Stadtgespräche aus
Rottenburg am Neckar
Werner Bauknecht
Ein Blickfang ist es, vor dem die Besucher Rottenburgs erstaunt und vielleicht sogar ergriffen stehen bleiben. Das Haus am Nepomuk mit seiner Holztreppe an der Seite, den braunen Stütz- und Querbalken und seinem Garten zum Neckar hin, liegt wie hingegossen und nach allen Seiten sichtbar am östlichen Ende des Rondells am Unterwässer. Sein Hausherr Ernst Heimes hat das schmucke Gebäude zu einem kleinen Kulturzentrum gemacht. Lesungen, Vorträge, Ausstellungen oder Liederabende – in dem Veranstaltungsraum, der einst eine Garage war, findet jede Kunst ihren Platz. Umgekehrt wurde das Haus selbst zur Kunst: Sebastian Blau verewigte das Domizil des Rottenburger Heimatdichters in einem Gedicht.
Den Namen gab dem Haus eine Statue an der Südecke des Hauses, die den böhmischen Heiligen darstellt. Die ursprüngliche Figur datiert aus dem Jahre 1776, und ein Pendant zu ihr steht genau gegenüber auf der anderen Seite des Neckars. Schutz sollte der Heilige Nepomuk bringen gegen die häufigen Hochwasserkatastrophen des Flusses, die den Bewohnern des Viertels so sehr zu schaffen machten. Schaut man die alten Pläne von 1828 an, steht das ursprüngliche Haus auf einer kleinen Landzunge inmitten des Neckars, nur zu erreichen über eine Brücke und einen Steg.
Das heutige Haus am Nepomuk war nicht immer ein Schmuckstück für die Stadt. Erst als ein Rottenburger Apotheker es Ende des letzten Jahrtausends kaufte und wieder herrichtete, erhielt es seinen heutigen Glanz. Zum Kulturzentrum und zum Aushängeschild bei Stadtführungen machte es aber Ernst Heimes, der es 2006 kaufte. Der gebürtige Rheinländer kam bereits 1951 nach Rottenburg. Das Lehramtsstudium in Tübingen lockte ihn ins Schwabenland. 30 Jahre wohnte er mit seiner Frau im Stadtteil Wurmlingen, ehe sie sich entschlossen, das Haus 2006 zu kaufen. »Es war der Wunsch meiner Frau«, erinnert sich der Hausbesitzer, »sie stammt vom Bodensee und sagte immer, wenn wir schon nicht mehr am See wohnen könnten, dann doch wenigstens am Fluss.«
Der Heilige Nepomuk an dem Hauswinkel des Nepomuk-Hause
Gleich nach dem Einzug wurde als Erstes die Garage, die eher als Abstellraum gedient hatte, zum Veranstaltungsraum umgebaut. Zwei Stockwerke dienen jetzt ausschließlich der Kunst. Schulklassen, die Bilder oder Basteleien zu einem bestimmten Thema im Unterricht fertigen, können ihre Werke dort ausstellen. Dichterlesungen, Fotoausstellungen, Vernissagen, Krippenausstellungen – der Raum ist für alle da. Dabei ist es für Heimes eine Non-Profit-Veranstaltung, er verlangt keine Nutzungsgebühren. »Man braucht mich bloß zu fragen, ob die Räume frei sind, dann kann man sie auch benutzen.« Eine besondere Verwendung für das Haus hat Heimes stets um die Weihnachtszeit herum. Dann werden an den Fenstern des Gebäudes 23 Fotos von Kindern wie bei einem Adventskalender ausgestellt, für jeden Tag im Dezember eines bis zum Heiligen Abend. Die Nachfrage der Kleinen ist groß, denn es will doch jeder ein Mal sein Porträt in einem der erleuchteten Fenster sehen.
