Cover

Das Buch

In Fjällbacka wird im gefrorenen Wasser einer Badewanne eine Leiche entdeckt. Die junge Frau war besonders erfolgreich, schön und reich. Sie hieß Alexandra Wijkner, und keiner im Ort kann sich ihr Ableben erklären. Zufällig wird die Schriftstellerin Erica Falck in den Fall hineingezogen. Gemeinsam mit dem Kriminalassistenten Patrik Hedström holt sie Informationen über die Verstorbene ein. Gleichermaßen ins Visier des Paares, das sich nicht nur beruflich näherkommt, geraten die Familie des reichen Konservenfabrikanten Lorentz, der stadtbekannte Säufer Anders, der ungeliebte Ehemann der Toten sowie deren Freundin Francine. Offenbar verbirgt sich eine alte Geschichte hinter der Tat – es gibt jemanden, der Alexandra von klein auf kannte und nun der Eisprinzessin ein eisiges Totenbett bereitet hat.

www.camillalackberg.com

Die Autorin

Camilla Läckberg, Jahrgang 1974, stammt aus Fjällbacka – der kleine Ort und seine Umgebung sind Schauplatz ihrer Kriminalromane. Weltweit hat Läckberg inzwischen über zwölf Millionen Bücher verkauft, sie ist Schwedens erfolgreichste Autorin. Heute lebt Camilla Läckberg in einer großen Patchworkfamilie in Stockholm.

Von Camilla Läckberg sind in unserem Hause bereits erschienen:

In der Serie »Ein Falck-hedström-Krimi«:

Die Eisprinzessin schläft

Der Prediger von Fjällbacka

Die Totgesagten

Engel aus Eis

Meerjungfrau

Der Leuchtturmwärter

Die Engelmacherin
 

Außerdem:

Schneesturm und Mandelduft

Camilla Läckberg

Die Eisprinzessin schläft

Kriminalroman

Aus dem Schwedischen
von Gisela Kosubek

Ullstein

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

ISBN 978-3-8437-1105-0

Neuausgabe im Ullstein Taschenbuch

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

eBook-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

1

Das Haus war trostlos und leer. Die Kälte drang in alle Ecken. Eine dünne Eishaut hatte sich in der Wanne gebildet. Dort lag sie, und ihr Körper hatte eine leicht bläuliche Farbe angenommen.

Er fand, sie sah aus wie eine Prinzessin. Eine Eisprinzessin.

Der Boden, auf dem er saß, war lausekalt, aber die Kälte kümmerte ihn nicht. Er streckte die Hand aus und berührte sie.

Das Blut an ihren Handgelenken war längst geronnen.

Nie war seine Liebe zu ihr stärker gewesen. Er streichelte ihren Arm, so als würde er die Seele streicheln, die jetzt den Körper verlassen hatte.

Als er ging, drehte er sich nicht um. Es war kein Lebewohl, es war ein Auf Wiedersehen.

Eilert Berg war kein glücklicher Mensch. Sein Atem ging schwer und drang in kleinen weißen Wölkchen aus seinem Mund. Aber nicht die Gesundheit betrachtete er als sein größtes Problem.

Svea war in der Jugend so schön gewesen, und er hatte es kaum abwarten können, mit ihr ins eheliche Bett zu steigen. Sanft, freundlich und ein wenig schüchtern war sie ihm erschienen. Ihre wahre Natur hatte sich schon nach allzu kurzer Zeit voll jugendlicher Lust gezeigt. Seit nunmehr fast fünfzig Jahren hielt sie ihn eisern unterm Pantoffel. Aber Eilert hatte ein Geheimnis. Zum erstenmal sah er eine Möglichkeit, im Alter ein bißchen Freiheit zu genießen, und diese Möglichkeit wollte er sich keinesfalls entgehen lassen.

Sein Leben lang hatte er sich mit der Fischerei abgeplagt, und die Einnahmen hatten gerade ausgereicht, um Svea und die Kinder zu versorgen. Seit er in Pension gegangen war, lebten sie ausschließlich von ihren mageren Renten. Ohne irgendwelches Geld in der Tasche bestand keine Chance, anderswo neu anzufangen, und zwar ohne sie. Diese Gelegenheit hier war ihm wie ein Geschenk des Himmels erschienen. Hinzu kam, daß das Ganze auch noch lächerlich einfach war. Aber wenn jemand unverschämt hohe Summen für ein, zwei Stunden Arbeit pro Woche bezahlen wollte, dann war das nicht sein Problem. Er hatte nicht die Absicht, sich zu beschweren. Die Geldscheine in der Holzkiste hinterm Kompost waren in nur einem Jahr zu einem ansehnlichen Häufchen angewachsen, und bald besaß er genug, um sich in wärmere Gefilde abzusetzen.

Eilert blieb stehen, um auf dem letzten steilen Stück der Steigung Luft zu holen, er massierte seine schmerzenden Gichthände. Spanien oder vielleicht Griechenland könnten die Kälte auftauen, die irgendwie von innen kam. Er rechnete damit, daß ihm wenigstens noch zehn Jahre blieben, bevor er ins Gras beißen mußte, und die Zeit wollte er, so gut es ging, nutzen. Nicht im Traum dachte er daran, sie mit der Alten hier zu Hause abzusitzen.

Der tägliche Spaziergang am frühen Morgen waren die einzigen Minuten, die er in Ruhe und Frieden verbrachte, und außerdem bescherte er ihm die dringend notwendige Bewegung. Eilert schlug immer denselben Weg ein, und diejenigen, die seine Gewohnheiten kannten, schauten häufig aus der Tür und ließen sich auf einen Schwatz ein. Besonderes Vergnügen hatte er an dem Gespräch mit dem hübschen Mädel, das im Haus ganz oben auf dem Hang gleich bei der Håkebackenschule wohnte. Sie war nur an den Wochenenden hier, kam immer allein, aber nahm sich gern die Zeit, über Wind und Wetter zu plauschen. Dieses Fräulein Alexandra interessierte sich auch für das Fjällbacka früherer Zeiten, ein Thema, das Eilert nur zu gern erörterte. Schön anzusehen war das Mädel obendrein. Das war etwas, worauf er sich noch immer verstand, obwohl er alt war. Sicher hatte es eine ganze Menge Tratsch über die Kleine gegeben, aber wenn man erst anfing, auf Weibergewäsch zu hören, blieb einem bald keine Zeit mehr für andere Dinge.

Vor ungefähr einem Jahr hatte sie ihn gefragt, ob er sich vorstellen könnte, da er ja morgens ohnehin hier vorbeiging, jeden Freitag nach dem Rechten zu sehen. Das Haus war alt, und es sei kein Verlaß auf Heizkessel und Wasserleitungen. Sie wollte an den Wochenenden ungern ein kaltes Haus vorfinden. Er würde einen Schlüssel bekommen, damit er hier vorbeischauen und kontrollieren konnte, ob alles in Ordnung war. In der Gegend hatte es einige Einbrüche gegeben, also sollte er auch nachsehen, ob es vielleicht Beschädigungen an Fenstern und Türen gab.

