersuchung erforderlich machen würde, und schon gar nicht eine Untersuchung durch die oberste Feuerwehrleitung.

Mehrere Minuten ließ sich Landon die verschiedenen Möglichkeiten durch den Kopf gehen. Mehrere besorgte Minuten, bevor er sich daran erinnerte, dass er nicht allein war. Warum diese Sitzung, Gott? Was habe ich getan?

Mein Sohn, hab keine Angst … ich weiß, welche Pläne ich für dich habe.

„Gott?“ Landon flüsterte das Wort und merkte, wie seine Augen groß wurden. Oft spürte er, wenn er betete, Gottes Nähe, oft hörte er das stille Echo einer Antwort, die nur von Gott allein kommen konnte. Aber die Worte, die er gerade vernommen hatte, waren fast hörbar gewesen. Wäre der Anruf von seinem Hauptmann nicht gewesen, dann hätte er geglaubt, er würde träumen. Was hatte er soeben gehört?

Mein Sohn, hab keine Angst … ich weiß, welche Pläne ich für dich habe.

Die Worte waren eine Mischung aus verschiedenen Bibelversen, die er letzte Woche im Männerbibelkreis gelesen hatte. Sie hatten über die Ungewissheit seit dem 11. September gesprochen, das Unbehagen, in Manhattan zu wohnen, die ständigen Nachrichtenberichte, in denen es hieß, Terroristen würden noch mehr Überfälle auf die Stadt planen.

Der Bibelkreisleiter hatte zwei Bibelverse erwähnt.

Einer stammte aus dem Philipperbrief: Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! ... Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Er hatte die wichtigsten Punkte hervorgehoben. Bring deine Sorgen zu Jesus. Er wird dich mit einem Frieden erfüllen, den du dir nicht vorstellen kannst.

Die zweite Bibelstelle stand im Buch Jeremia. Es war ein Vers, den Landon schon oft gehört hatte. Ein Vers, den er Ashley schon viele Male zitiert hatte. Gott weiß, welche Pläne er für sein Volk hat, er will ihnen eine Hoffnung und eine Zukunft geben und ihnen nicht schaden.

Wieder hatte der Bibelkreisleiter den Bezug zu ihrer Situation hergestellt. Mit der Verheißung auf Frieden und eine Zukunft voll Hoffnung konnten sie ein Leben in Freude führen.

„Freut euch“, hatte der Mann die Gruppe aufgefordert. „Gott will, dass wir uns freuen, egal, wie die äußeren Umstände aussehen. Wenn wir die Garantie auf Frieden und eine hoffnungsvolle Zukunft haben, warum sollten wir uns dann Sorgen machen?“

Freut euch …

Landon überlegte einen Moment, dass er trotz des bevorstehenden Gesprächs mit seinen Vorgesetzten inneren Frieden haben konnte, obwohl Ashley ihn seit Hayleys Unfall nicht angerufen hatte, obwohl ihr Blut HIV-positiv war und obwohl sie sich von Woche zu Woche mehr vor ihm zurückzog.

Am Donnerstagabend hatte er sich mit diesem Gedanken nicht anfreunden können. Ja, das Volk der Bibel hatte sich angesichts furchtbarer Umstände vielleicht freuen können. Aber er lebte nicht zur Zeit der Bibel. Er lebte im einundzwanzigsten Jahrhundert in einer Großstadt, die immer noch unter den Folgen der größten Tragödie litt, die dieses Land je erlebt hatte, ein Land, das unter der Bedrohung durch weitere Terroranschläge und eine ungewisse Wirtschaft lebte.

„Ich bin nicht sicher, ob ich das so sehe“, hatte er an jenem Abend in der Gruppe gesagt. „Ich kann verstehen, dass wir Gottes Frieden fühlen, dass wir an seine Pläne glauben … aber mich freuen? Immer? Ich weiß nicht.“

Niemand hatte versucht, ihn zu überreden. Stattdessen hatten mehrere Männer Beispiele aus ihrem eigenen Leben erzählt, als sie in ziemlich schlimmen Situationen gesteckt hatten und sich trotzdem hatte freuen können.

Aber jetzt … während Gottes Stimme immer noch in seinem Zimmer widerhallte … verstand Landon diese Aufforderung zum ersten Mal. Die einzige Möglichkeit, wie er sich ständig freuen konnte, bestand darin, dass er die richtige Perspektive im Auge behielt.

Eigentlich war es so ähnlich wie die Arbeit bei der Feuerwehr in New York City.

Immer wieder kam ein Einsatz, der beim ersten Hinsehen unmöglich aussah. Aber sie hatten in ihrer Ausbildung gelernt, Schritt für Schritt an die Sache heranzugehen. Die Situation beurteilen … eine Strategie erstellen … und den Plan abarbeiten. Schritt für Schritt, eines nach dem anderen. Auf diese Weise wurden sie von keinem Einsatz überrollt.

Dasselbe galt für die Aufforderung, ein Leben voll Freude zu führen.

Egal, wie die Situation aussah, konnte sich Landon des größeren Bildes sicher sein. Gott war bei ihm, er gab ihm Kraft und Frieden. Gottes Pläne waren gut. Gott gab ihm die Verheißung auf die Ewigkeit.

Landon stieß ein leises Lachen aus. „Ich habe verstanden, Gott. Ich habe verstanden, was du meinst.“

Warum sollte er sich nicht freuen, wenn Gott schon alle schweren und traurigen Details kannte?

Er staunte immer noch über diese Erkenntnis, als er kurz vor ein Uhr an diesem Nachmittag auf der Feuerwache ankam. Inzwischen machte er sich keine Sorgen mehr darüber, was ihn in dieser Sitzung erwartete. Gott kannte die Details schon. Landon würde einfach hingehen und die Fragen, die sie ihm stellten, so ehrlich und gut wie möglich beantworten.

