Nr. 2801
Der Kodex
Die RAS TSCHUBAI in einem fremden Raum – Terraner treffen auf bekannte Unbekannte
Uwe Anton
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Auf der Erde schreibt man den Herbst 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Menschen haben Teile der Milchstraße besiedelt, Tausende von Welten zählen sich zur Liga Freier Terraner. Man treibt Handel mit anderen Völkern der Milchstraße, es herrscht weitestgehend Frieden zwischen den Sternen.
Doch wirklich frei sind die Menschen nicht. Sie stehen – wie alle anderen Bewohner der Galaxis auch – unter der Herrschaft des Atopischen Tribunals. Die sogenannten Atopischen Richter behaupten, nur sie und ihre militärische Macht könnten den Frieden in der Milchstraße sichern.
Wollen Perry Rhodan und seine Gefährten gegen diese Macht vorgehen, müssen sie herausfinden, woher die Richter überhaupt kommen. Ihr Ursprung liegt in den Jenzeitigen Landen, in einer Region des Universums, über die bislang niemand etwas weiß.
Auf dem Weg dorthin kommt es zu einem Unfall, der Perry Rhodan in die Vergangenheit der Milchstraße verschlägt, mehr als 20 Millionen Jahre vor seiner Geburt. In dieser Zeit suchen die Tiuphoren die Galaxis heim, und es gibt nur wenige, die ihnen Paroli bieten – darunter DER KODEX ...
Perry Rhodan – Der Unsterbliche muss seinem Gewissen folgen.
Gucky – Der Ilt ist wieder ganz der Alte – und mehr.
Tatsu Feydursi – Die Majorin ist voll im Einsatz.
Goyro Shaccner – Er ist der erste Vertreter des Kodex, den Perry Rhodan kennenlernt.
Möge dir dein Weg leicht werden,
mögest du stets den Wind
im Rücken haben.
– Alter irischer Segen
1.
Guckys Bedenken
Die Verteidiger hatten keine Chance.
Neun bumerangförmige Raumschiffe lösten sich von der fünf Kilometer langen Walze und hielten auf die habitable Zone des Sonnensystems zu.
Die Angreifer stießen von oben auf das System hinab und führten dabei gelegentlich kurze Hyperraumsprünge durch. Sie waren dadurch schnell. Zugleich schienen die Verantwortlichen die Vorfreude auf die kommenden Kämpfe auszukosten: Den Verteidigern blieb gerade genug Zeit, um sich ihnen im Kampf zu stellen.
Neun Raumschiffe. Das klang für ein raumfahrendes Volk nicht nach besonders viel.
Aber diese neun Raumschiffe bedeuteten neunmal Gnadenlosigkeit. Das wussten die Verteidiger, da sie diesen speziellen Raumschiffstyp kannten.
Die Schiffe rasten in einer Formation ins Sonnensystem, die an das Äußere der Einheiten erinnerte. Ein Schiff flog an der Spitze, jeweils vier weitere bildeten eine schräg davon wegführende, leicht gekrümmte Flanke des Geschwaders.
Todesbumerang, dachte Perry Rhodan, dem diese Schiffe ebenfalls bekannt waren. Tiuphoren.
Jeden Widerstand, der sich ihnen in den Weg stellte, vernichteten die Bumerangschiffe – Sternspringer, wie sie genannt wurden – mit einer lässigen Beiläufigkeit, die dem Terraner Übelkeit bereitete.
Eine Einheit der Verteidiger nach der anderen verging in einer atemberaubenden Choreografie des Todes – wenn Rhodan jemals eine Ästhetik der Vernichtung beobachtet hatte, dann in diesem Fall. Das war eines der Merkmale, die er den Tiuphoren mittlerweile zuschrieb.
Aus jedem Schiff wurde eine kleine, schnelllebige, neue Sonne, von der nach Sekunden bloß noch ein dunkelrotes Glimmen blieb. Das kalte, schwarze All zerquetschte diese letzte Erinnerung an das Leben, das sich so weit hinausgewagt hatte, in eine empörte Galaxis, die in einer fernem Zukunft Milchstraße genannt werden würde, aber in dieser Zeit Phariske-Erigon hieß.
»Bericht!« Rhodans Stimme klang so angespannt, dass er sie kaum als die seine erkannte.
