FRAUEN IM SINN
Verlag Krug & Schadenberg
Literatur deutschsprachiger und internationaler
Autorinnen (zeitgenössische Romane, Kriminalromane,
historische Romane, Erzählungen)
Sachbücher und Ratgeber zu allen Themen
rund um das lesbische Leben
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Katherine V. Forrest
Seltsamer Wein
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Margarete Sommer
K+S digital
Für Sheila,
durch die alles möglich wurde.
I had been hungry, all the Years
My Noon had Come – to dine
I trembling drew the Table near
And touched the Curious Wine
Hungrig war ich gewesen, all die Jahre
Fand, in der Lebensmitte, die Speisen mir bereitet
Den Tisch zog bebend ich heran
Und trank vom seltsamen Wein
Emily Dickinson (1830-1886)
Warmes, helles Licht schien aus der Berghütte. Schon von ferne, auf der gewundenen Gebirgsstraße hatten Diana Holland und Vivian Kaufman es leuchten sehen – freundliches gelbes Licht, das in die dunkle Nacht hinausstrahlte und auf den glitzernden Schnee fiel.
Liz Russo öffnete die Tür, begrüßte die beiden überschwänglich, lautstark. Sie umarmte Vivian und nahm die Mäntel in Empfang. Um ein flackerndes, knisterndes Kaminfeuer versammelt saßen vier Frauen. Eine von ihnen erregte sofort Dianas Aufmerksamkeit. Sie saß auf dem Kaminvorsprung und erhob sich, als Liz die Frauen einander vorstellte.
Lane Christiansen, die Frau, die Diana aufgefallen war, gab erst ihr, dann Vivian die Hand. Groß und schlank stand sie vor ihnen und strich sich das blonde Haar aus der Stirn.
»Elaine?«, fragte Vivian lächelnd und hielt ihre Hand einen Augenblick fest, ehe sie sie wieder freigab.
»Lane«, berichtigte sie. »Die Abkürzung für Marlene – wie Dietrich. Meine Mutter liebte die Dietrich. Es ist ihr nie in den Sinn gekommen, wie rücksichtslos es war, mir auch noch im Vornamen drei Silben aufzuladen.«
»Lane gefällt mir gut«, sagte Vivian und strich sich die Jacke glatt.
Lane Christianson trug gut geschnittene dunkelgrüne Hosen und einen weich fallenden Kamelhaarpullover. Unwillkürlich hatte Diana ihren eigenen Pullover zurechtgezogen und amüsierte sich innerlich, als ihr bewusst wurde, wie eine ungewöhnlich attraktive Frau andere Frauen immer ein wenig unsicher und abwehrbereit zu machen schien. Bewundernd, aber auch neugierig betrachtete sie Lane; die anderen Frauen trugen Jeans oder Trainingsanzüge.
»Wahrscheinlich kann ich für Marlene noch dankbar sein. Meine Mutter hätte ja auch ein Fan von Hedy Lamarr oder Pola Negri sein können«, sagte Lane zu Vivian gewandt. »Wie würde Hedy oder Pola klingen?«
Die Frauen lachten, und Lane lächelte; Diana empfand dieses Lächeln als kühl und distanziert.
Vivian fragte: »Kennt ihr eigentlich alle Liz’ Mädchennamen?«
»Klar. Taylor«, sagte Madge Vincent.
Diana kicherte. »Du warst also früher Liz Taylor?« Lane lachte hell auf.
»Pass bloß auf, Kaufman«, sagte Liz. »Sonst reiß ich dir deine falschen Wimpern ab.« Mit einem entschuldigenden Blick zu Diana, der auch Lane einschloss, fuhr sie fort: »Stellst euch doch mal vor, ihr müsstet mit dem Namen Liz Taylor aufwachsen. Ich wollte schon mit zwölf Jahren heiraten, bloß um diesen Namen loszuwerden.«
Die Frauen lachten. Liz fragte Diana: »Was möchtest du trinken? Wodka haben wir keinen mehr, dafür aber reichlich Bourbon, Scotch und Gin. Auch ein bisschen Wein.«
»Hast du Weißwein?«
»Ja, aber nicht unbedingt einen, den sie dir im Beverley Hilton kredenzen würden. Meine Söhne haben hier immer einen kleinen Vorrat. Mach’s dir gemütlich, Herzchen. Wenn du den Wein nicht magst, kannst du immer noch zu den harten Drinks übergehen. Komm, Viv, wir gehen in die Küche; ich möchte gern ein bisschen mit dir quatschen.«
Um den Kamin herum standen ein breites Sofa, zwei Sessel und ein niedriger runder Tisch mit Getränken und einer Käseplatte. Große Cordkissen lagen überall im Raum verstreut. Diana beschloss, sich in der Nähe des Feuers niederzulassen.
Madge Vincent sagte: »Gehen wir recht in der Annahme, dass Vivian und du gute Gründe dafür habt, freiwillig in eurer grauenhaften Stadt zu leben?« Madge, eine Frau um die fünfunddreißig, mit wirrem, schulterlangem dunklem Haar, sah angespannt aus. Sie saß auf dem Sofa, rauchte und klopfte die Asche ihrer Zigarette in einen Aschenbecher, der schon von langen Kippen überquoll.
Diana setzte sich auf ein Kissen. Sie schmunzelte und streckte die Hände zu einer versöhnlichen Geste aus. »Ich verneige mich vor der Erhabenheit eurer prächtigen Stadt. Schon allein weil ich gegen euch fünf keine Chance habe, wenn Viv nicht dabei ist. Aber eigentlich trifft mich keine Schuld. Ich kann doch nichts dafür, dass ich dort geboren bin – in unserem wunderbaren Burbank, genau im Herzen der Stadt.«
Chris Taylor sagte: »Wusstest du, dass Viv in San Francisco zur Welt gekommen ist?« Chris war ein wenig untersetzt. Ihr Haar begann bereits grau zu werden; ihre blauen Augen blickten schüchtern und leicht verschreckt.
