Über dieses Buch:
Ein Krieg tobt im Verborgenen zwischen den Vampiren der Condannato-Loge und dem abtrünnigen Audax-Zirkel, für den das Leben eines Sterblichen keinen Wert hat. Der Anführer der Audax befiehlt dem Vampir Logan, die Condannato-Leibwächterin Abelaine in seine Gewalt zu bringen. Dabei kommt es zu einer fatalen Verwechslung: Statt der mächtigen Vampirin fällt ihre scheue, menschliche Zwillingsschwester Alyce in die Hände des Jägers. Voller Angst muss sie um ihr Leben fürchten – und ist trotzdem machtlos gegen seine dunkle Anziehungskraft. Auch Logan spürt ein unstillbares Verlangen. Doch es ist nicht nur Alyces Blut, nach dem ihm dürstet, es sind ihre Küsse, nach denen er sich zunehmend verzehrt …
Gestern, heute, morgen: Sandra Henke und Kerstin Dirks erzählen in der Condannato-Trilogie von unstillbarem Verlangen und lodernden Gefühlen, die Jahrhunderte überdauern.
Über die Autorinnen:
Sandra Henke, geboren 1973, gehört zu den Autorinnen, die sich nicht auf ein Genre beschränken, sondern ihre Leserinnen auf die unterschiedlichste Art begeistern – mit großen Liebesgeschichten, Fantasyromanen und erotischer Literatur. Unter dem Namen Laura Wulff veröffentlicht Sandra Henke außerdem erfolgreich Thriller. Sie lebt, glücklich verheiratet, in der Nähe von Köln. Mehr Informationen finden sich auf den Websites der Autorin (www.sandrahenke.de und www.LauraWulff.de) und auf Facebook: https://www.facebook.com/sandra.henke.autorin
Kerstin Dirks, 1977 in Berlin geboren, hat eine Ausbildung zur Bürokauffrau absolviert und Sozialarbeit studiert. Sie schreibt seit mehreren Jahren erotische Romane, historische Liebesromane und Fantasy. Die Autorin im Internet: http://www.kerstin-dirks.de/
Eine Übersicht über die bei venusbooks erschienenen Werke von Sandra Henke und Kerstin Dirks finden Sie am Ende dieses eBooks.
Die Trilogie um die Vampirloge Condannato von Sandra Henke und Kerstin Dirks umfasst die folgenden Bände:
Die Condannato-Trilogie – Erster Band: Begierde des Blutes
Die Condannato-Trilogie – Zweiter Band: Zähmung des Blutes
Die Condannato-Trilogie – Dritter Band: Rebellion des Blutes
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eBook-Neuausgabe Februar 2015
Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.
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Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München
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Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock / CURAphotography.
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-95885-032-3
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Sandra Henke & Kerstin Dirks
Zähmung des Blutes
Zweiter Roman
der Condannato-Trilogie
venusbooks
Abelaine Torn blickte sehnsüchtig zu dem dicken Stoffvorhang, der das Fenster ihres kleinen Motelzimmers verdeckte und sie vor den tödlichen Strahlen der untergehenden Sonne schützte. Schmerzlich war sie sich bewusst, dass ein Funken Sonnenlicht genügte, um ihren Körper in ein Häufchen Asche zu verwandeln. Sie erhob sich von dem knarrenden Bett, in dem sie den ganzen Tag kein Auge zugetan hatte und streckte die Hand nach dem roten Stoff aus. Zu gern hätte sie ihn einfach beiseite geschoben, um endlich wieder die Welt im warmen Licht der Sonne zu sehen, vor der sie sich nun schon seit über 6 Jahren verbarg. Es kam ihr vor, als lebte sie seit einer Ewigkeit in der Dunkelheit, in einem erkalteten Körper, der äußerlich nicht mehr alterte. Sie war zu einem Raubtier geworden, das nach Blut gierte und sogar bereit war zu töten, um es zu bekommen. In Augenblicken wie diesen, in denen ihr das Ausmaß ihres Schattendaseins bewusst wurde, wünschte sie sich, wieder ein Mensch zu sein.
Abelaine schüttelte den Kopf über ihre eigenen Gedanken. Es war ihre Entscheidung gewesen. Sie hatte gewusst, welchen Preis die Unsterblichkeit forderte. Und sie hatte ihn gern gezahlt! Die Loge Condannato war zu ihrer Familie geworden. Für die Vampire und ihren Anführer Dorian Everheard hätte Abby sogar ihr Leben gegeben. Ihre Loyalität zu der Loge hatte sie in einen dunklen Krieg gegen die Audax-Vampire geführt, deren Zirkel Nordirland fest in der Hand hielt. Nun befand sie sich auf einer äußerst wichtigen Mission, die über die Zukunft Vita Eternas entscheiden würde. Das Bündnis der acht britischen Vampirlogen, dem auch Condannato angehörte, drohte aufgrund innerer Zwistigkeiten und Machtkämpfe auseinanderzubrechen. Nur durch den Einfluss des höchsten Ratmitglieds Sur konnte der Frieden bewahrt werden. Doch Sur hatte vergiftetes Blut getrunken und lag im Sterben. Niemand wusste, wer den Ratsherrn verraten hatte. Ob ein Vampir aus den eigenen Reihen zum Abtrünnigen geworden war, oder ob die teuflischen Audax hinter dem Anschlag steckten? Eines war jedoch gewiss. Mit Sur würde auch Vita Eterna sterben. Und ohne den Schutz des Bündnisses war jede einzelne Loge verwundbar. Dorians Hoffnung lag bei Abby und ihren Gefährten, die durch Großbritannien gereist waren und bereits sieben der acht Logen aufgesucht hatten, um von deren Anführern je einen Blutstropfen in einer Phiole zu sammeln. Nur das Blut der mächtigsten Vampire Vita Eternas konnte Sur jetzt noch retten! Die Delegation befand sich auf dem Weg zu ihrem letzten Ziel, der Loge Maledetto, die in einem alten Schloss nahe Birmingham residierte.
