Vladimir Pavic
Der Schauspieler im Maelström
Ein Arbeitstagebuch über die Inszenierung "Diener zweier Herren", Regie: Hansgünther Heyme (2001)
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Über den Autor
Vorwort
Einleitung
Ich im Wirbel der Inszenierung „Diener zweier Herren“
Die Masse der ersten Eindrücke
Die Bewegung beginnt
Die Probenphase
Der Sturm
Der Sog im Wirbel
Die Aufführungen
Die Vorstellungen in Luxemburg
Die Vorstellungen in Recklinghausen
Ziel ist „das Auge“
(Und kein) Ende
Ein Nachwort von Prof. Gerhard Neubauer
Bilder der Inszenierung „Diener zweier Herren“
Geometrische Herleitung des „Goldenen Schnittes“ von Pythagoras
Zeitungskritiken
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Dank
Impressum neobooks
Vladimir Pavic tobte sich zunächst auf sämtlichen Fußballplätzen seiner Münchner Heimat aus, während er gleichzeitig das musische Pestalozzi-Gymnasium besuchte. Nach dem Abitur bildete er sich ein, für seine weitaus talentierteren Musiker-Freunde Konzerte veranstalten zu müssen und ging baden. Das daraus resultierende Trauma versuchte er mit einem Marketingstudium zu kompensieren. Da ihn ebendort, wie auch damals auf den Fußballplätzen, dem Schulhof und den Podien der Konzerthäuser die meisten Leute einen „Schauspieler“ schimpften, dachte er nach und zog es – grade noch rechtzeitig - vor, mit reifen 25 Jahren, die Kurve zu kratzen und Schauspiel in Leipzig zu studieren. Seither ist Vladimir Pavic als zuverlässiger Argonaut in Deutschlands Theater- und Filmlandschaft stets auf der Suche nach dem „Goldenen Vlies“. Und manchmal...
Der Schauspieler Vladimir Pavic wurde im Jahre 2001 als Student des vierten Studienjahres der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy” Leipzig für seine erste große freie Produktion außerhalb des Studiums engagiert. In der Rolle des Florindo wirkte er, in einer Produktion des Théâtre National du Luxembourg und der Ruhrfestspiele Recklinghausen, an der Inszenierung „Diener zweier Herren“ von Carlo Goldoni unter der Regie von Hansgünther Heyme mit.
Seine Erfahrungen aus der Probenzeit und den folgenden Gastspielen hat er in seiner Diplomarbeit niedergeschrieben. Tagebuchartig und aus einem sehr persönlichen Blickwinkel verfasst der Autor einen Erlebnis- und Genese-Bericht, der vor allem für werdende und „suchende” Schauspieler von Interesse sein dürfte:
Welche Erwartungen und Zielsetzungen hat man nach vier Jahren des Studiums an die erste „freie” Produktion? Wo liegen die individuellen Schwerpunkte? Decken sich Erwartungshaltung und Arbeits- bzw. Bühnenrealität? Kann man die an der Schauspielschule vermittelte Methodik anwenden oder weiterentwickeln? Wie entsteht eine Figur? Welche Quellen der Inspiration kann man nutzen? Arbeitet man, konkret in dieser Produktion, von innen nach außen - oder umgekehrt? Wie beeinflussen Regisseur, Spielpartner, Bühne, Kostüm und auch das Publikum das eigene Spiel? In welchem Gleichgewicht stehen Bühnen-Denken und -Empfinden zueinander? Wie fasst man die Arbeits- und Lernprozesse plastisch in Worte? Was passiert mit einem selbst während eines künstlerischen Schaffensprozesses - oder ist alles nur Handwerk? Und schließlich: Wie geht man als Schauspieler mit den nie ausbleibenden scheinbaren Rückschlägen, Phasen der Verunsicherung und nicht zuletzt auch mit dem Lampenfieber um? Wie überlebt man den Maelström einer Inszenierung?
Im Februar bis Mai 2001 wirkte ich als Schauspieler in der Inszenierung „Diener zweier Herren“ von Carlo Goldoni in der Regie von Hansgünther Heyme mit. Diese Inszenierung fand als Koproduktion des Théâtre National du Luxembourg und der Ruhrfestspiele Recklinghausen statt und kam am 1. April 2001 in Esch/Belval (Luxemburg) und am 13. Mai 2001 in Recklinghausen zur Aufführung.
