Das Buch
Berlin, 1922: Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft verbindet Edith und Dora von Kindheit an eine so enge und treue Freundschaft, als wären sie Schwestern. Dora ist die Tochter eines einfachen Hausmädchens, Edith die eines reichen Papierfabrikanten. Die beiden wachsen im schillernden Treiben der Großstadt heran, und ihre Verbundenheit bleibt ihnen auch als Erwachsene erhalten. Dora findet ihr Glück mit dem ehemaligen Sportler Paul Behringer, und Edith heiratet den Adeligen Maximilian von Stettenheim. Doch wahre Liebe begegnet Edith erst mit dem charismatischen Violinisten Jules Cohn. In den gefährlichen politischen Zeiten der Dreißigerjahre lässt Edith sich auf ein gewagtes Spiel ein, denn Jules ist Jude und im Widerstand aktiv. Dora bleibt der einzige Mensch, dem sie vertrauen kann. Und Edith wird schließlich gezwungen, die Freundin um etwas zu bitten, das ihrer aller Leben auf dramatische Weise für immer verändern wird …
Die Autorin
Claire Winter studierte Literaturwissenschaften und arbeitete einige Jahre als Journalistin, bevor sie entschied, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Sie liebt es, in fremde Welten einzutauchen, und hat schon immer eine Schwäche für die mystischen Landschaften Englands und Schottlands gehabt. Diese Vorliebe zeigt sich sowohl in Die verbotene Zeit als auch in ihrem letzten Roman Die Schwestern von Sherwood, der zu großen Teilen in Cornwall spielt. Die Autorin lebt heute in Berlin.
CLAIRE
WINTER
Die
verbotene
Zeit
Roman

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Von Claire Winter sind im Diana Verlag erschienen:
Die Schwestern von Sherwood
Die verbotene Zeit
Taschenbucherstausgabe 03/2017
Copyright © 2015 und dieser Ausgabe © 2017 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen
Redaktion: Carola Fischer
Umschlaggestaltung: t.mutzenbach design, München
Umschlagmotiv: © Keystone/Gettyimages; Nadi555, Paul D. Smith/Shutterstock
Satz: Leingärtner, Nabburg
Alle Rechte vorbehalten
e-ISBN 978-3-641-15962-7
V005
www.diana-verlag.de
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Für M.
und
die, die wir nicht vergessen werden …
Prolog
England, Cornwall, 1959
Sie hatte die Tür zugeschlagen und war aus dem Haus gerannt – den schmalen Weg durch den Garten entlang und weiter zu der Sandstraße, die ans Meer führte. Nur weg hier! Sie lief, so schnell sie konnte. Es war nicht ihr erster Streit, doch dieser war anders als alle anderen zuvor gewesen. Als wäre etwas unwiderruflich für immer zerbrochen. Die Kälte in seinen Augen war schlimmer als die Schläge, zu denen er sich manchmal in seiner Wut hinreißen ließ, wenn er getrunken hatte. Sie fühlte, wie ihr im Laufen die Tränen über die Wangen rannen, während sie sich fragte, ob es wirklich an ihr lag. Was hatte sie nur falsch gemacht? Hasste er sie? Wie blind lief sie weiter. Sie spürte weder den Wind, der ihr scharf ins Gesicht schnitt und die salzige Luft des Ozeans mit sich trug, noch sah sie die kargen herbstlichen Wiesen, auf denen vereinzelt Schafe weideten. Nebelschwaden hingen über der einsamen Landschaft. Sie rannte und rannte, bis ihre Lungen brannten und sie nicht mehr konnte. Längst hatte sie die Steilküste erreicht. Erschöpft blieb sie stehen und trat außer Atem bis zum äußersten Rand vor, um nach unten zu blicken – in die tosenden Wellen, die mit unbändiger Kraft wieder und wieder gegen die Felsen schlugen. Einen Augenblick lang fühlte sie sich in Versuchung, einfach einen Schritt weiterzugehen. Wie schnell musste man von dem schäumenden aufgepeitschten Wasser verschlungen werden … Unwillkürlich wich sie zurück und ließ sich schließlich verzweifelt auf einem der Felsen hinter sich nieder. Noch immer liefen ihr die Tränen über die Wangen. Was sollte sie nur tun? Eine Weile saß sie so und schaute in die Ferne aufs Meer zum Horizont, an dem das Wasser und der Himmel in einer dunstigen Linie ineinander übergingen. Ihr Atem beruhigte sich, doch die Verzweiflung wollte nicht weichen. Erst da bemerkte sie den Mann. Er stand ein Stück weit entfernt, dort wo der schmale Uferweg seinen höchsten Punkt hatte, und starrte zu ihr herüber. Ein beklommenes Gefühl ergriff sie, als er nun auf sie zulief, ohne sie aus den Augen zu lassen. Sie sah ihn nicht zum ersten Mal. Schon öfter hatte sie seine Gestalt in letzter Zeit hier an der Steilküste erblickt, wie er in seinem langen flatternden Mantel oben auf den Felsen stand und rauchte.
