Burgen im Welterbegebiet Oberes Mittelrheintal
Ein Führer zu Architektur und Geschichte
In Zusammenarbeit mit der Generaldirektion
Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz
Abbildung der vorderen Umschlagseite: »Gutenfels« über Kaub
Frontispiz: Ehrenfels und der »Mäuseturm«
Abbildung der hinteren Umschlagseite: Burg Schönberg und Oberwesel, kolorierter Stahlstich von A. le Petit nach W. H. Bartlett, um 1850
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.dnb.de› abrufbar.
1. Auflage 2013
© 2013 Verlag Schnell & Steiner GmbH, Leibnizstraße 13, 93055 Regensburg
Satz: typegerecht, Berlin
Umschlaggestaltung: Anna Braungart, Tübingen
Druck: Erhardi Druck Gmbh, Regensburg
ISBN 978-3-7954-2446-6
Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlags ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fototechnischem oder elektronischem Weg zu vervielfältigen.
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Geleitwort
Einleitung
1Landschaft und frühe Besiedlung
2Burgen vor 1200
3Burgenbau des 13. und 14. Jahrhunderts
Territorialisierung und Zölle
Burgen des Erzstifts Mainz
Burgen der Pfalzgrafen
Burgen der Grafen von Katzenelnbogen
Burgen des Erzbistums Trier
Gotische Burgenarchitektur
Burg und Stadt
4Zerstörung und Wiederaufbau
Romantik
Historismus, Heimatstil und Nationalsozialismus
5Heute
Die Burgen
Rüdesheim – Salhof, Vorderburg, Boosenburg, »Auf der Laach« und Adelshöfe
Rüdesheim – Brömserburg
Bingen, Burg Klopp
Trutzbingen
Ehrenfels, Mäuseturm
Rheinstein
Reichenstein
Sooneck
Heimburg (Hoheneck)
Fürstenberg
Nollig
Sauerburg
Waldeck
Rheinberg
Kammerburg
Stahleck
Stahlberg
Pfalzgrafenstein
Kaub – »Gutenfels«
Schönburg
Rheinfels
Neukatzenelnbogen (»Katz«)
Deuernburg (»Maus«)
Reichenberg
»Die feindlichen Brüder« Sterrenberg und Liebenstein
Boppard
Osterspai und Liebeneck
Marksburg
Philippsburg
Lahneck
Oberlahnstein (»Martinsschloss«)
Stolzenfels
Koblenz, »Alte Burg«
Ehrenbreitstein
Literaturauswahl
Bildnachweis
2002, als die Kulturlandschaft Oberes Mittelrheintal nach langjährigen Bemühungen in die Liste des Weltkulturerbes eingetragen wurde, erschien unter dem Titel »Wer will des Stromes Hüter sein?« ein von Michael Fuhr verfasster Führer zu den 40 Burgen und Schlössern dieser Region. Das erfolgreiche, mit Aufnahmen von Heinz Straeter bebilderte Büchlein wurde 2005 noch einmal aufgelegt. Seither fehlt eine einschlägige Publikation zu den Burgen im Welterbegebiet zwischen Bingen/Rüdesheim und Koblenz. Letztlich waren es diese Anlagen, die – zusammen mit den mittelalterlich geprägten Ortsbildern und der umgebenden Landschaft – mit ausschlaggebend waren für die Ausweisung als Welterbe. Hinzu kommen die vielfältigen literarischen, musikalischen und künstlerischen Zeugnisse, die sich auf den Mittelrhein beziehen sowie die Fülle von Geschichtszeugnissen, Sagen und Legenden.
Während die Reisenden seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, angezogen vor allem durch die zahlreichen Ruinen, an den Rhein kamen, beginnt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine regelrechte Ausbauwelle durch das preußische Königshaus und andere Adelsfamilien, gefolgt von Industriellen wie den Besitzern der Rheinböller Hütte, Familie Puricelli. Gleichzeitig sind denkmalpflegerische Bemühungen zu beobachten. Zu den frühen Beispielen gehören die »Rettungskäufe« mehrerer Ruinen der rechten Rheinseite durch den Wiesbadener Archivar Friedrich Habel schon im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Mit Stolzenfels, Sooneck, Pfalzgrafenstein, Sterrenberg und der Festung Ehrenbreitstein befinden sich einige Anlagen heute im Eigentum des Landes, Direktion Burgen, Schlösser, Altertümer in der Generaldirektion Kulturelles Erbe, andere in privater oder kommunaler Hand. Die Marksburg ist seit 1900 Sitz der Deutschen Burgenvereinigung, Stahleck und Stahlberg bei Bacharach gehören dem Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz mit Sitz in Köln. So vielfältig wie die Besitzer ist auch die Geschichte, welche die Burgen vermitteln. Zugleich finden sich im Mittelrhein Beispiele nahezu aller Bautypen mittelalterlicher Wehrbauten.