Die Arbeit mit Hansgünther Heyme wurde die bisher größte Herausforderung meiner künstlerischen Arbeit am Theater. Ich ahnte das und führte während der Probenarbeit ein ausführliches Arbeitstagebuch in der Erwartung, dass es mir für meine anstehende Diplomarbeit nützliche Dienste erweisen würde.
Das erste Zusammentreffen mit Hansgünther Heyme fand auf Initiative unseres Mentors Prof. Gerhard Neubauer im Jahre 1998 statt. In Lausanne besuchte unser Jahrgang Heymes aktuelle Inszenierung „Ion“ von Euripides, und zudem spielten wir ihm vor Ort unsere Monologe vor. Wenige Wochen später leitete er an unserer Schule ein Schiller-Seminar, in dem wir Texte aus dem nahezu unbekannten „Warbeck“-Fragment Friedrich Schillers erarbeiteten. In sieben Tagen eröffnete sich den teilnemenden Studenten eine bis dahin in dieser Intensität nicht gekannte Arbeitsweise. Textarbeit in allen Facetten. Der Sinn, die Gedanken, Sprache und das Sprechen der Textfragmente, vor allem am Tisch hinterfragt, bedingten die Haltungen und Vorgänge auf der Bühne, und diese schienen wie von selbst zu entstehen. Das erste Treffen stand also schon unter einem guten Stern.
Fast zwei Jahre später kam es dann zur Arbeit am „Diener“. Zusammen mit Ingrid Lang, die die Beatrice spielte, Kerstin Lange und Jörg Petzold, besetzt für Clarice und Silvio, fand ich mich in Luxemburg ein, um mit Heyme meine Figur des Florindo zu erarbeiten. Wir vier waren, bis zu diesem Zeitpunkt noch Studenten der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig und an den Schauspielstudios der Theater in Dresden und Weimar engagiert.
Während meiner Tagebucheinträge stellte sich mir immer wieder die gleiche Frage: Wie erlangt man eine gewisse Spielruhe, ein Niveau der Gelassenheit auf der Bühne oder jene Schauspiel-Souverenität, die es einem erlaubt, die „geteilte Aufmerksamkeit“ entstehen zu lassen? Wenn ich genauer nachdenke, war das eigentlich schon ziemlich früh eine wichtige Frage während meiner Ausbildung, aber im „Diener“-Arbeitsprozess kam sie intensiver und häufiger als bisher ins Bewusstsein. Der Regisseur Heyme hat sie jedenfalls in besonderem Maße und, wie ich mir vorstelle, bewusst und lustvoll provoziert.
Als ich mit meinem Mentor Prof. Gerhard Neubauer ein erstes Gespräch zur Diplomarbeit führte und ihm mein Grundproblem schilderte, empfahl er mir die Lektüre der Erzählung „Im Wirbel des Maelström“ von Edgar Allen Poe, in der ein Fischer mit seinem Boot auf der Suche nach reichen Fischfanggründen in einen gewaltigen Meeresstrudel gerät, aus dem er sich nur befreien kann, weil er nicht in Panik verfällt, sondern in gänzlicher Wachheit das ihn umgebende Chaos, bzw. todbringende Phänomen beobachtet und die Funktionsweise des Wirbels erkennt. Die rasche Nutzung dieser Erkenntnis rettet ihm schließlich das Leben.
In meiner vorliegenden Arbeit möchte ich einen Bezug von meinen Erfahrungen aus der „Diener“-Schauspielarbeit zu den Phänomen eines Wirbels herstellen, wie er in Poes Erzählung geschildert wird, wobei ich die zerstörerische Wirkung eines meteorologischen Wirbels (Cyklone, Orkane, Tornados) oder eines todbringenden Meeresstrudels, wie er bei Poe beschrieben wird, hier ausblenden will. Mich interessieren im speziellen die auftretenden Kräfteverhältnisse, die Verwirbelungen im Wirbel, der Sog und, wie sollte es anders sein bei diesem Bild, das Geheimnis um das „Auge“ des Wirbels, die rätselhafte Mitte, in der alles zur Ruhe (?) gelangt.
Bevor ich den Kontext zur Inszenierung oder vielmehr zur Probenarbeit herstelle, möchte ich kurz auf den naturwissenschaftlichen Aspekt eines Wirbels eingehen und mich in einer Definition versuchen: