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Abbi W. Reed

My Boyfriend's Ex





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

One

Remi wollte mich spüren lassen, dass er sauer war. Er hatte die Arme verschränkt, den Kopf dem Fenster zugewandt und schwieg schon die gesamte Autofahrt lang. Zwei Jahre Beziehung und er hatte immer noch nicht begriffen, dass er mich damit nicht strafen konnte. Ganz im Gegenteil. Ich mochte die Stille, gerade beim Autofahren, wenn die Umgebung zu einem verschwommenen Umriss wurde und man den eigenen Gedanken nachhing.

Für Remi hingegen war Schweigen eine echte Tortur. Seine Unruhe war wie ein elektrisches Flimmern in der Luft. Dauernd schaltete er zwischen den Radiosendern hin und her, bis er schließlich auf einen Song stieß, von dem er wusste, dass ich ihn nicht leiden konnte und drehte extra laut auf.

Kurz krampften sich meine Hände um das Lenkrad zusammen, aber ich zwang mich, Ruhe zu bewahren. Oh nein, die Genugtuung würde ich Remi nicht geben. Wenn er streiten wollte, konnte er das alleine tun. Ich hatte meine Arbeit extra beiseitegeschoben, um ihn auf diese Hochzeit zu begleiten, obwohl ich dazu überhaupt keine Lust hatte. Ich kannte niemanden aus der Runde und dann hatte Remi der Braut auch noch versprochen, dass ich Fotos machen würde. Ohne mich zu fragen. Dabei wusste er genau, dass ich es hasste, Menschen zu fotografieren. Zumindest Menschen, die mich währenddessen ansahen. Aber hatte ich mich beschwert? Nein. Natürlich nicht. Denn ich war ein toller Freund, aber dann war Remi mit dieser bescheuerten Idee gekommen, dass wir zusammenpassende Anzüge zur Hochzeit trugen. In Himmelblau. Und da hatte ich einen Schlussstrich gezogen. Ich war schwul, nicht geschmacksverirrt. Remi konnte dieses Scheusal ja gerne tragen, aber er sollte mich damit bitte in Ruhe lassen. Und ein Schwulenpärchen in gleich aussehenden Anzügen? Das war einfach zu viel Hollywood-Klischee. Remi trug jedoch gerne eine Spur zu dick auf. Ich nicht. Remi nannte es feige, aber ich sah einfach keinen Grund darin, mit Regenbogen-Fahnen durch die Gegend zu laufen, bloß weil ich Männer lieber mochte als Frauen. Freunde und Bekannte wussten von meiner sexuellen Orientierung, aber fremde Menschen ging das meiner Meinung nach einfach nichts an. In Remis Augen hatte ich jedoch wieder einmal den Schwanz eingezogen.

Schön. Von mir aus. Sollte er schmollen.

Aber wenn ich schon zu dieser Hochzeit musste, würde ich mich wenigstens amüsieren.

Es war schon nach drei Uhr. Die kirchliche Trauung hatten wir ausgesetzt und fuhren auf direktem Weg zur Feier. Remi weigerte sich strikt eine Kirche zu betreten, solange sich die homosexuelle Ehe nicht vollständig durchgesetzt hatte. Dazu hatte er Teresa, der Braut, einen ewig langen Vortrag gehalten, bis diese bloß noch perplex genickt hatte. Mir wäre es egal gewesen. Ich war weder besonders gläubig, noch besonders politisch. Eine Kirche war in meinen Augen einfach nur ein schönes Setting für eine Trauung, aber ich hatte mich Remis Meinung gefügt, obwohl ich es unhöflich gegenüber dem Brautpaar fand.

Die Feierlichkeiten fanden außerhalb der Stadt in einem herrenhausähnlichen Anwesen statt. Der Parkplatz war bereits gut gefüllt, als wir ankamen. Offensichtlich waren wir spät dran. Ich lenkte den Wagen über den Schotter und parkte neben einem schwarzen Motorrad mit breiten Hinterreifen. Gehörte das auch einem der Gäste? Wer fuhr auf einem Motorrad zu einer Hochzeit? Naja, Remi hätte das sicher gefallen. Er liebte dramatische Auftritte. Immer wieder hatte er mir von dem einen Mal erzählt, als er mit seinem Exfreund halbnackt auf einem Motorrad eine Pride Parade in San Francisco angeführt hatte.

Remi sah ebenfalls auf das Motorrad, als er ausstieg und runzelte die Stirn.

»Gehen wir?«, fragte ich. Die Sonne brannte auf meinen Hinterkopf hinunter. Es war Juni und eigentlich war es viel zu heiß, um einen Anzug zu tragen.

