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Models: Tina Angelotti, Kelly Ann Campbell, Jeanine Jackson, Kirian Fitzgibbons, Gabriel Khorramian, Darren Levine, Kokushi Matsumoto, Matthew Romond, Jessen San Luis, John Whitman

www.rivaverlag.de

In Erinnerung an Marni

»Darren Levine gehört zu den wenigen Leuten in der Welt, die anerkannten Krav-Maga-Trainern konstruktive Kritik geben, Blender entlarven und die Krav-Maga-Methode an veränderte Umstände anpassen können.«

Imi Lichtenfeld, Begründer von Krav Maga

»Darren Levines herausragender kritischer Verstand, seine analytischen Fähigkeiten und seine Professionalität in Krav Maga zeichnen ihn als einen der weltbesten Trainer unserer Zeit aus. Dieses Buch lässt Sie an seiner Erfahrung und seinem Wissen teilhaben.«

Amir Perets, Krav-Maga-Schwarzgurt 4. Grades, ehemaliger Nahkampftrainer der Elitetruppen der israelischen Armee

»So wie Darren Levine Krav Maga beherrscht, so wirksam und effektiv spielt er auch seine hervorragenden Fähigkeiten als Staatsanwalt im Gerichtssaal aus. Ohne jeden Vorbehalt empfehle ich Darrens Buch und seinen Krav-Maga-Unterricht – etwas Besseres gibt es nicht!«

Scott Reitz, seit 30 Jahren Polizist (LAPD/Metro/SWAT) und Hauptdozent bei International Tactical Training Seminars (ITTS)

Inhalt

Vorwort von Bas Rutten

Was ist Krav Maga?

Woher das System stammt

Grundlegende Prinzipien

Krav-Maga-Prinzipien im Geschäfts- und Alltagsleben

Wie dieses Buch zu benutzen ist

GELBER GÜRTEL

Überblick

Grundhaltungen

Combatives

Abwehrtechniken

Selbstverteidigung

Sanfte Techniken

Bodenkampf

ORANGER GÜRTEL

Überblick

Combatives

Abwehrtechniken

Selbstverteidigung

Falltechniken

Bodenkampf

GRÜNER GÜRTEL

Überblick

Combatives

Abwehrtechniken

Fall- und Abrolltechniken

Selbstverteidigung

Bodenkampf

BLAUER GÜRTEL

Überblick

Combatives

Abwehrtechniken

Abwehr von Stockangriffen

Abwehr von Messerangriffen

Abwehr von Angriffen mit Schusswaffen

Cavaliers

Bodenkampf

Takedowns

BRAUNER GÜRTEL

Überblick

Combatives

Würfe

Selbstverteidigung

Abwehr von Messerangriffen

Abwehr von Angriffen mit Schrotflinten, Sturm- und Maschinengewehren

Abwehr von Angriffen mit Schusswaffen

Register

Über die Autoren und den Fotografen

Vorwort

von Bas Rutten

Alle mal herhören: Hier spricht El Guapo – Bas Rutten, ehemaliger UFC-Schwergewichtschampion, dreimaliger King of Pancrase und derzeitiger Sprecher der International Fight League. Wer mich schon einmal kämpfen gesehen oder bei mir MMA trainiert hat, weiß, dass ich nur Techniken verwende, die im Ring funktionieren. Dasselbe gilt auch für die Straße: Ich glaube, dass man nur das machen sollte, was funktioniert.

Und Krav Maga funktioniert. Ich bin mir da ganz sicher, denn als ich zum ersten Mal einen Trainer von Krav Maga Worldwide traf, nämlich Amir Perets, lud dieser eine Luftpistole und wies mich an, sie ihm auf die Brust zu setzen. Dann sagte er: »Sobald ich mich bewege, drückst du ab.« Im nächsten Augenblick hatte er die Pistole schon in der Hand, und das Ganze gelang ihm danach noch weitere sechs Mal. Es war unglaublich mitanzusehen und dabei ganz einfach nachzumachen.

Amir machte mich später mit Darren Levine bekannt, einem der Autoren dieses Buches. Darren hatte in Israel bei Imi Lichtenfeld gelernt, dem Erfinder von Krav Maga. Imi selbst hatte Darren darum gebeten, das Amt des Cheftrainers in den USA zu übernehmen. Wenn ihr schon mal etwas von Krav Maga gehört habt, dann ist das womöglich Darren und der von ihm ins Leben gerufenen Organisation zu verdanken.

Darren und ich verstanden uns auf Anhieb, denn er denkt so über Selbstverteidigung wie ich über das Kämpfen im Ring. Klar, er sieht nicht so gut aus wie ich, aber man kann ja nicht alles haben!

Darren erzählte mir viel über das System, das von seiner Organisation Krav Maga Worldwide gelehrt wird, und ich muss zugeben, dass es mich anfangs sehr beeindruckte. Das System ist einfach und leicht zu erlernen. Man muss kein MMA(Mixed Martial Arts)-Champion sein, um die Techniken anwenden zu können. Was mir an Krav Maga aber am meisten gefällt, ist, dass es so gut durchdacht ist. Darren hat mir damit so viel Respekt eingeflößt, dass ich ihn 1999 auf einer Kampfkunst-Messe begleitete. Er hielt dort eine Rede, und als ich ihm zuhörte, wuchs meine Bewunderung noch mehr. Er hat die Gabe, Krav Maga so zu erklären, dass es leicht verständlich und einleuchtend ist.

