Diplom-Psychologin und psychologische Psychotherapeutin. Studium der Psychologie in Mainz, Ausbildung in Familien-Therapie und Dialektisch-Behavioraler Therapie (DBT), seit über 25 Jahren in psychiatrischen Krankenhäusern tätig, seit vielen Jahren in der Vitos psychiatrischen Tagesklinik Wiesbaden. Ein Schwerpunkt ist die Behandlung von Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Als DBT-Trainerin arbeitet sie in Weiterbildung und Supervision.
Immer mehr Menschen klagen über Burn-out, Überforderung, zu hohe Komplexität oder Mobbing am Arbeitsplatz. Die Zahlen sind hoch, die Ursachen komplex. Woran erkenne ich, dass jemand wirklich psychisch gefährdet ist, und was kann in einer solchen Situation getan werden? Bedeutet eine psychische Erkrankung, dass ein Betroffener den Arbeitsanforderungen nicht mehr gewachsen ist? In diesem Artikel finden Sie eine Darstellung verschiedener psychischer Erkrankungen, deren Ursachen und präventive Maßnahmen, die am Arbeitsplatz ergriffen werden können.
Seit einigen Jahren stehen Menschen am Arbeitsplatz immer mehr unter Druck und reagieren darauf mit psychischen Symptomen oder gar Erkrankungen. Vier von zehn Arbeitnehmern, die in Frührente gehen, sind psychisch krank (2000: 24%; 2011: 41%). Von 2008 bis 2011 erfolgte ein Zuwachs der vorzeitigen Berentungen aufgrund psychischer Erkrankungen um 28% (Ärzteblatt Januar 2013), und inzwischen ist fast jede zweite Frühberentung psychisch bedingt (2012: 42%) (Ärzteblatt Januar 2014).
Die häufigste Erkrankung als Ursache für die Frühberentung ist die Depression. Diese erlebte in den Jahren von 2001 bis 2012 einen Zuwachs von 96%. Aber auch Persönlichkeitsstörungen (Zuwachs von 74%) und Suchterkrankungen (Zuwachs von 49%) sind häufige Gründe für eine vorzeitige Berentung. Das Durchschnittsalter der Betroffenen liegt bei 49 Jahren (Ärzteblatt Januar 2014).
Psychische Erkrankungen sind auch eine häufige Ursache für Fehltage am Arbeitsplatz. Der Anteil der AU-Tage aus psychischen Gründen hat sich von 2000 bis 2012 fast verdoppelt, und 14% aller Fehltage sind psychisch bedingt. Hinzu kommt, dass ein psychisch kranker Arbeitnehmer überdurchschnittlich viele Fehltage hat. Im Jahr 2012 waren dies durchschnittlich 34 Tage (Ärzteblatt Januar 2014). Psychisch kranke Arbeitnehmer fehlen deutlich mehr als Arbeitnehmer mit anderen Erkrankungen, und die Tendenz ist steigend. Dies ist bei beispielsweise Herzkreislauferkrankungen, Verletzungen oder Erkrankungen der Atemwege, der Verdauung oder am Skelettapparat nicht der Fall. Hier sind die Fehltage zwischen 2000 und 2010 weitgehend gleich geblieben.
Trotz dieser hohen Zahlen erhielt nur jeder zweite von einer psychischen Erkrankung Betroffene in den letzten fünf Jahren vor seiner Berentung eine Rehabilitationsmaßnahme. Auffällig ist, dass die Anzahl der Rehabilitationsmaßnahmen nicht in gleichem Maße gestiegen ist wie die Frühberentungen. Nur 20% der Reha-Maßnahmen erfolgten aufgrund einer psychischen Erkrankung (Ärzteblatt Januar 2014). Ein Geschiebe zwischen den unterschiedlichen Kostenträgern, Kranken- versus Rentenversicherung, ist für die Betroffenen belastend, und der Grundsatz »Reha vor Rente« wird häufig nicht befolgt. Viele der Betroffenen erhalten auch keine ausreichende Behandlung. So wenden sich einige aus Scham oder Angst vor Stigmatisierung nicht an professionelle Helfer. Grundsätzlich nehmen Männer dabei seltener eine Psychotherapie in Anspruch als Frauen. Erschwerend kommt hinzu, dass für ambulante Psychotherapieplätze lange Wartezeiten bestehen, ebenso für Plätze in spezialisierten Kliniken. Ein zunehmender Mangel an Ärzten und Pflegekräften und der Kostendruck in den Krankenhäusern machen die Behandlungssituation nicht leichter.