Schon im Zuge des Antragsverfahrens zum Welterbe wurde kritisch angemerkt, dass für viele Burgen am Rhein ausreichende bauhistorische Untersuchungen fehlen. Gleichzeitig vermisste man einen Überblick über diese reiche Burgenlandschaft, die auch ein wertvolles, einmaliges touristisches Potenzial darstellt.
Mit Thomas Biller und Achim Wendt konnten für die vorliegende Neubearbeitung zwei hervorragende Kenner der Thematik gewonnen werden. Ausgehend von einem Gesamtüberblick werden die einzelnen Burgen unter Verwendung verfügbarer Archivmaterialien und unter Berücksichtigung neuester, oft erstmals veröffentlichter Forschungsergebnisse behandelt. Die Darstellungen berücksichtigen auch Restaurierungen und Instandsetzungen. Den Texten mit zahlreichen Abbildungen sind Grundrisse mit farbiger Eintragung der Bauphasen beigegeben, deren Erarbeitung die frühere Leiterin des Referats Bauforschung in der Landesdenkmalpflege, Pia Heberer, betreute.
Dem Verlag Schnell und Steiner schließlich ist zu danken dafür, dass er nach »Des Stromes Hüter« nun diesen Band vorlegt, auch als Beitrag und Leitfaden zur Entdeckung und Erforschung des Welterbegebietes Oberes Mittelrheintal.
Thomas Metz |
Dr. Joachim Glatz |
Generaldirektor |
Landeskonservator |
Eine Schifffahrt auf dem Rhein, zwischen Koblenz und Bingen, ist seit langer Zeit eine der besten Empfehlungen für Deutschland-Reisende. Reben- und waldbedeckte Felshänge, malerische Dörfer und Städtchen und der rasch fließende, viel befahrene Strom selbst bieten Reize, die seit fast zwei Jahrhunderten den Tourismus anziehen. Entscheidender Akzent der Landschaft – so wird es von jeher empfunden – sind jedoch die Burgen, die sich erstaunlich dicht an den Hängen und auf den Gipfeln reihen. Im frühen 19. Jh. wurde dieses romantische Erlebnis zusätzlich mit populären Sagen angereichert und später nationalistisch überhöht, heute aber ist es wieder der einzigartige naturräumliche und kulturelle Wert des Mittelrheins, der seine Bedeutung ausmacht: 2002 wurde der Abschnitt zwischen Bingen und Koblenz von der UNESCO zum »Welterbe« erklärt. Ob diese hochrangige Anerkennung helfen wird, seine aktuellen ökonomischen und verkehrlichen Probleme zu lösen, bleibt freilich abzuwarten.
Dem Reisenden von heute treten die Burgen in erster Linie gleichsam als Glanzlichter eines Bühnenbildes entgegen, hinter das ihre historische und architektonische Realität zurücktritt. Dass sie ursprünglich nicht nur ästhetische, sondern mehr noch politische und praktische Funktionen besaßen, liegt jedoch auf der Hand. Die Geschichts- und Kunstwissenschaften haben in den vergangenen Jahrzehnten wichtige Erkenntnisse zu diesen Themen beigesteuert, so zunächst bei der Interpretation der Schriftquellen, die oft durch unkritische Beimischung von unbelegten Annahmen oder gar Spekulationen verfälscht war. Besonders jedoch die noch recht neuen Methoden der »Historischen Bauforschung«, die vor allem das Bauwerk selbst als Quelle begreift, haben bewirkt, dass wir die Entwicklung vieler Burgen heute weit besser verstehen – sei es durch aufwendige Untersuchungen, sei es, dass der erfahrene Bauforscher auch dort, wo bisher weniger gearbeitet wurde, zumindest Hauptphasen unterscheiden kann.