Darren Levine ist einer der besten Trainer, die ich je erlebt habe – vielleicht sogar der beste –, und ich habe wirklich viele Trainer gesehen! Seine Spezialgebiete sind: Verteidigung gegen bewaffnete Angreifer in Überzahl, Nahkampf ohne Waffe, Selbstverteidigung für Zivilisten – und das ist erst der Anfang der Liste. Von seinen Fähigkeiten zeugt auch die Tatsache, dass er Sondereinsatzkommandos, FBI-Beamte, Elite-Antiterroreinheiten und viele andere staatliche Einsatzkräfte unterweist. Selbst Profikämpfer wie ich können unheimlich viel von Darren lernen. Er besitzt Anstand, Professionalität und Verantwortungsgefühl. Man merkt, dass ich tief beeindruckt von ihm bin, oder?

Krav Maga ist ein tolles System, Darren ist ein toller Lehrer, und – ihr werdet sehen – dies ist ein tolles Buch.

Bas Rutten

Im Herbst 2000 war ein Teenager namens Wendy (ihr Name wurde zum Schutz ihrer Identität geändert) mit der Band ihrer Kirchengemeinde im Bus unterwegs. Der Bus machte an einem Einkaufszentrum halt und Wendy stieg aus, um zur Toilette zu gehen. Wie in vielen Einkaufszentren lag die Kundentoilette weit entfernt vom Passantenstrom, hinter einer Stahltür am Ende eines langen Ganges. Wendy durchquerte diesen Korridor und fand die Toilette. Als sie wieder auf den Gang hinaustrat, packte ein Mann sie von hinten und schlang seine mächtigen Arme um ihren Körper. Ohne darüber nachzudenken, drehte sich Wendy um ihre eigene Achse und stieß dabei erst mit dem einen, dann mit dem anderen Ellenbogen nach hinten und traf ihn im Gesicht. Überrascht ließ er sie los. Wendy fuhr herum und sah Blut aus der Nase ihres Angreifers rinnen, dann schlug sie ein weiteres Mal zu und rannte weg.

Wendy war nicht nur Mitglied im Kirchenchor. Sie trainierte auch Krav Maga.

***

Dies ist die Geschichte eines Polizeibeamten aus Denver. Auf seinen eigenen Vorschlag hin kam er zu einem von Krav Maga Worldwide ausgerichteten Seminar für Polizeikräfte, um den trainierenden Beamten seine Geschichte zu erzählen:

Im Frühjahr 2005 fuhr ich Verkehrsstreife und hielt einen alkoholisierten Fahrer an. Der Mann war völlig unkooperativ und betrunken, er fluchte und weigerte sich, aus dem Auto auszusteigen. Ich öffnete die Fahrertür und holte den Verdächtigen mit einem Twist Lock aus dem Wagen. Während er ausstieg, spürte ich, dass er sich aus meinem Griff herauswand und zu einem Schlag gegen meinen Kopf ausholte. Ich hatte gerade eine Krav-Maga-Trainerfortbildung zum Thema Stichwaffen hinter mir, also blockte ich den vermeintlichen Schlag ab und unternahm mit meinem Ellenbogen einen Gegenangriff gegen seinen Kopf. Dann hörte ich etwas Metallenes zu Boden fallen und sah neben mir ein großes Klappmesser liegen. Ich legte noch ein paar Kniestöße nach und der Verdächtige ging zu Boden. Als ich den Mann in der Untersuchungshaft ablieferte, fielen uns lange Narben und x-förmige Schnitte auf seiner Brust auf. Ich fragte ihn, wo er diese Narben herhabe, und der Verdächtige sagte, er habe eine Menge Messerstechereien hinter sich. Als wir seine Akte vorliegen hatten, fanden wir darin 17 Verhaftungen, meistens wegen gefährlicher Körperverletzung durch Messerstiche. Der Mann wusste also mit dem Messer zu kämpfen.

Ich habe Erfahrungen mit Thai-Boxen, Jeet Kune Do und Mixed Martial Arts. Obwohl mir Krav Maga gefiel, hatte ich gedacht, dass ich im Einsatz eher eine andere Technik einsetzen würde. Aber Krav Maga kam so unmittelbar aus mir heraus, dass ich gar nicht darüber nachdenken konnte. Das Messer hatte ich nicht gesehen, nur den Angriff. Ich bin hundertprozentig von Krav Maga überzeugt und kann Ihnen nur raten, das Training ernst zu nehmen.

Dies sind nur zwei beispielhafte Berichte aus dem wahren Leben, von Menschen, die ihre Haut retten konnten, weil sie Krav Maga einsetzten, wie sie es von Krav Maga Worldwide gelernt hatten. Viele dieser Menschen sind Gesetzeshüter, manche gehören dem Militär an, andere wiederum sind Zivilisten. Sie kommen aus allen Gesellschaftsschichten, haben die unterschiedlichsten Erfahrungen gemacht und weisen alle eine andere körperliche Fitness auf. Diese Menschen haben nur eines gemeinsam: Sie alle trainieren Krav Maga.

Was ist Krav Maga?