Diana hatte bei der Begrüßung mitbekommen, dass sie Liz’ Schwester war.
»Ja, ich habe schon viel gehört von dir und Liz und Viv, und wie ihr alle zusammen aufgewachsen seid. Ich habe Liz Weihnachten vor einem Jahr kennengelernt. Sie verbrachte die Ferien bei uns, mit ihrem Mann.« Sie lächelte, als sie daran dachte, wie sehr sie die Russos gemocht hatte. Liz, so groß und stattlich und warmherzig; ihr Ehemann, ein lauter, zigarrenrauchender sanfter Bär.
»Du weißt, dass sie inzwischen geschieden sind?«
»Ja, Viv hat es mir erzählt. Ich war sehr betroffen.«
»Zwanzig Jahre«, seufzte Chris. »Bitte sprich nicht von George, wenn Liz in der Nähe ist.«
Diana sah zu, wie Millie Dodd, die mit gekreuzten Beinen auf dem Boden saß, aus einem samtgefütterten Kasten eine Gitarre herausnahm, die unverkennbar den Glanz des Kostspieligen ausstrahlte. Millie nahm das Instrument auf die Knie und intonierte, fast unhörbar flüsternd: »George und Liz«, schlug dann unvermittelt einen dröhnenden Akkord an, der theatralisch das Endgültige hörbar machte. Mit einer heftigen Geste fuhr sie sich durch ihre wasserstoffblonden Kräusellocken und lächelte mit treuherzigen blauen Kinderaugen, begeistert von ihrem musikalischen Effekt. Diana dachte, sie könnte genauso gut fünfundzwanzig wie vierzig sein.
Millie klimperte leise und wohltönend weiter; Liz brachte Diana ihren Wein und verschwand wieder in der Küche. Diana trank vorsichtig einen Schluck aus dem schweren kleinen Weinglas und schüttelte sich angewidert. Als sie aufschaute und das Glas zurückstellte, begegnete sie dem belustigten Blick von Lane Christiansen.
»Nicht unbedingt Qualitätswein.«
»Eine Spur zuviel Weinessig«, witzelte Diana und bemerkte neben Lane das gleiche fast volle Glas.
»Schmeckt eher nach der ganzen Essigflasche. Möchtest du lieber einen Schnaps?«
»Ich mag nur Wodka.«
»Ich auch.«
»Ich bring uns welchen mit, wenn ich in die Stadt fahre.«
Selbstvergessen ruhte Dianas Blick auf Lane Christianson.
Die züngelnden Flammen des Kaminfeuers warfen goldene Lichtpunkte auf ihr seidiges blondes Haar, das bis zum Nackenansatz reichte, ihr Gesicht einrahmte und ihr leicht in die Stirn fiel. Das Haar war in Stufen geschnitten, deren Muster sich bei jeder Bewegung des Kopfes veränderten. Es erinnerte Diana an Herbstbäume, die sie einmal in Utah gesehen hatte, mit Blättern, die wie sonnenbeschienene Münzen in wechselnden Goldfärbungen im Winde wehten. Im Schein des Feuers ließ die warme Tönung ihrer Haut die goldbraun schimmernde Farbe ahnen, die sie unter der Sommersonne annehmen würde. Diana wusste nicht genau, ob ihre Augen grau oder blau waren. Lane saß entspannt, mit anmutig untergeschlagenen Beinen da; sie hielt ihren schlanken Körper aufrecht, die Schultern sehr gerade. Diana fand sie wunderschön.
Millie fragte: »Was bist du von Beruf, Diana?«
»Ich arbeite in der Personalabteilung bei West Coast Title and Trust.« Diana, die sich nur widerstrebend von Lanes Anblick löste, wandte sich den anderen Frauen zu.
»Dann hast du keinen Kundenkontakt?«, fragte Chris.
»Nein, ich stelle Leute ein. Ich arbeite viel mit Viv zusammen. Wusstet ihr, dass sie leitende Angestellte ist? Ich hab schon eine Menge Schreibkräfte für sie angeheuert.«
»Stellst du auch manchmal jemanden ein, den sie nicht ausstehen kann?«, fragte Chris.
»Ja, ab und zu tobt sie. Aber meistens liege ich nicht so falsch mit meiner Auswahl.«
»Das schwierigste Problem wird wohl sein, die Leute in dem Job zu halten«, meinte Lane.
»Ja, das ist richtig.« Diana blickte sie wieder an. »Es ist erstaunlich, wie planlos die Leute sich heutzutage von einem Job zum nächsten treiben lassen. Ich führe Gespräche mit Leuten Anfang zwanzig, die schon ein Dutzend Jobs hinter sich haben und überhaupt nicht einsehen, warum das anders sein sollte. – Und was machst du, Lane?«, fragte Diana erwartungsvoll.
»Ich bin Rechtsanwältin.«
»Das ist gut.« Voller Genugtuung hörte sie, dass diese außergewöhnliche Frau ihren Verstand und ihre Erscheinung für eine anspruchsvolle Tätigkeit einsetzte.