Der vorliegende, aus einer Initiative der »Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE) hervorgegangene Burgenführer wurde von zwei professionellen Bauforschern geschrieben und möchte vor allem die Erkenntnisse vermitteln, die sich aus den neuen Methoden ergeben haben; deswegen unterscheidet er sich von der Vorgehensweise gängiger Burgenführer. Seit den Anfängen des Tourismus war ein »Führer« vor allem ein Text, der buchstäblich von Hof zu Hof und Raum zu Raum »führte« und beschrieb, was man dabei sah. So naheliegend dieses Prinzip ist, so hat es doch auch Nachteile: Die Fragen nach dem Bau in seiner Gesamtheit, nach den Phasen seiner Entwicklung und seinem räumlichen und gestalterischen Konzeptionen treten dabei allzu leicht in den Hintergrund – und damit werden gerade jene Faktoren vernachlässigt, die die individuelle Gestalt des Gebäudes am stärksten prägten: die Art und Weise nämlich, wie es von seinen Nutzern immer wieder an neue praktische und repräsentative Bedürfnisse angepasst wurde.
Unser kleines, dem Rhein stromab folgendes Buch »führt« also nicht nur durch Höfe und Räume der Burgen, sondern vor allem durch ihre Baugeschichte. Auch um diese besser verständlich zu machen, stellen wir den Texten zu den einzelnen Bauten eine Einleitung voran, die Grundzüge der Landesgeschichte und der Burgenarchitektur skizziert; Ausblicke auf überregionale Entwicklungen waren uns dabei wichtig, um allzu gewohnte und lokal begrenzte Perspektiven zu relativieren. Der Nachteil des Verfahrens – dass die Teile aus verschiedenen Bauphasen sich nicht einfach aneinanderreihen und daher eine Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln fordern – wird dabei nach unserer Überzeugung durch das umfassendere Verständnis der Bauten mehr als ausgeglichen.
Dieser vertieften Auseinandersetzung sollen vor allem die Baualterpläne dienen, die der Besucher vor Ort mit dem Bau selbst vergleichen kann. Bei ihnen wird der technisch bzw. architektonisch Vorgebildete natürlich bemerken, dass manches schematisiert werden musste – wegen der gelegentlich etwas ungenauen Aufmaße, wegen der relativ kleinen Wiedergabe im Druck, aber auch wegen der notwendigen Beschränkung auf eine einzige (Schnitt-)Ebene, in der Regel auf das Erdgeschoss. Wiederholte Umbauten, die zu kleinteiligen, allzu stark »verschachtelten« Befundsituationen führten, zwangen hier und dort zur Vereinfachung. Manche Pläne stellen bereits Endergebnisse dar, die auf Bauuntersuchungen nach dem heutigen Stand des Faches beruhen, andere sind bisher nur plausible Annahmen, die durch weitere Detailarbeit am Objekt überprüft werden müssen; für das Verständnis des Bauwerks erscheinen aber auch diese uns allemal hilfreich – und sei es als Anregung zu begründetem Widerspruch.
Unser herzlicher Dank gilt vor allem Frau Dr. Pia Heberer für die Begleitung des Projekts an der GDKE, Lorenz Frank M.A. (Büro für Bauforschung, Mainz) für die Bereitstellung seiner wichtigen Grundlagenarbeit an vielen Objekten, Dr. Jens Friedhoff und Alexander Thon M.A. für Hinweise zu Schriftquellen, schließlich Raphael Thörmer (GDKE) und Claudia Binder (BDK – Büro für Bauforschung und Dokumentation, Heidelberg) für die Umzeichnung und Bearbeitung der Bauphasenpläne. Der Verlag Schnell und Steiner hat sich der Umsetzung in den Druck in vielfach bewährter Weise angenommen. Herzlich danken wir auch Roger Leloup für die liebenswerte Überlassung seiner Zeichnung aus dem Yoku Tsuno-Comic »Rheingold«, in dem er seiner Faszination für die Burgen des Mittelrheins Gestalt gibt.