Die Aufgabe war keine große Belastung, und einmal im Monat lag ein Kuvert mit seinem Namen in ihrem Briefkasten, und darin befand sich eine in seinen Augen fürstliche Summe. Außerdem gefiel es ihm, sich ein wenig nützlich zu machen. Es ist schwer, untätig zu sein, wenn man sein Leben lang gearbeitet hat.

Das Zauntor hing schief und protestierte, als er es zum Gartenweg hin aufdrückte. Der war nicht vom Schnee freigeschippt, und er überlegte, ob er einen der Jungen bitten sollte, ihr dabei zu helfen. So was war keine Frauensache.

Er suchte nach dem Schlüssel, aber paßte auf, daß der ihm nicht in den Schnee fiel. Wäre er gezwungen, sich hinzuknien, würde er nie wieder hochkommen. Die Vortreppe war vereist und glatt, und er mußte sich am Geländer festhalten. Eilert wollte gerade den Schlüssel ins Schloß stecken, als er bemerkte, daß die Tür nur angelehnt war. Verblüfft öffnete er sie ganz und trat in die Diele.

»Hallo, ist jemand zu Hause?«

Vielleicht war sie heute etwas früher gekommen? Niemand antwortete. Er sah seinen eigenen Atem aufsteigen und wurde sich plötzlich bewußt, daß im Haus Kälte herrschte. Mit einemmal wurde er unschlüssig. Hier stimmte etwas absolut nicht, und er hatte den Verdacht, daß es sich nicht nur um einen kaputten Heizkessel handelte.

Eilert durchquerte die Zimmer. Alles schien unberührt. Das Haus war genauso sauber und ordentlich wie sonst. Videorecorder und Fernseher standen auf ihren Plätzen. Nachdem er das gesamte Erdgeschoß kontrolliert hatte, nahm er die Stufen ins obere Stockwerk hinauf. Die Treppe war steil, und er mußte sich am Geländer festklammern. Oben angekommen, ging er zuerst ins Schlafzimmer. Das wirkte sehr weiblich, war aber erlesen eingerichtet und genauso ordentlich wie der Rest des Hauses. Das Bett war gemacht, und am Fußende stand ein Koffer. Nichts schien ausgepackt worden zu sein. Er kam sich auf einmal ein bißchen idiotisch vor. Vielleicht war sie eher als sonst gekommen, hatte festgestellt, daß der Kessel nicht funktionierte, und war losgegangen, um jemanden zu finden, der ihn reparierte. Dennoch glaubte er selbst nicht an diese Erklärung. Irgend etwas stimmte einfach nicht. Er spürte es auf die gleiche Weise in den Knochen wie manchmal bei einem aufziehenden Sturm. Vorsichtig setzte er seinen Weg durch das Haus fort. Das nächste Zimmer war ein großer Loft mit Holzbalken und Dachschräge. Zwei Sofas standen sich vor dem Kamin gegenüber. Ein paar Zeitungen lagen auf dem Couchtisch verstreut, sonst aber befand sich alles an seinem Platz. Er ging wieder nach unten. Jetzt war nur noch das Bad übrig, doch etwas ließ ihn zögern. Noch immer war alles ruhig und still. Einen Augenblick lang stand er unschlüssig da, fand sich dann ein bißchen lächerlich und schob die Tür resolut auf.

Sekunden später rannte er, so schnell es sein Alter zuließ, auf die Haustür zu. Im letzten Moment fiel ihm ein, daß die Vortreppe glatt war, und er konnte gerade noch das Geländer packen, um nicht kopfüber die Stufen hinunterzustürzen. Dann stapfte er durch den Schnee auf dem Gartenweg und fluchte, als sich das Gartentor sperrte. Auf dem Bürgersteig blieb er zögernd stehen. Ein Stück die Straße hinunter entdeckte er eine Gestalt, die mit raschem Schritt näher kam, und kurz darauf erkannte er Tores Tochter Erica. Er rief ihr zu, sie möge stehenbleiben.

Sie war müde. Todmüde. Erica Falck schaltete den Computer aus und ging in die Küche, um sich Kaffee nachzugießen. Sie fühlte sich von allen Seiten unter Druck gesetzt. Der Verlag wollte die erste Version des Buches im August haben, und bisher hatte sie kaum damit begonnen. Das Buch über Selma Lagerlöf, ihre fünfte Biographie einer schwedischen Autorin, sollte ihr bestes werden, aber sie hatte alle Lust am Schreiben verloren. Mehr als einen Monat war es her, daß ihre Eltern gestorben waren, doch die Trauer war noch immer genauso frisch wie an jenem Tag, als sie die Nachricht erhalten hatte. Das Aufräumen des Elternhauses ging ihr auch nicht so schnell von der Hand, wie sie gehofft hatte. Alles weckte Erinnerungen. Jede Kiste, die sie packte, dauerte Stunden, weil alles eine Flut von Bildern auslöste, die manchmal ganz nah und dann wieder ungeheuer weit weg zu sein schienen. Aber das Packen mußte so viel Zeit beanspruchen, wie nötig war. Ihre Wohnung in Stockholm war bis auf weiteres vermietet, und sie ging davon aus, daß sie ebensogut hier in ihrem Elternhaus in Fjällbacka schreiben konnte. Es lag ein wenig abseits, in Sälvik, und die Umgebung war ruhig und friedlich.

Erica setzte sich auf die Veranda und blickte auf die Schären hinaus. Die Aussicht verschlug ihr immer wieder den Atem. Jede Jahreszeit zeigte eine neue spektakuläre Szenerie, und der heutige Tag hatte mit strahlender Sonne begonnen, die glitzernde Lichtkaskaden aufs Eis warf, das eine dicke Schicht auf dem Meer bildete. Ihr Vater hätte einen solchen Tag geliebt.

Die Kehle schnürte sich ihr zusammen, und die Luft im Haus erschien ihr mit einemmal stickig. Sie entschloß sich, einen Spaziergang zu machen. Das Thermometer zeigte fünfzehn Grad minus, und so zog sie mehrere Kleidungsstücke übereinander. Dennoch war ihr kalt, als sie aus der Tür trat, aber sie brauchte nicht lange zu gehen, bis das schnelle Tempo für Wärme sorgte.

Draußen war es befreiend still. Niemand war zu sehen. Das einzige Geräusch, was sie hörte, waren ihre eigenen Atemzüge. Der Kontrast zu den Sommermonaten, wenn hier das Leben pulsierte, war gewaltig. Erica zog es vor, sich im Sommer von Fjällbacka fernzuhalten. Obwohl sie wußte, daß der Ort nur durch den Tourismus überleben konnte, wurde sie das Gefühl nicht los, daß Sommer für Sommer ein riesiger Heuschreckenschwarm über Fjällbacka herfiel. Ein vielköpfiges Monster, das langsam das alte Fischerdorf verschlang, da die wassernahen Häuser von Sommergästen aufgekauft wurden und die Ortschaft dadurch neun Monate im Jahr zum Geisterort verkam.

