Der SCM-Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
Die Edition
erscheint in Zusammenarbeit zwischen
SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag, Witten
und dem Bundes-Verlag, Witten.
Herausgeber: Ulrich Eggers
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ISBN 978-3-417-22770-3 (E-Book)
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Die Bibelverse wurden folgenden Ausgaben entnommen:
Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG Witten (ELB)
Neues Leben. Die Bibel, © Copyright der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 by SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten. (NLB)
Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. (LUT)
Bibeltext der Neuen Genfer Übersetzung. Copyright © 2009 Genfer Bibelgesellschaft, CH-1204 Genf. Wiedergegeben mit der freundlichen Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten. (NGÜ)
BasisBibel. Das Neue Testament und die Psalmen, © 2012 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. www.basisbibel.de. (BB)
NeÜ Bibel.heute © 2006 Karl-Heinz Vanheiden, Hammerbrücke, Christliche Verlagsgesellschaft, Dillenburg. (NeÜ)
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Satz: Christoph Möller, Hattingen
Du kannst nicht nicht in der Gegenwart Gottes sein.
Wohin würdest du gehen wollen?
Er ist da.
Die Frage ist: Bist du es auch?
Nach Psalm 139
Wenn dein Herz wandert …
bring es behutsam an seinen Ort zurück und versetze es sanft
in die Gegenwart des Herrn.
Und selbst wenn du in deinem Leben nichts getan hast,
außer dein Herz zurückzubringen
und wieder in die Gegenwart Gottes zu versetzen,
obwohl es jedes Mal fortlief,
nachdem du es zurückgeholt hattest,
dann hast du dein Leben wohl erfüllt.
Franz von Sales
Für alle Wegbegleiter in Sachen Echtheit, Tiefe,
Zerbrochenheit und Heilung
Für Isa, Ole und Merle
1. Durst nach mehr
Das Kreuz – und du. | Christof Lenzen
Teil 1 | DIE REISE ZUM SEHNSUCHTSORT BEGINNT
2. Von Meeresrauschen und Abendstimmung
3. Auf der Suche nach dem Sehnsuchtsort des Glaubens
4. Es geht nach innen
5. Wo Gott am liebsten ist …
6. Das Herz Jesu am Kreuz
7. Absolute Ruhe
8. Wo Gott und Mensch sich unendlich nahe kommen
9. Der erste Schritt zum Herzen
Teil 2 | VOR DEM KREUZ
10. Vergangenheit, die bindet
11. Vergangenheit, die befreit
12. Zukunft, die beengt
13. Zukunft, die in die Weite führt
14. Erde, die fesselt
15. Erde, die verwurzelt
16. Himmel, der begrenzt
17. Himmel, der Flügel verleiht
Teil 3 | DER WEG ZUM HERZEN
18. Die Gnade als Treibstoff
19. Gott selbst geht den Weg vor
20. Was den Weg zum Herzen behindert
21. Wie Wüsten den Durchbruch vorbereiten
22. Sammlung: unser Innerstes Gott hinhalten
23. Loslassen: die schwere Kunst
24. Ausstrecken nach Jesus: das Herz in den Blick nehmen
25. Die Leistungsfalle vermeiden
Teil 4 | HERZGEFLÜSTER
26. In die Ruhe Jesu eintreten
27. Gebet, das danebengeht
28. Gebet von Herz zu Herz
29. Das vergessene Gebet – das Gebet nach innen
30. Kontemplation – alltagstauglich
31. Kontemplation – Ich hätte da mal eine Frage …
32. Kontemplation – die unser Inneres berührt
33. Das Gebet nach außen – Fürbitte
34. Das Gebet nach oben – Dankbarkeit, die aus dem Herzen kommt
35. Das Gebet nach oben – Anbetung, neu gedacht
Teil 5 | DAS HERZ IN DEN ALLTAG NEHMEN
36. Gegenwärtig leben
37. Drei Schritte
38. Wie der neue Weg unser Leben verändert
39. „Stattdessen“ leben
40. Angekommen
Dank
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Montagmorgen. Mein 47. Geburtstag. Ich habe den üblichen Wochenanfangs-Blues nach einem aufregenden und faszinierenden Gottesdienst am Sonntag und einer insgesamt anstrengenden Woche. Heute Nacht hat die Haustür aus Versehen die ganze Zeit offen gestanden, ohne dass wir es gemerkt haben. Aber weder ist irgendetwas gestohlen worden, noch der junge Hund weggelaufen. Den Nachmittag werden wir als Familie mit unserer Tochter Merle im Aachener Klinikum verbringen. Ihr krankes Herzchen muss wieder einmal untersucht werden – und wieder einmal rechnen wir damit, dass die Werte aus Gottes Gnade heraus so gut sind wie bei einem gesunden Kind (Und ja! Genau so ist es immer noch!). Wir leben seit vielen Jahren mit einem kleinen blonden Wunder.
