Dunkle Seiten

Horror, Phantastik und Dark-Fantasy

 

 

Ausgabe 1

 


 

 

 

Twilight-Line Medien GbR
Obertor 4
D – 98634 Wasungen

www.twilightline.com
 

2. Auflage, August 2016
ISBN 978-3-941122-53-6

 

© 2010 – 2016 Twilight-Line Medien GbR
Alle Rechte vorbehalten.

 


Inhalt

 

 

 

 

 

Liebe bis zum ersten Biss

Heiko Hölzel

 

Der Wohnwagen

Vincent Voss

 

Himmel oder Hölle – Gut oder Böse?

Madeline Frühwein

 

Holly Hell

Byron Brinkmann

 

Chopper – Der Schänder

Marc Gore

 


Liebe bis zum ersten Biss

 

Heiko Hölzel

 

 

Wittlich, 12.12.2009

„Schaakelienä“, wie sehr sie diesen Namen hasste, „Schaakelienä zieh dir was Ordentliches an!“

Jaqueline fragte sich, warum ihre Mutter ihr einen Namen gegeben hatte, den sie noch nicht einmal aussprechen konnte. Aber dieses Schicksal teilte sie mit vielen Altersgenossen, so dass die Vermutung nahe lag, dass auf dem Wittlicher Standesamt beim Eintrag eines Kindes den Eltern explizit vorgeschlagen wurde, bei der Namensauswahl darauf zu achten, dass der gewählte Name für sie selbst unaussprechlich war. Auch schien es ein weit verbreitetes Problem zu sein, das Eltern keine Ahnung hatten, wie man sich ordentlich anzog. Denn sie war durchaus passend für die Nacht angezogen. Mit einem knapp geschnittenen schwarzen Minirock, einer tief ausgeschnittenen Bluse mit dem Aufdruck „Königin der Nacht“ und hochhackigen schwarzen Stiefeln. Wie sollte man sonst an einem Abend wie diesen Aufsehen erregen? Immerhin war die Klosterschänke am Wochenende immer gut besucht und man wollte doch im Gedränge auffallen. Aber gut, ihre Mutter war älter als die Zeit, mit ihren 42 Jahren war sie näher am Tod als am Leben und sie war niemals selbst jung gewesen. Das war das Problem mit den Eltern, sie hatten nie erlebt wie es ist, eine Jugendliche zu sein. Sie wussten nicht, wie man das Leben genoss. Ihre Mutter war nur eine einsame alte Frau, die zurückgezogen lebte und mit Gott und der Welt haderte.

 

Das rhythmisches Klacken ihre Absätze auf dem harten Asphalt des einsamen Radweges, der sich von Wittlich Richtung Wengerohr schlängelte, stellte neben dem leisen Klappern ihrer Zähne, welches von der eisigen sibirischen Kälte kündete, das einzige Geräusch dar, welches wie ein Messer die Stille der Nacht durchschnitt. Ein kalter Polarwind aus Sibirien hatte laut dem Wettermann im Fernsehen seinen Weg nach Mitteleuropa gefunden und Väterchen Frost mit sich gebracht. Da es nachts außer Rufbus und Taxi keine kostengünstige Alternative gab von Wittlich nach Wengerohr zu gelangen und Taschengeld sich besser in Alkohol als in Fahrtgeld investieren ließ, musste sie wohl oder übel die Strecke auf Schusters Rappen zurücklegen – oder Schusters Stelzen, wenn man die Höhe ihrer Absätze in Betracht zog. In Gedanken versunken schlenderte sie am See vorbei, der verlassen im Mondlicht lag.

 