Nur 35 Meilen von der walisischen Hauptstadt Cardiff entfernt, hatten sich die Vampire in einem Motel in dem Vorort Hampton zurückgezogen, um dort den Tag zu verbringen. Abby war froh, dass sich ihre Mentorin Valencia King nicht für das näher gelegene Shelham entschieden hatte. Denn in der kleinen Vorstadt lebte Abbys bestgehütetes Geheimnis – ihre menschliche Zwillingsschwester Alyce. Seit sich Abelaine vor einigen Jahren nach London abgesetzt hatte, hatte sie Alyce nicht mehr gesehen. Bewusst hatte sie den Kontakt abgebrochen – nicht geschrieben, nicht angerufen. Wie hätte sie Alyce auch erklären sollen, dass sie nun eine Vampirin war. Ein Wesen, das seine Reißzähne in menschliche Hälse schlug und nach frischem Blut dürstete. Abby gestand es sich nur ungern ein, doch sie fürchtete sich vor einem Wiedersehen. Was würde Alyce sagen, wenn ihre leichenblasse Schwester plötzlich vor ihr stand? Würde Alyce sie mit Verachtung strafen? Würde sie ihr Vorhaltungen machen? Alyce war immer die Anständige, die Brave, die ihrer Mutter nie Kummer bereitet hatte. Ganz im Gegensatz zu Abby, die sich in jungen Jahren mit Vorliebe geprügelt und die Schule geschwänzt hatte, wann immer sich eine Gelegenheit bot. Sie hatte wohl jede noch so anstrengende Phase durchgemacht, die ein Teenager nur durchmachen konnte. Auf der Suche nach dem ultimativen Kick hatte sie sogar leichte Drogen ausprobiert.
Ein zaghaftes Klopfen riss Abby aus ihren Gedanken. Schnell wischte sie die Erinnerungen an ihre menschliche Vergangenheit fort und rief: »Herein!«
Crispin Anderson öffnete die Tür. Er trug einen dunklen Anzug, der seine männliche Figur betonte. Die schwarzen, nach hinten gekämmten Haare ließen ihn apart erscheinen. Man sieht ihm an, dass er früher Versicherungen verkaufte, dachte Abby amüsiert. Er hatte ein Lächeln, das überzeugte. Aber Crispins Vergangenheit war inzwischen zu einem Schatten geworden, der mehr und mehr verblasste. Seine Haut schimmerte genauso hell wie ihre eigene, weil er das Tageslicht nur noch selten sah, seit er im Dienst der Vampire stand.
»Kann ich etwas für Sie tun, Mr. Anderson?«, fragte Abby und wartete, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann setzte sie sich auf ihr Bett und schlug provokant die Beine vor seinen Augen übereinander. Sie war sich sicher, dass er ihren Slip, kurz bevor sich ihre Beine kreuzten, unter dem schwarzen Spitzenhemdchen gesehen hatte. Das leichte Zucken seines Mundwinkels verriet ihn.
»Mr. Anderson?«, wiederholte er ungläubig. »Wieso müssen wir uns verstellen? Niemand ist hier, außer dir und mir.«
»Ich mache doch nur Spaß, Cris.«
Sie liebte es, ihn zu necken. Und sie liebte es, andere Dinge mit ihm zu tun.
»Wir brechen in einer Stunde auf«, sagte er.
»Die Zeit sollten wir nutzen, meinst du nicht?«
»Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest.«
Abbys Gesichtsausdruck wandelte sich. Ihr sonst freundlicher Blick hatte plötzlich etwas Erhabenes, beinahe Strenges an sich. »Möge das Spiel beginnen«, schnurrte sie kehlig.
Ein Grinsen bildete sich auf Crispins markanten Gesichtszügen. Entschlossen trat er an ihr Bett heran, ging vor ihr auf die Knie und begann sanft ihre schneeweißen schlanken Beine zu streicheln. Abby genoss das warme Gefühl seiner Hände auf ihrer zarten Haut. Es belebte sie innerlich. Kein Mensch konnte erahnen, wie herrlich warm sich alles Lebendige anfühlte, wenn man erst einmal eine Weile untot war. So wie sie.
Mit einem Seufzen warf sie den Kopf in den Nacken und schloss genießerisch die Augen, während sie sich langsam auf ihr Bett zurückgleiten ließ.
Crispins Finger wanderten zu ihren Füßen herab. Zärtlich knetete er sie, wärmte sie, indem er sie zwischen seine sanften Hände legte und mit ihren kleinen Zehen und den schwarz lackierten Nägeln spielte. Abby kicherte wie ein Schulmädchen, als er einen Kuss auf ihre nackte Sohle hauchte. Seine Lippen verwöhnten ihre Fußballen, jeden einzelnen Zeh liebkoste er mit seiner beweglichen Zunge. Geschickt glitt sie bis zu ihren Fersen hinab und jagte Abby wahre Schauer über den Rücken.
»Das nennst du eine gründliche Reinigung?«, feixte Abby.
»Verzeih mir.«
Crispin verschwand im Badezimmer und kam kurze Zeit später mit einem Eimer voll warmen Wasser zurück, den er vor Abbys Bett stellte. Ein Seufzen drang aus ihrer Kehle, als er ihre Füße erneut in die Hände nahm und liebevoll knetete. Bei dieser herrlichen Massage konnte sie glatt einschlafen! Crispin wusste genau, was sie brauchte. Mit einer Langsamkeit, die sie verrückt machte, ließ er ihre Zehen in das Wasser hinab. Gierig sogen ihre kalten Füße die lebendige Wärme auf. Crispins Hände tauchten ebenfalls ins Nass, streichelten ihren Fußrücken bis zu ihrem Knie hinauf, wo sie perlrunde Tropfen hinterließen. Wenn er sie auf diese Art berührte, sie mit seinen Zärtlichkeiten verwöhnte, konnte sie all ihre Sorgen vergessen. Sie liebte die Sanftheit seiner Hände. Abby wusste, dass seine hellgrauen Augen auf ihr ruhten, dass er sie beobachtete, während er sie verwöhnte. Ihr glücklicher Gesichtsausdruck war ihm Belohnung genug, so dass sie sich oft nicht einmal revanchieren musste. Für Crispin stand ihre Befriedigung an erster Stelle. Ihr zu dienen, erregte ihn.
