Claudia Donno
Kikki Krümel und das goldene Drachenei
Das Buch:
Es ist zum Haare raufen. So ein Drache ist ganz schön anstrengend, finden Kikki und Florina. Besonders, wenn man ihm auch noch heimlich das Fliegen beibringen soll. Zum Glück gibt es Jananie, eine von ihrer Klassenkameradinnen. Als sie von den Problemen der beiden Mädchen erfährt, beschließt sie, ihnen zu helfen.
Alles wäre nun etwas einfacher, gäbe es die Moorhexen nicht. Die übellaunigen Hexen tauchen immer wieder auf und versuchen den drei Mädchen das Leben schwer zu machen.
Die Autorin:
Claudia Donno wurde 1967 geboren. Bis zur Geburt ihres ersten Kindes arbeitete sie im kaufmännischen Bereich. Seit 2002 nimmt das Schreiben einen wichtigen Teil in ihrem Leben ein. Daraus sind viele Geschichten in den Bereichen Kinder, Fantasy, Horror, Krimi und Satire entstanden, die bei verschiedenen Verlagen veröffentlicht wurden.
Bisher erschienen:
Band 1: Kikki Krümel und der fliegende Hexenkessel
Band 2: Kikki Krümel und das Geheimnis der verschwundenen Waldhexe
Claudia Donno
Roman
Kikki Krümel und das goldene Drachenei
Claudia Donno
Copyright © 2015 at Bookshouse Ltd.,
Villa Niki, 8722 Pano Akourdaleia, Cyprus
Umschlaggestaltung: © at Bookshouse Ltd.
Coverfotos: www.shutterstock.com
Satz: at Bookshouse Ltd.
Druck und Bindung: CPI books
Printed in Germany
ISBNs: 978-9963-52-805-9 (Paperback)
978-9963-52-808-0 (E-Book .mobi)
978-9963-52-806-6 (E-Book .pdf)
978-9963-52-807-3 (E-Book .epub)
978-9963-52-809-7 (E-Book .prc)
www.bookshouse.de
Urheberrechtlich geschütztes Material
1. Die Hexenschule
2. Hexenbesen
3. Der Schatz
4. Zaubersprüche
5. Kochkurs für Junghexen
6. Ein langer Tag
7. Ein unerwartetes Ereignis
8. Eine brenzlige Angelegenheit
9. Die ersten Schritte
10. Kröten fangen
11. Ein neues Schulfach
12. Fauchi lernt fliegen
13. Der Diebstahl
14. Der Plan
15. Reingelegt
16. Der Unsichtbarkeitszauber
17. Aufgeflogen
18. Der goldene Drache
19. Die Ablenkung
20. Der Abschied
21. Zu spät
22. Der Aufbruch
Kapitel 1
Die Hexenschule
»Wir sind fast da«, rief die Oberhexe über ihre Schulter.
Kikki seufzte auf. Endlich! Kikki, die fünf ausgewachsenen Waldhexen und noch zwei weitere Junghexen flogen seit drei Stunden auf ihren Besen. Ihre Reise hatte sie weit in den Norden geführt. Nun erreichten sie den Wald, der die Hexenschule vor den Menschen verbarg.
Es war bereits dunkel und am Himmel glitzerten die ersten Sterne.
»Meine Beine sind schon vor einer halben Ewigkeit eingeschlafen«, jammerte Florina, die hinter Kikki auf dem Besen saß.
»Daran gewöhnst du dich noch. Schau! Das da unten ist die Schule.« Kikki zeigte auf eine stattliche Burg mit vier Türmen. »Vor vierhundert Jahren wurde sie von ihren Besitzern verlassen. Nun kann sich kein Mensch mehr an sie erinnern. Ein mächtiger Zauber liegt über ihr, der sie vor unerwünschten Besuchern verbirgt. Selbst wenn eines eurer Flugzeuge darüberfliegt, niemand kann die Schule sehen. Das liegt an den herbeigehexten Wolken, die das ganze Jahr über ihr schweben. Einzig Tiere und magische Wesen wie Hexen, Drachen und Gespenster können die alten Gemäuer von oben erkennen.«
»Ich freue mich darauf, zaubern zu lernen.« Florina klang begeistert.
»So einfach ist das nicht. Wir Hexen müssen die meisten Zaubersprüche aus Büchern lernen. Von denen gibt es Tausende.« Kikki schüttelte das Haar, dabei rutschte ihr beinahe der Zauberhut vom Kopf.