Alle psychischen Erkrankungen kündigen sich mit Frühwarnzeichen an, die sich häufig auch beobachten lassen. Der Mitarbeiter kann niedergeschlagen, müde, abgespannt oder matt wirken, mit der Folge, dass er langsamer wird und sein Arbeitspensum nicht mehr schafft. Mancher ist auch dünnhäutig, es fließen schnell Tränen, oder er ist gereizt. Auch ein Rückzugsverhalten und das Meiden sozialer Interaktionen oder von Blickkontakt können Hinweise sein. Weitere Anzeichen sind eine starre Mimik und ein leerer Blick. Auch Ungepflegtheit im Äußeren kann ein Symptom sein. Bei manchen Erkrankungen tritt eine Unruhe, ein hektisches Verhalten oder ein unsteter Blick auf, Unstimmigkeiten in Äußerungen, Ungereimtheiten oder ein paranoides Erleben. Ebenso deuten auch Selbstverletzungen auf psychische Belastungen hin. Immer wieder auftretende einzelne Fehltage oder auch längere Fehlzeiten sind oft Indizien, dass etwas mit dem Mitarbeiter »nicht stimmt«.
Grundsätzlich kann jeder Mensch psychisch erkranken, unabhängig von Intelligenz, sozialem Status und Alter. Bei der Ursachenforschung und der Behandlung ist es daher wichtig, die Lebensgeschichte, familiäre Strukturen, belastende Lebensereignisse und andere soziale Faktoren, wie gerade auch die Arbeit, miteinzubeziehen.
Im Folgenden sollen drei psychische Erkrankungen näher vorgestellt werden, um deren Anzeichen rechtzeitig erkennen und damit verbundene Schwierigkeiten besser einschätzen zu können. Es geht um die Depression, die Schizophrenie und die Borderlinestörung.
Die Depression ist die am weitesten verbreitete psychische Erkrankung, die auch am ehesten nachvollziehbar ist, da jeder von uns Traurigkeit und Niedergeschlagenheit kennt, auch wenn diese nicht pathologisch sind. Weltweit sind 121 Millionen Menschen von einer Depression betroffen, ein Drittel davon erkrankt chronisch. Etwa jeder vierte Deutsche hat einmal in seinem Leben eine depressive Episode, und die Ersterkrankung erfolgt bei 50% der Betroffenen vor dem 32. Lebensjahr. Frauen erkranken doppelt so häufig wie Männer an einer Depression, wobei zu beachten ist, dass bei Männern seltener eine Depression erkannt wird, wenn diese beispielsweise eher gereizt als niedergeschlagen wirken.
15.000 Frühberentungen im Jahr erfolgen in Deutschland aufgrund einer depressiven Erkrankung, und ca. 11 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage im Jahr in Deutschland beruhen auf einer Depression. Dagegen steht, dass nur 10% bis 25% der Betroffenen eine effektive Therapie erhalten. Durchschnittlich suchen Betroffene nur 14,5-mal im Jahr Allgemeinärzte, 2-mal im Jahr Psychotherapeuten und 1,4-mal im Jahr Psychiater auf (WHO 2001). Mit zunehmenden Kenntnissen und weniger Vorurteilen über eine solche Erkrankung ist zu hoffen, dass mehr Menschen eine adäquate Behandlung erfahren können. Denn wie gesagt: Eine Depression kann jeden treffen. Als prominente Vertreter, die unter einer Depression gelitten haben, seien hier nur Ernest Hemingway, Audrey Hepburn, Prinz Claus der Niederlande oder Robert Enke genannt.