Krav Maga (hebräisch für »Nahkampf«, die Betonung liegt auf der letzten Silbe) ist ein einfaches, aggressives System der Selbstverteidigung, das leicht zu erlernen und leicht im Gedächtnis zu behalten ist. Im Mittelpunkt des Krav-Maga-Trainings stehen Prinzipien statt einzelner Techniken, denn kein Angriff gleicht dem anderen. Kein Mensch gleicht dem anderen. Es ist sogar so, dass ein bestimmter Mensch auf eine bestimmte Bedrohung an jedem Tag anders reagiert.

Das Wesen von Krav Maga lässt sich aus einigen dieser Prinzipien herauslesen. Zu den Prinzipien, die das System Krav Maga definieren, gehören die folgenden:

•  Die Techniken sollten aus Bewegungen bestehen, die natürlichen Instinkten entspringen.

•  Die Techniken müssen sich gegen die unmittelbare Gefahr richten.

•  Die Techniken müssen gleichzeitig Abwehr und Gegenangriff sein.

•  Eine Abwehrtechnik muss gegen die unterschiedlichsten Angriffe wirksam sein.

•  Das System muss eine Einheit bilden, sodass die auf dem einen Gebiet erlernten Bewegungen den auf einem anderen Gebiet erlernten Bewegungen nicht widersprechen, sondern sie ergänzen.

•  Die Techniken müssen von durchschnittlich fitten Menschen beherrscht werden können, nicht nur von Sportlern.

•  Die Techniken müssen auch aus einer ungünstigen Position heraus funktionieren.

•  Das Training muss den Stress mitberücksichtigen, der bei echten Angriffen auftritt

Diese Prinzipien bilden die Leitlinien unseres Trainings und helfen bei der Einschätzung einzelner Techniken. Wenn wir bei einer Technik eine Schwachstelle finden oder eine Variante erwägen, stellen wir uns Fragen in Bezug auf die genannten Leitlinien. Wenn ein Trainer beispielsweise vorschlägt, eine bestimmte Technik zu verändern, erproben wir sie nicht mit unseren besten, sondern mit unseren unsportlichsten Schülern, um zu sehen, ob sie die neue Technik ausführen können (Prinzip: Techniken müssen sich für durchschnittlich fitte Menschen eignen).

Die Wirksamkeit von Abwehrtechniken messen wir daran, ob sie auch bei verzögerter Reaktion funktionieren (Prinzip: Techniken müssen auch aus einer ungünstigen Position heraus funktionieren). Funktioniert die Technik nur, wenn man vorbereitet ist oder einen zeitlichen Vorsprung hat, suchen wir nach einer besseren Lösung.

Als wir einmal mit Polizeibeamten der kalifornischen Stadt Azusa Abwehrmethoden trainierten, mussten wir die Krav-Maga-Techniken an ihre bereits eingeübte Taktik beim Betreten von Räumen anpassen. Der schönste Moment in diesem Workshop war, als eine unserer Entwaffnungstechniken einfach nicht zu der Fußstellung des eintretenden Polizisten passen wollte. Während wir nach einer Lösung suchten, schlug einer der Beamten eine Schrittfolge vor, die sich von all dem unterschied, was wir bisher gezeigt hatten. Ein anderer Polizist erwiderte sofort: »Nein, das wäre ja das einzige Mal, dass unsere Männer diesen Schritt machen. Das würde entweder keiner machen, weil es so anders ist, oder es würde den Rest des Trainings durcheinanderbringen.« Dieser Polizeibeamte hatte Krav Maga begriffen.

Krav Maga ist keine Kampfkunst

Wenn Sie dieses Buches lesen, sollte Ihnen eines klar sein: Krav Maga ist keine traditionelle Kampfkunst – den Begriff »Kampfkunst« verwenden wir überhaupt nicht. Traditionelle Kampfkünste halten oft starr und dogmatisch an den von den alten Meistern überlieferten Traditionen fest. Außerdem legen manche Kampfkunstrichtungen Wert auf elegante, minutiös ausgeführte Bewegungen. All dies spielt bei Krav Maga keine Rolle. Die meisten Kampfkunstsysteme bleiben außerdem im wettkampforientierten Denken stecken und stellen Regeln auf, die die Kämpfer einschränken. Selbst MMA-Kämpfer (viele von ihnen sind unsere Freunde, und wir achten sie sehr) kämpfen in einem geregelten Rahmen, der bestimmt, was sie tun dürfen und was nicht.

Auch einige sehr effektive Kampfsysteme bleiben der wettkampforientierten Denkweise verhaftet. Brazilian Jiu-Jitsu (BJJ) ist beispielsweise ein höchst wirkungsvolles System. Jeder, der es im Bodenkampf zu etwas bringen will, sollte unbedingt mit einem BJJ-Trainer arbeiten. Viele Studios unterrichten BJJ allerdings als eine Sportart: ohne Schlagen, ohne Beißen, ohne Augenstechen und ohne explizit zu lehren, wie man aufsteht und der Gefahr entkommt. Natürlich sind diese Einschränkungen notwendig, damit Anfänger die Techniken überhaupt erlernen können (der Triangle Choke lässt sich schlecht üben, wenn der Partner einen ins Bein beißt), aber wenn die anderen Elemente einer Prügelei nie dazukommen, trainiert man eben eine Sportart und nicht Selbstverteidigung.