Die Oberhexe beschrieb auf ihrem Besen eine Kurve und flog abwärts. Sie landete auf dem Kiesplatz vor der Hexenschule und stieg ab.
Die alte Vallera war die Nächste. Es folgten Irmgard, Isolde, Trixi und Fauna. Kikki und Florina landeten zuletzt.
Kikki und die sieben Waldhexen gingen plaudernd den schmalen Weg entlang, der zum Torbogen führte. Die acht Hexenbesen, an denen die Koffer mit den Kleidern festgezurrt waren, flogen ihnen nach.
Mehrere eiserne Kessel standen auf dem Boden. Mächtige Feuer brannten darin und spendeten Licht. Mühelos gelangten sie in den Innenhof der Hexenschule.
»Hexentrog und Fliegenpilz! Dieses Mal seid ihr aber pünktlich«, rief die Oberhexe. Mit ihrem viel zu engen schwarzen Rock watschelte sie auf eine Gruppe Dunkelhexen zu. Sie schüttelte der größten von ihnen die Hand. »Flavia, schön, dich zu sehen.«
»Danke.« Flavia zwinkerte mehrmals mit ihren gelben Augen. »Wir sind schon in der Morgendämmerung losgeflogen. Wir können ja nicht immer die Letzten sein, die hier eintreffen.«
Dunkelhexen waren geheimnisvoll. Viele Gerüchte rankten sich um die schlanken Hexen mit den schwarzen Haaren, die im Finsterwald wohnten. Noch nie hatten sie dort Besuch empfangen, noch nie erzählt, wie es bei ihnen aussah.
Jananie, die jüngste von ihnen, eilte auf Kikki und Florina zu. Sie hatte rabenschwarze lange Haare, dunkle Haut und grüne Augen, was bei den Dunkelhexen nur sehr selten vorkam. »Fledermausflügel und Kräuterstiel. Endlich bist du da. Ich dachte schon, du lässt dich nicht blicken.«
»Niemals würde ich eine Hexenschwester vergessen.« Kikki umarmte Jananie. Sie verstand sich recht gut mit ihr, auch wenn sie sich nur alle sechs Monate für einige Wochen sahen. »Das ist Jananie«, sagte Kikki zu Florina. »Und dies ist meine Freundin Florina. Sie ist erst seit Kurzem eine Junghexe.« Sie schob Florina zwischen sich und Jananie.
»Es freut mich, dich kennenzulernen.« Jananie schüttelte Florinas Hand.
»Was für einen schönen Namen du hast. Den habe ich noch nie gehört.«
»Jananie bedeutet Licht«, erklärte die Dunkelhexe flüsternd. »Sagt das bloß nicht weiter. Die Moorhexen würden mich ständig damit aufziehen. Meine Vorfahrinnen kommen aus einem fernen Land. Aber keine Angst, wir fressen dich schon nicht.« Jananie kicherte. »Auch wenn das manchmal von uns behauptet wird. Komm, ich stelle dich den anderen vor.« Jananie packte Florina am Arm und wollte sie mit sich ziehen.
»Das ist meine Aufgabe«, mischte sich die Oberhexe ein. Obwohl sie den drei Mädchen den Rücken zugewandt und angeregt mit Flavia geplaudert hatte, hatte sie alles mitgehört.
»Hat sie denn überall Ohren? Manchmal ist sie echt unheimlich.« Jananie verdrehte ihre grünen Augen.
Kikki nickte und hoffte, dass die Oberhexe nicht noch Augen am Hinterkopf besaß.
»Hoffentlich gibt es bald etwas zu futtern«, sagte die Oberhexe nun wieder an Flavia gewandt. Aus ihrem Magen war ein lautes Knurren zu hören. »Ich habe das Gefühl, mir fällt gleich das Fleisch von den Knochen.«
»Also dann. Bis später.« Jananie winkte ihnen und ging zu den Dunkelhexen zurück.
»Besen, sei so lieb und bringe unsere Koffer nach oben.« Kikki tätschelte seinen Besenstiel.
Besen nickte und flog mit seinem Gepäck auf die zweiflüglige Holztür zu, die in das Hauptgebäude führte.
»Komm. Ich zeig dir unser Zimmer«, sagte Kikki. Gemeinsam durchquerten sie den Hof. Immer wieder blieb Florina kurz stehen und blickte die Mauern entlang hoch zu den Fenstern.
