BeziehungKrisenHerd
Erste Auflage
© 2015 Louisoder Verlagsgesellschaft mbH
Müllerstraße 27, 80469 München
Alle Rechte vorbehalten
www.louisoder-verlag.de
Korrektorat: Ilona Buth
Covergestaltung: Cosmosnet
ISBN: 978-3-944153-21-6
Agga Kastell, Taitinger
Andreas Glumm, Frontbericht
Christoph Schröder, Davongekommen
Birgit Birnbacher, aber wir
Ursula Brochard, Code
Charlotte Gäbler-Goes, Muzzle
Chris Inken Soppa, Wände hören
Christian Stahl, Vitality
Eva Wachter, Fuck this shit – Ein Monolog
Frank Schliedermann, Breuer, Zielke und die anderen
Gabriele Witt, Feindberührung
Cornelius Grupen, Profis fahren rund
Holger Jäckle, Blackbox
Margarita Kinstner, Darko
Mario Fesler, ReInvention
Nike Boes, Ferien
Philipp Maehr, Erzwungene Perspektive
Andreas Kurz, Substanzen
Sibylle Luithlen, Brandtstetter geht
Sonja Reichel, Antidot
Ulrich Effenhauser, Der Auftrag
Carola Weider, Waldrauschen
Sabrina Zwach, Krieg
Das Auto röhrt den Berg hinauf und bleibt mit einem Röcheln stehen. Ein Mann steigt aus und entnimmt eine Pappkiste mit schrumpeligen Kohlrabi, schwarz-braunen Bananen und einem matschigen Salatkopf. Er erklimmt die Stufen vor der Haustür und keucht dabei leise.
Taitinger beobachtet den Mann durch das Fenster. Seine Frau steht neben ihm.
„Oh nein, nicht schon wieder!“, sagt sie. Und: „Ist der Brief vom Anwalt schon da?“
„Er hat das Einschreiben seit einer Woche.“
„Sprich doch noch mal mit ihm“, schlägt seine Frau in bittendem Tonfall vor.
„Ich habe keine Lust, mir durch eine geschlossene Tür die Kehle wund zu schreien“, sagt Taitinger. Er stutzt, weil ihm etwas einfällt. Er grinst. Seine Frau kennt das Stutzen und das Grinsen.
„Du machst doch keinen Blödsinn?“, sagt sie.
„Ich habe Hunger“, sagt Taitinger fröhlich und küsst seine Frau, die schon so einiges mitgemacht hat und sich deshalb zu Recht beunruhigt, beruhigend auf die Schläfe.
„Taitinger, mach keinen Quatsch“, flüstert sie in sein Ohr.
„Taiti kai Katsch“, kräht sein Sohn, der ihn aufmerksam beobachtet hat.
Taitinger und seine Mitmachfrau haben das Haus vor vier Monaten gekauft und mithilfe seiner Freunde aus dem Motorradclub renoviert. Auch wenn seine Freunde nicht mehr an erster Stelle stehen – dort steht ein Dreikäsehoch und schreit „Taiti“, verweigert ihm das „Papa“ und hat zwischen den kleinen Fingern das Vaterherz –, sind sie ihm weiterhin wichtig.
Das Haus zu kaufen war auch wichtig. Er möchte, dass seine Familie abgesichert ist. Und so könnte alles wunderbar sein. Aber es gibt immer eine Schlange im Paradies, einen Wurm im Apfel, einen Tropfen Wermut im Jack Daniel’s. Seine Schlange heißt Krollmann und wohnt im ersten Stock. Seine Lebensweise ist entnervend, sein Eigenbrötlertum selbst für einen Individualisten wie den Motorradrocker Taitinger zu versponnen und der Gestank aus seiner Wohnung verätzt Nasenhaare.
Der Makler hat bei der Hausbegehung nicht an Krollmanns Tür geklingelt.
„Sie werden mit diesem Mieter Schwierigkeiten haben“, hat er gesagt.
Trotzdem haben er und seine Frau beschlossen, das Haus zu kaufen. Er hat bei Krollmann geklingelt. Keiner hat aufgemacht. Er hat den Finger auf der Klingel gelassen, bis eine Stimme hinter der Tür ertönte.
„Gehen Sie weg.“
„Ich bin Ihr neuer Vermieter“, sagte Taitinger höflich. „Ich wollte mich vorstellen.“
Es raschelte. Taitinger machte sich Hoffnungen, was gutes Benehmen bewirken kann, aber umsonst.
„Sie müssen sich anmelden“, sagte die Stimme. „Eine Woche vorher.“
Taitinger spürte, wie ihm vor Wut das Blut in die Füße lief. Er ließ die Faust gegen die Tür krachen.
„Hiermit melde ich mich an. Für nächste Woche, und zwar für jeden einzelnen Tag“, rief Taitinger, „damit wir sehen können, was an Renovierungsarbeiten ansteht.“
Er erhielt keine Antwort.
