Verlag C.H.Beck
Was heißt überhaupt Demokratie? Sind Wahlkämpfe Geldverschwendung? Ist die Frauenquote undemokratisch? Was ist wichtiger: Freiheit oder Gleichheit? Nutzt oder schadet das Internet der Demokratie? Paul Nolte, Historiker, Publizist und ausgewiesener Experte für Demokratiefragen, bietet mit diesem Band der Reihe «101 Fragen» eine ebenso kompetente wie handliche Einführung in eines der zentralen Themen der Politik.
Paul Nolte, geb. 1963, ist Professor für Neuere Geschichte mit Schwerpunkt Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin und Präsident der Evangelischen Akademie zu Berlin. Zuletzt erschien von ihm bei C.H.Beck der viel beachtete Band Was ist Demokratie? Geschichte und Gegenwart (2012, bsr 6028).
Statt einer Einleitung
1 Lust auf Demokratie?
2 Oder Demokratiefrust?
I Demokratie macht Staat
3 Was heißt überhaupt Demokratie?
4 Was ist der Unterschied zwischen Demokratie und Republik?
5 Sind Nationen eine Gefahr für die Demokratie?
6 Was ist Gewaltenteilung?
7 Wofür brauchen demokratische Staaten eine Verfassung?
8 Sind Parteien lästig oder unverzichtbar?
9 Muss es eigentlich Regierung und Opposition geben?
10 Müsste eine wahre Demokratie den Staat und jede Herrschaft abschaffen?
II Menschen machen Demokratie
11 Muss man sich für Politik interessieren?
12 Beruht Demokratie auf Volkssouveränität?
13 Warum unterscheidet man in der Politik rechts und links?
14 Was heißt repräsentative Demokratie?
15 Warum trifft sich ein Parlament in zwei Kammern?
16 Wofür brauchen Abgeordnete Diäten?
17 Ist das Verhältniswahlrecht demokratischer als das Mehrheitswahlrecht?
18 Sind Wahlkämpfe überflüssige Geldverschwendung?
19 Muss man noch wählen, wenn Umfragen das Ergebnis schon kennen?
20 Gefährdet eine sinkende Wahlbeteiligung die Demokratie?
III Demokratie hat Geschichte
21 Ist die antike Demokratie heute noch wichtig?
22 Warum gab es im Mittelalter keine Demokratie?
23 Ist England das Mutterland der Demokratie?
24 Wie demokratisch war die Amerikanische Revolution?
25 War die Französische Revolution die Geburtsstunde der modernen Demokratie?
26 Entsteht Demokratie immer in Revolutionen?
27 Wie definierte Abraham Lincoln die Demokratie?
28 Was hat die Arbeiterbewegung zur Demokratie beigetragen?
29 Wieso mussten Frauen so lange um ihre Beteiligung kämpfen?
30 Immer demokratischer, immer besser – eine Fortschrittsgeschichte?
IV Rechte und Freiheiten
31 Menschenrechte, Bürgerrechte, Grundrechte – ist das alles dasselbe?
32 Sind alle Menschen ursprünglich frei und gleich?
33 Ist Staatsbürgerschaft ausgrenzend und nationalistisch?
34 Was ist wichtiger: Freiheit oder Gleichheit?
35 Was ist das wichtigste Grundrecht überhaupt?
36 Welche sozialen Rechte gehören zur Demokratie?
37 Was hat Rechtsstaat mit Demokratie zu tun?
38 Was ist die Tyrannei der Mehrheit?
39 Was ist der Unterschied zwischen Liberalismus und Demokratie?
V Demokratie in Deutschland
40 Gibt es einen deutschen Sonderweg der Demokratiegeschichte?
41 1848: Demokratische Revolution oder Scheitern deutscher Demokratie?
42 War das Kaiserreich ein militaristischer Untertanenstaat?
43 War die Weimarer Republik eine Demokratie ohne Demokraten?
44 Aber die Nationalsozialisten haben sich doch auch auf das Volk berufen?
45 Warum sind Städte und Gemeinden besonders wichtig für die Demokratie?
46 Haben die Alliierten 1945 die Demokratie nach Deutschland gebracht?
47 Was macht Deutschland zur Kanzlerdemokratie?
48 Warum wollte Willy Brandt «mehr Demokratie wagen»?
49 Warum riefen die Demonstranten in Leipzig 1989 «Wir sind das Volk»?
VI Demokratie in Bewegung
50 Ist Demokratie irgendwann «fertig», abgeschlossen?
51 Seit wann gibt es Bürgerprotest und soziale Bewegungen?
52 Welche Demokratie wollten die 68er?
53 Was ist eine Zivilgesellschaft?
54 Gibt es einen Trend zur direkten Demokratie?
55 Sollten Demokraten möglichst alles ausdiskutieren?
56 Was ist anwaltschaftliche Demokratie?
57 Kann man beim Einkaufen etwas für die Demokratie tun?
VII Demokratie – was sonst?
