Die Arbeit entwirft eine Evolutionäre Medienpsychologie der medialen Unterhaltung als emotionale Planspiele. Dabei wird einerseits der Spielcharakter des Rezeptionsprozesses, welcher von positiven Emotionen begleitet wird, hervorgehoben, andererseits betont der „Plan“-Aspekt das hypothetische und den Lern- bzw. Trainingsanteil medialer Unterhaltungsrezeption. „Emotional“ sind die Planspiele, da der Rezipient die angebotenen Fiktionen nutzen kann, um in erster Linie sozio-emotionale Probleme durchzuspielen. Hierdurch können die emotionalen Mechanismen des Rezipienten einer Feinjustierung unterzogen werden, so dass sie sich an aktuelle kulturelle (medienvermittelte) Umwelten anpassen können. Es wird angenommen, dass fiktive Narrative vor allem dann unterhaltsam sind, wenn sie sich auf Kernthemen unserer Phylogenese beziehen.
Um in die Perspektive einer Evolutionären Medienpsychologie einzuführen, wird zunächst die Evolutionspsychologie vorgestellt (siehe Kapitel „Evolutionspsychologie“). Die evolutionäre Psychologie ist keineswegs eine weitere psychologische Disziplin, sondern eine neue Perspektive auf die verschiedenen Disziplinen der Psychologie (etwa Evolutionary Developmental Psychology; Bjorklund & Pellegrini, 2002). Dabei kritisiert sie Annahmen der herkömmlichen kognitiven Psychologie und betont die Bedeutsamkeit evolvierter psychischer Lösungsmechanismen. Diese lösten während der Hominisation generationsübergreifende Anpassungsprobleme. Obwohl sich die Evolutionspsychologie als Fusion der kognitiven Psychologie mit darwinschem Denken beschreiben lässt, spielen Emotionen eine herausragende Rolle. Im Kapitel „Kernkonzepte evolutionspsychologischer Emotionstheorien“ werden deshalb zentrale Aspekte evolutionären Denkens hinsichtlich der Emotionalität des Menschen vorgestellt. Emotionen werden als Dirigenten eines kognitiven Orchesters eingeführt. Sie detektieren emotionale Situationen und beeinflussen unser kognitives Prozessieren. Die von der Evolutionspsychologie angenommene formende Beziehung zwischen Details der vergangenen Umwelt und Details der Struktur der Emotion macht den evolutionären Ansatz forschungsheuristisch besonders fruchtbar.
Nach dieser Einführung in die Evolutionspsychologie und die Rolle der Emotionen innerhalb dieser Perspektive wird die Medienpsychologie als eine Disziplin der Psychologie skizziert (siehe Kapitel „Medienpsychologie“). Medien sind an menschlichen Bedürfnissen, Motiven, Emotionen und ihrem kognitiven Prozessieren ausgerichtet. Die Medienpsychologie ist jene Disziplin, die menschliches Erleben und Verhalten im Umgang mit Medien beschreibt und erklärt. Neben der Analyse von Voraussetzungen für die Mediennutzung (Motive, Kompetenzen etc.) beschäftigt sich die Medienpsychologie mit dem Rezeptionsprozess und den Wirkungen der Medien auf das Denken, Fühlen und Handeln. Die evolutionäre Perspektive kann auch auf die Medienpsychologie als eine Disziplin der Psychologie angewandt werden. Sie wird dabei „learning-only-approaches“ kritisieren und betonen, dass auch der moderne Mediennutzer einer postindustriellen Informationsgesellschaft entlang der evolvierten Konstruktionsmerkmale des menschlichen Geistes funktioniert. Ein evolutionär denkender Medienpsychologe fragt u. a., inwiefern die Medienwahl, die Aufmerksamkeit für Medieninhalte, deren Wahrnehmung und Interpretation durch evolvierte Prozesse beeinflusst werden. Er untersucht, inwiefern Medienrezeptionsprozesse unter den Rahmenbedingungen der menschlichen Konstruktionsgeschichte verstehbar sind. Sowohl kurzfristige als auch langfristige Medienwirkungen diskutiert er im Spannungsfeld zwischen funktionaler Anpassung und potentiell disfunktionalem Nebenprodukt.
Medien erzeugen Emotionen (siehe Kapitel „Kernkonzepte medienpsychologischer Emotionstheorien“). Sie rufen Neugierde und Spannung hervor. Sie lassen den Rezipienten unterschiedlichste positive und negative Emotionen erleben, erregen oder langweilen ihn. Schnell entwickelt er Gefühle für den Protagonisten oder eine Medienfigur. Meist fühlt er sich gut unterhalten und erlebt ästhetische Gefühle. Berlynes Ideen zur Neugierde und zum Spielverhalten bilden einen Startpunkt der Überlegungen zur Unterhaltung. Zillmanns Drei-Faktoren-Theorie emotionalen Erlebens und Verhaltens adressiert Emotionen, Stimmungen und Empathie als Medienrezeptionsphänomene, sie integriert Befunde und Überlegungen bezüglich der emotionalen Selektion, Nutzung und Wirkung unterschiedlichster Medien.
Medien unterhalten Medienrezipienten, indem sie Emotionen erzeugen. Innerhalb der Medienpsychologie haben sich Forschung und Theoriebildung zu Unterhaltungsphänomenen in den letzten Jahren einen festen Platz erkämpft (siehe Kapitel „Medienpsychologische Unterhaltungstheorien“). Die anfängliche Fehlkonzeption „Unterhaltung vs. Information“ behinderte zunächst die Forschung und Theoriebildung. Die Medienpsychologie untersucht Unterhaltung als Rezeptionsphänomen u. a innerhalb des „uses and gratifications“-Ansatzes, des Eskapismusansatzes, entlang der Motive Exploration und Neugierde, als Stimmungsregulation (mood management), als Identitätsmanagement oder als ästhetisch-distanzierte Beschäftigung mit Lebensproblemen.