Vier Berghexen mit hellgrauen Haaren und ebenso grauen Röcken gingen vor Kikki und Florina die dreizehn Steinstufen hinauf, die in das Gebäude führten. Sie hielten kurz inne, um einige mit Koffern beladene Besen vorbeifliegen zu lassen.
»Die Besen sind ja alle unterschiedlich«, bemerkte Florina.
»Natürlich. Jede Hexe sucht sich das Holz selbst aus. Die Besen der Waldhexen bestehen in der Regel aus Buchenholz. Es ist gutmütig, jedoch etwas schwatzhaft. Aber das weißt du ja schon.«
»Wie spannend.« Florina blickte den Besen hinterher, die auf die hölzerne Treppe im hinteren Teil der Eingangshalle zuflogen.
Mehrere Hexen standen beisammen und plauderten. Es wurde gelacht und manchmal auch getuschelt. Zwischendurch blitzte ein Lichtstrahl auf, wenn sich eine von ihnen ein leckeres Getränk herbeihexte. Überall wimmelte es von Katzen, die um die Beine ihrer Besitzerinnen huschten.
Kikki und Florina machten einen Bogen um die schwatzenden Frauen und kamen an einem großen Kamin vorbei, der an der hinteren Wand der Eingangshalle den Raum beherrschte. Er war so breit, dass mühelos mehrere ausgewachsene Hexen nebeneinander darin aufrecht stehen konnten. Seine Ränder waren vom Ruß geschwärzt, was die fliegenden Hexen und Raben, die in seinen Stein gemeißelt waren, noch eindrucksvoller machte. Ein prächtiges Feuer prasselte in seinem Inneren und verbreitete Wärme und Licht. Links und rechts vom Kamin standen zwei dunkle Sofas und luden zum Verweilen ein.
»Ich finde es hier ein bisschen unheimlich.« Florina blickte auf die antiken Möbel und Teppiche. Zwei Ritterrüstungen standen neben einer schmalen Holztür, auf der das Wort Toilette stand. Spinnweben und Staubfäden klebten an jeder Zimmerecke. Die einen bewohnt, die anderen verlassen.
Mehrere Bilder von Hexen auf ihren fliegenden Besen hingen an den Wänden. Die einen wirkten nett, während die anderen zum Fürchten aussahen. Um diese machte Florina einen großen Bogen.
Kikki führte sie die Treppe hinauf, wo kurz davor die Besen verschwunden waren. Die dunklen Stufen knarrten bei jedem ihrer Schritte.
An jeder Zimmertür hing eine Tafel mit mehreren Namen. Sobald sie daran vorbeikamen, leuchteten diese auf.
»Nirgendwo steht Kikki«, bemerkte Florina, als sie bei der letzten Tür angekommen waren.
»Natürlich nicht.« Kikki zog Florina weiter, bis sie zu einer geheimen Treppe gelangten, die hinter einem schweren roten Vorhang verborgen lag. Diese führte in einer Spirale nach oben zu einer niedrigen Tür.
Kikkis Besen lag davor und keuchte.
»Ach, du Armer.« Kikki befreite ihn von seinem Gepäck. Sie nahm ihren Koffer in die Hand und überreichte den anderen Florina. Kikki zog einen großen, rostigen Schlüssel aus ihrer Rocktasche und schloss die Tür auf.
Das Turmzimmer war kreisrund und hatte ein spitzes Dach. Zwei Betten aus Holz standen sich gegenüber. Auf den Kissen- und Deckenbezügen sah man Hexenkessel, fliegende Besen, Eulen und andere Tiere. Zwischen den beiden Betten vor dem Fenster befand sich ein windschiefes Schreibpult. In seine Oberfläche waren mehrere Zaubersprüche eingeritzt. Kikki tippte auf das Pult. »Das ist mein Lieblingsspruch.«
Katzenjammer und Sumpfgetier. Nun sitzt du schon wieder hier. Machst Aufgaben, statt zu fliegen, komm lass deine Arbeit liegen. Geh nach draußen und genieß den Hexenflug, denn lernen kannst du später noch genug. Deine Aufgaben schreiben sich von ganz allein, brauchst bloß zu sagen diesen Reim!
