Leslie Kelly, Nancy Warren, Tawny Weber, Susanna Carr
TIFFANY HOT & SEXY BAND 43
IMPRESSUM
TIFFANY HOT & SEXY erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH
Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: 040/60 09 09-361 Fax: 040/60 09 09-469 E-Mail: info@cora.de |
Geschäftsführung: | Thomas Beckmann |
Redaktionsleitung: | Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.) |
Produktion: | Christel Borges |
Grafik: | Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto) |
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY HOT & SEXY
Band 43 - 2015 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
© 2014 by Leslie A. Kelly
Originaltitel: „Double Take“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: BLAZE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Alina Lantelme
© 2014 by Nancy Warren
Originaltitel: „Breakaway“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: BLAZE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Almuth Strote
© 2014 by Tawny Weber
Originaltitel: „A SEAL’s Kiss“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: BLAZE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Renate Moreira
© 2014 by JASMINE COMMUNICATIONS, LLC
Originaltitel: „Wild Weekend“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: BLAZE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Andrea Cieslak
Fotos: Vincent Besnault / Getty Images, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 03/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733750718
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Sie geht Mike nicht mehr aus dem Kopf, seit er sie auf der Fähre zur Insel kennengelernt hat: Lindsey ist wie Feuer in seinem Blut. Was macht sie hier, wo wohnt sie – und wie bekommt er sie ins Bett?
So viel Sex-Appeal in einem Flugzeug gehört verboten, findet Claire. Zwischen ihr und dem neuen Co-Piloten Max knistert es wie verrückt. Durchstarten, abheben und dann … Siebter Himmel – oder Crash-Landung?
Auf keinen Fall Sex! Navy SEAL Aiden Masters ist ein Ehrenmann, und die Scheinverlobung mit Sage Taylor schließt erotische Gefühle aus. Aber Sage scheint da anderer Ansicht. Will sie ihn etwa verführen?
Wo ist die schöne Fremde, mit der er diese Wahnsinnsnacht verbracht hat? Und wo ist der wertvolle Smaragd, den er hüten sollte? Travis erwacht allein im Hotel – mit zwei lebenswichtigen Fragen …
„Wir bitten Sie, sich vorläufig beurlauben zu lassen.“
Obwohl Lindsey Smith damit gerechnet hatte, zuckte sie zusammen. Tatsächlich hatte sie sich innerlich gewappnet, bevor sie sich ihrem Chef Walter Ross gegenübergesetzt hatte. Sie fragte sich, ob der renommierte Psychotherapeut und seine beiden Partner, mit denen er das Ross, Riley and Wilhelm Wellness Center führte, gelost hatten, wer von ihnen sich um „ihr kleines Problem“ kümmern musste.„So ernst ist es nicht. Das legt sich wieder.“ Doch sie wusste, wie ernst dieLage war. Ihr Ruf war ruiniert.
„Das haben Sie schon einmal gesagt, Dr. Smith. Allerdings noch bevor Sie zum Thema einer Frage bei Jeopardy! wurden.“
Nun, ihrer Ansicht nach war es irgendwie beeindruckend, es bis in die TV-Quizshow geschafft zu haben. Doch das sagte sie ihrem Arbeitgeber nicht. „Aber …“
„Und heute habe ich erfahren, dass Sie Thema eines Internet-Memes sind.“ Er schob ihr mit spitzen Fingern ein Blatt Papier über den Schreibtisch.
Lindsey schaute es sich an. Eigentlich sollte sie pikiert sein, und nicht ihr Chef. Auf dem Papier tauchte immer wieder ihr Foto auf. Jedes Mal mit einem witzelnden– aber nicht so lustigen – Kommentar versehen. Wie etwa: „Kommt beim Blinzeln zum Orgasmus“.
„Das wirft ein schlechtes Licht auf uns alle.“
„Sie haben meine Dissertation gelesen, bevor Sie mich eingestellt haben.“
Ross nickte. „Ich weiß. Ihre Forschungsarbeit mit Patienten, die unter sexuellen Störungen leiden, war herausragend.“
Aber offenbar nicht herausragend genug, damit ihre Chefs sie verteidigten, wenn Lindsey unangenehme Aufmerksamkeit auf sich zog. Oh, sicher hatten sie zuerst die Publicity genossen, als die Medien Auszüge ihrer Doktorarbeit aufgegriffen hatten. Thema der Studie: Die Fähigkeit von Frauen, nur durch mentale Stimulation zum Orgasmus zu kommen. Doch als das NBC-Morgenmagazin The Today Show und anschließend die Boulevardpresse darüber berichtet hatten, war ihnen entschieden unbehaglich zumute geworden.
Die Situation hatte sich noch verschlimmert, als der „Hirngasmus“ – so hatten sie den gedanklich hervorgerufenen Orgasmus bezeichnet – sich via Twitter wie ein Lauffeuer im Internet verbreitet hatte. Sie war zur Witzfigur geworden.
Jetzt ließen ihre Chefs sie also wegen einer Quizfrage und eines dummen Memes im Stich. Während ihrer „vorläufigen Beurlaubung“ stände sie zweifellos unter deren ständiger Beobachtung. Sie bekäme ihren Job – irgendwann – wieder, wenn endgültig Gras über die Sache gewachsen wäre. Und das alles nur, weil sie ernst nahm, was andere unterhaltsam fanden: Den weiblichen Orgasmus.
Ihr Motto war immer gewesen, dass Frauen die Kontrolle über ihr Leben und ihre Sexualität haben sollten. Doch jetzt geriet ihr Leben außer Kontrolle. Dank des Mannes, der ihr gegenübersaß, und seinesgleichen. Lindsay wurde wütend. Sie hasste es, wenn sie nicht selbst über ihr Schicksal bestimmen konnte.
Ross setzte ein beruhigendes Lächeln auf. „Das kommt schon wieder in Ordnung, Dr. Smith. Versuchen Sie einfach, das Rampenlicht zu meiden. In zwei Monaten überdenken wir die Sache. Warum verlassen Sie Chicago nicht für eine Weile? Gehen Sie an irgendeinen ruhigen, abgelegenen Ort, an dem Ihr Name nicht sofort Aufmerksamkeit erregt.“
„Auf die dunkle Seite des Mondes?“, fragte sie sarkastisch. Jeder schien ihren Namen gehört und sich über die angeblich alberne Idee kaputtgelacht zu haben, dass eine Frau sich durch bloße Einbildung Lust und Vergnügen verschaffen konnte. Gab es im ganzen Land noch einen Ort, wo sie in Anonymität leben und ihre Privatsphäre vor neugierigen Blicken und Tratsch schützen konnte? Angesichts der Tatsache, dass sie vorübergehend keine Arbeit hatte, tief betrübt war und im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand, wurde es Zeit, das herauszufinden.