Thomas Biller, Achim Wendt
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Landschaft und frühe Besiedlung |
Zwischen Bingen und Bonn zwingt das Schiefergebirge den Rhein auf über 100 km in eine Schlucht, die Ober- und Niederrhein scheidet. Im Gegensatz zu diesen beiden Nachbarlandschaften, deren gute Böden den Ackerbau begünstigen, ist am Mittelrhein für diese Wirtschaftsform, die bis zur Industrialisierung noch weit bedeutungsvoller war als heute, nur wenig Raum. Eine Beckenlandschaft bildete sich, im Zentrum des Durchbruchs, nur um Koblenz und Neuwied; südlich davon bietet der Talabschnitt, um den es hier geht, kaum Stellen, wo zwischen Fluss und Steilhang Platz für Landwirtschaft und Siedlung bleibt. In einer kleinen Siedlungskammer liegt Boppard, aber südlich davon boten sich fast nur noch die Mündungen von Seitentälern für Siedlungen an; Ackerbau war dort nur mehrere hundert Meter höher möglich, aus den steilwandigen Tälern mühsam erreichbar.
Diese ungünstige Region wurde wohl erst in der Bronzezeit besiedelt; keltisch sind viele Hügelgräber und einige Befestigungsreste, wie auf der Loreley und dem »Hühnerberg« über Burg »Katz«. Die Römer ergänzten diesen Zustand durch Landgüter (villae rusticae); Kastelle und größere Siedlungen (vici) gab es in spätrömischer Zeit nur in Koblenz, Boppard und Bingen. Spiegelten die Kastelle einerseits die Grenzfunktion des Rheins gegen Germanien, so bezogen sie und ihre vici sich andererseits bereits auf den Fernverkehr, der bis heute bestimmend für die Landschaft blieb. Der Rhein wurde zur Verbindung dicht besiedelter, ökonomisch aktiver Landschaften Europas, zwischen der Lombardei und Britannien; eine Heerstraße auf dem Westufer ergänzte ihn in römischer Zeit. Aber auch der Verkehr quer zum Strom spielte sicher früh eine Rolle, denn auf über hundert Flusskilometern benötigte man Übergänge. Die im Mittelalter fassbaren Fähren dürften teils weit älter sein; zumindest jene bei Bingen und Boppard und die römische Brücke in Koblenz besaßen höhere Bedeutung, außerdem die Fähre bei St. Goar, die im Zug einer Fernstraße von Mosel und Hunsrück nach Hessen lag.
Auch nach der fränkischen Besiedlung im 5. Jh. wirkte die römische Ordnung fort, indem große Teile des Westufers um Boppard und Oberwesel königlicher Besitz blieben (fisci). Erst ab dem 8./9. Jh. wurde Land an Erzbistümer und große Klöster verschenkt, was dem Seelenheil der Schenker, aber auch der wirtschaftlichen Erschließung diente. Die weltlichen Schutzherren dieser kirchlichen Institutionen nutzten dieses Amt dann, um ihre Herrschaften auszubauen. Die Ortschaften im Mittelrheintal erscheinen zwischen dem 7. Jh. (Boppard 643, Braubach 691) und dem 10. Jh. in den Schriftquellen, wobei der zugänglichere Abschnitt um Boppard voranging; im mittleren Teil sind zuerst St. Goar 765, dann einige Dörfer im Tal und auf der Hochfläche belegt. Dass im engen Talabschnitt um Lorch, Bacharach und Kaub vor 1050 gar keine Siedlungen erwähnt sind, bedeutet offenbar, dass das schwierige Gelände erst zuletzt vom Landesausbau erfasst wurde.
Die wachsende Bedeutung des Oberen Mittelrheins und seiner Ortschaften in dieser Epoche hing primär mit dem Weinbau zusammen. Waren der Anbau von Getreide und die Viehzucht im Rheintal selbst kaum möglich, sondern nur auf den zunehmend gerodeten Hochflächen, so galt dies für den Weinbau nicht. Schiefer und Grauwacke speichern Wärme und schaffen insbesondere auf den Südhängen ein für diese Sonderkultur günstiges Mikroklima. Nach heutigem Wissensstand war der Weinbau in römischer Zeit vor allem an der Mosel verbreitet, auf den Mittelrhein griff er wohl erst im Frühmittelalter über, und zwar von Norden nach Süden: um Lahnstein und Boppard seit dem 9. Jh. fassbar, drang auch er erst nach 1050 in das Engtal um Oberwesel und Bingen ein.
B.