Überhaupt ist das Thema Kinder eines, das den Hausherrn nicht loslässt. »Ich bin halt ein unverbesserlicher Pädagoge«, sagt Heimes lachend, »und wenn ich helfen kann, dann mache ich das auch.«
An der Stuttgarter Dualen Hochschule hat er heute noch einen kleinen Lehrauftrag, in dessen Rahmen er Sonderschullehrer ausbildet. Beim Projekt ›Jugend engagiert sich‹ (jes) ist er federführend beteiligt. In seinem Haus erarbeiteten zum Beispiel sieben Schüler gemeinsam mit Lehrern eine Broschüre über den historischen Nepomuk. Das Büchlein veröffentlichte Heimes auch gleich in seinem Verlag ›Haus am Nepomuk‹. Den stellt er ganz in den Dienst der Bewahrung und Erhaltung Rottenburger Traditionen. Im Band ›Rottenburger Schätze‹ präsentiert er gemeinsam mit Fotografen und Autoren Verborgenes oder wenig Zugängliches in der Bischofsstadt. Das kann dann ein wiederentdecktes dunkles Kellergewölbe sein, alte Fasnetmasken oder historische Weihnachtskrippen. Letzteres ist übrigens eines seiner Lieblingsthemen, sammelte er doch auch mit seiner Frau Krippen.
Wer mit Ernst Heimes gemeinsam durch Rottenburg spaziert, sollte am besten viel Zeit mitbringen. Der groß gewachsene, weißhaarige Mann mit Künstlermähne kennt Gott und die Welt. An jeder Ecke hält ein Bekannter an und sucht ein Schwätzchen mit ihm. Und er wiederum ist einer, der gerne redet, aber genauso gerne zuhört. Hier fragt man ihn um Rat wegen einer Veranstaltung, dort erzählt einer vom Stammtisch am Vorabend, und ein Dritter möchte ein paar Geschichten von der gerade beendeten Urlaubsreise loswerden. Gibt es Fragen zu Rottenburg und seiner Vergangenheit? An Heimes wenden, denn Stadtführer ist der rundum interessierte Mann auch noch! Unter seiner Aufsicht leisten Jugendliche die ihnen aufgebrummten Sozialstunden im Nepomuk-Haus ab, nebenher unterrichtet der Pädagoge sie und macht sie fit für ihre Prüfungen. Da mag man hoffen, dass der Heilige Nepomuk seinen Dienst gewissenhaft versieht, und das Haus am Neckarufer tatsächlich vor Unheil bewahrt.
Haus am Nepomuk
Unterwässer 1
72108 Rottenburg
www.haus-am-nepomuk.de
Am nördlichen Ende des Rottenburger Marktplatzes thront weithin sichtbar der Dom St. Martin. Zum Dom erhoben wurde die ehemalige Stadt- und Marktkirche, nachdem Rottenburg 1828 zum Bischofssitz ernannt wurde. Harald Kiebler ist der Hausherr des Doms und somit der Dompfarrer in Rottenburg. Dabei haftet dem Seelsorger, sitzt man ihm gegenüber, so gar nichts an, was unmittelbar auf das hohe Amt schließen ließe. Er lacht viel und gerne, und bisweilen blitzt ihm der Schalk aus den Augen. Seine Anrede wäre, genau genommen, Monsignore. Aber da winkt er lachend ab. »Wenn ich in Rom wäre, dann vielleicht, aber wenn mich jemand hier damit anredet, würde ich glauben, man will mich auf den Arm nehmen.« Das Bodenständige, das Volksverbundene – das ist seine Sache.
Immerhin steht der Ort seines Wirkens zentral in der Bischofsstadt; dort, wo die Menschen arbeiten, aber auch vielfältigen Freizeitvergnügungen nachgehen. Vor den Pforten des Doms ist drei Mal in der Woche Markttag, rechter Hand steht das Rathaus und gleich daneben ein Café, dessen Gartenlokal ein beliebter Treffpunkt ist. Alt ist es, das hohe Gebäude mit seinem mächtigen Turm. 1280, das zeigten neuere Grabungen, soll die ehemalige Kapelle erbaut worden sein. 1644 wurde der Dom beim Stadtbrand schwer beschädigt und wieder aufgebaut. Dasselbe geschah nach dem Stadtbrand 1735. Nach vielen Renovierungen besteht er heute aus einer Mischung aus Neogotik und Neobarock. Die gravierendste Änderung kam 2003: Aus dem ehemals eher düsteren Gebäude wurde ein heller Raum, der freundlich und einladend auf die Besucher wirkt.
