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Titel
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Drago Jančar
Roman
Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof
TransferBibliothek
FolioVerlag
TransferBibliothek CXXIII
Titel der Originalausgabe: Galjot, Ljubljana 1978
© der Originalausgabe Drago Jančar
Durchgesehene Neuausgabe des unter dem Titel „Der Galeot“ 2004 bei Folio erschienenen Romans.
© Folio Verlag Wien • Bozen 2015
Alle Rechte vorbehalten
Coverbild: © Samo Trebizan (Hieronymus-Kirche im Nanos-Gebirge, Slowenien)
Grafische Gestaltung: Dall’O & Freunde
Druckvorstufe: Typoplus, Frangart
Printed in Europe
ISBN 978-3-85256-661-0
www.folioverlag.com
1
Dichte Luftschichten. Schleim kriecht die Wände hinauf. Ankunft aus den Sümpfen. Pestkommissare im Land. Ein ganz merkwürdiger Auftritt. Ein ganz versoffener Anfang.
Dunkle feuchtfleckige Fratzen äfften ihm von der Wand entgegen. In dieser dumpfen Stille schienen sie zusammen- und auseinanderzukriechen und mit unheimlich langsamer Bewegung unbestimmbare Bilder zu formen. Unten war die Mauer ringsum nass, geradezu schwarz von der schleimig-wässerigen Masse. Die unsichtbare Bewegung flimmerte aufwärts, zu diesen Flecken und Fratzen. Dazwischen gerann eine weißliche Flüssigkeit, sammelte sich zu Tropfen und glitt sachte zurück in den Sumpfboden. Es war, als wüchse die Kapelle aus der Erde, als würde sie all dieser feuchte und flüssige Schleim tränken und zugleich in den morastigen Boden zurückziehen. Er fasste mit der Hand nach der Mauer und fühlte darauf den warmen, nachgiebigen Schleim. Ein Frösteln lief ihm über den Rücken, und er zuckte zusammen bei der Berührung mit dieser lebendigen toten Masse.
Eine jähe Erregung setzte ihn in Bewegung. Sein Blick wurde vom Mauerwerk weg zur Tür und zur dunklen Öffnung dahinter gelenkt. Er trat näher und fasste wie beiläufig an das kalte Eisen. Er rüttelte an den Gittern, sodass der Riegel hohl anschlug. Drinnen ein Scheppern, das wieder erstickte. Er presste das Gesicht an und wartete, bis die kreisenden Pupillen die Dunkelheit durchbohrten und die Umrisse im Innern ausmachten. Die Wände waren rau und mit einem Weiß getüncht, das schon grau war vor Feuchtigkeit. Auch hier bewegten sich die nassen Flecken. Im Hintergrund erkannte er zuerst einen Haufen Lumpen und dann eine hohe Gestalt, die aus ihnen emporwuchs. Direkt neben dem massiven und kahlen schwarzen Kreuz stand, an eine Art Säule gebunden, ein Jüngling mit harmonischen, etwas unförmig geschnittenen und gemalten Gesichtszügen. In seiner Schulter steckte ein Pfeil, der sich ziemlich tief hineingebohrt hatte, aus der Wunde darunter schoss in einem mächtigen Strahl schwarzes Blut. Das musste früher einmal rot gewesen sein, und die Wände weiß. Pfeile steckten auch in seiner Brust, in den Beinen, im ganzen Körper. Der Himmlische war ganz schön durchlöchert. Hinter seinem schönen, bleichen Gesicht hing das zerfetzte Tuch einer Fahne. HL. SEBASTIAN, zog es sich über die Falten und über das verblichene Rosa. Erst jetzt bemerkte er den kleineren Mann auf der anderen Seite des Kreuzes. Die Skulptur war leicht gekippt und lehnte mit dem Rücken am Altar. Ein Pilger oder Bettler oder weiß Gott was in zerrissenen Lumpen. Mit der Hand deutete die Figur auf die blasige Beule auf ihrem Schenkel, und auch aus dieser schwärenden Wunde floss etwas Dickes, Helles, eine Art Schmiere, die sich da absonderte. Beide blickten nach oben, ihre Blicke waren mit aller Kraft an die schwarze Decke, den Himmel, geheftet.
In dieser Stille hörte er nur sein Atmen. Nur sein Luftholen und das Rasseln in den Kehlröhren und in der Mundhöhle, die die dichte Luft einzog und wieder ausstieß. Die zwei da drinnen waren ganz still. Das schwarze Kreuz stand regungslos zwischen ihnen und sah ihn an. Mit dem ganzen Körper drehte er sich um und entzog sich mit plötzlicher, aber immer noch langsamer Bewegung dieser krampfartigen Todesstarre.
Er drehte sich nicht mehr nach der Kapelle um und nach dem Schleim, der ihre Wände emporstieg. Die nassen Stiefel wateten durch das kurze Gras. Er sah, wie die feuchten Halmbüschel an seine Füße klatschten und sich mit Tausenden Saugnäpfchen daran festhielten. Er kam nur mühsam voran. Die Luft war mit Feuchtigkeit gesättigt. Aus dem morastigen Boden stieg warmer Dunst auf und kroch ihm unter die Haut. Er spürte etwas Kühles auf der Stirn, und als er hinfasste, blieben auch hier die Flocken einer nassen Masse an den Fingern hängen. Der Schweiß schlug durch die Haut, und von der Anstrengung wurde ihm schummerig vor Augen. Nur unter Qualen bewegte er sich durch die dichten Luftschichten. Er ging über einen schmalen, grasüberwucherten Knüppeldamm. Links wellte sich das Moor mit seinem warmen Dunst sachte zwischen reglosem hohem Lolch- und Schilfbewuchs. Von rechts starrte ihn dichtes Unterholz an, und schwarzrote Beerenkugeln leuchteten zwischen kriechendem Schlinggewächs. Abgestorbene und stinkende Brennnesseln bedrängten ihn mit ihrem betäubenden Geruch. Die Sonne stand hoch am Mittagshimmel. Ihr endloses Gleißen blendete durch das dichte Gemisch aus Luft und Wasserdunst. Er röchelte und schnappte nach der wenigen sauberen Luft in dieser Dichte, die von allen Seiten auf ihn eindrang und kein schnelleres Gehen zuließ.
Dann brach das Strauchwerk auf, und durch diese Lücke hindurch schlug er sich zwischen die Bäume und in den Wald. Die Luft war hier um nichts besser, auch aus dem flechtenartigen Moos dunstete es, aber wenigstens konnte man sich freier bewegen. Das Gelände stieg leicht an, und oben zwischen den Bäumen spürte er mehr Licht. Er stieg einfach schräg hinauf. Als er oben ankam, streifte er mit dem Gesicht ein Dornengestrüpp, und schwarze, glänzende Brombeeren hüpften vor seinen Augen. Hier war der Kamm, den entlang führte der Weg, und grünes, offenes Gelände lag zu beiden Seiten.
Er setzte sich ins feuchte Gras und warf das schwere Gepäck ab. Mit dem Ärmel wischte er sich die nasse Stirn. Ein Weitergehen war unmöglich. Die Luft war weich und schmierig. Sie drückte ihn zu Boden. Er wusste jetzt: Wenn er aufstand, würde er sich durch sie hindurchschlagen müssen wie durch Wasser.
