Kathrin Brückmann / Miriam Covi / Ly Fabian / Lara B. Fritz / Susanne Horak / Ivonne Keller / Jana Rauschenbach / Juliane Walker / Kerstin Wiedemann / Tonja Züllig
Stadt, Land, Lust
Romantische Geschichten zwischen
Alpenrand und Waterkant
Knaur e-books
Kathrin Brückmann wurde am 9. Februar 1966 in Mainz geboren. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zur ägyptischen Geschichte. Nach dem Abitur studierte sie daher auch Ägyptologie, klassische Archäologie und Judaistik an der Freien Universität Berlin. 2001 folgte eine Weiterbildung als Webdesignerin und Anwendungsentwicklerin. Zurzeit ist Kathrin Brückmann als freie Lektorin tätig. Zum Schreiben kam sie 2011. Nach dem historischen Roman »Sohn der Sykomore« entstanden mehrere Kurzgeschichten aus verschiedenen Genres, von denen »Tausend und ein Tod« 2012 im Self-Publishing veröffentlicht wurde.
Miriam Covi wurde 1979 in Gütersloh geboren und entdeckte schon als Kind ihre Leidenschaft fürs Schreiben. Ihre Arbeit als Fremdsprachenassistentin führte sie nach New York City, wo sie bei der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen arbeitete. Ihre Erlebnisse im Big Apple hielt sie in ihrem Weblog „Mitten in Manhattan“ auf der Internetseite der Zeitschrift „Brigitte“ fest. Gemeinsam mit ihrem Mann lebte Miriam ein paar Jahre in Berlin, bevor das Paar aus beruflichen Gründen nach Rom zog. Seit Miriam ihr erstes Kind bekommen hat, versucht sie, zwischen Wickeltisch und Waschmaschine hin und wieder in die Welt des Schreibens zu flüchten.
Ly Fabian lebte in Leipzig, in der Schweiz, in Spanien und seit einigen Jahren in Hessen. Ihre Liebe gehört der Malerei. Sie erlernte unterschiedliche Techniken bei verschiedenen Künstlern, unter anderem auch in der Normandie und Spanien, und hat an etlichen Ausstellungen teilgenommen. In den Jahren 2011 und 2012 hat sie gemeinsam mit anderen Künstlern Kunstprojekte mit und für Kinder begleitet, so zum Beispiel die künstlerische Gestaltung einer Spielplatzmauer mit Grundschulkindern. Durch die Schreibwettbewerbe bei neobooks hat sie den Spaß am Schreiben entdeckt und verfasst seitdem Kurzgeschichten in den unterschiedlichsten Genres.
Lara B. Fritz (1981) beobachtet und fragt nach. So wurde sie zu einer der jüngsten Redakteurinnen in Deutschland. Dann zog es sie zum Soziologie-Studium in die Schweiz. Heute pendelt sie zwischen Basel und ihrem Wohnort in Süddeutschland, zwischen Arbeit und Studium, Aufbruchstimmung und Hundewunsch.
Susanne Horak wurde 1961 geboren. Sie ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. Vor etwa 10 Jahren begann sie sich intensiver mit dem Schreiben zu beschäftigen. Lange Zeit arbeitete sie in großen Unternehmen als Assistenz der Geschäftsleitung, später als TV-Redakteurin und zuletzt im Process- & Projektmanagement, ehe sie beschloss, sich selbständig zu machen, um dem Schreiben mehr Raum zu geben. Susanne Horak schreibt, lebt und arbeitet in Wien und freut sich über ihren ersten fertigen Roman.
Ivonne Keller lebte früher in einer Studenten-WG und hat einiges mitgemacht. Ihre Erlebnisse hat sie in Tagebüchern festgehalten, über die sie heute noch in Gelächter ausbricht. Nachdem sie eine Banklehre absolvierte, ging sie ins Ausland und arbeitete anschließend als Barfrau und Chefsekretärin. Heute ist sie Personalerin bei einer Frankfurter Unternehmensberatung. Die Liebe zur Sprache hat sie zum Schreiben geführt. Zahlreiche ihrer Kurzgeschichten wurden in Anthologien und Magazinen veröffentlicht; für drei ihrer Beiträge hat sie Preise gewonnen – zuletzt vom Buchjournal auf der Frankfurter Buchmesse 2012. Im Dezember 2012 wurde ihr erster Roman »Hirngespenster« als Knaur eBook veröffentlicht. Zurzeit arbeitet sie an ihrem dritten Frauenroman. Sie lebt mit ihrem Mann, drei Söhnen und einer bunten Katze in der Nähe von Frankfurt am Main.