Taitinger hat bei der Gemeinde angerufen, beim Ordnungs- und Gesundheitsamt und bei seinem Anwalt. Ohne Gerichtsbeschluss darf er nichts unternehmen. Taitinger ist wütend. Auf die Scheißpolitik, die Scheißanwälte, die Scheißwelt. Weil man der Scheißwelt schlecht ins Gesicht schreien kann, hat er Streit mit seiner Frau angefangen. Sie wollte doch unbedingt das Scheißhaus. Eine Woche später steht er vor Krollmanns Tür, noch steckt sein Blut im Kopf. Ausatmen, Taitinger, ausatmen. Die Tür geht auf! Der Mann vor ihm ist mittelgroß und grau.
„Guten Morgen, Herr …?“, sagt Krollmann mit einer sehr kultivierten Stimme.
„Taitinger“, sagt Taitinger.
„Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Sie meine Wohnung auf eigene Gefahr betreten.“
Taitinger nickt. In der Nähe gebildeter Menschen hat er sich nie wohlgefühlt. Gleichzeitig steht die Umgebung des kultiviert wirkenden Herrn Krollmann in krassem Widerspruch zu allem, was sich Taitinger unter zivilisiert vorstellt.
In den Räumen stapeln sich Sachen bis unter die Decke. Die Wände sind nicht auszumachen. Der Boden ist knöcheltief mit Dingen bedeckt.
„Wie kann man nur so leben?“, entfährt es Taitinger.
„Das geht Sie nichts an“, sagt Krollmann.
„Doch“, sagt Taitinger. „Das ist gesundheitsschädlich. Es riecht wie auf einer Müllhalde.“
„Ich wohne seit zehn Jahren hier und lasse mir nicht vorschreiben, wie“, sagt Krollmann.
Mit dem Nichtbeachten von Vorschriften hat Taitinger Erfahrung. Der Widerstand gegen Regeln nötigt ihm Respekt ab.
„Wir werden renovieren“, sagt Taitinger.
„Ich bin zufrieden so, wie es ist“, sagt Krollmann.
„Sie werden von mir hören“, sagt Taitinger.
„Davon bin ich überzeugt“, sagt Krollmann.
Als Taitinger nach Hause kommt – noch leben sie in einer Dreizimmermietwohnung – und seiner Frau davon erzählt, wird sie sauer.
„Du hast dich doch nicht von dem Wichser einwickeln lassen?“, fragt sie. Er erschrickt. Schimpfwörter sind sonst nicht ihre Sache.
„Legal können wir fast nichts tun“, sagt er.
„Äh?“, sagt seine Frau. „Seit wann stehst du auf legal?“
Er schnauft. Seine Frau, die ihm die schiefe Bahn abgewöhnt hat, die ihm sonst alles Krumme verbietet, was will sie von ihm?
„Geh nochmal zum Anwalt, zum Amt und so weiter“, sagt seine Frau.
Ein paar Tage später weiß Taitinger, dass er nichts ändern kann, solange Krollmann pünktlich seine Miete bezahlt. Und das tut das Sozialamt regelmäßig für ihn. Wegen des Gestanks kann er das Gesundheitsamt bemühen. Das Zauberwort ist „Ermessensspielraum“. Das heißt, wenn das Haus tagelang stinkt, der Beamte, der sich anmelden muss, zum Überprüfen kommt und Krollmann vorher ausgiebig lüftet, passiert nichts.
Taitinger hat Biss und den braucht er jetzt auch, denn er muss in einen sauren Apfel beißen. Er, seine Mitmachfrau und das herzige Kind ziehen um.
Taitinger lernt seine Nachbarn kennen. Die ältere Dame von gegenüber. Die Schulkinder. Den Porschefahrer, der jeden Morgen im Affenzahn vorbeiprescht. Taitinger könnte zufrieden sein. Doch nach getanem Tagewerk steht er am Fenster und sieht den kultivierten, aber ungepflegten Krollmann. Seine Frau sagt, er soll mit ihm reden. Aber er hat keine Lust, sich vor dessen Tür die Lungen aus dem Leib zu brüllen, denn Krollmann macht nur auf, wenn er sich eine Woche vorher anmeldet.
Am nächsten Tag bringt Taitinger ein Megafon mit. Er springt die Treppe hinauf und positioniert sich vor der hässlichen Eingangstür.
„Krollmann“, ruft er, „haben Sie von den neuen Wärmedämmungsgesetzen gehört? Wir fangen nächste Woche damit an, die Außenfassade zu sanieren. Gleichzeitig werden die Fenster ausgewechselt. Diesmal sind Sie verpflichtet, uns in die Wohnung zu lassen.“
Taitinger schaltet das Megafon aus. Er hört Krollmanns Stimme sehr gedämpft.
