Mario Covi
VON KANADA NACH PANAMA - Teil 2
30.000 km im VW-Bulli durch Kanada, USA, Mexiko und Mittelamerika
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Inhaltsverzeichnis
Titel
1. RÜCKBLENDE
2. PIE DE LA CUESTA
3. MOCTEZUMAS RACHE
4. PALENQUE
5. WEIHNACHTEN
6. KARIBISCHES ENDE DER WELT
7. KRACH, MARIHUANA, CHECHÉM UND CHA-KÁ
8. CHICHEN ITZA UND UXMAL
9. NACH OAXACA
10. PLÄNESCHMIEDEN, TRAVENFIEBER UND MEZCALRAUSCH
11. SAN CRISTOBAL DE LAS CASAS
12. EL TAPON
13. POLITISCHE NACHHILFE AM LAGO DE ATITLAN
14. COPALRAUCH IN CHICHICASTENANGO
15. VULKANE
16. IZTAPÁ
17. EL SALVADOR
18. DURCH HONDURAS NACH NICARAGUA
19. GEOPOLITIK UND MACHOKRAM
20. EIN FLECKEN DEMOKRATIE
21. IRAZÚ UND CERRO DE LA MUERTE
22. PANAMA
23. DIE LETZTE ETAPPE
24. AUSKLANG
Impressum neobooks
Dieser zweite Teil unserer langen Reise von Kanada nach Panama verlangt einen kurzen Rückblick. Ist man als Berichterstatter dem interessierten Leser schuldig, nicht wahr? Also blenden wir zurück:
In einem zum schlichten Camper umgebauten VW-Bulli waren meine Frau und ich Anfang Juli 1967 von Toronto/Kanada zu einer ungewöhnlichen, insgesamt elf Monate langen Hochzeitsreise gestartet. Zuvor hatten wir unsere Passage als sogenannte Überarbeiter auf einem Frachter von Deutschland nach Kanada verdient, Neun Monate später sollten wir dann in Mittelamerika abermals einen nostalgischen Dampfer besteigen, auf dem wir bis zu unserer Rückkehr nach Deutschland im Mai 1968 arbeiten würden
Begeistert von der Weite Nordamerikas und den großzügigen, damals sehr oft kostenfreien Campingplätzen, umrundeten wir die Großen Seen, erreichten die USA, querten Minnesota, North-Dakota und Wyoming, um dann im Norden Montanas wieder kanadischen Boden zu erreichen. Die Rocky Mountains in Alberta hielten uns in Atem, und in B.C. die faszinierende Stadt Vancouver. Wir erreichten Vancouver-Island und ihre zu jener Zeit noch unentdeckten touristischen Kleinode am Pacific Rim, Tofino und Ucluelet, Anfang September.
An der Westküste der USA folgten wir der 'Traumstraße der Welt', bogen in Kalifornien ins Landesinnere ab, um im Yosemite Nationalpark die Sierra Nevada Richtung Death Valley und Grand Canyon zu überqueren.
Es war bereits Oktober als wir in Colorado Uschi und Herbert trafen, ein Pärchen, ebenfalls auf Hochzeitsreise, mit dem wir verabredet hatten, die nächsten vier Monate aus Sicherheitsgründen gemeinsam durch Mexiko und Mittelamerika zu reisen.
Anfang November erreichten wir schließlich Mexiko. In Nuevo Laredo, der typischen Border-Town zwischen Texas und Mexiko, überquerten wir den Rio Grande. Jetzt wurde es ernst mit dem wilden Campen, denn offizielle Campingplätze gab es seinerzeit so gut wie keine 'south of the border'...
Mexiko war aufregend, abenteuerlich, voller neuer Eindrücke. Eine ganze Woche lang schauten wir uns die Sehenswürdigkeiten von Mexico-City an, danach die weiten Tempelbezirke der Azteken in Tula und Teotihuacán. Auf dem weiteren Weg nach Süden verloren wir Uschi und Herbert und waren wieder auf uns alleine angewiesen.
In punkto Sicherheit war das gar nicht so gut. Und prompt wurde Hildrun beinahe überfallen, während ich einem natürlichen Drängen folgend in einem von unserem Lagerplatz entfernteren Dickicht verschwunden war. Zum Glück hatte ich ihr noch unseren Revolver auf den Frühstückstisch gelegt.
Als ich frohgemut zurückkehrte fragte mich Hildrun: "Hast du irgendetwas mitbekommen?"
"Wie, mitbekommen?", fragte ich blöde.