„Hallo, Blake, wir sind im Besprechungszimmer.“ Hauptmann Dillon war in der Küche. Der Mann schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und stellte sie in die Mikrowelle. Er warf Landon einen Blick über die Schulter zu. „Es wird eine ziemlich große Besprechung, Blake. Vielleicht sollten Sie sich auch lieber eine Tasse Kaffee aufwärmen.“

Landon zögerte. Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!

„Danke, nicht nötig.“ Landon lächelte.

Hauptmann Dillon hatte nicht übertrieben. Als Landon ins Besprechungszimmer trat, kannte er nur drei der sechs Männer im Raum. Aber auch ohne ihre Namen zu kennen, konnte er an ihren Uniformen sehen, dass sie in der Rangordnung höher standen als alle Feuerwehrleute, die er bis jetzt kennengelernt hatte.

„Guten Tag …“ Landon nickte höflich und blieb militärisch steif stehen.

Hauptmann Dillon trat mit einer dampfenden Kaffeetasse in der Hand hinter ihm ein. „Setzen Sie sich, Blake. Das hier ist kein Verhör.“

Erleichterung schoss durch Landons Adern. Seine Knie zitterten, als er seinen Hut abnahm und sich zu den anderen Männern an den Tisch setzte.

Bataillonkommandeur Michael Parsons saß ihm direkt gegenüber. Er räusperte sich und eröffnete die Sitzung. „Wir sind sehr zufrieden mit Ihrer Arbeit, Leutnant Blake. Sie befolgen die Vorschriften exakt, und Ihr Blick fürs Detail hat in New York City schon einige Gebäude und auch Menschenleben gerettet.“

„Danke, Sir.“ Landon warf einen Blick auf seine Uniform. Er erwartete fast, dass er seinen Herzschlag unter seinen Knöpfen pulsieren sah.

„Für diese Sitzung gibt es zwei Gründe.“ Der Mann warf einen Blick auf eine Akte, die vor ihm auf dem Tisch lag. Als er wieder aufschaute, leuchteten seine Augen. Ein Lächeln spielte sich um seine Mundwinkel. „Erstens haben wir uns entschieden, Sie im Januar zum Hauptmann zu befördern.“

Landon schlug das Herz bis zum Hals. Sein Mund war trocken, und er hörte die Worte nur wie durch einen dichten Nebel. Was hatte der Bataillonkommandeur gerade gesagt? Sie wollten ihn zum Hauptmann befördern? Im Januar? Ein solcher Schritt war äußerst ungewöhnlich. Allein auf seiner Feuerwache warteten ein Dutzend Männer vor ihm auf diese Beförderung.

Der Kommandeur erklärte die Details, dass dieser Führungsposten auf der kleinsten Feuerwache frei war, dass man Landons Dienstjahre in Bloomington bei dieser Entscheidung berücksichtigt hatte. „Sie haben am Anfang anstrengende Dienstzeiten, Nachtschichten und Wochenenddienste. Die gefährlichste Zeit für die Feuerwehr.“

„Ja, Sir.“ Landons Herzschlag war immer noch nicht zu seiner normalen Geschwindigkeit zurückgekehrt. Er hatte das Gefühl, er schwebe einen oder zwei Meter über der Erde. „Die Schichten sind kein Problem.“

Der Mann lächelte. „Das hatte ich auch nicht erwartet.“

„Eines sollten Sie wissen, Blake.“ Hauptmann Dillon grinste ihn an. „Ich habe diesen Herren zuerst gesagt, dass ich Sie nicht hergebe.“ Er schaute den Bataillonkommandeur an. „Aber dann habe ich den Rest des Plans gehört.“

Den Rest des Plans? Landon konnte nicht schlucken. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Sie hatten noch mehr Pläne mit ihm, als ihn zum Hauptmann zu befördern? Dieses Angebot war erstaunlich, eine Beförderung, von der jeder Feuerwehrmann nur träumen konnte. Aber dann schoss ihm ein ganz anderer Gedanke durch den Kopf.

War es das, was er wollte? Eine Beförderung? Einen höheren Rang in der New Yorker Feuerwehr? Wollte er nicht zu Ashley und Cole nach Bloomington zurückkehren?

„Das führt uns zum zweiten Grund für das heutige Gespräch.“ Der Bataillonkommandeur klopfte auf den Ordner, der vor ihm lag. „Wir haben Pläne für Sie, Blake. Männer Ihres Schlages braucht diese Feuerwehr. Auf solche Männer wollen wir unsere Zukunft bauen.“

Ihre Zukunft? Die Zukunft der New Yorker Feuerwehr?

Landon hatte das Gefühl, Watte im Mund zu haben. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Ja, Sir.“ Er zögerte. „Ist das Ihr Ernst, Sir?“

„Ja, Blake.“ Hauptmann Dillon breitete die Hände vor sich aus. „Das ist die erste Phase des Plans, Sie aufzubauen, mein Junge.“

Einer der anderen Männer lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Für den Führungsposten, Blake. Davon reden wir hier. Wir wollen Sie zum Feuerwehrchef der gesamten Stadt machen.“

Landon hielt seine Knie fest und hatte Mühe, nicht zu schwanken. Jetzt sprachen alle am Tisch, aber er konnte keinen richtig verstehen. Sie wollten ihn zum Leiter machen? Zum obersten Leiter der gesamten New Yorker Feuerwehr?