Diese Woche warten viele gute Termine, eine Rundfunkaufnahme – der ganz normale Wahnsinn eines Lebens. Kampf, Entspannung, Freude, Krise. Und mittendrin der Glaube an Gott – vielmehr: Gott selbst. Kopfschüttelnd sitze ich am Schreibtisch und beginne mit der Einleitung zu diesem Buch, das in Worte gießt, was ich in den letzten Jahren mit Gott – manchmal auf die harte Tour – erfahren habe. Tränen der Dankbarkeit schießen in meine Augen. 39 Kapitel sind schon geschrieben, nun die letzten Worte, eigentlich ja die ersten …
Vor über zehn Jahren saß ich im Auto. Im Regen an der Nordsee. Habe Gott angeschrien und wütend aufs Lenkrad gehämmert. Warum nur war er so weit weg? Wenn er mich liebte – warum zeigte er sich nicht? Eine tiefe Krise mitten in meinem Studium der Theologie. Ich wollte Pastor werden und hatte gleichzeitig keine Lieder mehr im Herzen – nur den Willen durchzuhalten und den Gedanken: Ohne ihn will ich nicht sein!
Im Rückblick beginne ich zu verstehen, wozu all das nötig war. In mir ist seit dieser Zeit eine tiefe, leidenschaftliche Sehnsucht gewachsen, die ich verpasst hätte, wenn Gott einfach meine damalige Sehnsucht bedient hätte. Noch heute ist es so, wenn ich Kampfzeiten mit Vater, Sohn und Heiligem Geist durchlebe, wenn ich also zum Beispiel mit Gott ringe, ihn als abwesend empfinde, Dinge nicht verstehe oder zweifle, dass ich das zuerst schwer akzeptieren kann. Wie auch? Doch diese Zeiten der Wüste – auf die ich noch genauer eingehen werde – verstärken meine Sehnsucht umso mehr. Lassen mich nach Wegen suchen, diese Sehnsucht zu stillen, zu leben. „Jedem, der durstig ist, werde ich aus der Quelle, die das Wasser des Lebens enthält, umsonst zu trinken geben!“ – so sagt Jesus (Offenbarung 21,6; NLB). Ohne Durst kein Empfangen. Ich ahne: Auch mit Durst, der auf etwas Falsches gerichtet ist – kein Empfangen.
Ich will es ganz persönlich erzählen – vielleicht finden Sie sich wieder: Mir ist es oft ganz kindlich um Gottes Nähe gegangen, damit ich mich besser fühlte, geborgener, sicherer. Das sind gute Wünsche am Anfang eines Glaubenslebens, als Babychrist. Aber es ging mir dabei eben nicht um die Nähe zu ihm um seiner selbst willen. Ich habe mehr auf die Gaben, den Segen Gottes geschaut als auf ihn um seiner selbst willen. Ich habe erwartet, dass er meine inneren Festlegungen und Prägungen umgeht, aber er respektierte sie und verletzte niemals meine Grenzen. Nie! Dass er sich mir entzogen hat, hat mich sanft dazu gedrängt, mich dieser Tatsache zu stellen. Mir ist klar geworden – mehr und mehr –, dass es nur um ihn geht. Darum, sich in ihm zu verlieren und sich so paradoxerweise zu finden.
Eine Zwischenbemerkung: Ich ertappe mich dabei, wie ich diesen guten und richtigen Gedanken schon wieder systematisiere („Wenn ich jetzt dies und das loslasse und bearbeite, dann komme ich endlich an …“). Aber die Gegenwart Gottes ist ja da, sie braucht mein Systematisieren nicht! Sie weicht jedoch zurück und entzieht sich mir, wo ich sie gebrauche und missbrauche. Es geht immer um Intimität – mehr nicht.