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Burgen vor 1200 |
Nur acht Burgen im heutigen Welterbegebiet existierten nach den Schriftquellen bereits vor 1200, und es überrascht nicht, dass gerade die ältesten unter ihnen wichtigen Mächten zuzuordnen sind. Ehrenbreitstein (zuerst erwähnt 1129/39) gehörte dem Erzstift Trier, Stahleck (um 1120/21 bzw. 1135) und Stahlberg (Dendrodatum 1156/57) dem Pfalzgrafen, und die Schönburg (1149) wechselte anfangs mehrfach zwischen dem Reich und dem Erzstift Magdeburg. Noch ins 12. Jh. gehören auch Rheinberg (vor 1183), wohl eine Gründung des Erzstifts Mainz, und Sterrenberg (1192), eine verlehnte Reichsburg. Die Rüdesheimer Brömserburg bestand spätestens 1185, ihre Kleinheit und Lage passen zur wenig bedeutenden Familie der Herren von Rüdesheim. Schließlich bleibt unklar, wann die fast verschwundene Burg Heppenheft entstand; ihre freiadeligen Erbauer sind früh erwähnt.
Die Bauplätze der sechs Hochadelsburgen unter diesen acht spiegeln ihre frühe Entstehung, denn es sind die günstigsten, die es am Mittelrhein gibt. Für Gipfelburgen fehlen hier die Voraussetzungen, aber wir finden anfangs auch noch kaum jene unmittelbar überragte Hanglage, die später typisch für die Mittelrheinburgen wurde. Gewählt wurden fast durchweg Sporne, wobei die Schönburg und Stahlberg einer Gipfelburg zumindest nahe kommen. Ehrenbreitstein, Rheinberg und Sterrenberg – auch das wenig jüngere Reichenstein (1213) – werden an der Angriffsseite nicht oder wenig überragt. Allein Stahleck vertritt unter den frühen Hochadelsburgen das Konzept der Hangburg.
Fragt man daher, was von diesen Anlagen der Zeit vor 1200 als Bausubstanz erhalten ist, so fällt die Ernte allerdings mager aus. Freilich muss man für diese Erkenntnis zunächst viele spekulative Frühdatierungen in »populären« Veröffentlichungen ausräumen, in Tourismusprospekten, Burgführern und auf Internetseiten. Nach solchen Quellen wären nicht wenige Burgen schon im 9. bis 11. Jh. entstanden, wobei konkrete Angaben aber regelmäßig fehlen; weder wird die Ableitung der Datierung erklärt, noch werden die Bauteile genannt, die angeblich so alt sind. Die Suche nach der Herkunft solcher Angaben führt denn auch in der Regel zu der Feststellung, dass Beweise völlig fehlen; die Behauptungen wurden meist im 19. Jh. aufgestellt und dann ungeprüft immer wieder abgeschrieben.
Versucht man nun, die Spekulationen durch Beweise zu ersetzen, so kann man sich einerseits auf Schriftquellen stützen, andererseits auf Bauforschung und Archäologie. Auf diese Weise aber ist nur für die angeführten acht von den 39 Burgen am Oberen Mittelrhein zu beweisen, dass sie vor 1200 existierten; vor 1100 ist keine einzige fassbar. Dieses Bild entspricht durchaus dem, was wir heute über die Entwicklung des Burgenbaues in Deutschland wissen, und es deutet sogar ein weiteres Mal die »Verspätung« der schwer zugänglichen Landschaft im Schiefergebirge an. Denn die ersten Hochadelsburgen entstanden im süd- und westdeutschen Raum im (späten) 11. Jh., während die Blütezeit des Bautypus erst etwa 1160 einsetzte und ihren Höhepunkt im 13. Jh. erreichte. Vor diesem Hintergrund sind die drei um 1120 –50 erscheinenden Burgen (Ehrenbreitstein, Stahleck, Schönburg) eher eine späte Ausbeute, wobei Ehrenbreitstein zudem auf das früh besiedelte Neuwieder Becken zu beziehen ist. Erst in der 2. Hälfte des 12. Jh. kann man sagen, dass die Landschaft mit dem Auftreten von fünf weiteren Burgen – Stahlberg, Rheinberg, der Brömserburg, Sterrenberg und vielleicht Heppenheft – Anschluss an die Entwicklung der Nachbarlandschaften fand.