Drei Wochen später
Die Rothaarige in dem grünen Regenmantel wäre sehr hübsch, wenn sie nicht so seekrank wäre. Zur Hölle, nicht nur hübsch, sondern schön mit den weit auseinanderstehenden Augen, den hohen Wangenknochen, der weiblichen Figur und den tollen langen Haaren. Doch im Moment war sie so grün im Gesicht wie ihr Mantel. Ihr Mund war qualvoll verkniffen. Sie klammerte sich an die Reling, als wenn sie sich nicht entscheiden könnte, ob sie sich übergeben oder über Bord springen und ihrer Misere ein Ende machen sollte.
Mike Santori warf ihr einen mitfühlenden Blick zu, während er sich einen guten Meter von ihr entfernt nur ein bisschen weniger verzweifelt an die Reling klammerte. „Fahren Sie zum ersten Mal zur Insel?“ Er hob die Stimme, damit sie ihn über das Motorengeräusch und das Rauschen des Windes hinweg hören konnte.
Sie schaffte es zu nicken und stöhnte laut.
„Vielleicht sollten Sie nach drinnen gehen“, riet er.
„Nein, ich brauche frische Luft!“
Das verstand Mike gut. Er musste auch jedes Mal, wenn er mit der Fähre den Michigansee überquerte, um vom Festland nach Wild Boar Island zu kommen, an der frischen Luft bleiben. „Es fängt gleich zu regnen an“, warnte er sie. Ob sie, wie er, froh über den Regen wäre? Wenn man durchnässt war und fror, konnte man zumindest vergessen, wie sehr sich einem der Kopf drehte.
„Wenn ich Glück habe, spült mich der Sturm über Bord, und ich kann ertrinken.“
„Bitte nicht. Dann muss ich Sie retten und ruiniere meine neuen Stiefel.“
Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande, das ihr jedoch schnell wieder verging. Denn die alte, klapprige Fähre neigte sich im Wellengang zur Seite und ächzte, als bräche sie jeden Moment auseinander. „Sorgen Sie dafür, dass es aufhört“, sagte sie stöhnend.
„Wir sind fast da.“ Mike rückte näher an sie heran. Die hübsche Fremde weckte seinen Beschützerinstinkt.
„Was ist eigentlich mit den guten, altmodischen Brücken passiert?“
„Zwischen der Insel und dem Festland liegen über neunzehn Kilometer.“
„Über den Pontchartrain-See führt eine Brücke, die noch länger ist.“
„Angeblich kommen ein oder zwei Touristen mehr nach New Orleans als auf die Insel. Ich glaube nicht, dass man hier mit einer Brücke eine Menge Mautgebühren einnehmen könnte.“ Wild Boar Island, seit ein paar Monaten sein Zuhause, pries sich zwar als das beliebteste Ziel für Sommertouristen in Michigan an. Im Juni, Juli und August strömten tatsächlich die Leute zu Tausenden auf die Insel. Doch während der restlichen neun Monate im Jahr wohnten dort nur tausendachthundert Menschen.
Dunkle Wolken bedeckten den Himmel. Windböen wühlten das Wasser des riesigen Sees auf. Die Fähre kam immer stärker ins Schlingern. „Meine Güte, warum habe ich nur jemals zugestimmt, an einen Ort zu kommen, der nur mit einer Fähre erreichbar ist?“ Stöhnend lehnte sie sich über die Reling.
Ein bisschen zu weit, dachte Mike, der plötzlich glaubte, sie im nächsten Moment kopfüber in die Fluten stürzen zu sehen. Also trat er hinter sie und schlang einen Arm um ihre Taille, um sie festzuhalten. Seine freie Hand legte er auf ihre und drückte sie, um ihr zu zeigen, dass er nur versuchte, ihr zu helfen, und sie nicht betatschen wollte. Auch wenn er diese Frau nur zu gern berührte. Sie machte keine Anstalten sich abzuwenden, sondern griff nach seiner Hand.
„Wir sind im Begriff zu kentern.“
„Nein, das sind wir nicht.“
„Doch. Die Fähre wird umkippen und untergehen.“
„Nun, wenigstens ist uns dann nicht länger speiübel.“
Sie warf ihm einen Blick über die Schulter zu. „Ihnen auch?“
„Warum, glauben Sie, bin ich hier draußen?“
„Ich dachte, damit Sie mich retten können.“
„Ja, belassen wir es dabei.“ Mike stöhnte, als die Fähre erneut ins Schlingern kam. Plötzlich lachte sie. Es war ein melodisches, fröhliches Lachen. Ihr Gesicht hellte sich auf. Sie strahlte. Ihre smaragdgrünen Augen glitzerten. „Lachen Sie über mich?“ Er wusste nicht, ob er entrüstet oder erleichtert sein sollte, dass sie nicht mehr den Eindruck erweckte, über Bord springen zu wollen.
„Nein. Ich lache aus purer Erleichterung, weil da vorne Land in Sicht ist.“
„Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen: das ist Little Boar, nicht Wild Boar.“
„Das ist nah genug. Ich steige aus.“
„Die Fähre legt dort keinen Zwischenstopp ein. Die Insel ist unbewohnt.“
„Ich gehe das Wagnis ein. Sagen Sie dem Kapitän einfach, dass er hinüberfahren soll.“
„Er kann dort nicht anlegen.“
„Dann springe ich über Bord und schwimme hinüber.“
„Haben Sie meine neuen Stiefel vergessen?“
„Würden Sie wirklich hinterherspringen?“
„Das steht in meiner Jobbeschreibung“, antwortete Mike.
„Sind Sie Rettungsschwimmer?“
Als Polizeichef der Insel – so lautete seit ein paar Monaten sein offizieller Titel – hatte er unter anderem auch schon Katzen gerettet, den Schülerlotsen gespielt oder Notrufe entgegengenommen. „Sagen wir einfach, dass ich mich im Augenblick zu Ihrem Rettungsschwimmer ernenne. Wenn Sie springen, springe ich auch.“
Sie atmete ein paar Mal tief durch. Seine Worte schienen sie zu beruhigen. Schließlich nickte sie und richtete sich langsam auf. Zumindest vorübergehend war das Wasser nicht mehr so aufgewühlt. Einen Moment lang hatte er das Gefühl, wieder festeren Boden unter den Füßen zu haben.
Aber als Mike dann zur Kenntnis nahm, dass er seinen Arm um ihre schmale Taille geschlungen hatte und sie ihren runden Po an ihn drückte, war er rettungslos verloren. Sein Taumel hatte nichts mit dem Wellengang, sondern nur mit der heißen Woge der Lust zu tun, die ihn mitzureißen drohte. Sofort ließ er sie los und legte Abstand ein.