"Ich bin fast überfallen worden", sagte meine Frau mit einem leicht vorwurfsvollen Unterton. "Da kam plötzlich ein Personenwagen mit vier Männern angefahren. Der Wagen wendete, drei Männer stiegen aus, und der vierte blieb bei laufendem Motor sitzen..."
"Was?", fragte ich ungläubig, denn ich hatte dort hinten im Wäldchen akustisch absolut nichts wahrgenommen.
"Die drei Mexikaner kamen zum Bulli, gingen rundherum und schauten durch die Fenster herein. Was meinst du, wie ich mich gefühlt habe... Einer rief dann dauernd 'todo claro?', tat so als wolle er unbedingt wissen, ob alles okay sei. Ich hatte meine Hand auf dem Revolver und sagte nur: 'Si, todo claro!'"
Wow! Der Anblick einer allem Anschein nach allein durchs wilde Mexiko reisenden blonden jungen Frau, die da mit großen grau-grünen Augen aus dem Bulli starrte und drohend ihre Hand auf einem Revolver ruhen hatte, musste die finsteren Burschen bestimmt aus dem Konzept gebracht haben. Das sah ungewöhnlich, möglicherweise sogar gefährlich aus. Davon sollte man lieber die Finger lassen!
Bei der Weiterfahrt stellten wir fest, dass man von einer der oberen Straßenkehren doch nach unten in die Kiesgrube schauen konnte. Vermutlich hatten die Männer gedacht, da stünde ein unbewachtes Auto, das man leicht knacken könnte. Ich glaube nicht, dass sie aus edler Hilfsbereitschaft nachschauten. Möglicherweise waren sie sogar zu einem gewaltsamen Überfall bereit, der durch den exotischen Anblick einer wehrhaften blonden 'Gringa' zum Glück abgewendet werden konnte. So liebenswert die Mexikaner sein konnten, so schön das Land auch war, wir mussten kritisch bleiben und durften vor der potentiellen Bedrohung durch Kriminelle nicht die Augen verschließen. Leider hat sich die Situation für Individualreisende in Mexiko und Mittelamerika in all den Jahren extrem verschlechtert...
Wir erreichten Acapulco. Wir steuerten die Hafenpromenade an und fühlten uns vom Anblick der vielen Wolkenkratzer nicht animiert, diesen Brennpunkt des Tourismus attraktiv zu finden. Nein, das war nicht unsere Welt. So machten wir uns gleich weiter auf den Weg nach Pie de la Cuesta, einem kleinen Fischerort nördlich von Acapulco. Dorthin, einem Geheimtipp unter Weltenbummlern folgend, hatten wir ja ursprünglich gewollt.
Unsere Reiseroute (8.400 km) durch Mexiko
Nein, Acapulco mit seinen Wolkenkratzern und seinen mondänen Hotels war nicht nach unserem Geschmack. So vertrauten wir dem Geheimtipp und steuerten den Strandabschnitt nördlich von Acapulco an. Tatsächlich gelangten wir in eine andere Welt und fanden auch bald das idyllische Dörfchen Pie de la Cuesta, abseits vom Trubel, zwischen Pazifikbrandung und der weiten, von Kokospalmen umsäumten Laguna de Coyuca.
Und als wir an den Palmenhainen, üppigen Blütenhecken und palmblattgedeckten Hütten vorbeifuhren, sahen wir den markanten Hochraum-Bulli mit Kölner Kennzeichen. Da standen sie, Herbert und Uschi, in alter Frische.
Wir hatten uns wieder gefunden!
Man konnte sich am Strand Sonnenunterstände mieten. Von einer freundlichen mexikanischen Familie mieteten wir einen langgestreckten, mit rustikalem Picknickmobiliar ausgestatteten Sonnenunterstand gleich für eine Woche. Für umgerechnet 70 Pfennige pro Auto und Tag. Üblicherweise suchten hier Badegäste Schatten, doch als Dauerkunden waren wir mindestens so willkommen. Wir durften auch die nahe Toilette benutzen und waren somit rundherum versorgt. Süßwasser zogen wir aus der Zisterne, und die nahe Süßwasser-Lagune bot Waschwasser für ein Vollbad im Überfluss. Schwimmen im Pazifik war bei der gefährlichen Brandung und wegen der Haie nicht so entspannend.
Die Mundpropaganda der Rucksackreisenden und Weltenbummler war tatsächlich noch gültig gewesen. Oft ist ja das geheime Weitersagen von Hinweisen auf ein letztes Stück Paradies das Ende so eines 'Geheimtipps'. Doch wir hatten noch Glück, und hatten ein Idyll gefunden!