»Einen Moment.« Remi kam auf mich zu, die Finger nach meinem Hemdkragen ausgestreckt. »Deine Krawatte sitzt schief.« Die Krawatte saß perfekt, aber ich kannte Remi und wusste, dass er Körperkontakt mehr als alles andere brauchte. Das galt besonders, wenn wir gerade Streit hatten. Kurz überlegte ich, ihn küssen. Einfach so, bloß um ihm zu zeigen, dass ich ihn immer noch liebte und er sich keine Sorgen machen musste, aber da war er bereits wieder zurückgetreten und lächelte schüchtern zu mir rauf. »Fertig.«

Ich nahm das Hochzeitsgeschenk und meine Kameraausrüstung aus dem Auto, während Remi vorausging. Als wir den Festsaal schließlich betraten, war die Feier bereits im vollen Gange. Die Gäste saßen bei Kaffee, Sekt und Kuchen an runden Tischen und im hinteren Bereich neben der Tanzfläche spielte eine Band. Die Braut tanzte gemeinsam mit ihren Brautjungfern zu einem wilden 80er Jahre Popsong. Ihr Schleier wirbelte hinter ihr durch die Luft und sie trug die Art von Lächeln, das tiefes Glück verriet. Remi stürmte auf sie zu, sobald er sie sah und Teresa stieß ein schrilles Kreischen aus. Jauchzend fielen sie sich gegenseitig in die Arme.

Ich setzte unser Geschenk an einem Tisch ab und kam dann hinten nach.

»Wesley!« Jetzt hatte Teresa auch mich entdeckt und küsste mich überschwänglich auf beide Wangen. »Endlich bist du da! Du musst noch Fotos von uns machen, bevor mein Make-up endgültig verläuft. Fred!« Teresa kreischte über die Tanzfläche. »Wes ist da! Komm her, damit wir Fotos machen können!«

Teresa und ihr Bräutigam entführten mich in den Garten und ich machte einige Aufnahmen von dem seligen Paar. Wie sie sich umarmten und küssten und dabei mit strahlenden Augen ansahen. Während ich sie durch meine Linse beobachtete, spürte ich ein angespanntes Ziehen in der Magengegend. Vielleicht sollte ich mich wieder mit Remi versöhnen. Wann hatten wir zuletzt so glücklich zusammen ausgesehen?

Zurück im Saal schoss ich noch ein paar Fotos der übrigen Gäste. Dabei bemühte ich mich jedoch, im Hintergrund zu bleiben. Die meisten bekamen gar nicht mit, dass ich sie fotografierte, genau wie ich es mochte. Ich hatte es noch nie leiden können, wenn jemand direkt in meine Kamera starrte, während ich denjenigen fotografierte.

Die Linse meiner Kamera bot mir eine gute Möglichkeit, um mir einen Überblick über die Feier zu verschaffen. Es war keine allzu große Runde. Etwa siebzig Gäste. Remi kannte die Braut noch von seiner College-Zeit. Viele alte Studienkollegen von ihm waren versammelt. Remi wanderte von einem Pärchen zum nächsten und schien sie alle zu kennen. Ich schoss ein Foto von ihm, als er einem großen Kerl mit wilder Frisur um den Hals fiel und anschließend dessen Frau auf die Wange küsste. Zugegeben, er sah gut aus. Sogar in diesem lächerlichen himmelblauen Anzug. Aber so war Remi nun einmal. Er trug alles wie eine zweite Haut und so selbstverständlich, als wäre er damit auf die Welt gekommen. Dazu der trainierte Körper, die perfekt gestylten blonden Haare und die strahlenden grünen Augen und er wurde zum Hingucker für Mann und Frau. Ich verfolgte ihn eine Weile unerkannt durch meine Kameralinse, dabei fiel mir auf, dass ich nicht der Einzige war, der ihn beobachtete.

Der Mann stand etwas im Abseits auf der anderen Seite des Saals. Er trug zwar einen Anzug, aber anhand seiner Haltung konnte ich erkennen, dass er daran nicht gewohnt war. Immer wieder zog er an seinem Krawattenknoten, als fühle er sich gewürgt. Ich zoomte etwas näher ran und schoss ein Foto. Er hatte etwas Raues an sich, war aber nicht unattraktiv. Groß. Weite Schultern und ein breiter, markanter Kiefer, überzogen von einem stoppeligen Bartflaum. Dichte, dunkle Haare kräuselten sich oberhalb seines Hemdkragens. Am meisten faszinierten mich seine Augen – oder sein Blick? Die Farbe war zu dunkel, um die Pupillen zu erkennen, trotzdem hatten sie etwas Stechendes. Vielleicht lag das aber auch daran, weil er Remi immer noch anvisierte. Jetzt hatte Remi ihn auch bemerkt. Er hatte sich gerade ein Glas Sekt von einem Tablett genommen. Die Hand verharrte mitten in der Luft, während er den Blick des Mannes erwiderte. Sein Mund stand leicht offen. Ich fotografierte diesen Ausdruck, dann ließ ich die Kamera sinken.