Just in die Zeit der grundlegenden Erneuerung fiel auch der Beginn der Amtszeit des heutigen Dompfarrers. Dass Harald Kiebler den theologischen Weg wählte, war nicht immer klar. »Ich musste mich entscheiden, ob ich Medizin oder Theologie studiere«, erinnert er sich. Und warum fiel dann die Wahl auf die Theologie? »Es war eine rein spontane Entscheidung.« Im Studium zeigten sich ihm völlig neue Facetten der Theologie – nicht nur Fächer wie Griechisch und Hebräisch. Dann bekam der angehende Theologe die Gelegenheit, ein Auslandsjahr in Mexiko anzutreten. »Die zwei Semester dort waren eine große Erfahrung für mich. Die Kultur, die Menschen, das völlig andere Leben – da nimmt man etwas mit nach Hause, das man nie mehr vergisst.« Nach dem Studium wurde er zunächst Militärpfarrer, danach erhielt er eine eigene Seelsorgeeinheit in Süddeutschland. »Hier ist der Pfarrer ein Einzelkämpfer«, sagt Kiebler, »aber man lernt auch viel im Umgang mit den Menschen, die einem vertrauen.«
Aber wie wurde er nun Dompfarrer in Rottenburg? Das sei ein normaler Vorgang gewesen. Die Stelle war frei geworden, nachdem sein Vorgänger nach 21 Jahren in Rente gegangen war. Jemand habe gefragt, ob er sich das Amt vorstellen könne. »Konnte ich«, meint er lachend, und es kam zum Treffen mit dem Domdekan Georg Kopp. »Da wurde ausgelotet, ob wir zusammenpassen.« Das taten sie, und kurz danach hatte Harald Kiebler ein Gespräch mit dem Bischof. Dies führte schließlich zu seiner offiziellen Bewerbung. »Das ist ein Vorgang, wie er für jede andere Seelsorgeeinheit gilt.« 2001 wurde er Dompfarrer. Dabei konnte seine Einsetzung, die Investitur, nicht einmal im Dom selbst vorgenommen werden. »Das war damals eine Baustelle.« In der benachbarten Weggentalkirche wurden die Feierlichkeiten abgehalten. »Auch ein schöner Rahmen.« Das neue Amt sei eine große Umstellung für ihn gewesen, sagt er heute. Er hatte nicht nur neue Schäfchen, sondern mit 5.000 Gläubigen gleich eine der größten Domgemeinden in Deutschland zu betreuen.
Kirche St. Martin
Der Dompfarrer, das erkennt man sofort, wenn er durch seine Kirche führt, ist stolz auf das Bauwerk. Lange habe es damals gedauert, bis 2001 alle Wünsche der Beteiligten beim Umbau unter einen Hut gebracht worden seien, jetzt aber hätten ihn die Gläubigen und die Kirchengemeinde angenommen. Dabei war es kein Zuckerschlecken. Über zwei Jahre musste die Kirche geschlossen bleiben. Bei den Bauarbeiten seien manchmal die heiligen Gefäße in den Regalen herumgehüpft. »Kein Wunder«, meint der Seelsorger verschmitzt, »wenn direkt neben dem Gebäude die Kompressoren laufen.« Der Dom habe indes seine Charakteristika behalten. Die Sakramentskapelle ist jetzt offen; der Turm, der bisher gestört habe, sei nun integriert. Das Innere habe man so gestaltet, dass es gerade für ältere Menschen »emotional bewegend« sei. An den Vormittagen herrscht reges Treiben im Dom. Die Domsingschule nutzt die wunderbare Akustik für die Proben. Schüler der Hochschule für Kirchenmusik üben auf der Domorgel, manche auf der Chororgel, oft gemeinsam mit den Sängern und Sängerinnen.
Harald Kiebler hat gerade eine Führung auf den Kirchturm hinter sich. Das ist eher ungewöhnlich, aber eine Dame aus der Gemeinde, die sich um Flüchtlingskinder kümmert, habe so häufig nachgefragt, dass er nachgab. Als alle wieder unten stehen, drückt ihnen der Dompfarrer einen Umschlag in die Hand. »So, und davon gehen Sie alle jetzt noch ein Eis essen.«
Dom St. Martin
Marktplatz 3
72108 Rottenburg
Das Mittelalter, die Zeit der Ritter, des Schwertkampfes und der edlen Burgfräulein hat in Rottenburg eine Nische gefunden. Klar, das passt zu einer – im besten Sinne des Wortes – alten Stadt. In der ehemaligen Alten Spitalscheune, dem heutigen Künstlerhof, hat Wolfgang Abart seine Lebendige Schwertkunst einquartiert.