Welche Beiträge die Evolutionspsychologie zur Erklärung des Unterhaltungsphänomens beisteuern kann, wird im Kapitel „Evolutionspsychologische Unterhaltungstheorien“ vorgestellt. Angenommen wird, dass mediales Probehandeln einen geschützten Raum bietet, „Dos and Don’ts“ der menschlichen Existenz einer Prüfung zu unterziehen. Medienrezipienten bearbeiten in parasozialen Beziehungen und durch Beobachtung von Medienfiguren vor allem zwischenmenschliche und soziale Probleme und gerade diese werden als besonders anregend und unterhaltsam erlebt. Die Evolutionspsychologie beschreibt Unterhaltungs- und Kunstgenuss entweder als Nebenprodukt der Evolution oder als Anpassung. Zu den Nebenprodukterklärungen gehören die Ethopoeia Annahme des Media Equation Ansatzes sowie die Käsekuchenmethapher Pinkers. Zu den Anpassungserklärungen von Unterhaltung und Kunst zählen Annahmen, welche die sexuelle Verführung als Zweckursache beschreiben, Vermutungen, welche den sozialen Zusammenhalt als Ziel hervorheben, Überlegungen, welche Training und Lernen als Zweck von Unterhaltungsaktivitäten beschreiben sowie die Idee des emotionalen Planspiels, welche emotionale Feinjustierung und das Training emotionaler Mechanismen betont. Unterhaltsame mediale Inhalte scheinen vorrangig bestimmt durch evolutionär relevante und somit emotionale Inhalte, welche beim Menschen vor allem um soziale Themen kreisen. Solch mediales Unterhaltungserleben wird von positiven Gefühlen begleitet (siehe Kapitel „Evolutionäre Medienpsychologie der Unterhaltung als emotionale Planspiele“).
Der empirische Teil stellt fünf Studien vor, die die Unterhaltungsinhalte (Studie 1), Unterhaltungspräferenzen (Studie 2-4) und den Prozess der Unterhaltung (Studie 5) am Beispiel eines populären Mediums untersuchen. Dieses stand schon im Mittelpunkt der ersten medienpsychologischen Untersuchungen, und von ihm kann angenommen werden, dass es in besonderem Maße der Unterhaltung dient: der Kinofilm.
Die Theorie emotionaler Planspiele nimmt an, dass Inhalte unterhaltsamer Medienrezeption vorrangig durch evolutionär relevante Themen bestimmt sind. Einige Anpassungsprobleme sollten für die Geschlechter von je unterschiedlicher Bedeutung sein. Dies mag einerseits zu unterschiedlichen Inszenierungen der Geschlechter in erfolgreichen Kinofilmen beigetragen haben (Studie 1) und zugleich geschlechtstypische Filmpräferenzen erklären (Studie 2-4).
Eine Inhaltsanalyse (siehe Kapitel „Evolvierte Themen und Inhalte“; Studie 1) untersucht die Frage der geschlechtstypischen Inszenierung der Emotionalität anhand der Analyse des mimisch expressiven Verhaltens von Protagonistinnen und Protagonisten erfolgreicher Kinofilme.
Die Evolutionäre Medienpsychologie nimmt hinsichtlich der Medienauswahl und der Nutzungsmotive an, dass diese nicht ausschließlich das Ergebnis von aktuellen Lernprozessen und ontogenetischen Erfahrungen darstellen. Sie sind auch Produkte der menschlichen Evolution. Die Studien 2-3 thematisieren dies am Beispiel der Filmpräferenzen (siehe Kapitel „Evolvierte Filmpräferenzen“). Geschlechtstypische Unterhaltungspräferenzen werden dabei als Ergebnis der gemeinsamen Wirkung von evolutionären körperlichen und kulturell sozialisationsbedingten Effekten untersucht.
Schließlich wird das emotionale Erleben der Kinorezipienten untersucht (siehe Kapitel „Emotionale Filmrezeption“; Studie 5). Emotionales Unterhaltungserleben sollte sich vor allem auf evolvierte emotionale Themata beziehen. Hierbei sind fiktive Schicksale um den Verlust, den Gewinn oder die Gefährdung direkter und indirekter reproduktiver Möglichkeiten besonders unterhaltsam. Am Beispiel des Kinoerfolgs Spiderman 2 wird der Einfluss filmischer Kernthemen auf das emotionale Erleben der Zuschauer untersucht.
Die vorliegende Arbeit wäre nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung vieler Menschen. Ihnen allen gilt mein Dank: Meinem langjährigen Freund und Förderer Peter Winterhoff-Spurk, meinen lieben Kolleginnen Dagmar Unz und Astrid Carolus, den Gutachtern im Habilitationsverfahren Peter Vorderer, Peter Ohler und Robin Stark, den Mitgliedern der Habilitationskommission, meinem evolutionären Gesprächspartner Clemens Schwender, den zuverlässigen Helferinnen Doris Mast, Sylvia Mersdorf, Sonja Wedegärtner, den ehemaligen Diplomanden Eric Klopp, Moritz Horvath, Daniela Groß und Eva Susan Schneider, den vielen Forschungspraktikanten und wissenschaftlichen Hilfskräften, den Studenten, die meine Seminare zur Evolutionären Medienpsychologie besuchten, vor allem der Frau an meiner Seite Dorothee Sünder sowie der Leitung und dem Publikum des Cinestar Kinos Saarbrücken.
Das Entstehen des meist hochkomplexen Designs einer Vielzahl funktionaler Mechanismen bei ganz unterschiedlichen Organismen ist nach Darwin (1859) in erster Linie durch Selektionsprozesse erklärbar. Die Evolutionspsychologie geht von zwei aus Darwins Werk abgeleiteten Annahmen aus (Buss, 1999; Crawford & Krebs, 1998): (1) Alle evolvierten Mechanismen dienen einer Funktion, welche ultimat (grundlegend) den (differentiellen) Reproduktionserfolg des jeweiligen Organismus steigert. (2) Die Gestaltung des jeweiligen Mechanismus zeigt einen deutlichen Bezug zu der Umwelt, in der sich der Mechanismus entwickelt hat (Anpassung).
Die Wurzeln der Evolutionspsychologie liegen einerseits in der Evolutionsbiologie, andererseits verwendet sie die in der kognitiven Psychologie etablierte Beschreibungssprache (Buss, 1999). Die Evolutionspsychologie lässt sich anhand von fünf Prinzipien charakterisieren (Cosmides & Tooby, 1997):
Während sich evolutionäre Anpassungsprozesse nur sehr langsam – über viele Generationen hinweg – vollziehen, können sich Umwelten hingegen relativ schnell ändern. Es kann so zu mangelnden Passungen zwischen dem vorhandenen, an eine vergangene Umwelt angepassten Mechanismus, und der aktuellen Umwelt kommen (Mismatch). So ist die menschliche Vorliebe für Fettiges in der Umwelt, in der diese Präferenz evolvierte, sicher adaptiv gewesen. Damals stand nährstoffhaltiges fettes Fleisch sicher seltener auf der Speisekarte. In unserer heutigen Umwelt, in der sich an jeder Straßenecke ein Schnellrestaurant oder eine Frittenbude findet, kann dieser archaische Mechanismus nachteilige Konsequenzen haben.