Krav Maga ist anders. Selbstverständlich haben wir Übungen und Trainingsmethoden, bei denen die Handlungsmöglichkeiten der Schüler eingeschränkt sind – aber wir erinnern sie andauernd (aus ihrer Sicht wohl eher: zwanghaft!) daran, dass sie nicht nach den Regeln kämpfen sollen. Sie sollten beispielsweise immer versuchen, sich aus dem Kampf zu lösen und wegzulaufen oder einen Gegenstand zu finden, der sich als Waffe einsetzen lässt. Es geht uns nicht darum, uns oder dem Angreifer zu beweisen, dass wir eine bestimmte Technik draufhaben. Unser einziges Ziel ist es, heil nach Hause zu gelangen.

Krav Maga ist vor allem »Kampf« und nicht so sehr »Kunst«. Es sieht nicht immer hübsch aus, aber es wirkt. Wir bezeichnen Krav Maga lieber als ein System von Abwehrtaktiken – ein taktischer und logischer Ansatz zum Umgang mit gewaltsamen Konfrontationen.

Woher das System stammt

Imi Lichtenfeld, der Begründer von Krav Maga, wurde 1910 in Ungarn geboren, wuchs aber in Bratislava auf, das damals noch zur Tschechoslowakei gehörte. Er war sportlich begabt und gewann im Jahr 1928 die tschechoslowakische Jugendmeisterschaft im Ringen und wurde im Jahr darauf Landesmeister in der Weltergewichtsklasse. Im selben Jahr gewann er außerdem die nationale Boxmeisterschaft und einen internationalen Turnwettbewerb. Im darauffolgenden Jahrzehnt stieg er in die Riege der besten Ringer Europas auf. Am meisten prägte ihn jedoch sein Vater Samuel, ein Polizeibeamter und Selbstverteidigungstrainer. Samuel hatte als Zirkusakrobat und Ringer begonnen, war dann aber in den Polizeidienst eingetreten und arbeitete 30 Jahre lang als Kriminalpolizist. Er wurde bekannt für seine beeindruckenden Verhaftungserfolge, insbesondere für die Festnahmen gefährlicher Verbrecher.

Wenn er nicht gerade irgendeinen Gewalttäter jagte, unterrichtete Samuel Selbstverteidigung im Hercules, Bratislavas erstem Fitnessstudio, dessen Inhaber er auch war. Beim Training betonte Samuel stets, wie wichtig der moralisch korrekte Umgang mit der Bevölkerung und mit Verdächtigen sei.

In den Dreißigerjahren erprobte Imi sein kämpferisches Können auf den Straßen von Bratislava, wo er sich und andere Juden vor den örtlichen faschistischen Schlägern schützen musste. Er nahm an zahlreichen Kämpfen teil, um den antisemitischen Pöbel daran zu hindern, die Juden der Stadt zu terrorisieren. Diese Straßenkämpfe schärften bei Imi das Bewusstsein für den Unterschied zwischen sportlichem und realem Kampf. Es war zu jener Zeit, als in seinem Kopf die Saat für Krav Maga aufzugehen begann.

Ende der Dreißigerjahre hatte Hitlerdeutschland Europa in ein Schlachtfeld verwandelt und für Juden wurde es dort immer gefährlicher. Mit seinem handgreiflichen Eintreten zum Schutz seiner Verwandten und Bekannten machte sich Imi bei der örtlichen Obrigkeit schnell unbeliebt, sodass er 1940 fliehen musste.

Nachdem er einige Jahre herumgereist war, landete er schließlich in Israel, das damals noch Palästina hieß. Er trat der Haganah bei, einer paramilitärischen Organisation, die für die jüdische Unabhängigkeit kämpfte. Dort brachte er anderen Soldaten die Grundkenntnisse im Nahkampf bei und sein Ansehen wuchs mehr und mehr.

1948 schlug die Geburtsstunde des Staates Israel. Im Auftrag der noch jungen israelischen Regierung entwickelte Imi ein effektives Kampfsystem, das später die Bezeichnung »Krav Maga« erhielt. Schließlich wurde die Haganah in die israelische Armee eingegliedert und Imi wurde Cheftrainer für körperliche Fitness und Krav Maga an der Militärakademie.

Wer das Wesen von Krav Maga begreifen will, muss Imis Geschichte und die Israels kennen. Von der ersten Stunde an befand sich der Staat Israel im Krieg mit seinen Nachbarn. Israel musste unverzüglich eine Armee ins Feld schicken, seine Soldaten mit einem Minimum an Ausbildung und ohne Zeit für Manöver und Reservistenübungen in die Schlacht ziehen lassen. Aus diesem Grund mussten die Nahkampftechniken leicht erlernbar und unter Stress einfach abrufbar sein, auch wenn der Soldat schon längere Zeit nicht mehr geübt hatte. Dazu kam, dass Israel Soldaten aller Altersstufen und mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten in den Kampf schickte, von 18-jährigen Kriegern bis hin zu 40-jährigen Bauern. Das Kampfsystem musste für sämtliche Soldaten geeignet sein, nicht nur für Sportler in den besten Jahren.