»Sondierung des Raums und Analyse des Funkverkehrs läuft«, sagte ANANSI. »Der orangenfarbene Stern der K-Klasse heißt Achalabat und ist unwesentlich kälter als Sol und hat siebzehn Planeten. Der fünfte Planet, Chemeb, ist die Heimatwelt der Chemebochavi. Er ist das Ziel der Sternspringer.«
Der Terraner wandte den Blick von den Holos ab, die in allen Einzelheiten mit detaillierten Aufnahmen den schrecklichen, schweigenden Kampf zeigten, den die Tiuphoren ins Achalabatsystem brachten. Er warf einen kurzen Blick auf den Chronographen. Das Gerät wies als Bordzeit den 21. November 1517 NGZ aus.
Aber die Bordzeit war relativ, die RAS TSCHUBAI ein Fremdkörper aus der Zukunft. Zeigte das Gerät das in der Galaxis herrschende Datum an, wäre es mit dem Jahr 20.103.191 vor Christus garniert gewesen. Wochentage oder Monate spielten da keine Rolle.
»Prognose!«
»Chemeb wird fallen. Das Achalabatsystem hat keine Chance.« ANANSIS Holoavatar, der so täuschend mädchenhaft-kindlich wirkte, sah Rhodan bedauernd an.
Rhodan rieb sich die Nasenwurzel. Sie juckte fürchterlich. Er sah keinen Weg, wie die Chemebochavi die Tiuphoren aufhalten konnten. Die Angreifer stießen auf direktem Weg zum fünften Planeten vor, der dicht besiedelten Hauptwelt des Systems. Sobald sie ihn erreicht hatten, würde ihr Feldzug eine unvorstellbare Zahl von Opfern fordern.
»Sichtung und Auswertung der gegnerischen Kalkulation!«
ANANSI vergrößerte ein Holo. Ein fünf Kilometer langes, walzenförmiges Sterngewerk der Tiuphoren stand im Außenbereich des angegriffenen Systems, siegessicher und hochmütig wartete es ab, was die Sternspringer erreichen würden.
Hochmut kommt vor dem Fall, dachte Rhodan mit aufkeimender Wut.
Das fliegende Habitat, das zugleich Raumstation, Werft, Industriekomplex und Trägerschiff war, stand oberhalb der Systemebene. Rhodan wusste, was in dessen Innerem vor sich ging. Die Tiuphoren ergötzten sich an dem Angriff und bewerteten ihn gleichzeitig kritisch. Wie elegant wurde das Achalabatsystem zusammengeschossen? Welche Aktionen zeugten von eher primitiver Gewalt? Welche wurden geschickt und kunstvoll ausgeführt?
Das Habitat durchmaß einen Kilometer und war im oberen Drittel von einem Kranz umgeben, der mit dem Walzenkörper durch vier dünne Speichen verbunden war. An diesem Gewerkhafen konnten innen zwölf und außen sechzehn Sternspringer verankert werden. Dort wurden sie wahrscheinlich bei Bedarf gewartet, überholt und neu ausgerüstet.
Neunzehn der bumerangförmigen Schiffe ruhten gegenwärtig dort; nicht einmal die Hälfte der zur Verfügung stehenden Einheiten wurde als ausreichend betrachtet, ein ganzes Sonnensystem einzunehmen.
ANANSI blendete die Rumpfdaten der Sternspringer ein: Bumerangform, zwei Kilometer lang, bis zu 500 Meter breit und 250 Meter durchmessend.
»Die Tiuphoren gehen davon aus, dass sie das Achalabatsystem mit neun Sternspringern erobern und nicht benötigte Teile der bewohnten Planeten zerstören können«, bestätigte ANANSI die Bilder der Holos. »Die Annahme ist berechtigt. Ihr Angriff ist völlig geradlinig ausgelegt. Die Analyse ergab keinerlei verborgene strategische Planung.«
Die Tiuphoren verließen sich auf ihre Überlegenheit. Das entsprach ihrem Naturell.
»Hält unsere Tarnung?«, fragte Rhodan.
»Seit wir die Parameter neu eingestellt haben, gibt es daran keinen Zweifel mehr. Wir befinden uns in Sicherheit.«
Sicherheit – auch das tiuphorische Sterngewerk dort ist sich seiner Sache sicher, dachte Rhodan und personalisierte damit das Raumschiff, abstrahierte es von seiner Besatzung.
