Norbert F. Pötzl
BISMARCK
Der Wille zur Macht
Propyläen
Das Buch
Er gilt als der bedeutendste Politiker des 19. Jahrhunderts, seine Macht- und Bündnispolitik ist legendär. Als »weißer Revolutionär« zettelte Bismarck eine von oben gelenkte Umwälzung an, die den europäischen Kontinent nachhaltig veränderte. Wer war der berühmte Preuße jenseits von Mythos und Personenkult?
In sechs essayistischen Kapiteln legt Norbert F. Pötzl querschnittartig das Leben des »Eisernen Kanzlers« dar, den manche als Genie, andere als »Dämon der Deutschen« bezeichnen. Der geschichtswirksame Reichsgründer war ein Mann voller Widersprüche. Er schuf die Einheit der Nation, machte aber aus seiner Verachtung für Demokratie und Parlamentarismus kein Hehl. Als er die politische Bühne betrat, herrschten Biedermeier und die Restauration des Wiener Kongresses. Als er abtrat, war Deutschland eine führende Industrienation, aber auch ein waffenstarrender Störenfried im europäischen Mächtekonzert. Bismarcks besonderer Charakter, sein Machtinstinkt und sein Talent, trotz seiner konservativen Gesinnung Veränderungen von historischer Tragweite auszulösen, beschäftigen uns noch heute. Dass die ungebrochene Faszination für Bismarck seinem unbeugsamen Willen zur Macht zu verdanken ist, zeigt Norbert F. Pötzl in dieser fachkundigen wie kurzweiligen Bilanz.
Der Autor
Norbert F. Pötzl, geboren 1948, ist Journalist, Herausgeber und Autor mehrerer erfolgreicher Bücher wie Mission Freiheit, Beitz und Preußen. Ab 1972 arbeitete er als Redakteur beim Spiegel, wo er bis 2013 stellvertretender Leiter des Ressorts Sonderthemen war.
Norbert F. Pötzl
BISMARCK
Der Wille zur Macht
Propyläen
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ISBN: 978-3-8437-10640-0
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2015
Karten: Thomas Hammer
Lektorat: Andy Hahnemann
Abbildungen: © ullstein bild
Umschlaggestaltung: Grafik-Design Büro Morian & Bayer-Eynck
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Über das Buch und den Autor
Titelseite
Impressum
VORWORT
Anmerkungen zum Kapitel »VORWORT«
LEBEN
Das Elternhaus · Schulzeit und Studium · Der Landjunker · Erste Schritte in die Politik · Das Revolutionsjahr 1848 · Der weiße Revolutionär · Vertrauter des Kaisers · Anmerkungen zum Kapitel »LEBEN«
CHARAKTER
»Besiegt habe ich sie alle! Alle!« · Ein Soldat Gottes? · Der Taktiker · Rachsucht · Körper und Geist · Das Geld · Anmerkungen zum Kapitel »CHARAKTER«
ERFOLGE
Preußen als Großmacht · Die Vorherrschaft Österreichs · König und Parlament · Lehnsherr und Vasall · Der Deutsche Krieg · Auf dem Weg zur nationalen Einheit · Der Deutsch-Französische Krieg · Die Staatsgründung · Anmerkungen zum Kapitel »ERFOLGE«
WIDERSPRÜCHE
Das Deutsche Reich in Europa · Der ehrliche Makler · Zweibund und Dreikaiservertrag · Im Netz der Bündnisse · Deutsche Kolonialpolitik · Politische Bigamie · Anmerkungen zum Kapitel »WIDERSPRÜCHE«
FEHLER
Der Kulturkampf · Sozialistengesetz und Sozialreformen · Innenpolitischer Stillstand · Der Thronwechsel · Bismarcks Sturz · Anmerkungen zum Kapitel »FEHLER«
MYTHOS
Das Abschiedsgesuch · Die letzten Jahre · Das politische Erbe · Anmerkungen zum Kapitel »MYTHOS«
Tafelteil
Anhang
Dank · Zeittafel · Literatur · Bildnachweis
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Selten ist der Lauf der Geschichte so sehr von einer einzelnen Persönlichkeit geprägt worden. Otto von Bismarck wurde, nach vertrödeltem Studium und einer langen Phase der Selbstfindung, mit 36 Jahren als Seiteneinsteiger ohne entsprechende Vorbildung und Qualifikation preußischer Gesandter beim Deutschen Bund; mit 47 war er Ministerpräsident und Außenminister, mit 55 Kanzler des Kaiserreichs, mit fast 75 wurde er aus seinen Ämtern entlassen. Von 1862 bis 1890, fast drei Jahrzehnte lang, hatte er die politische Spitzenposition in Preußen und im Reich inne.