Erhalten ist von diesen frühen Burgen wenig – bereits im 13./14. Jh. baute man vieles neu, und die Zerstörungen des 17. und Erneuerungen des 19. Jh. taten ein Weiteres. Von den drei vor 1150 belegten Anlagen verschwand der Ehrenbreitstein, längst umgebaut, durch die Schleifung 1801; nur der freigelegte Halsgraben deutet die Lage der Kernburg noch an, deren weitere Gestalt – Fünfeckbergfried, Saalbau, Kapelle – nur alte Darstellungen noch ahnen lassen. Auch im Falle der Schönburg kennen wir nicht mehr als den geräumigen, durch Felsabstürze gesicherten Bauplatz; die Bebauung geht kaum vor das 13. Jh. zurück. Und auch Stahleck wurde offenbar im 14. Jh. – und im 20. Jh. – so stark erneuert, dass die Urform der Anlage fast unbekannt bleibt.
Ein Glücksfall ist daher die versteckte Ruine Stahlberg nahe Bacharach, die erst jüngst untersucht wurde. Sie erwies sich als einheitlicher Bau der 1150er/60er Jahre, der – von Anfang an für hohe Ansprüche geplant – einen Eindruck auch von der Gestalt etwa des Ehrenbreitstein oder des benachbarten Stahleck geben kann. Die längliche Kernburg auf einem Felsklotz ist angriffsseitig durch einen Rundturm geschützt, am anderen Ende überragte ein zweiter (Wohn-?)Turm einen Saalbau mit Kapelle; dieses »Pfalzenschema« wurde hier eben zu der Zeit realisiert, als der vermutliche Bauherr Konrad von Staufen, ein Halbbruder Kaiser Friedrichs I., Pfalzgraf wurde (1156).
Eine ganz andere Art Burg stellte der Erstbau der Rüdesheimer »Brömserburg« dar. Nahe dem mainzischen Salhof, in den Weingärten, entstand hier eine kleine, rechteckige Wasserburg mit Wohnturm; den Herren von Rüdesheim, erzbischöflichen Lehnsleuten, war die Nähe zu ihrem Weinbau sichtlich wichtiger als Wehrhaftigkeit. Der kleine Bergfried entstand 1185, wobei offen bleibt, ob Ringmauer und Wohnturm älter sind. Die etwas früher erwähnte Burg Rheinberg, ebenfalls im Rheingau, entspricht mit ihrer abgelegenen Spornlage eher den Merkmalen einer frühen Hochadelsburg, jedoch ist ihre Baugestalt vor dem späten 13. Jh. nur noch zu ahnen. Bisher wenig gesichert ist auch die älteste Form des kurz vor 1200 fassbaren Sterrenberg, und im Falle des fast verschwundenen Heppenheft könnten nur Grabungen klären, wann die schon im frühen 12. Jh. erwähnte Familie die Burg erbaute.
B.
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Burgenbau des 13. und 14. Jahrhunderts |
Im 13./14. Jh., als die meisten Burgen am Oberen Mittelrhein entstanden, prägten im Wesentlichen vier Mächte die Szene: die Erzbischöfe und Kurfürsten von Mainz und Trier, die Pfalzgrafen und die Grafen von Katzenelnbogen. Wie konnten so klar umrissene Interessenzonen entstehen – in einer Region, die noch zwei Jahrhunderte zuvor als schwer erschliessbare Randlage weitgehend dem Reich gehört hatte?
Zwei Hauptaspekte sind zu beachten: die Politik des Königtums gegenüber den großen geistlichen Institutionen und die zunehmende Macht des Adels. Im 10. und frühen 11. Jh. – als es dort noch keine Burgen gab – wurden große Gebiete am Oberen Mittelrhein von den Königen und Kaisern an Erzbistümer verschenkt. So kam (Ober-)Lahnstein (um 900?) an Mainz – bestätigt durch Otto II. 977 – , und 983 erhielt Erzbischof Willigis von demselben Kaiser den unteren Teil des Rheingaues bis Kaub. Heinrich II. schenkte 1018 Trier den verbliebenen Besitz des Königshofes Koblenz, nördlich der Lahn. Dass das Umland von Bacharach (um 1000?) ans Erzstift Köln gekommen war, wird 1020 deutlich, als der Erzbischof der Kirche in Deutz dort Weinberge übergab und als er 1094 die Bacharacher Pfarrkirche dem Kölner Stift St. Andreas schenkte. Auch ferne Erzbistümer wie Magdeburg wurden bedacht; es erhielt 966 Oberwesel, das dann freilich 200 Jahre später ans Reich zurückfiel. Hinter solchen Schenkungen standen gemischte Motive; neben der Sorge ums Seelenheil war fraglos wichtig, dass die Könige die politische Unterstützung anderer Mächtiger brauchten, unter denen die rheinischen Erzbischöfe eine zentrale Rolle spielten.