Er schüttelte den Kopf. »Gibt es etwas Neues hinsichtlich der tiuphorischen Technologie?«
Wieder führte die Bumerangformation einen kurzen Hyperraumsprung durch. Dabei behielten die einzelnen Sternspringer eine semimaterielle Existenz im vierdimensionalen Raum. Perry Rhodan hätte darauf wetten mögen, dass es sich dabei um die sogenannte Hyperstenz handelte.
Die Semitronik ANANSI hatte längst die Datenbanken der Space Jet untersucht, mit der Rhodan die Flucht vom Sterngewerk YONNTICC gelungen war. Die Ergebnisse unterstrichen die von den Tiuphoren ausgehende Gefahr.
»Die Sterngewerke und Sternspringer können in ihrem semimateriellen Zustand feuern, sind aber selbst mit unseren Waffen nicht angreifbar«, sagte ANANSI. »Diese Technik macht Schutzschirme überflüssig.«
Wie die Sensordaten verrieten, verzichteten das Sterngewerk derzeit allerdings komplett und die Bumerangschiffe zeitweilig auf den Einsatz der Hyperstenz, solange sie nicht überlichtschnell flogen. Wollten sie die hoffnungslos unterlegenen Bewohner des Systems damit zu einem Angriff verleiten – oder war dieses Verfahren so energieintensiv, dass sie aus Effizienzgründen darauf verzichteten?
Rhodan hatte sich ursprünglich aus den Ereignissen heraushalten wollen, die sich in einer so lange zurückliegenden Epoche zutrugen und deren Zeuge er unfreiwillig wurde. Seine Verantwortung lag in der Gegenwart, ebenso wie er Verantwortung für diese Gegenwart trug.
Aber diese theoretischen Überlegungen hatte er spätestens zu jenem Zeitpunkt über Bord geworfen, als er hautnah Zeuge dessen geworden war, was die Tiuphoren der Galaxis und deren Bewohnern antaten. Er konnte es mit sich selbst nicht vereinbaren, der boshaften, willkürlichen Zerstörung fast völlig hilfloser kleinerer Einheiten einfach nur zuzusehen.
Er hatte so etwas nie akzeptieren können. Er erinnerte sich kurz an seine früheste Zeit als interstellarer Raumfahrer, an die Schlacht im Wegasystem. Dort hatten die Topsider die heillos unterlegenen Schiffe der Ferronen abgeschossen wie terranische Sportschützen seinerzeit Tontauben. Schon damals hatte er mit der GOOD HOPE zugunsten der Unterlegenen eingegriffen.
»Wir setzen meinen Plan um und greifen an, ANANSI!«, sagte Rhodan. »Auf meinen Befehl die Beiboote ausschleusen!«
*
Für einen Moment herrschte Totenstille in der Zentrale der RAS TSCHUBAI, dann räusperte sich Gucky neben ihm. »Großer ... weißt du, was du da tust?«
Rhodan sah zu dem Mausbiber hinab, der als einer der Ersten und am heftigsten gefordert hatte einzugreifen. Das war in jenem Moment geschehen, als er die gefangenen Bewusstseine geespert hatte, die die Tiuphoren als Seelen-Banner vor ihren Sterngewerken trugen.
»Ja, das weiß ich. Sogar ganz genau.«
»Wir sollten eigentlich gar nicht hier sein«, fuhr der Ilt leise fort, als wäre er tief in Gedanken versunken und spräche zu sich selbst.
»Aber wir sind hier.« Rhodan spürte, wie sein Magen sich zusammenzog. Sie hatten zufällig Zwischenhalt beim Achalabatsystem gemacht und waren Zeuge der Ereignisse geworden.
Rhodan wusste, worauf der Mausbiber anspielte. Die Tiuphoren sahen in keiner Galaxis ihre Heimat, wanderten von Sterneninsel zu Sterneninsel. Ihre Heimat und Herkunft waren für sie mit einem Tabu belegt. Sie hatten sich von ihrem Ursprung »erlöst« und rechneten ihre Zeit in Zeitstrecken nach eben dieser Erlösung. Momentan befanden sie sich in der 87.770. dieser Zeitstrecken
Ein Leben auf Planeten war ihnen zuwider. Sie wurden geboren, lebten und starben in den Sterngewerken, was bedeutete, dass es in den riesigen Schiffen zahlreiche Zivilisten geben musste.