Mittlerweile hat dort Sylvester Stallone 'Rambo' gedreht. Und in den Siebziger-Jahren hatten korrupte Polizeikräfte im geheimen Auftrag der Regierung bei Pie de la Cuesta mindestens 143 angebliche Guerilleros der 'Partei der Armen' brutal ermordet und die Leichen vom Flugzeug aus weit draußen im Pazifik 'entsorgt'.
Erfreulicher ist da das Geständnis des leider 2014 verstorbenen Literaturnobelpreisträgers Gabriel Garcia Marquez, dass ihm hier 1960, während einer Fahrt von Acapulco nach Pie de la Cuesta, die Idee zu seinem berühmten Roman 'Hundert Jahre Einsamkeit' gekommen war.
Wir lernten Harald und Valerie kennen. Valerie war Engländerin, Harald Deutscher. Beide lebten in Kanada und machten auf die ganz rustikale Art eine mehrmonatige Reise im VW-Käfer. In der blechernen Knutschkugel zu schlafen war schon eine asketische, wenn nicht gar sportliche Leistung. Schnell fanden wir Gefallen aneinander und beschlossen, die Zeit hier am Fuße des Hügels - Pie de la Cuesta - zwischen Pazifikbrandung und Kokospalmenrauschen gemeinsam zu verbringen. Harald war Hotelkoch und mit diesem Beruf schon weitgereist. Wir staunten nicht schlecht, wie er geschickt in einer riesigen Eisenpfanne auf einem kleinen einflammigen Coleman-Stove das Frühstück zubereitete. Auf der einen Seite brutzelten Spiegeleier, in einer anderen Ecke garten Kartoffelscheiben, daneben einige Zwiebelringe und Tomatenstücke. Die Kochhitze wurde durch spielerisch wirkendes Hin und Her der Pfanne geregelt. Man merkte, Harald wusste, was er tat.
Es waren herrliche Strandtage. Endlich, nach den Wochen im kühlen Hochland Mexikos, konnten wir uns volltanken mit Sonnenschein und Tropenklima. Meine Gitarre kam immer wieder zum Einsatz. Songs von Bob Dylan und Trini Lopez waren angesagt. Während meiner Seefahrtzeit hatte ich in Süd- und Mittelamerika einige spanische Lieder gelernt, vor allem die sehnsuchtsvollen Schmachtfetzen des 'Trio Los Panchos'. Hildrun und ich versuchten uns auch an typischen mexikanischen Klassikern wie 'La Llorona' und, natürlich, 'La Bamba', was unsere mexikanischen Nachbarn stets mit Sympathiebekundungen belohnten. Wir feierten vergnügt in die warmen Tropennächte hinein, ließen uns von der Farbenpracht pazifischer Sonnenuntergänge berauschen, und wenn wir besonders neckisch drauf waren, rannten wir zur nahen Lagune und badeten nackt.
Zu unserer sparsamen Ausrüstung gehörte auch ein kleines aufblasbares Plastikboot, eher ein Spielzeug. Harald fand es aber groß genug, um damit auf der Lagune fischen zu gehen. Draußen auf dem See wurstelten wir mit dem Angelzeug herum, was mich sehr an meine Kindheit am Bodensee erinnerte, wo wir mit primitivster Ausrüstung Fische angelten. Auch hier funktionierte es schließlich und wir holten einen kleineren 'Catfish', eine Art Wels aus dem Wasser.
"Klappt ja prima!", jubelte ich, während Harald in Gedanken bestimmt schon an einem leckeren Fischgericht bastelte.
Als Kind hatte ich gelernt, Fische gleich zu töten und nicht endlos zappeln zu lassen. Harald war der gleichen Ansicht. Also legte ich den Burschen auf den Bootsrand und schlug ihm kräftig in den Nacken. Leider war das nicht klug, denn Welse sind ziemlich stachelig am Ende ihrer Flossen, und so ein spitzes Teil bohrte sich nun in das aufblasbare Gefährt. Tja, wir hatten einen Platten - und das Ufer war mindestens einen Kilometer entfernt.
Harald paddelte. Ich hielt das Loch zu. Trotzdem entwich immer mehr Luft aus einer der drei Luftkammern und machte unsere kleine Titanic immer schlapper. Wir mussten der Tatsache ins Auge sehen: Schiffsuntergang! Doch wir nahmen diese kleine Katastrophe mit Humor. Schließlich konnten wir schwimmen, und von Krokodilen in der Lagune wussten wir nichts. Wir schwammen gelassen heimwärts, schoben das Plastikwrack vor uns her und sahen zu, dass unser Fang nicht über die Kante ging. Und Harald wusste, wie man auch aus nur einem einzelnen 'Catfish' eine leckere Suppe zaubert.