Hauptmann Dillon erklärte gerade, dass Landon nicht der Einzige sei, der für diese Beförderung ausgewählt worden war. „Ungefähr einmal im Jahr setzt sich die Feuerwehrführung zusammen und spricht über die Feuerwehrleute, die die Fähigkeiten aufweisen, die wir bei Führungspersonen suchen.“ Er hob seine Kaffeetasse an seinen Mund und nahm einen Schluck. „Natürlich schafft es nicht jeder. Aber alle hier an diesem Tisch denken, dass Sie eine realistische Chance haben.“

Der Bataillonkommandeur schob sich ein paar Zentimeter vom Tisch zurück und legte ein Bein über das andere. Er versuchte, sich ein Lächeln zu verkneifen. „Wir sind uns ziemlich sicher, wie Ihre Antwort ausfallen wird; sonst hätten wir nicht gefragt. Aber bevor wir anfangen, Sie auszubilden und Sie auf etwas Größeres vorzubereiten, müssen Sie sicher sein, dass Sie das wirklich wollen.“

Die Frage war reine Formsache. Landon hatte seinen Vorgesetzten nie einen Grund gegeben, an seiner Begeisterung für seine Arbeit bei der New Yorker Feuerwehr zu zweifeln. Er würde schließlich nicht hier arbeiten, wenn er diese Arbeit nicht lieben würde. Er brachte ein mühsames Lächeln zustande. „Natürlich, Sir.“

„Das heißt, dass Sie sich Zeit nehmen und alles in Ruhe überlegen.“ Der Bataillonkommandeur nickte Landon ernst zu. „Es ist sehr viel auf einmal, Blake. Die Beförderung zum Hauptmann, die Pläne für Ihre Zukunft bei der New Yorker Feuerwehr.“ Er zog die Brauen hoch. „Sie binden sich damit an diese Stadt, an die Menschen Manhattans.“

Er sollte seine Zukunft der Stadt New York verschreiben? Er schluckte und richtete den Blick auf den Bataillonkommandeur. „Wann … wann erwarten Sie meine Antwort?“

„Bis zum Freitag.“ Hauptmann Dillon schaute in die Gesichter am Tisch. „Das dürfte genug Zeit sein. Meinen Sie nicht, meine Herren?“

Alle stimmten ihm zu. Ja, fünf Tage sollten einem jungen Feuerwehrmann zweifellos genügen, um sich zu entscheiden, ob er den Rest seines Lebens in Manhattan verbringen wollte. Zweifellos.

„Also gut.“ Der Bataillonkommandeur stand auf und reichte Landon die Hand. „Ich glaube, Sie wissen schon jetzt, was Sie wollen, Leutnant Blake. Für mich besteht kein Zweifel, dass wir die richtige Wahl getroffen haben, als wir Sie heute hierher bestellten.“

Landon stand auf und erwiderte den festen Händedruck des Mannes. „Danke, Sir. Sie werden es nicht bereuen.“

„Davon bin ich überzeugt.“

Die übrigen Männer reichten ihm ebenfalls die Hand. Mehrere nickten dabei zustimmend und forderten ihn auf, ihnen Bescheid zu geben, sobald seine Entscheidung feststand. Als er den Raum verließ, folgte ihm Hauptmann Dillon.

„Ich wusste, was Sie da drinnen dachten, Blake.“ Er stand direkt vor Landon und schaute ihm ernst ins Gesicht.

Wusste er es wirklich? Hatte er Landons Gedanken an Ashley und Cole und das Leben, das ihn in Bloomington erwartete, durchschaut? Er schaute den Mann fragend an. „Sie … sie haben es gewusst?“

„Ja.“ Der Hauptmann trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor sich. „Sie denken, das sei nicht fair; weil Sie nicht der Nächste in der Beförderungsliste sind, richtig? Das haben Sie gedacht, nicht wahr?“

Der Mann hatte teilweise recht. „Ja, Sir. Andere Männer hätten vor mir diese Chance bekommen sollen.“

„Sie haben recht, Blake.“ Seine Stimme wurde leiser. „Aber andere Männer haben nicht Ihre Führungsqualitäten. Die Entscheidung für Ihre Beförderung fiel einstimmig. In meinen ganzen Jahren bei der Feuerwehr hat sich eines immer als richtig erwiesen, wenn wir uns auf den Mann geeinigt hatten, der befördert werden sollte.“

„Wie meinen Sie das, Sir?“

„Wir hatten immer recht.“ Seine Stimme nahm wieder normale Lautstärke an. „Gehen Sie und genießen Sie Ihren freien Tag, Blake.“

Landon war mit der U-Bahn zur Feuerwache gefahren, aber jetzt wollte er laufen, jetzt wollte er die Stadtluft tief einatmen und in seinem Kopf sortieren, was er gerade alles gehört hatte. Seine Feuerwache war nicht weit vom Central Park entfernt. Als er die Feuerwache verließ, steuerte er mit langen, schnellen Schritten auf seinen Lieblingsweg zu, der sich in Richtung Osten schlängelte und dann nach Norden, an mehreren Spielplätzen und der Skaterbahn vorbei.

Auf den Straßen herrschte reger Verkehr. Es waren viele Touristen in der Stadt, die wegen der bunten Herbstblätter und der milderen Herbsttemperaturen nach New York kamen. Straßenverkäufer priesen T-Shirts und Theaterkarten an, aber Landon marschierte schnellen Schrittes an ihnen vorbei und beachtete keinen von ihnen.

Sie wollten ihn zum Hauptmann machen? Im Januar?