Rhodan zeigte auf die Holos. »Und sie sind die Aggressoren. Ohne jeden Zweifel.« Vor ein paar Tagen hatte Rhodan auf Guckys Hinweis bei der Flucht aus einem Sterngewerk Rücksicht auf die Zivilbevölkerung genommen. Nun aber ... durfte er die Zivilisten unter den Aggressoren schonen, in dem Wissen, dadurch die Zivilisten der Angegriffenen zu opfern? Er hasste es, mit Zahlen zu jonglieren, wenn es um Leben ging. Er durfte nicht aufrechnen, aber sein moralischer Kompass sagte ihm eindeutig, dass er die Chemebochavi nicht sterben lassen konnte. Opferschutz vor Täterschutz.
»Ich weiß ...«
»Was sollen wir tun, Kleiner?«, fiel Rhodan dem Ilt ins Wort. »Die Tiuphoren überziehen die Milchstraße mit einem gnadenlosen Krieg. Sie haben sich entschieden, einen Vernichtungsfeldzug zu führen und die Zivilbevölkerung nicht von den taktischen Einheiten zu trennen, die sie dabei einsetzen. Bedeutet das, dass wir uns ihnen auf Gedeih und Verderb ausliefern sollen?«
Der Mausbiber sah ihn eine Weile schweigend an. »Wir wehren uns nicht, Perry, wir greifen sie an«, sagte er dann.
»Du hast mir oft vorgeworfen, dass ich in allem und jedem ein moralisches Problem sehe«, entgegnete er. »Mich mit Atlan verglichen, der viel härter durchgegriffen hätte als ich. Natürlich sehe ich das moralische Problem. Doch für mich ist die Lage eindeutig. Hier in der Vergangenheit wird über die Zukunft der Menschheit entschieden. Avestry-Pasik will verhindern, dass die Zukunft, wie wir sie kennen, überhaupt eintritt. Er will damit die Menschheit auslöschen. Es wird unvermeidliche Opfer geben, die mir sicher schwer im Magen liegen werden, aber ich sehe keinen anderen Weg.«
»Aber das da sind nicht Avestry-Pasiks Laren, sondern die Tiuphoren ...«
»Unser Ziel ist es, die LARHATOON zu suchen«, unterbrach Rhodan den Mausbiber erneut.
Die LARHATOON suchen ... Avestry-Pasik hatte sie betrogen! Der Proto-Hetoste plante die Auslösung eines gigantischen Zeitparadoxons. Er wollte den Untergang der Ur-Laren verhindern, selbst um den Preis der eigenen Existenz.
Die Macht der Laren war, nicht nur in seinen Augen, durch Perry Rhodan vernichtet und sein Volk anschließend vom Atopischen Tribunal zur Bedeutungslosigkeit zermalmt worden. Dieses Scheitern, diese larische Katastrophe, war er nicht bereit hinzunehmen, und da er in der Gegenwart keinen Weg sah, diesen Zustand zu ändern, hatte er die Gelegenheit ergriffen, die sich ihm nun bot: Er hatte sich mit der LARHATOON, der ehemaligen VERNYS-VERC, einen Weg aus der RAS TSCHUBAI freigeschossen und war in dieser Epoche der Geschichte, 20 Millionen Jahre in der Vergangenheit, untergetaucht, um die Ur-Laren zu retten.
Das aber würde ein Zeitparadoxon bedeuten, das Rhodan verhindern musste, weil sonst auch die galaktische Geschichte einen vollkommen anderen Verlauf genommen hätte. Darum musste sich die RAS TSCHUBAI auf die Jagd nach der LARHATOON machen. Rhodan wusste, dass er keine Chance hatte, das winzige Schiff der Laren in der Milchstraße auf konventionellem Weg zu finden. Er brauchte Verbündete, die ihm halfen, es ausfindig zu machen.
Der einfachste Weg würde ganz sicher darin bestehen, die Tiuphoren zu unterstützen, denn nach allem, was er sich zusammenreimen konnte, waren sie der entscheidende Faktor zum Untergang der Ur-Laren. Aber das konnte er nicht, zu viel trennte ihn von dem seltsam zwitterhaften, humanoiden Volk. Nein, er musste sich seine Verbündeten anderswo suchen. Vielleicht hatten ja die Chemebochavi weiterreichende Verbindungen.
Es ergab also strategisch durchaus Sinn, ihnen zu helfen.
Über 20 Millionen Jahre!, dachte Rhodan. Das Schiff war in eine Epoche versetzt worden, die noch vor der Ankunft ARCHETIMS in der Milchstraße angesiedelt war. Im Jahr 20.064.820 vor Christus war ARCHETIM erstmals in Phariske-Erigon erschienen und hatte das Dunkle Zeitalter des Chaos und der Barbarei beendet, nicht nur in der Milchstraße, auch in den Nachbargalaxien. ARCHETIMS System hatte sich erst in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten etabliert.
Genau in dieses Dunkle Zeitalter des Chaos und der Barbarei war die RAS TSCHUBAI nun hineingeraten. Außerdem hatte Perry Rhodan in dem furchtbaren Krieg innerhalb der Milchstraße – seiner Milchstraße – bereits eindeutig Position bezogen: Er stand auf der Seite der Angegriffenen, der Opfer.
Die Angreifer waren die Tiuphoren. Ihr Reich wurde das Imperium der Empörer genannt, weil sie sich gegen alle Sitten jeder Zivilisation empörten, und weil ihr Krieg derart empörend war.
Rhodan hatte selbst miterlebt, wie skrupellos die Tiuphoren bei ihrem Feldzug vorgingen.
»Unsere Verantwortung ist groß, und genau deswegen müssen wir etwas tun. Ich werde keinem Völkermord zusehen, wenn ich ihn verhindern kann. Den Lauf der Geschichte werden wir dadurch auf lange Sicht nicht aufhalten und dürfen es auch nicht. Aber womöglich gewinnen wir durch eben dieses Eingreifen jene Mittel, die wir benötigen, um Avestry-Pasik zu schnappen.«
Der Mausbiber sah zu Rhodan hoch und nickte knapp. »Sicher, Großer ...«
Rhodan setzte nach: »Wer außer uns könnte die Bevölkerung dieses Sonnensystems retten, Kleiner?«
Gucky seufzte laut. »Du hast ja recht. Wir müssen wirklich an die Opfer denken.«
»Es genügt, das Sterngewerk der Tiuphoren so stark zu beschädigen, dass es nicht mehr kampffähig ist. Dazu werden wir alle nötigen Mittel einsetzen.« Rhodan betätigte seinen Kom. »Beiboote ausschleusen!«
Sein Magen zog sich enger zusammen.
Möge die Sonne dir warm ins
Gesicht scheinen
und der Regen sanft auf deine
Felder niedergehen.
– Alter irischer Segen
2.
Kulturell bedingtes Verhalten
Die sieben an der Hülle verankerten Schlachtkreuzer der MARS-Klasse dockten gleichzeitig von der RAS TSCHUBAI ab. Ein Schiff der Beibootflotte, die RT-M8 TAMA YOKIDA, hielt derzeit am Zeitriss Wache.
Zuerst wirkten ihre Bewegungen gemächlich, wie die von schlafenden Riesen von 500 Metern Durchmesser, die nur langsam erwachten.
Doch dann schienen die Schiffe sich zu schütteln und nahmen Fahrt auf. Sie schwärmten aus wie metallene Insekten, deren Stachel Transformkanonen waren, Desintegratoren und Impulsstrahler, und deren Gift aus tödlicher Energie bestand.
Gleichzeitig beschleunigte die RAS TSCHUBAI. Sie blieb am imaginären Rand des Achalabatsystems, umrundete die Sonne und die 17 Welten und hielt auf das Sterngewerk der Tiuphoren auf der anderen Seite zu.
Rhodan warf einen Blick zum ehemals stellvertretenden und nun amtierenden Kommandanten der RAS TSCHUBAI. Oberstleutnant Sergio Kakulkan nickte ihm kurz und ernst zu.
Er wirkte unglaublich konzentriert. Nichts brachte ihn aus seiner Ruhe.
Der Kommandant drehte sich um und ließ sich in seinem Sessel nieder, der sich fast genau in der Mitte der Zentrale befand. Rhodan saß ihm gegenüber.