Evolvierte psychische Mechanismen (EPM) können jedoch auch als Nebenprodukt Verhalten erzeugen, für dessen Ausführung sie ursprünglich nicht selektiert wurden. So haben sich Lernmechanismen für den Spracherwerb entwickelt (Anpassung), mit deren Hilfe wir auch in der Lage sind, das Schreiben zu erlernen („Nebenprodukt“, Pinker, 1997). Durch Mutation und sonstige Zufallsprozesse können jedoch auch üblicherweise speziesuntypische Merkmale entstehen, die als Zufallsrauschen bezeichnet werden (vgl. Tooby & Cosmides, 1990b; Schwab, 2004). Strittig ist, inwiefern Aspekte unseres Medienverhaltens als Anpassungen oder als Nebenprodukte beschreibbar sind (s. u.).
Im Folgenden werden zentrale Begriffe der Evolutionspsychologie skizziert (vgl. Schwab, 2004; 2006, 2008g).
Adaptive tool box: Evolutionspsychologen halten es eher für unwahrscheinlich, dass sich zur Lösung der verschiedenen adaptiven Probleme lediglich wenige Generalmechanismen evolviert haben, welche bestimmte Probleme deutlich weniger effizient lösen können als spezialisierte Mechanismen. So sollten sich die Programme zur Partnerwahl deutlich von jenen zur Auswahl eines Essens unterscheiden. Im Denken der evolutionären Psychologie gleicht die menschliche Psyche deshalb eher einem Schweizer Messer oder einer „adaptive tool box“ als einem Allzweck-Messer (Cosmides & Tooby, 1994). Dies bedeutet nicht, dass keine generellen Problemlösemechanismen existieren können, jedoch betont die Evolutionspsychologie die Phylogenese spezifischer evolutionärer psychischer Mechanismen (EPM) im Gegensatz zu herkömmlichen Kognitionspsychologie, die fast ausschließlich von Allzweck-Mechanismen ausgeht.
Evolvierte Konstruktionsmerkmale: Ziel der Evolutionspsychologie ist es, die evolvierten, angeborenen EPM zu identifizieren und ihr Funktionieren zu erklären, indem sie die durch natürliche und sexuelle Selektion entstandenen Konstruktionsmerkmale derjenigen Mechanismen untersucht, die Verhalten kontrollieren.
So fragt die Evolutionspsychologie nach der biologischen Funktion eines Verhaltens oder des ihm zugrundeliegenden Mechanismus, d. h. danach, welches Anpassungsproblem dadurch gelöst werden konnte, bzw. welchen Selektionsvorteil dies mit sich bringen könnte. Es wird also nach der biologischen Funktion psychischer Merkmale gefragt. Die Funktionsforschung (Bischof, 1989; Dennett, 1997) dient als zentrale Forschungsheuristik. Meist finden sich verschiedene widerstreitende funktionelle Hypothesen zum gleichen Phänomen, welche einer empirischen Testung unterzogen werden müssen. Diese Hypothesen werden manchmal als „just-so-stories“ karikiert (Dennett, 1997), sind jedoch fester Bestandteil des wissenschaftlichen Vorgehens und keineswegs explanatorischer Luxus.
Navigieren in sozialen Welten: Einige der wichtigsten adaptiven Probleme, welche unsere Vorfahren zu lösen hatten, waren jene der Navigation in einer sozialen Welt. Die Evolutionsbiologie liefert wichtige Ansätze zur Analyse der „constraints“ (Beschränkungen) der Entstehung von Lösungsmechanismen dieser Probleme. Das Leben in Gruppen stellt in der Menschheitsgeschichte einen der stärksten selektiven Umweltparameter dar. Weil soziale adaptive Probleme zentral für das menschliche Überleben und die Reproduktion waren, sind viele der wichtigsten Gestaltungsmerkmale unserer EPM sozialen Ursprungs.
„Mismatch theory“: Unsere Vorfahren lebten in den letzten zwei Millionen Jahren hauptsächlich als Jäger und Sammler des Pleistozäns (auch Eiszeit; etwa 2.000000 bis 20.000 v. Chr.). Dagegen stellen die wenigen tausend Jahre seit Entwicklung des Ackerbaus eine kurze Zeitspanne dar (ca. ein Prozent dieser zwei Millionen Jahre). Die Entwicklung eines komplexen organischen Designs, wie jenes unseres Gehirns und damit unserer Psyche, schreitet jedoch nur langsam voran. So ist es unwahrscheinlich, dass unsere Spezies komplexe evolutionsbiologische Adaptationen an neuere Umweltbedingungen entwickelte, weder an den Ackerbau, noch an die moderne postindustrielle Gesellschaft (Cosmides & Tooby, 1994). Jedoch muss betont werden, dass diese angestammte Umwelt keineswegs einer bestimmten Zeit oder einem bestimmten Ort entspricht, es handelt sich vielmehr um ein statistisches Konzept der Wahrscheinlichkeit bestimmter Umweltmerkmalskonfigurationen, je nach zu untersuchendem Mechanismus. So haben sich Nahrungsaversionen sicher in Bezug auf andere Umweltmerkmale und Zeithöfe entwickelt als etwa emotionale Mechanismen der Eifersucht.
Standards adaptiven Designs: Zum Nachweis, inwiefern ein Gestaltungsmerkmal als Anpassung zur Ausführung einer Funktion X gelten kann, existieren innerhalb der Evolutionspsychologie strenge Standards, die von den Evolutionspsychologen der Universität von Santa Barbara, Leda Cosmides und John Tooby (1994), eingeführt wurden: (1) Das Merkmal muss speziestypisch sein; (2) die Funktion X muss sich auf ein adaptives Problem beziehen (d. h. dieses Problem muss über Generationen hinweg existieren und seine Lösung muss einen Reproduktivitätsvorteil erbringen); (3) das Gestaltungsmerkmal muss sich in der Umwelt, auf die es adaptiert ist, zuverlässig entwickeln; (4) es muss sich zeigen lassen, dass das Merkmal ausdrücklich zur Ausführung der Funktion X gestaltet ist und nicht ein Nebenprodukt einer anderen Adaptation oder eines physikalischen Gesetzes ist.
Entgegen herkömmlicher Annahmen sind die folgenden Aspekte als Beweise irrelevant: (1) Hohe Vererbbarkeit des Merkmals; (2) Variationen der Umwelt dürfen die Entwicklung des Merkmals nicht beeinflussen; (3) es muss der Nachweis erbracht werden, dass Lernen in seiner Entwicklung keine Rolle spielt.
Dabei gehen Evolutionspsychologen davon aus, dass es (vgl. Buss, 1999) (1) viele und unterscheidbare adaptive Probleme gibt; (2) die Lösungen für ein Problem sich von denen für ein anderes unterscheiden; (3) erfolgreiche Lösungen abhängig von Alter, Geschlecht, Kontext und individuellen Umständen sind.