Irgendwo in der Nähe erklang eine Glocke. Dumpf verlor sie sich in der fetttriefenden Masse. Dann hörte er das Gewoge zahlreicher Stimmen, und es verging nur wenig Zeit, da begann es hinter seinem Rücken zu murmeln. Über den Waldpfad zur Grastrift hinunter zog langsam und wogend ein Haufen Menschen durch das neblige, poröse Gewebe. Wie in einem Traum schwankte hoch über seinem Kopf zuerst ein buntes Banner mit rundlichen Engelchen vorüber, die vor dem blauen Hintergrund grellrot leuchteten, und dann zeichnete sich im Dunst eine murmelnde Menschenmenge in Feiertagsgewändern ab.
Er stand auf, warf sich Sack und Sattel über die Schulter und ging hinter den letzten der Herde her. Er versuchte einen nachzottelnden Alten anzusprechen, aber der mümmelte nur vor sich hin und hob die Augen in die Nässe über sich, zu dem verschwommenen Kreis am Himmel, der vermutlich die Sonne war. Doch er ließ sich nicht abwimmeln. Beharrlich schritt er neben dem gebeugten Mann her, der schon ziemlich weit hinter der Prozession zurückgeblieben war. Irgendwohin musste er doch kommen. Irgendwo musste dieser Weg doch enden.
Der Karrenweg fraß sich wieder in den Wald und biss sich jetzt steil in den Hang. Hier war es schlammig und glitschig unter den Füßen. Kleine stinkende Pfützen ergossen ihre abgestandene Flüssigkeit in die Löcher, die die Schritte hinterließen. Der Alte rutschte ein paarmal ab. Es sah aus, als würde er fallen und zurückstolpern. Mit triefenden Augen blickte er umher und heftete schließlich seinen Blick auf ihn. Misstrauisch tastete er über sein Gesicht und seine Kleidung und hielt an seinem Sattel inne. Dann sagte er mit schleppender und unsicherer Stimme, als überlegte er, ob er überhaupt sprechen sollte:
– Und wo ist das Pferd?
Er stieß den Sack über den Sattel und packte mit der Rechten fest zu, sodass es ihm den Rücken krummzog. Mit der Linken fasste er den Alten unter der Achsel und zog ihn langsam zur Böschung hinauf. Er wollte zu den Bäumen, aber der Weg verlief in einer Schlucht, und die Hänge waren glatt, wie geölt. Der Alte versuchte zuerst, sich zu winden, doch dann überließ er sich dem kräftigen Griff. Langsam kamen sie zu einer Stelle, von wo der Weg einen etwas flacheren Verlauf nahm. Hier blieben sie kurz stehen, dann kamen sie unter die Bäume. Jetzt ging es leichter voran.
Erst hier antwortete er ihm.
– Ich habe es unten gelassen, sagte er, im Moor. Ich glaube, es hat die Mauke. Ich habe es zu sehr durch die Pfützen gehetzt. So erhitzt, wie es war.
– Pottasche in Wasser kochen, sagte der Alte zufrieden und kennerhaft. Und Kiefernzapfen. Mit der Lösung dem Pferd täglich die Beine waschen und mit Öl einschmieren.
Der Fremde blickte vor sich hin. Er sah dieses einknickende und nasse Tier, dem der Schweiß nur so über die Haut lief. Das auf einmal im Schilf stehengeblieben war und leer vor sich hingestarrt hatte und nicht mehr vor und nicht zurück konnte.
– Hatte schon alles vereitert, sagte er nach einiger Zeit. War nichts zu machen.
Der Alte war wieder verstummt. Auf einmal war er wieder misstrauisch und wollte den Blick überhaupt nicht vom Boden heben.
– Wir haben uns im Moor verirrt, versuchte der Ankömmling zu erklären. Erst bei der Kapelle habe ich den Weg gefunden.
Sie gingen schweigend. Der Wald lichtete sich, und unten zeigten sich Holzhütten mit schwarzen Strohhüten. Die Prozession wand sich auf morastigem Weg durchs Dorf. Einige dunkle Gestalten kamen aus den Nebelschwaden zwischen den Häusern herbeigehastet und schlossen sich den Pilgern an. Langsam und mit vorsichtigen Schritten stiegen die beiden abwärts. Vor den ersten Häusern fing der Alte an, ein wenig herumzudrucksen, und murmelte etwas, als wollte er sich verabschieden.
– Ich dachte, sagte der Fremde, ob ich vielleicht etwas heiße Milch oder Wein bekommen könnte.
Der Alte zögerte. Sein Schritt zog ihn weiter, aber des Fremden Stimme hielt ihn fest. Noch einmal maß er ihn mit seinem triefenden Blick. Jetzt war er zu einem Entschluss gekommen. Komm, deutete er und ging einen schmalen Weg zwischen zwei Holzzäunen hinunter zu diesem Nistplatz aus schwarzen Elendshütten.
Das Dorf war fast leer. Einige Hühner flüchteten vor ihren Füßen, und ein paar Schweine wollten partout nicht aus dem Weg. An einem der Häuser nahm er eine Bewegung hinter dem Fenster wahr. Als er in die Richtung zurücksah, huschte hinter der Öffnung ein Frauengesicht zurück. Ein Stück weiter schob der Alte ein Holzgatter auf. Auf dem Hof dahinter war ein großer Misthaufen. Ringsum breitete sich eine einzige stehende und stinkende Lache, aus der es unerträglich dampfte. Er deutete dem Fremden mit der Hand zu einem Holzblock neben der Holzhütte. Er selbst rief etwas und trat ins Innere der Hütte. Einen Augenblick später zeigte sich ein runzliges Frauengesicht in der Tür, von allen Seiten mit langen Strähnen grauer Haare verhängt. Aufmunternd nickte sie ihm zu.
Er setzte sich und wartete. Aus der Hütte kam hastiges Reden. Hinten zwischen den Häusern wieder ein Huschen, und dann erschien direkt am Zaun eine üppige Frauengestalt. War es ihr Blick gewesen, den er gespürt hatte? Hatten diese schwarzen Augen ihn vorhin abgetastet? Wirklich, da war eine Schärfe in ihren unruhigen Pupillen. Sie versenkte ihren Blick in seinen und wiegte sich in den Hüften.
Da kam von der Tür her lautes Geschrei, Schlampe oder dergleichen, und das Weib schlüpfte hastig wieder zwischen die Hütten zurück. Auf der Schwelle stand der Alte mit einer Schale Milch in den Händen. Er platschte durch die Pfütze und reichte sie ihm. Mit großen Schlucken zog er das heiße Gesöff in sich hinein, sodass ihm wieder große Schweißtropfen auf die Stirn traten.
– Treiben sich herum und sind geil, sagte der Alte, als würde er auf eine Frage antworten.
– Wirklich, nahm der Fremde das Gespräch gern auf. Ihr habt hier eine so merkwürdige Luft, Feuchtigkeit und Hitze, beides zugleich.
– Hitze und schlechte Luft, flüsterte der Alte vertraulich, davon werden die Leute anfällig für bösartige und giftige Ausgeburten.
– Deshalb betet ihr? fragte der Fremde.
