Die Kunst der Erinnerung
Stockholmer Rede
Aus dem Französischen von Elisabeth Edl
Ich möchte Ihnen ganz einfach sagen, wie glücklich ich bin, bei Ihnen zu sein, und wie bewegt über die Ehre, die Sie mir mit der Verleihung dieses Nobelpreises für Literatur erwiesen haben.
Es ist das erste Mal, dass ich eine Rede vor so großem Publikum halten muss, und ich spüre eine gewisse Furcht. Man könnte versucht sein zu glauben, es sei für einen Schriftsteller natürlich und leicht, sich dieser Übung zu unterziehen. Doch ein Schriftsteller – oder wenigstens ein Romancier – hat oft ein schwieriges Verhältnis zum gesprochenen Wort. Und wenn man sich erinnert an die schulische Unterscheidung zwischen schriftlich und mündlich, dann ist ein Romancier für das Schriftliche begabter als für das Mündliche. Er ist es gewohnt zu schweigen, und wenn er sich durchdringen lassen will von einer Atmosphäre, muss er in der Menge verschwinden. Er lauscht den Gesprächen, ohne dass man es merkt, und wenn er sich einmischt, dann nur um irgendwelche diskreten Fragen zu stellen, weil er die Frauen und Männer um sich herum besser verstehen will. Er spricht zögernd, wegen seiner Gewohnheit, Niedergeschriebenes wieder auszustreichen. Gewiss, sein Stil kann nach vielen Streichungen klar wirken. Doch wenn er das Wort ergreift, fehlt ihm die Möglichkeit, sein Zögern zu korrigieren.
Und dann gehöre ich zu einer Generation, in der man Kinder nicht reden ließ, außer bei bestimmten, eher seltenen Gelegenheiten und wenn sie um Erlaubnis baten. Aber man hörte ihnen nicht zu und fiel ihnen häufig ins Wort. Das erklärt die Schwierigkeiten beim Sprechen, die einige von uns haben, manchmal zögernd, manchmal zu schnell, als fürchteten sie jeden Augenblick, dass man sie unterbricht. Daher wahrscheinlich auch dieser Wunsch zu schreiben, der mich wie viele andere gegen Ende der Kindheit überkam. Du hoffst, dass die Erwachsenen dich lesen. So müssen sie dir zuhören, ohne dich zu unterbrechen, und sie werden ein für allemal wissen, was du auf dem Herzen hast.
Die Verkündung dieses Preises erschien mir wie etwas Unwirkliches, und ich hatte es eilig zu erfahren, warum Sie mich ausgewählt hatten. Ich glaube, an jenem Tag habe ich so stark wie nie zuvor gespürt, wie blind ein Romancier seinen eigenen Büchern gegenüber ist und wie viel mehr als er selbst die Leser wissen über das, was er geschrieben hat. Ein Romancier kann niemals sein eigener Leser sein, außer, um in seinem Manuskript Syntaxfehler und Wiederholungen zu korrigieren oder einen überflüssigen Absatz zu streichen. Er hat nur eine wirre und lückenhafte Vorstellung von seinen Büchern, wie ein Maler, der damit beschäftigt ist, ein Fresko an die Decke zu malen, und der, auf einem Gerüst liegend, Details ausarbeitet, viel zu nahe, ohne Gesamtüberblick.