Die Logik evolutionärer Studien zielt darauf, Anpassungsprobleme einer Spezies während ihrer Phylogenese zu identifizieren und einen psychischen Mechanismus zu postulieren, der diese Probleme adäquat unter den Bedingungen der vergangenen Umwelt (EEA) löst. Annahmen zu einem solchen psychischen Mechanismus können in der Folge auch Studien zu seiner neuronalen Basis anregen. Die Vorgehensweise umfasst also unterschiedliche Erklärungsebenen. Es lassen sich zwei Strategien unterscheiden:
Die Top-down-Strategie beginnt mit der Allgemeinen Evolutionstheorie (z. B.: natürliche und sexuelle Selektion). Daraus werden evolutionäre Theorien mittlerer Ebene abgeleitet. Beispielsweise beschäftigt sich das Konzept des parentalen Investments damit, wie viel Aufwendungen Eltern für ihren Nachwuchs erbringen, der gleichzeitig die Möglichkeit des Investments in andere Nachkommen verringert (Trivers, 1972, 1985). Oder es werden evolutionäre Überlegungen zur Kooperation und reziprokem Altruismus (d. h. ein Individuum hilft einem anderen, damit auch ihm in Zukunft geholfen wird) herangezogen. Aus diesen Theorien mittlerer Ebene werden spezifische Hypothesen und schließlich Vorhersagen über empirisch zu prüfende Phänomene abgeleitet.
Neben dieser Top-down-Strategie können jedoch auch – ausgehend von einem konkreten Phänomen – Hypothesen über mögliche evolutionäre Funktionen und das spezifische Design der zugrunde liegenden mentalen Architektur generiert werden (Bottom-up-Strategie).
Evolutionspsychologen vergleichen zur Prüfung ihrer Annahmen unterschiedliche Spezies oder Individuen einer Spezies in unterschiedlichen Umweltkontexten und Kulturen. Oder sie analysieren Geschlechtsunterschiede, die beispielsweise aufgrund von Annahmen zum elterlichen Investment oder damit in Verbindung stehenden unterschiedlichen Partnerpräferenzen vermutet werden. Grundsätzlich nutzt die Evolutionspsychologie zur Prüfung ihrer Annahmen das empirische Methodeninventar und die etablierten Datenquellen der Psychologie. Um historische, geographische und kulturelle Einflüsse zu berücksichtigen, werden zusätzlich aber auch archäologische Datensätze, Daten von Jäger-Sammler-Gesellschaften, Beobachtungsdaten, Selbstbeschreibungen, Lebensverlaufsdaten, öffentliche Statistiken und menschliche Produkte (kulturelle Artefakte wie Höhlenmalerei oder auch Medienangebote) untersucht. Eine direkte Prüfung phylogenetisch ultimater Prozesse sowie der darwinschen Theorie wird nicht angestrebt, vielmehr wird untersucht, inwiefern ihre teilweise sehr unterschiedliche Anwendung auf psychische Phänomene zutreffende Vorhersagen erlaubt (Holcomb, 1998).
Hypothesenbildung: Einer der zentralen Aspekte der Evolutionspsychologie ist ihr Vorgehen bei der Formulierung von Hypothesen. Wie viele Disziplinen innerhalb der Biologie fokussiert sie auf adaptive Probleme und ihre Lösungen (Buss, 1999; Mayr, 1998). Hierzu kann eine Hierarchie an Analyseebenen beschrieben werden.
Tab. 1: Ebenen der evolutionären Analyse, vgl. Buss, 1999, S. 40
Analyseebenen |
Beispiel |
Allgemeine Evolutionstheorie |
Evolution durch Selektion |
„Middle-Level“ evolutionäre Theorien |
Parentales Investment, Sexuelle Selektion |
Spezifische evolutionäre Hypothesen |
Investieren männliche Individuen in Nachkommen, sollen weibliche Individuen Partner auch auf der Grundlage deren Möglichkeiten und Absicht en, dies zu tun, wählen. |
Spezifische von den Hypothesen abgeleitete Vorhersagen |
Weibliche Individuen haben eine Bevorzugung für männliche Individuen entwickelt, die Hinweise liefern, in Nachkommen zu investieren. |
Erläuterung: Jede Theorie mittlerer Ebene sollte konsistent mit den Theorien höherer Ebenen sein. Aus den von den Theorien mittlerer Ebene abgeleiteten Hypothesen ergeben sich testbare Vorhersagen.
Die einzelnen Analyseebenen sollten zwar kompatibel miteinander sein, jedoch müssen sie sich einer je eigenen Überprüfung unterziehen, d. h. ihre Gültigkeit ist nicht aus ihrer Passung allein ableitbar. Neben der Evolutionspsychologie geht auch die Humanethologie seit längerer Zeit vergleichbar vor (vgl. Schwab, 2004).
Zusammenfassend kann man die Evolutionspsychologie nicht als eine weitere psychologische Disziplin darstellen, sondern muss sie als ein neues Paradigma innerhalb der Psychologie beschreiben, eine neue Perspektive auf die verschiedenen Disziplinen der Psychologie. Sie kritisiert die in der kognitiven Psychologie weit verbreitete Annahme einer kleinen Menge domainübergreifender Allzweckmechanismen als Grundlage des menschlichen psychischen Funktionierens. Für die Evolutionspsychologie lässt sich unser Geist in erster Linie als eine „adaptive tool box“ beschreiben. Evolvierte Konstruktionsmerkmale des Geistes sollen zunächst identifiziert und entlang der Probleme zu deren Lösung sie gestaltet wurden, geordnet werden. In ihrer Argumentation betonen Evolutionspsychologen den „Mismatch“ evolutionären Designs, d. h. unsere mentale Architektur erscheint teilweise als eine Art geistiges Fossil. Dabei wird von folgenden Annahmen ausgegangen: Es lassen sich im Rahmen der Hominisation generationsübergreifende Anpassungsprobleme definieren, deren Lösung einen Selektionsvorteil erbrachte. Hierzu haben sich bereichsspezifische EPM gebildet, die als informationsverarbeitende Strukturen konzeptualisiert sind. Gegenstand der Analyse solcher EPM ist stets auch deren biologische Funktion.