Ich habe verstanden, dass ich oft Intimität mit Gott gesucht habe, um … (Gaben zu empfangen, besser drauf zu sein, Sicherheit zu haben). Ich habe auch verstanden, dass das Handeln Gottes ein Ziel hat: dieses kleine „um“ in meinem Herzen zu streichen. Gott geht es nicht um verzweckte, um „professionelle“ Intimität. Wie nennen wir gleich Menschen, die professionelle Intimität anbieten? Nein, dazu will ich Gott nicht machen und er liebt viel zu sehr, um das zu dulden und sich mit diesem Wunsch in meinem Herzen zufrieden zu geben. In mir – und auch in Ihnen – steckt viel mehr! Viel Größeres!
Dieser Gott liebt unermesslich, überströmend. Er hat mir in seiner Liebe den Weg aufgezeigt, der zu seinem Herzen führt, in seine Ruhe, in seinen Frieden. Einen ersten Vorgeschmack auf das Symbol dieses Weges, das Ziel der Sehnsucht, finden Sie auf der Karte, die dem Buch beiliegt.
Machbar ist dieser Weg nicht. Ich beschreibe ihn – und er besteht aus Abenteuer, Fallenlassen, Loslassen, Sich-Verlieren und -Hingeben, manchmal auch Zerbrechen. Es ist der Weg zum Herzen Jesu am Kreuz. Der Weg aus unseren Gebundenheiten zwischen Himmel und Erde, Vergangenheit und Zukunft hinaus in die Freiheit seines Herzens.
In den letzten Jahren habe ich immer wieder solche Herzensmomente erlebt. Ich wachse hinein in dieses Sein und höre auf mit dem Tun. So begreife ich, dass dieses Herz Gottes in Jesus mich zur Ruhe bringen will, um mich noch kraftvoller und erfrischt wieder auf die Reise zu schicken. Um mich dann wieder anzuziehen – mich aufatmen zu lassen – wieder auszusenden. Ein pulsierendes Abenteuer des Glaubens. Hoch spannend. Aufregend. Gleichzeitig total entlastend.
Diesen Weg zum Herzen Jesu am Kreuz werde ich beschreiben. Es geht darum zu erleben: Er und ich, wir sind eins geworden. Er in mir, ich in ihm. Genau an diesem Ort komme ich zur Ruhe und lerne, von diesem Ort her zu leben.
Lassen Sie sich ein auf dieses Wagnis der Reise zum Herzen Jesu. Es verlangt den ganzen Mann und die ganze Frau. Denn es geht um viel mehr als um Beschreibungen der Liebe Gottes, die unser Herz erwärmen. Es geht darum, direkt am Herzen anzukommen. Am eigenen – und an Gottes. Machen wir uns auf ins Abenteuer.
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Das Kreuz – und du.
Der Querbalken –
die Arme Jesu verbinden Vergangenheit und Zukunft.
Der Längsbalken –
er selbst mit seinem ganzen Sein
verbindet Himmel und Erde.
Mittendrin – das Herz Gottes in seinem Sohn.
Es starb für dich und – es schlägt für dich. Ewig.
Du – irgendwo unterwegs in den vier Dimensionen,
mit Sehnsucht nach der Mitte, nach dem Herzen Gottes.
Wo kommst du zur Ruhe?
Das Herz Jesu – es zieht dich an.
Der Strom der Gnade nimmt dich auf
und zieht dich sanft in die Ruhe Gottes.
Du wirst verwandelt und ausgesendet,
mit neuer Kraft, die Welt zu verändern.
In die Ruhe gezogen werden, in der Ruhe verweilen,
aus der Ruhe leben.
Zentriert, geborgen, verwandelt, entzündet, begeistert!
Das Wagnis, ganz aus Jesus zu leben.
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„Wir brauchen im Leben zwei Dinge. Etwas, das uns satt macht, und etwas, das uns hungrig macht.“ Ich habe diesen Satz vor einiger Zeit unterwegs im Auto gehört und er hat mich am Fahrbahnrand anhalten lassen, denn er bringt ganz viele Seiten in mir zum Schwingen – aber er hat mich gleichzeitig traurig gemacht. Denn sofort bin ich bei der Standardantwort eines guten Christen: Jesus. Er macht satt – aber er macht auch hungrig nach mehr, nach Leben, nach Fülle, nach Hineinwachsen in seine Wesensart. Und ja, diese Antwort ist absolut richtig. Doch ich spüre auch, wie lange Zeit kein Hunger mehr da war. Gerade weil Jesus zu sehr Antwort auf alle Fragen war und zu wenig auch Abenteuer und Geheimnis. Da hat nichts mehr meine Sehnsucht angefacht! Gleichzeitig hatte ich mich um die Beziehung zu Jesus abgekämpft und war müde und, ja, auch bitter geworden.