Symptome: Die Symptome einer Depression zeigen sich sowohl körperlich mit Antriebslosigkeit, Konzentrationsproblemen, Appetitveränderungen (in der Regel Appetitminderung), Veränderungen des Schlafs und der Psychomotorik als auch psychisch mit Schuldgefühlen, Interesse- und Freudlosigkeit, Niedergeschlagenheit, Selbstzweifel und Suizidalität. Andere Symptome sind Grübeln, zwanghaftes Gedankenkreisen, Reizbarkeit, sozialer Rückzug und Ängste. Sehr häufig, bei 65% der Betroffenen, treten auch Schmerzen auf, vor allem Kopf- und Rückenschmerzen.
Therapie: Die Depression lässt sich mit Medikamenten (Antidepressiva), Psychotherapie, Aufklärung über die Erkrankung, Familientherapie, Ergo- oder Kunsttherapie, Bewegungstherapie, Lichttherapie oder auch in Selbsthilfegruppen behandeln.
1% der Weltbevölkerung erkrankt an einer Schizophrenie, die häufig im jungen Erwachsenenalter beginnt und in der Regel einen episodischen Verlauf nimmt. Bei der Schizophrenie besteht eine hohe Gefahr der Chronifizierung, und 10% der Betroffenen nehmen sich das Leben. Von dieser Erkrankung betroffene berühmte Persönlichkeiten waren z.B. Hölderlin, Nietzsche und die Maler van Gogh und Munch.
Symptome: Was ist nun eine Schizophrenie? Umgangssprachlich wird häufig gesagt, jemand »spinnt«, ist »verrückt«, »nicht ganz dicht«, »wahnsinnig«, »irre«, »unberechenbar« oder sogar »gefährlich«. Aus psychiatrischer Sicht ist die Schizophrenie eine Störung des Denkens, Fühlens und Handelns. Die Wahrnehmung ist verändert. Man unterscheidet sogenannte formale Denkstörungen wie ein Abreißen der Gedanken, ein assoziatives Denken, Gedanken-laut-Werden oder Konzentrationsstörungen neben inhaltlichen Denkstörungen wie paranoides Denken, Wahn und Beziehungsideen (unabhängige Ereignisse wie beispielsweise die Fernsehnachrichten werden auf die eigene Person bezogen) mit einer starken inneren Überzeugung, dass diese Ideen der Wahrheit entsprechen. Das Fühlen scheint häufig der Situation nicht angemessen, und viele Menschen mit dieser Erkrankung leiden unter heftigen Ängsten, die absolut nachvollziehbar sind, beispielsweise wenn sich jemand von fremden Mächten verfolgt fühlt. Beeinträchtigungen in der Wahrnehmung zeigen sich häufig darin, dass Menschen, die unter einer Schizophrenie leiden, Stimmen hören (akustische Halluzinationen) oder Dinge oder Menschen sehen, die nicht wirklich da sind (optische Halluzinationen). Seltener ist, dass Menschen unsichtbare Dinge körperlich fühlen (taktile Halluzinationen oder Körpermissempfindungen).
Das Auftreten einer Schizophrenie ist zu einem hohen Prozentsatz durch eine genetische Vulnerabilität bedingt, sie kann aber auch durch den Konsum von Drogen hervorgerufen werden. Halluzinogene Drogen wie Cannabis oder LSD führen häufiger zum Ausbruch einer Psychose als andere Drogen. Für den Ausbruch einer Erkrankung gibt es in der Regel spezifische Auslöser wie kritische Lebensphasen, Stress, aber auch Verliebtheit.
Therapie: Eine Schizophrenie sollte durch Medikamente (Antipsychotika) behandelt werden. Daneben helfen Aufklärung über die Erkrankung, eine kognitive Verhaltenstherapie, Familientherapie, Ergotherapie und auch Selbsthilfegruppen. Eine Schizophrenie sollte immer durch einen Psychiater behandelt werden, gerade auch, um die Gefahr der Chronifizierung zu reduzieren.
Der psychiatrische Fachbegriff für die Borderlinestörung lautet »emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ«. Diese wird heute häufiger diagnostiziert, da Menschen mit dieser Erkrankung inzwischen eher professionelle Hilfe in Anspruch nehmen als noch vor einigen Jahren. 2% der westlichen Bevölkerung leiden unter einer solchen Erkrankung, die bei Frauen und Männern etwa gleich verteilt ist, bei der sich jedoch sehr viel mehr betroffene Frauen als Männer in psychotherapeutische Behandlung begeben. In Kliniken beträgt der Anteil der Borderline-Patienten etwa 20%, in Praxen 15%. Jugendliche und junge Erwachsene leiden sehr viel häufiger unter den Symptomen einer Borderlinestörung als ältere Menschen, gemittelt in der Altersgruppe zwischen 15 und 45 Jahren ergibt sich dann eine Häufigkeit von 2%.