Wie aber kamen auch Adelsfamilien zu Territorien am Mittelrhein, insbesondere die Pfalzgrafen und die Grafen von Katzenelnbogen? Mitgliedern der Kirche war der Waffengebrauch verboten. Zwar setzten sich Kirchenfürsten im Mittelalter häufig darüber hinweg, und gerade rheinische Erzbischöfe entwickelten oft eher Ehrgeiz als Heerführer denn als Seelsorger. Formell aber bedurften kirchliche Einrichtungen weltlicher Schutzherren, die gewaltsame Angriffe abwehren konnten. Deswegen gab es Vögte (lat. advocatus = Beauftragter), die dem Hochadel oder regionalen Adelsfamilien entstammten, die aber dem bevogteten Kirchenbesitz keineswegs nur Vorteile brachten. Vielmehr konnte der adelige Vogt nach Übernahme des Amtes auf zusätzliche Gebiete und Rechte zugreifen, die ihm nicht gehörten, deren kirchliche Eigentümer sich aber nicht wirksam dagegen wehren konnten.
So waren die Herren von Katzenelnbogen – deren Stammburg im Hintertaunus liegt – anfangs nur Beauftragte der Grafen von Arnstein, die ihrerseits Vögte des Klosters Prüm in der Eifel waren; als Untervögte hatten sie seit dem späten 11. Jh. Zugriff auf den Prümer Besitz in St. Goar, wo sie einen befestigten Hof besaßen. Geschickte Politik, wie der Erwerb weiterer Gebiete um Darmstadt und familiäre Bezüge zu den Staufern, ließ die Katzenelnbogen schon vor 1160 zu Grafen aufsteigen, die Stift und Fähre St. Goar spätestens mit dem Bau von Rheinfels ab 1245 ihrer Herrschaft einverleibten und die Burg dann zum Sitz ihrer »Untergrafschaft« machten.
Ähnlich entwickelte sich die pfalzgräfliche Herrschaft um Bacharach. Wie erwähnt gehörten Kirche und Ort um 1100 zu wesentlichen Teilen dem Erzstift Köln und dem dortigen St. Andreas-Stift. Die Vogtei oblag den Pfalzgrafen bei Rhein, also den ursprünglich Verantwortlichen für die königlichen Pfalzen der Region. Schon um 1120/21 nannte sich ein Goswin, der dieses Amt versah, »von Stalecke«, bewohnte also bereits diese Burg. Sein Sohn Heinrich, ein Halbbruder des ersten Grafen von Katzenelnbogen, war zugleich Schwager des Stauferkönigs Konrad III. und wurde von ihm 1142 wiederum zum Pfalzgrafen ernannt. Er baute die Position der Pfalzgrafschaft in Bacharach so aus, dass das Erzstift Köln die dortige Vogtei 1189 endgültig an seinen Nachfolger Konrad, einen Staufer, übergab. Stahleck blieb ein Hauptsitz der Pfalzgrafschaft, auch nachdem das Amt 1214 an die Wittelsbacher kam.
In weniger hohen Rängen des Adels spielte sich das Geschehen um Oberwesel und um Trechtingshausen bzw. Burg Reichenstein ab. Oberwesel, zeitweise magdeburgisch, kam unter Friedrich I. wieder ans Reich, und die Reichsministerialen von Schönburg wurden Vögte; das blieben sie aber nur bis 1237, dann wurde die Stadt reichsunmittelbar. Das Dorf Trechtingshausen, seit 1135 im Besitz des Klosters Cornelimünster bei Aachen belegt, wurde von Vögten des Klosters verwaltet, die, fassbar seit 1213, auf Reichenstein saßen; sie verhielten sich so selbstherrlich, das es zum Wechsel des Vogtes und zuletzt zu einer Belagerung durch König Rudolf I. kam. Auch der lange Streit um die Herrschaft Reichenstein, der sich dann zwischen Mainz und den Pfalzgrafen entspann – Mainz blieb letztlich erfolgreich – zeigt die Konkurrenz der heranwachsenden Territorien.