58 Ist Demokratie die schlechteste aller Regierungsformen?
59 Kann es in einer Demokratie einen König geben?
60 Ist die Diktatur noch eine Alternative zur Demokratie?
61 Sollten besser Fachleute und Experten die Politik bestimmen?
62 Was ist Rätedemokratie?
63 Lotterie statt Wahl: Kann das funktionieren?
64 Kann man noch genau sagen, was eine Demokratie ist und was nicht?
VIII Demokratie als Lebensform
65 Ist Demokratie nur ein Prinzip der Politik?
66 Kann man die ganze Gesellschaft demokratisieren?
67 Was ist Wirtschaftsdemokratie?
68 Muss auch die Familie demokratisch organisiert sein?
69 Was hat Transparenz mit Demokratie zu tun?
70 Kann man Demokratie an der Universität studieren?
71 Gibt es eine demokratische Architektur?
72 Ist der 3. Oktober ein Feiertag der Demokratie?
73 Befördert das Internet die Demokratie?
IX Europa, der Westen, die Welt
74 Stand in Europa die Wiege der Demokratie?
75 Hat die Europäische Union ein Demokratiedefizit?
76 Wie demokratisch ist die Welt?
77 Wie westlich ist die Demokratie?
78 Darf man Demokratie in andere Länder exportieren?
79 Ist Demokratie ein universelles Prinzip?
80 Wird China irgendwann demokratisch werden?
81 Sind Islam und Demokratie unverträglich?
82 Wird es in Zukunft eine Weltdemokratie geben?
83 Was ist gute Regierungsführung?
X Schwierige Demokratie
84 Ist der Kapitalismus der Feind der Demokratie?
85 Mit wie viel sozialer Ungleichheit ist Demokratie vereinbar?
86 Muss Lobbyismus verhindert werden?
87 Schaden die Massenmedien der Demokratie?
88 Ist Demokratie «nur Schau», bloßes Theater?
89 Ist die Frauenquote undemokratisch?
90 Was ist so schlimm am Populismus?
91 Können demokratische Gesellschaften gewaltfrei sein?
92 Führen Demokratien niemals Krieg gegeneinander?
XI Hat die Demokratie eine Zukunft?
93 Sind Demokratien zu langsam und unfähig zur nachhaltigen Zukunftsplanung?
94 Wird die Demokratie zur Herrschaft der Alten?
95 Leben wir schon in der Postdemokratie?
96 Wie funktioniert Demokratie in einer Welt ohne Grenzen?
97 Ist Demokratie eine Ideologie?
98 Warum reden alle von Demokratie?
99 Ist die Demokratie eine starke oder schwache Regierungsform?
100 Droht demokratischen Gesellschaften Stagnation und Erstarrung?
101 Wie nennen wir die Demokratie der Zukunft?
Literaturhinweise:
Mehr wissen, weiter denken, vertieft studieren
Bildnachweis
1. Lust auf Demokratie? Kann man sich für Demokratie begeistern, heiße Gefühle entwickeln, sie vielleicht sogar lieben? In dem berühmten Gemälde von Eugène Delacroix führt eine barbusige Frau als Allegorie der Freiheit das Volk auf die Barrikaden der Pariser Julirevolution von 1830 – gewiss eine sehr männliche Sicht auf die Erotik der Freiheit, aber immerhin hat Politik da mit Emotionen zu tun, mit überstürmender Begeisterung und nicht nur mit kalt kontrollierter Vernunft. In der Geschichte und den theoretischen Begründungen von Demokratie spielt der Bezug auf Vernunft immer wieder eine zentrale Rolle. Leidenschaften gelten als gefährlich, es gilt sie zu zügeln, damit ihre Willkür und ihr Egoismus nicht dem sorgsam abgewogenen Gemeinwohl schaden. Wir lernen Demokratie als eine Vernunfttheorie, als Teil der abendländischen Aufklärung und Rationalität, von dem vernünftigen Vertragsschluss bei John Locke (1632–1704) über Immanuel Kants (1724–1804) Appell an den Gebrauch des eigenen Verstandes («sapere aude!») bis zur Demokratietheorie von Jürgen Habermas (geb. 1929) in unserer eigenen Zeit, die auf der Idee vernünftiger Verständigung beruht. Der andere soll durch «gute Gründe» überzeugt statt durch den Überschwang der Gefühle mitgerissen werden.