Die Evolutionspsychologie befindet sich (noch) in einer Pionierphase, in der sie Fragen stellt, die sich meist sehr eng auf Probleme des Überlebens oder der Fortpflanzung beziehen. Andere Forschungsfragen, die über disziplinäre Grenzen hinweg adaptive Probleme und Lösungen thematisieren, werden nur sehr zurückhaltend angegangen. Mit zunehmender Etablierung der Evolutionspsychologie steigt die Zahl unterstützender Daten und empirischer Belege für die zugrunde liegenden Erklärungsmuster (u. a. Buss, 1999). Eine evolutionäre Betrachtung gilt unter vielen Psychologen noch immer als explanatorischer Luxus, als nicht-falsifizierbare Spekulation (Schwab, 2004). Zugleich sind teilweise aus den theoretischen Annahmen widerstreitende Hypothesen über einen Mechanismus ableitbar, was von Kritikern als „just-so-stories“ karikiert wird (Dennett, 1997).
Widerstreitende Annahmen sind jedoch fester Bestandteil des wissenschaftlichen Vorgehens und auch in der nicht evolutionär orientierten Psychologie an der Tagesordnung. Sie müssen einer empirischen Prüfung unterzogen werden. Gerade aus evolutionspsychologischer Sicht kann man nicht mit „just so“ Begründungen „wild“ herumspekulieren, sondern muss theoriegeleitet, unter Berücksichtigung von Annahmen über zu lösende adaptive Probleme, über einen möglichen Mismatch und entlang der Prinzipien adaptiven Designs vorgehen (so.). Dabei werden von der Evolutionstheorie abgeleitete theoretische Annahmen in zu prüfende Hypothesen und Vorhersagen überführt.
Obwohl sich die Evolutionspsychologie als Fusion der kognitiven Psychologie mit darwinschem Denken beschreiben lässt, spielen Emotionen eine herausragende Rolle. Im nächsten Kapitel werden deshalb zentrale Aspekte evolutionären Denkens hinsichtlich der Emotionalität des Menschen vorgestellt, dabei wird in erster Linie auf die Perspektive der Santa-Barbara-Schule (etwa Cosmides & Tooby, 2000) fokussiert (einen Überblick weiterer prominenter evolutionärer Ansätze bieten Merten, 2003; Meyer, Schützwohl & Reisenzein, 1997; Schwab, 2004, 2006).
Emotionen sind von der Selektion nicht auf Unfehlbarkeit und Wirklichkeitsabbildung hin entwickelt worden. Es handelt sich vielmehr um durch die Selektion geformte erfolgreiche Spekulationen als Grundlage des Umgangs mit den jeweiligen Herausforderungen. Ausschließlich genügend stabile umweltbedingte Selektionskräfte konnten einen gestaltenden Einfluss auf emotionale Mechanismen erlangen, sofern sie einen bedeutsamen Einfluss auf die Netto-Lebensspannen-Reproduktivität des Organismus hatten. Folglich sollten alle evolvierten Gestaltungsmerkmale des menschlichen Affektsystems einen Bezug zur Fitness oder Gesamteignung (inclusive fitness) zeigen (Bischof, 1985; Schwab, 2004).
Die Evolutionspsychologie (Cosmides & Tooby, 2000) beschreibt Emotionen als Dirigenten des kognitiven Orchesters eines Individuums. Emotionen wählen angemessene Werkzeugkombinationen aus der „tool box“ unserer mentalen Fertigkeiten aus und justieren und verwenden sie zur Lösung adaptiver Probleme. Emotionen als Metaprogramme zeigen Effekte auf Ziele, Motivprioritäten, konzeptuelle Interpretationsrahmen, Wahrnehmung, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Physiologie, Kommunikation und Expression.
Die Evolutionspsychologie betrachtet den Geist als ein mit evolvierten, domainspezifischen Programmen und mentalen Routinen gefülltes System. Die Existenz dieser verschiedenen Mikroprogramme erzeugt jedoch ein neues adaptives Problem. Wie soll die Vielzahl unterschiedlicher kognitiver Prozesse koordiniert werden? Es sind also übergeordnete Programme zur effizienten Steuerung der spezifischen Programme notwendig. Cosmides und Tooby (2000) definieren Emotionen als solche übergeordneten Programme. Sie bestimmen maßgeblich darüber, welches „tool“ der adaptiven „tool box“ wie zum Einsatz gelangt. Die emotionale Koordination der mentalen Mechanismen hängt von der Natur der (ehemals und aktuell) zu bewältigenden Situation ab. Für eine evolutionäre Funktionsanalyse ist es deshalb zentral, die Struktur jener Situationen zu erforschen, welche bei unseren Ahnen emotionale Reaktionen notwendig machten. Emotionen als Metaprogramme (Cosmides & Tooby, 2000; Tooby & Cosmides, 1990a) haben sich in einer vergangenen Umwelt (EEA) entwickelt. Somit besteht eine enge Beziehung zwischen Details dieser vergangenen Umwelt evolutionärer Angepasstheit und Details der Struktur der verschiedenen Emotionen. Die Aufgabe der Emotionen ist es, durch Aktivierung, Deaktivierung und Parameterjustage kognitiver Systeme das Individuum in einen Zustand zu bringen, der es die jeweilige Situation effektiver bewältigen lässt. Emotional relevante Situationen zeichnen sich durch folgende Charakteristika aus (Cosmides & Tooby, 2000):
Zu den von Emotionen beeinflussbaren Subprogrammen gehören nahezu alle in der Psychologie bekannten kognitiven Prozesse (Cosmides & Tooby, 2000).
Emotionale Modifikationen des mentalen und physischen Funktionierens des Organismus haben es möglich gemacht, adaptiven Problemen auf eine überwiegend erfolgreiche Art und Weise zu begegnen. Es handelt sich um Schätzungen, nicht um optimale Schätzungen, basierend auf einem allumfassenden Wissen über die Gegenwart und die jetzige Umwelt (vgl. „bounded rationality“, Gigerenzer, Todd, & ABC Research Team, 1999). Das Wissen über die generationsübergreifenden adaptiven Probleme unserer Ahnen macht es möglich, nach (psychologischen) Mechanismen zu suchen, die gestaltet wurden, diese damaligen Herausforderungen zu lösen.
Jedoch produziert die Evolution nicht nur Anpassungen. Grundsätzlich erzeugen Zufall und Selektion im evolutionären Prozess drei unterscheidbare Ergebnisse bei der Gestaltung von Lebewesen (Cosmides & Tooby, 2000):
Anpassungen: Eine durch Selektion erzeugte, üblicherweise speziestypische funktionelle Maschinerie. Etwa: Sexuelle Eifersucht.
Nebenprodukte von Anpassungen: Merkmale, die mit selektierten Eigenschaften ursächlich verknüpft sind (üblicherweise speziestypisch). Etwa: Stress-induzierte physiologische Beeinträchtigungen als Nebenprodukt des Flucht-Kampf-Systems (Beeinträchtigung der Nierenfunktion).