Jana Rauschenbach, 33 Jahre, wuchs im lebensnahen Ost-Berliner Bezirk Marzahn auf, dem New York des Ostens. Die Autorin lernte die Härte des Lebens ungefähr in der dritten Klasse kennen, als sie feststellte, dass sie als mathematische Null auf die Welt gekommen war. Dummerweise hatte der Vater ausgerechnet in Mathematik promoviert und erwartete nun ebensolche Talente bei seiner Tochter. Nachdem zu erkennen war, dass sie wenigstens die besten Schulaufsätze schrieb, glätteten sich die familiären Wogen wieder. Zunächst studierte Jana Rauschenbach unter spanischer Sonne spanische Literatur und Sprache. Sie hatte sich unsterblich in einen Spanier verliebt, der vorgab, keiner von diesen Machos zu sein. Er war es dann aber doch, und so kehrte die Autorin Freund und Land den Rücken und ging zurück in die Heimat. Diesmal nach Hamburg. Die steife Brise wehte ihr kühl um die Berliner Schnauze, und sie verstand nur Bahnhof, wenn Worte wie »Plietsch«, »Deern« und »Rundstück« fielen. Ihr Rettungsanker war eine 86-jährige Nachbarin, die der Autorin seit mittlerweile fast zehn Jahren Nachhilfe in Hamburger Schnack und Umgangsformen erteilt. Jana Rauschenbach arbeitet als Journalistin in Hamburg und verbringt ihre Zeit am liebsten mit ihrer vierjährigen Tochter Marley. Sie liebt Kachelöfen, Labskaus und ja – den Hamburger Regen. Verrückt, oder?
Juliane Walker wurde 1976 in Westberlin geboren. Nach einer Bauzeichnerausbildung und einigen Praktika in verschiedenen Bereichen wagte sie 2001 den Schritt in die Filmbranche, in der sie zahlreiche nationale und internationale Kinoproduktionen als Regie- und Produktionsassistentin unterstützte. 2007 verlegt sie ihren Lebensmittelpunkt nach London. Dort arbeitete sie für Kurzfilmprojekte und zuletzt als Project Manager in einer Eventagentur. Drei Jahre später kehrte sie nach Berlin zurück und schrieb das Drehbuch für den Kurzfilm »Anna«, den sie 2011 als Regisseurin realisierte. Momentan arbeitet sie wieder freiberuflich in der Filmbranche, schreibt Kurzgeschichten und arbeitet an ihrem Drehbuch-Debüt für einen Kinofilm.
Kerstin Wiedemann hat im Jahr 2003 Kurzgeschichten im Bastei Lübbe Verlag für die Zeitschrift »Anonym« veröffentlicht. 2001 hat sie ein Trainee als Drehbuchautorin bei Grundy Ufa absolviert, für die Serie »Verbotene Liebe«. Aktuell hat sie zwei Bücher in Arbeit: einen Erwachsenenkrimi (Regio-Köln Krimi) und einen Kinderkrimi. Die gebürtige Rheinländerin lebt seit sieben Jahren in München. Ihre Geschichten denkt sie sich beim Joggen und Zugfahren aus.
Tonja Züllig, geboren 1970 in der Nähe von Zürich, hat Geschichte und Russisch studiert. Nach der Geburt ihrer Zwillingssöhne schrieb sie jahrelang Artikel für ein Zwillingselternmagazin, bevor sie sich belletristischen Texten zuwandte. Sie lebt mit ihrem Mann und fünf Kindern in der Nähe von Zürich.
© 2015 der eBook-Ausgabe Feelings – emotional eBooks
© 2013 Knaur eBook
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Franz Leipold
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Covermotiv: © FinePic®, München
ISBN 978-3-426-43675-2
Kathrin Brückmann
Geht es euch auch so? Monotone Tätigkeiten können bei mir einen Trancezustand auslösen. Die Hände folgen einem festgelegten Ablauf von Bewegungen, während die Gedanken ganz eigene Wege gehen. Und manchmal scheint es auch genau andersherum zu sein. Neulich aber muss ich mit Kopf und Händen in Wolkenkuckucksheim gewesen sein, sonst wäre das alles nicht geschehen.