Mit bebender Hand strich sie sich die zerzausten Haare aus dem Gesicht. „Meine Güte, wie ich es hasse, wenn mir so hundeelend ist.“
„Dito.“
Sie sah ihn an. „Es ist nicht nur die Übelkeit, sondern dass ich absolut keine Kontrolle darüber habe. Ich weiß, dass die Übelkeit nachlässt, sobald ich die Fähre verlasse. Aber es macht mich wütend, nicht hier und jetzt etwas dagegen tun zu können.“
Mike grinste. „Wenn Ihnen eine Methode einfällt, wie man Übelkeit gedanklich ausschalten kann, werden Sie reich.“
Während sie den Blick senkte, verschränkte sie die Arme und erschauderte leicht. „Vielleicht verläuft die restliche Überfahrt ruhiger?“
„Vielleicht.“ Definitiv Nein. Die Erfahrung sagte ihm, dass dies nur eine kurze Atempause war, bevor sie in die Nähe von Wild Boar kamen. Die starken Strömungen rund um die Insel machten das Reisen im Winter und – wie jetzt – im Frühling gefährlich und die Passagiere seekrank. Aber das sagte er ihr nicht.
„Ich kann nicht glauben, dass wir die Einzigen an Deck sind. Wie kann jemandem bei dieser Überfahrt nicht speiübel werden?“
Mike zeigte auf den Autobereich der Fähre, wo ein einzelner gelber Toyota Prius geparkt war, der vermutlich ihr gehörte. Er hatte seinen SUV am Dock stehen lassen, weil er nur schnell einige Unterlagen ins Revier des nächsten Bezirkssheriffs gebracht hatte. „Wir sind die einzigen Passagiere, und die Crew ist an den Wellengang gewöhnt. In dieser Jahreszeit haben sie pro Überfahrt wohl kaum mehr als einen Passagier an Bord.“
„Wie bitte? Ich dachte, dass die Insel total angesagt ist.“
Er grinste. „Wer hat Ihnen das erzählt? Jemand, der verzweifelt wollte, dass Sie für eine Weile seinen Job übernehmen?“ Als sie ihn mit hochgezogenen Brauen musterte, wusste er jetzt sicher, wer die schöne rothaarige Fremde war und warum sie zu dieser Jahreszeit zu einer entlegenen, spärlich bevölkerten Insel unterwegs war. „Ist Montag Ihr erster Tag in der Schule?“
Sprachlos vor Erstaunen starrte sie ihn an.
„Sie sind die neue Lehrerin, nicht wahr?“ Alle Insulaner waren schon seit einer Woche gespannt auf die Lehrerin vom Festland, die den Schülern in der einzigen Schule auf Wild Boar in Naturwissenschaften Unterricht geben sollte.
„Ich bin für den Rest des Schuljahres nur die Vertretung für die reguläre Lehrerin, die eine gute Freundin von mir ist.“
Richtig. Mike hatte Mrs Parker noch nicht kennengelernt, aber natürlich schon von ihr gehört. Ihr Baby war zehn Wochen zu früh geboren und lag noch immer auf der Intensivstation einer Klinik auf dem Festland. Deshalb wurde dringend sofort eine Vertretung gebraucht.
Aber wen zog es schon nach Wild Boar? Insbesondere da ein geeigneter Lehrer alle Schüler – vom Vorschuljahr bis zur Abschlussklasse – unterrichten können musste. Er hatte keine Ahnung, warum diese Lehrerin im laufenden Schuljahr so kurzfristig zur Verfügung stand. Aber er war daran interessiert, mehr über sie zu erfahren.
„Woher wussten Sie, wer ich bin?“
„Die Insulaner sind sehr um das Wohlergehen Ihrer Freundin und deren Baby besorgt – was auf Wild Boar bedeutet, dass alle darüber reden.“
„Callies Baby geht es gut.“ Sie lächelte sanft. „Der kleine Will muss noch wachsen, und seine Lungen sind noch nicht voll entwickelt. Aber die Ärzte meinen, dass er über den Berg ist.“
„Das freut mich.“
„Mich auch. Er wird aus vollem Herzen geliebt und war ein absolutes Wunschkind.“ Sie schaute weg und fügte mit einem bitteren Unterton hinzu: „Anders als viele andere Kinder.“ Als er sie fragend ansah, wechselte sie schnell das Thema. „Aber woher wussten Sie, dass ich die neue Lehrerin bin?“
„Nun, für die Sommertouristen ist es noch zu früh. Ansonsten passiert es höchst selten, dass ein Fremder auf die Insel kommt. Außerdem reden alle darüber, dass das Ferienhaus hinter dem alten Haus der Wymers für die nächsten zwei Monate vermietet ist.“ Er brachte es nicht übers Herz, ihr zu sagen, dass das alte Ferienhaus klapprig, zugig und wahrscheinlich ein Tummelplatz für Spinnen war. Hoffentlich hatte Mrs Wymer jemanden hingeschickt, der es vorher sauber gemacht hatte. Denn die alte, gebrechlich wirkende Frau war dazu nicht mehr in der Lage.
„Um Himmels willen. Ist die ganze Insel eine Gerüchteküche?“
Mike bemerkte, dass ihr schon blasses Gesicht jetzt kalkweiß geworden war. „Ja, und die Gerüchteküche kocht, wenn es um Zuzügler – wie Sie und mich – geht.“
Sie fühlte erneut Übelkeit in sich aufsteigen. „Dann sind Sie auch ein Neuankömmling?“, fragte sie schließlich.
„Ja, Ma’am.“ Er streckte ihr die Hand hin. „Mike.“
„Lindsey.“ Sie schüttelte ihm die Hand.
Er bemerkte, wie kalt ihre Hand war, holte seine Handschuhe aus der Tasche der dicken Windjacke und hielt sie ihr hin. „Hier. Ihre Finger sind Eiszapfen.“
„Brauchen Sie die Handschuhe nicht selbst?“
„Mit bloßen Händen kann ich mich besser an die Reling klammern.“ Er lächelte.
„Wie soll ich mich daran klammern, wenn ich Ihre Handschuhe trage?“
„Ich schlage vor, dass ich das für uns beide übernehme.“
„Sie sind sich Ihrer Sache sehr sicher, nicht wahr?
„Ich glaube, dass ich uns beide davor bewahren kann, über Bord zu gehen.“ Als sie den Kopf herumdrehte, um einen Blick auf seine Schultern, Brust und Arme zu werfen, und rot wurde, wusste er, dass sie ihn schließlich als Mann betrachtete und nicht nur als Retter vor dem Ertrinken.
Lindsay ließ den Blick weiter nach unten bis zu seinen Füßen wandern und schluckte. „Vermutlich können Sie das“, sagte sie mit belegter Stimme.
Fast hätte Mike jetzt mit ihr geflirtet. Aber plötzlich schlingerte die Fähre wieder, und er war froh, dass er sich an der Reling festhielt. Sie wankte jedoch. Einen Moment glaubte er, dass sie hinfiele. Ohne nachzudenken, trat er vor sie und packte sie. Ihre Hüften prallten aneinander. Ihre Brüste rieben über seine Brust. Er schnappte nach Luft. Als ihm ihre Haare ins Gesicht fielen, deren blumiger Duft ihn einhüllte. Diese Frau verdrehte ihm definitiv den Kopf.