„Für Sie immer noch HERR DOKTOR KROLLMANN.“
Das stimmt. Der Mann war Zahnarzt und hat die Krankenkassen um Hunderttausende Mark geprellt. Der Betrug wurde entdeckt, als auf den Euro umgestellt wurde. Er verlor seine Approbation, seine Praxis, sein Haus, sein Auto, seine Frau. Da ihm die Grundlage für sein altes Hobby, das Geldsammeln, entzogen wurde, sammelt er in seinem neuen Leben alles andere.
Das erzählt Taitinger kopfschüttelnd seiner Kartoffeln schälenden Frau in der Küche.
„Tut er dir leid?“, fragt sie.
„Ein bisschen schon“, sagt Taitinger, der ohne die feste Hand seiner Mitmachfrau vielleicht auch als gescheiterte Existenz geendet hätte. „Trotzdem müssen wir ihn loswerden.“ Versonnen nimmt er eine mittelgroße Kartoffel in die Hand, wirft sie in die Luft, öffnet den Reißverschluss der Brusttasche seiner Latzhose und fängt sie damit auf. „Noch mal“, kräht sein Sohn und er tut ihm den Gefallen.
Am nächsten Abend steht Krollmanns Auto unverändert an seinem Platz.
„Ist Krollmann heute nicht betteln gefahren?“, fragt er.
„Er hat’s versucht“, sagt seine Frau.
Ein Abschleppwagen kommt um die Ecke und hält vor dem Haus. Krollmann spricht mit dem Mechaniker. Der setzt sich in den Fahrersitz und dreht den Zündschlüssel. Der Motor heult auf. Keiner der beiden sieht, wie aus dem Auspuff etwas fliegt, das verdächtig einer Kartoffel gleicht. Der Motor läuft, der Abschleppwagen fährt davon. Seine Frau sieht Taitingers grinsendes Gesicht.
„Pass bloß auf“, sagt sie.
Zwei Abende später holt Taitinger einen Schlüssel, für den es kein Schloss mehr gibt, und schleicht sich zur Müllwohnung hinauf. Ein helles, metallisches Geräusch erklingt. Am Morgen klingelt es an der Tür. Ein Mann, auf dessen blauem Overall „Schlüsseldienst“ steht, sagt: „Hören Sie, der Mann da oben hat den Schlüssel im Schloss abgebrochen und sagt, er war’s nicht. Wie der wohnt! Der gehört doch in die Klapse.“
Taitinger nickt leidgeprüft.
Als der Mann weg ist, geht er hoch und klopft. „Ich habe Geld für Sie!“, ruft er.
Krollmann öffnet die Tür.
„3000 Euro“, sagt Taitinger. „Ich besorge eine Wohnung. Ich organisiere den Umzug. Das alles wird Sie nichts kosten. Und obendrein 3000 Euro.“
„Sie wollen mich loswerden“, sagt Krollmann.
„Stimmt“, sagt Taitinger.
„Ich bespreche es mit meinem Anwalt“, sagt Krollmann und schließt die Tür.
„Was, für 3000 Euro will Krollmann nicht?“, fragt seine Frau, als sich Taitinger abends an den Tisch setzt. Er erklärt es. Sie sagt, Krollmann finde die Summe zu gering. Bei 10 000 Euro würde er es sich überlegen. Taitinger vergräbt das Gesicht in den Armen. Eine kleine Hand streicht über seinen Kopf.
„Taiti is rot“, sagt ein Stimmchen. Es stimmt. Er weiß nicht mehr, wohin mit seiner Wut.
„Jetzt gibt es Krieg“, sagt Taitinger dumpf. „Er hatte die Wahl.“
„Taiti kai Katsch“, kräht das wonnige Kind. Taitinger hebt es hoch und drückt es an sich.
Am Abend wiederholt sich das Spiel mit dem Schlüssel. Nachts um halb eins werden Taitingers aus dem Schlaf gerissen. Es klopft und klingelt und hämmert an der Tür. Taitinger öffnet benommen. Dort steht Krollmann, seine Hände um ein Schriftstück geklammert, das er ihm entgegenhält.
„Das ist eine richterliche Verfügung“, kreischt er. „Sie dürfen mich nicht am Betreten meiner Wohnung hindern.“
Wie kommt dieses Würstchen innerhalb eines mickrigen Tages zu einer richterlichen Verfügung, während er sich seit Wochen umsonst abmüht, irgendetwas zu erreichen? Taitinger knüllt das Papier zu einer Kugel und wirft es in den Hausflur.
„Das ist eine dämliche Kopie“, plärrt Krollmann und klärt ein für alle Mal die Frage nach seinem Geisteszustand. Taitinger zieht seine schweren Arbeitsschuhe an, stößt Krollmann beiseite und stampft die Treppe hinauf. Vor der Eingangstür hebt er ein Bein.
„Was … was machen …“, stammelt Krollmann, aber es ist zu spät. Begleitet von einem lauten Schrei tritt Taitinger die Tür ein, die nach innen fliegt. Er schüttelt seinen Fuß aus und geht die Treppe herunter.