Am Ufer der malerischen Lagune hatten sich ein paar Kanadier ein Stück Land gepachtet und aus Camp-Trailern und einem Überdach aus Palmblättern eine urige Sommerresidenz gebaut. Eigentlich war es ein Winterfluchtort. Sie erzählten uns, dass sie bereits mehrere Jahre während der Winterzeit, wenn in Kanada sowieso viele Jobs gekündigt werden, hier im tropischen Mexiko das einfache Leben genießen. Sie waren die ersten 'Snowbirds', die wir kennenlernten. So werden nämlich eine Vielzahl von Kanadiern genannt, die sich einen zweiten Winterwohnsitz im Süden - vorzugsweise Florida - leisten, und von November bis April, wie die Snowbirds und andere Zugvögel, dem kalten Norden Richtung Süden entfliehen.
Mittlerweile hatte sich die mexikanische Nachbarschaft an unser Hippie-Lager gewöhnt und kam regelmäßig zu einem Plausch vorbei. Einmal, als ich Wasser aus der Zisterne holte, rettete mich die Tochter unserer Vermieterin vor einer schmerzhaften Erfahrung. Fröhlich zog ich das Seil, an dem der Wassereimer hing, Hand über Hand aus dem Wasserloch. Wir plauderten gerade über irgendetwas als sie plötzlich aufschrie: " Cuidado! Alacrán!- Vorsicht, ein Skorpion!"
Mit der nächsten Hand hätte ich voll in das stachelbewehrte Spinnentier gegriffen, das stoisch auf dem Seil hockte. Mann, ich hatte wirklich Glück gehabt und dankte dem aufmerksamen Mädchen, das sich in unserer Gesellschaft sichtlich wohl fühlte.
Sie rettete mich vor dem Alacran
Die Bevölkerung an der Küste lebte vom, noch, spärlichen Badetourismus und vom Fischfang. Den Badegästen konnte man schattenspendende Unterstände mit Picknicktischen und Strandstühlen vermieten. So ein praktisches Teil also wie wir es gemietet hatten. Oder man wanderte am endlosen Strand entlang und versuchte ein paar Pesos durch den Verkauf von Bananen, Obst oder Tamales zu verdienen. Wir hatten uns mit einer Strandverkäuferin angefreundet, die regelmäßig vorbeikam und uns mit Obst versorgte.
So lernten wir, dass Papayas erst durch etwas Limettensaft richtig schmackhaft werden. Und wir versuchten zum ersten Mal Mameyes, etwa so groß wie Mangos, mit einem ebenso großen Kern, aber braunem Fruchtfleisch, das ein wenig an Schokoladenpudding erinnert. Wir versuchten auch ihre Tamales, ein in Maisblättern gegartes mexikanisches Fingergericht in allerlei Variationen. Sie schmeckten wirklich gut und wir verdauten sie ohne von Moctezumas Rache, dem landesüblichen Durchfall für Touristen, heimgesucht zu werden.
Apropos Moctezumas Rache: Wir vermieden es nach Möglichkeit irgendetwas Nicht-selbst-Gekochtes zu essen. Salat, Tomaten, Gemüse oder Obst wuschen wir mit Wasser, in dem wir ein paar Kristalle Kaliumpermanganat gelöst hatten. Diese violette Lösung ist ein vielseitiges Desinfektionsmittel, mit dem man gegen Erkältungen gurgeln, Fußpilz bekämpfen oder eben Bakterien abtöten kann. Vor allem beim Wasser waren wir sehr vorsichtig, denn in Mexiko wurde Trinkwasser auch von der einheimischen Bevölkerung nur in großen Wassergaraffen gekauft. Wir füllten zwar unsere Wasserkanister meistens beim Tanken an der Tankstelle auf, entkeimten es aber stets mit 'Micropur', das wir von Deutschland mitgenommen hatten. So hatten wir immer gutes Trinkwasser. Wir hatten uns auch schon mal am Tor einer Getränkefabrik von den dortigen Arbeitern die Kanister mit 'Agua Purificada' auffüllen lassen.
Eine weitere Einkommensquelle der örtlichen Bevölkerung war die Ernte der vielen Kokosnüsse, die auf den Palmen entlang der Küste, und an den vielen Lagunen, dicht an dicht in regelrechten Wäldern wuchsen. Große Strandflächen wurden zum Trocknen der Nüsse genutzt, die schließlich mit Äxten oder Macheten gespalten wurden, um danach das weiße fetthaltige Kernfleisch herauszuschälen. Das getrocknete Kernfleisch wurde als Kopra verkauft, aus der man letzten Endes Kokosöl gewinnen konnte.
