Das Mörderspiel
Der Mensch hat dreierlei Wege, klug zu handeln:
Durch Nachdenken - das ist der edelste;
Durch Nachahmung - das ist der leichteste;
Durch Erfahrung - das ist der bitterste.
Kung Fu Tse
1. Treffen
»Warum wollten Sie unbedingt ein Treffen mit mir? Ich gebe keine Interviews.«
»Ich weiß.«
Die junge Frau, die mir im Besucherraum des Gefängnisses gegenüber saß, blickte mich mit ihren graublauen Augen an, als wollte sie in meine Seele eindringen. Ein ernstes Gesicht, umrahmt von blonden, akkurat kinnlang geschnittenen Haaren. Sie mochte fünfundzwanzig sein, vielleicht etwas älter.
»Sie sehen nicht so aus, als würde Sie eine aufsehenerregende Story reizen, die Sie an Schmierblätter verhökern können.«
Sie lächelte zurückhaltend, erwiderte jedoch nichts.
»Warum sind Sie dann hier?«
»Ich habe Ihren Fall verfolgt. Eine interessante Geschichte. Und ich bin überzeugt davon, dass nicht einmal ein Bruchteil dessen, was damals wirklich passiert ist, je an die Öffentlichkeit gelangte.«
»Und selbst wenn es so wäre, was bringt Sie auf die Idee, ich würde es ausgerechnet Ihnen erzählen?«
»Vielleicht die Gewissheit, dass ich es nicht an das nächste Schmierblatt verhökern würde?«
»Was wollten Sie denn sonst damit tun? Sich anhören, was ich zu sagen habe, mir das Händchen tätscheln und erklären, wie leid ich Ihnen tue?«
Sie schüttelte energisch den Kopf.
»Ich möchte Ihre Geschichte aufschreiben. Ich arbeite für den True-Crime-Verlag Verum. Ich habe für den Verlag Recherchen zu etlichen alten Fällen durchgeführt. Ihrer erschien uns als der interessanteste für ein Buch. Nach unserem heutigen Wissensstand nehmen wir an, dass Sie unschuldig im Gefängnis sitzen. Da stellt sich vor allem die Frage, warum. Ich habe auf eigene Faust weitere Nachforschungen angestellt. Glauben Sie mir, ich bin auf unglaubliche Dinge gestoßen. Sie würden überrascht sein, welche Leichen Ihre Freunde im Keller haben.«
Darauf, das Vorleben meiner Schulkollegen oder ihrer Frauen zu durchleuchten, wäre ich nicht im Traum gekommen. Schon alleine deswegen, weil ich dachte, sie in- und auswendig zu kennen. Leichen im Keller? Schwer vorstellbar. Zumindest bei den meisten von ihnen. Doch die junge Frau sah nicht so aus, als würde sie sich von unbestätigten Vermutungen leiten lassen.
»Erzählen Sie mir von den Überraschungen.«
Sie lächelte geheimnisvoll. »Eine Hand wäscht die andere. Sie geben mir Ihre Story, ich Ihnen meine Rechercheergebnisse.«
Raffiniertes kleines Luder. Sie wusste, wie sie mich ködern konnte.
»Wenn Sie möchten, können wir im Buch die Namen der Beteiligten durch Pseudonyme ersetzen.«
»Das würde nichts ändern. Jeder, der einen von uns kennt, würde sofort wissen, von wem die Rede ist.«
Sie zuckte mit den Schultern. »War nur so eine Idee. Werden Sie es sich überlegen?«
»Das werde ich. Aber machen Sie sich keine allzu großen Hoffnungen.«
»Wer fragt, kann verlieren. Wer nicht fragt, hat schon verloren.«
Kluges Kind. Sie würde es noch weit bringen.
»Ich rufe Sie an.«
»Hier, meine Karte.«
Sie drückte mir ein unauffälliges Kärtchen in die Hand. Mag.a Carina C. Cerny, stand darauf. Und eine Handynummer. Sonst nichts.
Als das Mädchen gegangen war, saß ich noch lange reglos in meiner Zelle, völlig in Gedanken versunken.
Sie konnte meine Story gar nicht verfolgt haben, dazu war sie viel zu jung. Als alles angefangen hatte, war sie vielleicht gerade mal zehn, zwölf Jahre alt gewesen. Aber sie wirkte interessiert. Sie hatte Vorarbeit geleistet, ohne zu wissen, ob sie überhaupt ein Interview mit mir bekommen, geschweige denn, ob ich mit ihr zusammenarbeiten würde.
Reichte das aus, dass ich mich wieder mit meiner Vergangenheit auseinandersetzen wollte?
Ich bin ein verurteilter Mörder, der seine Strafe fast abgesessen hat. Ich muss mit all den unerquicklichen Konsequenzen daraus leben. Und heute ist es mir längst egal, was die Leute über mich denken.
Früher war das anders. Als ich noch ein Leben hatte. Eine große Liebe. Eine Zukunft.
Die Frage lautete nicht, ob ich jemanden Einblick in mein Innerstes gewähren wollte. Die Frage lautete vielmehr: Wollte ich mich wirklich an all die Ereignisse erinnern? Nochmals leiden wie ein todkrankes Tier? Denn das würde ich. Ganz gewiss.
15 Jahre vorher …
6. September
Ich gleite durch pechschwarze Nacht. Dazwischen grelle Farbblitze. Mein Brustkorb fühlt sich an, als wäre eine Dampfwalze darübergerumpelt. Mein Atem rasselt eigenartig und bei jedem Atemzug sticht es gewaltig in meiner rechten Seite. Wenn ich doch nur aufwachen könnte!
Lass los du Hurensohn, wer immer du bist! Doch der hält mich fest in diesem wirren Durcheinander von Farben, Licht und – ja, Tönen. Es piepst direkt neben meinem Kopf. Das ist ja nicht auszuhalten!
Plötzlich realisierte ich, dass meine Augen offen waren. Es war zu hell, das Piepsen wirkte ziemlich real und meine Brust schmerzte, als hätte mich ein Pferd getreten. Verdammt, wo bin ich?
»Robert.« Sandras Stimme drang wie durch Watte. »Bist du wach?«
Sandras kühle Hand strich über meine Wangen. Ihre Finger erzeugten ein kratzendes Geräusch. Ich war unrasiert.