Die politische Kultur der Deutschen hat ein besonders unfrohes Verhältnis zur Demokratie. Nicht nur die ausgelassene, sondern auch die pathetische Feierlichkeit ist ihnen suspekt, wenn sie auf politische Rituale in Frankreich oder in den USA blicken: auf die Inszenierung der republikanischen Nationalfeiertage, auf das inbrünstige Singen der Nationalhymne. Die Freiheit tritt, auch in ihren Symbolen, im Sturm der Gefühle auf, nicht nur auf den Barrikaden, sondern auch mit Fackel im New Yorker Hafen, oder – das gab es auch in Deutschland, im frühen 19. Jahrhundert – als Freiheitsbaum, um den herum man Feste der Demokratie feierte. Der Maler Norman Rockwell verlieh den vom amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt verkündeten «vier Freiheiten» während des Zweiten Weltkriegs visuellen Ausdruck. Der knusprige Truthahn an der Familientafel signalisierte: Bei so viel Freiheit läuft mir das Wasser im Mund zusammen! Oder die Leidenschaft wird so stark, dass sie das eigene Leben zu opfern bereit ist: «live free or die», wie es im Staatsmotto von New Hampshire seit 1945 heißt.
In Deutschland dagegen hieß der Übergang zur Demokratie, endlich zur Vernunft zu kommen. In der Herrschaft des Nationalsozialismus schien sich der Sieg des Irrationalen auszudrücken und die politische Gefahr unkontrollierter Leidenschaften, von denen sich allzu viele Menschen hatten mitreißen lassen – Bilder des Nürnberger Reichsparteitages oder der Berliner Sportpalastrede von Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 kommen unwillkürlich in den Sinn. Schon am Anfang des 20. Jahrhunderts hatte Max Weber (1864–1920) zwischen «charismatischer» und «rationaler» Herrschaft unterschieden. Zwar gehörte seine eigene Sympathie durchaus solchen demokratischen Politikern, die über Charisma verfügten und Emotionen wecken konnten. Aber nach dem Charismatiker Hitler waren in der frühen Bundesrepublik politische Leidenschaften verpönt. Das demokratische Grundgefühl des westdeutschen Staates war eher die Erleichterung des Überstandenen, und bis heute verknüpft sich die Feier von Demokratie in Deutschland unweigerlich mit der sehr ernsten Erinnerung an die Schrecken der Diktaturen. Demokratische Rituale wie das Wählen vollziehen sich nicht in bunter Volksfeststimmung, sondern in ernster Feierlichkeit, auch wenn sich das frühere Wahlsonntagsritual: nach dem Gottesdienst an die Urne weithin aufgelöst hat.
Dass es auch anders geht, zeigte schon 1965 der Schriftsteller Günter Grass bei seinem Wahlkampfeinsatz für Willy Brandt (1913–1992) und die «Es-Pe-De». Seinen Zuhörern präsentierte er ein «Loblied auf Willy» unter dem Titel «Dich singe ich, Demokratie». Damit knüpfte er an den amerikanischen Dichter Walt Whitman (1819–1892) an, den Grass einen «Lincoln der Sprache» nannte, indem er die Demokratie mit Leidenschaft und ebenso mutig wie humorvoll besungen habe. Etwas Ähnliches wollte Joseph Beuys zur selben Zeit mit seiner politischen Aktionskunst ausdrücken. Wie schon in den 1960er Jahren, erinnern auch am Anfang des 21. Jahrhunderts Künstler wieder häufiger an die expressive und emotionale Qualität von Demokratie. Der kanadische Aktivist und Aktionskünstler Dave Meslin fragt «How does democracy make you feel?» und fordert zum «Flirt mit der Demokratie» über Twitter auf. Man muss ihr gegenüber jedenfalls nicht nur das «Pflichtgefühl» an den Tag legen, das auch Politiker so gern beschwören. Und demokratische Leidenschaften können ein weites Spektrum abdecken, das Freiheitsliebe einschließt, aber auch Empörung, Wut und den gerechten Zorn auf ungerechte Verhältnisse.
2. Oder Demokratiefrust? Demokratieverdruss ist weit verbreitet – als Enttäuschung über mangelnde Leistungen des politischen Systems, als Ärger über korrupte Politiker, als Frustration über die engen Grenzen der eigenen Wirksamkeit: «die da oben machen ja doch, was sie wollen». Zur Verdrossenheit im eigentlichen Sinne werden solche Gefühle erst dann, wenn es keine Abhilfe mehr zu geben scheint, man sein eigenes Engagement einstellt und sich abwendet: keine Beteiligung an der Wahl mehr und Wegzappen bei der Tagesschau. Von solcher Verdrossenheit ist in den letzten Jahren viel die Rede, aber es ist durchaus umstritten, ob sie ein größeres Ausmaß angenommen hat als früher. Die Zustimmung zur Demokratie im Allgemeinen und zum politischen System der Bundesrepublik im Besonderen ist zuletzt sogar wieder gewachsen.