Jahrhundertelang hatte Fjällbacka sein Brot mit der Fischerei verdient. Die karge Landschaft und der ständige Kampf ums Überleben, bei dem alles davon abhing, ob der Hering kam oder ob er ausblieb, hatte ein rauhes, starkes Völkchen erschaffen. Doch seitdem Fjällbacka als malerisch galt und Touristen mit dicken Brieftaschen anzog, während zugleich die Fischerei ihre Bedeutung als Einnahmequelle verlor, meinte Erica zu bemerken, daß sich die Nacken der Ansässigen Jahr für Jahr tiefer beugten. Die Jungen zogen weg, und die Älteren träumten von vergangenen Zeiten. Sie war selber eine von vielen, die es vorgezogen hatten, diese Gegend zu verlassen.

Jetzt erhöhte sie das Tempo noch mehr und bog nach links zur Steigung ab, die zur Håkebackenschule führte. Als sich Erica dem Kamm näherte, hörte sie Eilert Berg etwas schreien, doch verstand sie nicht, was er wollte. Er fuchtelte mit den Armen und lief ihr entgegen.

»Sie ist tot.«

Eilert atmete in kurzen raschen Stößen, und ein häßlicher pfeifender Laut entwich seiner Brust.

»Beruhige dich, Eilert, was ist passiert?«

»Sie liegt tot dort drinnen.«

Er wies auf das große hellblaue Holzhaus ganz oben auf dem Kamm und schaute sie auffordernd an.

Es dauerte ein Weilchen, bis Erica seine Worte registriert hatte, doch erst als sie die störrische Gartentür aufschob und durch den Schnee auf den Eingang zustapfte, drangen sie ihr ins Bewußtsein. Eilert hatte die Tür offengelassen, und sie trat vorsichtig über die Schwelle, unsicher, was sie dort wohl erwarten würde. Aus irgendeinem Grund war ihr nicht eingefallen, genauer danach zu fragen.

Eilert folgte ihr abwartend und zeigte stumm auf das Badezimmer im Erdgeschoß. Erica wollte nichts überstürzen, sie drehte sich um und blickte Eilert fragend an. Er war fahl im Gesicht, und seine Stimme klang ganz dünn, als er sagte: »Dort drinnen.«

Es war lange her, daß Erica dieses Haus betreten hatte, aber früher kannte sie sich hier gut aus, und deshalb wußte sie, wo das Bad lag. Trotz ihrer warmen Kleider schauderte es sie in der kalten Luft. Die Tür zum Badezimmer schwang langsam nach innen auf, und sie ging hinein.

Sie wußte nicht genau, was sie nach Eilerts knappen Angaben erwartet hatte, doch nichts hatte sie auf das hier vorbereitet. Das Badezimmer war völlig weiß gefliest, was die Wirkung all des Blutes in und um die Badewanne noch verstärkte. Eine Sekunde lang fand sie den Kontrast sogar schön, doch dann begriff sie, daß tatsächlich ein Mensch in der Wanne lag.

Trotz der unnatürlich weißen und blauen Farbschattierungen des Körpers erkannte Erica die Frau sofort wieder. Es war Alexandra Wijkner, geborene Carlgren, Tochter jener Familie, der dieses Haus gehörte. Als Kinder waren die beiden Mädchen eng befreundet gewesen, doch das schien eine Ewigkeit her zu sein. Jetzt war die Frau in der Wanne für Erica fast eine Fremde.

Barmherzigerweise waren die Augen der Leiche geschlossen, aber die Lippen leuchteten in einem scharfen Blau. Eine dünne Eiskruste umschloß den Rumpf und verbarg den Unterleib. Der rechte, von roten Rinnsalen gezeichnete Arm hing schlaff auf den Boden hinunter, und die Finger waren in die geronnene Blutlache getaucht. Eine Rasierklinge lag auf dem Wannenrand. Der andere Arm war nur bis kurz über dem Ellenbogen zu sehen, der Rest lag unter dem Eis verborgen. Auch die Knie ragten aus der gefrorenen Oberfläche auf. Alex’ helles Haar lag wie ein Fächer über das Kopfende der Badewanne gebreitet, doch wirkte es in der frostigen Luft spröde und starr.

Erica stand lange da und sah sie an. Sie fror vor Kälte und vor Einsamkeit. Langsam zog sie sich aus dem Zimmer zurück.

Hinterher war ihr, als hätte sich alles wie in einem dicken Nebel abgespielt. Sie hatte den Notarzt auf ihrem Handy angerufen und zusammen mit Eilert gewartet, bis er und der Krankenwagen eingetroffen waren. Sie erkannte die Anzeichen des Schockzustands wieder, genauso war es gewesen, als sie die Nachricht vom Tod ihrer Eltern erhalten hatte, und sobald sie nach Hause kam, goß sie sich einen großen Kognak ein. Vielleicht nicht gerade das Mittel, was der Doktor verschrieben hätte, aber es tat seine Wirkung, und ihre Hände hörten auf zu zittern.

Der Anblick von Alex hatte sie in ihre Kindheit zurückversetzt.

Es war mehr als fünfundzwanzig Jahre her, daß sie beide allerbeste Freundinnen geworden waren, und obwohl Erica seitdem vielen Menschen begegnet war, hatte Alex in ihrem Herzen noch immer einen besonderen Platz. Aber sie waren ja damals noch Kinder gewesen, später als Erwachsene blieben sie sich fremd. Dennoch fiel es Erica schwer, sich mit dem Gedanken abzufinden, daß Alex sich das Leben genommen hatte. Zu dem Schluß war sie nach dem, was sie gesehen hatte, unweigerlich gekommen. Die Alexandra, an die sie sich erinnerte, war eine der lebendigsten und ausgeglichensten Personen gewesen, die sie kannte. Eine schöne, selbstbewußte Frau mit einer Ausstrahlung, die andere Menschen dazu brachte, sich nach ihr umzudrehen. Nach allem, was Erica zu Ohren gekommen war, hatte es das Leben – genau wie sie es sich immer gedacht hatte – äußerst gut mit ihrer Schulfreundin gemeint. Alex führte eine Kunstgalerie in Göteborg, war mit einem Mann verheiratet, der nicht nur blendend aussah, sondern auch Erfolg hatte, und sie wohnten auf der Insel Särö in einem Haus, das an einen Herrensitz erinnerte. Aber irgend etwas war offenbar nicht in Ordnung gewesen.

Erica spürte, daß sie sich ablenken mußte, und wählte daher die Nummer ihrer Schwester.

»Hast du geschlafen?«

»Machst du Scherze? Adrian hat mich seit drei Uhr morgens wach gehalten, und als er gegen sechs endlich eingeschlafen ist, wachte Emma auf und wollte spielen.«

»Konnte nicht ausnahmsweise mal Lucas aufstehen?«

Eisiges Schweigen am anderen Ende der Leitung, und Erica biß sich auf die Zunge.

»Er hat heute eine wichtige Sitzung, und da muß er ausgeruht sein. Im Moment ist außerdem die Situation in der Firma äußerst turbulent, ihnen steht eine kritische strategische Phase bevor.«

Annas Stimme wurde lauter, und Erica konnte einen Unterton von Hysterie vernehmen. Lucas hatte immer eine gute Entschuldigung parat, und Anna hatte ihn wahrscheinlich wortwörtlich zitiert. Ging es nicht um eine wichtige Sitzung, dann war Lucas von all den schwerwiegenden Entscheidungen gestreßt, die er ständig zu treffen hatte, oder er war völlig mit den Nerven am Ende, weil man als erfolgreicher Geschäftsmann – Originalton Lucas – immer unter Druck stand. Die ganze Verantwortung für die Kinder, eine lebhafte Dreijährige und ein vier Monate altes Baby, lag somit bei Anna. Als Erica sie bei der Beerdigung der Eltern getroffen hatte, sah sie zehn Jahre älter aus, als sie mit ihren dreißig Jahren war.