»Sandra«, wollte ich sagen. In meinem Mund steckte ein Knebel, der mir das Sprechen unmöglich machte. Ich wollte ihn ausspucken, aber das ging nicht. Dann eben rausreißen, doch meine Arme waren gefesselt. Jetzt reichte es mir! Was zum Teufel ist hier los?
»Augenblick, Robert, ich rufe die Schwester.«
Ich habe keine Schwester. Herr im Himmel, bin ich etwa in einer Klinik? Seit wann wird man da gefesselt und geknebelt? Ich ballte in hilfloser Wut meine Fäuste. Mehr konnte ich im Moment nicht tun. Doch selbst das fühlte sich verdammt kraftlos an.
Immer noch trübte sich mein Blick und gleißende Punkte tanzten durch mein Gesichtsfeld. Auch mit offenen Augen. Die Helligkeit stammte von der Sonne, die durch ein Fenster in das Zimmer flutete. Nur mein Kopf lag im Schatten. Das Piepsen stammte möglicherweise von den seltsamen Geräten, die rund um mich aufgereiht waren.
Und plötzlich war da ein Fetzen Erinnerung. Erst fern, wie durch Schleier, mehr Ahnung als Wissen. Dann mit erschreckender Klarheit. Ich wollte mich umbringen. Hat offensichtlich nicht geklappt. Bin ich auf der Intensivstation?
Warum bloß wollte ich mir das antun? Dann schoss eine weitere Idee wie ein heißer Blitzstrahl durch meinen dumpfen Schädel. Ich musste einen verdammt triftigen Grund gehabt haben! Der verschließt sich allerdings derzeit meinem Verstand. Ohne Grund hätte ich doch nicht versucht, meinem Leben ein Ende zu setzen. Oder doch? Bin ich verrückt? Ich schloss verzweifelt die Augen. Spürte Tränen in den Augenwinkeln. Wie konnte es nur so weit kommen?
Februar desselben Jahres
An einem strahlend sonnigen Samstag Vormittag schlenderte ich über den Wiener Naschmarkt. Ich kaufte Gewürze für unsere Kochexpeditionen in unerforschte Länder. Wenn Sandra und ich Zeit haben, kochen wir gerne asiatisch oder südamerikanisch. Die etwas exotischeren Zutaten dazu erhält man am ehesten am Wiener Naschmarkt. Nach dem Einkauf verstaute ich die Beute im Wagen und wartete auf Sandra, die Mittags ihren Laden schloss. Sie kam pünktlich und daher hatten wir noch reichlich Zeit, an den privaten Verkaufsständen entlang zu stromern.
Während Sandra in Blusen, Schals und Kleidern wühlte, zog mich ein kleiner Stand ein Stückchen weiter an. Hier wurden allerlei Spiele, Plüschtiere, unechter Schmuck und ähnlicher Krimskrams angeboten. Ein Monopolyspiel in einer vergilbten Box lächelte mich auffordernd an. Verrückt! Wie kann einen eine Kartonschachtel anlachen? Ich musste sie einfach haben. Entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten handelte ich nicht einmal mit dem Verkäufer, sondern zählte ihm kommentarlos den geforderten Betrag in die schwielige Hand. Dann packte ich meine Neuerwerbung und drückte sie zärtlich an meine Brust.
Sandra kam auf mich zu.
»Na, was hast du denn da Schönes?«
»Ein altes Monopolyspiel.«
»Ich wusste gar nicht, dass du das auch spielst.«
Ich bisher auch nicht. Hoffentlich lag eine Spielanleitung bei. Sonst müsste ich mich im Internet auf die Suche begeben. Aber vielleicht kannte ja einer unserer Freunde das Spiel.
Ich blickte in gespannter Freude auf die Schachtel. »Schau dir nur die Verpackung an. Das Spiel ist uralt, da auf der Seite steht 1943. Die Erzeugerfirma heißt Planec.«
»Nie gehört.«
»Ich auch nicht. Wenn ich das richtig entziffere, dann saß die Firma damals in Rumänien. Die Schachtel ist hier ziemlich zerkratzt.«
Sandra lächelte. »Na immerhin, wenn ihr nicht damit spielen könnt, hat das Ding vielleicht einen gewissen Sammlerwert.«
»Warum sollte man damit nicht spielen können?«
»Vielleicht weil alles auf Rumänisch beschriftet ist?«
Ich öffnete die Box. »Nö, deutsche Kärtchen, deutsche Spielanleitung, alles da. Ich denke, wir sollten ein paar Freunde einladen. Zu einem Monopoly-Einstands-Fest.«
»Mann, du denkst dir immer Sachen aus! Aber ohne mich. Ich habe für solchen Kinderkram keine Zeit.«
Alles andere hätte mich schwer überrascht. Sandra hatte für fast alles, was Spaß machte, keine Zeit. Sie war Buchhändlerin mit Leib und Seele. Und wenn sie nicht gerade sechzig Stunden oder mehr pro Woche in ihrem kleinen Geschäft stand, las sie, nein verschlang sie Bücher. In aberwitzigem Tempo atemberaubende Mengen. Klar, dass sie für sonst nichts Zeit, Interesse und Geduld aufbrachte. Manchmal nervte mich das. Andererseits hatte ich als Gegenleistung viel mehr persönliche Freiheit als all meine Freunde, die in Beziehungen lebten. Ihre Frauen forderten andauernd ihre Meinung zu abstrusen Frauenproblemen, ihr Interesse an peinlichen Familiengeschichten, ihre Dienste als Chauffeur ein. Oder beglückten sie mit schreienden Säuglingen und verpflichteten sie vehement zu mehr Mitarbeit im Haushalt und bei der Kinderbetreuung. Dagegen lebte ich wie die Made im Speck!
März
Der erste Freitag im Monat ist seit Jahren unser Spieltag. Voriges Jahr spielten wir wie die Besessenen Tarock. Zwanzigerrufen, Königrufen, Trischak inklusive. Ein Meister, wer einen Bettler oder, noch schwieriger, einen Piccolo ouvert durchbrachte! Im Jahr davor litten wir an Escalerofieber. Würfelpoker über alles! Der servierte Grande bedeutete für die Mitspieler einen Euro in die Gemeinschaftskasse. Davor grassierte Unoitis. Der leidenschaftliche Drang, mit Herz und Seele Uno zu spielen. Und das alles zu einem guten Zweck. Wir spielten um Geld. Keine hohen Beträge. Und die Gewinne wurden in eine gemeinsame Kasse eingezahlt. Wenn diese wohlgefüllt war, schlugen wir uns die Bäuche in einem feinen Lokal voll.