»Das Schöne an dieser Runde ist, dass ich hier nicht weiter auffalle. Bei der Arbeit bin ich als Frau im Anwaltsberuf die Ausnahme. Was für schmückende Beinamen mir die Leute hinter meinem Rücken geben, weiß ich natürlich nicht.«
Die Frauen kicherten. »Hast du eine eigene Kanzlei?«
»Nein, ich arbeite in einem Anwaltsbüro. Fünf Partner. Ich gebe dir meine Karte, falls du einmal Hilfe brauchen solltest.« Sie sagte es leichthin, mit einem Lachen um die Augen.
»Hast du ein besonderes Fachgebiet?«
»Ich bearbeite hauptsächlich den blöden Mist, den unsere lieben Klienten bauen, wenn sie mit dem Bürgerrechtsgesetz in Konflikt kommen.«
»Das ist sicher total aufregend.«
»Nein, es ist absolut frustrierend. Etwa so wie der Versuch, die Gezeiten ändern zu wollen. Das Bürgerrechtsgesetz gibt es jetzt seit 1964, und es ist erschreckend, wie wenig sich seither verändert hat – allen Lippenbekenntnissen, allem Wind, der darum gemacht wurde zum Trotz. Das ist schlimm für die Frauen, aber schlimmer noch ist es für die Schwarzen. Ich kenne eine Menge Führungskräfte, die sie am liebsten zurück auf die Baumwollfelder schicken würden.«
»Was die Frauen anbetrifft, stimme ich dir voll zu«, sagte Chris. »Aber manchmal wünschte ich – und ich bin wirklich liberal – aber manchmal wünschte ich eben doch, dass die Schwarzen dort geblieben wären, wo sie herkommen. Und diese anderen Leute, die heutzutage in San Francisco einfallen, diese … diese …«
»Chris, steig aus dem falschen Jahrhundert aus«, sagte Madge. »Wir haben jetzt 1978. Jeder Mensch muss sich frei bewegen können.«
»Na, du hast leicht reden! Sie kaufen wie die Verrückten das ganze Land auf, diese … Perversen.«
»Chris –«
»Madge, ich habe keine Lust, mit dir zu streiten«, sagte Chris.
»Ich auch nicht«, murmelte Lane und lächelte müde. »Ich bin nicht hierhergekommen, um ausgerechnet darüber zu debattieren.«
Diana unterbrach das verlegene Schweigen. »Du bist im Immobilienhandel, Madge?«
»Mehr oder weniger ja, so kann man es nennen. Ich bin eine Art Umherreisende, Vertreterin.« Sie nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette und griff nach dem Aschenbecher. »Ihr habt alle viel solidere Berufe als ich.«
»Ich dachte immer, der Immobilienhandel boomt im Moment. In Los Angeles doch bestimmt.«
»Das ist es ja gerade.« Madge drückte ihre Zigarette aus und fuhr sich durch das Haar. Sie steckte die nächste Zigarette zwischen ihre schmalen Lippen und lächelte säuerlich, als Diana ein kleines goldenes Feuerzeug für sie zückte. »Es ist die reine Vetternwirtschaft. Ich habe Lane übrigens kennengelernt, als ihre Firma einen Fall für meine Agentur bearbeitete. Sie ist eine ausgezeichnete Anwältin, aber sie lässt sich viel zu sehr ein und arbeitet viel zu viel.«
»Immobilien gehören eigentlich nicht zu meinem Gebiet; ich habe nur einer Kollegin geholfen und musste mir erst mal die Grundlagen erarbeiten. Weshalb ich als Anwältin keine besonders gute Figur abgab, denn ich habe entschieden zu lange für alles gebraucht«, sagte Lane und grinste freundlich zu Diana hinüber.
»Sie kam erst zwei Stunden vor euch an«, sagte Madge zu Diana. »Und muss schon am Mittwoch wieder fahren. Dabei wollte sie eigentlich bereits vor zwei Tagen mit mir hierherkommen, um mal eine ganze Woche auszuspannen und Ski zu laufen.«
»Im letzten Augenblick gab’s noch Komplikationen, Madge, das kommt vor.«
»Na, bei dir immer, Lane.«
Diana fragte: »Was machst du beruflich, Millie?«
»Ich bin Krankenschwester«, antwortete Millie und trank von ihrem Martini. »Chris und ich wohnen in der gleichen Straße. Chris ist übrigens nicht ganz so engstirnig, wie es vielleicht scheinen mag.«
Chris bemerkte bissig: »Ich arbeite für einen Vizepräsidenten von Shell. Seine Ansichten solltet ihr erstmal hören.«
»Bist du schon lange bei Shell?«, fragte Diana, bemüht, das strittige Thema zu vermeiden.
»Letzten Monat waren es genau vierundzwanzig Jahre.«
»Oh, wirklich? Du hast sicher einen sehr verantwortungsvollen Posten.«
»Na ja, ich habe mich hochgearbeitet. Bin mein ganzes Leben lang Sekretärin gewesen und habe das keinen Tag bedauert.«
»Warum solltest du auch? Es gehört eben zu deinem Skript, deinem inneren Drehbuch«, sagte Madge.
Diana unterdrückte ein Lächeln.
Liz und Viv kamen Arm in Arm aus der Küche, beide mit einem Glas in der Hand.
Diana hatte das Interesse an dem Gespräch verloren und hörte nur noch aus Höflichkeit mit einem Ohr zu. Sie nahm ihre Umgebung genauer in Augenschein.