Wieder spürte sie seine nassen Hände auf ihren Waden, auf ihren Oberschenkeln, doch in höhere Regionen wagte er sich nicht vor. Zumindest nicht, wenn sie ihn nicht dazu aufforderte. Sie wusste, dass er es genoss, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Abby kannte seine Vorlieben. Sie hatten sich gesucht und gefunden. Eine unkomplizierte Beziehung, die eigentlich gar keine Beziehung war. Sie waren Spielgefährten. Sie ergänzten sich gegenseitig, konnten dem anderen das geben, was er begehrte. Und doch hatte Abby peinlich genau darauf geachtet, dass kein Vampir und auch kein anderer Anwärter von ihrer heißen Affäre erfuhr. Ein Ruf war schnell zerstört. Deswegen hatte es ihr zuerst auch missfallen, dass Crispin auf die gleiche Mission geschickt wurde wie sie. Fürchtete sie doch, zu sehr von ihm abgelenkt zu werden.
Crispin nahm ihre Füße aus dem Wasser und griff nach dem Schwamm, den er aus dem Badezimmer mitgebracht hatte, tunkte ihn in den Eimer und wartete, bis er sich vollgesaugt hatte. Abby vernahm ein plätscherndes Geräusch, als er ihn ausdrückte. Etwas Feuchtes, doch zugleich unendlich Zärtliches berührte ihre Waden. Es hinterließ eine Spur aus herrlich warmem Wasser auf ihrer Haut. Oh, welch prickelndes Gefühl er in ihr auslöste, als die kleinen Perlen wie frischer Morgentau an ihrem Bein herunterliefen!
Erneut tauchte Crispin den Badeschwamm ins Wasser. Diesmal nahm er ihn jedoch heraus, ohne ihn auszuwringen.
»Erlaubst du mir, deine empfindlichste Stelle zu berühren?«
Abby nickte und zog den Slip aus, so dass ihre rote Lockenpracht direkt vor seinen Augen prangte. Erwartungsvoll und bis zum höchsten Maße erregt legte sie sich wieder auf das Bett. Schon spürte sie eine kleine Sintflut, einen herrlichen Regen, der auf ihr Geschlechtsteil niederging, als er den Schwamm über ihr ausdrückte. Das feuchte Nass floss über ihren Venushügel, durch ihren kleinen Urwald und dann, einem Wasserfall gleich, hinab ins feuchte Tal. Erst jetzt merkte sie, wie heiß sie geworden war. Auch wenn ihre Körpertemperatur sonst einem Eiswürfel glich, so gab es doch Dinge, die ihr Blut erhitzten, es dermaßen in Wallung brachten, dass sie kaum noch an sich halten konnte. Ein wenig erschrak sie, als er plötzlich mit dem nassen Schwamm über ihre Schamlippen streichelte. Behutsam drückte er ihn gegen ihre Labien, wieder trat das Wasser aus dem Schwamm und floss in sie. Abby stöhnte.
»Genießt du es?«
Sie hob den Kopf, öffnete für einen Moment die Augen und nickte. »Aber es gibt etwas, dass ich jetzt noch mehr genießen würde«, sagte sie und streckte sich erneut auf dem Bett aus.
Crispin schien zu verstehen. Ein letztes Mal wusch er ihren Unterleib, die Innenseiten ihrer Oberschenkel bis hin zu ihren Füßen, dann nahm er ein Handtuch und trocknete sie ab. Fordernd spreizte sie ihre Beine noch etwas mehr, um Crispin ein Zeichen zu geben.
Dieser stellte den Eimer zur Seite, beugte sich, auf dem Boden kniend, zu ihr vor und sog ihren himmlischen, verführerischen Duft ein. Sie konnte seinen heißen Atem in ihrer Vagina spüren. Zaghaft, fast ein bisschen ehrfürchtig leckte er über ihre kleinen Schamlippen. Seine Zunge suchte nach ihrer Klitoris, fand sie unter dem fleischigen Mantel und legte sie frei, um die kleine Perle zu verwöhnen. Wieder und wieder glitt er über sie, stimulierte sie, bis sie es kaum noch aushielt.
»Hör bloß nicht auf«, seufzte sie und legte ihre Beine auf seine Schultern. Energisch drückte sie ihn an sich, so dass sein Mund zwischen ihren heißen Lippen verschwand. Ihre Feuchtigkeit breitete sich auf seinem Gesicht aus, doch das schien ihn keineswegs zu stören. Er leckte sie, drang in ihre Scheide ein, bewegte seine Zunge in ihr vor und zurück. Abby presste ihn nur noch fester an sich, begann den aufregenden Rhythmus zu übernehmen und seinen Kopf mit ihren Beinen im Takt zu steuern. Crispin konnte sich aus ihrer Umklammerung nicht befreien, selbst dann nicht, wenn er es gewollt hätte. Er war gezwungen weiterzumachen.
Seine Hände krallten sich in ihre Oberschenkel, rieben sie, streichelten sie und begannen schließlich zu ihrem Venushügel zu wandern, um diesen zu kneten, während er sie gleichzeitig oral befriedigte. Abby spürte bereits die Wellen der Erregung durch ihren Körper peitschen. Sie richtete sich etwas auf, denn nun konnte sie ihn nahen spüren. Gleich, gleich hatte sie ihn erreicht. Er war zum Greifen nah. Ihr Unterleib verkrampfte sich, fester denn je drückte sie Crispins Kopf an ihre Vagina, nahm ihm fast die Luft zum Atmen, und kam schließlich mit einem gewaltigen Schrei, der durch das ganze Zimmer schallte. Erschöpft und erleichtert zugleich ließ sie sich auf ihr Bett zurückfallen und gab den nicht minder erschöpften Crispin wieder frei. Er brauchte einen Augenblick, um sich zu erholen. Als er wieder zu Kräften kam, legte er sich neben sie auf das Bett. Ohne die Augen zu öffnen, drehte Abby den Kopf in seine Richtung und lächelte. Schon streichelten warme Finger ihren Hals entlang. Ein heißes Kribbeln jagte durch ihren Körper. Sie liebte es, an dieser Stelle berührt zu werden. Doch als seine Hand zu ihrer Narbe glitt, zischte sie auf. Die Bisswunde, die ihr Valencia einst zufügte, schmerzte noch immer, als wäre sie frisch.
»Ich wollte dir nicht wehtun«, hauchte er.