»Honey, don’t touch that.«

»Also im Ernst, meinst du nicht, es wäre an der Zeit, mit Emma schwedisch zu sprechen?«

»Lucas findet, wir sollten hier zu Hause englisch reden. Er sagt, daß wir ohnehin schon wieder in London sein werden, bevor sie in die Schule kommt.«

Erica war es leid, ständig diese Floskel zu hören: »Lucas findet, Lucas sagt, Lucas ist der Meinung, daß …« In ihren Augen war der Schwager ein typisches Beispiel für einen Dreckskerl Erster Klasse.

Anna hatte ihn in London kennengelernt, wo sie als Au pair gewesen war, und sie hatte sich umgehend von dem stürmischen Werben des zehn Jahre älteren erfolgreichen Börsenmaklers Lucas Maxwell umgarnen lassen. Ihre Studienpläne gab sie auf und widmete sich statt dessen der Aufgabe, die perfekte repräsentative Ehefrau zu sein. Das Problem war nur, daß Lucas ein Mensch war, der sich nie mit etwas zufriedengab. Anna hatte von klein auf immer nur das gemacht, wozu sie selbst Lust hatte. Doch seit sie Lucas kannte, war ihre eigene Persönlichkeit wie ausradiert. Bis die Kinder geboren wurden, hatte Erica immer noch gehofft, daß die Schwester Vernunft annehmen, Lucas verlassen und ein eigenes Leben beginnen würde, aber als erst Emma und dann Adrian zur Welt kamen, hatte sie begriffen, daß der Schwager leider gekommen war, um zu bleiben.

»Ich schlage vor, daß wir das Thema Lucas und seine Ansichten zur Kindererziehung beiseite lassen. Was haben Tantes Lieblinge seit dem letzten Mal so angestellt?«

»Tja, nur das Übliche, du weißt … Emma hatte gestern eine Wahnsinnsidee, und es ist ihr gelungen, Kindersachen im Wert eines kleinen Vermögens zu zerschneiden, bis ich sie dabei erwischt habe, und Adrian hat drei Tage lang ununterbrochen geschrien oder sich erbrochen.«

»Das klingt, als könntest du einen Tapetenwechsel gebrauchen. Kannst du nicht die Kinder nehmen und für eine Woche herkommen? Außerdem hätte ich nichts gegen ein bißchen Hilfe, um das eine oder andere durchzugehen. Wir müssen uns ja auch bald um die Papiere und all das kümmern.«

»Jaa, wir wollten sowieso mit dir über die Sache reden.«

Wie immer, wenn Anna sich gezwungen sah, etwas Unangenehmes zur Sprache zu bringen, begann ihre Stimme spürbar zu zittern. Erica war sofort auf der Hut. Dieses »wir« hörte sich unheildrohend an. Sobald Lucas die Hand im Spiel hatte, ging es normalerweise um etwas, das ihn selber begünstigte und allen anderen Beteiligten zum Schaden gereichte.

Erica wartete, daß Anna weitersprach.

»Lucas und ich haben doch die Absicht, nach London zurückzuziehen, sobald er die Filiale hier in Schweden ordentlich etabliert hat. Irgendwie hatten wir ja nicht geplant, uns um ein Haus sorgen zu müssen, das man schließlich nicht sich selbst überlassen kann. Auch für dich wird es doch nicht gerade ein Vergnügen, wenn du so ein großes Haus in der Provinz am Hals hast, ich meine ohne Familie und so …«

Das Schweigen war undurchdringlich.

»Was willst du damit sagen?« Erica drehte eine Strähne ihrer lockigen Haare um den Zeigefinger, eine Angewohnheit aus Kindertagen, der sie, wenn sie nervös wurde, nicht ausweichen konnte.

»Jaa … Lucas findet, wir sollten das Haus verkaufen. Wir sehen keine Möglichkeit, uns darum zu kümmern. Außerdem würden wir, wenn wir zurückziehen, ein Haus in Kensington kaufen wollen, und auch wenn Lucas mehr als gut verdient, wäre das mit dem Geld, was wir für Fjällbacka bekommen, schon ein Unterschied. Ich meine, Häuser an der Westküste in dieser Lage gehen ja für mehrere Millionen weg. Die Deutschen sind wie verrückt nach Meeresluft und Seeblick.«

Anna argumentierte immer weiter, aber Erica fühlte, daß sie genug hatte, und sie legte den Hörer langsam, mitten in einem Satz, auf. Ablenkung hatte sie wirklich bekommen.

Sie war für Anna immer mehr eine Mutter als eine große Schwester gewesen. Schon als sie noch klein waren, hatte Erica sie beschützt und auf sie aufgepaßt. Anna war ein richtiges Naturkind gewesen, ein Wirbelwind, der den eigenen Impulsen nachgab, ohne sich Gedanken über die Folgen zu machen. Erica hatte die Schwester öfter, als sie zählen konnte, aus Situationen gerettet, in die sie sich selbst gebracht hatte. Doch Lucas hatte ihr alle Spontaneität und Lebensfreude ausgetrieben. Das war es vor allem, was Erica ihm nicht verzeihen konnte.

Am nächsten Morgen erschien ihr der vergangene Tag irgendwie unwirklich. Erica hatte tief und traumlos geschlafen, trotzdem hatte sie das Gefühl, kaum ein Auge zugemacht zu haben. Sie war so müde, daß sie sich wie zerschlagen fühlte. Ihr Magen knurrte bedenklich, doch ein rascher Blick in den Kühlschrank überzeugte sie, daß ein Besuch in Evas Supermarkt unumgänglich war, damit sie etwas zu sich nehmen konnte.

Drinnen im Ort war kein Mensch zu sehen, und am Ingrid-Bergman-Platz gab es keinerlei Spuren des lebhaften Betriebs, der hier in den Sommermonaten herrschte. Die Sicht war gut, es war weder neblig noch diesig, und Erica konnte bis zur äußersten Landzunge von Valön sehen, die sich am Horizont abzeichnete und die zusammen mit Kråkholmen jene schmale Öffnung begrenzte, durch die man in die äußeren Schären gelangte.

Erst als sie die Steigung von Galärbacken ein gutes Stück hinaufgekommen war, traf sie auf den ersten Menschen. Auf diese Begegnung hätte sie gern verzichtet, und instinktiv sah sie sich nach einem Fluchtweg um.