Eine goldene Zeit der uneingeschränkten Begeisterung hat es ohne hin nie gegeben. Die Begriffe «Politikverdrossenheit» und «Parteienverdrossenheit» reichen weit in die Geschichte der Bundesrepublik zurück. Mindestens bis in die 1960er Jahre war solcher Frust von traditionellen, vor allem bildungsbürgerlichen Vorbehalten geprägt, die schon der Weimarer Republik das Leben schwer gemacht hatten. Noch lange nach der Verabschiedung des Grundgesetzes mussten die Westdeutschen lernen, dass ihre neue politische Ordnung derjenigen des Nationalsozialismus und auch dem Kaiserreich, das die ältere Generation gerne nostalgisch beschwor, überlegen war. Heute spielt die Last der Geschichte nur noch eine geringe Rolle; viele Jüngere wissen nicht einmal davon. Trotzdem – die Unzufriedenheit mit der Demokratie wendet sich in Deutschland schneller als anderswo ins Grundsätzliche, anstatt auf pragmatische Verbesserungen zu pochen. Demokratieverdrossenheit lässt sich nur schwer in andere Sprachen übersetzen.
Oft wird der Demokratiefrust zum Auslöser des Engagements in der Demokratie, nämlich sobald Bürgerinnen und Bürger ihren Ärger artikulieren, statt zu resignieren. Am Anfang des 21. Jahrhunderts hat sich ein scheinbar paradoxer Zusammenhang etabliert, nicht nur in Deutschland, nicht nur in den westlichen Ländern, sondern überall auf der Welt und in globalen Protestbewegungen: Enttäuschung und Ärger über die klassischen Mechanismen der Politik, über die traditionellen Chancen der Partizipation (in Parteien, in Wahlen) nehmen zu, aber ebenso die Beschwörung der Demokratie, einer «eigentlichen» und besseren Demokratie, als positives Gegenbild zu der enttäuschenden Realität. Demokratie ist in aller Munde, auf allen Plakaten und Transparenten. Sie ist, mehr als jemals zuvor in der Geschichte, zu einem globalen Sehnsuchtsraum und Erwartungshorizont geworden.
Im Herbst 2011 fuhren Busse durch Florenz, auf denen in großen Buchstaben der englische Schriftzug «Declining Democracy» zu lesen war. Er wies auf eine Ausstellung hin, die sich mit dem Zustand der Demokratie beschäftigte. Das provokative Wortspiel illustriert den Zusammenhang von Frust und Verlustangst einerseits, Hoffnung und Neuerfindung andererseits: Demokratie im Abstieg? Demokratie neu «durchdeklinieren», neu denken!
3. Was heißt überhaupt Demokratie? Viele Begriffe in der politischen Sprache sind griechischer oder lateinischer Herkunft. Das Wort Demokratie bedeutet Herrschaft des Volkes und setzt sich aus den beiden altgriechischen Wörtern demos und kratein zusammen. Aber das «Volk» ist ein schillernder, mehrdeutiger Begriff: Er kann positiv, ja emphatisch das politische Volk bezeichnen, aber auch abwertend für das «gemeine Volk», die einfachen Leute, den Pöbel stehen. Ähnliches galt schon in der Antike für den demos. Aristoteles, der wichtigste Verfassungstheoretiker des alten Griechenland, sprach in diesem Sinne geringschätzig von der Demokratie als einer Herrschaftsform, in der es turbulent und chaotisch statt klug und besonnen zuging. Sein Leitbild einer guten, vernünftigen Mehrheitsherrschaft nannte er «Politie». Dazu passt: Das Verb kratein bedeutet herrschen, Macht ausüben. Vornehmer und zurückhaltender war archein: führen oder leiten, das in anderen Staatsformbegriffen wie Monarchie bis heute begegnet. Insofern könnte das, was wir Demokratie nennen, auch «Demarchie» heißen; oder, weil die Bindung an Gesetze (nomoi) besonders wichtig ist, «Nomarchie». So hat das Wort Demokratie etwas Sperriges, Unbequemes an sich.
Seine unzweifelhaft positive Bedeutung nahm es erst spät, im Verlaufe des 20. Jahrhunderts an. Bis dahin war Demokratie immer wieder umstritten und kaum der Ausdruck für die ideale Herrschaftsform, weder in der politischen Theorie und Philosophie noch bei den Politikern selber. Oft erschien die Demokratie, in der Antike ebenso wie im 18. und 19. Jahrhundert, als schiere Unmöglichkeit: Wie sollte das Volk mit seiner Dummheit, mit all seinen Launen und Leidenschaften tatsächlich herrschen, ein Staatswesen leiten können? Bestenfalls verwies man, wie der aufgeklärte preußische Staatskanzler Karl August von Hardenberg (1750–1822) unter dem Eindruck der Französischen Revolution, die Möglichkeit der Demokratie in eine utopische Zukunft. Insofern hat nicht nur die Praxis, sondern auch der Begriff der Demokratie eine erstaunliche Karriere gemacht, und eine zunehmend globale Karriere dazu. Dabei erweist sich ein Vorzug des griechischen Begriffes: Er klingt und schreibt sich in den wichtigsten europäischen Sprachen und darüber hinaus fast gleich.