Imi fand die Lösung darin, die Selbstverteidigungsaspekte seiner Kampftechniken aus den natürlichen Körperinstinkten heraus zu entwickeln. Anstatt festzulegen, wie die Soldaten agieren sollten, beobachtete er, wie ihre Körper in Stresssituationen reagierten, und benutzte diese instinktiven Reaktionen als Bausteine seines Selbstverteidigungssystems. Dieser Ansatz stellte sicher, dass die Funktion des Systems sich nah an den natürlichen Körperbewegungen orientierte. Ebenso wichtig war, dass durch diesen Ansatz die Reaktionszeit verkürzt wurde, besonders bei Stress, denn die Techniken orientierten sich an den körpereigenen Stressreaktionen.

Ein weiteres Element, das Imi Krav Maga mitgab, war Aggressivität. Auch dies ergab sich aus den Umständen und Folgen der israelischen Staatsgründung. Krieg ist immer brutal und blutig, aber in der Menschheitsgeschichte enden viele Kriege mit einer Einigung: Sieger und Besiegte unterzeichnen einen Vertrag und der Besiegte überlebt meistens irgendwie. Das erklärte Ziel der Feinde Israels bestand jedoch darin, Israel von der Erdoberfläche zu tilgen. Aus diesem Grund war man in Israel der Meinung, dass man niemals einen Krieg verlieren dürfe, denn das hätte ja das Ende bedeutet. So war für Israel jede Schlacht, jeder Krieg ein Kampf ums Überleben. Diese Einstellung durchdrang jeden Aspekt der soldatischen Ausbildung, auch das Nahkampftraining. Krav Maga bedeutet, aggressiv auf gewalttätige Angriffe zu reagieren, um den Angreifer möglichst rasch zu neutralisieren. Im Training geht es auch darum, niemals aufzugeben, denn die Folgen davon (auch hier blicken wir zurück auf die Ursprünge des Systems) wären unter Umständen fatal.

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Imi Lichtenfeld, der Gründer von Krav Maga

Krav Maga in den Vereinigten Staaten

Mit Erlaubnis des Militärs begann Imi in den Sechzigerjahren, auch israelische Zivilisten zu trainieren. 1981 richtete der israelische Krav-Maga-Verband in Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium das erste internationale Trainerseminar im Wingate-Institut für Sport in Netanya aus. Ein großzügiger Philantrop aus New York, S. Daniel Abraham, sponserte die Teilnahme einer 23-köpfigen Delegation aus verschiedenen Städten der USA. Der Kurs fand unter der Aufsicht von Imi statt, der mit seinen 71 Jahren seine Militärkarriere inzwischen beendet hatte, und wurde von den führenden Krav-Maga-Ausbildern Shike Barak, Eyal Yanilov und Ruevin Moimon abgehalten. Darren Levine wurde aufgrund seiner Box- und Kampfkunsterfahrung und wegen seines Engagements für das Sportprogramm der Heschel Day School bei Los Angeles als Delegierter ausgewählt.

Das Seminar war ein sechswöchiger Intensivkurs mit mehr als acht Stunden Training pro Tag an sechs Tagen in der Woche. Das Training brachte die Teilnehmer an ihre Grenzen und am Ende bestanden nur wenige. Einer davon war Darren.

Während dieses Seminars freundeten sich Imi und Darren miteinander an und Imi versprach, Darren in den USA zu besuchen. Er hielt Wort und reiste im Sommer 1982 nach Los Angeles, wo er bei Darren und seiner Familie wohnte und Darren noch mehr Krav Maga beibrachte.

Darren weiß von Imis Besuch eine Geschichte zu erzählen, die er auch in seiner Trauerrede zu Imis Beerdigung vortrug:

Als Imi mich besuchte, hatte ich gerade einen neuen Sportwagen gekauft und brannte darauf, ihn ihm vorzuführen. Ich war sehr stolz auf diesen Wagen. Aber als Imi sich hineinsetzte, fummelte und rutschte er darin herum und fasste sich immer wieder hinter die Schulter. Er wirkte unzufrieden. Schließlich fragte ich ihn, was los sei. Er meinte: »Dieses Auto taugt nichts. Der Sicherheitsgurt ist zu weit hinten. Mit der rechten Hand komme ich da nicht dran. Mit der linken auch nicht. Ich bin ja ein Faulpelz. So was muss leicht sein, sonst schnallt sich doch keiner an. Das ist nicht sicher.«

Damals war ich einfach enttäuscht, denn ich wollte ihn mit meinem Auto beeindrucken. Aber im Nachhinein wurde mir klar, dass er den Sicherheitsgurt so wahrnahm, wie er alles andere wahrnahm. Es musste einfach und wirksam sein, sonst würde es keiner hinbekommen. Das war Krav Maga.

Darren trainierte weiter und erhielt 1984 seine Trainerlizenz vom Wingate-Institut. In diesem Jahr überreichte Imi ihm auch persönlich seinen schwarzen Gürtel. Jahre später verlieh er ihm auch noch eine Gründerurkunde, eine von nur zweien, die Imi vor seinem Tod vergab. Darren und seine Kollegen hatten bereits die Krav Maga Association of America gegründet, und Krav Maga wurde in den USA immer populärer.

Krav Maga im Polizeidienst

1987 begannen Darren und seine besten Schüler, amerikanische Polizeikräfte in Krav Maga zu unterweisen. Mit Imis Hilfe passte Darren das Krav-Maga-System an die Anforderungen des amerikanischen Polizei- und Militärdienstes an. Die erste Polizeitruppe, die Krav Maga in ihre Ausbildung aufnahm, war die Polizei des Staates Illinois. Als Darren dort unterrichtete, kam Imi, mittlerweile 77 Jahre alt, aus Israel eingeflogen, um dabei zu sein.