Neben dieser Ebene entdeckte und entdecke ich aber auch, womit ich mich vermeintlich satt machte und nach was ich fälschlicherweise hungrig war und immer wieder bin. Ich spüre die Blockaden, die der Fülle Gottes im Wege stehen.
Aber so weit sind wir noch nicht. Gott ist ein verzehrendes Feuer (Hebräer 12,29). Wenn wir nun seine Ebenbilder sind, dann soll dieses Feuer, das erobern, das sich ausbreiten möchte, auch in uns brennen! Wir finden Menschen faszinierend, die Leidenschaft und Sehnsucht in sich tragen und daraus die Kraft ziehen, Dinge zu verändern. Oft waren und sind es gar nicht die großen Persönlichkeiten, sondern Menschen wie du und ich – aber eben mit einer großen Sehnsucht und Leidenschaft im Herzen. Genau darum geht es in diesem ersten Teil: um diese Entzündung unseres Herzens, um Treibstoff, um etwas, das Sehnsucht auslöst.
Letztlich gilt ja: Sünde beruht auf einer berechtigten Sehnsucht, die auf falsche Weise befriedigt wurde. Aber die Sehnsucht selbst ist vollkommen legitim! Im Vermeiden von Fehltritten wird jedoch die eigentlich berechtigte Sehnsucht verdrängt, anstatt sie ernst zu nehmen und sich von ihr zum Eigentlichen führen zu lassen: dem Herzen Jesu am Kreuz. Dieses Bild, das ich in diesem Buch als Symbol für tiefe Wahrheiten verwenden werde, ist nicht neu – es ist, wie wir sehen werden, biblisch verankert und immer wieder in der Kirchengeschichte verwendet worden. Da gibt es zum Beispiel diese Verse im Epheserbrief:
Es ist mein Gebet, dass Christus aufgrund des Glaubens in euren Herzen wohnt und dass euer Leben in der Liebe verwurzelt und auf das Fundament der Liebe gegründet ist. Das wird euch dazu befähigen, zusammen mit allen anderen, die zu Gottes heiligem Volk gehören, die Liebe Christi in allen ihren Dimensionen zu erfassen – in ihrer Breite, in ihrer Länge, in ihrer Höhe und in ihrer Tiefe. Ja, ich bete darum, dass ihr seine Liebe versteht, die doch weit über alles Verstehen hinausreicht, und dass ihr auf diese Weise mehr und mehr mit der ganzen Fülle des Lebens erfüllt werdet, das bei Gott zu finden ist.
Epheser 3,17-19; NGÜ
Worum geht es? Liebe. Eine Liebe, die sich in Christus als Höhepunkt gezeigt hat. Die unser Leben begründet und ihm Wurzeln gibt. Sie ist eine solide Basis, die jeden Sturm aushält – Paulus verwendet eine architektonische und eine botanische Metapher, so wichtig ist ihm das: die Liebe als Wurzelgrund, als Zentrum. Aber es geht weiter! Was lässt uns diese Stabilität mehr und mehr erkennen? Vier Dimensionen – Breite, Länge, Höhe und Tiefe – von noch mehr Liebe! Und wozu führt dieses Erkennen? Zu mehr Fülle im Leben, zu aller Fülle, die bei Gott zu finden ist. Maximum! Der Himmel ist die Grenze! Perfektion Gottes. Die Verse geben uns keine Alternative: Das ist der Maßstab, der nicht frusten soll, sondern anfeuern, entzünden, Sehnsucht anstacheln! Paulus wird davon, so schreibt er vorher und nachher, auf die Knie getrieben!