Symptome: Menschen mit einer Borderlinestörung leben mit Suizidalität, und es kommt häufig zu Suizidversuchen (ca. 60%), jedoch seltener als bei der Schizophrenie zu tatsächlichen Suiziden (ca. 7%). Ein sehr hoher Anteil der Borderline-Patienten (ca. 80%) hat in seiner Kindheit oder Jugend Traumata erlitten, beispielsweise durch Gewalterfahrung oder sexuellen Missbrauch. 43% der Borderline-Patienten haben aufgrund dessen zusätzlich eine posttraumatische Belastungsstörung. Gleichzeitig mit der Borderlinestörung treten häufig noch andere psychische Erkrankungen auf wie eine soziale Phobie, Depressionen, Panikstörungen, Essstörungen oder Suchterkrankungen.
Durch traumatisierende oder negative Erfahrungen, aber auch durch Entwertungen und ein als Kind Nicht-wahrgenommen-Werden oder Nicht-ernst-genommen-Werden mit den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen (invalidierendes Umfeld) ist es möglich, eine Borderlinestörung zu entwickeln.
Auch mit dieser Erkrankung lassen sich einige prominente Persönlichkeiten nennen, die bei allem Leid auch sehr erfolgreich waren. Hierzu gehören Janis Joplin, Lady Diana, Whitney Houston, Amy Winehouse und sehr wahrscheinlich auch Michael Jackson.
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist in erster Linie eine Störung der Gefühlsregulation mit der Folge eines subjektiv erlebten Überlebenskampfes. Die Menschen erleben eine große innere Anspannung und heftige Gefühle, die als nicht aushaltbar wahrgenommen werden. Um die Anspannung zu reduzieren, greifen sie häufig zu selbstschädigenden Überlebensstrategien, die von außen nur schwer nachvollziehbar sind und oft missverstanden werden, die jedoch aus einer inneren Verzweiflung heraus als Bewältigungsmechanismen und als Strategien zur Gefühlsregulation angesehen werden müssen. Die starke innere Anspannung ist ein diagnostisches Leitsymptom und wird als ausgesprochen unangenehm erlebt und kann in der Regel nicht klar einem Auslöser oder einem eindeutigen Gefühl zugeordnet werden. Unter dieser hohen Anspannung setzt das Denken aus, es kann zu Impulskontrollverlust, Selbstverletzungen, Substanzmissbrauch, Suizidfantasien, Risikoverhalten, Fremdaggressionen und einem gestörten Selbstbild kommen. Neben der Störung der Gefühlsregulation bestehen bei einer Borderlineerkrankung Störungen des Denkens, der Identität und des Selbstbildes, im zwischenmenschlichen Bereich und auf der Verhaltensebene. Auf der Verhaltensebene sind Selbstverletzungen durch Schneiden am verbreitesten, wobei zu bedenken ist, dass unter Jugendlichen Selbstverletzungen in den letzten Jahren ganz erheblich zugenommen haben. Nicht jeder Mensch, der sich durch Schneiden selbst verletzt, hat eine Borderlinestörung, und nicht jeder mit einer Borderlinestörung schneidet sich. Es gibt andere und sehr viele Möglichkeiten, mit sich schädigend und wenig fürsorglich umzugehen. Menschen mit einer Borderlinestörung sind aber auch häufig sehr pflichtbewusst und aufgrund eines hohen eigenen Anspruchs leistungsstark.
Therapie: Eine Borderlinestörung ist heute psychotherapeutisch gut behandelbar. Die Methode der Wahl ist derzeit und aus Sicht der Autorin die Dialektisch-Behaviorale Therapie nach Linehan (DBT).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass jeder Mensch von einer psychischen Erkrankung betroffen sein kann und dass psychische Erkrankungen inzwischen gut behandelt werden können. Es gibt also keinen Grund, psychische Erkrankungen, Betroffene oder deren Angehörige zu stigmatisieren. Es ist durchaus möglich, mit einer psychischen Erkrankung zu arbeiten und Leistung zu erbringen. Arbeit und sinnvolle Tätigkeiten können auch vor psychischen Erkrankungen schützen.