»Hi, Robert!«
Martin, Allgemeinmediziner, Banknachbar seit der ersten Klasse Mittelschule, war wie fast immer der Erste. Groß, blond, ernst. Immer gepflegt und schon in der Schule immer mit sauberen Fingernägeln.
»Wo ist denn Lena?«
»Kommt nach. Muss heute Überstunden schieben.«
Lena ist seine aktuelle Freundin. Ihre Vorgängerin hatte uns allen besser gefallen. Sie war eine lustige Gretel. Doch plötzlich befand er sie als zu einfach gestrickt. Lena hat das, was Sandra, meine Langzeitfreundin, als Arztfrauen-Syndrom bezeichnet. Sie ist eine ziemlich Zicke. Immerhin mit recht angenehmen Äußerem.
»Und was macht das AKH? Steht es noch?«
»Wider Erwarten ja!« Martin grinste lausbübisch. »Anscheinend haben die doch nicht so viel abgezweigt beim Bau.«
»Servus Walter!«
Er war eben zur Tür hereingeschneit, ich schlug ihm auf die Schulter. Normalerweise war er immer der Letzte. »Was treibt dich so früh in unsere Mitte?«
»Hatte Sehnsucht nach euch!«
»Harharhar. Wenn du Sehnsucht hast, dann höchstens nach einem Playgirl …«
»Pass auf, was du sagst, Martin. Ich boxe immer noch aktiv.«
»Tsts, jetzt bekomm’ ich gleich Angst!«
»Die ist auch berechtigt!« Walter schnappte sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank. »Prösterle!«
Mit einem Schwall kalter Luft schwappte Lena ins Haus. Wohlproportioniert, blond wie Martin, einige Nuancen heller, durch Strähnchen im Haar. Sandra meinte, sie sei gekleidet, als würde sie nur in Boutiquen die beste Markenware kaufen. Was wahrscheinlich auch stimmte. Ich war dafür allerdings kein Fachmann. Für mich war jeder Fummel, der passte und gut aussah, wie der andere.
»Hallo Riesenbaby! Wie viele Computer hast du heute per Handauflegen geheilt?«, neckte Lena Walter und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
»Ihr seid’s so teppert. Immer das Gerede vom Handauflegen. Das ist Knochenarbeit! Wenn da einer mit so einem alten Greibel daherkommt, das noch aus der Steinzeit stammt, ist das wirklich nicht leicht.«
»Ah, deshalb hast keine Zeit zum Rasieren gehabt!«
Martin musste natürlich auch seinen Senf dazugeben. Walter war groß, dunkel und hatte starken Bartwuchs, daher hatte er auch frisch rasiert immer dunkle Schatten im Gesicht. Wirkte irgendwie aggressiv männlich und sexy, behaupteten die Mädels.
»Sind dir die lila Leiberln ausgegangen?«, fragte ich Walter und umarmte Lena.
»Was habt’s denn heute alle? Lasst’s mich in Ruh! Sekkiert’s einen anderen.«
Walters Spezialität waren die gewagten Farbzusammenstellungen bei seiner Kleidung.
»Na du trägst zur grünen Hose ein braunes T-Shirt.«
»Hat wahrscheinlich Ricarda für ihn rausgelegt.«
Walter ließ uns reden, und nahm einen langen Schluck aus der Bierflasche.
Seine Freundin Ricarda kannten wir noch nicht so lange. Sie war Cutterin beim ORF. Sah aus wie ein Model. Ihre Beine waren endlos, der Busen so üppig, dass Sandra meinte, der könne niemals echt sein. Dazu trug sie prinzipiell keinen Büstenhalter. Sie hatte etwas von einer Zigeunerin. Zudem sprach sie mit einem niedlichen Akzent, denn sie war in Italien geboren und aufgewachsen. Sie lebte erst seit ein paar Jahren in Wien.
»Wie man von der Sonne spricht …«, spottete ich. Denn Ricarda betrat soeben das Zimmer.
»Bin ich zu spät?« Sie blickte in die Runde.
»Du bist immer richtig!«, antwortete ich für uns alle. »Außerdem fehlt Julian noch.«
»Der Herr Kollege ist doch sonst nie zu spät!«
Julian hatte mit Martin gemeinsam ein paar Semester Medizin studiert. Dann hat er gemerkt, dass dies nicht das Richtige für ihn war, hatte alles hingeworfen und war in die Pharmabranche abgewandert. Jetzt betreute er große Kliniken und verdiente vermutlich mit Abstand am meisten von uns allen.
»Und wie geht es in der Kanzlei, Robert?«, fragte Lena. »Gibt es aufregende Fälle?«
»Schon, aber nicht bei uns. Wir sind schließlich ein seröses Anwaltsbüro!«
Allgemeines Gelächter quittierte meine Bemerkung. Die meisten kannten meinen konservativen alten Herrn.
»Was wollt ihr trinken?«
Während ich aus der Küche die Drinks holte, traf Julian außer Atem ein.
»Warum kannst du nicht, wie jeder vernünftige Mensch, in Wien wohnen?«
»Die Schwarzlackenau gehört zu Wien, mein Junge.«
»Bist du sicher?«
»Todsicher. Guck in den Plan. Dort findest du auch in älteren Plänen den einundzwanzigsten Bezirk verzeichnet.«
»Transdanubien. Wie geschmacklos. Und am Abend immer Stau auf den Donaubrücken.«
»Findest du? Hier ist es doch echt schön. Die kleinen Häuser, die Gärten dazwischen, die Donauinsel nur ein paar Gehminuten entfernt. Ich würde gern so wohnen.«
»Danke Ricarda! Du bist ein Schatz.« Ich schickte ihr einen Luftkuss.
»Brr. Der Wind draußen ist eklig. War in der Stadt nicht so. Kann ich einen Tee mit Rum haben?« Julian rieb sich demonstrativ die Arme.