Er sah nicht die vielen hundert Gesichter, an denen er vorüberging. Vor seinem geistigen Auge tauchte nur ein einziges Gesicht auf. Das Gesicht seines Freundes Jalen. War das nicht Jalens Traum gewesen? Zum Hauptmann befördert zu werden und eines Tages einen leitenden Posten in der New Yorker Feuerwehr innezuhaben?

In den letzten zwei Jahren war Landon zu sehr beschäftigt gewesen, um an die Möglichkeit einer Beförderung zu denken. Er war damit beschäftigt gewesen, Jalen zu suchen, nachdem das World Trade Center eingestürzt war, er war damit beschäftigt gewesen, sich in New York City einzuleben und sich auf der Feuerwache einzuarbeiten. Am meisten war er damit beschäftigt gewesen, aus Ashley Baxter schlau zu werden.

Er hatte alles getan, um ihr Herz zu gewinnen, aber wo war sie? Bei der Antwort auf diese Frage atmete er bitter ein und aus. Sie war zu Hause in Bloomington und weigerte sich, mit ihm zu sprechen, genauso wie damals, als sie noch miteinander zur Schule gegangen waren.

Er war jetzt im Park, im Schatten der Bäume, die den Weg säumten. Ein dunkelhäutiger Mann in einem weißen Mantel hielt ihm eine Eiswaffel hin. „Eis … frisches Eis …“

Landon ging unbeirrt weiter.

Hundert verschiedene Szenarien hätten sich heute in diesem Besprechungszimmer abspielen können. Sie hätten von ihm Rechenschaft verlangen können, weil er einen Bericht nicht korrekt abgeliefert hatte oder weil ihm bei einem Einsatz ein Fehler unterlaufen war. Sie hätten ihn nach seiner Meinung zu einem bestimmten Einsatz fragen oder ihm Fragen zu einem Rettungsversuch stellen können, der schiefgelaufen war.

Sie hätten sogar eine Andeutung auf eine mögliche Beförderung machen können.

Aber das Angebot, Hauptmann zu werden? Und die Aussicht, eines Tages möglicherweise Leiter der New Yorker Feuerwehr zu werden?

Und das alles, nachdem Gott ihn aufgefordert hatte, sich zu entspannen, sich zu freuen, weil seine Pläne für Landons Leben gut seien? Das Timing konnte unmöglich ein Zufall sein.

„Hey, Feuerwehrmann!“ Die Stimme gehörte einer jungen Frau, die ein Stück hinter ihm war. „Warten Sie … Ich möchte ein Autogramm von Ihnen. Hey, Feuerwehrmann!“

Landon drehte sich nicht um. Seit dem 11. September nahmen die Feuerwehrleute in New York City einen Heldenstatus ein. Normalerweise bemühte er sich, solchen Bitten nachzukommen, aber nicht heute. Er bog nach rechts ab und ging weiter. Seine Gedanken konzentrierten sich erneut auf die Frage, die ihm keine Ruhe ließ: Gottes Pläne für sein Leben. Gottes Stimme, die ihm wenige Stunden vor dem Gespräch mit der Feuerwehrleitung etwas über Gottes Pläne gesagt hatte.

Die Schlussfolgerung lag auf der Hand.

Gott wollte, dass er in New York City blieb. Er sollte die Beförderung zum Hauptmann annehmen, seine ganze Kraft für seine Arbeit einsetzen und sich bis ganz nach oben auf der Karriereleiter hocharbeiten und Gott dadurch die Ehre geben. Das musste es sein, oder nicht?

Dieser Gedanke rüttelte an seinem Herzen und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.

Wenn er sich in New York verpflichtete, bliebe ihm ein Leben mit Ashley und Cole für immer versagt. Sie würde bei ihrem Gesundheitszustand nie nach Manhattan ziehen. Dazu kannte er sie zu gut. Sie wollte nicht einmal mehr mit der New Yorker Kunstgalerie zusammenarbeiten. Zu stressig, zu viel Zeitdruck. Sie musste sich darauf konzentrieren, gesund zu bleiben.

Schon seit Langem kannte er den Bibelvers über Gottes Pläne, dass Gott ihm Hoffnung und eine Zukunft geben wollte. Immer – schon als Jugendlicher – hatte er geglaubt, diese Pläne würden Ashley Baxter einbeziehen.

Aber jetzt hatte Gott ihm eine Gelegenheit eröffnet, die nichts mit Ashley zu tun hatte. Eine Gelegenheit, die ihm keine andere Wahl ließe, als seinen Weg ohne sie zu gehen.

War das der Weg, den Gott für ihn plante? Wollte Gott, dass er sein Leben ohne sie führte und vergaß, wie sehr sein Herz sich nach ihr sehnte?

Er dachte über sein letztes Gespräch mit ihr nach. Sie hatte ihn mehr oder weniger aufgefordert, sie nicht mehr anzurufen. Sie hatte erklärt, dass er eine gesunde Frau verdiente, und sie hatte von ihm verlangt, nicht mehr an sie zu denken.

Ein paar Meter vor ihm stand eine Parkbank, die durch eine dicke Hecke vom Weg getrennt war. Landon verlangsamte seine Schritte, setzte sich und verschränkte die Finger hinter seinem Kopf. Ach, Ashley, wo bist du jetzt? Nach allem, was wir durchgemacht haben, sind wir eigentlich nicht weit gekommen, nicht wahr?

Er würde sie immer lieben. Das stand außer Frage. Egal, welche Frau Gott einmal in sein Leben führen würde, er würde sie nie so lieben wie Ashley. Selbst jetzt würde er alle Chancen auf eine Zukunft bei der New Yorker Feuerwehr sofort eintauschen gegen eine Chance, sie zu heiraten. Aber die Fakten sprachen eine andere Sprache.