Er war ein Jäger, ein Geschöpf der Nacht, ein geborener Killer. Geschickt, listig, leidensfähig. Er lag nun schon seit Stunden in Tarnkleidung gehüllt im Unterholz des kleinen Wäldchens, welches den Sterenbachsee teilweise umgab und lauerte auf seine Beute. Wie ein Tiger im Dschungel hatte er regungslos auf der Lauer gelegen und auf die perfekte Beute gewartet. Weder die Kälte der Nacht, noch die Einsamkeit hier draußen konnten ihn von seiner Jagd ablenken, denn er war in seinem Element. Er suchte eine junge Frau, die alleine den Radweg entlang schlenderte. Er wusste, dass viele Besucher des Wittlicher Nachtlebens diesen Weg wählten, doch nur selten war ein weibliches Wesen mutig genug, um alleine durch die Stille der Nacht zu wandern. Doch er hatte Zeit. Geduld war eine der wichtigsten Eigenschaften eines Jägers. Geduld und ein gutes Gehör, denn dieses kündete ihm schon sehr früh vom Klacken der Absätze, die durch die Unterführung sich langsam in seine Richtung bewegten. Er konnte seine Beute noch nicht sehen, doch da die Person Absätze trug, ließ es wahrscheinlich erscheinen, dass es sich um eine Frau handelte. Weil ansonsten keine Geräusche zu hören waren und sich die potentielle Beute auch mit niemandem im Gespräch befand, war es zudem gut möglich, dass sie alleine unterwegs war. Wenn sie nun noch irgendwo im Altersbereich von 16 bis 26 Jahren lag, dann hätte sich das Warten gelohnt. Er spürte, wie langsam sein Blut in Wallung geriet, als Adrenalin durch seine Adern schoss und die Kälte aus seinen Muskeln vertrieb. Alles in ihm riet ihm loszustürmen und die Hatz zu beginnen, doch er wollte warten, warten bis sie sich soweit seiner Position genähert hatte, dass eine Flucht unmöglich war. Zudem wollte er nicht losstürmen, um dann zu bemerken, dass sein Opfer doch nicht seinen Anforderungen entsprach. Denn einen Fehler konnte er sich nicht leisten. Nur einmal alle paar Jahre konnte er in der Umgebung zuschlagen. Er wollte nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen. Wenn alle paar Jahre mal eine junge Frau verschwand, so gab es zwar kurzfristig einen großen Aufruhr, aber bald schon glätteten sich die Wogen und er konnte wieder ungestört jagen. Würde man zwischen den Opfern Parallelen ziehen und in ihm einen Serientäter vermuten, so würde das seine Jagd langfristig erschweren, denn die Anwesenheit eines Serientäters machte die Opfer und das Umfeld vorsichtiger. Ist ein Tiger einmal von einer Herde entdeckt worden, so ist es für ihn beinahe unmöglich ein Opfer zu finden, denn die Herde hält ihn von diesem Augenblick an stets im Auge und ist bereits beim kleinsten Anzeichen der Bedrohung zu fliehen. Dies wollte und konnte er nicht riskieren. Daher musste er warten.

 

Jaqueline war sich zuerst nicht sicher, was genau sie dazu bewog, sich aus der Umklammerung ihrer Gedanken zu lösen und ihren Blick zum nachtschwarzen Wäldchen zu wenden, doch irgendetwas musste ihre Aufmerksamkeit erregt haben. Sie verlangsamte ihre Schritte nur unmerklich, als sie wiederholt ihren Blick über das undurchdringliche Dunkel des Wäldchens streifen ließ. Ob es alleine an der frostigen Kälte der Nacht lag, dass ihr ein Zittern durch den Körper lief und eine Gänsehaut zurückließ, konnte sie nicht sagen, denn zusätzlich zur Kälte hatte auch ein Gefühl der latenten Bedrohung mit eisigen Klauen ihr wild pochendes Herz umfasst. War da ein Geräusch wie von schabendem Metall, knackte dort ein Ästchen im Unterholz? Unsicherheit umfing sie und ließ sie Stocken. Wie ein ängstliches Reh auf einer nächtlichen Landstraße froren ihre Bewegungen ein. Gleich eines Rehs stand sie stocksteif da, in Erwartung der Scheinwerfer, die ihr den Tod brachten. Sie war unfähig zu reagieren, unfähig zu fliehen.

 

Sie war alleine. Er spürte das Lächeln, welches seine Mundwinkel nach oben zog, auch wenn er wusste, dass ein Außenstehender dieses Lächeln nicht wahrnehmen konnte. Seine schwarze Skimaske ließen von seinem Gesicht nur die Augen frei und hüllten ihn ansonsten in eine Aura der Anonymität. Nicht das er es benötigt hätte, denn bisher hatte nie ein Opfer seinen Angriff überlebt, so dass ihm schon der Tod seines Opfers Anonymität schenkte, doch er wollte kein Risiko eingehen. Unvorsichtigkeit führte zu Fehlern, Fehler zur Aufmerksamkeit und Aufmerksamkeit zum Untergang. Sie entsprach genau seinem Beuteschema. Jung, gutaussehend und alleine. Zudem war sie selbst schuld, wenn er sie als Opfer erwählte. Sie hätte diesen Weg ja nicht wählen müssen und ihre aufreizende Kleidung provozierte geradezu einen Angriff. Wenn er so darüber nachdachte, dann wollte sie es wahrscheinlich auch. Dieser Gedanke gefiel ihm. Wenn sie es wollte, dann wäre es kein Fehler, was er hier machte – egal was andere denken würden – dann würde er ihr einen Gefallen tun. Sein Lächeln wurde breiter und er griff langsam nach dem Griff seines Jagdmessers, dass er aus dessen ledernen Scheide zog. Sie schien etwas bemerkt zu haben, denn sie verlangsamte ihren Schritt, doch er wusste, dass sie ihn nicht sehen konnte. Aus dem Schein der Straßenlaterne, der sie umhüllte musste sie in die undurchdringliche Dunkelheit der Nacht blicken, zudem würde er auch durch die Phalanx der engstehenden Bäume und Sträucher des Wäldchens geschützt sein. Und selbst wenn einmal ein Lichtstrahl seinen Weg zu seinem Versteck fände, würde weder der geschwärzte Stahl seines Jagdmessers noch seine Tarnkleidung diesen reflektierten. Ein Blick auf ihre hochhackigen Stiefel zeigte ihm, dass sie selbst wenn sie wollte, nicht weit fliehen könnte, also entschloss er, die Hatz zu beginnen. Langsam erhob er sich und trat an den Rand des Lichtkegels, den die Straßenlaterne in das Dunkel der Nacht warf. Er wusste, dass sie ihn nur als Schatten in der Nacht wahrnehmen würde, was seine Bedrohlichkeit ins unermessliche steigerte.