Aus dem Lager hatte ich die Restposten herausgesucht, die für den Aufsteller Sonderangebote bestimmt waren. Damit sie aus der Buchpreisbindung fallen, muss man sie am unteren Seitenschnitt mit diesem Stempel versehen. Die Bücher standen bereits mit den Schnittflächen nach oben in dem Gestell, und ich legte los: Stempel aufs Kissen drücken, dann auf die Seiten und so weiter – eine monotone Tätigkeit.
»Tschuldige …«
Dieses einfache Wort kam wie aus dem Nichts und ließ mich heftig zusammenfahren. Und schon war es passiert. Fett prangte das Urteil auf meinem Handrücken: preisreduziertes Mängelexemplar.
Hastig drehte ich mich herum. Wem sah ich mich wohl gegenüber? Natürlich meinem personifizierten Beuteschema! Für lange Haare bei Männern hatte ich schon immer eine Schwäche. Selbst der kleine Bauchansatz unter dem schwarzen Shirt ließ meine Knie weich werden. Sofort zwang ich meine wagemutigen Phantasien an die Leine: Meine Adonis-Version war mindestens zehn Jahre jünger als ich.
Sein Blick wanderte von meinem Gesicht zu meiner Hand. Seine Mundwinkel zuckten.
Kennt ihr diese Spruchbänder mit Nachrichten? Eines in der Art lief gerade auf seiner Stirn entlang: Achtung, preisreduziertes Mängelexemplar. Geschenkt ist noch zu teuer.
Natürlich wurde ich rot.
»Äh. Wie kann ich dir helfen?«
Das Du kam ganz automatisch. Mein kleiner Buchladen liegt in Berlin Friedrichshain, und die meisten meiner Kunden sind Studenten.
»Ich … öhm …«
Sein Blick wanderte im Ladenraum herum und blieb an den Zeitschriften neben dem Tresen kleben.
»Haste den Metaller da? Das ist ‘ne Heavy-Metal-Zeitschrift.«
»Nee«, sagte ich. »Ich kann ihn dir aber bestellen.«
»Super!« Er lächelte mich an.
Strahlend blaue Augen, Augenseen, nichts für Nichtschwimmer. Ich drohte bereits zu ertrinken.
»Morgen kannste ihn abholen.«
Er entdeckte den Stapel Visitenkarten neben der Kasse. »Darf ich?«
Ohne meine Antwort abzuwarten, griff er nach der obersten. Ich biss mir auf die Lippen.
»Fee?« Seine Augenbrauen schossen nach oben, und ich grinste schief.
»In ihrer ganzen Pracht«, machte ich einen angedeuteten Knicks.
Er lachte schallend. »Der Name gefällt mir. Er passt zu dir.«
Seine Fröhlichkeit war so ansteckend, dass ich meine Verlegenheit verlor. »Wie die Faust aufs Auge.«
»Quatsch. Ich bin Jonas …« Er machte eine Pause und sah mich mit einem schwer zu deutenden Ausdruck an. »Jonas Prinz. Bis morgen dann.«
Ich blickte ihm noch eine ganze Weile nach, wie er durch den strömenden Regen in Richtung Boxhagener Viertel rannte. Zwischen uns ballten sich die Wolken meiner Komplexe zusammen.
Am Nachmittag kam Katja vorbei.
»Na, meine Kleene, wat haste denn? Du kiekst ja wie ‘ne Kuh, wenn‘s blitzt.«
Sie steuerte schnurstracks die Polsterecke im hinteren Teil des Ladens an. Seit ich Sofa und Sessel dort aufgestellt habe, gehört Katja, die resolute Endvierzigerin, zum lebenden Inventar meines Geschäfts.
»Warte, ich mach uns erst mal ein Käffchen«, sagte ich.
Während die Maschine blubberte, glich Katjas Tirade wider das Wetter dem Hintergrundrauschen des steten Regens.
Ich stellte die dampfenden Becher auf dem Tisch ab und zeigte ihr den Stempel auf meinem Handrücken. Dann erzählte ich ihr von der Begegnung mit Jonas.