Die letzten beiden Fälle, wie der Aufstieg der Pfalzgrafen und der Katzenelnbogen, sind Beispiele für eine grundsätzliche Entwicklung, die im deutschen Raum spätestens ab dem 11. Jh. stattfand. Hatte es im Frühmittelalter neben wenigen Hochadeligen mit großem, aber verstreutem Besitz gewiss auch schon eine lokale Aristokratie gegeben, so beruhte die Macht der Ersteren damals vor allem auf ihrer Nähe zum König, dem sie vielfältig verbunden waren, während die Macht der Letzteren begrenzt blieb. Erst langsam, beginnend auf der Ebene der Grafen im späten 11. Jh., begannen solche Familien, ihre Besitzungen und Rechte zu konzentrieren und höheres Selbstbewusstsein zu entwickeln, das sie zu einer Politik nicht nur für die königliche Zentralgewalt, sondern auch für eigene Interessen befähigte. Hier lagen die Ursprünge der adeligen Territorien, und im gleichen Zusammenhang entstand auch die neue Art von Burg, die wir als charakteristisch für das Mittelalter empfinden: die Adelsburg, die – anders als frühere, zum Schutz der Bevölkerung unterhaltene Fliehburgen – Wohnsitz und Stützpunkt von Adelsfamilien war und in ihrer Gestalt auch deren Selbstbild veranschaulichte.
Die Verhaltensweisen des Adels prägten im Hochmittelalter auch die führenden Vertreter der geistlichen Territorien, wie gerade die Geschichte der drei mittel- und niederrheinischen geistlichen Kurfürsten zeigt. Bischöfe und Erzbischöfe stammten fast immer aus dem (Hoch-) Adel, und sie strebten, wie der Adel allgemein, nach politischer Macht und Ausdehnung ihres Besitzes. Reinald von Dassel als Erzbischof von Köln (1159 – 67) und Christian von Buch in Mainz (1165 – 83) waren Kanzler Kaiser Friedrichs I. und hochrangige »Diplomaten«; beide erwarben als militärische Führer mehr Ruhm denn als Seelenhirten. Ein eindrucksvolles Beispiel für das weltliche Streben rheinischer Kirchenmänner war auch Balduin, der Bruder König Heinrichs VII., aus dem Grafenhaus Luxemburg, der in fast fünfzigjähriger Amtszeit als Erzbischof von Trier (1307–54) zeitweise auch Mainz und weitere Bistümer verwaltete. Balduin, der systematisch Burgen baute, ließ sich 1309 von seinem Bruder als Vogt der Reichsstädte Boppard und Oberwesel einsetzen; 1312 folgte deren Verpfändung an Trier, schließlich unter Ludwig dem Bayern (1314/22– 47) die endgültige Übertragung der Reichsrechte in Boppard. Weil die Stadt ihre Unabhängigkeit behalten wollte, eroberte Balduin sie; noch 1495 folgte dort ein Aufstand gegen die trierische Herrschaft.
Mit dem Erwerb von Boppard und Oberwesel durch Trier war die Aufteilung in kurfürstliche und gräfliche Territorien am Oberen Mittelrhein vollendet. Zwischen der 2. Hälfte des 12. Jh. und dem Anfang des 14. Jh. hatte der Prozess die schwindende Kraft der königlichen Zentralgewalt gespiegelt sowie das Bemühen des Adels, seine Herrschaftsgebiete zu konzentrieren – eine Entwicklung, die nahelag in einer Epoche, in der Bevölkerung und ökonomische wie soziale Dynamik rasant zunahmen. Nur überschaubare Gebiete konnten noch beherrscht werden, nicht mehr das riesige Imperium mit dem verstreuten Besitz weniger, dem königlichen Hof nahestehender Hochadeliger.
Im Mittelrheintal ging es den Territorialherren vor allem um die beiden landschaftstypischen Einkünfte: Weinverkauf und Zölle auf die Schifffahrt. Im Laufe des 13. Jh. bis etwa 1320 wurde die Besiedlung des Mittelrheintals abgeschlossen – also etwa zu der Zeit, als auch die Territorialisierung ihren Abschluss erreicht hatte und die meisten Burgen gebaut waren. Die beschriebenen Auseinandersetzungen um die Herrschaft und der Boom des Burgenbaues fielen also mit dem Höhepunkt der Weinproduktion zusammen.