Ein paar Strandköter, grauselige Kreaturen, hatten sich dem Schutz unseres Rudels unterworfen. Jede Nacht schliefen sie unter den Bullis und sorgten für einen gewissen nächtlichen Lärmpegel, wenn sich vermutlich eine Ratte oder ein Strandkrebs zu nah an unsere Wagenburg heranwagte. Wir ließen die armen Tiere gewähren, vermieden aber eine zu große Nähe, denn sie waren von Schwären und Bisswunden und bestimmt auch Flöhen übersät und sahen alles andere als gesund und vertrauenswürdig aus. Aber sie liebten uns, denn sie bekamen regelmäßig irgendetwas zugeworfen, das ihren Hunger stillte. Als Hildrun und ich einmal am Strand entlang stromerten, folgten sie uns treu. Wir fanden ein paar große tote Fische, die sie gierig zerfetzten und auffraßen.
Zum Abschied zauberte Harald noch einen köstlichen Braten aus zwei Kilo Schweinefleisch, das wir direkt nach der Schlachtung hatten kaufen können. Es war lange her, dass wir uns an Frischfleisch gewagt hatten. Dann lud uns die mexikanische Familie, von der wir den Unterstand gemietet hatten, zu einem Stück Torte ein. Der kleine Carlo, eines von acht Kindern, hatte Erstkommunion. Und danach tanzten wir ausgelassen in der tropischen Nacht. Es war ein unvergesslicher Abend!
Eine Woche unbeschwerten Strandlebens musste reichen. Der Abschied fiel uns sehr schwer, doch wir erwarteten in Mérida Post und hatten uns Geld dorthin überweisen lassen. Wir verabredeten mit Harald und Valerie, die noch an der Pazifikküste bleiben wollten, uns zum Jahreswechsel am anderen Ende von Mexiko zu treffen. Und zwar in Puerto Morelos im Territorium Quintana Roo auf der Halbinsel Yukatan.
"Also dann, bis Silvester am Karibikstrand!", - oder so ähnlich war unser Abschiedsgruß von den beiden als wir uns mit unseren VW-Bullis wieder auf den Weg ins Hochland von Mexiko machten.
Da lag jedoch noch Acapulco mit seinen lockenden Boutiquen und Läden auf unserer Route. Und dort machten wir die Bekanntschaft einer Geschäftsfrau, die sich so sehr darüber freute, uns deutsch sprechen zu hören, dass sie uns spontan zur Übernachtung in ihre Villa einlud.
Sie war Weißrussin, hatte aber in Hamburg gelebt und war von dort rechtzeitig vor dem Zweiten Weltkrieg nach Mexiko ausgewandert, oder sogar vor dem Naziregime geflüchtet? Ihr Textilgeschäft an der Uferpromenade Acapulcos hatte sie mit ihrem mexikanischen Mann aufgebaut. Nun war sie Witwe, beziehungsweise mit einem um Jahre jüngeren Mexikaner wieder verheiratet. Wir merkten bald, dass wir da in eine ziemlich verzwackte Beziehungskiste und eine skurrile soziale Szenerie geraten waren...
Aus geschäftlichen Gründen musste sie angeblich mit einem Mexikaner verheiratet sein, wenn wir das richtig begriffen hatten. Sie hatte sich dazu einen jungen Mann erkoren, der wiederum seine sexuellen Freuden bei seiner Cousine fand, die im Haushalt arbeitete. Das blieb natürlich nicht ohne Folgen. Nun ist in Mexiko die Verbindung zwischen Cousin und Cousine angeblich verboten, was mir allerdings schleierhaft ist in einer Weltregion, wo Konkubinate, sogenannte wilde Ehen und fröhliche Querfeldein-Liebesbeziehungen zur Alltagsnormalität gehören und folglich sogar allerlei Halbgeschwister-Ehen möglich sind. Ich vermute, dass unsere Gastgeberin ein bisschen mit den Fakten des Lebens auf Kriegsfuß stand. Jedenfalls behauptete sie, dass sie den Kleinen, der in der Villa aufwuchs, als ihr Kind hat registrieren lassen. Sie war allerdings bestimmt nicht mehr im gebärfähigen Alter.