»Bin ich der Hawelka?«
»Na geh, Robert, ich brauch was Warmes.«
»Trink einen Schnaps, der wärmt auch!«
Sandra hatte mir geholfen, Speisen und Getränke vorzubereiten und dann war sie abgeschwirrt. In ihre Buchhandlung in der Nähe des Donauzentrums. Dort gab es für sie immer etwas zu tun. Daher schnappte ich die vorbereiteten Snacks und verteilte sie neben den Spielern am Wohnzimmertisch.
»Kinder, ich hab ein neues Spiel!«, begrüßte ich meine Kombattanten, als sie vollzählig ihre Plätze eingenommen hatten. Jeder ein Getränk und eine Schüssel mit Salzknabbereien vor sich.
»Erzähl! Was ist es?« Ricarda lächelte mich an.
»Ein uraltes Monopoly.«
»Wo hast du denn das her? Das schaut ja wirklich antik aus!« Julian beugte sich interessiert über den Tisch.
»Von einem Tandler am Naschmarkt.«
»Ääh! Monopoly ist doch ein Spiel für alte Weiber«, spuckte Lena mit abfälligem Grinsen in die Runde.
»Wartet einmal ab. Ich hab schon ein wenig in die Spielanleitung geguckt. Bei uns hieß das DKT in meiner Jugend.«
»Bist du ein Vorkriegsmodell?« Julian boxte mich auf den Arm. »Denn nachher hat das doch kein Schwein mehr gespielt.«
»Wir schon. Wir hatten keinen Fernseher.« Ich rempelte zurück.
»Igitt, was habt ihr denn da am Abend gemacht?«
»DKT gespielt. Oder Mensch-ärgere-dich-nicht. Und ein paar Jahre später nette Spielchen mit zauberhaften Mädchen.«
»Tauscht eure Kindheitserinnerungen ein andermal aus. Ich will jetzt spielen!«, hauchte sexy Ricarda mit ihrem rauchigen Timbre.
»Na dann sperrt mal eure Lauscher auf. Ich erklär’ euch die Regeln.«
Während kurz drauf Walter die Bank übernahm und die Moneten verteilte, erinnerte ich mich daran, wie mich das Spiel vom ersten Moment an in seinen Bann gezogen hatte. Höchst seltsam.
»Hihi, Walter muss in den Knast!«
Ricarda griff sich lachend die Würfel. Dabei lehnte sie sich so weit über den Tisch, dass ich von gegenüber einen herrlichen Blick auf ihre üppigen Brüste genießen konnte. Aus unerfindlichen Gründen waren ihre Nippel hart und drückten den Stoff der Bluse vom Körper weg. Erregte sie das Spiel? Oder törnte sie einer der Mitspieler so an? Das Hirn zwischen meinen Beinen erteilte jedenfalls Befehle, denen ich keinesfalls nachkommen konnte. Walter knurrte irgendetwas Unverständliches. Störte es ihn, dass Ricarda sich so präsentierte? Oder lag es daran, dass er beständig verlor?
Ricarda hatte Glück und konnte sich eine riesige Villa kaufen. Ich dümpelte so im Mittelfeld dahin, während Julian den Überflieger gab. Er hatte die größten Reichtümer angehäuft.
Martin war ein wenig besser dran als ich und kaufte sich ein Häuschen. Mir fiel auf, dass Ricardas Reize auch ihn nicht unbeeindruckt ließen. Seine linke Hand rieb im Schritt. Die Rechte würfelte am Tisch, zog mit der Spielfigur und wickelte Geschäfte ab. Widerwillig kam die Linke zur Hilfe, als er Geld abzählen musste. Nur um gleich darauf in seinen Schoß zurückzukehren. Ricarda blickte ihn mit leicht geöffneten Lippen an und ihre Zunge leckte scheinbar gedankenverloren über ihre Oberlippe. Martin starrte auf ihre prächtigen Brüste und stöhnte leise. Bahnte sich hier etwas Schlimmes an? Immerhin hatten beide ihre Partner dabei. Die waren allerdings vom Spiel so in den Bann gezogen, dass sie nichts mitbekamen.
»Leute, ich brauch eine kurze Pause«, stöhnte Ricarda. »Stundenlangen Nikotinentzug halte ich nicht aus.«
»Na gut, zehn Minuten Rauchpause.«
Ich erhob mich und hatte einen Ständer. Ich humpelte Richtung Toilette. Trotzdem hörte ich noch, was Lena in die Runde sagte: »Ihr werdet mich jetzt vielleicht für blöd halten. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass sich der Text auf den Kärtchen geändert hat, wenn man zum zweiten Mal draufschaut.«
Interessant! Denn mir war es ähnlich ergangen. Doch ein richtiger Mann gibt so etwas natürlich nicht zu. Die Antwort der anderen blieb mir verborgen, denn ich schloss hinter mir die Türe zum Klo. Ich stellte mir Ricardas harte Nippel in meinem Mund vor und brachte mir mit kreativer Handtechnik schnelle Entspannung. Himmel, was war heute nur los mit uns? So etwas gab es seit Anbeginn unserer Spielabende nicht.
Als ich etwas später ins Wohnzimmer guckte, fehlte Ricarda. Klar, die rauchte im Garten. Doch auch Martin war nirgends zu sehen. Ich machte kehrt und schlich ins Schlafzimmer. Im Garten lag die einzige vom Wohnzimmer nicht einzusehende Ecke direkt neben dem Schlafzimmerfenster. Obwohl es draußen gerade mal zehn Grad hatte, tat Martin das, was ich mir nur vorstellen konnte, während Ricarda auf ihm saß und die Bewegungen, die sie vollführte, keinen Spielraum für Interpretationen ließen. Sie kam mit einem spitzen Schrei, gleich darauf stöhnte Martin, weil sie von ihm glitt. Sie nahm seinen Schwanz in den Mund und gleich darauf explodierte er und stöhnte und schrie, dass ich dachte, nicht nur sämtliche Nachbarn, auch alle Mitspieler müssten nach draußen stürzen, um zu sehen, wer da ermordet wurde.
Erstaunlicherweise blieb alles ruhig. Nur in meiner Hose regte sich wieder etwas. Ich wünschte mir, ich wäre an Martins Stelle gewesen. Ich schlich ins Bad und verpasste mir eine partielle kalte Dusche.
Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, saß Martin mit roten Backen aber sonst völlig entspannt auf der Couch neben Lena. Ricarda schoss an mir vorbei zur Toilette.