Ursachen für psychische Erkrankungen können erbliche Vorbelastungen, körperliche und sexuelle Gewalt in Kindheit und Jugend, Alkoholismus und andere Erkrankungen der Eltern, Gewalt zwischen den Eltern, ein entwertendes Umfeld und Ausgrenzung oder Gewalt oder Mobbing in der Schule sein. Später können auch Armut, Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Traumata im Erwachsenenalter, Isolation und Einsamkeit, ein instabiles Umfeld, Drogen- und Alkoholkonsum, Schlafmangel und zu wenig Erholungsphasen, somatische Erkrankungen, anhaltender Stress und mangelnder Ausgleich zu psychischen Erkrankungen führen. Auch der Arbeitsplatz kann Auslöser oder Mitverursacher einer psychischen Erkrankung sein. An vielen Arbeitsplätzen ist es in den letzten Jahren zu einer Arbeitsverdichtung gekommen, die zu Überbelastung und Überforderung führen kann. Ein negatives betriebliches Klima, Familienunfreundlichkeit am Arbeitsplatz und mangelnde Anerkennung und Wertschätzung können psychisch erheblich belastend sein. Auch ein zu hohes Tempo oder – nicht zu unterschätzen – Langeweile können zu Erkrankungen führen. Langeweile am Arbeitsplatz ist in der Regel sehr viel belastender, als zu viel zu tun zu haben. Eine sinnlose Tätigkeit auszuführen oder das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, wirken sich massiv negativ auf den Selbstwert aus. Ein Mitarbeiter benötigt eine kompetente, klare und wohlwollende Führung, die nicht immer gegeben ist. Ein weiteres Problem ist, dass es immer weniger von sogenannten »Nischen-Arbeitsplätzen« gibt, in die gewechselt werden könnte, wenn jemand den Anforderungen nicht mehr gewachsen ist. Die meisten Arbeitsplätze erfordern heute eine hohe Flexibilität und ein spezifisches Fachwissen und sind immer komplexer geworden.
Fast jeder in einem Beschäftigungsverhältnis stehende Patient berichtet heute über Probleme am Arbeitsplatz. Häufig genannt werden Mobbing, Überbelastung, ein negatives betriebliches Klima, impulsive und unberechenbare Vorgesetzte, mangelnde Anerkennung und Wertschätzung und Druck und Kontrolle. Das Ziel fast jeder Behandlung ist dennoch eine Rückkehr ins Berufsleben. Durch die Komplexität der Arbeitsplätze stellt die Vorbereitung auf den beruflichen Wiedereinstieg heute eine größere Herausforderung dar. Hinzu kommt, dass Patienten sich oft nur ungern mit dem belastenden Thema »Arbeit« auseinandersetzen möchten. Viele kommen mit den Worten: »Ich gehe nie wieder an diesen Arbeitsplatz zurück.« Nach einer Stabilisierungsphase können nur gemeinsam mit Arbeitgebern Bedingungen und Möglichkeiten für einen beruflichen Wiedereinstieg erarbeitet werden.
Zu den allgemeinen Maßnahmen zur Prävention psychischer Belastungen oder Erkrankungen gehören u.a. flexible Arbeitszeiten, die die private Situation der Mitarbeiter berücksichtigen, das Ermöglichen einer Stundenreduzierung oder Arbeiten in einem Homeoffice. Wichtig ist auch die allgemeine Anerkennung, die durch Weihnachtsfeiern, Sommerfeste oder Betriebsausflüge und ein Sport- und Bewegungsangebot zur Gesundheitsprävention vermittelt werden kann.
Die direkten Vorgesetzten können eine persönliche Anerkennung der Mitarbeiter durch Mitarbeitergespräche oder Supervisionen vermitteln. Es gilt, die Stärken der einzelnen Mitarbeiter zu erkennen, damit diese leistbare Aufgaben und Arbeitsmengen und leistbare Verantwortung übertragen bekommen können. Die Gratwanderung zwischen Überforderung und Herausforderung ist nicht immer leicht, jedoch ist es für die Arbeitszufriedenheit und den Erhalt der Gesundheit dringend erforderlich, das richtige Maß zu finden.