4. Was ist der Unterschied zwischen Demokratie und Republik? Offiziell ist der Unterschied klar. Republik ist (wie Monarchie) die Bezeichnung für eine Staatsform. Deshalb ist «Republik» Bestandteil vieler amtlicher Namen von Staaten: République Française, also «Französische Republik» (nicht Republik Frankreich); ähnlich Repubblica Italiana. Da wird die Länderbezeichnung sogar zum ergänzenden Adjektiv, die Hauptansage ist: Wir sind Republik! Oder: Republik Südafrika, Republik Polen (mit dem polnischen Wort Rzeczpospolita, das auf die Adelsrepublik des 18. Jahrhunderts verweist). Diese Feststellung ist grundlegender als die Regierungsform, die Demokratie heißen kann, oder Militärherrschaft, oder Autokratie, d.h. die Alleinherrschaft eines Diktators oder autoritären Führers.
Die Republik lässt sich vereinfacht als das Gegenteil der (Erb-)Monarchie bezeichnen. Wo der König (oder Kaiser, Fürst) gestürzt ist, beginnt die Republik. So war es schon im antiken Rom, und als dort die Republik am Ende war, trat die Monarchie wieder an ihre Stelle, ein neues Kaisertum, von Augustus zunächst als «Prinzipat» verbrämt. Oder man kann Republik mit Selbstregierung übersetzen, wobei das «wir selbst» (statt: der König über uns) bis in das 20. Jahrhundert meist eine privilegierte Minderheit der Bürgerschaft bezeichnete. Insofern ist die Republik oft eine Vorstufe der Demokratie, eine Art exklusive Proto-Demokratie. So wurden dreizehn britische Kolonien in Nordamerika 1776 zu Republiken, aber damit noch nicht zu Demokratien, nicht einmal im eingeschränkten Sinne einer Demokratie der weißen Männer – dieses Ziel war erst um 1830 erreicht. Südafrika in der Zeit der Apartheid war eine Republik, aber erst nach Aufhebung der Apartheid, mit den ersten allgemeinen Wahlen 1994, wurde es zur Demokratie.
Obwohl ausgerechnet einer Monarchie, nämlich England, der inoffizielle Ehrentitel eines «Mutterlandes der Demokratie» zuteilwird, ist die Entstehung der modernen Demokratien ohne Republiken und republikanische Bewegungen schwer vorstellbar. Der republikanische Anspruch auf Freiheit und Selbstregierung ließ sich irgendwann nicht mehr auf eine Minderheit beschränken. Republiken entstanden häufig, bis in die Dekolonisation der 1960er Jahre, aus Unabhängigkeitsbestrebungen gegenüber einem Imperium, einer kolonialen Vormacht. Die Freiheit nach außen führte nicht automatisch zu innerer Freiheit und Demokratie, warf aber fast immer die Frage danach auf. Ganz eng war die Verbindung beider Ziele auch in der deutschen Arbeiterbewegung, vom «Freien Volksstaat» der 1870er Jahre bis in die Revolution von 1918/19. Wo jedoch die Demokratie auf langsamem, reformerischem Wege gewachsen war, konnten auch die Monarchien im 20. Jahrhundert weiter bestehen wie in Großbritannien und Skandinavien, ja in Krisensituationen zum Identitätsstifter und Garanten demokratischer Freiheit werden. Die Europäische Union hat sich darauf eingestellt: Sie ist kein Bündnis von Republiken, sondern von Demokratien.
5. Sind Nationen eine Gefahr für die Demokratie? Diese Frage brennt den Deutschen mehr auf den Nägeln als anderen Nationen, weil sie im 19. und 20. Jahrhundert besonders schlechte Erfahrungen mit dem Nationalismus gemacht haben. Im Vormärz und in der Revolution von 1848/49 überlappten sich Nationalismus und demokratisches Freiheitsstreben. Mit der Nationalhymne, dem «Deutschlandlied» von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798–1874), begleitet uns diese Ambivalenz bis heute. Im wilhelminischen Kaiserreich reüssierten radikal-nationalistische Organisationen wie der «Alldeutsche Verband», die nicht nur autoritären Politikkonzepten huldigten, sondern auch einer aggressiven Vorstellung von der Überlegenheit der Deutschen über andere Völker. Dazu kam eine rassisch aufgeladene Idee von der deutschen Nation, die Minderheiten im eigenen Land aus der nationalen Gemeinschaft ausschließen wollte und damit dem Nationalsozialismus vorarbeitete. Bei allem Leiden an der Teilung Deutschlands seit 1945 waren deshalb viele nicht unglücklich darüber, dass der Nationalstaat zerbrochen war. Demokratie musste, das war eine wichtige Erfahrung der Bundesrepublik (und auch Teil des Selbstverständnisses der DDR), gegen den Nationalismus erstritten und außerhalb des Nationalstaates verwirklicht werden.