Zufallsrauschen: Durch Mutation und sonstige Zufallsprozesse erzeugte üblicherweise speziesuntypische Merkmale. Etwa: Vererbliche Persönlichkeitsvariationen emotionalen Funktionierens, wie extreme Schüchternheit oder krankhafte Eifersucht.
Anpassungen zeichnen sich durch einen hohen Grad der Koordination zwischen adaptivem Problem und Gestaltungsmerkmalen der mutmaßlichen Anpassung aus. Bei Nebenprodukten ist diese Abstimmung deutlich geringer, während sie beim Zufallsrauschen gänzlich fehlt. Organismen als Produkt einer Millionen Jahre andauernden Selektion stecken voller evolvierter Anpassungen von hochgradiger Funktionalität zur Lösung adaptiver Probleme (vgl. etwa Cosmides & Tooby, 2000; Dennett, 1997). Obwohl Anpassungen nicht optimal sein können, sind sie meist vielfach besser als irgendeine von Menschen entwickelte Maschine (Roboter), die das gleiche Problem angeht (etwa: bipedal Laufen oder gar Fußballspielen; „embodied intelligence“, Pfeifer & Scheier, 1999). Unsere mentalen Anpassungen, zu denen unsere Emotionen als übergeordnete Programmstrukturen gehören, können also keineswegs als grob und primitiv bezeichnet werden, vielmehr erscheinen sie als erstaunliche Ingenieursleistungen der Selektion.
Adaptive Probleme sind evolutionär lange bestehende, wiederkehrende Gruppierungen von Bedingungen, welche reproduktive Möglichkeiten oder reproduktive Hindernisse konstituieren. Anpassungen wurden von der Selektion geformt, um solche Möglichkeiten auszunutzen oder Hindernisse zu umgehen. Auf diese Weise dienen Anpassungen der Steigerung der Netto-Lebenspannen-Reproduktivität des Organismus und seiner biologischen Verwandten („kin“, Hamilton, 1964). Ein häufiger Fehler ist es, adaptive Probleme lediglich mit kurzfristigen Bedrohungen oder dem körperlichen Überleben gleichzusetzen (Emotionen als Notfallmechanismen). Überleben ist keineswegs von zentraler Bedeutung für die Evolution, schließlich sterben alle Organismen früher oder später. Überleben ist nur insofern bedeutsam, als es zur Weitergabe bestimmter Gestaltungsmerkmale beiträgt, es kann deshalb riskiert oder auch geopfert werden, wenn dies zur eigenen Reproduktion oder jener der Kinder und Verwandten beiträgt.
Die Thematik der Reproduktion durchzieht somit in einem komplexen Netzwerk kausaler Verknüpfungen jeden Aspekt menschlichen Lebens; von den feinsten Subtilitäten unseres Verhaltens bis zu den Leistungen unserer Phantasie, unserer Kunst- und Kulturfähigkeit. Die zu berücksichtigenden Konsequenzen adaptiver Problemlösungen, sind stets die Fitnesskonsequenzen der Gesamtlebensspanne und nicht nur kurzfristige Folgen. Gerade Emotionsprogramme, die das Individuum zu augenscheinlich nutzlosem Verhalten anhalten (Spielverhalten, Schuldgefühle, Faszination, Trauer und Depressivität etc.), müssen in einem erweiterten Zeithof untersucht werden. Wichtig ist es zu prüfen, inwiefern sie langfristig nicht zu der Wahrscheinlichkeit eines Nutzens beitragen (Ansammlung von Wissen, Rekalibrierung von Handlungszielen etc.).
Die Evolutionspsychologie ist durch die Betonung der Umwelt evolutionärer Angepasstheit (environment of evolutionary adaptedness = EEA) in ihren funktionellen Analysen sowohl umweltorientiert als auch vergangenheitsorientiert (Bowlby, 1969; Mayr, 1998; Tooby & Cosmides, 1990a. Sie hat damit einerseits eine Nähe zu Milieutheorien, andererseits eine Nähe zu den Geschichtswissenschaften. Emotionsprogramme unterstellen sozusagen, dass bestimmte aktuelle Hinweisreize der Umwelt des Individuums eine Ereignis- und Bedingungskonfiguration anzeigen, die während der Evolution dieser Emotion stabil war. In einem bestimmten Emotionsprogramm ist somit eine bestimmte Art und Weise, die Welt zu sehen und zu erleben, eingebaut. Dieser Interpretationsrahmen hat einen Bezug zu den Merkmalskonfigurationen der emotionsauslösenden Umwelt unserer Ahnen. Die Beziehung zwischen Details der (vergangenen) Anpassungsprobleme und Details der Struktur der Emotion machen sich evolutionär denkende Emotionsforscher zunutze. So wie die Hautstruktur, die Flossen und die Schwimmbewegungen des Hais sich durch das Anpassungsproblem des Lebens und Jagens in den Meeren erhellen, sind Struktur und Funktionsweise unserer Emotionen nur im Licht archaischer Umweltbedingungen angemessen verstehbar. Darwinsche Theorien zu bestimmten Emotionen sollten drei Schritte berücksichtigen (Cosmides & Tooby, 2000):
Wann kann ein psychischer Mechanismus als emotionale Anpassung klassifiziert werden? Zur Charakterisierung einer emotionalen Anpassung müssen nach Cosmides und Tooby (2000) folgende Merkmale der Umwelt und des Mechanismus identifiziert werden (vgl. auch oben Bedingungen einer Anpassung):
Eine evolutionär wiederkehrende Situation oder Bedingung: Diese mag als Merkmalsgruppierung in der Umwelt oder im Organismus auftreten, meist als komplexe statistische Konfiguration.
Ein adaptives Problem: Welche organismischen Zustände und Verhaltenssequenzen führen im Mittel zum besten Ergebnis unter Berücksichtigung der Lebensspanne bei der gegebenen Situation oder Bedingung?
Hinweisreize, welche die Situation anzeigen.
Situationsdetektionsalgorithmen: Sie fungieren als Dämonen oder Detektoren innerhalb eines multimodularen Verstandes (Bischof, 1985, 1995). Zu beachten ist, dass evolvierte Entscheidungsregeln nicht auf der Basis dessen funktionieren, was höchstwahrscheinlich der Wahrheit entspricht. Stattdessen arbeiten sie auf der Basis gewichteter Konsequenzen des jeweiligen Verhaltens. So können etwa scheinbar irrationale Ängste vor Höhen nach diesem Prinzip (etwa: „better save than sorry“) entstehen. Kosten und Nutzen von Fehlalarmen, Versäumnissen, Treffern und korrekten Ablehnungen sind meist deutlich verschieden voneinander.