»Ich weiß.«
Er zog seine Hand zurück. Abby blinzelte und sah, dass er sich über sie beugte und sie anstarrte. Eine gewisse Faszination lag in seinem Blick, die Abby sehr schmeichelte. Sein Atem kitzelte ihre Wangen – es war ein angenehmes Gefühl. Doch als er schließlich den Kopf senkte und dabei seine Lippen öffnete, ergriff Panik von ihr Besitz, denn etwas Derartiges hatte er nie zuvor gewagt! Ein Bild legte sich über ihre Augen. Ein Bild, das nur so kurz aufzuckte wie ein Blitz, das sie aber dennoch am liebsten für alle Zeit aus ihrem Gedächtnis verbannt hätte. Kyle! In diesem Moment sah sie nicht Crispin, sondern ihren Exfreund, der sie leidenschaftlich küsste. Ein schmerzvoller Stich jagte wie eine heiße Nadel durch ihre Brust direkt in ihr Herz. Erinnerungen kamen auf. Erinnerungen, die sie quälten. Schnell stemmte sie ihre Hände gegen Crispins Schultern und stieß ihn mit ungeahnter Kraft zurück. Crispin fiel zur Seite und landete auf seinem Rücken neben ihr. Sofort richtete sich Abby mit raubtierhaften Reflexen auf, packte ihn an der Kehle und drückte ihn so stark auf ihr Bett, dass eine tiefe Kuhle in ihrer Matratze entstand.
»Was habe ich denn getan?«, keuchte Crispin.
»Du wolltest mich küssen!«, schrie Abby und drückte fester zu. Er hatte Glück, dass sie ihre Krallen nicht ausfuhr und ihm den Hals zerfetzte! In diesem Augenblick hätte sie gut und gern Lust dazu gehabt! Was fiel diesem Narren bloß ein? Wieso hatte er diese schrecklichen Erinnerungen in ihr wachgeküsst?
»Es tut mir leid, ich wollte ... dir nicht zu nahe treten. Es ... es kam einfach so über mich.«
Erschrocken ließ sie von ihm ab. Was hatte sie nur getan? Um ein Haar hätte sie ihren Lustsklaven erdrosselt! Doch noch mehr erschreckten sie seine Worte. Ungläubig sah sie ihn an. Es war einfach so über ihn gekommen? Sie war doch nicht blind. In letzter Zeit hatte sich ihr Verhältnis gewandelt. Irgendetwas war anders an ihm. Er verhielt sich nicht mehr so ungezwungen wie sonst. Konnte es etwa sein, dass Crispin mehr für sie empfand? Ihre Beziehung sollte doch rein sexuell bleiben! Darauf hatten sie sich von Anfang an geeinigt. Spaß im Bett, keine Fragen, keine Rechtfertigungen, keine Probleme. So einfach war das. Abby war mit der Regelung zufrieden. Aber es schien, als wären Gefühle in ihm erwacht, die er nicht haben durfte. Die sie ihm nicht erlauben wollte! Nichts war anstrengender als ein verliebter Mann, der nicht bekam, was er wollte!
Crispin setzte sich auf und befühlte seine Kehle.
»Sage mir, dass ich mich irre. Du hast dich doch nicht etwa in mich verliebt, oder?«, stammelte Abby aufgelöst.
Doch sein Blick verriet ihn ohne ein Wort. Er brauchte nichts mehr zu sagen. Sie las in ihm wie in einem offenen Buch.
»Auch das noch!« Abby sprang auf und lief aufgeregt hin und her. Die Situation überforderte sie. Sie hatte in ihm bisher immer nur den Spielgefährten gesehen, mit dem sie Spaß haben konnte. Er war ein Spielzeug, nicht mehr und nicht weniger.
»Ich verstehe, dass du jetzt andere Sorgen hast. Wenn die Audax von unserer Mission erfahren und womöglich sogar die Phiole in die Hände bekommen, ist Vita Eterna verloren. Über das Blut der Logenführer könnte Santagos eine Verbindung zu ihnen aufbauen, durch ihre Augen sehen und durch ihre Ohren hören. Er würde praktisch alles über Vita Eterna aus erster Hand erfahren, eine Schwachstelle finden und ...«
»Ich weiß!«, zischte Abby. »Das musst du mir nicht erklären. Glaubst du, Dorian hat sich darüber keine Gedanken gemacht? Was meinst du, warum unsere Mission so geheim ist, dass selbst die Logenführer vor unserem Auftauchen nichts von ihr wussten? Es gibt mindestens eine undichte Stelle, und wir wissen nicht, wo sie ist. Abgesehen davon, hat das rein gar nichts mit uns zu tun!«
»Und was hat mit uns zu tun?«
Abby blieb vor ihrem Bett stehen, straffte ihre Schultern und fixierte seinen klaren Blick. »Muss ich dir das wirklich erklären?«
»Ich verstehe nicht, warum du unser Verhältnis geheim hältst? Ist es wegen Kyle? Begehrst du ihn noch immer?«
»Rede keinen Unsinn. Kyle hat in meinem Herzen keinen Platz mehr. Den hat er verspielt.« Abby hasste es zu lügen. Ganz besonders dann, wenn sie sich damit selbst betrog.
»Ich habe euch beobachtet. Mir sind eure Blicke nicht entgangen. Allein die Vorstellung, dass er dich berührt ... dafür könnte ich ihn ...«
»Hör auf! Du und ich – wir sind nicht miteinander verheiratet, Crispin! Wir haben nicht einmal eine Beziehung. Es ist nur eine kleine, bedeutungslose Affäre. Mehr nicht. Außerdem ist Kyle dein Mentor. Ich lasse nicht zu, dass ein Anwärter in solch respektloser Weise über seinen Meister spricht.«
Abby zitterte vor Wut am ganzen Körper. Sie war sich nicht sicher, ob ihr Zorn allein Crispin galt oder ihrer eigenen Erbärmlichkeit. Wieso musste sie noch immer etwas für ihren Ex empfinden? Das Gesicht des Anwärters wurde starr wie eine Maske. »Eine kleine, bedeutungslose Affäre«, wiederholte er bitter und ließ die Schultern hängen.