Aber es gibt auch einen engen Zusammenhang zwischen Nationalismus und Demokratie. Der Nationalismus entstand im späten 18. Jahrhundert als eine Befreiungs-, als eine Emanzipationsbewegung gegen Monarchien und Imperien, gegen autoritäre Herrschaft und Bevormundung. Die Begriffe «Nation» und «Volk» sind in der politischen Sprache eng verbunden, und zwar nicht nur im «völkischen» Sinne, sondern auch im emphatischen und egalitären. Wenn das «Volk» sich erhebt, denkt man seit der Französischen Revolution an unterdrückte Unterschichten, aber auch an den Anspruch auf staatsbürgerliche Gleichheit. Gegenüber der Ständegesellschaft war die Nation ein universelles Prinzip: keine Privilegien, gleiche Rechte für alle Angehörigen der Nation. In der Dekolonisation, im Abstreifen der kolonialen Vorherrschaft des Westens, mobilisierten Befreiungsbewegungen einen neuen Typ des emanzipatorischen Nationalismus. Auch 1989/90 in Ostmitteleuropa und im Baltikum stand die Erlangung nationaler Unabhängigkeit in engstem Zusammenhang mit dem Übergang von der Parteidiktatur in die liberale Demokratie. Sogar Tschechen und Slowaken gingen eigene Wege. Die hässliche Seite des Nationalismus blieb dabei nicht verborgen; sie zeigte ihr Gesicht immer wieder in arroganter oder repressiver Politik gegen nationale Minderheiten im eigenen Land.
Nation und Demokratie – das wird also ein zwiespältiges Verhältnis bleiben. Einerseits nimmt das Gewicht transnationaler Formen von Demokratie zu (siehe 82, 96). Andererseits bleibt der Nationalstaat das wichtigste Gehäuse demokratischer Verfasstheit, zu dem Alternativen nicht leicht erkennbar (oder durchsetzbar) sind. Der Nationalstaat ist der primäre Raum der Verbürgung von Freiheitsrechten, von Zugehörigkeit und politischer Partizipation – und der sozialen Solidarität in dem Maße, wie der Sozialstaat im nationalstaatlichen Rahmen gewachsen ist.
6. Was ist Gewaltenteilung? Im 18. Jahrhundert stieß die Machtkonzentration der absolutistischen Herrscher auf Kritik. Politische Willkür und Tyrannei könnten vermieden werden, meinten aufklärerische Schriftsteller wie Montesquieu, wenn derjenige, der Gesetze erlässt, nicht auch noch für ihre Ausführung verantwortlich ist, und wenn daneben unabhängige Gerichte als Prüfinstanzen stehen. Seitdem unterscheidet man die gesetzgebende, die vollziehende und die rechtsprechende Gewalt, oder mit den lateinischen Begriffen: die Legislative, die Exekutive und die Judikative. In unterschiedlichen Formen gehört diese Gewaltenteilung zum Kern des Selbstverständnisses moderner Demokratien und ist häufig in der Verfassung verankert. Nach Artikel 20, Absatz 2 des Grundgesetzes übt das Volk die Staatsgewalt «in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung» aus.
Der grundlegende Impuls ist derselbe geblieben wie in der Kritik des absoluten Monarchen: Die Konzentration von Macht in einer Person (oder einem Staatsorgan, einer Partei, usw.) soll verhindert werden. Im 20. Jahrhundert hat die Erfahrung von Diktaturen unterstrichen, wie wichtig das ist. Im «Ermächtigungsgesetz» gab das Parlament, also die Legislative, am 23. März 1933 seine Macht an die von Hitler geführte Regierung ab – das war ein entscheidender Schritt in der Abschaffung der Weimarer Demokratie.
Im kontinentalen Europa wird der Trennungsgedanke akzentuiert; man sagt oft Gewaltentrennung. Die englische und amerikanische Tradition betont die Balance und gegenseitige Kontrollfunktion der Gewalten – das nennt man checks and balances. König, Oberhaus und Unterhaus in England sollen sich gegenseitig ausbalancieren. Darin lebt das alte Ideal einer gemischten Verfassung ebenso fort wie in der amerikanischen Verfassung, wo der Präsident das monarchische Element (und damit zugleich die Exekutive) verkörpert, der Senat die Weisheit einer Aristokratie und das Repräsentantenhaus die Stimme des Volkes.