„Hoppla!“, murmelte sie.
„Ich halte Sie.“ Er legte ihr eine Hand auf die Schulter, drehte den Rücken in den Wind, um sie zu schützen, und blieb dicht vor ihr stehen. Allerdings legte er etwas Abstand ein. So gut es sich angefühlt hatte, ihren Körper an seinem zu spüren, wollte er nicht, dass sie bemerkte, wie scharf er auf sie war. „Ich sorge dafür, dass Sie nicht über Bord gehen. Jetzt sind die Handschuhe an der Reihe.“ Er nahm eine ihrer schmalen, kalten Hände und streifte einen der Handschuhe darüber.
Mike zwang sich zu ignorieren, wie gern er sie küssen wollte und dass ihr Gesicht mit den hohen Wangenknochen herzförmig war. Als er ihr beide Handschuhe angezogen hatte, trat sie noch ein bisschen näher, als wenn sie den Schutz seines Körpers suchte. Er holte tief Luft und nahm ihren sehr reizvollen femininen Duft wahr. Nett, sehr nett.
„Wie lange leben Sie denn schon auf Wild Boar?“, fragte Lindsey.
„Seit ein paar Monaten.“
„Und wie ist das Inselleben so?“
In Gedanken verglich er die fast unheimlich stillen Abende auf Wild Boar mit dem vor Leben sprühenden, lauten und schmutzigen Chicago. „Es ist anders.“
„Offenbar haben Sie sich schon gut eingelebt, wenn sie den Klatsch über die neue Lehrerin erzählt bekommen.“
„Vielleicht. Vielleicht haben mir die Leute das aber auch deshalb erzählt, weil wir beide ledig sind und sie uns verkuppeln wollen.“
Ihr blieb der Mund offen stehen. „Sie wollen was?“
„Anscheinend hat ihre gute Freundin durchblicken lassen, dass Sie alleinstehend und zu haben sind.“
Lindsey leckte sich die Lippen. „Sie sind also auch alleinstehend?“
Offensichtlich wollte sie nicht interessiert klingen, weil sie nicht hinzugefügt hatte: „Und noch zu haben“. Doch Mike wusste, dass sie interessiert war. Es hatte gefunkt, als er sie einen Moment lang in den Armen gehalten hatte. Die starke gegenseitige Anziehungskraft war nicht zu leugnen.
„Ich bin sehr alleinstehend.“ Er wusste nicht, warum er diese Tatsache derart betonte. Denn in seiner momentanen Situation kam für ihn nicht einmal ein Flirt infrage. Geschweige denn alles, was darüber hinausginge.
„Und jeder dort weiß, dass Sie Single sind?“
„Ja. Genau wie jeder weiß, dass Sie Single sind.“
„Ich kann nicht glauben, dass Callie das jedem erzählt hat.“
„Nun, um fair zu sein, vermute ich, dass sie es nur einer Person erzählt und es erst dann die Runde gemacht hat.“ So war das eben in einer Kleinstadt. Als er zu seinem Vorstellungsgespräch hergekommen war, hatte er gewiss nicht publik gemacht, dass er ledig war. Dennoch hatten es alle Insulaner gewusst, als er den neuen Job angetreten hatte.
Mike hasste den Umstand, dass man auf Wild Boar keinerlei Privatsphäre hatte, und beabsichtigte nicht, den Klatschmäulern neues Futter zu geben. Deshalb musste er ein geordnetes und langweiliges Leben führen. „Wenn das ein Trost für Sie ist: Sie sind nicht die Einzige, über die getratscht wird“, fuhr er fort. „Seit ich hier bin, haben sämtliche alleinstehenden Frauen jeden Alters jeden Tag entweder mit Kuchen, Keksen oder mit irgendeinem Auflauf vor meiner Tür gestanden.“
„Hat es funktioniert?“
„Bislang habe ich mich noch nicht ködern lassen.“
Lindsey verdrehte die Augen und zeigte auf den unruhigen See. „Können Sie mir bitte alles ersparen, was mit Wasser, Schiffen oder Fischen zu tun hat?“
Mike lachte. Verdammt, ihm gefiel ihr trockener Humor.
„Mal sehen, was die alleinstehenden Männer auf der Insel mir vorbeibringen“, überlegte sie laut. „Selbstgebackene Kuchen und Kekse vermutlich nicht.“
„Vielleicht bekommen Sie Büchsen mit gebackenen Bohnen. Oder Motorenöl.“
„Sie haben recht. Das ist die Kleinstadthölle.“
„Als Hölle würde ich dieses Kleinstadtleben nicht bezeichnen. Es gleicht eher einem Schrank mit achtzehnhundert Leuten, in dem man klaustrophobische Zustände bekommt. Klingt das nicht verlockend?“ Ich wollte hierherkommen und neu anfangen.
Ja, er hatte es kaum erwarten können, Chicago und seinem Job beim Kriminaldezernat den Rücken zu kehren. Nach acht Jahren hätte er dort die Karriereleiter weiter erklimmen können. Doch als auf einer winzigen Insel im Nirgendwo ein Polizeichef gesucht worden war, hatte er die Gelegenheit sofort ergriffen. Er war nicht sicher gewesen, was er wollte oder wohin er sich aufmachte. Aber nachdem er mindestens dreimal bei Schusswechseln in Lebensgefahr geraten und ihm zuletzt mit einem Messer der Hals aufgeschlitzt worden war, hatte er fortgehen müssen, um nicht den Verstand zu verlieren.
Auch seine Eltern hatten ihn angefleht, sich einen sichereren Job zu suchen. Natürlich hatten sie nicht gewollt, dass er deswegen so weit fortginge. Mike war der erste Santori seiner Generation, der tatsächlich aus Illinois weggezogen war. Aber da seine Eltern bald ihr erstes Enkelkind bekämen – dank seinem Bruder Leo und dessen neuer Ehefrau –, kreisten ihre Gedanken wahrscheinlich nicht ständig um ihn.
Außerdem war er noch in der Probezeit. Er hatte eingewilligt, den Job für mindestens sechs Monate zu übernehmen. Dann könnten entweder er oder die Dienststelle sich neu entscheiden. Er hatte sich oft gefragt, ob er den größten Fehler seines Lebens gemacht hatte. Aber er wollte die Probezeit durchstehen, um dann zu sehen, wie es für ihn weiterginge.