Mich faszinieren diese vier Dimensionen, die unseren Verstand sprengen. Antike Ausleger dieser Bibelstelle haben sie so gedeutet, dass das Kreuz sie verbindet. In der Vertikalen verbindet es Himmel und Erde – in der Horizontalen umarmt es die ganze Welt von der tiefsten Vergangenheit bis in die ferne Zukunft. Was findet sich im Zentrum des Kreuzes? Die Liebe Gottes. Das Herz Jesu als Symbol für das Vaterherz, das für uns geopfert wurde, damit wir Heil finden und mehr und mehr heilen dürfen.
Mir wird schwindelig bei den Versen aus dem Epheserbrief – aber sie wecken in mir Abenteuergeist und Sehnsucht nach mehr. Mehr Gnade, Liebe, Weite, Höhe, Tiefe und mehr, einfach mehr: Jesus. Machen wir uns auf die ersten Schritte des Weges. Diesmal ganz behutsam. Am Ende dieses ersten Teils werden wir das Bild, das unsere Sehnsucht entzünden möchte, vor Augen haben.
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Ich habe einen Sehnsuchtsort. Wenn ich den schmalen Durchgang durch die Dünen hinaufstapfe, die Schuhe im weichen Sand versinken, ich die ungewohnte Spannung in den Wadenmuskeln auf dem weichen Untergrund spüre, merke ich, wie mein Herz und mein Geist sich erwartungsvoll anspannen und dann seufzend aufatmen, sobald es zum ersten Mal zu sehen ist: das Meer.
Für andere Menschen sind es Gipfel, die man nach langem Anstieg erreicht. Der Blick weitet sich und die Augen tasten den Horizont ab, verlieren sich in der Schönheit der Landschaft. Wieder andere denken an die einsame Hütte an einem kleinen See in Schweden, vor der im Abendlicht die Mücken tanzen. Wir alle haben und brauchen Sehnsuchtsorte. Es sind die Orte, an die wir als Allererstes denken, wenn man uns sagt: „Denk an den Ort, an dem du dich pudelwohl fühlst, geborgen, sicher, entspannt, angekommen und zufrieden.“
Was zeichnet solche Sehnsuchtsorte aus? Sie sind sicher. Man hat sie vielleicht auf schwerem und unsicherem Wege erreicht, aber sie selbst sind sicher und vermitteln Geborgenheit. Selbst wenn der Sehnsuchtsort Abenteuer verheißt, so ist dieses Abenteuer nicht von der Art, die uns bricht und überfordert. Er mag uns an die Grenzen des uns Machbaren bringen, aber wir wissen: Es droht keine echte Lebensgefahr. Weder für den Körper noch für die Seele.
Sehnsuchtsorte sind Orte der Schönheit. Dabei wird diese natürlich als sehr subjektiv erlebt und ist Gott sei Dank individuell vielfältig und verschieden. Aber es ist immer eine Schönheit, die uns kreativ und still macht; füllt, aber nicht überfüllt. Unsere Augen – als Einfallstor zum Herzen – werden angeregt, aber nicht aufgeregt und überreizt.
Sehnsuchtsorte sind sehr persönlich, aber wenn wir jemanden wertschätzen oder lieb haben, dann wollen wir ihm oder ihr diesen Sehnsuchtsort zeigen. Wir erhoffen, dass er etwas von der Magie dieses Ortes ahnen und erspüren kann und somit unser Herz versteht. Es tut weh, einem Freund einen herrlichen Aussichtspunkt zu zeigen – weiter Horizont, gefärbte Blätter, sanfte Hügel – und dieser zuckt nur mit den Schultern und wendet sich im Unverständnis ab …
Sehnsuchtsorte haben etwas Geheimnisvolles, das uns anzieht. Das Geheimnis findet sich in dieser unnachahmlichen Mischung aus Perspektive, Schönheit, Wahrnehmungen aller Art, Licht usw., die eben nur wir so erspüren können. Wenn wir diesen Sehnsuchtsort einnehmen und aufsaugen, fällt die Zeit in sich zusammen und es wird still, selbst wenn der Ort an sich gar nicht still ist (obwohl Sehnsuchtsorte oft eine ganz eigene Stille in sich tragen). Eben weil sie so geheimnisvoll und speziell sind, teilen wir sie nicht mit jedermann, sondern nur mit ausgewählten Menschen, die wir in unser „Allerheiligstes“ hereinlassen.