Ob Vorgesetzte oder Mitarbeiter, wir alle sind Menschen, die einen respektvollen, wertschätzenden und validierenden Umgang miteinander verdienen. Der Begriff Validierung meint, dass wir das Denken, Fühlen und das Verhalten des anderen nachvollziehen können, auch wenn wir es nicht gutheißen. Dies dem Gegenüber zu vermitteln, ist wichtig. Nur wenn ich die momentane Situation validiere, kann es im nächsten Schritt zu einer Veränderung kommen. Mitarbeiter, die sich ständig auf etwas Neues einstellen müssen, sollten beispielsweise darin validiert werden, dass es immer schwer ist, sich auf etwas Neues einzulassen. Zu einem respektvollen zwischenmenschlichen Umgang gehört, dass wir uns selbst und andere validieren, dass wir versuchen, unsere Emotionen zu regulieren (z.B. nicht aufbrausend reagieren), und dass wir achtsam für den Moment und die Situation sind.
Wenn ich den Ist-Zustand zunächst akzeptiere, dient diese Akzeptanz dazu, Veränderung zu ermöglichen. Ich muss erst einen Zustand annehmen, um Lösungsmöglichkeiten zur Veränderung erarbeiten zu können. Das Unveränderliche und Vergangene muss ich radikal akzeptieren, um Leiden loszulassen und nach vorne schauen zu können. Achtsamkeit hilft auf dem Weg zur Akzeptanz, die einen Prozess darstellt. Achtsamkeit und Akzeptanz sind die Schlüssel, um Leiden zu verringern. All diese Dinge klingen zunächst einfach, sind im Alltag und am Arbeitsplatz aber nicht immer leicht umzusetzen. Sie dienen jedoch letztendlich der Burn-out-Prophylaxe und der psychischen Gesundheit.
Grundsätzlich ist diese Frage mit Ja zu beantworten. Es sprechen einige Gründe dafür, dass Menschen mit einer psychischen Erkrankung nicht vom Arbeitsleben ausgeschlossen werden sollten, sondern dass dort ihre Stärken gesehen werden und sie Leistung erbringen und so den eigenen Selbstwert stärken können.
Ein guter Grund ist, dass die meisten psychischen Erkrankungen episodisch verlaufen, d.h. dass es Krankheitsphasen, aber auch Phasen der psychischen Gesundheit gibt, in denen Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit gegeben sind. Schuld- und Schamgefühle, beispielsweise wegen Fehltagen, führen häufig zu Gedanken der Wiedergutmachung und somit zu einer höheren Leistungsbereitschaft. Es gibt viele Menschen, die trotz psychischer Erkrankung eine hohe Leistungsbereitschaft haben und sozial integrierend sind. Gerade Menschen mit einer Borderlinestörung sind häufig leistungsstark und pflichtbewusst. Auch gute Behandlungschancen sprechen dafür, psychisch kranke Menschen am Arbeitsleben teilhaben zu lassen und die Integration in die Arbeitswelt zu ermöglichen.
Dennoch kann es aufgrund einer psychischen Erkrankung zu Schwierigkeiten kommen, die rat- oder hilflos machen. Auch ein Arbeitgeber darf und kann sich Rat einholen. Hierfür stehen der Betriebsarzt, der Firmensozialdienst, der sozialpsychiatrische Dienst am Gesundheitsamt (SpD) und der Integrationsfachdienst (IFD), ein spezifischer Dienst zur Unterstützung psychisch kranker Menschen an ihren Arbeitsplätzen, zur Verfügung. Eine offene Kommunikation und das Einholen von Hilfen sind für alle Beteiligten erleichternd und eröffnen Möglichkeiten.