Entscheidungsregeln mögen daher unwahrscheinliche, aber kostspielige Situationen bevorzugt wie tatsächlich zutreffende Situationen behandeln (das Raubtier im nächtlichen heimischen Wald). Dies mag in modernen Umwelten dann irrational oder teilweise gar phobisch erscheinen. Die Situationsdetektoren können verschiedene Grade an Komplexität umfassen und in einem auch unbewussten Repräsentationsraum abgebildet werden, der in anderen Ansätzen als kognitives Appraisal bezeichnet wird (Lazarus & Lazarus, 1994; Scherer, 1984, 2001). Auf diese Weise liefert unsere evolutionäre Vergangenheit einen Bezugsrahmen zur Interpretation unserer erlebten Gegenwart. So ist die Wahrnehmung der Welt, in der wir aktuell leben, geformt durch den kontinuierlichen interpretativen (Hintergrund-) Kommentar unserer (archaischen) emotionalen Mechanismen.
Algorithmen, die Prioritäten zuweisen: Sie fungieren als supervidierendes System, welches über den einzelnen Emotionsprogrammen angeordnet ist.
Ein Internes Kommunikationssystem, welches Signale zur Steuerung der evolutionären psychischen Mechanismen (EPM) sowie Rückmeldungen umfasst.
Jedes Programm und jeder physiologische Mechanismus, der von einem Emotionsprogramm angesprochen wird, muss einen assoziierten Algorithmus besitzen, der steuert, wie auf jedes interne Emotionssignal reagiert werden soll (Anschaltung, Ausschaltung, Parameteränderung, etwa Änderung der Schwellwerte etc.).
Jeder kontrollierbare biologische Prozess, der durch eine spezifische Veränderung seiner Performanz zu einer Verbesserung der mittleren Fitness beigetragen hat, sollte zumindest teilweise durch Emotionen beeinflussbar sein. Hierzu gehören (Cosmides & Tooby, 2000):
Ziele: Wobei solche Zielveränderungen keineswegs bewusst abgebildet werden müssen.
Motivationale Prioritäten: Mit der Präsenz einer evolutionären (emotionalen) Situation sollten sich Möglichkeiten, Risiken, und Kosten-Nutzenrelationen verändern, die auch eine Veränderung der Schwellenwerte und Valenzen der unterschiedlichen Motive beeinflussen sollten.
Konzeptuelle Rahmen (frames): So sollte Angst Konzepte wie Sicherheit und Bedrohung aktivieren. Die Welt wird also in Kategorien erlebt, die zum Teil vom emotionalen Zustand des Individuums abhängen.
Wahrnehmung: Die Wahrnehmungssysteme schalten in emotionsspezifische Betriebsmodi (Angst: Erhöhte Empfindlichkeit des Gehörs, (Um-) Interpretation der visuellen Wahrnehmung von undeutlichen Reizen (etwa als starrende Augenpaare, kauernde oder schleichende Feinde etc.)).
Gedächtnis: Sowohl aktuelle Speicherprozesse als auch der Zugriff auf zurückliegende Inhalte sollten sich je nach emotionalem Zustand verändern (etwa der Zugriff auf zuvor vergessene Kleinigkeiten und scheinbar unwichtige Episoden unter Eifersucht).
Aufmerksamkeit: Einfache perzeptuelle Aufmerksamkeitsprozesse, aber auch höhere Reasoning-Prozesse sollten sich entlang der herrschenden Emotion umgestalten (etwa positive Emotionen; Fredrickson, 1998).
Physiologie: Im Widerspruch zu einem allgemeinen Arousal-Konzept kann man eher eine hohe Spezifität und komplexe Koordination der physiologischen Veränderungen erwarten. Die emotionalen Instruktionen an die periphere Psychologie sollten entlang der zugrundeliegenden adaptiven Situation je spezifisch ausfallen (Ekman, Levenson & Friesen, 1983).
Kommunikation und Expression: Viele Emotionen scheinen speziestypische Ausdrucksmuster zu generieren, die den emotionalen Zustand an andere mitteilen (Ekman, 1982, 1988). Eine Vielzahl emotionaler Ausdrücke scheint nach einer Informationsfunktion gestaltet, mit koevolvierten Interpretationsprogrammen auf der Empfängerseite. Ein authentisches emotionales Signal teilt zwei Dinge mit: (1) Das jeweilige Emotionsprogramm wurde aktiviert mit den entsprechenden Konsequenzen für die Physiologie und das mentale Prozessieren des Senders und (2) die jeweilige evolutionäre Situation, die der Sender gerade wahrnimmt. Beide Informationen sind meist auch für das Gegenüber hochrelevant und zeigen Bedeutungszuschreibungen und Kommentare durch den Sender an.
Verhaltenskonsequenzen: Natürlich sollten Emotionen auch ins Verhalten wirken. Bestimmte Handlungen und Verhaltensabfolgen sollten in bestimmten Emotionszuständen eher abrufbar sein als andere. Der jeweilige emotionale Zustand sollte auch in die Konstruktion organisierter Verhaltenssequenzen wirken, die der Problemlösung dienen. Die Evolutionspsychologie berücksichtigt bei der emotionalen Verhaltensbeeinflussung auch spieltheoretische Überlegungen (Maynard-Smith, 1982). Es sollten sich, je nach zugrundeliegendem evolutionärem Spiel, verschiedenste Emotionsprogramme und Subroutinen entwickelt haben (Nullsummenspiel, Wettstreitspiel, Austauschspiel mit positiver Summe, Lotteriespiele auf Koalitionsbasis, Spiele aggressiven Wettstreits etc.). Korrespondierende emotionale Programme sollten den Organismus bei der angemessenen interindividuellen (Verhaltens-) Strategie unterstützen, je nach dem zugrundeliegenden sozialen Spiel. Dies kann zu überwältigenden, beinahe zwanghaften Verhaltenstendenzen führen. Rachegefühle wegen Mordes (Buss, 2005) oder Untreue (Buss, 1999) werden nicht selten in dieser Weise erlebt und im Alltag als „crimes of passion“ bezeichnet (Daly & Wilson, 1988). In modernen Staaten mit Gerichten und Polizeikräften wird die Wichtigkeit solch strafender und Vereinbarungen überwachender Emotionen (Eifersucht, moralische Aggression, Rache etc.) vielfach unterschätzt, weshalb sie nur selten explizit Gegenstand emotionspsychologischer Forschung sind. Tooby und Cosmides (1990a, 1992; Cosmides & Tooby, 1989, 2000) jedoch haben die psychischen Mechanismen von Betrug und Betrugsdetektion detailliert untersucht.