Den Mittelpunkt des Raumes bildete der Kamin, vom Boden bis zur Decke aus Felsbruchstein gebaut; um ihn herum gruppiert standen die wichtigsten Möbelstücke. Die dunkelglänzende warme Holztäfelung der Wände ging über in einen tiefbraunen langflorigen Teppich. Eine leicht gerundete Frühstückstheke teilte die Küche vom Wohnraum ab. Diana staunte über die ungewöhnlich üppige Küchenausstattung dieser Gebirgshütte: große Geschirrschränke und Anrichten, ein geräumiger Kühlschrank und ein riesiger Herd. In der Essecke standen Korbstühle um einen ovalen Tisch, darüber hing eine Tiffanylampe. Auf einem Bücherbord lagen Spiele, Karten und Puzzles; daneben standen Taschenbücher und eine ganze Reihe Bücher, die alle den gleichen Einband hatten – klassische Werke, wahrscheinlich. Hinter der Essecke führte ein Flur zu den kleineren Schlafzimmern und dem Badezimmer. An einer Wand lehnte eine massive Leiter, die bis zur Decke hochreichte und geradewegs in eine geöffnete Falltür führte.
Dianas Blick verweilte auf dieser Tür, und sie malte sich aus, wie schön die verschneiten Bäume von dort oben aussehen würden. Doch plötzlich durchzuckte sie ein scharfer, schmerzhafter Stich. Jack … die Kraft, die Wärme seiner Umarmung, inmitten dieser Kälte und des Schnees …
Sie schreckte auf, als sie Lane sagen hörte: »Warte, bis du das da oben siehst.«
»Sieht man viel, wenn man aus dem Fenster schaut?«
»Nur das Universum.« Lane lächelte und schüttelte leise den Kopf. »Liz sagt, dass niemand gern mit dem ganzen Gepäck die Leiter hochklettert. Deshalb ist Hüttenregel Nummer eins: Wer zuletzt ankommt, muss dort oben schlafen. Du machst dir keine Vorstellung davon, wie unglaublich schön es ist.«
Von Vorfreude erfüllt schaute Diana wieder zu der Falltür empor.
Lane sagte: »Möchtest du dein Gepäck hinaufbringen und es sehen? Komm, ich helfe dir.«
»Diana, mein Liebling«, rief Vivian. »Es ist Zeit, Vivian ihrem unausweichlichen Schicksal zuzuführen.«
Diana winkte ihr zu. »Ich muss Viv schnell in die Stadt fahren«, erklärte sie Lane. Sie wohnt mit jemandem dort unten im Hotel.«
»Warum denn das? Warum wohnen sie denn nicht hier? Ach so, der Jemand ist männlichen Geschlechts.«
Diana lächelte. »Du hast es erraten.«
Lane zuckte die Achseln. »Ich bin in die Berge gefahren, um mich auch damit eine Weile nicht befassen zu müssen. Gut, wir steigen also erst hoch, wenn du wieder zurück bist. Oder willst du unten in der Stadt bleiben und dich in der Spielbank amüsieren?«
»Nein«, beschloss Diana auf der Stelle. »Ich bin gleich zurück.«
Liz half Vivian in den Mantel. »Auf geht’s, in deinen Sündenpfuhl. Jede Wette: John ist so aufgeregt, dass er seine weitesten Hosen anziehen musste. Ist er überhaupt gut im Bett?«
»Für ein paar Stunden reicht’s«, erwiderte Vivian vergnügt. Sie zog übermütig an Liz’ hellbraunen Locken, die schon silbergraue Strähnen zeigten.
»Blödsinn! Nimm nur den Mund nicht so voll. Du könntest doch keine Viertelstunde mehr durchhalten, du alte Schlampe.« Liz knuffte Vivian in die Seite.
»Sollen wir mal um die Wette vögeln? Lass es mich nur wissen, du verkalkte Schnalle«, gab Vivian zurück.
Chris seufzte resigniert. »So reden die beiden immer. Das war schon so, als wir noch Kinder waren – schlimmer noch!«
Diana schlüpfte lächelnd in ihre Jacke und bemerkte, dass auch Lane breit grinste.
Vivian sagte: »Und Liz, sei ja lieb zu meiner Diana. Sie ist im Moment sehr empfindlich.«
Diana starrte sie wütend an.
Liz schaute von einer zur anderen, zog amüsiert eine Augenbraue hoch und fragte trocken: »Was meinst du mit ›empfindlich‹? Ist sie schwanger?«
Diana musste unwillkürlich lachen. Vivian warf ihr einen besänftigenden Blick zu und sagte: »Sie braucht einfach Ruhe und Entspannung von all ihren Sorgen und Nöten.« Sie wandte sich den anderen zu. »Und euch werde ich alle in den Spielkasinos wiedertreffen?«
»Wir bleiben hier oben«, sagte Chris.
Vor der Hütte wandte Diana sich erbost an Vivian. »Was fällt dir ein! Diese Liz kenne ich kaum, die anderen überhaupt nicht. Ich hätte es besser wissen müssen und gar nicht erst mit hierherkommen sollen; ich wusste, das dass eine hirnverbrannte Idee war …«
»Aber Engelchen, ich hab doch so gut wie nichts gesagt.«
»Nichts gesagt?? Du hast mit Liz telefoniert und dies hier angezettelt. – Was hast du ihr von mir erzählt?«
»Überhaupt nichts, Schätzchen.« Vivian setzte sich ins Auto. »Jetzt sei nicht böse mit der kleinen Vivian, die doch nur dein Bestes will. Du darfst das alles nicht so eng sehen. Mach’s dir doch einfach gemütlich. Die Hütte ist einmalig. Meine Güte, wenn John nicht hier wäre, könnten wir beide diesen tollen Kamin, die phantastische Landschaft voll genießen. Und Liz, lieber Himmel! Jemanden wie sie triffst du wirklich nicht alle Tage.«
»Und alle sind sie begeisterte Skiläuferinnen«, sagte Diana unwirsch und knallte die Autotür zu. »Sie werden keine Ruhe geben, bis ich’s auch wieder versuche. Skiläufer sind so. Ich hasse Leute, die Ski laufen.«
Vivian nahm sachte ihre Hand. »Wenn du sie wirklich so wenig ausstehen kannst und wirklich nicht –«
Diana drückte ihre Hand und ließ sie wieder los. »Das habe ich nicht gesagt. Ich meinte nur …«
»Ich finde sie ganz in Ordnung. Diese Lane zum Beispiel ist eine absolute Klassefrau. Vorausgesetzt du stehst auf tolle schlanke Frauen«, fügte sie gutgelaunt hinzu.