Den Gedanken, zum Kriminaldezernat in Chicago zurückzukehren, konnte er nicht ertragen. Dort hatte er nicht wirklich etwas bewegen können. Auf Wild Boar trug er zumindest in kleinem Rahmen dazu bei, die Welt ein bisschen besser zu machen. In Chicago hingegen hatte er lediglich sein Leben retten können – und das war an jedem verdammten Tag ein Kampf gewesen. Dabei hatte er den Mut und die Motivation verloren. Täglich hatte er die gleichen brutalen Verbrechen, dieselbe Ignoranz, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung gesehen.
Auf Wild Boar kannte jeder jeden. Nachbarschaftshilfe wurde großgeschrieben, und es ging ruhig und friedlich zu. Zugegebenermaßen gefiel es ihm dort noch nicht so gut. Dafür war er zu sehr ein Sohn Chicagos. Dennoch hoffte er, dass er eines Tages beim Aufwachen feststellte, zu einem wirklichen Insulaner geworden zu sein, der einige – oder zwanzig – Jahre dort bleiben wollte.
Manchmal stellte Mike sich sogar vor, eine dieser netten, Kuchen backenden Frauen zu bitten, mit ihm auszugehen. Vielleicht heiratete er, gründete eine Familie und kaufte ein Eigenheim mit Garten. Eine nette Insulanerin machte so ein Leben – im Gegensatz zu seiner letzten Freundin – wahrscheinlich glücklich. Er konnte nicht leugnen, dass ein Teil von ihm diese Vorstellung ebenfalls reizvoll fand. Ein anderer Teil wollte natürlich sofort über die Reling springen und zurück zum Festland schwimmen.
Nein. Ich harre aus. Er musste sich einfach nur bedeckt halten, seinen Job erledigen und herausfinden, was er wirklich wollte. Er brauchte definitiv keine Komplikationen wie romantische Verwicklungen, die diese Entscheidungsfindung erschwerten.
„Diese Kupplerinnen auf der Insel haben also vermutlich großen Einfluss?“, erkundigte Lindsey sich.
„Oh ja.“
„Hören Sie, Mike, ich werde nur für kurze Zeit dort sein und suche nicht nach …“
Er ging davon aus, dass sie ihm eine freundliche Abfuhr erteilen wollte, und hob die Hand, um sie zu stoppen. „Ich habe gesagt, dass die Klatschmäuler uns verkuppeln wollen – nicht, dass ich es will. Vor mir sind Sie völlig sicher.“ Als sie erstarrte, wurde ihm bewusst, dass er sie beleidigt haben könnte. Verdammt. Er sollte doch daran gewöhnt sein, mit solchen Situationen umzugehen. Auch die Familie Santori hatte ständig versucht, ihn zu verkuppeln, wenn er keine Freundin gehabt hatte.
Allerdings konnte er sich nicht erinnern, dass ihm seine Mutter, Tanten und Cousinen jemals eine Frau vorgestellt hatten, die so leuchtend rote Haare oder so glitzernde smaragdgrüne Augen oder einen so sinnlichen Mund gehabt hatte. „Verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist nur so, dass Sie …“
„Es ist okay“, meinte Lindsey achselzuckend und nickte verständnisvoll. „Sie sind homosexuell. Kein Problem.“
Ihm fiel die Kinnlade herunter. „Ich bin was?“
„Äh … Sie sind nicht homosexuell?“
„Definitiv nicht.“ Mike war zwischen Entsetzen und Belustigung hin- und hergerissen. „Mache ich wirklich den Eindruck auf Sie, dass ich es bin?“
„Nein, das tun Sie nicht“, erwiderte Lindsey verlegen. „Es tut mir wirklich leid. Das war unbedacht. Es war nur so, dass Sie gesagt haben, ich wäre vor Ihnen sicher. Und dass Sie Single und zu haben sind und dass jede ungebundene Frau in der Stadt Ihnen Avancen macht. Daher habe ich angenommen …“
„Die Annahme war falsch. Ich bin momentan einfach nicht interessiert. Auf dieser winzigen Insel hat man keinerlei Privatsphäre. Und ich habe einen neuen Job. Ich versuche, mit dem neuen Leben zurechtzukommen, das ich mir ausgesucht habe. Dabei kann ich mir keine Ablenkung leisten.“ Dennoch konnte er sich sehr gut vorstellen, sich von dieser heißen Frau ablenken zu lassen.
Vergiss es. Er hatte sich gerade erst die Finger verbrannt. Eine Frau, mit der es ihm ernst gewesen war, hatte ihren Spitzenjob bei einer Bank ihm vorgezogen, noch bevor er entschieden hatte, Chicago zu verlassen. Sie hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass ein Mann mit einer Waffe und einer gerade genähten Schnittwunde an der Kehle nicht auf ihre noblen Cocktailpartys und Unternehmensveranstaltungen passte.
„Es schmerzt mich, Ihnen das eröffnen zu müssen“, fuhr Mike fort, „aber wenn wie beide auch nur zusammen einen Kaffee trinken gingen, wären wir schon Futter für die Gerüchteküche.“
„Verstehe. Und dito. Ich bin ebenfalls nicht an irgendwelchen Komplikationen interessiert.“
„Gut. Dann ist das kein Problem.“ Sie verstanden sich. Das war gut. Perfekt. Sie gingen nachbarschaftlich und freundlich miteinander um. Sonst nichts. Etwas in ihm rebellierte dagegen. Aber er unterdrückte den Impuls. Er musste vernünftig sein.
Sie waren jetzt nicht mehr weit von der Insel entfernt. Wie erwartet wurde die Überfahrt durch die starken Strömungen wieder stürmisch. Lindsey verlor das Gleichgewicht, stolperte und stieß einen erschreckten Schrei aus, als sie auf ihn fiel. Zum Glück stand er da, sonst hätte sie tatsächlich über die Reling stürzen können. Stattdessen fing er sie auf und hielt sie fest.
Das war knapp gewesen. Sie schnappten beide nach Luft. Mike auch deshalb, weil sie ihm so nah war. Er hielt sie tatsächlich in den Armen. Der Körperkontakt elektrisierte ihn. Trotz der Kälte, der schlingernden Fähre und dem flauen Gefühl im Magen stand er völlig unter Strom.
Er sah in ihre großen grünen Augen und spürte ihre weichen, weiblichen Rundungen. Schlagartig wurde ihm klar, dass die rothaarige Schönheit in der Tat eine Komplikation für ihn darstellte. Eine sehr ernsthafte Komplikation.
Seit Callie geheiratet hatte und auf die Insel gezogen war, hatte Lindsey versprochen, sie zu besuchen. Doch immer war ihr die Arbeit dazwischengekommen. Mal ein Stipendium, dann ein prestigeträchtiger Forschungsaufenthalt im Ausland. Zudem hatte sie während der letzten beiden Sommer siebzig statt fünfzig Stunden in der Woche arbeiten müssen, weil jeweils einer der Partner der Gemeinschaftspraxis in den Urlaub gefahren war. Daher hatte sie bisher noch nicht einmal Callies Ehemann Billy kennengelernt.