Seither ist der Einsatz von Krav Maga im Polizeidienst rapide angestiegen. Krav Maga Worldwide (unsere Firma, die eine Masterlizenz der Krav Maga Association of America erhielt) trainiert inzwischen über 400 Polizeieinheiten auf Bundes-, Bundesstaats- und Ortsebene.

Die Bedürfnisse der Polizei ähneln in vielerlei Hinsicht denen der damals neu gegründeten israelischen Armee: begrenzte Ausbildungszeit, eingeschränkte Weiterbildungsmöglichkeiten und eine Truppe mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten. Da bietet sich Krav Maga förmlich an.

Wer weiß, wie aggressiv Krav Maga sein kann, runzelt womöglich die Stirn bei dem Gedanken daran, dass wir Polizisten trainieren. Schließlich ist Polizeiarbeit etwas anderes als Militärdienst: Im Krieg gilt es zu töten oder getötet zu werden, von Polizeibeamten wird dagegen eine gewisse Zurückhaltung erwartet. Dieser Ansicht stimmen wir hundertprozentig zu. Daher gehören juristische Aufklärung und Deeskalationsübungen zu all unseren Polizeikursen.

Davon einmal abgesehen, haben wir einen interessanten Aspekt der aggressiven Herangehensweise von Krav Maga entdeckt. Da wir den Polizisten beibringen, unmittelbar aus einem nicht aggressiven in einen aggressiven Zustand zu wechseln, können sie gewalttätige Personen meist schnell neutralisieren. Je rascher eine Person neutralisiert wird, desto weniger muss gekämpft werden. Weniger Kampf bedeutet weniger Verletzungen. Ergebnis: Nachdem Krav Maga in den Trainingsplan aufgenommen wurde, sind in den Dienststellen die Beschwerden wegen polizeilicher Gewalt zurückgegangen.

Grundlegende Prinzipien

Wie bereits erwähnt, basiert das Krav-Maga-Selbstverteidigungssystem auf Prinzipien. Selbstverständlich haben wir bestimmte Techniken, aber als Lernender sollte man nie eine Technik als der Weisheit letzten Schluss ansehen. Wenn Sie die Selbstverteidigungstechniken in diesem Buch studieren, sollten Sie sich eines vor Augen führen: Die Techniken sind nicht das Ende, sondern der Anfang Ihres Lernprozesses. Als Beispiel dafür zeigen wir Ihnen unten die Abwehr einer Umklammerung. Die Verteidigerin setzt einen Hebel am Hals des Angreifers an, indem sie seinen Kopf mit der entfernteren Hand umschlingt, ihn am Gesicht und an der Nase packt und sein Kinn von ihrer Brust wegschiebt.

Das ist eine hervorragende Technik – aber doch nur ein Beispiel für das Prinzip. Eine ähnliche Technik bestünde darin, dem Angreifer die näher liegende Hand gegen Nase und Augen zu stoßen. Ist die eine Technik besser als die andere? Nein! In der einen Situation ist vielleicht die erste Technik, in einer anderen womöglich die zweite wirkungsvoller.

Es geht darum, die Technik nicht mit dem zugrunde liegenden Prinzip zu verwechseln. Die gezeigte Technik besteht darin, den Kopf mit dem Arm zu umschlingen – das Prinzip ist jedoch, einen Hebel am Hals anzusetzen.

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Tina wehrt eine Umklammerung ab

Als Trainer müssen wir selbstverständlich mit konkreten Techniken beginnen. Würden wir den Schülern abstrakte Prinzipien vorsetzen, könnten sie gar nicht anfangen zu trainieren. Das wäre so, als würde man ein paar Töne auf der Gitarre klimpern, von Musiktheorie reden und dann dem Schüler das Instrument überreichen, damit er selbst ein Lied einstudiert. Dieser Schüler wäre verloren. Stattdessen bringen wir ihm das Notenlesen bei, erklären ihm einfache Stücke und Akkordfolgen, sodass er bald verstehen wird, wie sich die Töne und Akkorde unendlich variieren lassen. Mit Selbstverteidigungstaktiken ist es genauso: Wir beginnen mit Grundstrukturen, sodass ein effektiver Informationsfluss entsteht. Am Ende seines Trainings versteht der Schüler dann auch die Theorie und kann seine eigene Musik spielen.

Mit weniger Techniken mehr Probleme lösen

Es ist immer unser Ansatz gewesen, eine übergreifende Bewegung zu finden, die bei möglichst vielen Angriffsvarianten anwendbar ist. Natürlich ist es unmöglich, eine einzige Abwehrtechnik für sämtliche erdenklichen Angriffe zu erfinden. Das ist einfach nicht realistisch. Aber wenn wir Ihnen 300 Abwehrtechniken gegen 300 verschiedene Angriffe beibrächten, würden Sie nach der Lektüre dieses Buches vor die Tür gehen und mit Angriff Nummer 301 überfallen werden.

Stattdessen versuchen wir, eine Bewegung zu entwickeln, die gegen so viele Angriffsvarianten wie möglich wirkt (wie gesagt auf der Grundlage bestimmter Prinzipien). Dadurch entsteht ein einfacheres, raffinierteres System, das unter Stress leichter abrufbar ist. Je einfacher das System ist, desto entschlossener können Sie handeln, da Sie nicht durch andere Optionen verwirrt werden.