Sehnsuchtsorte – das sind gleichzeitig Orte, wo wir ohne jede Anstrengung etwas Transzendentes spüren. Die Schicht zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt scheint hier dünner zu sein. Die Seele weitet sich und streckt sich. Zeit dehnt sich aus und verändert ihren Charakter in unserer Wahrnehmung. Die empfundene Zeit vergeht entweder ungewohnt schnell oder sie verliert sich und versickert. Es entsteht der Eindruck intensiver Gegenwärtigkeit – etwas sehr Seltenes und Kostbares in unserer Zeit.
Sehnsuchtsorte entfachen schließlich immer noch mehr Sehnsucht in uns. Sie sättigen uns und machen uns gleichzeitig hungriger. Wir wollen die Erfahrung dieses Ortes vertiefen und wieder und wieder erleben. Und wir möchten die Atmosphäre in den Alltag mitnehmen. Ob es die Muschel auf dem Schreibtisch ist oder der Stempel auf der verknitterten Seite des Bergsteigerbuchs – Symbole, Gegenstände sollen die einmalige Herzensbedeutung des Ortes hinüberretten in die manchmal so erlebte Einförmigkeit des Alltags. Wenn wir dann die entsprechenden Gegenstände in der Hand wiegen, spüren wir die Sehnsucht und gleichzeitig einen nagenden Hunger, das Geheimnis des Ortes in unseren Alltag zu holen.
Sehnsuchtsorte. Man kann sie nicht machen und nicht finden. Sie finden einen. Eine klischeehaft schöne Meeresbucht lässt uns vielleicht kalt. Eine kühle Ecke im Bistro in einer dunklen Seitengasse mitten in Palma fasziniert uns dagegen und fesselt uns plötzlich. Insofern sind Sehnsuchtsorte Gnadenorte. Sie erwischen uns im Vorbeigehen, nicht im geplanten Abhaken eines touristischen Best-of.
Vielleicht können Sie mit diesem Begriff gar nicht so viel anfangen? Wissen nur theoretisch, was ich hier beschreibe? Das kann ich gut verstehen. Denn Sehnsuchtsorte sind Ausdruck einer durchaus kindlichen (nicht kindischen!) Seite in uns. Der kleine Junge, der seine Höhle gefunden hat, in die er seinen „Schatz“ bringen kann, und keiner weiß es. Das kleine Mädchen, das sich auf die Bühne einer Ballettaufführung träumt. Das Kind, das auf dem Schoß von Opa Geborgenheit findet und bei dieser Mischung aus kratzigem Bart, dem Geruch von Kaffee und Plätzchen und der großen Hand des Großvaters auf dem Kopf spürt: Hier will ich sein. Sehnsuchtsorte haben mit Kindlichem zu tun, und genau das findet oft zu wenig Raum in uns. Ich jedenfalls habe es phasenweise verlernt, diesen Teil in mir wahrzunehmen.
Wir brauchen Sehnsuchtsorte, Orte der Verheißung. Warum? Warum brauchen ihn Kinder? Warum träumen sich Sportler aufs Siegertreppchen? Warum Verliebte in die Arme des Geliebten? Weil die Sehnsucht Energie freisetzt! Motiviert! Wenn die Sehnsucht erloschen ist, versuchen wir aus den letzten glühenden Aschekrümeln unser Leben und unseren Glauben zu befeuern. Dabei geht es darum, sich neu entzünden zu lassen. Sehnsuchtsorte haben genau diese Qualität. Sie bewegen uns zu neuen Schritten. Wir träumen von ihnen – oder lernen wieder neu, von ihnen zu träumen. Sie vermitteln uns einen Eindruck von Ewigkeit mitten in der Vergänglichkeit. Sie motivieren uns zum Weitergehen und zum Kämpfen. Denn nicht immer sind diese Orte leicht erreichbar. Sie sind nicht um die Ecke und mit einer Fernbedienung einfach einschaltbar. Sie wollen erobert und eingenommen werden. Wer bewusst danach sucht, wird sie nicht finden. Nur wer die Sensoren des Herzens weit öffnet und so durch den Alltag geht, merkt, wenn ein Sehnsuchtsort gefunden ist.