Regulation des Denkens und Lernens: Die Evolutionspsychologie konnte zeigen, dass Schlussfolgern und Denken keineswegs eine einheitliche Kategorie darstellen, sondern durch verschieden spezialisierte Mechanismen realisiert werden. Emotionen aktiveren oder unterdrücken das Denken also nicht in einer generellen Weise, vielmehr aktivieren sie selektiv bestimmte angemessene Schlussfolgerungssysteme wie Betrugsdetektionsroutinen, Bluffdetektionsroutinen, Zuschreibungssysteme für Schuld und Verantwortung etc. Des Weiteren regulieren Emotionen unsere Lernmechanismen durch die Steuerung unserer Aufmerksamkeit, unserer Motivation und durch situationsspezifisches Schlussfolgern usw. Je nach Emotionszustand wird der gleiche Stimulus in der gleichen Umwelt ganz unterschiedlich interpretiert. Zudem werden teilweise deutlich unterschiedliche Lernmechanismen aktiviert, wie etwa beim Erlernen von Nahrungsaversionen (Garcia, 1990) oder Furchtkonditionierungen (LeDoux, 1998; vgl. auch Cook, Mineka, Wolkenstein & Laitsch, 1985). Freude (Fredrickson, 1998) etwa aktiviert Lernmechanismen im Umfeld von Spielverhalten und explorativem Erkunden. Der letzte Punkt wird uns später bei den Überlegungen zur Unterhaltung durch Medien erneut beschäftigen (vgl. auch Schwab, 2001, 2003, 2004, 2006).
Stimmungsregulation: Emotionsprogramme sollten außerdem in Zusammenhang mit der Regulation des Energiehaushaltes, der Lenkung von Anstrengungen und der Steuerung unserer Stimmungen stehen. Nesse (1990) schlägt vor, dass die Funktion von Stimmungen darin liegt, anzuzeigen, wie angemessen bestimmte Umwelten für ein spezifisches Verhalten sind. Tooby und Cosmides (1990a; Cosmides & Tooby, 2000) nehmen an, dass Stimmungen einen Verhaltensbelohnungsquotienten ermitteln, der Umwelteigenschaften ebenso berücksichtigt wie die gegenwärtige Interpretation der Umwelt durch das Individuum (wobei gewichtete Zusatzinformationen und Verrechnungsalgorithmen unterschiedlicher Struktur die Interpretation beeinflussen). Es können so Diskrepanzen zwischen erwarteten Belohnungen und tatsächlichen Entlohnungen durch die Umwelt als Aspekt der Stimmung erfahren werden. Depressive Verstimmungen sind in diesem Ansatz erklärbar als (a) kostspielige Verhaltensinvestitionen, die nicht die erwartete bzw. keine Entlohnung brachten oder (b) sie entsprechen einer ungenügenden Investition in eine wertgeschätzte Person oder Beziehung, welche verloren wurde oder (c) sie entsprechen der Erkenntnis, dass lange verfolgte Verhaltenspattern oder Lebenspläne nicht zu evolutionär relevanten Ergebnissen geführt haben. Andererseits mögen Freude und Lust durch eine unerwartete und positive Diskrepanz zwischen der Interpretation der Umwelt und der tatsächlichen Entlohnung durch diese verursacht sein. Die Emotionsprogramme fungieren dann zur Reevaluation der Erwartungs- und Investitionsverrechnungen für folgende Verhaltensplanungen. Hierzu können auch Informationen über die Lebenserfahrungen anderer von Bedeutung sein. Man ist gut gelaunt, weil man sich anders entschieden hat, nicht den gleichen Fehler begangen hat oder missgestimmt, weil andere erfolgreicher gehandelt oder gewählt haben etc.
Rekalibrationsfunktion: Die Rekalibration von grundlegenden Variablen unseres mentalen Prozessierens ist eine der zentralen Funktionen vieler Emotionsprogramme. Eifersucht etwa kann zu einer Reanalyse des eigenen Partnerwerts führen und/oder zu einer Verringerung des Vertrauens in den verdächtigten Partner beitragen. Zu den in erster Linie rekalibrierenden Emotionen zählen Schuld, Scham, Depression, Trauer und Dankbarkeit. Sie führen eher zu einer inneren Verrechnung als zur Koordination von Verhaltenskonsequenzen. Schuld dient nach Cosmides und Tooby (2000) dazu, die von Hamilton (1964) beschriebene Verwandtenkooperation als proximaten Mechanismus im Individuum zu installieren. Sie rekalibriert und reguliert innere Kennwerte zur Kontrolle der Austauschprozesse mit anderen. Depressive Zustände mögen dazu führen, dass in der Vergangenheit zunächst als lustvoll erlebte Verhaltensweisen eine neue affektive Beurteilung erfahren, so dass in Zukunft veränderte Gewichtungen in Entscheidungsprozessen Berücksichtigung finden. Die Autoren nehmen sogenannte rekalibrationsauslösende Maschinen an, welche die Situationsdetektionsalgorithmen der Emotionsprogramme ergänzen. Sie stellen Bezugsrahmen zur affektiven Neubewertung zur Verfügung. Durch sie erfolgt zudem eine Koordination mentaler Innenwelten, indem ein gemeinsamer Referenzrahmen bereitgestellt wird.
Phantasie und Fiktion: Emotionale Programme integrieren also einen immensen Reichtum an Weisheit, der für viele Organismen jedoch nur zugänglich ist, wenn sie mit Umwelten und Situationen konfrontiert werden, die entsprechende Hinweisreize offenbaren, um das Programm zu aktivieren. Dies reduziert den Vorteil dieser Programme immens. Als es in der Phylogenese möglich wurde, auf diese Programme zuzugreifen, indem entkoppelte fiktionale oder kontrafaktische Vorstellungen eingespeist werden konnten, war dies ein entscheidender evolutionärer Vorteil. Nun waren die Antworten der Emotionsprogramme unabhängig von der tatsächlich vorliegenden Situation erfahrbar. Die Weisheit der Emotionen konnte so situationsunabhängig zur Planung und Analyse von Verhalten, Motiven sowie zu Rekalibrationen herangezogen werden.
Die Evolutionspsychologie nimmt an, dass viele als rein kognitiv beschriebene mentale Zustände besser als Emotionszustände beschreibbar sind. Sie regt aber auch zu Forschungsfragen an, die sich schwerlich aus dem Theorienpool des „Standard Social Science Models“ ableiten lassen, wie etwa die Untersuchung des „Jagdfiebers“ (vgl. unten) als emotionales Programm zur Unterstützung einer zentralen Tätigkeit vergangener Jägergemeinschaften unserer Ahnen. Hierin mag der Reiz etlicher Computerspiele oder einer Vielzahl von Action-Film Sequenzen liegen.