Diana lachte in sich hinein. »Sie ist Rechtsanwältin.«
»Igitt! Das ist ja noch übler.«
Diana ließ den Motor an. »Madge und Millie scheinen okay zu sein, aber Chris – ich kann so intolerante Menschen immer weniger ertragen.«
»Lass nur unsere gute Chris. Sie ist eben so. Eine freudlose alte Jungfer, verdorrt an Leib und Seele. Sie war schon mit neun ein langweiliges altes Weib, glaub’s deiner Vivian. Schade, dass du’s mit dem Skilaufen nicht wenigstens noch einmal versuchen willst. Wenn ich deine Figur hätte, würde ich nur im Skianzug durch die Gegend rennen. Und außerdem ist es auf der Piste viel einfacher, sich einen Mann zu angeln, als auf diesen dusseligen Golfplätzen.«
Diana widersprach verdrossen: »Golf spiele ich auch nicht mehr.« Sie wechselte das Thema. »Mein Gott, ist das finster hier oben.«
Vivian ließ nicht locker. »Um genau zu sein, du hast jetzt sechs Wochen lang nicht Golf gespielt. Aber irgendwann ist es Zeit, die Klostermauern wieder zu verlassen, mein Liebling. Du darfst die körperlichen Bedürfnisse nicht vergessen. Was meinst du – wie lange hältst du es ohne Sex aus?«
»Bis zum Ende meiner Tage«, erwiderte Diana grimmig.
»Ausgerechnet du! Nein, nein, zu dieser Sorte Frau gehörst du ganz gewiss nicht. Du brauchst jemanden, der dich liebt.«
»Unsinn! Nachdem es mit Tommy aus war, habe ich monatelang, länger als ein Jahr sogar, mit niemandem geschlafen. Ich hatte nicht das geringste Bedürfnis danach. Es war in der Zeit, als ich mit Barbara zusammengewohnt habe. Ich bin damals viel mit Männern ausgegangen, aber nur so, zum Essen oder ins Kino.«
Diana blickte angestrengt in die dunkle Nacht; im Licht der Scheinwerfer glitzerten weiße Wälle, die am Straßenrand von Schneepflügen aufgehäuft worden waren; dahinter glänzten schwarz die symmetrischen Silhouetten der Kiefern.
»Es wundert mich kein Stück, dass du nach diesem Suffkopp keine Lust mehr auf Sex hattest. Bei mir war das nach Joe genauso. Aber glaub mir, mit Mitte zwanzig ist es leichter, ohne Sex auszukommen. Frauen brauchen’s einfach mehr, je älter sie werden. Zweiundvierzig ist übrigens gar kein so schlechtes Alter, lass dir das gesagt sein. Obwohl ich natürlich nichts dagegen hätte, noch mal dreiunddreißig zu sein.«
»Vierunddreißig.«
»Vierunddreißig. Du bist trotzdem ungeheuer attraktiv. Ich lass dich ehrlich gesagt auch nur ungern in Johns Nähe. Obwohl er mir immer erzählt, er ziehe mollige Frauen vor. – Und was Jack anbetrifft, jetzt, wo ihr Schluss gemacht habt – ich hoffe wenigstens, dass es endgültig aus ist –, kann ich’s dir ja sagen: Ich habe nie so recht verstanden, was du an diesem eingebildeten Würstchen so anziehend gefunden hast. Er sieht gut aus, ja, aber das ist auch alles. Kein Wunder, dass er sich fast ein Bein ausgerissen hat, um dich zurückzubekommen – so eine Frau wie dich findet er im Leben nicht mehr.«
Diana unterbrach sie. »Ich möchte jetzt nicht mehr darüber reden.« Sie lenkte das Auto vorsichtig um die engen Kurven, achtete auf eisglatte Stellen.
»Nicht mehr darüber reden! Du hast bisher kaum darüber geredet! Was denkst du eigentlich, wozu Freundinnen da sind? Deine Trauerarbeit muss mal ein Ende finden. Sechs Wochen sind wirklich mehr, als er verdient hat. Aber nein, wir fahren neun Stunden lang nach Tahoe, und alles, was ich zu sehen bekomme, ist deine gramzerfurchte Leichenbittermiene. Ich war nahe dran, das Auto anzuhalten und dir zum Gnadentod zu verhelfen.«
Diana lachte.
»Na also. Schon besser. Sie lacht wieder. Nimmst du noch die Pille?«
»Jawohl, Mutter.«
»Dieser Jason in der Firma ist ja ganz schön hinter dir her.«
Diana zuckte die Achseln.
»Warum magst du ihn nicht?«
»Er langweilt mich.«
»Aber, meine kleine Klosternonne, warum schluckst du dann die Pille?«
Diana schwieg irritiert.