»Bin gleich wieder da. Muss nur mal für kleine Mädchen.«
Ich hätte sie gerne begleitet.
6. September
Der Knebel wurde aus meinem Mund entfernt. Es stellte sich heraus, dass ich künstlich beatmet worden war. Meine Arme waren fixiert, weil ich an allerlei Schläuchen hing, woraus mir aus etlichen Flaschen diverse farblose Flüssigkeiten in die Venen träufelten.
Ich durfte ein paar winzige Schlucke Wasser trinken. Dann endlich konnte ich Sandra die Frage stellen, die mich am meisten bewegte. »Waf’fn lof?«
»Falls du es nicht mehr wissen solltest, du hast versucht, dich umzubringen.«
»Mhm. Wiefo binichnich tot?« Mein Mund war trocken, der Hals rau, die Lippen aufgesprungen und ich nuschelte. Sandra verstand mich trotzdem.
»Du hast dich an der Birke am Teich aufgehängt. Der Ast ist unter deinem Gewicht abgebrochen und du bist in den Teich gefallen.«
Verdammter Mist. Nicht einmal umbringen konnte ich mich richtig!
»Ein Hund, der dort mit seinem Herrchen Gassi ging, hat dich gefunden. Sein Besitzer hat dich aus dem Wasser gezogen. Du warst zu dem Zeitpunkt, als der Notarzt eintraf, klinisch tot. Doch der Mann mit dem Hund hatte bereits mit Wiederbelebungsversuchen begonnen und der Doktor hat dich zurückgeholt. Falls dir die Rippen wehtun, er hat dir bei der Herzmassage vermutlich ein oder zwei Rippen gebrochen.«
Herzlichen Dank auch! Warum hat mich der Trottel nicht einfach sterben lassen? Das wäre nicht so schmerzhaft gewesen. Wobei ich mich an meinen Selbstmord mittlerweile zu erinnern glaubte. Doch da spukte eher etwas mit Schlaftabletten durch meine Synapsen. An Erhängen an einem Baum fehlte jede Erinnerung. Und weshalb ich mir das Leben nehmen wollte, lag völlig im Dunkeln.
»Warum?«
»Fragst du, warum deine Rippen gebrochen sind?«
Ich schüttelte verzweifelt den Kopf.
»Warum du gerettet wurdest?«
»Nein! Warum … fterben?«
Sandras Augen wurden zu schmalen Schlitzen.
»Tja, wenn du das nicht weißt, wer sonst sollte es wissen?«
Sie konnte mir nicht helfen. Ich musste es selbst herausfinden. Doch ich war erschöpft. Ich spürte, dass ich ins Dunkel zurückglitt. Mein Gott, ich war klinisch tot gewesen! Starb ich jetzt trotz aller Rettungsversuche? Wie sinnlos. Ich wüsste nicht einmal weswegen ich sterben wollte. Verdammter Mist! So kläglich will ich nicht abtreten!
Doch es war irgendwie anders als vorhin. Hinter der Schwelle des Bewusstseins lauerte nicht der Tod. Ich schlief vermutlich einfach nur ein. Ich spürte Sandras kühle Hand auf meiner. Roch ihr Parfum. Ich wusste, wie es hieß, aber es fiel mir im Moment nicht ein. Habe ich einen Dachschaden davongetragen?
März, spätabends
»Na, wie war euer erster Monopoly Spielabend?«
Sandra warf ein Paket Bücher, das sie mit nach Hause gebracht hatte, krachend auf den Küchentisch.
»Irgendwie komisch.«
»Soll heißen?«
»Du weißt doch, dass wir immer ein, zwei Stunde spielen, dann ist Fresspause, und dann spielen wir noch mal so lang. Danach ist Schluss, weil fast alle am nächsten Tag früh raus müssen.«
»Ja und?«
»Diesmal war alles anders. Erstens waren alle richtig geil aufs Spielen und keiner wollte dazwischen was essen. Und dann war da so eine aufgeheizte erotische Atmosphäre. Das hat es auch noch nie gegeben.«
»Heißt im Klartext?«
»Einige benahmen sich recht seltsam und Martin ist mit Ricarda im Garten gewesen. Sie sind regelrecht übereinander hergefallen.«
»Du meinst, die haben da draußen geknutscht?«
»Geknutscht? Die haben es vor dem Schlafzimmerfenster miteinander wie die Karnickel getrieben. Und waren dabei so laut, dass ich immer noch Angst habe, wir kriegen eine Anzeige wegen nächtlicher Ruhestörung.«
»Bei der Kälte? Krass. Und was haben die Anderen dazu gesagt?«
»Das ist ja das Komische. Irgendwie hat das keiner gemerkt außer mir.«
»Vielleicht entgeht mir ja wirklich was bei euren Spielabenden!«
»Na ich weiß nicht. Ricarda benimmt sich übrigens wie eine professionelle Nutte. Kein BH auf ihren aufgeblasenen Titten. Das wirkt richtig ordinär.«
»Bin ich froh, dass es keine andere Wirkung auf dich hat. Sonst wärst du vielleicht mit ihr in den Garten gegangen.«
Besser, das Thema fallen zu lassen. Sandra war denkbar knapp an der Wahrheit. Ich hätte sogar nach Martin immer noch liebend gerne mit Ricarda gevögelt. Und gerade auf diesem Gebiet hielt ich sonst rein gar nichts vom Teilen. Sie war einfach ein geiles Weib und ich so spitz, dass sich allein beim Gedanken an ihren Vorbau und wie sie Martins Schwanz in den Mund genommen hatte, mein bester Freund selbstständig machte und wie eine Eins stand. Ich hoffte, dass Sandra das nicht bemerkte.
»Wie war’s bei dir?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln.