Doch jetzt hielt sie nichts mehr auf. Ihre beste Freundin brauchte sie, und sie enttäuschte Callie nicht. Sie kannten sich seit der Vorschulklasse, kamen beide aus armen Elternhäusern und hatten allen getrotzt, die deswegen auf sie herabgeschaut hatten. Doch während Callies Eltern alles für ihre Tochter getan hatten, war Lindsey von ihren Eltern vernachlässigt worden.
Dennoch waren Callie und sie während der Highschool unzertrennlich gewesen. Danach war Lindsey entschlossen gewesen, ihrem sogenannten Heim den Rücken zu kehren und irgendwo anders hinzugehen. Mit ausgezeichneten Noten und eisernem Willen hatte sie es geschafft, an einer der Eliteunis im Nordwesten der USA zu studieren. Sie hatte hart gearbeitet und sich durch nichts von ihren Zielen ablenken lassen.
Ihre Eltern katten keinen Anteil an ihrem Erfolg genommen. Ihr Vater hatte schon vor über zehn Jahre die Familie sitzenlassen. Ihre Mutter war gestorben, als Lindsey zwanzig Jahre alt gewesen war. Doch Callie hatte von der Heimat aus jeden ihrer Schritte mitverfolgt– selbst wenn sie nur per Telefon in Verbindung gestanden hatten. Sie waren wie Schwestern.
Wenn Callies Baby nicht zehn Wochen zu früh geboren wäre, hätte sie wie geplant im Sommer Mutterschaftsurlaub machen können. Doch jetzt fehlte sie die letzten zwei Monate des Schuljahres. Die Schulleitung hatte Panik bekommen, weil kein geeigneter Lehrer bereit war, für so kurze Zeit auf die Insel zu ziehen. Also hatten sie in Betracht gezogen, eine Vollzeitvertretung zu engagieren und für Callie im nächsten Schuljahr eine andere Position zu finden.
Daher hatte sich ihre Freundin, die bereits um die Gesundheit ihres Sohnes bangte, auch noch Sorgen um ihren Job machen müssen. Lindsey wollte ihr helfen und hatte durch ihre unfreiwillige Beurlaubung jetzt auch die Zeit, kurzfristig für sie einzuspringen. Der Schulleitung hatte der Nachweis des Bachelor-Abschlusses auf der Johns-Hopkins-Universität in den Hauptfächern Biologie und Chemie gereicht, um ihr den Job zu geben. Ihren Doktortitel hatte Lindsey nicht einmal erwähnt.
Erst danach war ihr bewusst geworden, dass Wild Boar momentan auch die beste Lösung für sie sein könnte. Die abgelegene, winzige Insel verfügte über Internet-Zugang und TV-Empfang. Aber soweit Callie wusste, redete dort niemand über Dr. Lindsay Smith und ihre „Hirngasmen“. Die Schulleitung hatte sich beim telefonischen Bewerbungsgespräch nicht einmal erkundigt, warum sie derzeit arbeitslos war. Vermutlich wollten sie einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen.
Es konnte also sehr gut sein, dass Lindsey einen Ort gefunden hatte, an dem niemand über sie lachte oder tuschelte. Sie war es so leid, Opfer der skandalheischenden Boulevardmedien zu sein. In den nächsten Wochen könnte sie also nicht nur ihrer liebsten Freundin helfen, sondern auch untertauchen. Zudem hätte sie genug zu tun, um ihren beruflichen Stress und Ärger zumindest zeitweise zu vergessen. So gesehen kam ihr die Insel geradezu paradiesisch vor.
Zumindest bis sie über die holprige Schotterstraße fuhr, die vom Anlegeplatz der Fähre wegführte. Sie hatte von ihrer Vermieterin – Callie hatte sie ihr vermittelt – am Telefon eine Wegbeschreibung erhalten und nicht geglaubt, sich auf diesem kleinen Fleck Erde verfahren zu können. Aber nach Straßen- oder Hinweisschildern hielt sie vergeblich Ausschau.
Ihr Handy klingelte. Es war ihre Freundin. Lindsey meldete sich via Freisprechanlage. „Callie, worauf habe ich mich da nur eingelassen?“
„Gib der Insel eine Chance – sie wird dir ans Herz wachsen.“
„Wie geht es dir? Du hörst dich müde an.“
„Gut. Schlafen frischgebackene Mütter jemals genug? Selbst diejenigen, die nachts nicht aufstehen müssen, um ihr Baby zu stillen?“ Sie schniefte.
Lindsey wusste, wie gern Callie ihr Baby im Arm halten würde. „Das steht nur zu bald auf dem Programm. Jetzt ruhst du dich aus. Du brauchst deine Energie, wenn dein Sohn nach Hause kommt.
„Wie war die Überfahrt mit der Fähre?“
„Scheußlich. Eine Qual.“ Um ihre Freundin abzulenken, fügte sie hinzu: „Aber ich habe einen Mann getroffen, der aussieht wie ein Engel. Oder wie ein sexy Teufel. Das wäre vielleicht der bessere Vergleich.“ Mit den zerzausten braunen Haaren, den braunen Augen, dem markanten Kinn und dem kraftvollen Körper war Mike unglaublich verführerisch. Obwohl sie 1,74 m groß war, hatte er sie überragt. Und sein sinnlicher Mund war einfach perfekt. Zweifellos sah er keineswegs wie ein unschuldiger Engel, sondern wie die personifizierte Sünde aus.
„Oh! Erzähl schon!“
„Dieser superheiße braunhaarige Mann war auch auf der Fähre und hat mir das Leben gerettet.“
„Bist du über Bord gegangen?“, kreischte Callie.
„Nein“, meinte Lindsey. „Aber ich habe definitiv in Betracht gezogen, selbst zu springen.“
„Das kann ich nachvollziehen. Wie heißt der Mann?“
„Mike.“
„Nachname?“
„Keine Ahnung.“
„Hm. Mike. Braune Haare. Adonis. Bei mir klingelt es nicht. Warum hast du nicht nach seinem Nachnamen gefragt?“, fragte Callie missbilligend. „Oder zumindest wilden, animalischen Sex mit ihm geplant?“
„Er ist so schnell von der Fähre verschwunden, dass ich keine Chance dazu hatte.“ Er hatte einen Anruf erhalten, als die Fähre angelegt hatte. Offensichtlich hatte es sich um eine ernste Angelegenheit gehandelt. Er hatte sich mit dem Hinweis verabschiedet, dass sie sich bald wiedersähen. Dann war er zu seinem SUV gegangen, der auf dem Parkplatz gestanden hatte.