Das ist die Dynamik des Sehnsuchtsorts! Es gibt nur ein Problem. Ausgerechnet im zentralen Bereich des Lebens für Christen, im Glauben, haben wir oft keinen oder nur einen unzureichenden Sehnsuchtsort, der uns nährt und wachsen lässt. Sehnsucht und Glaube? Oft weit entfernte Planeten, die um andere Zentren kreisen. Ich bin überzeugt: Wir brauchen einen Sehnsuchtsort des gelebten Glaubens. Der uns entzündet, strahlen lässt. Und zwar: täglich. Im Alltag.
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Brauchen wir einen Sehnsuchtsort des Glaubens? Reichen nicht das Wort, die Lehre, die Gemeinschaft und die geistlichen Übungen? Solche Fragen mögen bei einem so ungewöhnlichen Thema entstehen. Doch die Bibel selbst spricht über Sehnsuchtsorte. Da ist die grüne Wiese der Fülle in Psalm 23, da sind die vielen Gärten – der Garten Eden, die blühenden und Früchte tragenden Gärten der Psalmen und Propheten als Zeichen der Fülle und des Segens, der Garten Gethsemane, in den Jesus sich zurückzieht, um Trost bei seinem Vater zu finden (selbst wenn dieser später zum Ort des Verrats wird). Auch die Altäre und Gedenkstätten der wichtigen Stationen Israels sind Orte, wo die Erinnerung an die großen Taten Gottes lebendig wird. Und dann sind da die vielen kleinen persönlichen Sehnsuchtsorte. Für Jesus vielleicht der Schutzraum bei Maria und Marta. Der Rückzug auf einen Hügel, um zu beten. Über allem ragt der Sehnsuchtsort par excellence: Jerusalem. Das himmlische Jerusalem für die Christen. Das ewige Festmahl, die Hochzeit.
Die Bibel erzählt uns also immer wieder wie beiläufig von verschiedenen Sehnsuchtsorten für die Menschen damals, über die Jahrtausende. Doch so normal solche Orte für die Persönlichkeiten der Bibel waren – sie sind uns als Triebfeder des Lebens und Glaubens in unserer verkopften Welt fremd geworden.
Dazu kommt die fatale Erfahrung, dass wir uns, auch wenn wir Jesus Christus nachfolgen, gerne falsche Sehnsuchtsorte suchen, wenn wir den wahren Ort nicht kennen. Das sind Orte, die uns eine Ahnung von Gottesbegegnung vermitteln und dann doch wieder hungrig, vielleicht sogar irgendwann ratlos und resigniert zurücklassen: die Freizeit zur geistlichen Erneuerung, die Gemeinde, die „es drauf hat“, eine legendäre Konferenz, ein bestimmtes Kloster. Wenn wir den wahren Sehnsuchtsort Gottes nicht gefunden haben, sind wir weiter auf der Suche. Ja, wir dürsten nach einem solchen Ort, und um unseren Durst zu stillen, benutzen wir die gewohnten Reflexe wie bei den irdischen Sehnsuchtsorten. Wir erwarten alles von ihnen, versuchen Erfahrungen zu konservieren, steigern vielleicht die Dosis. Deswegen ist es zuerst wichtig, diese so verständliche, aber irregeleitete Suche zu erkennen.
Es gibt eine Form von geistlicher Apartheid, die Gott von seiner Schöpfung trennt. Gott ist dann plötzlich nicht mehr immer und überall und in allen Umständen erfahrbar, sondern nur in bestimmten Situationen und an besonderen Orten. Daraus entsteht eine unbiblische Religiosität, die die religiöse Ader unserer alten Natur bedient, sich aber von der frohen Botschaft entfernt, dass Jesus Christus jede Sekunde bis ans Ende der Zeit bei uns ist (Matthäus 28,20b). Dabei wirkt diese geistliche Apartheid nach außen durchaus fromm und schickt uns doch immer wieder neu auf die (verzweifelte) Suche nach dem Sehnsuchtsort der Begegnung mit Gott. Denn wenn Jesus nicht immer und überall anzubeten ist, dann muss es ja besondere „heilige“ Orte geben.
„Auf dieser Freizeit ist Gottes Geist besonders spürbar.“ „Diese Gemeinde hat eine besondere Salbung.“ „Diese geistliche Übung bringt es echt!“ „Wenn wir nicht zur Bibelübersetzung von Luther 1912 zurückkehren, erleben wir keinen Aufbruch.“ „Ich muss mich mal für ein paar Stunden ganz zurückziehen, um Gott so richtig zu erleben.“