»Drei Mal Hex und drei Mal Maden,
schreibt euch von selbst, ihr blöden Hausaufgaben!«
»So einen Spruch könnte ich in der Menschenschule auch gut gebrauchen.« Florina strich mit ihren Fingerspitzen über den Zauberspruch. »Das wäre toll.«
Sie verstauten ihre Kleider in dem zweitürigen Schrank neben der Tür. Danach öffnete Kikki das kreisrunde Fenster. Ein warmer Wind wehte herein und wirbelte Staub auf. »Von hier kann man alles sehen. Das ist gut. Besonders, wenn man einmal unbeobachtet die Schule verlassen will. Du weißt ja gar nicht, wie oft ich schon auf meinem Besen ausgeflogen bin.«
»Weshalb? Was hattest du vor?«
»Dies und das.« Kikki langte in ihre Umhängetasche und zog ihren schlafenden Kater Lakritz daraus hervor. Vorsichtig legte sie ihn auf ihr Bett.
»Ich wusste gar nicht, dass du ihn mitgenommen hast. Hat er die ganze Zeit geschlafen?«
»Natürlich. Jetzt muss ich ihn bloß noch aufwecken.« Kikki nahm ihren Zauberstab in die Hand und sprach:
»Katze, die auf den Namen Lakritz hört,
hast genug geschlafen, wie es sich gehört.
Öffne deine Augen nun,
es ist keine Zeit mehr, um auszuruhn.«
Lakritz streckte sich und gähnte genüsslich. Er begrüßte Kikki und Florina mit einem heiseren Miau.
»Kleiner Freund. Komm, ich stelle dich den anderen Katzen vor.« Kikki trug Lakritz die Treppen hinunter. Florina folgte ihr.
Im Erdgeschoss angekommen, bogen sie gleich rechts neben der Eingangshalle in die große Küche ein. Köstliche Gerüche begrüßten sie, begleitet von den Gesprächen der anderen Hexen, die bereits an runden Tischen saßen und auf ihr Essen warteten.
Die Oberhexe winkte sie an den Tisch der Waldhexen. Sie stand auf. »Ruhe, ihr Hexen und hört mir zu!«
Augenblicklich herrschte Stille in der Küche. Selbst die Frauen, die gerade die vollen Suppenteller verteilten, hielten mitten in ihren Bewegungen inne.
»Das ist Florina Wilke, die jüngste von uns Waldhexen. Obwohl sie ein Mensch ist, haben wir sie bei uns aufgenommen. Sie hat den Hexeneid abgelegt und ist nun ein vollwertiges Mitglied. Ich verlange von euch, dass ihr Florina wie eine von uns behandelt. Wir haben ihr einiges zu verdanken.«
Die Hexen an den Tischen klatschten Beifall. Außer die Moorhexen. Sie drehten den Waldhexen ihre Rücken zu und taten so, als hätten sie nichts gehört.
»Reg dich nicht darüber auf«, meinte Trixi, die Waldhexe mit den langen schwarzen Haaren, als sie Florinas betrübten Gesichtsausdruck bemerkte. »Die sind noch nie anders gewesen.«
Das Essen wurde aufgetischt und die Hexen aßen begierig, was auf ihre Teller kam.
Es gab Fliegenpilzsuppe, gebratene Kartoffeln, eingelegte Tomaten, Mooskuchen, Kürbisgrütze, Schokoladentorte, Vanilleeis und springende Gummibärchen.
Auch Lakritz bekam seinen Teil davon ab. Bis Mitternacht futterten und redeten sie, bis es schließlich Zeit für die Hexen war, in ihre Betten zu schlüpfen.
Kapitel 2
Hexenbesen
»Zum heulenden Kuckuck. Wo steckt sie bloß?« Fauna, die Hexe, die mit den braunen Haaren und dem schmalen Gesicht einer Spitzmaus glich, warf einen ungeduldigen Blick auf ihre Armbanduhr.
Kikki stand mit Fauna und Florina auf einer saftigen Wiese vor der Hexenschule. Die Frühlingssonne schien ihnen auf die Rücken, begleitet von einem angenehm warmen Wind. Die Vögel im angrenzenden Wald zwitscherten um die Wette.
»Auf wen warten wir?«, fragte Kikki.
»Auf die Oberhexe. Sie braucht auch einen neuen Besen, da ihr alter zerbrochen ist. Der Besen, auf dem sie hier hergeflogen ist, gehört meiner Großmutter. Ein wertvolles Stück.«
Als hätte sie Fauna gehört, kam in diesem Moment die Oberhexe auf sie zugeeilt. Sie hielt ihren Hexenhut in der einen Hand und eine große Tasche aus Leder in der anderen.
»Bin schon da«, sagte sie außer Atem, als sie bei ihnen ankam. »Los, auf was wartet ihr noch? Hopp, hopp, lasst uns das Holz für unsere neuen Besen aussuchen.«
Die Oberhexe flog voraus. Als Anführerin der Waldhexen wusste sie genau, wo die besten Bäume wuchsen.