„Erzähl mir mehr“, bat Callie. „Er sieht blendend aus. Was noch?“
„Er ist witzig, schlagfertig und hat ein wahnsinnig sexy Lächeln – Grübchen inklusive.“ Lindsay verstummte, als ihr bewusst wurde, dass sie von einem praktisch Fremden schwärmte. Im Geist hörte sie jedoch nicht auf, Mikes Qualitäten aufzuzählen. Wie seinen Charme und seinen Beschützerinstinkt – sie hatte ihm wirklich geglaubt, dass er sie rettete, wenn sie über Bord ginge.
Außerdem hatte er eine tolle, angenehm raue Stimme und ein warmes Lachen. Von den breiten Schultern, der muskulösen Brust und den starken Armen ganz zu schweigen. Meine Güte, das Gesamtpaket war eine Wucht. Wie hätte sie die körperliche Anziehungskraft nicht bemerken können, nachdem er sie aufgefangen und in seinen Armen gehalten hatte? Sie hatte Herzklopfen bekommen.
Es war verrückt, dass sie derart an ihm interessiert war. Schließlich hatte sie vor Jahren entschieden, keinen Mann zu nah an sich heranzulassen. Sex war in Ordnung – den hatte sie gelegentlich. Doch sie überlegte nie, wie anständig oder fürsorglich oder liebenswürdig ein Mann war. Sie war in ihrem Leben nicht vielen Männern begegnet, die diese Qualitäten aufwiesen. Also hatte sie nie mehr danach Ausschau gehalten. So ersparte sie sich eine Enttäuschung. Seltsam, dass ein fast Fremder zumindest oberflächlich betrachtet all diese Eigenschaften besaß.
„Also ist er die Dr. Smith- Methode wert, hm?“
Lindsey kicherte. Callie war wahrscheinlich die einzige Person, die sie wegen dieser ganzen Sache mit dem durch mentale Stimulation hervorgerufenen Orgasmus necken durfte. „Definitiv.“
„Weißt du, wenn du die Fähigkeit eines Mannes erforscht hättest, nur durch Kopfkino zu ejakulieren, hättest du einen Batzen Geld für eine weitere Studie zu dem Thema erhalten“, meinte sie entrüstet.
„Stattdessen habe ich es zu einer Quizfrage bei Jeopardy! und Witzen im Internet gebracht. Aber meine zweimonatige Auszeit sollte reichen, um dem Gerede ein Ende zu machen. Wenn ich hier unerkannt bleibe, nehmen mich meine Chefs vielleicht wieder in Gnade auf und ich kann meinen Beruf weiter ausüben und meinen guten Ruf zurückerlangen.“
„Das sind alles Dilettanten“, erklärte Callie. „Aber jetzt muss ich Schluss machen. Billy und ich fahren gleich ins Krankenhaus.“
Lindsay wünschte ihrer Freundin einen schönen Tag und konzentrierte sich wieder auf den Weg. Sie machte sich nicht länger Gedanken über ihre beruflichen Probleme. Genauso wenig dächte sie an einen sexy, italienisch aussehenden Prachtkerl mit einem tollen Körper und dem umwerfenden Lächeln.
Sie bog rechts zur Südseite der Insel ab. Callie hatte ihr gesagt, dass es im Norden ein blühendes Geschäftsviertel gäbe. Sie wettete, dass es aus einem Gemischtwarenladen und insgesamt drei Restaurants bestand. Diesen Vergnügungsausflug sparte sie sich für morgen auf. Denn sie musste auch die Schule ausfindig machen, an der sie am Montag zu unterrichten anfing. Im Moment wollte sie nur in ihrem neuen Heim ankommen, auspacken und sich hinlegen, weil ihr noch immer ein wenig übel war.
Die Straße teilte sich. Lindsey warf einen Blick auf den Zettel, auf dem sie die Wegbeschreibung ihrer Vermieterin notiert hatte. Leider konnte sie ihre Handschrift kaum entziffern. Sollte sie sich rechts oder links halten? Aber die Insel war klein. Selbst wenn sie falsch abböge, könnte bestimmt jemand sie in die richtige Richtung schicken. Laut Mike wusste jeder Insulaner, dass sie kam und wo sie wohnte.
Sie nahm die linke Straßengabelung. Erneut sah sie auf den Zettel, um den Namen der Straße zu erfahren, in die sie als Nächstes einbiegen müsste. Doch noch bevor sie bemerkte, dass jemand hinter ihr war, hörte sie eine Polizeisirene hinter sich aufheulen. „Verdammt.“ Sie warf einen Blick in den Rückspiegel. Ein großes dunkles Fahrzeug mit Tatütata und Blaulicht folgte ihr. Offenbar war die Polizei hinter ihr her.
Sie fuhr an den Rand der schmalen Straße, holte ihren Führerschein aus der Brieftasche, kurbelte das Fenster herunter und wartete. „Mein neues Leben fängt ja gut an“, murmelte sie. „Kann es an diesem Tag noch schlimmer kommen?“
„Kommt darauf an, wie Ihr Tag bisher verlaufen ist.“
Lindsey drehte den Kopf dem Mann zu, der direkt neben ihrem Auto stand. Es war derselbe Mann, den sie gerade mit einem Engel und einem sexy Teufel verglichen hatte. Mike. Allem Anschein nach war er Gesetzeshüter.
„So sieht man sich wieder.“
„Bitte sagen Sie mir, dass die Sirene und das Blaulicht nur Attrappen und Sie nicht wirklich Polizist sind.“
„Wäre es Ihnen lieber, wenn ich ein Serienkiller wäre, der sich als Polizist ausgibt, um arglose Opfer in die Falle zu locken?“
„Das ist überhaupt nicht komisch.“
„Verzeihung.“
Ihr Prius war so flach, dass ihr Blick direkt auf die in eine Khakihose verpackte Körperregion fiel, die ihr den Puls in die Höhe trieb. Daher lehnte sich Lindsey aus dem Fenster, um zu ihm hochzusehen. „Sie sind wirklich Polizist?“
„Mike Santori, Polizeichef auf Wild Boar, zu Ihren Diensten.“
Santori. Ein italienischer Name. Also hatte sie richtig vermutet. Sie hatte schon immer so eine Schwäche für italienische Männer gehabt. Die dunklen Haare, die Energie, das gute Aussehen, das Macho-Gehabe. Potent. Natürlich ließ sie sich selten mit Machos ein. Nur wenige von ihnen akzeptierten, wenn Frauen in der Beziehung den Ton angaben. Und darauf verzichtete sie auch nicht für einen gut bestückten, muskulösen Kerl.
Zudem sprach gegen Mike, dass er so nett war. Solche Männer erwarteten, dass Lindsey Gefühle für sie entwickelte und ihnen vertraute. Auch das kam nicht für sie infrage. Denn dann erwartete sie das ebenfalls nicht von ihnen. Es war sicherer so. Er könnte es wert sein. Vielleicht. Und wenn sie ihn nur wegen seines Sexappeals anziehend fände, zöge sie vielleicht ernsthaft in Betracht, ihn besser kennenzulernen.