„Halt“, schreit Krollmann, „wer … die Tür … zu?“
Taitingers Blick ist mörderisch.
„Davon steht nichts in der Verfügung“, brüllt er, „davon nicht.“
Manchmal ist das Leben nicht schön, trotzdem will es gelebt werden.
Die Gerüstbauer haben um das Haus ein Gerüst hochgezogen. Taitinger hat alle Fenster ausgemessen, bis auf die von Krollmann natürlich. Morgen früh um acht verfällt das Sonderangebot, das ihm der Schreiner gemacht hat. Seine Frau verkneift sich jedes Wort. Sie verzieht sich mit dem Kleinen ins Kinderzimmer. Kluge Frau.
Die Digitaluhr am Fernseher zeigt drei Fünfer, als Taitinger vollständig bekleidet auf der Couch erwacht. Die Wut überfällt ihn gnadenlos. Er erklimmt die Leiter des Baugerüstes, das sich rund ums Haus zieht. Er trampelt die Bretter entlang, die zu Krollmanns Schlafzimmer führen. Vor dessen Fenster greift er mit den Händen um die Metallstrebe über seinem Kopf und drückt sich über die Kante der Bretter nach hinten. Seine Armmuskeln ziehen seinen Körper hoch, gleichzeitig stößt er sich mit den Füßen ab. Der Schwung trägt ihn, Füße voran, zum Fenster. Er streckt die Beine. Glas splittert, der Holzrahmen zerbirst, Fensterteile fliegen krachend ins Zimmer. Taitinger segelt hinterher und landet neben Krollmanns Bett auf seinem Allerwertesten. Taitingers Wut ist ein bisschen verraucht und so ruft er: „Morgen, Krollmann, wollte mal nachsehen, ob Sie gut geschlafen haben.“
Krollmann hat sich zitternd an sein Kopfkissen gekrallt. Er greift vom Nachttisch eine Stabtaschenlampe. Als Taitinger versucht, auf die Füße zu kommen, haut er sie ihm auf den Kopf. Taitinger stemmt sich nach oben, er will stehend dem Unheil begegnen. Das ist ein Fehler, denn Krollmann nutzt den Schwung, hebt seine Beine vom Boden und bugsiert ihn auf das Fensterbrett. Er stemmt die Arme gegen Taitingers Leibesmitte und schiebt ihn langsam über die Fensterbrüstung. Taitinger krallt sich an Krollmanns Armen fest, dann fällt er aus dem Fenster und zieht ihn hinterher. Beide liegen auf dem schmalen Brett des Gerüstes, Bauch auf Bauch, in einer obszönen und hundert Prozent unfreiwilligen Umarmung. Sachte dreht sich das Brett und spuckt seine Last Richtung Straße. Die Körper der Kontrahenten wirbeln durch die Luft. Krollmann haut es in den Asphalt. Mit einem dumpfen Laut landet Taitinger auf ihm und macht die Sache nicht besser.
Am Gartentor steht barfuß und im Schlafanzug das wunderbare Kind.
„Taiti Katsch?“, sagt der Kleine. Dann brüllt er los. „Papa“, heult er laut, „Papa.“
Krollmann, der durch intensives Anstarren der Bürgersteigrinne sein Bewusstsein zu behalten versucht, sieht das Kind. Und weiter hinten den Porsche, der wie jeden Morgen in einem Höllentempo die Straße hinunterbraust. Das Kind rennt heulend auf die beiden Männer in ihrer befremdlichen Umarmung zu. Krollmanns Hand langt zum Rinnstein. Er hat etwas gesehen, das vielleicht hilft. Er ballt die Hand darum. Er keucht vor Anstrengung, aus seinem Mund fließt Blut. Trotzdem lässt er den Arm über den Kopf hinwegsausen und öffnet die Hand.
Taitinger merkt, wie Krollmann unter ihm zappelt, aber er hat nur Augen für seinen weinenden Sohn. Als er die Augen schließen will, um das Unvermeidliche nicht mit ansehen zu müssen, fliegt etwas Dunkles durch die Luft. Es prallt mit erstaunlicher Wucht auf die Windschutzscheibe und überzieht sie mit einem Spinnennetz aus brüchigem Sicherheitsglas. Die Bremsen quietschen, das Auto kommt schräg auf der falschen Fahrbahnseite zum Stehen. Der Porschefahrer springt aus dem Wagen und kreischt: „Welcher Arsch schmeißt hier mit steinalten Kartoffeln?“
Taitinger stöhnt und verliert das Bewusstsein.