»Guten Morgen.«

Elna Perssons Stimme war von einem unverschämt munteren Zwitschern. »Geht hier unsere eigene kleine Schriftstellerin in der Morgensonne spazieren?«

Erica ächzte stumm. »Ja, ich wollte zu Evas Laden und ein bißchen einkaufen.«

»Du Ärmste, du mußt ja völlig am Boden zerstört sein nach dem schrecklichen Erlebnis.«

Elnas Doppelkinn schwabbelte vor Erregung, und Erica fand, daß sie wie ein kleiner fetter Sperling aussah. Der Wollmantel hatte einen Stich ins Grüne, umhüllte Elnas Körper von den Schultern bis zu den Füßen und hinterließ den Eindruck, daß es sich um eine einzige unförmige Masse handelte. In den Händen hielt Elna die Handtasche mit festem Griff. Auf dem Kopf balancierte ein unverhältnismäßig kleiner Hut. Das Material sah aus wie Filz, und wie der Mantel war der Hut von unbestimmbarer, irgendwie moosgrüner Farbe. Die kleinen Augen lagen tief in eine schützende Fettschicht gebettet. Jetzt blickten sie Erica auffordernd an. Offenbar wurde erwartet, daß sie die Behauptung kommentierte.

»Ja, sicher, das war nicht besonders schön.«

Elna nickte verständnisvoll. »Ja, ich bin zufällig Frau Rosengren begegnet, und die hat erzählt, daß sie an Carlgrens Haus vorbeigefahren ist und dich und einen Krankenwagen davor gesehen hat, und wir haben ja sofort begriffen, daß was Schreckliches passiert sein mußte. Und als ich dann am Nachmittag zufällig bei Doktor Jacobsson angerufen habe, erfuhr ich von dem tragischen Ereignis. Ja, natürlich nur ganz im Vertrauen. Ärzte haben ja Schweigepflicht, und so was muß man schließlich respektieren.«

Sie nickte oberschlau, um zu zeigen, wie sehr sie auf Doktor Jacobssons Schweigepflicht Rücksicht nahm.

»So eine junge Frau noch und all das. Da fragt man sich doch, was dahintersteckt. Ich persönlich war ja immer der Meinung, daß Alex mächtig überspannt war. Ich kenne ja ihre Mutter Birgit von früher, und die war doch schon immer ein einziges Nervenbündel, und man weiß ja, daß so was erblich ist. Hochnäsig ist sie auch geworden, Birgit meine ich, als Karl-Erik in Göteborg so einen feinen Direktorsposten bekam. Da war Fjällbacka plötzlich nicht mehr gut genug. Nein, es mußte die Großstadt sein. Aber ich sag dir, Geld macht keinen glücklich. Hätte das Mädel hier aufwachsen dürfen, statt mit der Wurzel ausgerissen und in die Großstadt verpflanzt zu werden, dann wäre es sicher nicht dazu gekommen. Ich glaube sogar, man hatte die Ärmste in irgendeine Schule in der Schweiz gesteckt, und wie es an solchen Orten zugeht, das weiß man ja schließlich. Ja, ja, so was hinterläßt Spuren fürs ganze Leben. Bevor sie von hier weggezogen sind, war die Kleine das fröhlichste und munterste Mädel, das es überhaupt gab. Habt ihr nicht als Kinder zusammen gespielt? Ja, ich meine wirklich, daß …«

Elna fuhr mit ihrem Monolog fort, und Erica, die kein Ende des Ärgernisses absehen konnte, begann fieberhaft nach einem Grund zu suchen, um sich aus dem Gespräch, das immer unangenehmere Formen annahm, zu verabschieden. Als Elna eine Pause einlegte, um nach Luft zu schnappen, sah Erica ihre Chance gekommen.

»Es war wirklich sehr nett zu reden, aber jetzt muß ich leider gehen. Da ist eine Menge zu erledigen, wie du sicher verstehst.«

Sie setzte einen äußerst dramatischen Gesichtsausdruck auf und hoffte, Elna auf das verlockende Nebengleis führen zu können.

»Ja, selbstverständlich, meine Liebe. Ich habe nicht darüber nachgedacht. Das hier muß ja für dich schrecklich schwer sein, so kurz nach eurer eigenen Familientragödie. Entschuldige die Unbedachtsamkeit einer alten Frau.«

Zu dem Zeitpunkt war Elna von sich selber fast zu Tränen gerührt, und Erica nickte deshalb nur gnädig und verabschiedete sich eilig. Mit einem Seufzer der Erleichterung setzte sie ihren Weg zu Evas Supermarkt fort und hoffte, von weiteren neugierigen Damen verschont zu bleiben.

Aber das Glück war ihr nicht hold. Unerbittlich wurde sie von der Mehrzahl aufgeregter Fjällbacka-Bewohner in die Mangel genommen, und sie wagte nicht aufzuatmen, bis sie in Reichweite ihres eigenen Zuhauses war. Eine Bemerkung aber, die jemand gemacht hatte, ließ sie nicht mehr los: Alex’ Eltern seien spät am gestrigen Abend im Ort angekommen und wohnten jetzt bei Birgits Schwester.

Erica stellte die Einkaufsbeutel auf den Küchentisch und begann die Lebensmittel auszupacken. Trotz aller guten Vorsätze waren die Tüten nicht mit so viel gesunden Dingen gefüllt, wie sie geplant hatte, bevor sie in den Laden ging. Aber wenn sie sich selbst an einem derart fürchterlichen Tag nicht ein paar Leckerbissen gönnen konnte, ja wann denn dann? Wie auf Bestellung knurrte ihr Magen, und sie legte wohl an die zwölf rote Weightwatcher-Punkte in Form zweier Zimtschnecken auf einen Teller und genehmigte sich das Ganze zusammen mit einer Tasse Kaffee.

Es war ein schönes Gefühl, hier zu sitzen und die wohlbekannte Aussicht aus dem Fenster zu genießen, doch an die Stille des Hauses hatte sie sich noch immer nicht gewöhnt. Zwar hatte sie auch früher manchmal allein daheim gesessen, aber das war nicht dasselbe gewesen. Da spürte man die Anwesenheit, man war sich bewußt, daß jeden Moment jemand zur Tür hereinkommen konnte. Jetzt aber war es, als hätte das Haus seine Seele verloren.

Am Fenster lag Vaters Pfeife und wartete darauf, mit Tabak gestopft zu werden. In der Küche hing der Pfeifengeruch noch in der Luft, doch Erica fand, daß er mit jedem Tag schwächer wurde. Sie hatte diesen Geruch immer geliebt. Als sie klein war, saß sie oft auf Vaters Schoß, legte den Kopf an seine Brust und hielt die Augen geschlossen. Der Rauch hatte sich in seiner Kleidung festgesetzt, und in ihrer Kinderwelt hatte dieser Geruch immer Geborgenheit bedeutet.