»Crispin, sei mir nicht böse, ich wollte dich nicht kränken.«
Ohne ein Wort erhob er sich von ihrem Bett und wandte sich zur Tür. Bevor er die Klinke herunterdrückte, drehte er sich noch einmal zu ihr um. »Stört es dich, dass ich nur ein Anwärter bin?«
»Was?«
»Du hast mich schon verstanden. Ist dir mein Rang zu niedrig? Schadet es deinem Ruf?«
»Nein, sicher nicht. Nein. Darum geht es mir auch gar nicht.« Aber ihre Worte klangen nicht sehr überzeugend.
»Was ist es dann?«
Abby zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich weiß es nicht.« Was sollte sie denn tun? Gefühle konnten nun einmal nicht erzwungen werden.
»Versprich mir, wenigstens über uns nachzudenken. Ich finde wirklich, wir wären ein tolles Team.« Mit diesen Worten drehte er sich um und schlug die Tür stärker hinter sich zu, als er es vermutlich beabsichtigt hatte. Der Knall ließ Abby zusammenzucken. Nie zuvor hatte er ihr eine solche Szene gemacht. Er hatte immer gewusst, wo seine Grenzen lagen. Ausgerechnet in dieser schweren Zeit machte er ihr Schwierigkeiten. Erschöpft legte sie sich auf ihr Bett und verschränkte die Arme vor ihrer Brust.
Seine Worte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Wie konnte er nur glauben, sie würde ihn wegen seines Status verschmähen? Natürlich übte ein mächtiger Vampir wie Kyle Hamillton mit hohem Rang in der Condannato Hierarchie eine gewisse Anziehungskraft auf sie aus. Das konnte sie nicht leugnen. Aber Anwärter hin oder her, jeder fängt klein an, und auch Abbys Anwärterzeit war noch nicht allzu lange her. Zwar war sie geradezu in Rekordzeit in den Rang einer Leibwächterin aufgestiegen, dennoch konnte sie Crispin nachempfinden, dass er sich in der Vampirdelegation wohl eher wie das fünfte Rad am Wagen fühlte. Die meisten sahen in ihm eine lebende Nahrungsquelle oder einen Diener, der den Vampiren jeden Wunsch von den Augen abzulesen hatte. Doch durch diese Phase musste sich jeder kämpfen, bevor er schließlich durch einen Biss in einen Vampir verwandelt wurde. Cris war nicht der Einzige, der das durchmachen musste.
Mit einem Lächeln dachte Abby an ihre erste Begegnung mit den Vampiren zurück. Sie hatte mit ihrer Clique eine neue Lack- und Leder- Disko in London besucht. Auf der Tanzfläche waren ihr die schrillsten Gestalten begegnet. Halbnackte Männer und Frauen, die ihre intimsten Stellen mit einem Fetzen Lackstoff bedeckten und Go-Go-Girls, die als Katzen verkleidet hinter Gitterstangen lasziv für ihr Publikum tanzten. Wohin sie auch blickte, hatte sie toupierte Haare, Krallenringe und Nietenhalsbänder entdeckt. Und dann kreuzte plötzlich diese faszinierende Frau mit den blonden Haaren ihren Weg. Abby hatte nur einen kurzen Blick auf sie werfen können, bevor die Fremde mit ihren Gefährten auf der Tanzfläche verschwunden war. Doch dieses Bild schob sich nun umso deutlicher vor ihr geistiges Auge, als wäre sie erst gestern im »Dark Desire« gewesen. Vom ersten Augenblick an hatte Abby eine tiefe Verbundenheit zu Valencia King verspürt. Das übernatürliche Leuchten in Valencias Augen hatte Abby den ganzen Abend über nicht mehr losgelassen. Abby und ihre Begleiterinnen Sam und Jona hatten sich an die Bar gesetzt, einen Bacardi nach dem anderen getrunken und nach einiger Zeit recht attraktive, doch dafür umso aufdringlichere männliche Gesellschaft bekommen. Abbys Geduld hatte ein jähes Ende gefunden, als einer der Jungs Jona an den Busen gefasst hatte. Ohne Vorwarnung hatte sie ihr Butterflymesser gezückt und es dem Grabscher, ehe er auch nur mit der Wimper zucken konnte, an die Kehle gehalten.
»Scheiße, wenn du deine Griffel nicht sofort von ihr nimmst, schlitz ich dich auf, das verspreche ich dir!«
»Alles klar, Mann. War nur Spaß. Bleib locker, ja?«
Die Typen hatten sie nicht wieder gesehen, doch dafür war Valencia an die Bar gekommen und hatte Abby ihre Visitenkarte mit den Worten »Ruf mich an. Jemanden wie dich können wir gut gebrauchen«, zugesteckt. Es war der Beginn einer tiefen Frauenfreundschaft, die bis heute anhielt. Abby mochte sogar behaupten, ihr Verhältnis ging weit über das einer Mentor-Schüler- Beziehung hinaus. Was Val und sie verband war einzigartig.
Ein Blick zu der kleinen Standuhr auf ihrem Nachttisch verriet, dass sie sich allmählich umkleiden musste. In wenigen Minuten würde die Delegation aufbrechen. Langsam schlüpfte Abby aus ihrem Nachthemd und betrachtete sich im Spiegel. Ihre Haut war makellos. Für ihren Geschmack etwas zu hell und definitiv zu kalt, doch mit ihrer Figur war sie zufrieden. »Was für ein Glück, dass wir Vampire – entgegen aller Behauptungen – Spiegelbilder haben, ich hätte deinen Anblick sonst richtig vermisst. Du bist eine heiße Braut, weißt du das?«, sagte sie grinsend zu sich selbst, streifte sich eine enge schwarze Lederhose über, die an den Hüften leicht spannte und betrachtete sich ausgiebig von allen Seiten. »Hatte ich schon erwähnt, dass du einen knackigen Po hast? Kein Wunder, dass Cris verrückt nach dir ist.« Sie zwinkerte sich selbst zu, bevor sie die hüftlangen roten Haare zu einem Zopf band und letztendlich ihren BH und das enge schwarze Schnüroberteil aus dem Gothic-Laden überzog.