– Ja, sagte der Alte. Alle Zeichen sind da. Die Krankheit ist im Kommen. Nur der heilige Rochus kann uns noch retten.
Er wollte keine Zeit verlieren. Solche Prophezeiungen wurden überall von wirren Greisen ausgestreut.
– Ein Pferd, sagte er, wo kann ich ein Pferd kaufen?
– Hier nicht, flüsterte der Alte verschwörerisch, hier ist alles krepiert. Der Wirt. Im nächsten Dorf, diesen Weg weiter.
Er zog sich den Packen auf die Schulter und watete durch die stinkende Pfütze. Die Luft hier ist aber wirklich merkwürdig, überlegte er. Unten, auf dem Weg zwischen den Zäunen, hörte er einen Ruf. Er drehte sich um und sah den Alten, der reglos dastand und ihm nachgaffte.
– Du kommst nicht weit! hatte er gerufen.
Mitten am Nachmittag hielt er noch einmal an und fragte nach dem Weg zum Wirtshaus. Ein stämmiger Mann, die Ärmel bis zur Schulter aufgekrempelt, zeigte seine muskulösen Arme, die bis an die Ellbogen sonnenverbrannt waren, oben aber weiß wie Milch. Mit mächtigen Axtschwüngen fuhr er in die Holzklötze, dass es nur so wegsplitterte und sie regelmäßig nach dem ersten Schlag in zwei Teile auseinanderkrachten. Er war freundlich und gut gelaunt. Das war auch die hagere Frau mit den scharfen Linien im Gesicht, die sich in der Stalltür zeigte und ihre Hände an der Schürze abwischte.
– Nur den Weg weiter, rief er, Ihr seid bald da. Er sprang ins Haus und kam mit Obstschnaps in einem kleinen Tonkrug zurück. In dieser Hitze hilft der beim Gehen. Er erzählte ihm, dass die Reisenden häufig bei ihrem Haus haltmachten. Manchmal blieben sie sogar über Nacht. Der Mann war redselig und neugierig. Dem Fremden aber stand der Sinn nicht nach Unterhaltung.
– Ich muss weiter, sagte er, ich brauche ein Pferd.
Linkisch versuchte er sich zu bedanken, aber der andere winkte mit der Hand ab.
– Aber Vorsicht, der Wirt ist ein Gauner, sagte er und verzog sein Gesicht beim Versuch, ihm zuzuzwinkern.
Der Weg schlängelte sich wieder durch sumpfiges Grasland dahin. Aber jetzt war es leichter. Das Ziel war nahe. Doch die Atmosphäre war noch immer gesättigt mit Wärme und Feuchtigkeit.
Als er sich dem Wirtshaus näherte, war es Nacht. Aus den Fenstern kam etwas Licht. Er schlug an die Tür. Drinnen rührte sich etwas, und dann ging das Haustor einen Spaltbreit auf. Aus der Öffnung schlug der Geruch von Rauch, Wein und Körpern.
– Nachtlager, sagte der Fremde. Die Tür ging auf, und ein Mann mit verkniffenem und mürrischem Gesicht ließ ihn ein. Der Raum wurde von zwei, drei Kerzen erleuchtet, die auf den Tischen standen, und in der Ecke flackerte im Luftzug das Feuer einer Pechfackel. Einige Kerle saßen am Tisch bei einem Krug Wein und unterhielten sich halblaut. Als er eintrat, drehten sie sich nach ihm um. Die anderen Tische waren leer. Sack und Sattel warf er auf die Bank und schob sich selbst auf einen leeren Platz in der Ecke. Wortlos stellte der Wirt Wein vor ihn hin und setzte sich ihm gegenüber.
– Von weit? fragte er.
– Ja, antwortete der Fremde.
Der Wirt warf einen Blick zur Runde am Nebentisch, wo die Männer ihre Worte auffingen, und beugte sich über den Krug nach vorn.
– Keine Sorge, ich pflege nicht groß zu fragen, sagte er. Er stand auf und trat zur Tür, die ins Innere führte.
– Der Gast übernachtet, rief er.
– Pferd füttern? belferte eine Männerstimme, und in der Tür erschien ein Kopf mit feuerrotem Haarschopf.
– Hat keines, sagte der Wirt und wies mit dem Kopf auf das Gepäck des Fremden.
Er aß eine Grütze, in der große, fette Fleischbrocken schwammen. Dann hielt er es nicht mehr aus. Die Augen brannten ihm vom Rauch und vor Müdigkeit, und er spürte, wie die ganze Hitze, die ganze Feuchtigkeit und der betäubende Dunst dieses langen Tages durch seinen Körper strömten. Er rief den Wirt, der sich langsam vom Nebentisch erhob.
– Morgen brauche ich ein Pferd, sagte er.
Die Augen des Wirtes wurden lebendig vor Interesse.
– Wird nicht leicht sein, sagte er und schickte einen schnellen Blick über das Gewand und den Sack des Fremden. Mit Pferden ist es schwierig.
– Wir sprechen morgen darüber, sagte der Fremde und stieg hinter dem Rotkopf die Treppe hinauf. Der drückte ihm vor der Tür die Kerze in die Hand.
– Damit Ihr keine Angst bekommt, sagte er und lachte zwischen den Schatten, die über sein Gesicht wanderten.
Er schob den Sack unter das Bett und verriegelte die Tür hinter sich. Den Dolch legte er unter das Kopfkissen, dann begann er sich auszuziehen. Sein Blick blieb an einem gedruckten Votivbildchen hängen, das nahe der Kerze auf der Holzbank lag. In grellroter Farbe war darauf dieser Kerl in Lumpen abgebildet, den er schon irgendwo gesehen hatte. Mit der Hand fuhr er zur Beule auf seinem Schenkel, aus der eine helle Flüssigkeit triefte. In der Kapelle, heute morgen, da hatte er ihn gesehen.
Er legte sich hin, und mit geschlossenen Augen sah er die rote Gestalt des heiligen Rochus vor sich. In den Nasenlöchern spürte er die Feuchtigkeit und den betäubenden Dunst, der aus den Sümpfen aufstieg.
Der Wirt erwartete ihn mit einem breiten Lachen. Der Morgen war warm, und alles deutete darauf hin, dass die Sonne zumindest ein wenig von diesem feuchten Dreck, der die Luft vergiftete, vertreiben würde. Noch war sie nicht sauber, aber der Atem ging einem doch schon etwas leichter in die Lunge. Auf dem Gesicht des Wirtes lag nichts mehr von der Unwirschheit des Vortags. Aber er begrüßte ihn mit einem so sonderbaren Lächeln – Haben wir gut geschlafen? –, dass sich ihm bei all dieser Fröhlichkeit ein Druck auf die Brust legte.
Es ging vorüber, als sie sich zum Gespräch niedersetzten.
– Das Pferd habe ich, sagte der zum Lachen aufgelegte Wirt, aber ich fürchte, Ihr werdet es nicht benutzen. Der Fremde blickte ihn erstaunt an.
– Schaut nur nicht so, salbaderte der Wirt, Ihr braucht keine Eile mehr zu haben. Heute hat in aller Herrgottsfrühe Richter Albin hier haltgemacht, ein ziemlich hohes Tier. Er hat erzählt, in der Stadt gebe es Besuch.