Wenn sie in Gottes Plan für sein Leben eine Rolle spielte, wäre es in den letzten Jahren für sie beide besser gelaufen. Irgendetwas wäre dann anders gelaufen. Stattdessen hatte sie ihn so oft weggeschickt, dass er es nicht mehr zählen konnte. Obwohl ihre gesundheitlichen Probleme ihn nicht störten, waren sie für Ashley Grund genug, ihn abzulehnen.

Sie wollte selbst den Ring nicht.

Landon atmete langsam durch die Nase ein und schaute durch die leuchtenden roten und orangefarbenen Blätter zum blauen Himmel hinauf. Auch wenn Ashley ihn von sich wegschob, war er fest entschlossen gewesen, es weiterhin zu versuchen. Aber dieses Angebot auf eine Beförderung und die Aussicht auf eine vielversprechende Zukunft in New York schien direkt aus Gottes Planungsbüro zu kommen.

Erwartete Gott von ihm, dass er Ashley Baxter losließ?

Ihm wurde bewusst, dass sein Entschluss bereits feststand. Er würde Hauptmann Dillon morgen früh seine Entscheidung mitteilen. Für dieses Angebot gab es einen Grund, auch wenn es nicht der Plan war, den er selbst für sein Leben ausgesucht hätte. Eigentlich sollte er vor Begeisterung jubeln. Jeder andere Feuerwehrmann würde einen Luftsprung machen, wenn ihm dieses Angebot unterbreitet worden wäre.

Aber nicht Landon.

Zuerst musste er traurig den Gedanken verarbeiten, dass seine Zukunftspläne zum ersten Mal seit seiner Schulzeit nicht mehr das einzige Mädchen, das er je geliebt hatte, einschlossen. Und auch nicht ihren Sohn.

Einen Jungen, den er für den Rest seines Lebens wie sein eigenes Kind lieben würde.

Kapitel 9

Luke war dankbar, dass er bei Reagan und ihrem gemeinsamen kleinen Sohn in New York City sein konnte, aber ein Teil seines Herzens war immer noch zu Hause in Bloomington, im Krankenhaus bei seiner kleinen Nichte mit den blauen Augen. Er war so lange er konnte geblieben. Als er schließlich nach Manhattan geflogen war, war Hayleys Zustand stabil gewesen.

Inzwischen wussten sie natürlich mehr. Das Kind, das ein heller Sonnenstrahl in der Familie gewesen war, war blind. Es war blind und würde Schäden davontragen.

Luke suchte auf dieselbe Weise Entspannung wie damals, als er sich von seiner Familie distanziert hatte. Er verbrachte Stunden damit, aus dem Fenster zu schauen und nachzudenken. Er würde erst im Januar mit dem Studium beginnen. Die nächsten zehn Wochen waren ein Geschenk. Eine Chance, in einer kontrollierten Umgebung seine Beziehung zu Reagan zu vertiefen und ihr bei ihrem kleinen Tommy zu helfen.

Aber er brauchte seine Zeit.

Er saß jetzt wieder am Fenster und hatte die Beine hochgelegt. Das war sein Lieblingsplatz in der Wohnung von Reagans Mutter. Der Ausblick war atemberaubend. Man sah die Silhouette von Lower Manhattan und einen Teil des Parks.

Manchmal, wenn er aus diesem Fenster schaute, dachte er an die Zwillingstürme. Reagans Vater hatte sie beide vor über einem Jahr an einem strahlenden Sommertag dorthin mitgenommen. Der Mann wäre von Reagans Schwangerschaft enttäuscht gewesen, aber er wäre darüber hinweggekommen. Tom Decker war ein gottesfürchtiger Mann gewesen, ein Vater, der seiner Tochter vergeben und den Jungen, der seinen Namen trug, geliebt hätte.

Luke verstand die Tragödie des 11. September jetzt besser. Gott hatte ihm vor einem Monat dabei geholfen, als er endlich auf seinen Vater zugegangen war und ihn um Vergebung gebeten hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er geglaubt, Gott hätte das schreckliche Unglück erlaubt oder es irgendwie gebilligt. Die Wahrheit war jetzt, ein Jahr später, viel einfacher zu erkennen. Das Leben war tragisch, und Gott … Gott war nicht das Problem.

Er war die Lösung.

Das alles ergab einen Sinn, aber es gab immer noch etwas, das er nicht begreifen konnte: Warum lag Hayley mit bleibenden Schäden im Krankenhaus? Wenn ihre Zeit auf der Erde zu Ende war, gut. Gott konnte sie zu sich holen, und ja, sie würden das kleine Mädchen schmerzlich vermissen. Aber wenigstens könnte sie dann im Himmel ungehindert laufen, lachen und spielen.

Aber stattdessen war sie in einem Körper gefangen, der nichts davon tun konnte. Sie erkannte nicht einmal ihre eigene Mutter. Wenigstens war das die letzte Information, die er bekommen hatte.

„Gott, ich bin wieder an diesem Punkt … ich verstehe immer noch nicht …“

„Was verstehst du nicht?“ Reagans Stimme war federleicht. Sie flüsterte ihre Frage liebevoll an seine Schläfe, was sofort eine lindernde Wirkung auf ihn ausübte.