In dieser Dreiteilung fehlen noch die Gerichte. Die Forderung nach einer (von der Staatsgewalt, besonders der Exekutive) unabhängigen Justiz hat teilweise eigene Wurzeln. Im 19. und 20. Jahrhundert sind die Gerichte verstärkt zur Kontrollinstanz der beiden anderen Gewalten geworden: Verwaltungsgerichte überprüfen exekutives Handeln von Behörden; Verfassungsgerichte schauen dem Gesetzgeber auf die Finger. Die Abgrenzung von Legislative und Exekutive dagegen ist schwieriger, besonders in parlamentarischen Regierungssystemen. Hier stößt das Prinzip der Gewaltenteilung nämlich mit dem einer Regierung des Volkes, das im Parlament repräsentiert ist, zusammen. In der Weimarer Republik (bis 1930) und in der Bundesrepublik bildet die Parlamentsmehrheit die Regierung, auch wenn Kanzler und Minister nicht unbedingt Mitglieder des Bundestages sein müssen. Deshalb knirscht es gelegentlich im Getriebe: Sollen Minister ihr Abgeordnetenmandat aufgeben, weil eine «Trennung von Amt und Mandat» demokratischer ist und der Gewaltenteilung besser entspricht? Oder wäre das eine Rückkehr zu vordemokratischen Verhältnissen der Unterscheidung von Volksvertretung und Regierung?
Seit einiger Zeit verschiebt sich die Bedeutung dieses Konzeptes, zum Beispiel durch die Überlagerung von nationalen und europäischen Institutionen. So kann man die Europäische Union als eine vertikale Gewaltenteilung verstehen (im Unterschied zur klassischen, horizontalen), als ein neues System der checks and balances. Im weiteren Sinne gehört auch ein gestufter Staatsaufbau wie der deutsche Föderalismus dazu. So wird Gewaltenteilung in der neuen Demokratie der multiplen Ebenen und Akteure sogar wichtiger als zuvor.
7. Wofür brauchen demokratische Staaten eine Verfassung? Eine Verfassung jedenfalls macht einen Staat noch lange nicht zur Demokratie. Im 20. Jahrhundert haben sich auch Diktaturen und autoritäre Regimes Verfassungen gegeben, und das Deutsche Kaiserreich von 1871 hatte ebenfalls eine Verfassung, eine relativ moderne sogar, ohne eine Demokratie zu sein. Umgekehrt gibt es bis heute einige demokratische Länder ohne Verfassung, allen voran natürlich England bzw. das Vereinigte Königreich. Halt, es gibt eine «ungeschriebene Verfassung» und sogar den Begriff einer British Constitution. Damit meint man die Summe der Grundregeln, nach denen dieses Gemeinwesen funktioniert, zum Beispiel im Zusammenspiel von Monarchie und Parlament. Das ist aber keineswegs nur eine Sache in den Köpfen, von Regeln, die zur Gewohnheit geworden sind und auf deren Einhaltung man sich verlassen kann. Vieles ist durchaus schriftlich festgehalten, nur eben nicht in einem einzigen Verfassungsgesetz konzentriert. Im engeren Sinne versteht man unter Verfassung also ein solches Staatsgrundgesetz, eine geschriebene Verfassungsurkunde, eine «Konstitution».
Die ersten modernen Verfassungen waren die Einzelverfassungen der nordamerikanischen Staaten, die 1776 ihre Unabhängigkeit von Großbritannien erklärten. Dann sprang der Funke nach Europa: zunächst nach Polen und nach Frankreich im Jahre 1791, weiter zur spanischen Verfassung von 1812, und zur selben Zeit auch in die deutschen Staaten. Baden besaß seit 1818 die fortschrittlichste von ihnen, und das erwies sich im Vormärz als guter Nährboden für demokratische Strömungen. Preußen und Österreich, die beiden größten deutschen Staaten, zogen erst in der Revolution von 1848/49 nach.
Was steht überhaupt in einer Verfassung? Daran hat sich seit mehr als zweihundert Jahren erstaunlich wenig geändert. Drei Elemente finden sich fast immer: Erstens beginnt eine Verfassung häufig mit einer Souveränitätserklärung, mit einer fundamentalen Begründungsformel. Dazu dient häufig ein Vorspann, eine Präambel. Am berühmtesten ist wohl das «We, the People» der amerikanischen Bundesverfassung von 1787, aber auch deutsche Verfassungen folgen diesem Muster. Zweitens folgt auf diesen «deklaratorischen» meist ein organisatorischer Teil, der die Institutionen und Mechaniken des Staates regelt: Ämter, Organe, Wahlen, Zuständigkeiten. So lässt sich aus jeder Verfassung der grundlegende Staatsaufbau erkennen: Wer wählt wen, wer darf was? Die dritte Komponente ist ein Grundrechteteil. Früher war er oft nachrangig, geradezu ein Anhang der Verfassung wie die amerikanische Bill of Rights von 1791: eigentlich die ersten zehn Zusatzartikel (amendments) der Bundesverfassung. Als Konsequenz aus nationalsozialistischer Diktatur und Gewalt rückte der Parlamentarische Rat 1948 die Grundrechte, angefangen mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde, ganz an den Beginn der (noch provisorisch gemeinten) westdeutschen Verfassung, unmittelbar hinter die Präambel, und erklärte sie als «unmittelbar geltendes Recht».