Erbaut wurde die Spitalscheune bereits 1927 als landwirtschaftlicher Hof für die Stiftung Hospital zum Heiligen Geist. Nach dem Ende der Landwirtschaft nutzte die Stadt das Gelände erst als Bauhof, und seit 2006 beherbergt es Rottenburger Künstler. Zehn Ateliers gibt es in dem unter Denkmalschutz stehenden Gebäudekomplex. Eines davon nutzt Wolfgang Abart mit seiner Mittelaltertruppe. »Schwertkunst ist außer Kunstfertigkeit auch Harmonie, Eleganz und Inspiration«, sagt er, »alles Attribute, die auf Maler, Musiker, Dichter oder Schriftsteller zutreffen.«
Die Begeisterung für das Mittelalter begann bei Abart schon mit acht Jahren. Der in Plattling geborene Niederbayer war vom Gebolze in den alten Ritterfilmen nie überzeugt. Derart plump können die nicht gewesen sein, überlegte er, denn gestandene Männer, die sich ein Leben lang mit dem Kampf beschäftigt haben, würden niemals stillos aufeinander eindreschen. Doch als er wissen wollte, wie es früher wirklich gewesen war, konnte ihm keiner weiterhelfen. »Es gab einfach keine Unterlagen darüber«, erklärt er rückblickend.
Von der Kampfkunst, vom Interesse an Waffen, Körperbeherrschung und Ritualen war er da bereits infiziert. Okay, dachte er, wenn es mit dem Mittelalter und der Ritterkunst nichts wird, dann konzentriere ich mich auf die fernöstlichen Disziplinen. Er besuchte Schulen für Aikido, Judo oder Karate. Als Broterwerb wählte er den Beruf des Schreiners und absolvierte eine Lehre. Er musste schnell feststellen, dass er sich das Arbeiten mit Holz anders vorgestellt hatte. »Mehr mit Händen und nicht bloß mit Maschinen.«
Nach einem Indonesienaufenthalt, den er abbrechen musste – »Ich wog grad noch 50 Kilo, das Essen dort vertrug ich nicht«, – entschloss sich der knapp 20-Jährige endgültig zu einer Umorientierung. »Ich will Schwerter herstellen, so viel stand für mich fest.« Seine Eltern räumten ihm zwei Monate ein, um sich nach etwas anderem umzuschauen – andernfalls müsse er sich mit der Schreinerei abfinden.
Am letzten Wochenende vor Ablauf der zwei Monate besuchte er einen Aikido-Kurs in Passau. Er hoffte, dort Leute zu treffen, die sich mit mittelalterlichen Schlagwaffen und deren Herstellung auskannten. »Man muss bedenken, das war vor dem Internet«, erläutert Abart, »Informationen waren Anfang der 90er nicht so einfach zu beschaffen wie heute.«
Er hatte zunächst kein Glück. Keiner in der Donaustadt kannte sich mit Schwertern und Rittern aus. Abends dann, in der Kneipe, saß ein unglücklicher Wolfgang Abart und schaute auf die Uhr. Fünf vor zwölf war es – »Ich lüge nicht, das ist wirklich so gewesen« – als er am Nebentisch das Wort Schwertschmied vernimmt. »Ein paar Gäste redeten über einen, der am Bodensee lebte und arbeitete, und dem der Geselle weggelaufen war.«
Der unglückliche Schreiner tritt mit dem Meister in Kontakt, heuert an, und nicht lange danach entwirft und fertigt er gemeinsam mit seinem Chef die ersten Schauwaffen und scharfen Repliken für Sammler an. Der nächste Zufall – oder sollte man sagen: das Wunder? – ließ nicht lange auf sich warten. »Eines Tages kam ein Mann ins Geschäft und brachte Kopien von uralten Büchern über Schwertkunst mit. Wir stürzten uns darauf und erkannten: Die alte Tradition lebt tatsächlich noch.«
Bald schon bot der Neu-Waffenmeister erste Kampfkurse über die Volkshochschule an. Die nächste Zäsur brachte schließlich der Mittelaltermarkt in Tübingen 2001. Dort lernte Abart seine heutige Freundin kennen – eine Rottenburgerin. »Sie gab mir den Mut, mich ausschließlich dem zu widmen, was ich für meine Berufung halte«, sagt er. »Sich mit der mittelalterlichen Waffenkunst zu beschäftigen, sie weiterzugeben, zusehends tiefer in sie einzudringen – das ist die eine Sache. Doch man muss ein Einkommen haben, von dem man leben kann.«
Im Rottenburger Künstlerhof hat er seit 2006 eine Halle, ausgelegt mit Schaumstoff, und Zugang zu einem Hof, auf dem man mit größeren Gruppen Übungen abhalten kann.
In dem Raum hängt eine Vielzahl von Waffen. Darunter befinden sich Kurzschwerter aus Holz, Übungsschwerter, die natürlich keinen verletzen können. In der Ecke steht eine veritable Ritterrüstung mit Helm und Visier. Unterschiedliche Hieb- und Stichwaffen sind an der Wand aufgereiht wie Zahnstocher, bloß größer und länger.
Abart bietet, vor allem im Künstlerhof, aber auch in der Nachbarstadt Tübingen, Kurse zu allen Arten der Schwertkunst an. Außerdem gibt es noch Unterricht im Umgang mit Stangenwaffen und mit dem Langspieß. Regelmäßig sind zwischen 100 und 150 Personen angemeldet.
Was für Leute kommen da? »Altersmäßig liegt der Schwerpunkt zwischen 20 und 35 Jahren«, berichtet der Lehrmeister. »Außerdem biete ich Kinderkurse im Altersbereich zwischen sieben und 13 Jahren an.« Ein Drittel der Teilnehmer, so schätzt Abart, sind Frauen. Die Gruppen setzen sich aus sämtlichen Gesellschaftsschichten zusammen. Manchmal überrascht eine Ehefrau ihren Mann mit einem Gutschein für ein Trainingswochenende bei der Lebendigen Schwertkunst im Künstlerhof oder in der Trainingsstätte in Tübingen. »Vielleicht denkt die Frau, sie kann aus ihrem Mann einen richtigen Kerl machen«, sagt der Meister lachend. »Und die Herren der Schöpfung sehen sich nach den ersten Übungen als wackere und unbesiegbare Helden wie Lancelot, wer weiß?«
Stichkampf hinter dem Trainingsraum
Für die Teilnahme am Training lassen sich gute Gründe finden. Die Schwertkunst zu erlernen, steht sicher im Vordergrund. Doch körperliche Fitness oder das Interesse am Mittelalter spielt bei manchen Teilnehmern eine ebenso große Rolle. »Bei mir haben schon etliche Archäologen oder Historiker mitgemacht«, berichtet der Rottenburger.
Für ihn ist eines klar: Es ist nicht mit dem Kämpfen, dem Beherrschen der Waffe und mit schweißtreibendem Training getan. Ebenso wichtig sind die Rituale, die früher die ritterlichen Tugenden genannt wurden. Dazu gehört, dass der Gegner respektiert wird. Niemals darf man die Waffe eines Kollegen oder einer Kollegin nehmen, ohne deren Einverständnis zu haben. Die Teilnehmer eines Kurses sind höflich zueinander, sie wollen im Kampf, in der Auseinandersetzung keinem schaden. Bei aller Ernsthaftigkeit soll der Gedanke ein spielerischer sein. Sie beweisen Souveränität, indem sie lediglich andeuten, sie hätten den Gegenpart treffen können – tun dies aber nicht.
Verletzungen, das überrascht deshalb kaum, kommen fast keine vor. Auch wenn sich die Schüler heiße Duelle liefern, achten sie darauf, dass nichts passiert.