Ericas Verhältnis zur Mutter war unendlich komplizierter gewesen. Ihr fiel keine einzige Gelegenheit ein, bei der die Mutter ihr, dem Kind, mit Zärtlichkeit begegnet war. Keine Umarmung, kein Streicheln, kein Wort des Trostes. Elsy Falck war eine harte, unversöhnliche Frau gewesen, die ihr Zuhause in tadellosem Zustand hielt, sich aber nie gestattete, über irgend etwas im Leben Freude zu empfinden. Sie war tief religiös, und wie so viele andere Bewohner der Küstenorte von Bohuslän war sie in einer Gesellschaft aufgewachsen, die noch immer von den Lehren des Pastors Schartau geprägt war. Die Mutter hatte von klein auf lernen müssen, daß das Leben ein einziges langes Leiden war und man die Belohnung erst im Leben danach erhielt. Erica hatte sich oft gefragt, was der Vater, der so gutmütig und humorvoll war, an Elsy gefunden hatte, und einmal, als Teenager, hatte sie ihm die Frage im Zorn an den Kopf geworfen. Er war nicht böse geworden, sondern hatte sich nur hingesetzt und ihr den Arm um die Schulter gelegt. Dann hatte er gesagt, sie solle ihre Mutter nicht so hart verurteilen. Manchen Menschen falle es schwerer als anderen, ihre Gefühle zu zeigen, erklärte er und strich ihr über die Wangen, die noch immer vor Wut gerötet waren. Sie hatte damals nicht zugehört und war noch heute überzeugt, daß er nur die Tatsache bemänteln wollte, die für Erica offensichtlich war: Ihre Mutter hatte sie nie geliebt, und das war etwas, was sie den Rest des Lebens mit sich herumschleppen mußte.

Erica beschloß, ihrer Intuition zu folgen und Alexandras Eltern aufzusuchen. Eine Mutter oder einen Vater zu verlieren war schwer, doch entsprach das dennoch einer gewissen natürlichen Ordnung. Ein Kind zu verlieren mußte entsetzlich sein. Außerdem waren Alexandra und sie sich früher einmal so nahe gewesen, wie es zwei Busenfreundinnen nur sein konnten. Auch wenn das jetzt schon lange zurücklag, so war doch ein großer Teil ihrer fröhlichen Kindheitserinnerungen eng mit Alex und ihrer Familie verknüpft.

Das Haus wirkte verlassen. Alexandras Tante und ihr Onkel wohnten in der Tallgatan, auf halbem Weg zwischen Fjällbakkas Zentrum und dem Campingplatz von Sälvik. Die Häuser lagen hoch am Hang, und die Rasenflächen fielen steil zur Straße ab, auf jener Seite, die zum Wasser wies. Der Eingang befand sich auf der Rückseite des Hauses, und Erica zögerte, bevor sie läutete. Das Klingelzeichen ertönte und erstarb dann. Kein Laut war von innen zu hören. Sie wollte gerade kehrtmachen, als die Tür langsam aufging.

»Ja?«

»Guten Tag, ich bin Erica Falck. Ich war es, die …«

Sie ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen. Es war idiotisch, sich so formell vorzustellen. Alex’ Tante Ulla Persson wußte sehr wohl, wen sie vor sich hatte. Ericas Mutter und Ulla waren viele Jahre zusammen im Kirchenverein aktiv gewesen, und an manchen Sonntagen war Ulla auf eine Tasse Kaffee mit zu ihnen gekommen.

Jetzt trat sie zur Seite und ließ Erica in den Flur. Im Haus brannte nicht eine Lampe. Zwar fehlten noch ein paar Stunden bis zum Abend, aber die Nachmittagsdämmerung war bereits angebrochen, und die Schatten fielen weit. Aus dem Zimmer, das geradeaus lag, erklang gedämpftes Schluchzen. Erica zog Schuhe und Mantel aus. Sie ertappte sich selbst dabei, alles äußerst leise und vorsichtig zu tun, denn die Stimmung im Haus gestattete nichts anderes. Ulla verschwand in der Küche und ließ Erica allein weitergehen. Als sie das Wohnzimmer betrat, verstummte das Weinen. In einer Polstergarnitur, die vor einem riesigen Panoramafenster stand, saßen Birgit und Karl-Erik Carlgren und hielten sich krampfhaft aneinander fest. Über ihre Gesichter zogen sich nasse Streifen, und Erica hatte das Gefühl, einen sehr privaten Bereich zu betreten. Einen Raum, in den sie vielleicht nicht hätte eindringen sollen. Doch jetzt war es zu spät, um es sich anders zu überlegen. Vorsichtig setzte sie sich auf das Sofa gegenüber und faltete die Hände im Schoß. Noch immer hatte niemand ein Wort gesagt.

»Wie hat sie ausgesehen?«

Erica hatte Birgits Frage zuerst fast nicht verstanden. Die Stimme klang dünn wie die eines Kindes. Sie wußte nicht, was sie antworten sollte. »Einsam«, brachte sie schließlich heraus und bereute es sofort.

»Ich habe nicht gemeint …« Der Satz brach ab und ging im Schweigen unter.

»Sie hat sich nicht das Leben genommen!« Birgits Stimme hatte mit einemmal Kraft. Karl-Erik drückte die Hand seiner Frau und nickte zustimmend. Vermutlich sahen sie die Skepsis in Ericas Gesicht, denn Birgit wiederholte noch einmal: »Sie hat sich nicht das Leben genommen! Ich kenne sie besser als irgendwer sonst, und ich weiß, daß sie nie imstande gewesen wäre, sich das Leben zu nehmen. Dazu fehlte ihr der Mut! Du mußt es doch auch wissen. Du hast sie doch gekannt!«

Mit jeder Silbe richtete sie sich ein bißchen mehr auf, und Erica sah, daß sich in ihren Augen ein Funken entzündete. Immer wieder öffnete und schloß Birgit die Hände und schaute Erica direkt in die Augen, bis eine von ihnen gezwungen war, den Blick abzuwenden. Es war Erica. Sie sah sich statt dessen im Zimmer um. Nur um die Trauer von Alexandras Mutter nicht sehen zu müssen.

Das Zimmer war gemütlich eingerichtet, aber ein bißchen zu herausgeputzt für Ericas Geschmack. Die Gardinen hatten eine raffinierte Aufhängung und dicke Volants, und sie paßten zu den Sofakissen, deren Bezüge aus demselben großblumigen Stoff genäht waren. Auf jeder freien Fläche stand irgendein Zierat. Geschnitzte Holzschalen in Kunstgewerbeart, mit bestickten Dekorationsbändern geschmückt, teilten sich den Raum mit Porzellanhunden, deren Augen ewig feucht schienen. Was das Zimmer rettete, war das Panoramafenster, durch das man eine phantastische Aussicht hatte. Erica hätte diesen Moment am liebsten festgehalten, sie wünschte, einfach weiter durch das Fenster schauen zu können, statt in die Trauer dieser Menschen hineingezogen zu werden. Dennoch sah sie die Carlgrens erneut an.

»Birgit, ich weiß wirklich nicht. Es ist ja fünfundzwanzig Jahre her, daß Alexandra und ich befreundet waren. Ich weiß eigentlich nichts darüber, wie sie gewesen ist. Manchmal kennt man jemanden ja auch nicht so gut, wie man denkt …«

Als die Worte gegen die Wände prallten, hörte Erica selbst, wie lahm ihr Einwand klang. Diesmal antwortete Karl-Erik. Er löste sich aus Birgits Griff und beugte sich vor, als wollte er sichergehen, daß Erica nicht ein Wort von dem verpaßte, was er zu sagen hatte.