Es dauerte nicht lange, da erreichten sie einen Hain mit Buchen. Die Oberhexe landete geschickt und ging auf den größten und knorrigsten Baum zu.
Fauna, Kikki und Florina folgten ihr.
»Liebe Buche, mit deiner Erlaubnis würden wir gern gutes Holz für unsere Besen aussuchen.«
»Spricht sie etwa mit dem Baum?«, fragte Florina. Ihre braunen Augen funkelten interessiert.
»Natürlich. Wenn du ohne Erlaubnis einer Buche einen Ast absägst, brauchst du nicht erstaunt zu sein, wenn dir in Zukunft immer wieder Äste in die Quere kommen, die versuchen, dich zu schlagen. Da kennen Buchen keine Gnade«, erklärte Kikki.
»Im Ernst?«
»Sauerampfer und Stiefelwurz. Natürlich. Das sind ganz spezielle Bäume. Die leben.«
»Das tun doch alle Bäume«, wandte Florina ein.
»Schon, aber diese hier sind etwas eigenwillig«, erwiderte Kikki und kicherte.
Wie zur Bestätigung beugte sich die Buche, vor der die Oberhexe stand, etwas nach vorn. Dabei machte sie ein knarrendes Geräusch. Aus einem Astloch in ihrem Stamm ertönte ein seltsames Pfeifen, das von einem Baum zum anderen überging.
»Danke«, sagte die Oberhexe und verbeugte sich. »Wir werden uns beeilen.« Sie drehte sich zu Florina um. »Jetzt suchen wir erst mal das Holz für deinen allerersten Hexenbesen aus.«
Florina strahlte und eilte der Oberhexe hinterher, die auf eine Gruppe Bäume zuging. Florina blickte sich immer wieder vorsichtig um. Vermutlich fürchtete sie sich nun vor den Buchen.
Drei Bäume weiter links blieb die Oberhexe stehen. »Der hier sieht gut aus.« Sie zeigte auf einen geraden Ast. »Der hat die richtige Dicke und scheint mir auch belastbar.« Sie griff nach oben und zog daran. Ein zufriedenes Grunzen entwich ihrer Kehle. »Der würde sich eignen. Fass ihn an und sag mir, was du fühlst.«
Florina streckte ihren Arm aus und strich vorsichtig über das Holz. »Der ist ja warm.« Sie klang erstaunt.
»Dann soll er dir gehören.« Die Oberhexe legte ihren Hexenhut neben sich auf den Boden und zog eine Säge aus ihrer Tasche.
Holzspäne fielen auf ihre stachligen schwarzen Haare, während sie den Ast von seinem Stamm sägte. Ringsherum begannen die Buchen, in dem gleichmäßigen Ton zu pfeifen, den Kikki so mochte.
Die Oberhexe überreichte Florina den Ast. »Sei gut zu ihm. Dann wird er dir ein treuer Freund.«
Florina nickte eifrig. »Danke.« Sie strahlte über das ganze Gesicht.
Es dauerte nicht lange, da fand auch die Oberhexe einen Ast, der für ihren neuen Hexenbesen geeignet war. Als auch dieser abgesägt war, verabschiedeten sich Kikki und die drei Hexen von den Buchen und suchten Birkenreisig für die Enden der Besen.
Die Oberhexe legte die beiden Besenstiele vor sich auf den Boden. Daneben platzierte sie das Reisig. »Tretet zur Seite!« Sie zog den Zauberstab und sprach:
»Hexenbesen seid ihr nun,
sollt uns tragen, ohne auszuruhn.
Gehorcht den Anweisungen eurer Hexen,
ohne sie abzuwerfen, sonst müssen wir euch verhexen.
Seid geduldig und folgsam, das wünsche ich mir,
so, wie unser allerliebstes Lieblingstier.
Seid guter Laune und korrekt,
sonst wird euer Verhalten aufgedeckt.
Sollt uns mögen, so wie wir euch,
hopp, hopp, ihr Besen,
von nun an fliegen wir mit euch!«
»Los, Junghexe, flieg ihn ein.« Die Oberhexe nickte Florina aufmunternd zu.