Doch sie war hier, um unterzutauchen, ihrer Freundin zu helfen und einen Job zu erledigen. Ein Mann war in ihrem Plan nicht vorgesehen. Insbesondere kein Mann, der heldenhaft, fürsorglich, geistreich, witzig und damit ganz anders war als die Männer, mit denen man ins Bett gehen – und sie dann vergessen – konnte. Nur auf diese Sorte Männer ließ sie sich ein. Mike war definitiv tabu.
Und wenn sie sich das lange genug sagte, glaubte sie es vielleicht irgendwann und hörte auf sich zu fragen, wie es wäre, seine Hände auf ihrem Körper zu spüren und von ihm geküsst zu werden. Am besten fuhr sie so schnell wie möglich weiter. „Hier.“ Sie hielt ihm ihren Führerschein hin.
„Lindsey Smith“, las er vor und gab ihr den Führerschein zurück, obwohl er kaum einen Blick darauf geworfen hatte. „Ich glaube, den brauche ich nicht.“
Hm. Das klang nicht, als wenn es sich um eine seriöse Verkehrskontrolle handelte. Sie wurde wütend. Heiß und sexy oder nicht – Leute, die ihre Autorität für ihre eigenen Zwecke missbrauchten, standen bei ihr nicht hoch im Kurs. Aber bevor sie voreilige Schlüsse zog, fand sie besser. Zuerst fände sie heraus, was er wirklich wollte. „Sind Sie mir gefolgt?“
„Nicht absichtlich“, meinte Mike. „Ich hatte einen dringenden Anruf bekommen – ein Kind wurde vermisst – und bin deshalb so schnell von der Fähre verschwunden.“
„Was ist passiert?“
„Es hat sich herausgestellt, dass der Junge beim Ballspielen heute Morgen eine Fensterscheibe zerbrochen und sich deshalb im Baumhaus im Garten versteckt hat. Seine Mom hat ihn gefunden, kurz nachdem sie bei der Polizei angerufen hatte.“
„Das ist der beste Ausgang.“
„Nicht für den Jungen. Wahrscheinlich muss er einen Monat lang auf seine Videospiele verzichten.“
Lindsey war froh, dass er eine Prügelstrafe nicht einmal in Erwägung zog, was ein Reizthema für sie war. Denn in ihrem Beruf hatte sie mit vielen Menschen zu tun, die durch körperliche Misshandlungen traumatisiert waren. Dennoch bestätigte sich hier erneut ihr Eindruck, dass Mike ein guter Mann war.
Verdammt, warum konnte sie ihn nicht einfach nur als heißen Prachtkerl sehen? Spekulationen darüber, dass er nett, anständig oder vertrauenswürdig war, brachten sie nicht weiter. Doch immerhin hielten solche Überlegungen sie davon ab, der Anziehung wider besseres Wissen nachzugeben.
„Jedenfalls hat die Mutter Entwarnung gegeben, noch bevor ich in der Stadt war.“
„Also sind Sie zur Fähre zurückgekehrt, um sich zu vergewissern, dass ich nicht beim Gang über den Landungssteg über Bord gegangen bin?“
„Nein. Ich habe nur zufällig ihren gelben Prius im Rückspiegel in diese Richtung fahren sehen und bin Ihnen gefolgt, um Sie zu stoppen.“
„Dürfen Sie das überhaupt, wenn Sie nicht im Dienst sind?“, fragte Lindsey.
„Wie kommen Sie darauf, dass ich nicht im Dienst bin?“
„Sie tragen keine Uniform.“
Grinsend zog Mike langsam den Reißverschluss der dicken Windjacke herunter. Auf der Brusttasche des khakifarbenen Uniformhemdes prangte das Dienstabzeichen. „Und jetzt sagen Sie mir bitte, Lindsey Smith, warum regt es Sie so auf, dass ich Sie habe anhalten lassen?“
Ja, warum eigentlich? Sie war nicht zu schnell gefahren. Das war auf diesen Straßen überhaupt nicht möglich. Hatte er sie nur wiedersehen wollen? Ein Prickeln erfasste sie. Sie hatte gespürt, dass auch er die starke Anziehungskraft zwischen ihnen bemerkt hatte, Dass er schwul sein könnte, hatte sie keine Sekunde lang geglaubt.
Vielleicht wollte er mit seinem Gerede, nicht an Frauen oder Beziehungen interessiert zu sein, nur sein großes Interesse verbergen. Vielleicht hatte er ihr Auto wiedererkannt und war dem verrückten Impuls gefolgt, sie anzuhalten und sich mit ihr zu verabreden. Auf einen Drink. Oder zu einem Spaziergang am Strand. Oder um im nächsten Bett wilden, animalischen Sex zu haben. Bleib ganz ruhig, Lindsey.
Ich bin nicht interessiert! Okay, das stimmte nicht. Welche Frau riskierte bei einem so heißen Mann nicht einen Blick? Oder auch zwei? Aber erstens war er nicht ihr Typ und zweitens wollte sie auf Wild Boar keinesfalls auffallen. Wie sollten die Leute ihre angebliche Fixierung auf Orgasmen vergessen, wenn der Polizeichef der Insel sie zu einem Orgasmus nach dem anderen brachte? Obwohl das bestimmt jede Menge Spaß machte.
„Ich rege mich nicht auf“, antwortete sie schließlich. „Ich bin nur überrascht, dass Sie auf der Fähre nicht erwähnt haben, Wild Boars oberster Ordnungshüter zu sein. Also, kommen Sie schon – warum haben Sie mich angehalten? Konnten Sie einfach nicht widerstehen, mir zu folgen?“, flirtete sie trotz ihrer guten Absichten ein bisschen mit ihm.
Mike nickte langsam. „Sie haben mich durchschaut. Ich konnte nicht anders, als Ihnen zu folgen.“
Lindsey schluckte. Sie wünschte, nicht etwas angefangen zu haben, das sie nicht beenden könnte. Aber sie konnte einfach nicht widerstehen. „Es sind die Haare, nicht wahr?“ Sie gaukelte ihm einen Seufzer vor. „Ja, es ist meine Naturhaarfarbe.“
Er beugte sich zu ihr hinunter und legte den Unterarm auf das Fenster. Jetzt konnte sie seine dunklen, verträumten Augen betrachten, die von den längsten Wimpern eingerahmt waren, die sie jemals bei einem Mann gesehen hatte.
Auch er musterte sie. „Es sind nicht die Haare. Aber danke, dass Sie mich aufgeklärt haben. Es sind auch nicht Ihre schönen Augen.“
Sie leckte sich die Lippen. Ihr gefiel es, dass er sie so eingehend in Augenschein nahm, als wollte er sich ihre Gesichtszüge einprägen. „Sondern?“
„Zweierlei. Erstens haben Sie meine Handschuhe.“