Er lehnte sich zurück und schmiegte sein Gesicht an ihres. „Ich habe dich nicht kommen hören.“

„Tommy ist wach.“ Sie trat vor ihn, senkte das Kinn und betrachtete ihn. Ihre langen blonden Haare fielen wie ein Schleier über ihre Schultern und ihren Rücken. Das Funkeln in ihren Augen war Luke bestens vertraut. Sie wollte etwas. Das sah er ihr an. „Komm, gehen wir mit ihm in den Park.“ Sie zog die Braue hoch und schaute aus dem Fenster. „Es ist bald Winter, aber heute ist es zu schön, um im Haus zu bleiben.“

Sie hatte recht. Außerdem würde die frische Luft ihm guttun und ihm vielleicht helfen, die Spinnweben aus seinem Herzen zu vertreiben. „Okay.“ Er legte den Arm um sie und zog sie an sich heran. „Komm her.“

Seine Lippen berührten ihren Mund, und er spürte die bekannte Sehnsucht, die Vorfreude darauf, dass er ihr in ein paar Monaten so seine Liebe zeigen könnte, wie er sich das sehnsüchtig wünschte.

„Du schmeckst gut.“ Sie schaute ihn mit einem langsamen Lächeln an und hielt den Atem an.

„Du siehst gut aus.“

Ein weiteres Lächeln. „Danke.“

„Ich bin froh, dass deine Mutter nebenan ist.“ Er bewegte die Finger zu ihrem Gesicht und streichelte ihre Wangenknochen und bewegte sie weiter zu ihrem Haaransatz.

„Na ja …“ Reagan schmunzelte leise. „Sie ist eigentlich immer nebenan.“

„Ja.“ Luke hielt einen Moment den Atem an. „Und das ist gut so, glaub mir.“

Reagan setzte sich auf und betrachtete ihn mit schief gelegtem Kopf, was sie unwiderstehlich aussehen ließ. „Können wir?“

Luke wollte sie wieder an sich heranziehen. „Können wir was?“

„In den Park gehen, Witzbold.“ Sie stieß ihn verspielt gegen die Brust. „Machen wir einen Spaziergang mit Tommy, okay?“

Ein leises Stöhnen kam aus Lukes Mund. „Okay.“ Er schaute zur Decke hinauf. „Umschalten, Baxter … umschalten.“

Sie schmunzelte immer noch, als sie das Zimmer verließ.

* * *

Mindestens einmal in der Woche gingen sie mit Tommy in den Central Park.

Luke liebte diese Spaziergänge, weil sie dann allein waren und Zeit hatten, über die Hochzeit und die unglaublichen Wendungen zu sprechen, die ihr Leben in den letzten Monaten genommen hatte. Außerdem hatten sie hier Gelegenheit, sich über die Gespräche mit ihren Seelsorgern auszutauschen. Der Pastor in Reagans Gemeinde hatte ihnen zu Ehevorbereitungsgesprächen geraten. Luke war anfangs nicht sicher gewesen, ob sie das wirklich brauchten.

Aber jetzt, da sie seit zwei Wochen zu diesen Gesprächen gingen, war er dafür dankbar.

Er wollte eine Ehe, wie seine Eltern sie führten, eine Ehe, in der er und Reagan sich so nahe kamen, dass es unmöglich war, einen ohne den anderen zu sehen. Eine Ehe, die Krankheiten und Tragödien, Problemen mit den Kindern und ständigen Veränderungen standhielt. Bei den Beratungsgesprächen sprachen sie über ihre Erwartungen an die Ehe und ihre Vorstellungen von Kindererziehung, Finanzen, Glauben und Enttäuschungen, die unweigerlich kommen würden. Zig Szenarien, die in ihrem Leben ablaufen könnten, und wie sie zusammen mit Gott damit umgehen wollten.

Immer mit Gott.

Das Taxi blieb an der Ostseite des Parks stehen. Luke sprang heraus und ging geradewegs zum Kofferraum. Im Handumdrehen war der Kinderwagen aufgeklappt und stand auf dem Gehweg. Währenddessen löste Reagan Tommys Autositz und holte ihn aus dem Taxi. Sie hatten inzwischen eine gute Routine entwickelt. Für andere Passanten sahen sie wahrscheinlich aus wie jedes andere junge Ehepaar. Man sah ihnen nicht an, was sie im letzten Jahr alles durchgemacht hatten.

Reagan genoss diese Spaziergänge. Tommy nahm seinen Schnuller und war vom Farbenspiel der Bäume fasziniert. Jetzt, da Reagan sich von der Entbindung erholt hatte, hatte sie wieder angefangen, auf dem Laufband ihrer Mutter zu trainieren. Ein Babyjogger stand auf ihrer Weihnachtswunschliste.

Die Oktobersonne war noch so warm, dass Tommy keine Decke brauchte. Er war vier Monate alt, und er genoss es, für seine Spaziergänge ein wenig aufgerichtet zu werden.

Reagan rollte zwei Decken zusammen und schob sie hinter seinen Rücken und seinen Nacken. „So, kleiner Mann. Genieße die Aussicht.“

Luke schaute ihr zu und war von ihrer sanften Art mit ihrem Sohn gerührt. „Du machst das gut.“ Er grinste sie an und setzte den Kinderwagen in Bewegung.

Sie legte eine Hand auf seine Finger und erwiderte sein Lächeln. „Danke. Du auch.“

Er schwieg und war immer noch mit den Gedanken beschäftigt, die ihn beunruhigt hatten, als sie zu ihm ans Fenster gekommen war.

„Du bist heute in Gedanken ganz woanders.“ Sie richtete den Blick nach vorne und ging langsam und ruhig neben ihm her.

„Hmmm. Ja.“

Sie wartete ein paar Minuten. „Willst du darüber reden?“

„Weiß nicht.“

Wieder eine Minute. Reagan schaute zu den bunten Blättern hinauf und kniff die Augen zusammen. „Weißt du noch, was der Seelsorger gesagt hat?“

„Über das Schweigen?“ Er schaute sie von der Seite an und unterdrückte ein Grinsen.