Die Villa war ein respektables Haus mit reichlich Wohnraum und einem Swimmingpool im Garten. Doch vieles war erschreckend heruntergekommen. Der Swimmingpool beispielsweise war überwuchert mit wildem Pflanzenwuchs. Uns hätte es nicht gewundert, wenn da Kaimane und Schildkröten ein edles Biotop gefunden hätten. Freizügig in Hof und Haus herumlaufende Hühner hatten ihren Lieblingsplatz in der Küche gefunden. Sie hockten auf den offenen Schubladen und machten ihr Geschäft schon mal dösig gackernd ins schwere Silberbesteck. Ja, es war eine skurrile Umgebung, in die wir da hinein schauten und leise vor uns hin rätselten...
Wir wollten die sehr warmherzige und freundliche Dame natürlich nicht brüskieren und nahmen ihre Gastfreundschaft dankbar an. Geschickt umschifften wir eventuelle Peinlichkeiten, wenn etwa Besteck aus den Küchenschubladen geholt werden musste. Es gab schließlich fließend Wasser, und wir hatten einen gewissen Abhärtungsgrad erreicht, der sich beim Umgang mit Ekelgefühlen als hilfsreich erwies.
Als wir über unsere Reise plauderten, fragte die Señora des Hauses, ob wir denn auch bewaffnet seien. Wir bejahten, und sie fragte meine Frau: "Kannst du denn auch mit dem Revolver umgehen?"
Als Hildrun herumdruckste sagte sie: "Du musst üben! Die Knarre nützt dir gar nichts, wenn du sie nicht richtig handhaben kannst. Die bösen Buben haben doch alle einen Revolver. Da musst du einfach schneller sein. Ich kann schießen, das habe ich hier in Mexiko lernen müssen. Es waren wilde Zeiten, das kann ich euch sagen..."
Sie erzählte, dass sie außerhalb Acapulcos noch einen 'Ranchito' besitze, so eine Art Landhaus für Wochenenden oder Ferien. "Die Einbrecher dort wissen genau, dass ich nicht zögere zu schießen. Ich ziele allerdings immer auf die Hacken", sagte sie lachend.
Es war lange her, dass wir eine Nacht in einem Schlafzimmer zubrachten. Das Bett war in Ordnung. Aber leider waren wir nicht gegen die Attacken der Moskitos vorbereitet und kamen zu dem Schluss, dass unser Kuschelschlafsack im Camper einfach unschlagbar gemütlicher war...
Diesmal passten wir auf, dass wir uns nicht verlieren konnten auf dem Weg durch die südliche Sierra Madre. An einem idyllischen Bergbach, hoch in der Sierra, übernachteten wir gut geschützt vom 11. auf den 12. Dezember, keine dreißig Kilometer vor Taxco, der Silberstadt.
Es war nicht weit von Taxco nach Cuernavaca. Die Hauptstadt des Bundesstaats Morelos, südlich von Mexico-City, war schon zu Zeiten von Cortés eine beliebte Sommerresidenz der Wohlhabenden. Dort herrscht auf 1.500 Metern ein stetes Frühlingswetter mit einer durchschnittlichen Temperatur von 23 Grad. Es heißt, Alexander von Humboldt habe Cuernavaca den schmückenden Namen 'Stadt des ewigen Frühlings' gegeben.
Schade war, dass wir nicht viel Zeit in die Besichtigung der malerischen Stadt investierten. Städte brachten uns zwangsläufig in Situationen, in denen wir uns verwundbar fühlten. Unsere Bullis, irgendwo unbeaufsichtigt abgestellt, hätten im Handumdrehen ausgeraubt werden können. Gepäck vom Dachgepäckträger zu klauen wäre noch leichter gewesen.
Also machten wir es kurz und schauten uns um. Und wir konnten, dank der klaren Sicht, Fotos vom fernen, aber eindrucksvoll den Hintergrund der Stadt dominierenden Vulkan Popocatépetl machen. Der liebevoll auch 'El Popo' genannte Berg ist mit 5.460 Metern Höhe der zweithöchste Vulkan Nordamerikas. Und Mexikos zweithöchster Berg. Beim Blick auf den 'Popo' vergaßen wir völlig, dass links neben dem dominanten Kegel ein zweiter Vulkan liegt, der ebenfalls einen an Schulzeiten erinnernden Zungenbrechernamen hat: der Iztaccíhuatl. Also, bitte!