»Wie immer. Viel Arbeit. Die hört einfach nie auf. Ich habe ein Schaufenster neu dekoriert. Ein größere Lieferung mit Büchern ist angekommen. Die mussten katalogisiert, ausgepreist und in die Regale geschlichtet werden. Dazu war heute auch so viel los im Laden. War schon Zeit. Der Umsatz ist in den letzten Wochen ja frustrierend flau dahingedümpelt. Am Abend bin ich noch die neuen Verlagskataloge durchgegangen und habe mir herausgeschrieben, was ich bestellen sollte. Völlig unspektakulär.«
»Du arbeitest zu viel.«
»Ach Robert. Das Thema haben wir doch schon hundert mal durchgekaut. Meine Arbeit ist mein Leben. Ich will es so und nicht anders haben.«
»Hör mal, Sandra. Wir sollten übrigens schön langsam über den Sommerurlaub nachdenken. Willst du nicht doch einmal mit mir Segeln gehen? So ein Törn entlang der griechischen Küste oder Inselhopping wäre wunderschön.«
»Was soll die Frage? Du hast das als Junge ohnehin schon oft gemacht und du weißt ganz genau, dass mir schon schlecht wird, wenn ich ein Schiff nur sehe. Ich vertrag das Geschaukel nicht. Außerdem will ich irgendwohin, wo was los ist. Nach New York, Rio, Tokio. Aber da willst du ja wieder nicht hin.«
»In der Sommerhitze durch Häuserschluchten zu rennen, ist so ungefähr das Letzte, was ich mir im Urlaub wünsche.«
»Und ich will nicht mit dir allein auf einem vergammelten Kahn herumhängen, wo ich mir die Seele aus dem Leib kotze. Das ist nämlich auch kein Urlaub.«
»Na gut, dann such du was aus. Aber wir sollten bald buchen, sonst sind die guten Hotels voll.«
»Ich kümmere mich drum. Willst du noch einen Drink?«
»Nein. Gehen wir schlafen.«
Während Sandra vom Bad ins Schlafzimmer wechselte, setzte ich mich auf die Toilette und dachte mit Hirn und Hand an Ricarda. Obwohl meine Fantasie im Normalfall gerade mal ausreicht, dass ich mir bei einem angebissenen Osterhasen vorstellen konnte, wie er ausgesehen haben mochte, bevor jemand das Ohr verzehrt hatte, spürte ich Ricardas Lippen dort, wo sie wohl nie landen würden. Ich kam unter konvulsivischen Zuckungen und musste ein Badetuch vors Gesicht pressen, damit Sandra mich nicht hörte. Dann sprang ich unter die Dusche. Ich war total verschwitzt. Erst hinterher war ich entspannt genug, um ebenfalls zu Bett zu gehen.
April
»Stellt euch vor, Walter musste nicht nur im Monopoly ins Gefängnis, er wurde vorige Woche wirklich verhaftet!«
Ricarda lachte noch in Erinnerung daran, während Walter grimmig in die Runde blickte.
»Ich fand das gar nicht witzig. Die Scheißbullen haben mich mit einem Dealer verwechselt. Mich auf der Straße buchstäblich zusammengeschlagen und verhaftet. Und das, nachdem ich mit einem Kunden essen war. Wir kamen gerade aus dem Restaurant. Überflüssig zu erwähnen, dass das jetzt ein Exkunde ist.«
»Arg. Und wie ging’s weiter? Wann sind sie draufgekommen, dass sie sich irrten?«
Lenas Stimme troff vor Mitleid. War sie wirklich so gefühlsduselig oder übte sie schon wieder für die Rolle der sensiblen Arztgattin?
Anscheinend war das nicht nur mir durch den Kopf gegangen. Ich wechselte mit Ricarda einen schnellen Blick. Ihre Lippen waren spöttisch gekräuselt. Verdammt, war sie sexy!
»Gar nichts ging weiter. Erst am zweiten Tag sind die Armleuchter endlich davon überzeugt gewesen, dass ich der Falsche bin. Die Arschlöcher haben sich nicht einmal entschuldigt. Sie meinten nur, ich sähe dem Rauschgifthändler verdammt ähnlich.«
»Hört auf zu quatschen, lasst uns jetzt spielen.«
Ricarda rekelte sich und ihr Busen hüpfte fast aus dem tiefen Ausschnitt. Sie glitt aus dem Fauteuil und half mir, Getränke und Salzgebäck aus der Küche ins Wohnzimmer zu bringen. In der Küche zog sie die Tür hinter sich zu, nahm meine Hände und legte sie unter ihrer Bluse auf ihre nackten Titten. Ihre Linke landete in meinem Schritt, die Rechte in meinem Nacken. Sie presste sich an mich und unsere Zungen kämpften um den Zutritt zum gierigen Mund des anderen.
»Das wollte ich schon seit Tagen tun!«, raunte Ricarda in mein Ohr.
Und ich erst! Wenn sie nicht bald aufhörte, musste ich mich umziehen oder mit einem nassen Fleck auf der Hose am Spieltisch sitzen.
Sie drückte meinen Kopf tiefer und stöhnte lustvoll, als ich ihre Nippel abwechselnd zwischen die Lippen sog. Plötzlich schnappte sie sich das Tablett mit dem Salzgebäck und zwei Getränkeflaschen und ließ mich mit erigiertem Glied in der Küche stehen. Zum Glück hatte ich ein weites Hemd an, das alles verdeckte. Ich griff mir das Glas mit den Karottenstreifen und die Terrine mit den Nüssen und tappte ins Wohnzimmer, wo Ricarda eben die Knabbereien in Schüsselchen füllte.
Die Spieler verteilten sich um den Tisch. Lena zog eine Schnute und giftete Martin an. Das war noch nie vorgekommen. Bisher war er ihr Gott in Weiß, egal was er tat oder nicht. Irgendwie schien dieses Monopoly ein Katalysator zu sein, im positiven wie im negativen Sinn. Zeigten wir alle zum ersten Mal unser wahres Gesicht?
Das Spiel verlief recht friedlich, wenn man davon absah, dass Ricarda unter dem Tisch mit ihrem nackten Fuß an meinem Bein hoch strich und ihn gelegentlich in meinem Schoß parkte. Daraufhin fehlte mir absolut jede Konzentrationsfähigkeit und es war wohl pures Glück, dass ich trotzdem halbwegs gut davonkam, während Walter und Martin immer mehr verloren, Lena und Ricarda sich mit mir die Mittelmäßigkeit teilten und Julian alle Gewinne einstreifte.
Die Zeit war wie im Flug vergangen und kein Mensch hatte an essen gedacht. Plötzlich streckte sich Ricarda und rief: »Gibt es heute gar nix zu futtern?«
Wir übersiedelten in die Küche, damit wir das Spiel auf dem Esstisch im Wohnzimmer stehen lassen konnten. Ich legte eine neue CD in den Player. Die sanften Töne von Seals Bring it on perlten in den Raum.