„Ja. Besorgtes Schweigen.“ Ihre Augen leuchteten. „Erinnerst du dich? Es gibt zwei Möglichkeiten, wenn der Partner schweigt.“ Sie schaute wieder nach vorne. „Lass es zu und hoffe, dass es keine Gewohnheit wird. Oder finde eine Möglichkeit, darüber zu reden.“ Sie verstellte ihre Stimme und sprach tiefer, um so zu klingen wie ihr Seelsorger. „Nur wenn ihr miteinander sprecht, wächst eure Beziehung.“

„Okay.“ Luke schmunzelte und steckte seine freie Hand in seine Hosentasche. „Tut mir leid.“

„Also …“ Sie gingen wieder fünf Schritte. Ihr Tonfall war jetzt nicht mehr so locker wie vorher. „Was ist, Luke? Ich hasse es, wenn du so bist.“

„Wenn ich wie bin?“

„So … so still und weit weg.“ Ihr Lächeln war verschwunden, aber sie ging weiter im Gleichschritt neben ihm her. „Ich habe Angst, dass du sauer auf mich bist.“

„Sauer auf …“ Plötzlich dämmerte ihm, was sie meinte. Er blieb stehen und schaute sie an. „Du glaubst, ich hätte Zweifel an der Hochzeit?“

Zum ersten Mal an diesem Morgen zog ein Schatten über ihr Gesicht. Er schaute direkt in ihre Seele und sah die Angst, die sie darin versteckt hielt. „Manchmal.“ Sie senkte den Kopf. „Tut mir leid.“ Reagan legte den Kopf schief, damit sie ihn wieder anschauen konnte. „Es ist einfach so, dass … ach, ich weiß auch nicht. Es kam alles so schnell und …“

„Reagan.“ Er legte die Hände zärtlich auf ihre Wangen und schaute ihr tief in die Augen. „Ich bin mir ganz sicher, dass ich dich heiraten will. So sicher, wie ich noch nie in meinem Leben bei irgendetwas war.“ Er nahm sie in seine Arme und hielt sie fest, während hin und wieder ein Geschäftsmann an ihnen vorbeieilte oder ein Jogger an ihnen vorbeilief. Nach einer Weile zog er den Kopf zurück und küsste zuerst ihre rechte Braue, dann ihre linke. „Das haben wir doch schon längst geklärt.“ Bitte, Gott … lass sie sehen, wie sehr ich sie liebe.

Reagans Augen glänzten. Sie nickte ein paarmal schnell. „Ich weiß. Ich bin einfach nur dumm.“

„Nicht dumm.“ Jetzt küsste er ihre Nasenspitze. „Vielleicht vergesslich. Aber nicht dumm.“

Sie schniefte und stieß ein frustriertes Lachen aus. „Okay, dann habe ich also ein schlechtes Gedächtnis.“ Ihre Augen tanzten, und sie schaute ihm bis ins Herz. „Sag es mir noch einmal, Luke … damit ich es ganz sicher weiß.“

„Reagan …“ Er wollte sie in den Arm nehmen und sie nie wieder loslassen, er wollte, dass sie sich nie wieder auch nur einen einzigen Moment Sorgen machte. „Ich will dich heiraten, nicht weil ich Schuldgefühle hätte oder mich dazu verpflichtet fühlen würde.“ Seine Worte waren sanfter als der leichte Windhauch und nur für sie allein bestimmt. Im Kinderwagen gluckste Tommy und saugte dann wieder an seinem Schnuller.

„Wirklich nicht? Ganz sicher?“

„Ganz sicher.“ In solchen Augenblicken begriff Luke besser, wie schwer das letzte Jahr für sie gewesen war. Reagan Decker hatte immer Selbstvertrauen ausgestrahlt. Sie war das einzige Mädchen gewesen, das nicht unsicher geworden war, als er sie gebeten hatte, mit ihm auszugehen. Aber jetzt … jetzt brauchte sie von ihm Sicherheit. Er gab sie ihr gern. „Ich fühle mich nicht zur Ehe gezwungen; ich bin dankbar. Weil du, Reagan Decker …“ Seine Lippen berührten ihren Mund für einige Sekunden. „… die Liebe meines Lebens bist. Und ich kann es nicht erwarten, mit dir verheiratet zu sein.“

„Ich auch nicht.“ Ihre Miene entspannte sich, und sie zuckte etwas unsicher die Achseln. „Ich wollte nur noch einmal auf Nummer sicher gehen.“

Sie setzten ihren Spaziergang fort. Luke kniff die Augen zusammen und schaute zu einem Spielplatz, der in der Nähe war. „Mir geht wahrscheinlich einfach Hayley nicht aus dem Kopf.“

„Oh.“ Ein leichter Wind kam auf und wirbelte eine Handvoll Blätter auf dem Weg vor ihnen auf. Reagan steckte Tommy wieder seinen Schnuller in den Mund und atmete müde aus. „Was gibt es Neues?“

„Meine Mutter ruft alle paar Tage an, aber bis jetzt ist alles unverändert. Sie ist wach, aber unruhig. Steif … kaum zu trösten … sie sind sicher, dass Hayley blind ist.“

Reagan hatte das alles schon gehört, aber sie war traurig. Eine Minute verging, bevor sie sagte: „Man hat das Gefühl, dass das einfach nicht fair ist.“

„Ja. Genau das habe ich auch gedacht.“ Er stieß mit dem Fuß gegen einen losen Kieselstein. „Ich zweifle deshalb nicht an Gott, so wie ich das nach den Terroranschlägen getan habe.“ Er schaute sie an. „Aber es wirft trotzdem Fragen auf.“