Während er näher kam, konnte sie sein Gesicht deutlicher erkennen. Er hatte harte, kantige Züge, schmale Lippen und eine lederne Haut. Etwas Kaltes, beinah Brutales ging von ihm aus, das durch seine kurzgeschnittenen Haare, die er in einem strengen Seitenscheitel aus der Stirn trug, noch verstärkt wurde.
Sie erhob sich instinktiv von dem Felsen und wünschte, sie wäre ihrem ersten Impuls gefolgt und weggelaufen, doch nun war es zu spät. Er blieb direkt vor ihr stehen und nickte knapp, bevor er sie eingehend musterte. Einen Moment lang schien es, als würde er jedes Detail an ihr wahrnehmen, um es sich einzuprägen – ihr dunkles Haar, die bereits weiblich gewordene Figur, das noch weiche junge Gesicht … Ein Lächeln glitt über seine Lippen, aber es lag keine Freundlichkeit darin, sondern eine Genugtuung, die sie nicht verstand.
»Wie schön, dass du hier bist. Sonst hätte ich dich suchen müssen …« Er sprach die Worte hart und mit fremdländischem Akzent aus.
Sie blickte ihn unsicher an, weil er so tat, als würden sie sich kennen. Etwas in ihr war plötzlich wie gelähmt.
Er zündete sich eine Zigarette an. »Ich wusste, dass wir uns begegnen werden!« Seine Augen glänzten, und mit einem Mal spürte sie die Bedrohung, die von ihm ausging, so deutlich, dass sie zurückwich und wegrennen wollte. Doch noch bevor sie den ersten Schritt machen konnte, schnellte er nach vorne und hielt sie mit hartem Griff am Arm fest. »Aber, aber … wohin willst du? Ich habe dir etwas zu erzählen! Etwas sehr Wichtiges, das du hören solltest!« Er blies den Rauch seiner Zigarette langsam aus, als würde er die Situation auf einmal genießen und hätte sich schon oft und lange ausgemalt, wie dieser Augenblick sein würde.
»Lassen Sie mich!« Voller Panik versuchte sie, sich loszureißen, und blickte sich um. Sie waren alleine hier. Selbst wenn sie schrie, niemand würde sie hören.
Sein Griff verstärkte sich. »Halt still, sonst tue ich dir weh!«, sagte er barsch. Und dann fing er an zu reden. Worte kamen aus seinem Mund, die erst keinen Sinn ergaben und sie so sehr verwirrten, dass sie eine Zeit lang sogar ihren Widerstand vergaß. Bis sie zu verstehen begann. Das, was er sagte, war so schrecklich, dass sie es nicht glauben wollte. Sie weinte und flehte ihn an, mit dem Reden aufzuhören und sie loszulassen. Nie wieder konnte die Welt sein wie zuvor. Doch er hielt sie unerbittlich fest und sprach immer weiter, als würden ihre Tränen und ihr Schmerz ihn nur noch anstacheln.
»Nein, das ist nicht wahr!« Sie schrie, aber er lachte nur. »Es ist wahr«, sagte er. »Und du sollst es wissen!«
Sie schluchzte und blickte ihn voller Entsetzen an. Es schien ihr, als würde der Boden unter ihren Füßen nachgeben und sie in die Tiefe eines brodelnden Abgrunds stürzen, der alles zerstörte.
Dann riss sie sich mit aller Kraft von ihm los …
Sechzehn Jahre später