Sie nahm ihren Rucksack, überprüfte den Inhalt und stellte schließlich befriedigt fest, das alles da war, was sie brauchte. Die halbautomatische Glock 17 für den Fall, dass die Jäger des heilbringenden Lichts angriffen, sowie die kleine Armbrust mit den speziell angefertigten Holzpflöcken als Bolzen, falls die Audax überraschend aus ihren Verstecken krochen. Ihr Butterfly, das ihr schon mehr als einmal das Leben gerettet hatte, steckte sie in eine kleine Tasche, die an der Innenseite ihres rechten Stiefels angebracht war. Sie packte weitere Habseligkeiten in den Rucksack, schwang diesen über die rechte Schulter und verließ ihr Zimmer. Salopp schlenderte sie die Treppe hinunter und gab den Schlüssel bei dem kauzigen Mann an der Rezeption ab. »Beehren Sie uns bald wieder«, krächzte er. Abby lächelte nur, drückte die Tür auf und trat in die sternenklare Nacht hinaus Der Mond hing voll und prall am Firmament, umgeben von einer einzelnen, dunklen Wolke. Die Vampirin nahm einen kräftigen Zug der kühlen Abendluft, als sie aus dem Augenwinkel eine Gestalt bemerkte.
»Endlich! Die anderen warten bereits auf Sie, Miss Torn«, hörte sie eine vertraute Stimme. Aus dem Schatten der Hauswand trat ein Mann mit einer Zigarette, die lässig in seinem linken Mundwinkel hing. Der Rauch bildete eine Säule, die spiralförmig nach oben in die Dunkelheit stieg.
Abby wandte den Kopf zur Seite und lachte leise. »Mr. Anderson! Wie schön, Sie zu sehen. Bitte bringen Sie mein Gepäck zum Wagen.« Mit diesen Worten warf sie ihren Rucksack vor seine Füße, wartete, bis er ihn aufhob und folgte ihm zum Parkplatz. Crispin öffnete ihr pflichtgemäß die hintere Wagentür. Dort wartete er, bis sie eingestiegen war und reichte ihr schließlich den Rucksack herein.
»Vielen Dank«, sagte Abby und zwinkerte ihm zu.
Crispin errötete, lief um die Karosse herum und setzte sich hinter das Lenkrad, während Abby es sich im hinteren Bereich der Limousine gemütlich machte. Auch die anderen Vampire hatten bereits Platz genommen. Alle, bis auf Kyle Hamillton. Cris hatte also gelogen. Abby war alles andere als das Schlusslicht. Wie immer war es ihr egomanischer Exfreund, der sich von allen am meisten Zeit ließ.
Lesley Cartright saß Abelaine auf der gepolsterten Sitzbank gegenüber und beugte sich über die Landkarte, die auf ihrem Schoß lag. Die junge Anwärterin mit den schwarzen Zöpfen begleitete die Delegation eigentlich nur deshalb, weil sie Dorian Everheard so lange bearbeitet hatte, bis dieser schließlich nachgeben musste. Lesleys Verhältnis zu Sur glich dem von Vater und Tochter. Sie war seine Schülerin! Abby konnte gut verstehen, warum Les unter allen Umständen mitkommen wollte. Schließlich ging es um das Leben des Mannes, der sie zum Vampir machen würde. Welcher Zögling hing nicht an seinem Mentor? Ihre Anwesenheit hatte jedoch auch Vorteile für die Vampire. Cris und Les waren bei Tag Wächter und bei Nacht lebende Nahrungsquelle. Die hässlichen Narben auf Lesleys Armen waren nicht zu übersehen. Neben der Anwärterin hatte der große Lance Patridge Platz genommen, der genauso wie Abby zum Sicherheitsteam gehörte. Seine langen schwarzen Haare fielen ihm ins Gesicht, als er sich über Lesleys Karte beugte und ihr dabei half, den kürzesten Weg nach Birmingham herauszufinden. Die wenigsten wussten, dass Lance und Valencia ein Verhältnis miteinander hatten. Nur wer sie genau beobachtete, sah die sehnsüchtigen Blicke, die sie sich zuwarfen.
»Also, welche Route nehmen wir? Bitte entscheidet euch, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit«, meldete sich Valencia King vom Beifahrersitz zu Wort.
»Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich könnte eine ganze Kompanie aussaugen. Doch das wäre wohl zu auffällig. Deshalb schlage ich vor, wir nehmen den Weg über Cardiff. Dort gibt es einen dieser neuen Gourmet-Tempel für Vampire, den wir bei der Gelegenheit besuchen könnten.« Alle Augen richteten sich auf Kyle, der mit einem charmanten Lächeln in die Limousine stieg, seine Reisetasche unter den Sitz schob und sich neben Abby auf die Bank fallen ließ. Abby bemerkte sofort seinen markanten, männlichen Geruch, der ihre Sinne benebelte. Kyle trug eine Armeehose und ein kurzes Shirt, unter dem seine Muskeln durchschimmerten. Die rotbraunen Haare hatte er zu einem Zopf gebunden. Abbys Herz schlug schneller. Oh, wieso machte er sie noch immer so nervös?
»Falls ihr jedoch keine Lust auf einen Ausflug nach Cardiff habt, können wir auch meinen Anwärter zur Ader lassen. Frisches Menschenblut schmeckt doch immer noch am besten«, fügte ihr Exfreund grinsend hinzu.
»Wir haben erst gestern von ihm getrunken!«, rief Abby erschrocken und suchte Crispins Blick im Rückspiegel des Wagens. Wusste Kyle denn nicht, dass sie ihren Anwärtern nicht zu viel Blut abzapfen durften? Es war viel zu belastend für den menschlichen Körper.
»Das war ein Scherz. Ich weiß, dass wir ihn noch brauchen. Wer soll uns sonst durch die Gegend kutschieren?«, lachte Kyle. »Ich hätte nicht gedacht, dass du so schreckhaft bist, Torn.«
Abby biss sich wütend auf die Unterlippe. ›Torn‹ – früher hatte er sie Abby genannt.
»Sehr witzig, Kyle«, knurrte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Wieso wusste sie auch nie, wann Kyle ernst machte und wann er scherzte?
»Also fahren wir zum Gourmet-Tempel«, bestimmte Valencia und gab die Anweisung an Crispin weiter, der ein Update der Verkehrssituation über das Internet herunter lud und den Zielort in seinen Navigator eingab.