Er machte eine Pause und stellte Wein auf den Tisch. Obwohl sonst niemand jetzt im Raum war, beugte er sich vertraulich vor zu ihm.
– Der Pestkommissar, flüsterte er.
Der Fremde zuckte mit den Achseln. Die große Neuigkeit schien keinerlei Eindruck auf ihn zu machen. Der Wirt lehnte sich enttäuscht zur Wand zurück.
– Ich sehe, dass Ihr nichts begreift, sagte er. Die landesfürstliche Statthalterei hat die Errichtung von Pestkordonen und -lazaretten verfügt. Noch ist nichts passiert. Noch ist die Krankheit nicht aufgetreten. Die üblichen Vorsichtsmaßnahmen. Nur, dass von nun an kein Reisender mehr einfach so durchs Land spazieren kann.
Jetzt schien der Mann zu verstehen, worum es ging.
– Ich kann nicht weiter? fragte er.
– Na endlich, atmete der Wirt auf. Ihr habt richtig verstanden. Ihr könnt nicht weiter. Erneut setzte er sich und sah ihn aufmerksam an. Der Fremde trank einen Schluck Wein und wirkte ganz ruhig. Dann trommelte er mit den Fingern auf den Tisch, und die Bewegung verriet, dass sich im Innern seines Schädels die Gedanken stoßweise jagten.
– Genau genommen könnt Ihr gehen, sagte der Wirt nach einiger Zeit sanft in diese Stille hinein. Aber jetzt werden sie jeden Fremden gründlich abtasten und überprüfen. Das ist nicht jedem angenehm.
Er stand auf und ging zur Tür.
Der Fremde sah wortlos auf die Rotweintropfen, die sachte den Krug abwärts krochen und sich auf dem Tisch zu einer blutigen Lache sammelten.
Den ganzen Vormittag ritt er in der Gegend umher. Der Wirt hatte ihm ein gutes Tier verkauft. Er betrachtete die sanften grünen Hügel, die das Pferd so leicht bezwang. Es war feucht, aber schön. Wenn die Sonne diesen Dunst auseinandertreibt, muss das hier ein freundliches und gutes Land sein, dachte er.
Mittags aß er rasch und zog sich mit einem Krug Wein in sein Zimmer zurück. Er betrachtete das rote Bildchen und ließ sich volllaufen. Er sah den Mann im roten Kittel, wie er am Zaun zwischen den schwarzen Hütten stand und ihm nachrief: Du kommst nicht weit!
Unten hörten sie ein lautes, abgerissenes Lachen.
Abends kam er mit blutunterlaufenen Augen herunter und setzte sich wieder allein an den Tisch. An diesem Abend war das Wirtshaus voll. Einheimische und reisende Kaufleute. Er hörte sie fluchen. Wenn Pestkordone gezogen würden, sei es vorbei mit Saumlasten und Verdienen, dann bleibe ihnen nichts, als zu Hause herumzusitzen und Verluste zu machen.
Es war klar, dass der Wirt nicht gelogen hatte.
Mit Wein verbrachte er auch den folgenden Tag.
Den dritten Tag kam der Wirt in sein Zimmer. Er setzte sich, sah ihn an und schwieg. Ebenso ging er auch wieder, ohne ein Wort.
Diese Nacht erwachte er aus seinem Weindusel, und ihm war, als hätte sich der Riegel an der Tür bewegt.
Am Morgen beschloss er weiterzuziehen. In diesem Wirtshaus konnte er nicht bleiben. Eines Nachts würden sie seinen weingetränkten Leichnam hinten im Wald verscharren. Eines Nachts würde der leuchtende Feuerkopf nach seinem Lager hin ausholen.
Aber der Morgen war sonnig. Der ganze Dunst war verflogen. Hinten am Horizont drückten die Wolken zu Boden, und er spürte ihre heiße Umarmung, doch hier war es hell und sonnig.
Als er seinen Reisesack schnürte, ging hinter seinem Rücken die Tür auf. Er fuhr herum, dort stand der Wirt, an den Türpfosten gelehnt.
Diesmal sprach er.
– Mit Euch geht etwas Schlimmes vor, sagte er. Ich frage nichts, aber mit Euch geht etwas Schlimmes vor. Jede Nacht schreit Ihr im Schlaf.
Der Fremde schwieg. Dann sagte der Wirt lächelnd:
– Ich habe eigentlich nicht die Absicht, Euch zurückzuhalten. Aber es ist meine Pflicht, Euch zu sagen, dass eine Kontumaz eingerichtet wird.
Das sagte er mit seinem Lächeln und ließ ihn allein. Jetzt ging in diesem seltsamen Fremden etwas vor. Er setzte sich und vergrub seinen Kopf in den Händen. Offenkundig hämmerten Zweifel und Fragen in ihm.
Langsam schnürte er den Sack wieder auf und ging die Treppe hinunter. In der Gaststube saßen zwei Bauern beim Wein und ließen sich wortlos volllaufen. Er schob den Krug fort, den der Wirt vor ihn hingestellt hatte, und schwieg, bis die zwei aufgestanden waren, gezahlt hatten und gegangen waren. Er winkte dem Wirt, er solle sich zu ihm setzen.
– Ich weiß nicht, warum Ihr mich so sehr von meinem Weg abzuhalten versucht, sagte er dann leise und konzentriert, aber irgendeine Absicht müsst Ihr damit verfolgen. Wartet Ihr auf eine günstige Gelegenheit? Wollt Ihr herausfinden, ob ich allein reise? Ob mir keiner nachkommt? Liegen da schon viele Knochen im Wald hinter Eurem Haus?
Der Wirt lächelte.
– Also doch, sagte er, man kann also doch mit Euch reden. Bisher habt Ihr nur getrunken und seid umhergeirrt, als würdet Ihr von etwas Schlimmem verfolgt. Jetzt habt Ihr endlich angefangen nachzudenken. Gott ist mein Zeuge, sagte er, dass ich nicht zu denen gehöre, die auf einsame Reisende einschlagen. Ich mache Euch nur auf eines aufmerksam: Ich habe meinen Nutzen, wenn Ihr bleibt. Ihr habt Euren Nutzen, wenn Ihr bleibt. Die Kontumaz ist eine schlimme Sache. Aber die lästigen Fragen, die von den Richtern und Inspektoren in den Pestkordonen gestellt werden, sind – noch schlimmer.
Der Fremde blickte ihm gerade in die Augen.
– Ich bleibe, sagte er.
Der Wirt nickte zufrieden.
– Aber nicht in diesem Wirtshaus, das so voll ist von Euren guten Absichten.
Der Wirt rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her. Er fuhr mit den Händen durch die Luft.
– Das beste Wirtshaus, betete er sein Sprüchlein herunter, das beste weit und breit, überall sonst werdet Ihr betrogen und vor allem – ausgefragt. Ich frage nichts, ich nehme jeden Gast gerne auf.
Der Fremde wandte seinen Blick nicht ab.
– Darum geht es nicht, sagte er. Ich werde mich niederlassen. Wenigstens so lange, bis dieser Irrsinn vorüber ist. Ich suche ein Haus, eine Bleibe.