Unsere Besorgnis wegen eventueller krimineller Elemente wäre heute sicherlich viel begründeter. Damals wohnten 37.000 Menschen in Cuernavaca. Heute sind es sage und schreibe 350.000. Oh! Ich merke schon, an diesen Zahlenbeispielen will ich so eine Art Opa-Philosophie festmachen, im Sinne von 'Ja, damals war alles besser'. Okay, ich werde sparsamer über unseren immer dichter bevölkerten Planeten jammern. Aber ab und zu sollte man schon darauf hinweisen, wie schnell sich alles geändert hat - und versuchen es neutral darzustellen. Ein großes Privileg des Älterwerdens ist es halt, dass man vergleichen kann, weil man Veränderungen bewusst in seinen Erfahrungsschatz als abrufbare Erinnerungen aufgenommen hat.
Ohne Probleme schafften wir es aus Cuernavaca und konnten uns ein verstecktes Übernachtungsplätzchen suchen. Auch die nächste Nacht verbrachten wir noch im Hochland von Zentralmexiko, hinter Puebla, irgendwo zwischen Huamantla und El Carmen. Die Strecke über das Hochland war geprägt von einem fast einschüchternden Blick über weite Salzlagunen mit dem Pico de Orizaba im Hintergrund. In die eisige Höhe von 5.636 Meter ragt dieser höchste Berg Mexikos. Aber wir hatten genug von der Kühle des Hochlandes. Wir waren auf dem Weg nach Vera Cruz, wir wollten endlich an die tropische Küste der Karibik, an den Golf von Mexiko.
Über die Ausläufer der Sierra Madre del Sur führte die Straße Nr.140 immer tiefer in die tropischen Gefilde des Landes. Wir näherten uns dem ältesten kolonialen Ort Mexikos, der ältesten spanischen Siedlung Nordamerikas: Veracruz, von Hernán Cortés nach seiner Landung 1519 gegründet. Weich umwehte uns die sattfeuchte karibische Luft, und es duftete nach Tropen, einem Geruch, den man nie vergisst, wenn man ihn einmal in die neugierige Nase hat steigen lassen.
Veracruz... Im siebzehnten Jahrhundert entstand hier das bekannte Lied 'La Bamba'. Wer hätte gedacht, dass dieser Song so alt ist, nicht wahr? Veracruz... Tropische Küste, Piratengeschichten, größter Hafen Mexikos, den ich erst einige Jahre später als Seemann richtig kennenlernen durfte.
Veracruz... Tropenland. Lauerten da nicht unbekannte Krankheiten? Als Seemann hatte ich den Segen des ziemlich neuen Malaria-Medikaments 'Resochin' schätzen gelernt. Obwohl das Tropenfieber in Mexiko nicht als gefährlich galt und es nur wenige Landstriche mit Ansteckungsgefahr gab, hatten wir uns die Einnahme von einer wöchentlichen Dosis als Prophylaxe zur Pflicht gemacht. Resochin galt damals fast als Wunderdroge und wirkte ohne allzu böse Nebenwirkungen. Erst Jahre später entdeckte man, dass dieses Mittel als 'Nebenwirkung' auch eine heilende Wirkung bei Rheuma hatte. Mit Resochin war man seinerzeit besser vor Malaria geschützt als heute, weil in der Zwischenzeit der Malariaerreger leider eine Resistenz gegen das Medikament entwickelt hat.
Veracruz, natürlich wieder so ein Ort, wo uns das Verlassen der Camping-Bullis zu riskant erschien. So machten wir unser Sightseeing eben vom Auto aus und stellten uns zur Übernachtung an den malerischen Palmenstrand von Mocambo. Dort konnten wir in Ruhe, das rauschende Atmen der karibischen Dünung im Ohr, ein kleines Jubiläum feiern: wir hatten den 20.000sten Kilometer unserer Reise unter die runderneuerten Reifen gebracht.
Schon seit Monaten hatten wir uns auf Anraten anderer Camper angewöhnt, abends vor dem Schlafengehen den Innenraum des Campers mit Mückenspray auszugasen. So konnten wir uns ein wenig der Plagegeister, hier im Süden vor allem gegen potentielle Malariaüberträger, erwehren. Seinerzeit ging man mit solchen Giften - da war DDT drin - noch sehr unbesorgt und unaufgeklärt um. Leider hatte unsere blecherne Schlafkiste noch keine Moskitofenster. Derartige kluge Errungenschaften waren erst im Kommen. Allerdings hatten wir uns Moskitogaze besorgt und diese in die Seitenfenster geklemmt. Bei unerträglich heißen Nächten verhängten wir einfach die geöffneten Türen mit einem großen Stück Moskitogaze.