»Och Feechen, wat du dir wieder allet einbilden tust. Du bist doch en hübschet Mädel.«
Ich sah sie zweifelnd an. »Ach komm, sei ehrlich. Männertechnisch bin ich ein Ladenhüter. Würdest du mich ins Schaufenster stellen? Groß, dick und ungelenk, mich guckt doch keiner zweimal an.«
»Aber nee, det stimmt doch jar nich. Klar biste en bissken rund, aber det steht dir. Du hast so en nettet Jesicht, echt.«
Katjas Worte konnten mich nicht trösten.
Spieglein, Spieglein an der Wand, jeden Tag mich hässlich fand.
»Selbst wenn – Jonas ist gerade mal Ende 20. Ich bin doch viel zu alt für ihn.«
»Na und? Wat macht det heute schon? Wo die Liebe hinfällt …«
»Na, mich verfehlt sie meist«, sagte ich bitter.
Am nächsten Morgen schien die Sonne und beleuchtete unbarmherzig einen Pickel auf meiner Stirn. Was heißt Pickel? Es war das Horn von Afrika! Klar, das musste ja passieren.
Habt ihr das auch schon erlebt? Ihr habt etwas Wichtiges vor – Rendezvous, Vorstellungsgespräch –, und genau dann kommen diese Relikte der Pubertät an die Oberfläche und erinnern einen daran, dass man innerlich immer noch das hässliche Ding vom Schulhof ist.
Ich mied den Blick ins Spieglein an der Flurwand, das trotzdem hinter mir herzurufen schien: Ieeh, guckt mal die!
Spieglein war ein Geschenk meiner Mutter zum Einzug in diese Wohnung. Es schien mir stets nur meine unvorteilhafteste Seite zu präsentieren. Warum nur fand ich nicht den Mut, es einfach in eine Schublade zu legen?
Allerdings war auch der Badezimmerspiegel an diesem Tag kaum gnädiger. Hier konnte nur noch die geballte Kraft der Kosmetikindustrie Abhilfe schaffen. Ich tupfte und schmierte und hatte doch mit jeder weiteren Schicht Abdeckstift das Gefühl, den Stirnhöcker zu einem immer größeren Gebirge aufzufalten – eine unübersehbare Barriere zwischen mir und normalen Menschen.
Ausgerechnet heute! Ich erwog Ausreden von Krankheit bis Notfall und ging am Ende doch aus dem Haus – stigmatisiert. Zum Glück hatte ich es nicht weit. Ich drückte mich in den Schatten, den die Zuckerbäckerbauten der Frankfurter Allee warfen, bis ich mich endlich im Innern meines Ladens verbergen konnte.
Den ganzen Vormittag huschte ich mit gesenktem Kopf herum, getraute mich kaum, den Kunden in die Augen zu sehen. Immer, wenn ich allein war, fuhren meine tastenden Finger an die Stirn, ob das Ding schon geschrumpft sei.
Katja war auch keine große Hilfe. »Ach wat, det sieht man kaum.«
Fromme Lüge!
Die Stunden verrannen, und Jonas tauchte nicht auf. Was, wenn er gar nicht käme? Einerseits verspürte ich Erleichterung, aber andererseits … Vielleicht hatte er es einfach vergessen. Würde ich ihn wiedersehen? Ich nahm den Metaller aus dem Regal und presste ihn an meine Brust.
Blöde Kuh! Wieso klopft dein Herz wie verrückt?
Kurz vor Ladenschluss – ich war bereits zu einem Häufchen Selbstmitleid im Schatten des gigantischen Pickels geworden – trat er durch die Tür. Ich hätte ihn beinahe nicht erkannt, denn er hatte sich mit einem Schal bis fast unter die Nasenspitze vermummt.
Meine Melancholie wurde von einem Glücksgefühl hinweggefegt. Trotzig bot ich meinem inneren Schweinehund die Stirn, die gehörnte, und strahlte ihn an. »Hi Jonas. Hier ist dein Metaller.«
Natürlich wanderte sein Blick sofort zu dem Kainsmal, die Augen wurden groß.
»Hallo Fee. Ich … Moment mal.«
Er eilte suchend die Regale entlang, wurde schließlich fündig. Während er zum Tresen zurückging, wickelte er sich umständlich aus dem Schal heraus. Ich hatte nur Augen für den Buchtitel, den er mir präsentierte: Des Knaben Wunderhorn. Na schönen Dank auch.