Das brachte den Wirt auf die Beine. Er ging durch den Raum und kurvte mit unsicheren Schritten um die Tische. Dann kehrte er zu seinem Tisch zurück und stützte sich mit den Händen auf.
– Ihr wollt bleiben? fragte er verwundert.
– Ich bleibe, sagte der Fremde.
– Habt Ihr genug Geld für ein Haus? fragte der Wirt.
– Genug, sagte der Fremde.
– Und ich habe schon gedacht, Ihr wäret so ein entsprungener Galeot, sagte der Wirt.
Am Abend war die Sache abgemacht. Der Wirt kam mit einem konkreten Vorschlag in sein Zimmer. In der Nähe gebe es ein leeres Haus. Er solle nicht fragen, warum es leer sei. Er könne einziehen. Ein wenig Geld für den Wirt und für den Richter Josef Albin in der Stadt sei notwendig, um unnötige Nachforschungen zu vermeiden. Er könne bleiben.
Am nächsten Tag sah er sich die Sache an. Das Haus war verlassen, aber gut erhalten. Er würde bleiben. Am selben Tag noch war er in der Stadt. Lange besprach er sich mit dem Richter. Er würde bleiben.
Am nächsten Abend zog er ein.
So blieb er. Ganz plötzlich hatte er sich in seinem Weindusel entschieden, seinem Schicksal entgegenzutreten. Ganz plötzlich und ganz einfach war er in seine Geschichte eingetreten, deren Ausgang nicht abzusehen war.
Er war nachts gekommen, und er war allein gekommen.
So hatte diese schlimme Geschichte ihren Anfang genommen.
2
Nadelstiche der Erinnerung. Die Teufelsklauen der Skepsis. Die Warnungen der Steirischen Carolina. Das Neue Stift. Die gerechten Verfahren des Richters Lampretič. Tanz der Fliegenbrut unter der Haut, im Schädelgewebe, in den Augenhöhlen, durch die Adern zum Herzen hin.
Ein böses Gewissen ist ein schlechtes Ruhekissen, oder mit anderen Worten: Etwas stimmte nicht mit diesem Menschen. Schon bei seiner Ankunft nicht, schon von allem Anfang dieser schweren und lehrreichen Geschichte an. Etwas stimmte nicht, weil er allein war, etwas stimmte nicht, weil er nachts gekommen war, vor allem aber, weil in den folgenden Nächten in seinen Fenstern ununterbrochen Licht brannte! In diesen schweren Zeiten, als in der Luft, im Wasser und auf der Erde sonderbare Dinge vorgingen, als die Sünde des ersten Menschen doch von fast jeder Seele Besitz ergriffen hatte, als Tag um Tag und Nacht um Nacht die Rede war von Magie, als Propheten und Alchimisten heimlich ihre Formeln sprachen, als Stifter, Wiedertäufer und andere Ketzer die Menschen aufwiegelten und in mondhellen Nächten mit rasenden Weibern verkehrten, als man in dem einen Winkel des Landes noch nicht vergessen hatte, dass „dieser Hurensohn Primus und seinesgleichen prediget, die Jungfrau Maria sey eine Hur’ gewesen“, und in dem anderen die Steirische Carolina – durch ihren ehrenwerten Richter Lampretič und dessen Kollegen – vom Teufel besessene Frauen und Männer zu Folter und Tortur, zu Ertränken und Scheiterhaufen verurteilte; in diesen schweren Zeiten, für die sich nicht verlässlich sagen lässt, wann sie begannen und wann sie endeten, war Nacht um Nacht ein solches Licht im Fenster ein hinreichend klares Zeichen: Dahinter steckte ein böses Gewissen. Es war still, es war stumm, doch es nagte und nagte, langsam und beharrlich. Allen hatte es sich unter die Schädelwölbung gebohrt und nachts wie ein Albtraum auf die Brust gelegt, jeder wusste, er stand vor seinem Entweder-Oder, was von gelehrten Leuten damals Prädestination genannt wurde: entweder Friede, Ehrbarkeit, Gesundheit und ein frohes Gemüt in dieser Welt und Erlösung in jener oder aber Versuchung, Ketzerei, böse Träume, scheußliche Krankheiten und dann Daumenschrauben, Streckbank, Feuer und anderes mehr, was mit Buchstaben und Tat die Carolina hier verfügte, und die unendliche Pein dort.
Und bei wem nachts das Licht brannte, mit dem ging bereits etwas vor.
Nein, für eine Anzeige reichte es nicht. Schließlich verlangte ein handfestes Gericht auch handfeste Beweise. Doch war völlig klar, dass es Informationen über diesen Menschen zu sammeln galt. Niemand sollte sich daran stören, wenn sich später, in anderen Gegenden, andere ehrbare Leute mit ganz anderen Informationen hervortaten, so völlig anderen, dass wir für einen Augenblick zu zweifeln haben, ob es sich überhaupt um ein und denselben Menschen handelte, dessen lehrreiche Geschichte wir hier verfolgen wollen; fürs Erste sei ihnen geglaubt. So wurde es vernommen, so wurde es gesehen. Nach einiger Zeit wurde es so gewusst.
Er war nicht von hier. Er hatte niemals hier gelebt. Er war aus dem bergigen Norden gekommen. So wurde es festgestellt und bestätigt, so verrieten seine harten Gesten, seine unbeholfene Sprechweise, so versicherte er bald selbst. Auch sein Name, auch aus dem ließ sich eine solche Herkunft ablesen: Johann Ott. Nach seiner Ankunft hier im Süden, so ging das Gerücht, habe er sich lange Jahre in Krain herumgetrieben. Einmal habe er sich diesem, einmal jenem Herrn verdingt. Er habe die Sprache erlernt und Geld angehäuft. Wie, auch das wussten die ehrbaren Leute: Mit Arbeit bestimmt nicht. Wieviel Wohlstand, welche Art Wohlstand, das wusste niemand so genau. Aber Wohlstand war es nun einmal. Er hatte ein Haus, hatte Brachäcker, Pferd und Waffen. Er lebte allein, setzte sein Haus allein instand, kochte allein, ruhte allein, schlief er allein? Schlief er überhaupt? Immerzu hatte er rote und geschwollene Lider. Immerzu brannte Licht. In aller Frühe sah man ihn schon herumwandern, beim ersten Abenddämmern wieder. Also schlief er wenig, oder er schlief überhaupt nicht. Wer nicht schläft, wer wach liegt, dessen schwarze Gedanken durchkreisen den leeren Raum oder schweifen hinaus in die finstere Nacht. Über dem Eingang hing eine beinlose Ratte. Ein Schutzmal. Vor wem? Oder besser noch: vor was? Einmal jagte er Fledermäuse, Nachtvögel, ein anderes Mal verirrte er sich ins Moor, dann wieder verjagte er mit schrecklicher Stimme Kinder von seinem Haus. Wer Wege fehlt und Vögel leimt, wer Kinderspiel vom Haus vertreibt, ein Feind ist dieser Engel rein, der leidet in der Seele Pein. Er konnte einfach zu viel. Er konnte reiten, mit Waffen umgehen, verstand sich aufs Schmiede-, Zimmermanns- und Schuhmacherhandwerk. Er hatte Bücher. Also las er. Doch was? In diesen schweren Zeiten liefen sehr unterschiedliche Bücher mit sehr unterschiedlichen Lehren um. Wer die las, konnte leicht auf irrige Gedanken kommen, im Nu beschlich ihn ein skeptischer Teufel.