Abby schloss die Augen, als die Limousine endlich losfuhr. Sie musste an Crispins Worte in ihrem Motelzimmer denken. War er wirklich in sie verliebt? Seine dezente Verehrung schmeichelte ihr. Er war so anders als Kyle. Sensibel, fürsorglich, auf seine Art sogar leidenschaftlich. Eigentlich der perfekte Liebhaber. Nur wieso drifteten ihre Gedanken immer wieder zu dem Sicherheitschef ab? Er war ein Schuft! Ein selbstsüchtiger Kerl, der jedem Rock nachstieg. Und dennoch wurde ihr warm ums Herz, wenn sie in seiner Nähe war. Ihre widersprüchlichen Gefühle verwirrten sie.
»Ich fürchte, wir bekommen Gesellschaft«, sagte Crispin plötzlich mit einem nervösen Unterton in der Stimme.
Abby öffnete blitzschnell die Augen und beugte sich vor, um in den Rückspiegel zu sehen. Ein pechschwarzes Motorrad näherte sich ihnen. Wenn es seine Geschwindigkeit beibehielt, würde es die Limousine in wenigen Sekunden eingeholt haben.
»Verdammt!«, zischte Abby, »der Fahrer ist bestimmt ein Audax!«
»Das ist nicht gesagt. Bewahren wir Ruhe«, ordnete Valencia an. Abby nickte. Ihre Mentorin hatte wie immer recht. Vielleicht war es ein ganz normales Überholmanöver? Abby konnte es trotzdem nicht verhindern, dass sich jeder Muskel ihres Körpers zum Zerreißen anspannte.
Das Motorrad schoss mit einem lauten Knattern an ihnen vorbei. Abby glaubte sich in Sicherheit, als der Fahrer plötzlich seine Maschine ohne Vorwarnung herumriss. Crispin versuchte eine Vollbremsung zu machen, doch er konnte die Limousine nicht rechtzeitig zum Stehen bringen. Das Motorrad wurde zu Boden gerissen. Es schlitterte über die Fahrbahn und blieb wenige Meter von ihnen entfernt am Boden liegen. Der Mann in der schwarzen Lederkleidung hingegen wirbelte durch die Luft und landete katzengleich auf den Füßen. Er schien keinen einzigen Kratzer abbekommen zu haben. Die Scheinwerfer des Wagens waren auf ihn gerichtet. Als er das Visier seines Helms hochklappte, blitzte schneeweiße Haut hervor.
»Fahren Sie zurück, Mr. Anderson!«, schrie Valencia. »Das ist ein Audax!«
Aber Crispin rührte sich nicht.
»Verdammt, worauf warten Sie?«
Abby entdeckte durch die Rückscheibe eine Armada von Motorrädern in der Ferne. »Das ist eine Falle! Es kommen noch mehr! Ein ganzer Schwarm.«
Das war Kyles Stichwort. Sofort übernahm er die Führung. »Egal, was passiert. Du legst dich auf den Boden des Wagens und bleibst dort, bis wir dich holen, Lesley!«, befahl er und zog unter seinem Sitz die Reisetasche hervor. Mit Schwung riss er den Reißverschluss auf und griff nach seiner Armbrust. »Keine Sorge, Mädels, wir kümmern uns um unsere Freunde.« Mit diesen Worten drückte er die Tür auf und sprang nach draußen, dicht gefolgt von Lance, der sich ebenfalls eine Armbrust schnappte.
»Fahr doch endlich, Crispin. Überroll diesen Mistkerl«, drängte Abby. Doch der junge Mann stand offenbar unter Schock. Selbst, als der Audax-Vampir eine Waffe zog und auf ihn richtete, rührte er sich nicht.
»Scheiße! Der schießt auf uns!«, rief Valencia, zückte ein Messer und stieß die Tür auf, um in Windeseile auf die Straße zu gelangen.
Der Schuss zerbarst die Luft. Ihm folgte das Klirren der zerschmetterten Windschutzscheibe und ein Schrei.
»Crispin!« Abby standen Tränen des Zorns in den Augen, als er keuchend zur Seite fiel und auf dem Beifahrersitz zusammenklappte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt er sich die Schulter. Ein roter Fleck breitete sich auf seinem weißen Hemd aus. Er wurde immer größer. Der Audax hatte sein Ziel nicht verfehlt. Doch bevor er ein zweites Mal auf den Verletzten schießen konnte, stürzte sich Valencia mit wirbelndem Messer auf ihn.
So schnell Abby nur konnte, öffnete sie ihren Rucksack, zog ihre Armbrust heraus und hing sie sich an einem Ledergurt über die Schulter. Außerdem schnappte sie sich ihre Glock 17, klemmte sie in ihre Hose und stürzte aus dem Wagen zu ihrer Mentorin. Diese hatte den Audax derweil zu Boden gerissen. Kyle stand über ihm und richtete seine Armbrust auf das Herz des Angreifers. Ohne zu zögern schoss er den Spezialbolzen ab, so dass sich der spitze Holzpflock mit einem schmatzenden Geräusch in das Fleisch des Feindes rammte. Der Audax stöhnte gequält, sein Körper bäumte sich ein letztes Mal auf, doch dann sank er in sich zusammen und blieb reglos liegen. Durch das geöffnete Visier sichtbar, verweste innerhalb weniger Sekunden die weiße Haut zur Unkenntlichkeit. Die Augäpfel verfaulten und fielen schließlich aus den Augenhöhlen.
»Die haben uns gleich eingeholt«, warnte Lance, der den Blick von dem Toten abwandte und in Richtung Fahrbahn sah. »Es sind zu viele, mit denen werden wir nicht fertig.«
Valencia richtete sich auf, stürmte zu dem unbeschädigten Motorrad und hievte es mit Abbys Hilfe auf die Räder. »Wir werden uns trennen! Abelaine, komm mit mir. Wir müssen die Phiole in Sicherheit bringen«, sagte sie und stieg auf
Abby ließ sich das nicht zweimal sagen. Mit katzenhafter Geschmeidigkeit sprang sie auf den Sitz des Streetfighters und klammerte sich an Valencias Oberkörper.
»Lenkt sie ab!«, befahl die blonde Vampirin und gab Gas.
»Wir müssen es bis nach Cardiff schaffen.«
Abby nickte nur. Cardiff – ihre Heimat. Seit einer Ewigkeit war sie nicht mehr in ihrer Geburtsstadt gewesen. Sie hatte nicht damit gerechnet, unter diesen Umständen nach Hause zurückzukehren. Doch die Stadt bot Sicherheit. Sie wusste, dass die Audax keinen Großangriff auf sie starten würden, wenn sie erst den sicheren Hafen erreicht hatten. Zu groß war die Gefahr, dass sie Aufsehen erregten und sich womöglich die menschlichen Sicherheitskräfte einschalteten.