In der Bewegungslehre gibt es eine als Hick’sches Gesetz oder Hick-Hyman-Gesetz bekannte Theorie. Im Wesentlichen besagt dieses Gesetz, dass die Reaktion auf einen bestimmten Reiz länger dauert, je mehr Handlungsmöglichkeiten einem Menschen zur Auswahl stehen. Lange Reaktionszeiten sind in Selbstverteidigungssituationen ungünstig. Wir möchten diese möglichst kurz halten. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten – erstens: mehr trainieren und zweitens: das System vereinfachen.

Mehr zu trainieren kann gewiss nicht schaden. Je mehr Sie trainieren, desto besser werden Sie. Krav Maga ist jedoch für Menschen gedacht, die nicht noch mehr trainieren können. Und selbst wenn Sie mehr Zeit zum Trainieren haben, werden Sie von der Raffinesse und Effizienz dieses Systems profitieren.

Unser System besteht absichtlich aus einer eingeschränkten Anzahl an Handlungsmöglichkeiten, damit Sie unter Stress nicht zögern. In einer lebensbedrohlichen Situation sollten Sie entschlossen und aggressiv reagieren, die Bedrohung neutralisieren und sich und ihre Angehörigen in Sicherheit bringen.

Selbst wenn Sie so viel trainieren, dass das entscheidungsbedingte Zögern wegfällt, gibt es einen guten Grund für weniger Optionen: Stress. Es ist einfach so, dass Stress die Leistungsfähigkeit vermindert. Wenn man mehr trainiert, können die Auswirkungen von Stress zwar verringert, aber nie komplett reduziert werden.

Wie sich Stress auf die Leistungsfähigkeit auswirkt, lässt sich an einem einfachen Beispiel ablesen. Stellen Sie sich vor, ein langer Holzbalken läge vor Ihnen auf dem Boden und wir bitten Sie darüberzulaufen, ohne den Boden zu berühren. Würden Sie es schaffen? Na klar doch!

Nun legen wir denselben Balken über die Lücke zwischen zwei hohen Gebäuden. Könnten Sie immer noch darübergehen? Warum nicht? Der Balken ist stark genug, um Sie zu tragen. Die Schwerkraft ist eine Konstante, sie wird also nicht stärker. Warum schaffen Sie es nicht?

Die Antwort ist einfach: Stress. Die Folgen eines Sturzes wären jetzt gravierend. Ihre Herzfrequenz steigt an, im Körper wird Adrenalin ausgeschüttet, Sie beginnen zu schwitzen, die Muskeln verspannen sich. Das sind nur einige der körperlichen und mentalen Reaktionen, die alle zusammen Ihre Leistungsfähigkeit herabsetzen.

Wie gesagt, man kann durch Training die Auswirkungen von Stress vermindern, aber nicht auf null bringen. Da man Selbstverteidigungstechniken nur in Stresssituationen braucht, sollte ein effektives Selbstverteidigungssystem Körperbewegungen und Entscheidungsprozesse möglichst vereinfachen, damit Sie optimal reagieren können.

Beispiele für Training unter Stress

Dieses Buch bietet umfassende Informationen über die Techniken und Prinzipien von Krav Maga, kann aber naturgemäß kein Krav-Maga-Training ersetzen. Im wirklichen Training werden Sie mit einfallsreichen Stressübungen konfrontiert, bei denen die Techniken und Prinzipien in unterschiedlicher Form angewendet werden müssen. Aus unserer Sicht kann eine Technik oder Reaktion nicht als erlernt gelten, solange sie nicht in einer realen Situation abgefragt wurde.

Wir empfehlen Ihnen, unter der Aufsicht eines ausgebildeten Trainers Stressübungen zu absolvieren. Alle von Krav Maga Worldwide und der Krav Maga Association of America zertifizierten Krav-Maga-Trainer durchlaufen eine intensive Ausbildung, zu der auch Vorträge und Gesprächsrunden über Physiologie und Sportkinesiologie gehören. Außerdem besuchen sie Kurse, die sich explizit mit Trainingssicherheit und der Erarbeitung wirkungsvoller und sicherer Übungen befassen. Letzten Endes trainieren Sie immer auf eigenes Risiko, aber unter der Aufsicht eines zertifizierten Trainers erhalten Sie auf jeden Fall ein Höchstmaß an Sicherheit und Trainingsintensität.

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Manche Übungen sind ganz einfach und doch wirksam. Sobald Sie gelernt haben, sich gegen zwei verschiedene Würgegriffe zu wehren, sollten Sie sich mit geschlossenen Augen entspannt hinstellen und darauf warten, dass Ihr Partner Sie mit einem dieser Würgegriffe angreift. Wenn Sie den Angriff spüren, öffnen Sie die Augen, erkennen die Art des Angriffs und reagieren sofort und angemessen. Das ist eine Stressübung der einfachsten Art, und sie ist sehr wirksam.