»Ist ja auch ganz richtig, egal, was für Gründe du hast. Wer weiß, vielleicht begegnet dir hier oben jemand.«
»Und selbst wenn, würde ich sicher nicht gleich mit ihm ins Bett hüpfen.«
»Pah, ich bin mit John im Bett gelandet, als wir uns gerade mal zwei Stunden kannten.«
Diana warf ihrer Freundin einen amüsierten Blick zu. »Immerhin, deine Beziehung mit John dauert schon länger als irgendeine deiner vorherigen … Lieben.«
»Warum sollte ich nicht tun, wozu ich Lust habe? Männer machen das schon immer so. Meine biologischen Pflichten habe ich brav erfüllt: Ich habe ein Kind in die Welt gesetzt. Und nun ist meine Vagina nur noch zum Vergnügen da. Nichts ist von Dauer, so viel wenigstens habe ich aus meinen zwei Katastrophen gelernt. Von den Freuden einer Scheidung nach San-Francisco-Manier wird dir Liz noch genug erzählen. Zwanzig Jahre, verdammt noch mal. Liz und George waren eines der seltenen Paare, von dem alle dachten, sie würden noch gemeinsam in den Sarg steigen. Bis diesem Arschloch George eines schönen Tages nichts Besseres einfiel, als in seinem Büro ein scharfes blondes Ding über den Schreibtisch zu legen. Großer Gott! Dieser verwichste Drecksack. Männer können so miese Schweine sein.«
Diana hatte die Auffahrt zum Highway 50 erreicht und wartete darauf, sich in die Schlange der Wagen einzufädeln, die am Samstagabend alle auf dem Weg zu den Kasinos waren.
»Du brauchst eine Liebesaffäre. Eine richtig gute Liebesaffäre.«
»Ich hatte eine. Mit Jack war es besser als mit irgendjemandem je zuvor. Bei ihm war ich nie sicher, was er im nächsten Moment tun würde. Unberechenbar. Wie ein kleines Kind. Mann und Kind in einem.«
»Das glaube ich dir gern«, sagte Vivian mit unverhohlenem Sarkasmus. »Aber ich spreche von einer wirklichen Liebesaffäre. Sex, bei dem dir Hören und Sehen vergeht – nur Vögeln, Vögeln, bis du so oft gekommen bist, dass du nicht mehr weißt, wie du heißt.«
Diana lachte. »Viv, du bist unmöglich.«
Vivian grinste lüstern. »Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s völlig ungeniert.«
»Unglaublich, wie zugebaut hier inzwischen alles ist«, sagte Diana und betrachtete die glitzernde, blinkende Neonmeile, die den Highway 50 säumte.
»Mir war schon immer so, als hättest du für Jack eher mütterliche Gefühle gehabt. Jedenfalls kann ich mir kaum vorstellen, dass er die Laken in Flammen setzt.«
Diana seufzte. »Hast du heute nichts anderes im Kopf?«
»So nicht, meine Liebe. Ich durchschaue inzwischen deine kleinen Tricks, mit denen du ständig vom Thema ablenkst.«
»Du wirst mir ein bisschen zu persönlich, das ist alles. Ich habe wahnsinnig gern mit Jack geschlafen«, fügte sie liebevoll hinzu. »Aber ich bin eben nicht so ein Plappermaul wie du.«
»Woher willst du denn wissen, ob er gut war? Für heutige Verhältnisse hast du nicht gerade viel Erfahrung.«
»Viv, das haben wir jetzt zur Genüge durchgekaut. Ich glaube nicht, dass Erfahrung so entscheidend ist. Ich hätte die drei Männer vor Jack nicht gebraucht, um zu wissen, wie gut es mit ihm war.«
Der dunkle Turm von Harrahs riesigem Gebäudekomplex kam in Sicht. Diana spähte neugierig hinaus. Das Hotel hatte bei ihrem letzten Besuch noch nicht existiert.
»Männer nennst du die? Deine Ehe zählt ja wohl kaum. Es ist ein reines Wunder, dass dich dieser ewig besoffene Idiot Tommy überhaupt entjungfert hat. Und dieser McDonnell-Douglas-Maschinenbauer … Sag mal, Diana, war Jack eigentlich wirklich so gut im Bett?«
»Ja, für mich ja, wirklich.«
»Männer sind nur gut im Bett, wenn sie mehr wollen als nur ihr eigenes Vergnügen. Wenn sie die Frauen wirklich, wirklich lieben. Das macht sie einfühlsam.«
»Jack war einfühlsam. Er liebt Frauen.«
»War es das, Diana?«, fragte Vivian leise. »Gab es andere Frauen?«
»Ich möchte nicht darüber reden«, sagte Diana kurzangebunden.
»Du bist der aufrichtigste Mensch, den ich kenne. Viel zu aufrichtig. Du ersparst dir nichts, aber auch gar nichts. Du bist ganz ruhig, siehst nur immer furchtbar müde aus. Ich weiß, du musst das alles erst verarbeiten, aber du solltest dich nicht ganz verausgaben. Du hast doch Freundinnen, die dich lieben und die für dich da sind.«
»Ich danke dir, Viv«, sagte Diana, den Tränen nah.
Sie hatte keine Wahl, sie musste schweigen. Wie hätte sie irgendjemandem ihre Gefühle erklären, sich rechtfertigen können? Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Wie sonst war es zu erklären, dass sie Jack Gordon fünf Jahre lang geliebt hatte und jetzt nichts mehr empfand außer Kälte und Gleichgültigkeit?