Lena hatte rote Backen. Sie hatte an diesem Abend schon eine Menge getrunken. Eigenartig. Tat sie sonst nie.
Ricarda beugte sich über den Küchentisch und nahm sich ein Stück Gebäck aus dem Brotkorb.
Lena, die heute echt einen schlechten Tag haben musste, giftete Ricarda an.
»Du blöde Schlampe, kannst du dich nicht normal anziehen? Wie kommen wir dazu, dass du überall deine Titten ins Essen hängst?«
Ricarda stand eine Sekunde völlig still, wie eingefroren. Dann legte sie sanft das Gebäck auf den Tisch.
»Robert hast du für mich ein T-Shirt, möglichst weit und ohne Ausschnitt?«
»Sicher«, beeilte ich mich zu sagen.
»Gut. Bitte gib es mir. Und du Lena, komm mit und überzeuge dich davon, dass ich damit züchtig genug angezogen bin.«
Während der Rest der Gruppe betreten schweigend in der Küche zurückblieb, gingen wir zu dritt ins Schlafzimmer.
»Mach die Tür zu«, verlangte Ricarda, »ich will mich umziehen.«
Lena setzte sich mit verkniffenem Gesicht aufs Bett und beobachtete Ricarda, die von mir ein schwarzes Shirt in Empfang nahm. Es stammte noch aus meiner aktiven Eishockeyzeit und war groß wie ein Dreimannzelt. Es roch nach Pfirsich. Vom Weichspüler. Ricarda ließ das Shirt neben Lena aufs Bett fallen.
»Beides ist zu warm. Ich muss die Bluse ausziehen.«
Sie zog sie mit einer fließenden Bewegung über den Kopf. Ihre Brüste baumelten direkt vor Lenas Kopf. Ricarda nahm Lenas kleine Hände und legte sie an ihre nackte Haut. Lena bekam einen roten Kopf und versuchte etwas zu sagen, brachte aber keinen Ton heraus.
Langsam glitt Ricarda zu ihr aufs Bett. Zog Lena mit sich und strich ihr dabei sanft über den Körper. Dabei begann sie, Lena zu entkleiden. Lena versuchte eine klägliche Gegenwehr, stellte diese jedoch nach kürzester Zeit ein und stieß lustvolle kleine Seufzer aus.
Ricarda winkte mich heran und bedeutete mir, dass ich Lena mit ihr ausziehen sollte. Ich streichelte ihre obere Körperhälfte zart aber intensiv. Währenddessen schälte Ricarda sie aus ihrem Slip und versenkte ihren Mund in dem blonden Buschen zwischen Lenas Beinen. Lena keuchte auf.
»Nicht.«, flüsterte sie. »Oh mein Gott! Hör auf.«
Ricarda tat ihr den Gefallen und ließ sich an der nackten Lena nach oben gleiten, sodass Busen an Busen lag und küsste Lena auf den Mund.
Inzwischen wanderten meine Hände über Rücken und Brüste Ricardas. Der moschusartiger Duft der Frauen benebelte mich und geilte mich gleichzeitig auf. Ricarda griff nach mir und öffnete mit einer Hand meine Hose. Zog sie mir bis zu den Knien, schob meine Unterhose nach unten und hielt meinen Steifen direkt zwischen die leckenden Zungen der beiden Mädchen.
Ich konnte später nicht sagen, wie lange wir den Rest der Welt völlig ausgeblendet hatten. Es gab nur uns drei, wilde Ekstase und einen Rausch der Sinne.
Das musste ein Traum sein. Das konnte in Wirklichkeit gar nicht passieren. Vor allem, wo waren denn die anderen? Wir mussten seit einer gefühlten Ewigkeit weg sein und wir waren nicht gerade leise!
Doch es war kein Traum. Ricarda und ich streichelten Lena in ihre Kleider zurück. Dann warf Ricarda mein T-Shirt über den Kopf und schlüpfte in ihren langen Wickelrock, unter dem sie absolut nichts trug.
Meine Gedanken rasten. Was sollten wir den anderen sagen? Wie unsere lange Abwesenheit erklären, den Lärm?
Als wir in die Küche zurückkamen, lachten Walter, Martin und Julian über einen Witz, den einer der drei wohl gerade erzählt hatte. Statt Seal lärmten nun Metallica aus den Boxen. Die Essensvorräte auf dem Tisch waren merklich geschrumpft.
»Na«, fragte mich Martin mit einem verschmitzten Lächeln, »Zickenkrieg beendet? Du musst mir verraten, wie du das geschafft hast!«
Hatten die denn überhaupt nichts mitgekriegt? Das konnte doch nicht wahr sein! Oder hatte ich jetzt orgiastische Wachträume und es war gar nichts passiert?
Mein Blick huschte zu Lena und Ricarda. Sie standen ganz nahe beisammen und ich sah, dass Ricarda Lenas Hand gegen ihre rechte Brust gedrückt hielt und ganz zarte Bewegungen vollführte. Meine Lenden pochten. Nein, das hatte ich mir ganz bestimmt nicht eingebildet. Aber irgendetwas war hier geschehen, sodass die anderen Männer nicht mitbekommen hatten, was im Schlafzimmer vorgegangen war.
Nun, ich wollte mich nicht beklagen. Die Mädels waren ein Herz und eine Seele. Ich hatte den aufregendsten Fick meines Lebens hinter mir und meine Freunde waren immer noch meine Freunde, obwohl ich ihre Freundinnen quasi vor ihren Augen vernascht hatte. Diesen Spielabend würde ich bis an mein Lebensende nicht vergessen. Ganz hinten in meinem Bewusstsein regte sich allerdings ein unangenehmer Gedanke. Ich hatte Sandra noch nie betrogen. Und heute hatte ich nicht einmal einen flüchtigen Gedanken an sie verschwendet, während ich mit zwei anderen Frauen rumgemacht hatte.
April
Ich saß an meinem Schreibtisch und sollte einen Schriftsatz für eine Eingabe aufsetzen. Doch meine Gedanken wanderten, wie so oft in letzter Zeit, zu dem denkwürdigen Abend vor einer Woche. Ich warf einen Blick auf meinen Computer und stellte fest, dass ich zum dritten Mal hintereinander einen falschen Paragrafen zitiert hatte. Verdammt!