Es gab genaugenommen gar nicht wenig Anhaltspunkte. Ein Wunder, dass man ihn nicht sofort ergriff und ein wenig peinigte und stach und befragte.
Nein, mit Johann Ott stimmte etwas nicht. Schlecht hatte er begonnen, sehr schlecht.
Was geht in der Erinnerung vor bei einem so abgezehrten Menschen, was brodelt in der Erinnerung eines solchen Irrfahrers, dass er nachts mit diesen Kerzen oder sonst einem Licht herumhantiert, was siedet und gärt da in seiner Seele und seinem Körper, dass nachts sein Schatten hinter den Fenstern tanzt? Dass er sich plötzlich anderswo seinen Wohnsitz sucht und vor irgendwem oder irgendwas flieht oder sich versteckt? Dass er all diese Dinge treibt, deretwegen man ihn, wenn man nur wollte, sofort, gleich von Anfang an unter Druck setzen könnte? Er muss schon so aufgetreten sein, er muss ihnen schon diesbezügliche Hinweise zum Fraß vorgeworfen haben, dass sich Lampretič und dessen Leute ernstlich für ihn zu interessieren begannen. Es hätte durchaus geschehen können, dass ihn Lampretič und dessen Leute nach dieser Erinnerung befragten oder ihn aufgrund anderer Anzeichen einfach so und ohne viel Federlesens unter Druck setzten und fertigmachten. Aber Johann Ott war nicht an diesen Ort gekommen, um mit seinem ungewöhnlichen Leben so leicht und rasch abzuschließen. Noch warteten die Carolina und alle anderen Richtsprüche auf ihn, noch erwarteten ihn die Galeere und andere Dinge, bei denen schon die Haare zu Berge stehen, wenn wir nur an sie denken.
Und schließlich war der Mann gar nicht so harmlos. Seine Vergangenheit, von der wir beim Sammeln und Zusammensetzen all der Angaben immer weniger verlässlich wissen, wie sie eigentlich war, lag in dieser Erinnerung, das tat sie ganz sicher, und dazu kam eine Menge zäher Lebenserfahrung. Deshalb wusste er bald selbst, dass ein solcher Anfang wirklich nicht gut war. Nur so lässt sich der plötzliche Wandel erklären, der den Leuten einen leichteren Schlaf bescherte. Denn alles deutete darauf hin, dass er dableiben würde. Eines Tages fing er an, nach alter Gewohnheit der hiesigen Bevölkerung an seinem Haus herumzuwerkeln. Er ging zum Kirchtag in die Stadt, stritt sich mit den Zöllnern, feilschte mit den Kaufleuten und betrank sich zum Schluss ausgiebig mit Wein. Das war schon besser. Jetzt war mit ihm schon auszukommen. Noch andere gute Sitten hatte er angenommen. Er war in der Kirche gewesen. Hatte von sich erzählt. Etwas getan. Einigen Frauen zugenickt. Hatte an einem windigen und kalten Tag ein Kind zu sich aufs Pferd gehoben. Ein fremdes Lied gesungen, zum Lachen. Einen Hund getreten. Einen Kelch gestiftet. Ein Schwein gemästet, es geschlachtet. War vor dem Kreuz an der Straße auf und ab gegangen. Hatte die Glocken geläutet. Hatte seine Wanderungen durch Moor und Felder eingestellt. Hatte verschiedenen hübschen Hausrat angeschafft. Hatte etwas mit der Obrigkeit besprochen. Hatte beim Schmied auf den Amboss geschlagen.
Nur das Licht brannte noch. Nur die Sterne beobachtete er noch. Nur die Hunde heulten manchmal noch hohl, wenn sein Schatten umherirrte.
Kurzum, er gab keinerlei Versprechungen ab, er erklärte eigentlich nichts Rechtes, und trotzdem beruhigte sich die ganze Angelegenheit etwas. Sie wussten, dass sie ihn akzeptieren würden. Sie würden zwar noch etwas murren und flüstern, aber sie würden ihn akzeptieren. Langsam und sicher würden sie sich mit seiner Anwesenheit abfinden, und vielleicht würde er sogar ganz einer der Ihren werden. Doch ein schlechter Anfang ist ein schlechter Anfang. Der haftet im Gedächtnis.
Auch Blut hatte er geschröpft aus einem kranken Körper, und eine Seuche hatte er zum Stillstand gebracht. Das muss man wissen, sonst lässt sich nur schwer verstehen, warum sie ihn in dieser schweren Zeit ertrugen und akzeptierten. Später, als die Ereignisse einen überraschenden und ungewöhnlichen Verlauf zu nehmen begannen, wurde natürlich alles Mögliche gemunkelt. Er habe den Richter Josef Albin und dessen Kollegen mit geschickter Zunge und dicker Geldbörse geschmiert. Er habe schon damals mit einer geheimen Gruppe in Verbindung gestanden. Es muss doch einen Grund gegeben haben, dass man ihn in dieser schlimmen Zeit, trotz aller Anzeichen, so lange in Ruhe gelassen hatte. Und dies war eine Zeit, in der man wirklich nicht einfach so herumziehen oder sich irgendwo ansiedeln konnte. Allzu gut waren den Menschen noch die Krankheiten an Leib und Seele in Erinnerung, die in dichter Folge Jahr um Jahr über sie gekommen waren. Es gab kein Jahr, in dem nicht Pesthäuser vernagelt, Wachen aufgestellt und Leichname in Gruben geworfen wurden, denn es gab kein Jahr, in dem der allmächtige Gott nicht seinen gerechten Zorn über das sündige Land gegossen hätte. Dabei bewies er einen unglaublichen Einfallsreichtum. Einmal schickte er den Pferdehändler, dann den Lederer, dann den Fleischer, ein andermal einen Bediensteten oder einen Boten, ein drittes Mal kleine Tierchen oder Hexen, damit sie allen Sicherheitsmaßnahmen und aller Vorsicht der Bevölkerung zum Trotz ihre Saat ausstreuten. Wenn nicht anders, schickte er ein schwarzblaues Wölkchen am hellichten Tag oder einen giftigen Windhauch in der Nacht. Kurzum, es war nicht leicht, und die Angst war nicht gering, dass sich die schreckliche Seuche anschicken würde zu ihrem Tanz. Und so geschah es eines sonnigen Nachmittags, dass sie in der Hütte am Dorfende vor Grauen aufkreischten, als ihnen die Mutter starb. Denn die Frau hatte eine schwarze Beule unter der Achsel und Schweiß auf der Stirn. Sie war im Hof zusammengebrochen und hatte geröchelt und wirr geredet, ganz plötzlich. Die einen waren nach dem Geistlichen gerannt, die anderen nach Ärzten in die Stadt, die Dritten hatten sich in ihren Häusern verrammelt.