»Ich weiß, es klingt, als wollten wir das Geschehene nicht wahrhaben, und vielleicht machen wir im Moment auch nicht gerade einen gefaßten Eindruck, aber selbst wenn sich Alex aus irgendeinem Grund das Leben nehmen wollte, hätte sie es nie, ich wiederhole: nie, auf diese Weise getan! Du erinnerst dich doch noch, was für fürchterliche Angst Alex vor Blut hatte. Selbst wenn sie sich nur ein kleines bißchen geschnitten hatte, wurde sie vollkommen hysterisch, bis endlich ein Pflaster auf der Wunde klebte. Sie wurde sogar ohnmächtig, wenn sie Blut sah. Deshalb bin ich vollkommen überzeugt, daß sie sich zum Beispiel eher für Schlaftabletten entschieden hätte. Es ist absurd, anzunehmen, daß Alex es fertiggebracht hätte, eine Rasierklinge zu benutzen und sich selber damit die Adern aufzuschneiden, erst an einem Arm und dann am anderen. Außerdem ist es genau so, wie meine Frau gesagt hat. Alex war schwach. Sie war keine mutige Person. Dieser Schritt, das eigene Leben zu beenden, erfordert innere Kraft. Sie hat diese Kraft nicht besessen.«

Seine Stimme klang eindringlich, und obwohl Erica noch immer überzeugt war, daß das, was sie hier hörte, der Hoffnung zweier verzweifelter Menschen entsprang, konnte sie einen leisen Zweifel nicht abwehren. Wenn sie genau nachdachte, hatte sie gestern morgen, als sie das Badezimmer betrat, das Gefühl verspürt, daß irgend etwas nicht stimmte. Wenn man auf eine Leiche stieß, war natürlich etwas faul, aber trotzdem war die Atmosphäre des Raumes irgendwie merkwürdig gewesen. Man hatte den Eindruck einer Anwesenheit, eines Schattens. Besser konnte sie es beim besten Willen nicht beschreiben. Sie glaubte noch immer, daß Alexandra Wijkner von irgend etwas in den Selbstmord getrieben worden war, dennoch konnte sie nicht leugnen, daß das hartnäckige Insistieren des Ehepaars Carlgren sie nicht völlig unberührt ließ.

Ihr fiel plötzlich auf, wie sehr die erwachsene Alex im Aussehen ihrer Mutter geglichen hatte. Birgit Carlgren war klein und schlank, hatte dasselbe hellblonde Haar wie die Tochter, doch statt Alex’ langer Mähne trug sie einen eleganten kurzen Pagenschnitt. Jetzt war sie ganz in Schwarz gekleidet, und trotz ihrer Trauer schien sie sich ihrer auffallenden Erscheinung bewußt, die auf dem Kontrast zwischen Hell und Dunkel beruhte. Kleine Gesten offenbarten ihre Eitelkeit. Die Hand, die vorsichtig über die Frisur strich, der Kragen, der perfekt gerichtet wurde. Erica erinnerte sich, daß Birgits Garderobe für sie als Achtjährige, die sich im Verkleidungsalter befand, das reinste Mekka gewesen war, und das Schmuckkästchen hatte beide Mädchen dem Himmel auf Erden so nahe gebracht, wie sie ihm in jener Zeit überhaupt kommen konnten.

Neben Birgit sah ihr Gatte äußerst alltäglich aus. Keineswegs unattraktiv, aber dennoch unauffällig. Er hatte ein schmales, längliches Gesicht, in dem feine Linien eingeritzt waren, und der Haaransatz hatte sich weit den Scheitel hinaufgeschoben. Auch Karl-Erik war ganz in Schwarz gekleidet, doch im Unterschied zu seiner Frau wirkte er dadurch noch grauer. Erica spürte, daß es an der Zeit war aufzubrechen. Sie fragte sich, was sie mit diesem Besuch eigentlich bezwecken wollte. Sie erhob sich, und dasselbe taten die Carlgrens. Birgit schaute ihren Mann auffordernd an, ermahnte ihn mit dem Blick, etwas zu sagen.

»Wir hätten gern, daß du einen Nachruf für Alex schreibst. Einen Artikel, der in der ›Bohuslän Tidning‹ veröffentlicht werden soll. Über ihr Leben, ihre Träume – und ihren Tod. Eine Wertschätzung ihrer Person, das würde Birgit und mir ungeheuer viel bedeuten.«

»Aber wollt ihr es nicht lieber in die ›Göteborgsposten‹ setzen? Ich meine, dort in der Stadt hat sie doch gewohnt? Und ihr wohnt ja auch dort.«

»Fjällbacka war und wird immer unser Zuhause sein. Und das galt auch für Alex. Du kannst als erstes mit ihrem Mann Henrik reden. Wir haben mit ihm gesprochen, und er steht zur Verfügung. Du bekommst selbstverständlich eine Vergütung all deiner Auslagen.«

Damit hielten sie offenbar das Gespräch für beendet. Ohne den Auftrag eigentlich akzeptiert zu haben, stand Erica, als die Haustür hinter ihr ins Schloß fiel, auf der Vortreppe und hielt Henrik Wijkners Telefonnummer und Adresse in der Hand. Obwohl sie, wenn sie ehrlich sein sollte, diesen Auftrag eigentlich nicht hatte annehmen wollen, begann ein Gedanke in ihr zu keimen, der der Gedanke einer Autorin war. Erica verjagte ihn und fühlte sich als schlechter Mensch, weil sie ihn überhaupt zugelassen hatte, aber er war hartnäckig und weigerte sich zu verschwinden. Der Stoff zu einem eigenen Buch, nach dem sie so lange gesucht hatte, lag direkt vor ihr. Die Geschichte über den Weg eines Menschen ins Verhängnis. Die Erklärung, was es war, das eine junge, schöne und offenbar privilegierte Frau in den selbstgewählten Tod trieb. Ja, natürlich würde Alex’ Name nicht fallen, aber es wäre eine Geschichte, die auf dem basierte, was sie über ihren Weg in den Tod in Erfahrung bringen würde. Erica hatte bislang vier Bücher publiziert, aber es hatte sich um Biographien großer Autorinnen gehandelt. Den Mut, eigene Geschichten zu schreiben, hatte sie noch immer nicht aufbringen können, aber sie wußte, daß in ihr ganze Bücher darauf warteten, aufs Papier gebracht zu werden. Diese Sache hier könnte vielleicht den Anstoß geben, die Inspiration sein, nach der sie so lange gesucht hatte. Daß sie Alex früher einmal gekannt hatte, war nur von Vorteil.

Als Mensch wand sie sich vor Unbehagen bei diesem Gedanken, aber die Autorin jubelte.

Der Pinsel setzte breite rote Striche auf die Leinwand. Seit dem Morgengrauen hatte er gemalt, und jetzt, nach Stunden, trat er das erste Mal einen Schritt zurück, um sich anzusehen, was er geschaffen hatte. Für ein ungeübtes Auge waren nur breite Felder in Rot, Orange und Gelb auszumachen, unregelmäßig angeordnet auf der großen Leinwand. Für ihn selbst bedeuteten sie Demütigung und Resignation, wiedererschaffen in den Farben der Leidenschaft.

Er malte stets mit denselben Farben. Die Vergangenheit schrie, verhöhnte ihn von der Leinwand, und sein Malen wurde immer frenetischer.