Sie konnte ihm nicht verzeihen. Selbst nach sechs Wochen konnte sie es noch nicht einmal in Betracht ziehen, ihm zu verzeihen. Immer, wenn er fortgegangen war, hatte sie Riesenqualen ausgestanden, aber sobald er wieder auftauchte, war sie mürrisch gewesen und äußerst gereizt. Er hatte ständig angerufen, an der Wohnungstür Sturm geklingelt, ihr in der Tiefgarage nachgestellt und sogar im Büro. Sie verschloss sich ihm gegenüber, dachte erbittert an die Verletzung, die er ihr zugefügt hatte. Sie hatte sich geweigert, ihn anzuhören, hatte sich angewidert abgewandt, wenn er versuchte, sie zu berühren. Sie hatte diesen Mann mehr als irgendeinen anderen Menschen in ihrem Leben geliebt, und nun war ihr Gefühl wie ausgelöscht.
Und es gab noch weitere Beweise für ihr Versagen. Sie setzte ihre Selbstanklage fort: Kinder hatte sie nie haben wollen. Gut, Tommy war Alkoholiker gewesen, aber das hatte sie auch als Ausrede für sich selbst benutzen können. Und sie war glücklich gewesen, als Jack ihr erklärte, er wolle nur mit ihr zusammensein; die Ehe ohne Trauschein hatte ihr als Vorwand gedient – jede Diskussion hatte sich damit erübrigt, und sie musste auch sich selbst nie eingestehen, dass sie eigentlich keine Kinder wollte, dass in ihrem Inneren ein kalter, liebloser Kern steckte, dass etwas mit ihr nicht in Ordnung war.
Vivian übergab ihr Gepäck dem Portier. Diana küsste sie zum Abschied auf die Wange. »Bis morgen, mach’s gut.«
Vivian hielt sie am Arm fest. »Willst du denn nicht hierbleiben? Ins Spielkasino gehen? Komm, sag wenigstens John guten Abend.«
»Ihr beide habt alle Hände voll damit zu tun, euch selbst guten Abend zu sagen«, frotzelte Diana. »Ich komme morgen früh vorbei.«
»Liz hat kein Telefon da oben; sie meint, es sei zünftiger ohne. Aber eigentlich ist es bloß unpraktisch, sonst nichts.«
»Keine Sorge, ich werde dich schon finden.«
»Warum bleibst du denn nicht und spielst?« Vivian gab noch nicht auf. »Du lernst sonst garantiert niemanden kennen – ich meine, du musst unter Menschen gehen, wenn –«
»Das mit der Hütte war deine Idee, hast du das schon vergessen? Wenn ich die nächsten Tage dort verbringen will, muss ich mich auch ein wenig gesellig zeigen, oder?«
»Du hast ja recht, Engelchen. Aber geh an die frische Luft, so oft du kannst. In einem Haus voller Frauen kann beim besten Willen nichts Interessantes passieren …«
»Was ist da drin? Das, was ich mir erhoffe?« Lane hatte die Küche betreten und sah zu, wie Diana eine große Einkaufstüte auspackte. »Wodka … und der beste gekühlte Wein, den ich auftreiben konnte.«
Lane warf einen prüfenden Blick auf die Etiketten der beiden Weinflaschen. »Hervorragend.«
Sie kramte in der Schublade nach einem Korkenzieher. »Welche sollen wir zuerst öffnen?«
»Entscheide du. Ich verstehe nicht viel von Wein. In meiner Familie ist mein Vater der Weinexperte. Meine bescheidenen Kenntnisse auf diesem Gebiet stammen von ihm.«
»Verstehst du dich gut mit deinem Vater?«
»Ja, wir mögen uns sehr.« Diana sah zu, wie Lane geschickt die Flasche entkorkte.
»Spricht etwas dagegen, jetzt das Gepäck hochzutragen?«
»Überhaupt nichts. Ich freue mich schon die ganze Zeit darauf.«
Diana warf den anderen Frauen, die um das Feuer herumsaßen und sich angeregt unterhielten, ein paar erklärende Worte zu, nahm ihre Reisetasche und folgte Lane beschwingt die Leiter hinauf.
Der Raum war vom Fenster her in silbernes Licht getaucht. Im Halbschatten erblickte Diana ein Messingbett, eine schräge Giebeldecke, eine kleine Kommode und einen Kleiderschrank. Auf dem Nachttisch stand eine Petroleumlampe. Lane hob den Glaskolben hoch und zündete mit einem Streichholz den Docht an.
In dem honigfarbenen Lichtkegel sah Diana weitere Einzelheiten: ein buntes Baumwollquilt und fluffige Federkissen, einen rundgeflochtenen Teppich, die rohgezimmerten Holzbalken der Dachschräge.
»Du musst unbedingt die Lampe ausmachen und hier rüber ans Fenster kommen.«
Diana blies die Flamme aus; der Raum lag wieder in silbrigem Licht. »Oh«, staunte sie, als sie am Fenster stand.
Der Nachthimmel war sternenübersät, ein funkelnder, unendlicher Teppich. Die starren, schwer mit Schnee bedeckten Bäume ragten majestätisch in das Himmelsgewölbe. Berge von Schnee formten bizarre Gebilde, riesige Schneeverwehungen warfen ungeheure gewaltige Schatten.
»Unglaublich«, murmelte Diana. Sie legte einen Arm um Lane, suchte unwillkürlich körperliche Nähe und Wärme inmitten dieses weißeisigen Zaubers.
Sie standen schweigend beieinander. Nach einer Weile sagte Lane: »Es ist schön, diese Pracht und all dieses Neue mit dir zu erleben.«
»Du bist nie zuvor hiergewesen?«
»Nein, obwohl Madge mich oft eingeladen hat. Sie ist die Einzige, die ich hier kenne.«
Diana lächelte. »Was meinst du, wirst du der Versuchung widerstehen können, dieser Chris an die Gurgel zu gehen?«
Lane lachte gelassen. »Menschen wie Chris begegne ich jeden Tag. Aber es ist sehr angenehm, jemanden um mich zu wissen, der so rasch das Thema wechseln kann.«
Diana verzog den Mund. »Ich weiß, darin bin ich gut. Wir sollten jetzt wohl besser runtergehen, wegen der Geselligkeit, meine ich.« Voll Bedauern blickte sie noch einmal aus dem Fenster und löste sich langsam von Lane.