Es waren Jahrzehnte, die alles umwälzten. Bismarck war der Mann des Übergangs zwischen dem 18. und dem 20. Jahrhundert. Als er auf die politische Bühne kam, herrschten Biedermeier und die Restauration des Wiener Kongresses. Als er abtrat, war Deutschland eine führende Industrienation, aber bald auch auf dem Weg in den Ersten Weltkrieg.
Bismarck hat die Geschichte Deutschlands und Europas in seiner langen Regierungszeit entscheidend mitgestaltet. Ob zum Guten oder zum Schlechten – das ist eine Frage, über die sich die Deutschen seit Generationen streiten.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich der Reichsgründer von 1871 als politische Ikone in das kollektive Gedächtnis eingegraben. Bismarck galt als der deutsche Nationalheld schlechthin. Die tonangebenden Historiker glorifizierten den erzreaktionären Staatsmann als charismatischen Führer, als außenpolitisches Genie und Schöpfer des Einheitsstaates; die innenpolitischen Irrwege und Bismarcks autoritäres Regime, das die in anderen Ländern voranschreitende Demokratisierung in Deutschland blockierte, wurden von seinen Verehrern ausgeblendet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte sich das Bismarckbild rasch. Nun dominierten die negativen Aspekte: Bismarcks Skrupellosigkeit im politischen Handeln, seine charakterlichen Defizite im Umgang mit Freunden und Feinden, die Ablehnung des parlamentarischen Systems – man sprach sogar vom »Dämon der Deutschen« (Johannes Willms), dessen Politik Adolf Hitler den Weg geebnet habe.
Ist also über Bismarck nicht alles gesagt und geschrieben? In der Tat gibt es unzählige dickleibige, detailverliebte Bismarck-Biographien und gelehrte Abhandlungen über das von ihm geschaffene Reich und die Folgen seiner Politik. Allein in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten wurden vier große Lebensbeschreibungen des »Eisernen Kanzlers« veröffentlicht, die dessen Leistungen und Schwächen akribisch ausgelotet haben.
Der Frankfurter Historiker Lothar Gall publizierte 1980 die erste große, wissenschaftlich fundierte Bismarck-Biographie mit dem programmatischen, von Henry Kissinger entlehnten Untertitel »Der weiße Revolutionär«. Michael Stürmer schrieb über Bismarck damals in einer Rezension: »Bis heute wissen die Deutschen nicht, ob sie sich seiner mit Stolz erinnern sollen oder ob nicht schon, wie Friedrich Meinecke nach dem Zweiten Weltkrieg andeutete, die Wendung vom ›Heilvollen‹ zum ›Unheilvollen‹ mit ihm und seinem Tun ursächlich zusammenhing.«1
Der Marxist Ernst Engelberg, der damals in Ost-Berlin lehrte, publizierte sein Opus magnum 1986 und 1990 in zwei Bänden mit insgesamt fast 1600 Seiten. Darin näherte er sich Bismarck »manchmal sogar mit recht generöser Sympathie«.2
Der amerikanische Historiker Otto Pflanze legte sein 1990 in den USA erschienenes Werk sogar in drei Bänden an; die zweibändige deutsche Ausgabe umfasst mehr als 1700 Seiten. Sie vermittelt mit ihrer bisweilen psychoanalytischen Sicht auf die Lebensgewohnheiten Bismarcks ein besonders plastisches Bild von dem »hysterischen Koloss« (Thomas Mann).