Wer hätte sich in diesem Augenblick nicht der Zeichen am Himmel erinnert, die in letzter Zeit gar nicht so selten zu sehen gewesen waren? Des Tages, als am Himmel zwei Nebensonnen gestanden hatten. Die Hauptsonne war bleich gewesen, als wäre sie krank. Der Nacht, als sie den blutigen Mond gesehen hatten, mit Feuerschwert und Peitsche im Mund. In jener Nacht hatte eine Frau Zwillinge geboren: Das eine Kind war schwarz gewesen, das andere weiß. Des blutigen Regenbogens, der schwarzen Hunde, der flammenden Kirchtürme, all der anderen Zeichen und Bilder, die von Mund zu Mund gingen.
Vielleicht hatte auch Johann Ott an all das gedacht, vielleicht hatte auch sein Herz gebebt und war in Wallung geraten, als er sich mit den Ärzten aus der Stadt gestritten und immer wieder seine Meinung geäußert hatte. Die gelehrten Männer wollten die Frau absondern und ihre Kleider verbrennen. Aber Johann Ott behauptete, das seien nicht die Symptome, er habe die Krankheit schon einmal gesehen. Die einzige und wirkliche Ursache sei darin zu suchen, dass das kranke Organ von Blut überquelle, weil sich hier dickes schwarzes und krankes Blut angesammelt habe. Dieses Blut müsse man ablassen. Das müsse heraus und in die Erde.
Bekanntlich lässt man in solchen Fällen auf der dem erkrankten Organ gegenüberliegenden Seite zur Ader. Dort fließt das kranke Blut dann ab. In seltenen Fällen muss man die Ader auf der kranken Körperseite öffnen. Diese Methode ist weniger zuverlässig. Es gibt allerdings dreißig nachgewiesene Adern, aus denen Blut abgelassen wird. Auch kann man das kranke Organ selbst öffnen und anschließend Brennkraut oder eine Heilerbse in die Wunde stecken.
All das war den Ärzten bekannt, all das waren bewährte und gute Heilmethoden. Nur – die Beule war schwarz gewesen. Darin lag die Schwierigkeit. Aber sie hatten beschlossen, er solle es versuchen. Sollte er schneiden. Sollte er sie anfassen. Sollte der Zugewanderte doch draufgehen, wenn er wollte.
Johann Ott hatte das Seine getan. Er hatte die Frau völlig zerschnitten. Und wirklich, danach wurde sie schwächer und bleicher, und nach ein paar Tagen starb sie. Aber nur sie war gestorben. Eine Seuche kam nicht. Die Zeichen am Himmel hatten etwas anderes zu bedeuten gehabt.
So könnten wir die Geschichte enden lassen von der Ankunft des sonderbaren Fremden in unseren Breiten, denn seither hatte er sich Vertrauen erworben und genauso gelebt, wie die Menschen hier seit jeher lebten. Aber wir haben ihn nicht deshalb ausgesucht, um ihn jetzt hier, unter diesen guten und ehrbaren Leuten, in Ruhe zu lassen. Seinen Kelch wird er bis zur Neige leeren, bis zum letzten Tropfen. Denn hinter all dem, wie er begonnen, was er getrieben hat, hinter all dem verbirgt sich etwas. Die Dinge sind bei Weitem nicht so einfach, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheinen. Die kommenden Ereignisse werden das ganz überzeugend zeigen, wenn auch vielleicht etwas unklar für jene, denen die verschlungenen Wege des Geistes etwas Fremdes sind.
Es fing damit an, dass aus der Dorfmitte, von dort, wo sich die finsteren Wohnhütten drängten, verworrener Lärm drang. Rufen, Lachen, Fluchen, alles durcheinander, ein eigenartiges Gewirr von Lauten und Tönen, wenn sich Menschen versammeln oder zu einem Haufen zusammenströmen, beunruhigend. Es nieselte leicht, und Johann Ott war über und über dreckverschmiert, als er vor die Kirche gelaufen kam. Dort bekam er was zu sehen. Zwei völlig zusammengekrümmte Leiber, zwei nackte Menschenklumpen, und um sie herum eine höhnende, grölende, brüllende, geifernde Horde Menschen. Einer der beiden Körper gehörte einer Frau. Besudelt und beide Hände vor der Scham, die hier der Hauptgegenstand des Gebrülls war. Sie kauerte sich an den Boden, und die kreischenden Weiber schrien noch lauter. Er solle sie bespringen, geiferten sie, jetzt solle er sie bespringen, wie er sie die ganze Zeit schon bespringe und es mit ihr treibe. Der Mann sah nach vorn, die Hände schlaff herabhängend, den Kopf gesenkt, den Blick in den Kot. Und zwischen den Beinen baumelte ihm dieser armselige Stummel in dieser Kälte und diesem Regen. Das war der Preis für die Ausschweifung. Die von göttlicher und menschlicher Gesetzlichkeit verhängte gerechte Strafe.
Durch ihre feuchten Haarsträhnen blickte sie auf und Johann Ott direkt in die Augen. Das fraß sich ihm in die Pupillen, und das Brennen wanderte hinab bis in die Eingeweide. Er stand da und sah zu, wie die Schandorgie all der Ehrenmänner ringsum endlos weiterging. Neben sich vernahm er ein Würgen, ein Röcheln, kehlige, gequälte Laute, und er erblickte einen Alten, den der Anblick der Frau völlig verstört hatte. Die Begierde setzte ihm schlimm zu, er würgte und griff sich an Bauch und Brust. Ott fühlte, dass er dem Alten mit aller Kraft eines auf den Scheitel schlagen und auf ihm herumtrampeln müsste, damit alle zusammen endlich still wären und ihn dieses warme Gefühl da drinnen in den Eingeweiden wieder verließe.
Aber er tat nichts. Er ging weg. Er tat niemals etwas. Er wurde immer nur von etwas angezogen und dann zermalmt.
Ein Teufel hatte seine Finger dazwischen, nur so viel lässt sich sagen, denn an diesem Tag musste es über ihn hereinbrechen. Die ganze Nacht lag er da und starrte in die Finsternis. Der ganze düstere Tag, der ganze Dreck, die Horde Menschen, der Regen, die beiden nackten Leiber, der Blick durch die nassen Haarsträhnen herauf, diese glühenden Pupillen, das ganze Gesöff, das er am Abend zuvor in sich hineingeschüttet hatte, die ganze Brühe floss da in ihm herum und brodelte und brannte. Gegen Morgen suchten ihn Fratzen heim, ohne Schwanz und Kopf, ohne Form und Inhalt umkreisten sie ihn, gingen in ihn ein und aus ihm heraus, sodass er aufstand und seinen Kopf gegen die Wand hämmerte. Das half, aber nur für kurze Zeit. Als er sich wieder hinlegte, drehte die Welt erneut ihr Räderwerk und den verrückt spielenden Raum. Er trat hinaus, um nach seinen Schutztierchen zu sehen und sie zu berühren, doch draußen blies der Wind, und da schaukelte nichts über der Tür. Die beinlose Ratte war verschwunden. Johann Ott wurde starr und blass vor Grauen. Sein Schutzgeist gegen den Fürsten der Finsternis, seit jeher Bürge und Friede seiner Wohnstatt, war weg. Er war weg, wohin sonst, wenn nicht zum Teufel? Er warf sich auf den Boden und tastete im Dreck umher, jedes Steinchen tastete er ab, aber umsonst, Johann Ott, umsonst, das Tierchen war nicht mehr da. Er lief hinaus, hinters Haus, auf den Berg, in den Wald, und hinter ihm beugte der Wind die Baumkronen. Er irrte durch die dunkle Nacht, bis seine Muskeln nachzulassen begannen, bis er die wässerige, schleimige Masse in seinem Körper wabern fühlte, bis er das Brennen und Grauen aus seinem Körper herausgepresst hatte, das sich in seiner Brust eingenistet hatte und durch die Adern in alle Enden seiner Glieder strömte. Schlaff, zerschlagen, mit hängendem Kopf kehrte er zurück in seine einsame Behausung. Er warf sich aufs Bett und presste die Fäuste gegen die Augäpfel. In seinen Pupillen standen Flammen. Mit einem Ruck nahm er die Hände weg. Oben hinterm Haus brannte das Reisig. Ein roter Feuerschein strich über ihn weg. Johann Ott wusste: Ein Teufel hatte seine Finger dazwischen.