 

Jaqueline sah die Gestalt erst, als diese sich schwarz gegen das Grau der Nacht abhob. Sie stand knapp außerhalb des Lichtscheins der Laterne und dies führte dazu, dass sie eher ein Schemen, denn eine wirkliche Gestalt war. Alles in Jaqueline schien zu schreien „Lauf, lauf!“, doch sie konnte sich noch immer nicht rühren. Sie war das erstarrte Reh und die Scheinwerfer kamen näher.

„Fürchtest du dich?“, seine Stimme war rau und dunkel. „Willst du nicht laufen? Das machen Beutetiere so, wenn der Jäger erscheint und es macht doch viel mehr Spaß, wenn die Beute flieht!“

Sein Lachen hatte etwas Boshaftes und erinnerte sie eher an das Kichern einer Hyäne als an das Lachen eines Menschen.

 

Ein Anflug des Bedauerns erfasste ihn, als er sie im Licht der Laterne stehen sah. Sie würde nicht fliehen, das war ihm klar. Schade, es hätte so perfekt werden können. Aber vielleicht würde sie schreien – ja sie würde bestimmt schreien, denn er würde sich Zeit lassen, würde sie langsam töten, die Handlung bewusst genießen und zelebrieren. Er wollte sich gerade seinem Opfer nähern, als er die ruhige Stimme hörte, die seinen eigenen Worte wiederholten: „Fürchtest du dich? Willst du nicht laufen? Das machen Beutetiere so, wenn der Jäger erscheint und es macht doch viel mehr Spaß, wenn die Beute flieht!“ Verwirrt blickte er um sich, dann sah er eine zweite Gestalt, die an das eiserne Geländer des Überlaufs am Südufer des Sees gelehnt im Schatten der Bäume stand. Doch stand sie wirklich im Schatten? Eigentlich müsste sie das Licht der Straßenlaterne dort noch erreichen und trotzdem stand sie in absoluter Dunkelheit. Für einen Moment schien es ihm so, als ob entweder das Licht die Nähe der Gestalt scheute oder die Dunkelheit ihre Nähe suchte, sie gleich einer Geliebten sanft umarmte. Dann war der Moment vergangen und Zorn wallte in ihm auf. Zorn darüber, dass hier jemand wagte sich ihm während der Jagd entgegenzustellen und ihn zu verhöhnen. Ein weiterer Adrenalinschub erfasste ihn und sein Blut schien in seinen Adern zu kochen. „Ich schlitz dich auf, du Wichser!“, presste er hervor, dann stürmte er los und schwang seine tödliche Klinge gegen den Hals des Fremden. Der Aufprall war unerwartet und schmerzhaft. Wo eben noch der Fremde gestanden hatte, war nun nur noch Leere und so war er mit voller Wucht gegen das eiserne Geländer geknallt. Seine Hüfte schmerzte und fast hätte er sein Messer fallen gelassen.

 

Markus hätte fast aufgelacht, als er den Spruch des Narren mit dem Jagdmesser gehört hatte. Er bezeichnete sich selbst als Jäger, dabei hatte er eher etwas von einem Aasfresser und weniger von einem wirklichen Raubtier. Seine Bewegungen waren zu roh, hatten nicht die Geschmeidigkeit, die einen wahren Jäger auszeichnete. Beobachtete man eine Raubkatze, so konnte man sehen, wie sie förmlich mit ihrer Umgebung verschmolz und jede ihrer Bewegungen Anmut und Kraft ausstrahlte. Der Hochmut dieses Narren ärgerte ihn. Zudem war es eine Verschwendung, wenn er es zuließe, dass dieser unwürdige Abschaum sich an diesem jungen Ding vergehen würde. Natürlich könnte es ihm egal sein, denn er war selbst ein Jäger, doch dass sich dieser Unrat mit ihm verglich, konnte er nicht zulassen. Zudem kam es durchaus vor, dass sich ein Raubtier um ein Beutetier kümmerte. Er hatte vor einigen Jahren in einem Fernsehbericht gesehen, wie eine Gepardin ein hilfloses Gazellenjunges adoptiert hatte und es großzog. Vielleicht würde er heute etwas Ähnliches machen, denn irgendwie fand er die Kleine, die da im Licht der Laterne stand, süß. Sie hatte etwas Verlorenes an sich und schien so ganz alleine zu sein, doch heute würde sich das ändern.