Nach einer weiteren Stunde kam er zu dem Schluß, daß er sich das erste Bier des Vormittags verdient hatte. Er nahm die Dose, die am nächsten stand, und ignorierte, daß er sie gestern abend irgendwann als Aschenbecher benutzt hatte. Aschenkrümel blieben ihm am Mund hängen, dennoch trank er gierig weiter von dem abgestandenen Bier und warf die Büchse auf den Boden, nachdem er den letzten Tropfen von den Lippen geleckt hatte.

Die Unterhose, mit der er lediglich bekleidet war, hatte an der Vorderseite gelbe Flecken von Bier oder eingetrocknetem Urin. Die fettigen Haare hingen ihm ein Stück auf die Schultern hinunter, und seine bleiche Brust war eingesunken. Das Gesamtbild von Anders Nilsson war das eines Wracks, aber das Gemälde, das auf seiner Staffelei stand, zeugte von einem Talent, das im scharfen Gegensatz zum Verfall des Künstlers stand.

Jetzt sank er auf den Boden und lehnte sich dem Bild gegenüber an die Wand. Neben ihm lag eine ungeöffnete Bierdose, und er genoß das puffende Geräusch beim Aufziehen des Verschlusses. Die Farben schrien ihm von der Leinwand entgegen und erinnerten ihn an das, was er hatte vergessen wollen. Den größten Teil seines Lebens hatte er genau darauf verwandt. Warum, zum Teufel, mußte sie jetzt alles kaputtmachen! Warum konnte sie die Sache nicht einfach so lassen, wie sie war? Die egoistische blöde Hure dachte nur an sich selber. Kühl und unschuldig wie eine verdammte Prinzessin. Aber er wußte genau, was unter der Oberfläche gärte. Sie beide waren aus einem Guß. Jahre der gemeinsamen Qual hatten sie geformt und zusammengeschweißt, und plötzlich glaubte sie, sie könne die Ordnung des Ganzen selbsttätig ändern.

»Scheiße.«

Er brüllte das Wort heraus und schleuderte die noch immer halbvolle Dose direkt in die Leinwand. Das Bild ging nicht kaputt, was ihn noch mehr reizte, es federte nur zurück, und die Bierbüchse fiel zu Boden. Die Flüssigkeit war über das Gemälde gespritzt, und Rot, Orange und Gelb fingen an zu zerlaufen und sich zu neuen Nuancen zu mischen. Er betrachtete zufrieden die Wirkung.

Nach dem gestrigen, rund um die Uhr dauernden Besäufnis war er immer noch nicht nüchtern, und das Bier zeigte schnell Wirkung trotz der hohen Alkoholverträglichkeit, die er sich durch jahrelanges hartes Training zugelegt hatte. Langsam glitt er in die wohlbekannten Nebel hinein, in der Nase den Geruch von altem Erbrochenem.

Sie hatte einen eigenen Schlüssel zur Wohnung. Im Flur trat sie sich ordentlich die Schuhe ab, obwohl sie wußte, daß es völlig sinnlos war. Draußen war es sauberer als drinnen. Sie stellte die Einkaufstüten ab und hängte ihren Mantel sorgfältig auf einen Bügel. Es hatte keinen Sinn zu rufen. Zu diesem Zeitpunkt war er vermutlich schon nicht mehr bei sich.

Die Küche lag links vom Flur und befand sich in ebenso erbärmlichem Zustand wie immer. Der Abwasch mehrerer Wochen stapelte sich nicht nur in der Spüle, sondern auf Tisch und Stühlen und sogar auf dem Boden. Kippen, Bierbüchsen und leere Flaschen standen und lagen überall herum.

Sie öffnete die Kühlschranktür, um die Lebensmittel hineinzustellen, und sah, daß es diesmal höchste Zeit war. Es herrschte gähnende Leere. Nachdem sie eine Weile herumhantiert hatte, war wieder alles gefüllt. Sie blieb einen Moment stehen, um Kraft zu sammeln.

Das hier war nur eine kleine Einzimmerwohnung, weshalb derselbe Raum als Wohn- und Schlafzimmer diente. Die wenigen Möbel, die es hier gab, hatte sie herbringen lassen, aber es war nicht sehr viel gewesen, was sie hatte beitragen können. Im Zimmer dominierte statt dessen die große Staffelei vor dem Fenster. In der einen Ecke lag eine schäbige Matratze auf dem Boden. Sie hatte es sich nie leisten können, ihm ein ordentliches Bett zu kaufen.

Anfangs hatte sie versucht, ihm zu helfen, sein Zuhause und sich selbst ansehnlich zu halten. Hatte gewischt, geräumt, seine Sachen gewaschen und mindestens genausooft auch ihn selbst. Damals hatte sie noch gehofft, daß sich alles bald ändere. Daß sich die Sache von ganz allein geben würde. Das war jetzt viele Jahre her. Irgendwann auf diesem Weg hatte sie keine Kraft mehr gehabt. Jetzt begnügte sie sich damit, ihn wenigstens mit Lebensmitteln zu versorgen.

Sie wünschte oft, daß sie noch imstande wäre, mehr zu tun. Die Schuld lastete schwer auf Brust und Schultern. Wenn sie früher auf dem Boden gekniet und sein Erbrochenes weggewischt hatte, war ihr manchmal so gewesen, als würde sie in dem Moment ein wenig von der Schuld abbezahlen. Jetzt trug sie diese Schuld ohne jede Hoffnung.

Sie betrachtete ihn, wie er dort zusammengekrümmt an der Wand lehnte. Ein stinkendes Wrack, doch steckte unter der schmutzigen Oberfläche ein gewaltiges Talent. Unzählige Male hatte sie überlegt, was wohl geworden wäre, wenn sie sich an jenem Tag anders entschieden hätte. Tag für Tag, die ganzen fünfundzwanzig Jahre lang, hatte sie sich gefragt, wie sich das Leben wohl gestaltet hätte, wenn sie zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. Fünfundzwanzig Jahre sind eine lange Zeit zum Grübeln.

Manchmal ließ sie ihn auf dem Boden liegen, wenn sie ging. Doch heute nicht. Die Kälte von draußen drang herein, und durch ihre dünnen Strumpfhosen fühlte sie, wie eiskalt der Fußboden war. Sie zog an seinem Arm, der schlaff und unbeweglich herunterhing. Keine Reaktion. Mit beiden Händen um sein Handgelenk schleppte sie ihn zur Matratze. Sie versuchte ihn auf die Unterlage zu wälzen und erschauerte leicht, als sie die Hände gegen das wabbelige Fett der Taille drückte. Nach einigem Gezerre war es ihr gelungen, den größten Teil seines Körpers auf die Matratze zu hieven, und da es keine Decke gab, holte sie seine Jacke aus dem Flur und legte sie über ihn. Die Anstrengung ließ sie keuchen, und sie setzte sich auf den Boden. Ohne die Kraft in den Armen, die ihr das langjährige Putzen verschafft hatte, würde sie in ihrem Alter das hier niemals zuwege bringen. Sie ängstigte sich vor dem Tag, an dem nicht einmal ihr Körper mehr mitspielte. Was würde wohl dann geschehen?