Nichts bleibt versteckt, alles wird entdeckt, denn davon wusste schon jemand anderer. Der stand vor dem Haus, schwarz das Gewand bis zur Ferse, schwarz das Gesicht, das Haar, das Buch in seinen Händen. Er lächelte freundlich und schaute in die roten Augen und die verzerrten Gesichtszüge vor sich, auf die entstellte und zerfließende Gestalt Johann Otts, des nächtlichen Wanderers.
– Mit Euch stimmt etwas nicht, sagte er, mit Euch stimmt etwas ganz und gar nicht. Eure unbekannten Wege zu später Stunde, Euer Gesicht gestern vor der Kirche, das Feuer hinter Eurem Haus. Das sind Zeichen. Wissen müsst Ihr und vertrauen. Uns interessiert nicht, wo und was, wir fragen nichts, aber hier sind wir wachsam, hier und jetzt, deshalb interessiert uns jedes Warum. Wir sind informiert, wir sind auf der Wacht und wissen, dass all das gefährliche Zeichen sind. Jedes Umherirren ist ein Zeichen, jede Unruhe, die den Menschen verfolgt. Deshalb ist es an Euch, dass Ihr Euch unserer Hilfe erschließt, dass Ihr die Verwirrung in Euch zu Ordnung und Reinheit bringt, dass Ihr mit unserer gemeinsamen Hilfe, mit Hilfe des Heiligen Geistes, austreibt, was unrein ist. Ihr seid auf der Flucht, sagte er, Ihr seid unablässig auf der Flucht. Vor wem, das sagt uns, vor wem. Es geht nicht darum, dass ehrbare Menschen unter sich die Zeichen und Hinweise vergleichen, dass Ihr aus dem Oberland geflohen seid und aus Krain, dass dort Eure Familie weint und jammert, dass Euer Blut nach dem Vater schreit. Es geht darum, dass Ihr auf der Flucht seid und dass hinter Eurem Haus Flammen züngeln und Feuerschein lodert. Ihr werdet zu einer Beute. Ich möchte Euch warnen: In unserem Land gibt es gefährliche nächtliche Zusammenkünfte. Es gibt Anzeichen, dass auch Ihr bald dazugehören werdet. Ich warne Euch: Auf dem Haus liegt ein Fluch, in Euren Büchern sind unklare Zeichen. Ihr befindet Euch auf Irrwegen, sagte er, Ihr lebt in Irrtümern und Widersprüchen. Bei uns gibt es Zusammenkünfte und Feuer. Überall gibt es Flammen und Feuerschein. Ich sage es Euch ganz deutlich: Wenn es irgendwo ein Land gibt, in dem der Fürst der Finsternis herrscht, der seine Macht ausbreitet über Alchimisten, Magier und Propheten, dann ist es das unsere.
Johann Ott durchbohrte die schwarze Gestalt mit seinen blutunterlaufenen Augen.
– Gibt es einen Verdacht? sagte er, gibt es irgendeinen Verdacht? Gibt es einen leichten Verdacht, gibt es einen schweren Verdacht, gibt es einen unumstößlichen Verdacht?
– Nein, sagte das Lächeln, überhaupt nicht. Ihr seid gut unterrichtet. Das sind schon die einzelnen Stufen unserer Gesetzgebung. So weit ist es noch nicht. Aber es ist eine Warnung.
Immer mehr Hinweise hatten die ehrbaren Leute, immer mehr Hinweise, obwohl nicht klar war, woher, und auch niemand wusste, wo die Tatsachen überprüft und bestätigt wurden. Er hatte den Abgesandten richtig verstanden: Mit ihm stimmte etwas nicht. Anstatt friedlich zu leben und das Vertrauen der hiesigen Bevölkerung zu genießen, schlug er sich die Nächte um die Ohren und knüpfte irgendwelche Verbindungen zu Leuten zweifelhaften Rufes. Er selbst war schuld, er selbst braute sich sein Schicksal zusammen. Was hatte er auch in die Judenhäuser zu gehen und mit den Ärzten immer wieder über Krankheiten und über einschlägige Arzneien und Beschwörungen zu diskutieren? Welche verdammte Neugier hatte ihn getrieben, Richter Gregorij Pregl nach den Verhören der Stifter und anderer Teufelsaufrührer zu fragen? Was musste er dem hochgelehrten und allseits geschätzten Arzt Ivan Gemma eine ganze Nacht lang beim Wein zu erklären und einzureden versuchen, die geheimnisvolle Aufschrift
S | A | T | A | N |
A | D | A | M | A |
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A | M | A | D | A |
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sei voll tiefer Bedeutungen und ein zuverlässiger Schutz vor dieser oder jener Krankheit? Warum hatte er ihm erzählt, dass sich vor großen Unglücks- und Trauerfällen eine wahnsinnige Verzweiflung der Bevölkerung bemächtige, dass alle göttlichen und menschlichen Gesetze aufgehoben seien, dass das Band zwischen den Eheleuten, zwischen Eltern und Kindern, zwischen den Geschwistern zerreiße? Dass der Mensch angesichts des Pesttodes zum wilden Tier werde? Dass er auf einer seiner Reisen in einer derartigen Situation eine Spelunke voller Menschen gesehen habe, die sich trotz strengster behördlicher Verfügungen zügellos dem Trunk hingegeben und kreuz und quer miteinander verkehrt hätten, und dass aus den Spelunken unartikuliertes Schreien und Krakeelen zu vernehmen gewesen sei? Dass Alt und Jung wie närrisch getanzt und dabei bitteren Hohn und schreckliche Blasphemien ausgestoßen hätte? Dass sich die Menschen in aller Öffentlichkeit schamlos den widerlichsten Verirrungen hingegeben hätten? Und was hatte er schließlich den Burgschreiber zu fragen gehabt, ob die Wiedertäufer miteinander wirklich wie Brüder und Schwestern verkehrten?
Das andauernde Flüstern lief bald von Stube zu Stube, und die Tatsachen zeigten ein immer klareres Bild des schweigenden Zugewanderten, immer mehr wusste man von seinem Leben und Treiben, Denken und Träumen, seinen Bindungen und Feindschaften. Gar nicht viel Zeit war vergangen, da brachten die bewährten Nachrichtenkanäle schon eine Reihe zuverlässiger Informationen in Umlauf.