Taitinger ist mit leichten Verletzungen davongekommen. Eine Verfügung verbietet ihm, sich Herrn Doktor Krollmann auf weniger als fünfzig Meter zu nähern. Heute muss er zum Gericht. Krollmann, der mit Lungen- und Milzriss, drei Rippenbrüchen und Brustwirbelquetschung im Krankenhaus liegt, wird von seinem Anwalt vertreten. Der wird verlegen, als der Richter ihn darauf hinweist, wie wenig vorausschauend es von ihm war, Krollmann von den 3000 Euro abzuraten. Der Richter spricht von zerrüttetem Verhältnis. Es fallen die Worte verantwortungslos, infantil und Gemeinwohl gefährdend. Erst zum Schluss kapiert Taitinger, dass Krollmann ausziehen muss. Er ist viel weniger glücklich als erwartet.
Seine Frau hat Krollmann im Krankenhaus besucht und sich bei ihm bedankt. Taitinger darf nicht mal seinen von Herzen kommenden Dank aussprechen.
Zu Hause kehrt der Alltag zurück.
Sein Sohn ist durch nichts zu bewegen, das hinreißende „Papa“ zu wiederholen. Taitinger steht in der Küche am Fenster und starrt auf die Straße, auf der sich so gar nichts tut.
Der Versuch, für den Rest des Lebens stoned zu bleiben, war nach hinten losgegangen.
„Mann … dass du so dämlich bist, hätt ich nicht gedacht …!“
Es war meine Schwester, die so aufrichtig reagierte und es kaum glauben wollte, als ich ihr von meiner Heroinsucht erzählte. Und obwohl Sucht mit dämlich wenig zu tun hat, musste ich lachen. Sie hatte ja recht. Ich war nicht siebzehn gewesen, als ich mit Heroin zu experimentieren begann – mit siebzehn war Kiffen meine Dienstmarke –, sondern Ende zwanzig, und da weiß man eigentlich, was man tut. Da kennt man das Dorf, in dem man sich bewegt, sein Pappenheim.
Ich war überrascht, dass sie überrascht war. Dass sie bis zu diesem Moment offenbar nichts von meiner Sucht bemerkt hatte. Es musste sie doch stutzig gemacht haben, wie schlecht ich aussah, wenn wir uns im Kreis der Familie begegneten: fahle Haut, Mundwinkel im Keller, verkniffener Blick. Heroin und Gesichtszüge, auf Dauer eine tragische Liaison. Die Folge: ein träger alter Hund, hinterm Ofen hervorgezerrt. Kriegt der arme Kerl das Falsche zu fressen?
Selbst meine Mutter hatte mich schon auf den Kopf zu gefragt: „Sag mal … nimmst du Heroin?“ Es war diese Direktheit gewesen, die mich so perplex machte, dass ich es glaubhaft leugnen konnte, Heroin zu nehmen, jedenfalls hat sie mich nie wieder darauf angesprochen. Dabei war ich in diesem Augenblick lediglich konsterniert, mit welcher Hellsichtigkeit Mutter erkannt hatte, dass ich weder Schnaps, Koks oder Pillen konsumierte, sondern tatsächlich Heroin. Schore. Material. Golden Brown.
Wir betraten ein überfülltes spanisches Lokal am Grünewald und mussten auf einen freien Tisch warten, meine Schwester, ihr Mann, die Gräfin und ich. Ich hatte schon einiges an Bier und warme Osborne intus. Irgendwann war ein Tisch frei und die Zeit reif für eine Heroinbeichte. Meine Schwester brach in Tränen aus, als ich ihr von dieser Desasternacht erzählte, wo ich im besoffenen Kopf zu viel Pulver geschnupft hatte und in Karlos’ Wagen bewusstlos weggesackt und beinah verloren gegangen war, auf dem Weg ins Klinikum. Es waren zornige aufgebrachte Tränen.
Für die Abhängigkeit von Drogen gibt es im Holländischen den Begriff Versklavung. Die Versklavung beginnt streng genommen mit dem Zeitpunkt der Geburt, wenn man brutal dem Fruchtwasser entrissen wird, Mutters Schutzzone, in der es behaglich warm gewesen war. Eine typisch männliche, kitschige Vorstellung, und dennoch: Das erste Mal Heroin gleicht der Rückkehr in den Mutterschoß. Ein Empfang mit Tschingderassa und Jubelchören im Blut, und wenn dir die Hitze des Opiats erstmals das Rückgrat hochkriecht, fühlst du dich angekommen, alles Suchen hat ein Ende. Es ist, als zöge die Brandwehr einen Ring Warmwasserschläuche um deinen Körper, ohne einen Fingerbreit auszusparen. Hier ist sie nun, die ewige Plazenta. Ein Gleiten durch tiefe See, eine Tauchfahrt, ähnlich der Vorstellung, die mich schon als Kind sanft in den Schlaf brachte, wenn ich abends im Bett lag und mir vorstellte, ich würde in einem kleinen gläsernen Unterseeboot durch den Ozean tauchen, geschützt von Panzerglas, während um mich herum die prächtigste Unterwasserwelt vorüberzog, blau und warm, tonnenschwer und tief. In unseren Träumen und auf Opium kehren wir ins Universum zurück, leicht wie Kosmonauten, der Ewigkeit entgegen.