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Heutzutage ist es alles andere als einfach, geeignete Fachkräfte zu finden und langfristig zu binden. Nachweisbar sind Unternehmensangebote für den Ausgleich von Privatleben und Job, eine gesunde seelische Balance und damit eine gesteigerte Lebensqualität entscheidende Kriterien, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren und Mitarbeiter für das eigene Unternehmen zu gewinnen. In diesem Zusammenhang spielt auch die Prävention psychischer Belastungen und Erkrankungen am Arbeitsplatz eine zentrale Rolle, gehören diese doch inzwischen zu den häufigsten Ursachen für Ausfälle von Mitarbeitern.
Nach einer Studie der Deutschen Angestellten Krankenkasse stieg die Zahl seelischer Erkrankungen am Arbeitsplatz zwischen 1997 und 2004 um 70%. Entsprechend schnellte die Zahl der psychisch bedingten Fehlzeiten im gleichen Zeitraum um mehr als zwei Drittel in die Höhe. 10% aller Ausfalltage in der deutschen Wirtschaft gehen auf das Konto seelischer Belastung. Angstzustände und Depressionen sind die vierthäufigste Krankheit am Arbeitsplatz und werden nach EU-Schätzungen in 15 Jahren in den Industriestaaten auf Platz zwei vorgerückt sein. Seelenleiden stehen als Ursache von Frühverrentung an erster Stelle.
Stress, Belastung und Lustlosigkeit sind mittlerweile gängige Gesprächsthemen geworden, zu denen fast jeder seinen Teil beitragen kann. Wenn in diesem Zusammenhang auch noch nicht direkt von einer psychischen Erkrankung gesprochen wird, hat dies dennoch fatale Folgen: In den letzten 17 Jahren, in denen ich mittlerweile über 20.000 Führungskräfte trainiert und gecoacht habe, war nicht eine einzige dabei, die nicht darüber nachgedacht hätte, noch vor der Rente alles hinzuwerfen, auszusteigen, sich selbstständig zu machen, auszubrechen aus dem ungeliebten Hamsterrad.
Warum?
Ob krank oder vielleicht »nur« demotiviert, in viel zu vielen Fällen geht die Leistungslust schon lange vor der Zeit verloren, was für die Betroffenen selbst unerträglich frustrierend ist, Unternehmen jedes Jahr Unsummen kostet und außerdem zum Verlust von unersetzlich wertvollen Fachkräften führt.
Als Tochter einer Psychiaterin habe ich selbst jahrelang in einem psychiatrischen Krankenhaus gearbeitet – bis zum als Befreiungsschlag empfundenen Ausstieg in die Selbstständigkeit. Vor diesem Hintergrund und meinen gerade beschriebenen Erfahrungen liegt mir das Thema »Seelische Gesundheit, Lebensqualität am Arbeitsplatz und Work-Life-Blending« besonders am Herzen.
2012 initiierte ich deshalb die Initiative »Stark wie Bambus« zur Förderung psychischer Gesundheit am Arbeitsplatz und deren Kernveranstaltung, der Soul@Work-Kongress.
Erstmalig im März 2014 mit großem Erfolg und rund 350 Teilnehmern durchgeführt, wurde das Thema im Kloster Eberbach in Eltville einen Tag lang aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Als Quintessenz des ersten Soul@Work-Kongresses liegt jetzt dieser Sammelband vor Ihnen: 20 der Kongress-Akteure, allesamt renommierte Experten aus Wirtschaft und Coaching, stellen in 20 Artikeln ihre erprobten Strategien, Tendenzen, Konzepte und innovativen Ansätze zur Prävention von psychischen Erkrankungen und für mehr Lebensqualität und Zufriedenheit am Arbeitsplatz vor und geben Einblick in die Unternehmenspraxis mit entsprechenden Best-Practice-Beispielen.
Mögen Ihnen die zahlreichen praxistauglichen Tipps und erprobten Handlungsleitfäden nützlich sein und zum Erhalt Ihrer seelischen Gesundheit und der Ihrer Mitarbeiter beitragen!
Mögen Sie täglich mindestens einen Grund für ein zufriedenes Lächeln und ein stolzes Gefühl an Ihrem Arbeitsplatz finden!
Ich freue mich darauf, Sie beim nächsten Soul@Work-Kongress zu treffen, und wünsche Ihnen bis dahin eine gute Zeit.
Auf bald mit herzlichen Grüßen
Katharina Maehrlein
Taunusstein, September 2014