»Komm, ich zeige dir noch die restliche Einrichtung.«
Ein Teil der Fichtenholztäfelung entpuppte sich als Schiebetür, die in einen schmalen Raum mit zwei Betten und einem kleinen Schrank führte.
Lane sagte: »Wir könnten eine Münze werfen, um zu entscheiden, wer wo schläft. Und uns dann abwechseln, damit jede einmal etwas von dem großen Raum hat.«
»Aber warum denn, Lane? Hier drin ist doch nur ein winziges Fenster, und das Messingbett drüben ist riesig. Oder schnarchst du?«
Lane grinste. »Bis jetzt hat sich noch niemand beschwert.«
»Knirschst du mit den Zähnen? Trittst du um dich? Schlafwandelst du? Nein? Gut, damit wäre dann alles geklärt.«
Sie stiegen die Leiter hinunter. Liz erwartete sie, die Hände in die Hüften gestemmt. »Ist da oben alles in Ordnung?«
»Es ist absolut phantastisch«, sagte Diana.
Liz lächelte dünn. »Ganz gemütlich, ja. Und gut isoliert. Wenn man die Leiter hochzieht und die Falltür schließt, hält sich die Kaminwärme die ganze Nacht über. Aber macht ruhig die Heizung an, falls euch kalt wird.«
»Womit haben wir so viel Glück auf einmal verdient?«, fragte Diana.
»Glück ist etwas übertrieben. Da oben ist kein Klo, und das Gepäck muss mühselig raufgeschleppt werden; ich find’s manchmal scheißlästig.«
»An deiner Stelle würde ich nur dort oben schlafen.«
»Millie«, sagte Liz unvermittelt, »spiel uns ein bisschen was auf deiner Gitarre vor.«
»Diana, ich schenke uns Wein ein«, sagte Lane und behielt dabei Liz im Auge.
Millie klimperte sachte, stimmte die Saiten, summte dazu; das Klimpern wurde zur Melodie; sie sang If I were a carpenter mit heller, klarer Stimme.
Madge und Chris applaudierten.
»Hey, Millie, das klingt wunderschön«, sagte Diana sanft.
Liz stimmte zu. »Nicht schlecht.«
»Ja, wirklich schön«, murmelte Lane.
»Möchtet ihr was Bestimmtes hören? Lane, hast du einen besonderen Wunsch?«
»Nein, mach nur – spiel einfach alles, was dir gefällt.«
»Und du, Diana?«, fragte Millie. »Welche Art von Musik magst du am liebsten?«
»Sinatra, Ella Fitzgerald, so was in der Richtung. Peggy Lee ist meine Lieblingssängerin.«
»Wie kann jemand in deinem Alter so altmodisches Zeug mögen?«, fragte Millie ehrlich erstaunt.
»Es ist klassisches Zeug«, sagte Lane frostig.
Diana lächelte Millie freundlich zu. »Mein Vater ist schuld daran. Diese Vorliebe für altmodische Leute hab ich von ihm.«
Lane sagte: »Ich habe ein wundervolles Peggy-Lee-Album zu Hause. Es ist nirgends mehr zu bekommen, und ich habe echt danach gesucht. Es heißt Pretty Eyes.«
Diana sah sie ungläubig an. »Du hast dieses Album? Ich habe es auch! Die Rillen sind schon völlig abgenudelt vom vielen Abspielen.«
»Bei meiner Platte ist es genauso. Ich habe sie jetzt auf Cassette überspielt, sicherheitshalber. Wirklich eines der besten Peggy-Lee-Alben. Wunderschön. Romantisch.«
»Also, ich spiele jetzt ein paar Folksongs«, murmelte Millie verdrossen.
Diana trank ihren Wein und blickte in die Runde. Liz hatte die Ärmel ihres kastanienfarbenen Sweatshirts bis zu den Ellbogen hochgeschoben; ein blaues Jeansbein baumelte lässig über der Sofalehne. In der Hand hielt sie ein beschlagenes Glas mit goldbraunem Bourbon. Neben ihr saß Madge, zupfte unruhig an ihren angeknabberten dunklen Haarspitzen und klopfte mit ihrer Zigarette unaufhörlich auf den Rand des schweren Glasaschenbechers auf ihrem Schoß. Chris hockte in einem Sessel, die Hände verschränkt; sie beobachtete Lane, die vor dem Kamin stand. Lane schürte das Feuer, bis es aufflammte. Sie suchte einen großen Holzklotz heraus, nahm ihn hoch, ohne Rücksicht auf ihre Kleidung zu nehmen, und legte ihn geschickt in die Glut; mit einer raschen Handbewegung strich sie sich die Holzspäne von der Kleidung und sah zu, wie die Flammen hochsprangen.
»Möchtest du noch etwas Wein, Diana?«, fragte Lane.
»Danke, im Moment nicht.«
»Da hat sich aber ein feines Mickertrinkerpärchen gefunden!« Liz musterte sie verächtlich und trank einen großen Schluck Bourbon. »Wie wär’s mit einer Runde Scrabble? Wir losen die Parteien aus.«
»Ich spiele lieber noch ein bisschen Gitarre«, sagte Millie.
»Und ich hätte Lust, mir deine Bücher anzuschauen«, meinte Lane.