Mitte der Neunziger hatte ich eine neue Stammdealerin, die Unke. Selbst in der Szene war sie kaum bekannt. Sie belieferte exakt drei Kunden, damit kein Gerede aufkommen konnte. Da sie einem regulären Bürojob nachging, empfing sie uns erst nach Feierabend, einen nach dem anderen. Eins, zwei, drei. Sie wohnte im zweiten Stock eines Mietshauses im Stadtzentrum. Wenn alles seinen gewohnten Lauf nahm, saß sie Punkt halb sechs in Shorts auf ihrer Couch und arbeitete auf der elektronischen Feinwaage die Bestellungen ab. Sie hatte stämmige, ungeheuer weiße Schenkel, und in der Wohnung hing der schwere süßliche Geruch von zu viel Patschuli.
In ihren erlauchten Kundenkreis war ich gerutscht, nachdem sich Ex-Kunde No. 3 für vierundzwanzig Monate in den Bau verabschiedete. Man hatte ihn aufgrund irgendwelcher Aussagen verknackt, die andere Süchtige in U-Haft gemacht hatten. Es war immer das gleiche Spielchen, aber ein Spielchen, an dessen Ende ein Suchtkranker ins Gefängnis wanderte. Auf dem Präsidium ließ man die Junkies so lange ohne ihren gewohnten Stoff zappeln, bis es ihnen schlecht genug ging und sie jedes belastende Papier unterschrieben, das man ihnen vorlegte – wenn man ihnen nur etwas gegen die Entzugserscheinungen versprach.
Heroin war Krieg an allen Fronten. Jeder Junkie führte einen privaten Weltkrieg gegen sich selbst, der Staat führte Krieg gegen die Süchtigen. Was bei jedem anderen Delikt kaum zur Eröffnung eines Strafverfahrens, geschweige denn zu einer Verurteilung reichte, wurde bei Rauschgift durchgewinkt. Es wurde alles abgenickt, alles ging durch, die lächerlichsten Beschuldigungen, bloß weil so viele vom Elend der Junkies profitierten. Die Kette der Profiteure war eine Kette ohne Ende, und niemand lehnte sich dagegen auf, die Junkies zuallerletzt, sie hatten andere Probleme und keinerlei Lobby. Junkies versorgten ein ganzes Füllhorn aus jungen Kripobeamten, die sich ihre ersten Sporen verdienten, desillusionierten Drogenberatern, Gefängniswärtern, Psychologen, Bewährungshelfern und Ärzten, überforderten Ärzten, Arzthelferinnen, Apothekern, Gesundheitsamtsmitarbeitern, Justizangestellten, Zollbeamten, Ladendetektiven und Berufs-Mafiosi. Jeder wollte ein Stück abhaben vom Junkie, der nichts anderes tat, als sich selbst zugrunde zu richten. Und dafür steckte man ihn am Ende in eine Zelle. Es war beschämend. Es war zum Kotzen.
Die Preise für illegales schmutziges Straßenheroin blieben so hoch, weil der Staat sich anmaßte, die eine Droge dem Schwarzmarkt auszuliefern, während die andere Droge, Alkohol, billig und sauber in jedem Dorfkiosk zu kaufen war. Es war grotesk. Ein Gramm gepanschtes Heroin mit einem Reinheitsgehalt von 10 Prozent kostete auf der Straße 100 Mark, für die Süchtigen war es ein ständiges Vabanquespiel mit der Intensivstation. Ein Gramm sauberes, vom Staat lizenziertes Heroin hätte vielleicht fünf Mark gekostet, vielleicht zehn Mark, und dabei hätten Hersteller und Zwischenhändler immer noch ihren Schnitt gemacht. Aber Junkies hatten keine Lobby, es kümmerte niemanden, was mit ihnen geschah. Junkies kümmerten sich nicht mal um sich selbst, und sie steckten ständig in der Scheiße.
Kunde No. 3 war weg vom Fenster. Die Unke erkundigte sich bei ihren beiden verbliebenen Kunden, wer die neue No. 3 werden sollte. Sie war eine altgediente Gewerkschafterin, der das Mitspracherecht der Arbeitnehmer noch etwas galt.
„Hat einer ’ne Idee?“
Mitch schlug mich vor, weil er wusste, dass ich auf der Suche nach einem neuen Dealer war. Mitch, gelernter Werkzeugmacher, hatte riesige Pranken, mit denen er in den späten Siebzigern zum inoffiziellen Flipper-König der Stadt aufgestiegen war. Zwanzig Jahre später war er schwerst alkohol- und heroinabhängig, und er ging niemals ohne Taschenbuch aus dem Haus. Es mussten ordentliche Schinken sein, Fantasy-Romane nicht unter 700 Seiten. Die Exemplare waren komplett zerlesen und voller Eselsohren, die Cover faltig, eingerissen, doch für Mitch war ein Buch in der Hand überlebenswichtig. Ein Buch in der Hand half ihm, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen. Er legte lange Strecken mit dem Schmöker in der Hand zurück. Genau genommen war Mitch heroin-, alkohol- und lesestoffsüchtig.