Die Bedeutung einer Verfassung ergibt sich aber nicht nur daraus, ob man sie im Zweifelsfall vor Gericht einklagen kann. Es gibt auch eine «weiche» Dimension der öffentlichen Wirkung und kulturellen Bedeutung von Verfassung, bei der große Unterschiede zwischen den Demokratien auffallen. Deutschland und die USA sind Länder mit markant ausgeprägter Verfassungskultur, Frankreich dagegen eher nicht. Dem entspricht die Bedeutung der Verfassungsgerichtsbarkeit, des Supreme Court und des Bundesverfassungsgerichts. Dolf Sternberger und Jürgen Habermas plädierten für einen «Verfassungspatriotismus» der alten Bundesrepublik, für ein nationales Identitätsgefühl aus Zustimmung zur demokratischen Konstitution, weil der alte Nationalismus sich als gefährlich erwiesen hätte. So erhält die Verfassung geradezu eine Aura des Heiligen und zivilreligiöse Züge; sie wird zu einem sakralen Kern der modernen Demokratie.
8. Sind Parteien lästig oder unverzichtbar? Partei kommt von dem lateinischen Wort pars, für «Teil». Parteien drücken also aus, dass Menschen unterschiedliche Überzeugungen und Interessen haben, sich darin aber mit ungefähr Gleichgesinnten zusammenfinden. Es muss also, jenseits einer diktatorischen Einparteienherrschaft, mindestens zwei konkurrierende Parteien geben. Traditionsreiche Demokratien wie die USA und England sind, obwohl sie immer viele kleine Parteien kannten, als Zweiparteiensysteme entstanden und funktionieren bis heute überwiegend so. Die beiden großen Parteien bündeln grundlegende Präferenzen: eher konservativ oder eher progressiv? Eher wirtschaftsliberal oder eher staatsorientiert-sozialistisch? Im kontinentalen Europa, auch in Deutschland, überwiegen dagegen Mehrparteiensysteme, seit dem 19. Jahrhundert mit den drei Optionen: konservativ – liberal – sozialistisch bzw. sozialdemokratisch. Dazu kam häufig, besonders in katholischen Ländern, eine katholisch-konfessionelle Partei, in Deutschland bis 1933 das «Zentrum». Daraus gingen die christdemokratischen Parteien der Nachkriegszeit hervor.
Dabei können Parteien ganz unterschiedliche Formen annehmen. Zunächst sind sie Gesinnungsgemeinschaften. In vielen Ländern spielt die Partei als Organisation eine viel geringere Rolle als in Deutschland, zum Beispiel in den USA, wo eher die entsprechende Registrierung als Wähler zur «Demokratin» oder zum «Republikaner» macht. Immer aber geht es um die Bündelung von Interessen bei Wahlen, um die Durchsetzung eigener Kandidaten gegen die der konkurrierenden Parteien. Erst später, vor allem durch das Vorbild der Sozialdemokratischen Partei, hat sich die Vorstellung von der Partei als straff, hierarchisch und professionell organisiertem Verband verfestigt, der seine Mitglieder nicht nur zur Wahlurne ruft, sondern im gesamten Lebensumfeld begleitet, etwa in der Jugendgruppe oder im Arbeiterturnverein.
Bei der Gründung der Bundesrepublik waren die Deutschen stolz darauf, den Parteien endlich den ihnen in der Demokratie gebührenden Platz einzuräumen. Denn es gab eine tiefe Skepsis gegenüber dem vermeintlich unnützen Parteienstreit, gegenüber der Vielzahl egoistischer Interessen, die doch nur dem Gemeinwohl im Wege stünden. Das Grundgesetz stellt deshalb in Artikel 21 fest: «Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit»; sie müssen außerdem selber demokratisch verfasst sein. Die Idealvorstellung von Demokratie war damals, 1949: Bürgerinnen und Bürger interessieren sich für Politik, streiten darüber, und organisieren sich in Parteien, die wiederum den Parlamentarismus als Kernstück der repräsentativen Demokratie tragen.
Gemessen an diesem Idealbild, hat die Parteiendemokratie ihren historischen Höhepunkt überschritten. Die Individualisierung seit den 1970er Jahren hat soziale und konfessionelle Milieus aufgelöst; oft sind populistische Bewegungen an ihre Stelle getreten. Das Parteiensystem der Nachkriegszeit ist in Ländern wie Italien kaum wiederzuerkennen. Auch den neuen Demokratien Ostmitteleuropas fiel es nach 1989 schwerer als den 1945er-Demokratien, feste Parteistrukturen zu verankern. Das politische Gewicht der Parteien nimmt ab, auch mit ihrer schrumpfenden und alternden Mitgliederschaft. Junge Leute zögern, in eine Partei einzutreten, und engagieren sich lieber für konkrete Projekte wie Menschenrechte oder Umwelt. Noch ist unsicher, ob sich die Parteien neu erfinden können.
9. Muss es eigentlich Regierung und Opposition geben?concordia