Florina nahm ihren neuen Besen mit geröteten Wangen entgegen. »Soll ich wirklich?«
»Hexenstiefel und Sauerampfer. Natürlich. Je schneller, desto besser. Kikki, du zeigst Florina, wie das geht. Ich muss zurück zur Hexenschule, die erste Schulstunde vorbereiten. Wir sehen uns dann beim Mittagessen.« Die Oberhexe stieg auf ihren neuen Besen und rauschte so geschickt davon, als würden sich die beiden schon seit einer Ewigkeit kennen.
»Ich muss mit.« Fauna winkte ihnen zum Abschied fröhlich zu.
Kapitel 3
Der Schatz
»Halte dich gut fest«, sagte Kikki.
Florina saß zum ersten Mal auf ihrem eigenen Besen. Noch etwas ungeschickt hielt sie sich an seinem Stiel fest.
»Wenn du losfliegen willst, musst du den Stiel nach oben ziehen. Dann gewinnt der Besen an Höhe. Dasselbe machst du, wenn du eine Kurve fliegst. Beweg ihn in die Richtung, in die du möchtest. Eigentlich ist es genauso wie beim Fliegen mit dem Hexenkessel.«
Florina nickte. Ihre Wangen waren noch immer rot vor Aufregung. »Wenn das bloß gut geht.«
Ihr neuer Besen gab einen hohen Pfeifton von sich. Florina ließ ihn los und der Besen fiel ins feuchte Gras. »Was habe ich falsch gemacht?«
»Nichts. Er hat vermutlich genauso viel Angst wie du. Er fliegt ja gleich auch zum ersten Mal.«
Florina hob den Besen vorsichtig wieder auf. »Entschuldigung«, flüsterte sie in seine Richtung.
»Bist du bereit?«
»Es geht so.« Florina zuckte mit den Schultern.
Kikkis Strümpfe kräuselten sich vor Vorfreude auf und ab. Selbst ihre Hexenstiefel mochten kaum noch ruhig stehen bleiben. »Na dann, flieg los. Ich bleibe dicht hinter dir.«
Florina stieß sich mit den Füßen vom Boden ab und zog den Besenstiel kräftig nach oben. Viel zu steil schoss sie in die Höhe und drohte, jeden Moment vom Besen zu rutschen. »Kikki! Hilf mir!«
Kikki, die dicht neben ihr flog, packte Florinas Besen und drückte ihn immer weiter hinunter. »Langsam. Nur nicht so hastig.«
Florinas Besen schnaufte erleichtert aus und ließ sich von Kikki führen.
»Gut. Bist ein ganz lieber Besen. Ich hätte da eine Idee.«
»Welche denn?« Florinas Gesicht war weiß wie ein Laken. Eine einzelne Schweißperle rann ihr über die linke Wange.
»Ich weiß einen Zauberspruch, der dir helfen kann.«
»Prima. Ich kann jede Hilfe gebrauchen.« Florina saß so steif auf ihrem Besen, dass es Kikki schmerzte, sie so zu sehen. Sie zog ihren Zauberstab und sprach:
»Drei Mal Hex und drei Mal fliegen,
ein Band zwischen den Besen soll diese neue Freundschaft besiegeln.
Zusammen fliegen macht euch Spaß,
dies sollt ihr tun, ohne Unterlass.
Gesprochen ist dieser Zauber nun,
fliegt zusammen, ohne auszuruhn!«
Ein Seil kam von irgendwoher herbeigeflogen und wickelte sich um die beiden Hexenbesen. Es verknotete sich an mehreren Stellen und zog die Besen immer näher zusammen.
»Stiefelwurz und faule Eier! Das tut weh!« Kikkis linkes Bein wurde zwischen den Besen eingeklemmt, genauso wie Florinas rechtes. Ihre Schultern wurden gegeneinandergedrückt, ebenso die Oberkörper.
Als wäre das nicht schon schlimm genug, wickelte sich ein Seilende erst um Kikkis Hände und dann um Florinas.
Kikki konnte ihre Hände nicht mehr bewegen und schon gar nicht mehr ihren Zauberstab schwingen, den sie in ihrer rechten Hand hielt.
»Mach das weg!«, bettelte Florina.
»Ja, wie denn?« Die erste nervöse Pustel bildete sich auf Kikkis Stirn. »Sumpfnatter und Eiterbeule. So sollte es nicht sein. Damals hat es auch geklappt, als mir meine Mutter das Fliegen beigebracht hat.«
»Vielleicht hast du den Zauberspruch nicht richtig aufgesagt.« Florina klang panisch.
Einen knappen Meter über der Wiese rauschten sie auf ihren Besen viel zu schnell dahin.
»Hühnerauge und Spinnenbein! Seil, lass das sein!«