Bei intensiveren Stressübungen werden Ablenkungs- und Störmanöver eingesetzt. Bei einer Übung braucht man zum Beispiel einen Verteidiger, drei Leute mit großen Pratzen oder Matten und einen Angreifer. Die Pratzenhalter schlagen und schubsen den Verteidiger, der sich dagegen schützen, aber nicht wehren darf. Er lässt sich herumschubsen, sodass sein Gleichgewicht und seine Sicht beeinträchtigt sind.

Der Angreifer darf zu jedem beliebigen Zeitpunkt den Verteidiger angreifen (allerdings nur mit Angriffen, die der Verteidiger bereits abzuwehren gelernt hat). Der Verteidiger muss sofort reagieren. Dann beginnen die Pratzenhalter wieder mit ihren Störmanövern.

Es gibt eine Variante dieser Übung mit einem Verteidiger, zwei Leuten mit Pratzen und einem Angreifer. Hier ist dem Verteidiger mindestens eine Schlagvariante erlaubt. Er muss dabei mit Erschöpfung fertig werden und im Bodenkampf bestehen: Der Verteidiger bearbeitet zunächst eine der Pratzen mit Faustschlägen, Ellenbogen- oder Kniestößen. Der andere Pratzenhalter schlägt ihn dabei mit seiner Pratze, woraufhin sich der Verteidiger umdreht und mit einem Hammerfist-Schlag (wird etwas später im Buch erklärt) kontert und sich dann weiter verteidigt. So geht es eine Zeit lang weiter. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt kann sich der Angreifer nähern, den Verteidiger von hinten packen, zu Boden werfen und sich in der Full Mount auf ihn setzen. Der Verteidiger muss die Oberhand gewinnen, wieder aufstehen und mit dem Schlagen der Pratzen fortfahren. (Anmerkung: Um Verletzungen zu vermeiden, lässt sich der Verteidiger vom Angreifer absichtlich zu Boden bringen. Bei einer intensiveren Variante dieser Übung wehrt sich der Verteidiger gegen den Takedown, was nur dann verletzungsfrei möglich ist, wenn beide Partner bereits trainingserfahren sind.) Diese Übung ist sehr anstrengend!

Wir haben Hunderte solcher Übungen, bei denen unsere Schüler die Techniken anzuwenden lernen. Nur so kann man sich auf eine gewalttätige Konfrontation auf der Straße vorbereiten.

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Krav-Mega-Prinzipien im

Geschäfts- und Alltagsleben

Noch einmal zur Erinnerung: Krav Maga ist keine Kampfkunst, sondern ein Problemlösungssystem. Krav Maga ist die logische Anwendung einiger Grundprinzipien, um ein Problem zu identifizieren und eine Lösung zu finden. In der Regel besteht das Problem aus einer Person mit der bösen Absicht, uns Gewalt anzutun. Aber dieses Problemlösungssystem lässt sich auch auf anderen Gebieten anwenden.

Ich, Darren Levine, bin nicht nur amerikanischer Krav-Maga-Mastertrainer, sondern auch Staatsanwalt im Bezirk Los Angeles. Ich bin Chef einer Eliteeinheit von Strafverfolgern namens C.A.P.O.S. (Crimes Against Peace Officers Section), die an Polizisten begangene Gewalttaten und Morde verfolgt. Mehrfach wurde ich von staatsanwaltlichen Berufsverbänden auf Bezirks- und Bundesebene für meine Arbeit ausgezeichnet. Ich habe in den schlimmsten Fällen ermittelt: gegen Gewaltverbrecher, die kaum oder gar keine Rücksicht auf den Rest der Gesellschaft nehmen. Auf mein Konto gehen sieben Verurteilungen von Polizistenmördern (eine der höchsten Raten des Landes) und bis jetzt liegt meine Verurteilungsquote bei hundert Prozent.

Ich schreibe einen großen Teil meines Erfolgs dem Krav-Maga-Training zu. Die für Krav Maga typische logische Herangehensweise, Probleme zu lösen, lässt sich leicht auf andere Lebensbereiche übertragen. Ein naheliegendes Anwendungsgebiet ist die Berufswelt. Egal ob Sie für den Chef arbeiten oder selbst einer sind, aus den Grundprinzipien von Krav Maga lassen sich Lehren ziehen, die man direkt von der Matte ins Büro übertragen kann. Hier einige Beispiele:

Die unmittelbare Gefahr erkennen: Krav Maga lehrt, pragmatisch auf unmittelbare Gefahr zu reagieren. Wer diesen Ansatz verinnerlicht, gewöhnt sich an, das wirkliche Problem zu erkennen, anstatt sich von Nebenschauplätzen ablenken zu lassen. Wer von uns kennt nicht die Situation, dass ein Problem im Betrieb sich immer weiter verschlimmert, weil wir oder die Kollegen das Problem umgangen haben, anstatt es anzugehen? Diese Form des Aufschiebens widerspricht dem Wesen von Krav Maga. Indem wir uns und unsere Schüler immer wieder fragen: »Worin besteht die reale Gefahr?«, erziehen wir uns dazu, die Gesamtsituation im Auge zu behalten und so die Ursache zu erkennen.

Bei Stress funktionieren: Eine Methode, mit Stress umzugehen, umfasst mehr, als diesen »runterzuschlucken« oder »auszuhalten«. Wer Stress nur mit Seminaren zur Stressbewältigung begegnet, könnte genauso gut einem Bluter ein Pflaster nach dem anderen geben, anstatt ihm zu zeigen, wie man Schnittwunden vermeidet.