Dann endlich sah ich, was zuvor verdeckt gewesen war – eine rote Pustel an seinem Kinn. Er grinste verlegen.
So hat das damals begonnen.
Jonas kam von nun an immer öfter in meinen kleinen Laden, bestellte Bücher, die er für sein Psychologiestudium benötigte, und hielt sich dabei länger auf als nötig. Längst schon wagte ich mir auszumalen, dass es nicht nur mein grauenhafter Kaffee war, der ihn zu einem Schwätzchen in die Polsterecke lockte.
»Feechen, ick kann det langsam nich mehr sehen«, sagte Katja eines Tages, nachdem Jonas sich verabschiedet hatte.
»Was?«
»Na ihr zwee beede. Mädel, der Jonas schmachtet dir an, aber du scheinst det nich zu kapiern.«
»Quatsch«, sagte ich. Doch mein Herz machte dabei einen kleinen Hüpfer.
»Wenn ick et dir doch sage! Trau dich mal.«
Vielleicht hätte ich Jonas meine Gefühle tatsächlich viel eher gezeigt, wenn da nicht Spieglein gewesen wäre. Sein unbarmherziges Urteil über meine Krähenfüße, den dicken Hintern und den Schwabbelbauch wirkte wie eine kalte Dusche auf den zarten Keim meiner Hoffnung. Ich schluckte schwer.
»Och nee, nu komm mir nich mit dem waidwunden Blick!«, schimpfte Katja.
Nach diesem Gespräch ließ sie sich eine Woche lang nicht blicken.
Ihr werdet euch sicher wundern, aber ich wusste weder, wo sie wohnte, noch kannte ich ihre Telefonnummer; daher konnte ich sie auch nicht fragen, was los sei. Manchmal hat man solche Freundschaften. Sie sind auf einen bestimmten Raum begrenzt, und so war das bei Katja und mir.
Und dann war sie plötzlich wieder da, begrüßte mich mit einer Umarmung, als sei nichts geschehen, und winkte Jonas fröhlich zu.
»Na, ihr beeden Hübschen, kiekt ma, wat ick hier habe.«
Sie legte Karten für ein Konzert im K17 auf das Tischchen.
Kennt ihr den Club in der Pettenkofer Straße? Dort spielen regelmäßig Heavy-Metal-Bands und bieten ein Kontrastprogramm zur Kneipenmeile um die Simon-Dach-Straße, die Touristen und Partygänger anlockt. Mehr was für die Einheimischen also.
»Die hat meen Neffe sich jeholt, aber nu hatt er nen neuen Job und kann nich jehn, weil er Samstag früh raus und malochen muss. Da dacht ick mir, det is wat für Feechen und Jonas.«
Ich fühlte mein Gesicht heiß werden und wusste, dass ich aussah wie ein Feuermelder. Wütend funkelte ich Katja an. Jonas aber schien nicht im Mindesten zu bemerken, welch durchsichtiges Manöver sie abzog.
»Oh, das ist ja super. Klasse!« Er griff nach den Karten. »Ja, äh … Fee? Hätteste denn Lust?«
Endlich löste er den Blick von den Tickets und sah mich an. Erneut spürte ich die Hitze in meine Wangen schießen. Ich konnte nur nicken und grinste dabei wie ein Honigkuchenpferd.
Als ich am Freitagabend nach Hause kam, hatte ich mir mein Outfit für das Konzert schon zurechtgelegt: Ein schwarzes Kleid aus T-Shirt-Stoff mit weit schwingendem Rock (kaschiert die dicken Schenkel, Fee!) und eine Silberkette mit großen, unregelmäßig gehämmerten Gliedern. Heavy metal eben. Dazu die Zehnlochstiefel, die ich aus London mitgebracht hatte. Mein hüftlanges Haar ließ ich offen fließen. Im Vorbeigehen streckte ich Spieglein die Zunge heraus und warf mich in meine Lederjacke.
Trotzdem überfiel mich bereits im Treppenhaus wieder die Unsicherheit. War ich zu aufgedonnert? Wirkte das Kleid nicht zu aufgesetzt jugendlich? Würde man mir ansehen, dass ich nicht dazugehörte? Ihr müsst wissen, dass ich zwar oft und gern Metal höre, aber noch nie auf einem Konzert gewesen war. Allein hätte ich nicht gehen wollen, und meine Freunde bevorzugen andere Musik.