„Voll polytoxikoman, Alter.“
Die laufende No. 1 im Kundenkreis der Unke war ein schmächtiger Junge mit krausen Haaren, ein Ex-Liebhaber der Unke. Er machte nicht viel Worte, ein sanfter naiver Hippie, irgendwie übrig geblieben. Er kam mit harten Drogen nicht zurecht und wurde immer sonderbarer. Zuletzt war er davon überzeugt, dass sein Handy überwacht wurde, er konnte nachts nicht schlafen und glaubte den Funkverkehr der Bullen unter seinem Fenster zu hören. Schon beim fernsten Getrappel im Hausflur zitterte er am ganzen Leib und schmiss sein letztes Pulver ins Klo und zog ab. Es hatte ihn voll erwischt.
„Glaubst du, ich bin langsam panne?“, fragte er mich, und ich antwortete lange nicht darauf. Zehn Tage drauf ließ er sich ins LKH einweisen, freiwillig, bevor andere es für ihn getan hätten.
Es ging abwärts und jeder von uns wusste, unten angekommen wartete nur noch der Schanzentisch und man hob ab ins Nichts. Und dennoch – wir wollten es nicht anders. Es war genau das, was wir wollten, wir wollten süchtig sein. Ich wollte Abhängigkeit kennenlernen, ich wollte wissen, wie es ist, morgens affig aufzuwachen, ohne einen Pfennig Geld in der Tasche. Ich wollte mich selbst erobern, ich wollte mich kleinkriegen, ich setzte alles daran, mich zu foltern, zu desillusionieren, zu töten. Warum? Woher soll ich das wissen? Frag mal die großen Kriegsherren, warum sie Kriege führten. Weil sie Sieger sein wollten.
Ich bin mit den Kriegserzählungen meines Vaters aufgewachsen. 1944 gehörte er als 17-Jähriger zu Hitlers letztem Aufgebot. Und wie mein Vater als Melder hinter den feindlichen Linien agierte und dem Gemetzel an der Front ausweichen konnte, so ging ich der Einwegspritze aus dem Weg, der Maschinenpistole der Drogenszene. Ich rauchte und schniefte das Pulver in nicht haushaltsüblichen Mengen, injizierte es aber nicht ein einziges Mal, ich verweigerte mich der MP. Ich agierte wie Vater in geschützter zweiter Reihe.
„Was glaubst du, was an der Front für ein Durcheinander herrscht? Jeder hat die Hosen voll, jeder sieht zu, dass es nicht ihn trifft. Melder zu sein war mein Glück. Weil ich ständig in Bewegung war, bot ich kein Ziel. Die Kameraden dagegen, die vorn an der Maschinenpistole saßen, die hatten Pech. Ich war der Einzige aus meinem alten Zug, der überlebte.“
Nachdem ich es ins Stadtzentrum geschafft und bei der Unke geklingelt hatte, schob ich das Rad in den Hausflur und lief die drei Stockwerke hoch. Oben angekommen, drückte ich die Klingel. 1x kurz, 1x lang.
„Die Tür ist offen!“, hörte ich das Näseln der Unke. Ihre Nasenscheidewand war vom jahrelangen Sniefen porös geworden. „Komm rein.“
Sie saß am Wohnzimmertisch, der übersät war mit Zigarettenfiltern, Aluminiumfolie und anderen Utensilien.
Ich ließ mich keuchend in den Ohrensessel fallen, ein gemütliches Altertümchen, das sie auf dem Flohmarkt erstanden hatte, als sie noch clean und ansehnlich gewesen war. Keine Schönheit, aber wild, eine Art Büro-Janis-Joplin.
„Willst du dich was frisch machen …?“, fragte sie.
Es dauerte, bis mir aufging, wie sie das meinte. Es bedeutete: Junge, ich streu dir erst mal ’ne Line. Zieh das erst mal weg, komm erst mal zu dir, und dann sehen wir weiter.
„Mann … du schwitzt ja wie ein Schwein …“, nuschelte sie und reichte eine Illustrierte rüber, auf der etwas Pulver zu einer kleinen braunen Pyramide aufgeschichtet war. Daneben lag der übliche McDonald’s-Strohhalm.