Sie schob ihren Arm durch seinen, während sie weitergingen. „Es wirft bei uns allen Fragen auf.“

„Ich meine, Gott hätte sie zu sich nehmen können, richtig? Er hätte sie in den Himmel holen können, wo sie die Hayley sein könnte, die wir alle kannten und liebten.“ Etwas lenkte seinen Blick ab und er schaute nach rechts, wo ein kleines Mädchen für eine ältere Frau, die auf einer Bank saß, Räder schlug. Während Luke ihr zuschaute, sah er fast Hayleys Gesicht in diesem Kind, das etwas machte, das Hayley nie wieder machen könnte. Er schaute Reagan wieder an. „Aber jetzt … jetzt ist sie vielleicht ihr Leben lang ans Bett gefesselt. Es ist einfach hart.“

„Das Timing ist interessant.“

„Ja. Wenn dieser Unfall ein halbes Jahr früher passiert wäre, hätte ich vielleicht nie zu Gott zurückgefunden. Dann hätte ich zu viele Gründe gehabt, um auf ihn wütend zu sein.“

„Jetzt geht es dir nicht so?“

„Auf keinen Fall.“ Er verstärkte seinen Griff um den Kinderwagen. „Jetzt weiß ich: Gott hat einen Plan für sie, selbst wenn wir diesen Plan nicht verstehen.“

„Richtig.“

„Aber trotzdem …“

„Trotzdem dürfen wir nicht aufhören, für ein Wunder zu beten.“ Reagan schaute ihn mit einem traurigen Lächeln an. „Bei Gott ist nichts unmöglich, weißt du noch?“

„Natürlich.“

Er schwieg wieder. „Das Bild von Brooke mit Hayley, die Geduld, die sie zeigt, die Art, wie sie stundenlang Hayleys steife Arme und Beine massiert.“ Luke schüttelte den Kopf. „Dieses Bild strahlt so viel Liebe aus, weißt du?“

Dieses Mal blieb Reagan stehen. „Du, Luke Baxter …“ Sie schaute ihm in die Augen und tippte ihn sanft an der Schulter an. „Du bist auch ein Bild, das Liebe ausstrahlt.“

„Ach, Unsinn …“ Er grinste. „Nur wenn meine Haare gekämmt sind.“

„Nein, Dummerchen.“ Sie bohrte einen Finger in seine Rippen. „Auch wenn du überhaupt kein einziges Haar hättest.“

„Wirklich?“ Ihre Niedergeschlagenheit war verschwunden, und er fühlte, wie sein Herz wieder leichter schlug.

„Ja.“ Sie bohrte den Finger in seine andere Seite. „Selbst wenn du hundert Jahre alt bist, werde ich immer noch jeden Tag darüber staunen, dass wir uns wiedergefunden haben.“

„Das haben wir Ashley zu verdanken.“ Er schaute Reagan mit hochgezogenen Augenbrauen an.

Sie grinste. „Ja, Ashley.“

„Und Gott.“

„Vor allem Gott.“

Luke drückte sie wieder fest an sich. „Dabei muss ich an etwas denken, das mein Vater letztes Jahr zu mir gesagt hat, als ich nichts von ihm hören wollte.“

Reagan warf sich die Haare über die Schulter. „Was denn?“

„Er sagte mir, dass Liebe bedeutet, den anderen zu respektieren.“ Er hob die Hand und fuhr mit dem Daumen über ihre Wange. „Genau das hast du getan, Reagan. Du dachtest, dadurch, dass du dich von mir fernhältst, respektierst du mich und gibst mir Freiraum.“ Er zog neckend die Augenbrauen in die Höhe. „Du hast dich geirrt, aber …“

„Aber ich habe es gut gemeint. Willst du das damit sagen?“ Aus ihren Augen strahlte das vertraute Leuchten. „Meinst du das mit respektieren?“

„Mmm-hmm.“ Er wollte sie küssen, aber in diesem Moment verlor Tommy seinen Schnuller und begann zu quengeln. Luke beugte sich über den Kinderwagen und schnitt eine lustige Grimasse, um seinen Sohn aufzumuntern. Tommy gluckste fröhlich und fuchtelte mit den Händen durch die Luft. „Ist es so besser?“ Luke tat so, als schüttle er ein paarmal ernst den Kopf. „Es gefällt dir also nicht, dass wir ständig stehen bleiben und dann wieder nur ein paar Schritte gehen, was?“

Er schaute schnell zu Reagan und hob einen Finger. „Wir sind mit diesem Thema noch nicht fertig.“ Dann beugte er sich vor und steckte Tommy wieder den Schnuller in den Mund.

„Also, wo waren wir gerade stehen geblieben …“ Seine Lippen fanden wieder ihren Mund. „Habe ich gesagt, dass mir dieser Teil des Gesprächs besonders gut gefällt?“

Reagan lachte und zog den Kopf zurück. „Hör auf, Luke … du hast gerade etwas von Respekt gesagt.“

„Richtig. Eine Liebe, die den anderen respektiert, stellt den anderen immer an die erste Stelle. Genau das will ich tun, Reagan.“

„Jetzt im Moment?“ Sie neckte ihn und genoss diesen Moment in vollen Zügen. „Ich glaube nämlich, Tommy braucht eine neue Windel.“

„Nein.“ Er küsste sie noch einmal. Dieses Mal so lange, dass sie ganz außer Atem war. Er schaute über diesen Moment hinaus in die Zukunft und konnte es nicht erwarten, sie mit ihr zu beginnen. „Nicht jetzt im Moment, Dummerchen.“ Sein Tonfall war sanft und ernst. „Für den Rest unseres Lebens.“