Viele Teilnehmer tragen Nachbildungen mittelalterlicher Kleidung. Vorlagen dazu gibt es in Büchern oder auf alten Gemälden. Ein festes Mitglied der Abart-Truppe ließ sich Wams, Kopfbedeckung und Hosen nähen, die er auf einem Ritterbild Dürers entdeckt hatte. Wolfgang Abart trägt beim Training ein Schnürhemd und enge zweifarbige Stoffhosen. »Wir wollen in diese Welt vollständig eintauchen, während wir uns damit beschäftigen. Und dazu gehört natürlich das richtige Outfit.«
Mittlerweile stapeln sich in Abarts Büro, im Nebengebäude des Künstlerhofs, seitenweise Kopien von Texten und Bildern zum Thema Fechtkunst im Mittelalter. Die Texte sind in Latein abgefasst. Es sind vor allem diese Relikte aus vergangenen Zeiten, an deren Vorgaben der Waffenmeister Abart seinen Unterricht aufbaut. Das sei mehr, als bloß jemanden zu unterrichten, meint er, das sei eine ausgearbeitete Philosophie, entsprechend der man die ritterlichen Rituale einübe, einschließlich der Art, wie man Auseinandersetzungen mit Waffen führt. Es ginge um die Eleganz der Bewegungen. Um die innere Einstellung und um den Willen, an sich selbst zu arbeiten.
Das Schöne an der Kampfkunst sei, dass es bei ihr sofort Rückmeldung gebe. »Entweder es klappt – oder es gibt eins auf die Mütze«, sagt der Lehrmeister lachend.
Rüstung im Übungsraum
Abart und seine Schüler und Schülerinnen besuchen Mittelaltermärkte in ganz Deutschland, um Schaukämpfe zu präsentieren, ebenso wie Aufzüge, Rituale aus dem Mittelalter und natürlich die wunderbaren Kleider, Hüte oder Schuhe, die direkt aus dem 13. Jahrhundert zu stammen scheinen. Nicht nur regional ist Abarts Lebendige Schwertkunst ein Begriff. Regelmäßig zeigen sie im nahen Ausland wie in der Schweiz oder Belgien ihre Kunst. Und was macht Wolfgang Abart jetzt mit all seiner Erfahrung in der Schwertkunst? Klar, er schreibt ein Buch, um anderen einen leichteren Zugang zu dem Thema zu verschaffen, als er ihn selbst hatte.
Lebendige Schwertkunst Künstlerhof
Alte Spitalscheune Rottenburg am Neckar e. V.
Klausenstraße 25
72108 Rottenburg
www.lebendige-schwertkunst.de
In den dunklen Kellern Rottenburgs herrschte früher reges Treiben. Was da genau geschah, weiß der Stadtführer Jürg Gaebele ganz genau. Wenn Besucher der Stadt sich einer seiner Führungen anschließen, bringt er sie in diese Unterwelt, und er weiß die Geschichten dazu.
Bis zu seinem Ruhestand gehörte ihm die Rottenburger Domapotheke. Mit Stadtgeschichte hat der Apotheker sich zwar seit jeher beschäftigt, aber jetzt hatte er Zeit, tief in die Vergangenheit einzudringen. Diese Beschäftigung brachte zutage, dass Rottenburg bis 1600 als Weinbauregion galt. Im 14. und 15. Jahrhundert war Rottenburg gar eine Hochburg des Weinanbaus. Eine sogenannte kleine Eiszeit beendete diese Ära, doch die Weinkeller blieben teilweise erhalten. Riesige, bis zu acht Meter hohe und etwa 20 Meter lange, gemauerte Höhlen sind das, massiv und bis heute in tadellosem Zustand. Dienten sie den Hausbesitzern in späteren Zeiten als Abstellräume, sind inzwischen viele wieder leergeräumt und stehen Besuchern zur Verfügung.
Gaebele erzählt bei seinen Führungen von den Brunnen, die jeder Keller hatte. Sie sind noch zu sehen. Sie bildeten die zentrale Wasserversorgung. Einer dieser Keller ist unter dem heutigen Amtsgericht. Steil geht es hinab, Trittfestigkeit ist bei den Führungen gefragt. Das Gewölbe ist 500 Jahre alt und war schon damals mit heute noch funktionierenden Lüftungsschächten versehen. Der Stadtführer hat Schlüssel zu den meisten Kellern. »Hier zeigt sich Stadtgeschichte noch völlig unverstellt«, sagt er stolz. Selbst direkt neben dem Dom, im barocken Erckenbrechtschen Haus, öffnet Gaebele eine unscheinbare Tür und man taucht in einen tiefen Keller ein.