„In zehn Minuten musst du dich aber vom Acker machen …“
Ich schnupfte die Portion weg, die sie mir auf der Zeitschrift rübergereicht hatte, und blinzelte zu ihr rüber. Ihre Augen waren zugefallen, der Mund stand offen. Sie befand sich im Dämmerschlaf Sudden death. Heroin, feucht geworden vom Schleim, sickerte als brauner Rotz aus ihrer Nase. Sie war breit wie tausend Russen. Als sie anfing leise zu schnorcheln, nahm ich das Holzbrett ins Visier, das vor ihr auf dem Tisch lag. Den Hügel Pulver darauf schätzte ich auf fünfzig Gramm. Ich beugte mich leise über den Tisch und schnupfte weg, was auf die Schnelle reinging. Ich hatte Gänsehaut, mir klebte Pulver an der Nasenspitze, mir wurde kotzübel, ich war überglücklich. Ich lehnte mich zurück. Solche Momente waren an der Front rar gesät. Vom nahen Busbahnhof hörte ich das Surren der startenden Oberleitungsbusse, Geschrei von Teenagern. Ich schielte immer noch auf das Holzbrett. Ich saß da und starrte den Pulverhügel an, Terrain, von dem es noch mehr zu erobern galt.
„Wie viel?“, hörte ich die Unke plötzlich murmeln.
„Was …?“
„Wie viel willst du?“
Aufgeschreckt kramte ich die Geldscheine aus der Hosentasche. So plötzlich, wie sie weggesackt war, war sie auch wieder zu sich gekommen.
„Zweihundert“, sagte ich.
Ich wusste nicht, was sie mitbekommen hatte und was nicht. Mein Herz schlug wie verrückt.
Auf dem Heimweg legte ich an der Florastraße einen Stopp ein. Ich hatte kaum mein Rad abgeschlossen, schon riss Felix das Fenster auf.
„Komm rauf, Alter …!“
Ich wurde schon sehnsüchtig erwartet. Ich war überfällig. Das Geld, das ich bei der Unke gesetzt hatte, hatte ich zuvor in der WG eingesammelt. Zwei Jungs und ein Mädel, Anfang zwanzig, auf dem Weg in die Sucht. Ich lieferte gut 1,4 Gramm ab. Für zwei Blaue. Was ein mieser Kurs. Die Unke war von ihrem Lieferanten beschissen worden, dann hatte sie mich beschissen, nun beschiss ich die Greenhorns von der Florastraße. Es war eine einzige große Bescheißerei, nirgends ein Ende in Sicht. Ich zog Leine. Noch im Hausflur begegnete mir ein verschwitztes junges Ding, dem es nicht gut ging. Es hechelte die Stufen hoch und drückte die Klingel.
„Ist offen …!“
Fritschi gleitet durch die städtischen Ströme. Er treibt den Umsatz hoch wie ein Zocker am Groschengrab die Risikoleiter, aber er stürzt nicht ab. Kleine und große Gewinne kassiert er, muss nur abwarten und sie einfangen. Mit träger Aufmerksamkeit lässt er sich die Bismarckstraße hochschwemmen, hüpft in Lücken auf Nachbarspuren, ein Tippen ans Pedal aktiviert die Schnellkraft der Limousine. Die Oper, Betonmonolith, ist lange schon dunkel, der Halteplatz am Sophie-Charlotte voll besetzt. Um diese Zeit, spätabends an einem Wochentag, sind sie viele, zu viele; im 30-Sekunden-Rhythmus flitzen die Kutschen den achtspurigen Fahrdamm entlang, zischen über bereits rot geschaltete Ampeln, um einen winzigen Vorteil zu ergattern, falls an der nächsten Ecke ein Fahrgast winkt, den man nicht dem Kollegen überlassen möchte. Aber heute bleibt Fritschi immun gegen den Stress; fährt den Kaiserdamm hinauf, wendet vorm Theo und rutscht die andere Seite wieder hinab. Einer winkt am Bordstein. So sieht Kutscherglück aus: Immer wieder eine Anschlusspartie zu fangen, Zeit in Geld zu verwandeln ohne diese Absacker von einer halben, Dreiviertelstunde an Halteplätzen. Ihm, Fritschi, füllen sich die Taschen ganz von alleine, eine 20-Euro-Tour von der Luftbrücke nach Südende wird ihm von einer alten Frau mit einem Zehner Trinkgeld honoriert; vielleicht, weil er ihr einfach zuhörte, freundlich nachfragte, als sie von der Nachkriegszeit in Berlin erzählte. Er ist ein guter Taxifahrer. Stahlharter Profi, wenn’s sein muss, aber auch Versteher und Kümmerer zur rechten Zeit.
Doch dann reißt die Strähne ab. Zermürbender Stillstand; bis unter den Wagenhimmel staut sich Energie, verwandelt sich in Hippeligkeit. Der Funk quäkt und dringt dann mit seinen drei immergleichen Floskeln bis in die letzte Hirnwindung und hat doch keinen Auftrag für ihn. Niemand, scheint es, will um diese Zeit in Schöneberg noch Taxi fahren, und dennoch warten acht Droschken auf Fahrgäste. Kutscher, denkt Fritschi, sind wie Tiere, die dem Geruch der Herde folgen – gleich, ob es dort etwas zu fressen gibt, wollen sie sich am Körper der anderen reiben, an der Haut ihrer Artgenossen wärmen, ihre Stoßstange spüren, den Dunst ihrer Motoren einatmen.
SchultheißEngelhard