Ich fühlte mich also bereits auf dem Weg zum Treffpunkt mit Jonas wie ein Fremdkörper. Just my luck: Nach wenigen Schritten auf den unebenen Gehwegen der kleinen Nebenstraßen begannen die Stiefel, höllisch zu scheuern. Hätte ich sie bloß früher schon eingelaufen! Ich stolperte weiter an den fast durchweg sanierten Altbaufassaden der Rigaer Straße entlang. Nur die besetzten Häuser stachen wie faule Zähne heraus. Genau das liebe ich an meinem Bezirk. Hier gibt es noch Gegenströmungen.
Natürlich war ich zu früh. Wir hatten uns für halb acht verabredet, und es war erst viertel nach sieben. Ich setzte mich auf eine gemauerte Beetumfassung am Straßenrand und kramte verzweifelt in meinem Rucksack herum. Eigentlich hatte ich immer ein Notfallpäckchen mit Tampons, Taschentüchern und so weiter dabei. Vielleicht konnte etwas Zellstoff meinen Fersen Linderung verschaffen? Selbstredend lagen diese Dinge in der anderen Tasche. In diesem Moment sah ich, wie Jonas um die Ecke bog.
Er eilte strahlend auf mich zu und umarmte mich. »Toll siehste aus!«
»Danke.« Ich zögerte. Bequemlichkeit gegen Eitelkeit. »Du hast nicht etwa ein Taschentuch dabei, oder so was?«, fragte ich und deutete auf meine Füße.
»Autsch, das kenne ich«, antwortete er und tastete seine Manteltaschen ab. Schließlich zauberte er eine Packung mit – oh Wunder – Blasenpflastern hervor. Seine eigenen Springerstiefel hatte ihn wohl eine gewisse Voraussicht gelehrt.
»Du bist mein Retter!«
Wenn ihr schon mal auf einem Metal-Konzert wart, wisst ihr sicher, dass dabei meist wenig Romantik aufkommt. Doch die Stimmung war super, und schon bald vergaß ich meine Bedenken, ging ganz in der Musik auf. In der Pause tranken wir Bier, und die Hemmungen fielen immer mehr von mir ab. Die Band setzte zum letzten Song des Abends an, ein schnelles, mitreißendes Stück, und am Ende standen Jonas und ich uns erhitzt gegenüber. Er umfasste mein Gesicht mit seinen Händen – erwähnte ich schon, dass er sehr groß ist? – und zog mich an sich. Unser erster Kuss war wunderschön, zärtlich, aber auch voll Verlangen, das gestillt werden musste. Ich glaubte zu schweben.
In solchen Momenten kann man denken, die Zeit bliebe stehen. Tatsächlich waren aber nur wir stehen geblieben, während der Saal um uns herum immer leerer geworden war. Einige Leute hatten bereits damit begonnen, das Equipment der Band zusammenzupacken. Ich wurde unsanft angerempelt.
»He Alte, schieb deinen fetten Arsch da weg!«
Spiegleins Echo brachte mich unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück. Verlegen löste ich mich von Jonas und ging Richtung Tür.
»Was ist? Was hast du auf einmal?«
Ich schüttelte nur den Kopf und deutete auf den Ausgang. Wir holten unsere Jacken von der Garderobe und verließen das K17. Draußen ging ich ein paar Schritte, bis wir von den anderen Gästen weit genug entfernt waren. Ich fühlte mich mutlos. »Jonas, ich bin viel zu alt für dich.«
»Was für ein Blödsinn!«
»Was glaubst du denn, wie alt ich bin?«
»Spielt das eine Rolle? Und wenn du 60 wärst, ich würde dich trotzdem lieben.«
»Warum?«, stammelte ich und konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich fühlte mich hässlich und verbraucht.
Er nahm mich in die Arme. »Zauberfee! Du hast mich vom ersten Moment an verhext. Weißt du, dass ich dich nur nach Wechselgeld fragen wollte, damals? Ich musste dich aber unbedingt wiedersehen, darum habe ich den Metaller bestellt.« Er küsste die Tränen von meinen Wangen. »Mach mich nicht unglücklich, indem du jetzt einen Rückzieher machst. Ich hatte doch kaum zu hoffen gewagt, dass du – so intelligent und witzig, so schön …«
Ein feiner Haarriss zog sich über die glänzende Silberfläche. Spieglein