Auf der Küstenstraße Nr.180 fuhren wir Richtung Süden nach Alvarado, überquerten dort auf einer Fähre die Lagune und brausten weiter in Richtung Coatzacoalcos. Zwischen diesem Hafen am gleichnamigen Fluss und der pazifischen Küste bei Tehuantepec befindet sich die schmalste Stelle Mexikos. Nur rund 200 Kilometer trennen hier die beiden Weltmeere Atlantik und Pazifik. Wir hatten folglich die Grenze zum geographischen Mittelamerika erreicht.
Vor Coatzacoalcos, in Minatitlan, wohnte mein Freund Georg Schiffer. Mit 'Schorschi' hatte ich vor einigen Jahren die Seefahrtschule in Lübeck besucht, wo wir uns zum Seefunker hatten ausbilden lassen. Georg, ein typischer Mecklenburger mit Wohnsitz im westfälischen Münster, war bereits als Elektriker zur See gefahren und hatte als Fernmeldetechniker auf Auslandsmontage einiges erlebt.
Sein unruhiges Abenteurerblut hatte ihn aber nicht lange bei der Handelsmarine gehalten. Er war nach Kanada ausgewandert, wo er an Bord eines kleineren Segelschulschiffs auf den Großen Seen als 'Mädchen für alles' eine Art Hausmeisterjob ausgeübt hatte. Doch Schorschi hatte die Lockungen des Südens verspürt. Also hatte er seine Habseligkeiten in seinen VW-Käfer gepackt und war in wenigen Tagen quer durch die USA bis nach Mexiko gefahren.
Wie so oft im Leben entscheiden sich Lebensläufe am Tresen einer Kneipe. Dort nämlich, in einer Pinte bei Puerto Vallarta, hatte Schorschi einen Belgier kennen gelernt, der mit seinem Team in ganz Mexiko moderne Telefonzentralen installierte. Mit dem vielbesungenen 'Trick siebzehn' war Schorschi in Mexiko geblieben und hatte fortan Telefonzentralen verdrahtet. Trick siebzehn? Das war die Plakette, die man als Tourist in Mexiko in die Windschutzscheibe klebte und die für mehrere Monate das Verweilen im Lande ermöglichte. Nach einer Arbeitserlaubnis hatte anscheinend niemand gefragt, und die große belgische Firma wusste bestimmt, wie man derartige bürokratische Klippen mit landesüblichen kleinen Bestechungen umschiffte.
Schorschi war in Mexiko geblieben, und ich freute mich sehr, meinen alten Freund in Minatitlan wiederzusehen. Es war ein Freitagnachmittag und Schorschi hatte sich frei genommen, so dass wir reichlich Zeit zum Plaudern und zum Austausch von Erinnerungen hatten. Er lud uns Vier zum Abendessen in ein beliebtes Strand-Restaurant im nahen Coatzacoalcos ein. Hier, zu Füßen der Sanddünen am langen Strand, fanden wir auch gleich einen passenden Platz zum Übernachten.
Das Essen war vorzüglich. Schorschi ließ sich nicht lumpen, und wir hauten genussvoll rein. Als Vorspeise gab es einen Krabbencocktail, und dann ein köstliches Grill-Steak mit allerlei Zutaten. Wir plauderten, schnackten und mampften und waren dem lieben Georg für seine herzliche Großzügigkeit sehr dankbar. Hatten wir doch lange genug an unseren eintönigen Pfannengerichten gekaut...
Mitten in der Nacht wachte ich mit Bauchkrämpfen auf und schaffte es gerade noch, in einem schamvollen Abstand vom Bulli eine Sandkuhle zu buddeln und mich zu erleichtern. Das ist höflich umschrieben. Ich bin einfach explodiert und war schockiert, dass ich mindestens zur Hälfte aus einer grausig stinkenden Brühe bestehen musste, die mir erst hinten und dann vorne gurgelnd entwich. Es war furchtbar, und mir wurde schnell klar, dass es sich nur um die Revanche des Aztekenkönigs, um Moctezumas Rache handeln konnte!
Kaum zurück im Bulli meldete sich Hildrun stöhnend. Ich begleitete sie zum Strand, wo sich bei Flut die See um unsere Hinterlassenschaft kümmern konnte. Ich habe es Hildrun erst viel später erzählt, dass sich da im hellen Vollmondlicht einer der Soldaten, die in regelmäßigem Abstand das bedrohte Ufer des Vaterlandes verteidigen sollten, das Schauspiel nicht entgehen ließ und gierig plierte. Erst als ich mich ihm demonstrativ zuwandte und abwinkte verdrückte sich der militante Spanner in die Dünen.
Im Laufe der Nacht war es uns schließlich vöäüäü