Holos leuchteten auf. Sie zeigten das Sonnensystem, das sich unter ihm befand. Vergrößerungen bildeten sich. Aufgrund der Ausmaße des Systems waren sie nicht maßstabsgetreu. Sie stellten die Position des Sterngewerks dar, der Sternspringer und der wenigen Schiffe der Verteidiger.
Rhodan rief eine weitere Detailaufnahme auf. Darauf war eines dieser Schiffe zu sehen. Es ähnelte den Orbitalstationen, die sie in der Umlaufbahn des Planeten entdeckt hatten, war mit einem Durchmesser von 100 Metern aber viel kleiner. Der ringförmige Außenkreis wurde von zwei inneren Verstrebungen gestützt, die sich wie bei einem X kreuzten.
Die Chemebochavi betrieben die Raumfahrt erst seit wenigen Jahren. Von hochvergütetem Arkonstahl waren sie weit entfernt. Die Außenhüllen bestanden aus besserem Blech und waren dünn genug, um sie mit dem Daumen einzudrücken. Rhodan schmunzelte, als er General Pounder vor sich sah, der stolz auf die STARDUST klopfte. »Das, meine Herren«, hörte er ihn sagen, »ist die Zukunft der Menschheit.«
Wie recht der alte Haudegen doch hatte.
»Dreißig Sekunden«, sagte Kakulkan. »Ich bitte um exakte Ausführung des Plans.« Der Kommandant bemühte sich um eine nüchterne und sachliche Stimme. Doch Rhodan hörte eine gewisse Anspannung heraus. Der Oberstleutnant wusste, dass es darauf ankam, gerade in den ersten Sekunden und Minuten mit der Perfektion einer gut geölten Maschine vorzugehen. Gelang ihnen das, hatten die RAS TSCHUBAI und ihre Beiboote eine gute Chance gegen die Übermacht der Angreifer, und die Zahl der Verluste würde sich in Grenzen halten.
Zumindest auf terranischer Seite, dachte Rhodan.
»Zwanzig Sekunden.«
Rhodan verstand den Grund für Kakulkans eigentlich überflüssige Bitte. Jeder an Bord kannte ohnehin die eigenen Aufgaben. Dennoch hatte die Bitte einen Sinn: Sie erhöhte die Aufmerksamkeit der Frauen und Männer. Eine Methode, die bislang immer funktioniert hatte.
Sicher auch diesmal!
»Zehn Sekunden.«
Rhodan dachte an Guckys moralische Bedenken.
Hatte der Kleine recht? Die Erfahrung des langen Komas und des anschließenden Verlusts seiner paranormalen Fähigkeiten hatte den Mausbiber verändert. Natürlich waren seine Argumente stichhaltig. Jeder Tote war einer zu viel. Doch die Tiuphoren waren ebenso Produkte ihrer Kultur wie umgekehrt, und dazu zählte, dass sie nichts auf das physische Leben anderer Wesen gaben. Ihnen galten die Bewusstseine einiger weniger Auserwählter etwas – als Teile ihrer Banner und damit als Zeugen ihres eigenen Triumphes und Ruhmes. Was das mit ihnen im Lauf der nächsten Jahrhunderte oder gar –tausende machen würde ... Rhodan wusste es nicht. Hatte das Universum seiner Gegenwart noch irgendwo Platz für dieses Volk, das sich außerhalb jeder Gemeinschaft zivilisierter Wesen gestellt hatte?
»Jetzt!«
Rhodan konzentrierte sich wieder auf das Geschehen.
Die RAS TSCHUBAI fiel in den Normalraum und ließ die Tarnung fallen. In exakt demselben Augenblick schleusten 18 der verbliebenen 35 Schweren Kreuzer der MINERVA-Klasse aus den Hangars aus. Sie beschleunigten umgehend.
Im ersten Moment kam Rhodan die Entfernung zum Sterngewerk, in dessen Nähe sie materialisiert waren, viel zu groß vor. Doch ANANSI hatte alles genau berechnet.
Die RAS TSCHUBAI flog wieder mit halber Lichtgeschwindigkeit – was bedeutete, dass sie in zwei Sekunden die Distanz zum Sterngewerk überwunden haben würde.