»Drei Streetfighter verfolgen uns, ich versuche sie aufzuhalten.« Mit diesen Worten richtete Abby ihre Halbautomatik auf das erste Motorrad, das sich ihnen mit erschreckender Geschwindigkeit näherte. Nur wenige Meter trennten die beiden Maschinen voneinander, bis Abby schließlich auf das vordere Rad des Streetfighters schoss. Der Fahrer, der seinerseits auf Abbys Räder zielte, verlor die Kontrolle über sein Motorrad, dieses schlitterte quer über die Straße und landete im Graben. Einen Verfolger hatte sie bereits ausgeschaltet, jetzt waren ihnen nur noch zwei Audax auf den Fersen.
»Woher, zum Teufel, wussten die, dass wir auf dem Weg nach Cardiff waren?«, knurrte Abby so laut sie nur konnte, um das ohrenbetäubende Motorgeräusch zu übertönen. Doch Valencia hörte sie nicht.
Die wussten nicht nur, dass wir diese Route nehmen. Die wussten auch, dass unser Fahrer ein Mensch ist, schoss es Abby plötzlich durch den Kopf Der Audax hatte mit einer Pistole bewusst auf Crispin gezielt. Einen Vampir hätte er mit einem Schuss nicht umbringen können. Aber was hatte diese Erkenntnis zu bedeuten?
Der zweite Motorradfahrer holte auf und kam nun auf gleiche Höhe mit Abby. Ohne Vorwarnung schlug er mit einer Eisenkette nach ihr. Abby konnte sich gerade noch rechtzeitig ducken, doch der zweite Schlag ging nicht daneben. Die Kette traf sie mitten ins Gesicht. Abby wurde schwarz vor Augen. Sie hatte das Gefühl, ihr Nasenbein würde sich in ihren Schädel rammen. Benommen kippte sie nach hinten. Valencia griff geistesgegenwärtig nach Abbys Arm und verhinderte, dass sie rücklings bei voller Fahrt vom Streetfighter stürzte. Endlich rückte Cardiff in sichtbare Nähe. Aber der Audax war nicht abzuschütteln. Wieder flog die Kette durch die Luft und erwischte Abbys Schulter. Die junge Frau biss sich auf die Unterlippe, um einen Schmerzensschrei zu unterdrücken.
»Jetzt reicht es!«, zischte sie und drehte ihren Oberkörper nach hinten, um den Angreifer abzuwehren. Ihre Pistole klemmte sie in ihren Hosenbund. Als sie die Kette zu fassen bekam, wickelte sie diese um ihren Arm und zog so fest daran, dass der Audax aus dem Gleichgewicht geriet. Verzweifelt versuchte er seinen Streetfighter unter Kontrolle zu bekommen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als Abby die Kette zu überlassen. Diese wollte ausholen und dem Audax seine eigene Medizin verpassen. Doch anstatt sie einzuholen, ließen sich die zwei verbliebenen Fahrer mehr und mehr zurückfallen.
Irgendetwas stimmte nicht, das spürte Abby! Sie war sich sicher, die Audax hatten ihre Geschwindigkeit absichtlich gedrosselt. Die Frage war nur – warum?
Endlich erreichten sie die Straßen von Cardiff. Valencia bog in eine menschenleere Gasse ein, als erneut Motorengeräusche hinter ihnen erklangen. Als Abby sich umdrehte, glaubte sie ihren Augen nicht zu trauen. Wo kamen die zwei Audax-Vampire plötzlich her? Es dauerte eine Weile, ehe ihr bewusst wurde, dass es nicht dieselben Motorradfahrer waren, die sie nun verfolgten. Aber das machte keinen Unterschied! Hier musste irgendwo ein ganzes Nest von ihnen sein. Die haben hier auf uns gewartet, stellte Abby geschockt fest.
Auch Valencia waren ihre Verfolger nicht entgangen. Sie raste durch das Straßenlabyrinth, bis sie die Audax endlich abgehängt hatte. Mit schwerem Atem brachte sie den Streetfighter zum Stehen und sah sich ängstlich um. Aus der Ferne hörte sie bereits die nahenden Motorengeräusche. »Die kleben an uns wie Kletten!«, warf Abby verzweifelt ein.
»Aber sie werden nur eine von uns bekommen.« Hektisch schnallte Valencia ihre Bauchtasche ab und übergab sie an Abby, deren Herz vor Schreck einige Takte aussetzte. Sie wusste genau, was sich in dieser Tasche befand! »Was, um alles in der Welt, hast du vor?«
»Wir werden uns trennen.«
»Nein, ich gehe nicht ohne dich!«
Es war ihr bereits schwer gefallen, die anderen zurückzulassen. Doch sie konnte unmöglich ohne ihre Mentorin fliehen. Das ging einfach nicht! Zwischen ihnen bestand ein unsichtbares Band! Niemand durfte es zerschneiden. Am wenigsten Val selbst!
Doch der strenge Blick der Mentorin verriet, dass sie keine Widerrede duldete.
»Du tust, was ich dir sage. Hier, nimm die Phiole und schütze sie mit deinem Leben.«
»Bitte, Val! Ich kann nicht ...«
»Wir haben keine Zeit zu verlieren. Ich verlasse mich auf dich.«
Abby atmete tief durch und nickte. Sie hatten keine Zeit für lange Diskussionen. Die Phiole durfte nicht in die Hände der Audax fallen. Abby stieg von der Maschine. Mit zitternden Händen nahm sie die schmale Flasche mit dem Blut der sieben Logenanführer aus der Bauchtasche und ließ die Phiole in der Tasche der Innenseite ihres linken Stiefels verschwinden.
»Flieh über die Dächer«, sagte Val.
»Und was ist mit dir?«
Val deutete zu ihrer Hose. Erst jetzt sah Abby die Pistole, die vom Bund ihrer Jeans gehalten wurde.
»Pass auf dich auf, Val.«
»Keine Sorge, das werde ich.« Sie hob den Daumen und fuhr los.