Das Telefon riss mich aus meinem Frust.
»Hi Robie! Hast du ein wenig Zeit?«
Ricarda war am Telefon. Niemand sonst nannte mich Robie. Mein Herz machte einen Sprung.
»Für dich immer! Brauchst du eine Rechtsberatung?«
»Nein!« Sie lachte ihr dunkles, rauchiges Lachen. »Ich bin in deiner Nähe, weil ich beim Einrichtungshaus um die Ecke etwas besorgen muss. Und ich dachte, wir könnten auf einen Kaffee gehen.«
Ihre Stimme, die Hoffnung, sie zu sehen und vielleicht etwas mehr als das, brachten mich auf Touren.
»Wo bist du?«, krächzte ich mit belegter Stimme in den Hörer. Wir verabredeten uns für zehn Minuten später beim Eingang des Möbelgeschäftes.
Ich sagte meiner Sekretärin, dass ich eine Stunde außer Haus sei. Dann wankte ich mit weichen Knien aus dem Büro.
Ricarda stand gleich hinter dem Eingang und sah wie immer sagenhaft aus. Sie fasste meine Hand und zog mich zum Aufzug. Kaum schlossen sich die Türen hinter uns, küssten wir uns leidenschaftlich. Plötzlich hielt der Aufzug. Ich schreckte hoch.
»Ganz ruhig. Ich habe den Halteknopf gedrückt.«
Ricarda öffnete mit flinken Händen meine Hose, schob ihren Rock nach oben und half mir, sie auf mein pochendes Glied zu setzen.
Es gab kein Vorspiel, keine Zärtlichkeit, nur eine alles verzehrende Lust, die auf der Stelle befriedigt werden wollte.
Wir kamen gleichzeitig und laut. Genau in diesem Moment setzte sich der Aufzug wieder in Bewegung. Nur um kurz darauf im nächsten Stockwerk wieder zu halten. Leute stiegen zu und sahen uns seltsam an. Vielleicht rochen sie, was wir getrieben hatten. Wir fuhren bis in den letzten Stock. In die Schlafzimmerabteilung. Verborgen zwischen großen Schränken saßen wir auf einem Doppelbett, brachten unsere derangierte Kleidung in Ordnung und holten ein wenig Zärtlichkeit nach. Vor allem musste ich meine beiden wilden Zauberberge gebührend begrüßen. Das Schlimme dran war, ich begehrte Ricarda schon wieder.
»Robie, wir müssen eine Möglichkeit finden, uns gelegentlich zu treffen.«
Ich nickte. Ich war Sandra noch nie untreu gewesen in all den Jahren. Aber ich brauchte Ricarda wie die Luft zum Atmen.
Ricarda lächelte. »Das ist gut.«
»Sollen wir in ein Hotel gehen?«
»Nie und nimmer. Etwas mehr Fantasie mein Lieber! Heute könnten wir Lena besuchen. Martin ist auf einem Kongress. Allerdings muss ich meinen griechischen Lehrling mitbringen. Süße siebzehn, voll schüchtern und geil wie nur was.«
»Männlich oder weiblich?«
»Die Frage ist schwer zu beantworten. Offiziell ist Patrick ein Bursch, mit femininen Zügen. Ich glaube, dass Lena auf ihn abfahren wird.«
Auf diese Art Gruppensex war ich absolut nicht wild. Ich wollte eigentlich nur Ricarda. Tag und Nacht, jede Stunde. Ich begehrte sie schon jetzt wieder so sehr, dass ich sie am liebsten auf der Stelle ausgezogen hätte. Ein älteres Ehepaar, das sich Schlafzimmer anguckte und uns seltsame Blicke zuwarf, stellte allerdings ein massives Hindernis dar.
»Können wir uns nicht alleine …«
»Keine Chance. Nicht heute. Entweder mit Lena und Patrick oder gar nicht.«
Ich gab nach. »Wann?«
»Jetzt gleich.«
Auf dem Weg zum Wagen rief ich meine Sekretärin an und sagte ihr, dass ich später käme. Ich unterbrach ihren Redefluss, als sie mir alles mögliche im Telegrammstil erzählen wollte. »Später.« Ich drückte das Gespräch weg und schaltete das Handy aus.
»Wieso heißt dein kleiner Grieche Patrick und nicht Stavros oder Aristoteles oder so?«
»Seine Mama stammt aus Düsseldorf. Außerdem hat Onassis‘ Sohn auch Alexander geheißen. Und in Österreich nennen die Eltern ihre Mädchen Carmen oder Paris und die Jungen Mario, Luca und Enrice.«
Das mit Carmen und Luca mochte stimmen. Paris und Enrice waren mir bisher noch nicht begegnet. Allerdings waren mir Namen im Moment ziemlich egal.
Patrick saß in Ricardas Wagen. Ein wunderschöner Knabe. Er wirkte südländisch, hatte einen dunklen Teint und schwarze schulterlange Haare, die in wilden Locken sein Gesicht umrahmten. Androgyne, zarte Züge.
Lena erwartete uns, nackt auf dem Bett. Während sie sich selbst streichelte, entkleideten Ricarda und ich erst Patrick und dann einander.
Patricks bronzefarbene Haut schimmerte golden im Schein der Kerzen. Sein knackiger kleiner Po leuchtete verführerisch. Ein zarter Duft nach Sandelholz und Zitrusfrüchten lag in der Luft. Zu meinem nicht geringen Erstaunen stellte ich fest, dass ich diesen Jungen berühren wollte. Zärtlich streicheln an Stellen, die Männer normalerweise bei anderen Männern eher kalt ließen. Mein Herz pochte erregt, ebenso mein Schwanz.
Plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf, der mich aufspringen ließ.
»Wir müssen gehen.«
Woher, zum Teufel, hatte ich gewusst, dass er jetzt nach Hause kommen würde? Sandra hatte mir immer vorgehalten, unsensibel zu sein. Und plötzlich war ich so etwas wie ein Hellseher? Und ein Sexsüchtiger.
Das muss ein Ende haben
Ich schlich mich ins Haus. Sandra war noch nicht da. Ich duschte und rieb mir den Schweiß und die Liebesausdünstungen vom Körper. Sofort danach ging ich zu Bett. Als Sandra heimkam, stellte ich mich schlafend. Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen. Es muss auf der Stelle ein Ende haben!