Auf ganz eigene Weise näherte sich Jonathan Steinberg 2011 seinem Protagonisten: Der US-Historiker charakterisierte Bismarck »anhand Dutzender zeitgenössischer Erinnerungen von Leuten, die sehr persönliche Gründe hatten, Bismarck zu lieben, zu fürchten oder zu hassen«.3
Warum mit diesem Buch also noch eine Bismarck-Biographie? Weil sie anders ist. Weil sie sich auf das Wesentliche im Leben und Wirken Bismarcks konzentriert. Sie zeichnet in thematisch gegliederten Querschnittskapiteln die bedeutendsten Ereignisse nach und erhellt die wichtigsten Zusammenhänge. So will diese Lebensbeschreibung durch das Dickicht der Bismarck-Historiographie eine Schneise schlagen und den Blick öffnen auf die Kernpunkte und Kernfragen. Dabei schöpft sie aus der gesamten voluminösen Bismarckforschung.
Erstaunlicherweise ist ja die Faszination, die von der Person Bismarck ausgeht, immer noch ungebrochen. Doch worauf beruht diese Faszination? Ein wesentlicher Faktor, wenn nicht der wesentlichste, war Bismarcks Wille zur Macht, seine enorme Durchsetzungs- und Gestaltungskraft, die Steinberg das »souveräne Selbst« nennt. Dieser Wille zur Macht, Bismarcks zentrale Charaktereigenschaft, zieht sich als roter Faden durch sein Leben – und auch durch dieses Buch.
In jüngerer Zeit rückte Bismarck vor allem durch die wiedergewonnene deutsche Einheit erneut ins Blickfeld. Als im Herbst 1989 die Berliner Mauer fiel, sorgten sich viele Beobachter im In- und Ausland, dass in einem vereinigten Deutschland die Mythen des deutschen Nationalismus neu belebt würden. Manche sahen bereits die alte Großmannssucht der wilhelminischen Kaiserzeit wieder heraufziehen.
Doch die öffentlich ausgetragene Kontroverse über Parallelen und Divergenzen zwischen der Reichsgründung 1871 und der Wiedervereinigung von 1990 flaute rasch wieder ab. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass die neue Berliner Republik in ihrer Verfassung, ihrer außenpolitischen Orientierung und ihrer politischen Kultur kaum Gemeinsamkeiten mit dem Bismarckreich aufweist. Von dem ersten deutschen Nationalstaat unterscheidet den zweiten vieles – nämlich alles, was das Bismarckreich zu einem Militär- und Obrigkeitsstaat gemacht hat.
Bismarck ist Geschichte. Je größer der zeitliche Abstand, desto nüchterner und vorurteilsfreier kann man Leben und Charakter des Staatsmannes, seine Erfolge, Fehler und Widersprüche beschreiben. Das sind auch die Gesichtspunkte, nach denen diese Biographie gegliedert ist, abgerundet durch eine Betrachtung des Mythos, der schon zu Bismarcks Lebzeiten einsetzte und lange über seinen Tod hinausreichte. Mittlerweile polarisiert die Bismarckdeutung längst nicht mehr so stark wie einst, trotzdem bleibt die Beschäftigung mit diesem großen Staatsmann lehrreich. An Bismarcks Lebensgeschichte können auch wir Heutigen noch ablesen, wie man Macht gewinnt, erhält und verliert.
1. Michael Stürmer: »Eine schwierige Vaterfigur«, in Die Zeit, 10. Oktober 1980.
2. Rudolf Augstein: »Nicht umsonst regiert man die Welt«, in Der Spiegel, 2. September 1985.
3. Christopher Clark: »I could bite the table«, in London Review of Books, 31. März 2011.