Meine Stirn runzelte sich. Was hatte das zu bedeuten?

Remi und der Kerl fixierten sich noch eine Weile, dann brach der Mann plötzlich in ein breites Grinsen aus und kam auf Remi zu. Sie begrüßten sich, aber Remi blieb merkwürdig distanziert. Alle anderen Gäste, die er kannte, hatte er mit Küssen und Umarmungen in Empfang genommen, aber bei diesem Mann ging er auf Abstand. Der andere begann zu reden, aber Remi blieb ruhig, gab nur knappe Antworten und nickte hin und wieder. Er wirkte nervös. Alle paar Sekunden nippte er an seinem Sektglas, als wüsste er nicht, was er sonst tun sollte. Das sah ihm gar nicht ähnlich.

Das wurde immer rätselhafter. Wer war dieser Kerl?

Schließlich konnte ich meine Neugierde nicht länger bändigen. Gemächlich marschierte ich los. Es sollte nicht zu auffällig wirken. Ich näherte mich von vorne, sodass Remi mich im Blick hatte. Sofort verstummte das Gespräch zwischen ihnen. Der Fremde drehte sich um und nickte zur Begrüßung. Aus der Nähe sah er sogar noch besser aus.

»Hey.« Remi lächelte verkrampft und wandte sich wieder seinem Gegenüber zu. »Darf ich vorstellen: Das ist Wesley. Mein Freund.« Das letzte Wort betonte er extra. Er klammerte sich an seinem Sektglas fest und schluckte hörbar. »Wes, das ist Darren.«

Darren. Jetzt ergab alles natürlich einen Sinn. Verruchter, wilder, abenteuerlustiger Darren. Als wir zusammengekommen waren, hatte Remi nicht aufhören können, über seinen Exfreund zu reden. Sie hatten sich auf dem College kennengelernt und Remi war Hals über Kopf verliebt gewesen. Als Darren mit ihm Schluss gemacht hatte, um im Ausland zu studieren, hatte es ihm das Herz gebrochen. Das Motorrad auf dem Parkplatz gehörte wahrscheinlich ihm.

»Hi«, sagte ich und reichte Darren die Hand. Lächelnd nahm er an. Sein Händedruck war etwas zu fest, sodass meine Knöchel aneinanderrieben. Arschloch.

Ich lächelte freundlich zurück und schlang einen Arm um Remi. Normalerweise war ich nicht der Typ für besitzergreifende Gesten, aber etwas an dem Kerl ließ mich vorsichtig werden. Er hatte etwas Lauerndes an sich. Die Art, wie er seine Umgebung fixierte – und meinen Freund. Am liebsten hätte ich Remi eingepackt und wieder nach Hause verschleppt.

»Darren, also«, sagte ich. »Ich glaube, ich habe schon von dir gehört. Was treibt dich in die Stadt?«

»Nichts Besonderes. Heimweh, schätze ich. Ich war jetzt drei Jahre fast dauernd im Ausland.«

Remi begann in meinem Griff zu zappeln. »Dann wohnst du wieder hier?«

»Aktuell noch im Hotel«, entgegnete Darren. »Ich bin erst seit zwei Tagen wieder im Land und dann habe ich erfahren, dass Teresa heiratet. Sie sieht toll aus, oder?«

Remi nickte bloß.

Darren blickte zwischen uns beiden hin und her. »Wie lange seid ihr zwei schon zusammen?«

»Zwei Jahre«, sagte ich.

»Ein Jahr«, erwiderte Remi fast gleichzeitig.

Darren schmunzelte erheitert.

Ein Kellner mit einem Tablett voller Champagnerflöten kam auf uns zu und bot uns ein Glas an. Remi, der sein Glas bereits geleert hatte, nahm sich Nachschub und begann sofort wieder zu trinken. Ich trank lieber Bier als Sekt und nutzte die Gelegenheit, um Remi von Darren wegzuziehen und in Richtung Bar zu führen. Noch auf dem Weg dorthin drehte Remi sich dauernd nach ihm um.

»Ich glaub einfach nicht, dass er hier ist«, sagte Remi, als wir die Bar schließlich erreicht hatten und setzte sich auf einen der Hocker.

Ich machte ein brummendes Geräusch und winkte nach dem Barkeeper. Remi leerte sein Sektglas in zwei Zügen und bestellte sich einen Whisky. Kein gutes Zeichen. Das letzte Mal hatte er Whisky getrunken, als seine Katze von einem Auto überfahren worden war.

»Ich habe ein paar Mal versucht, ihm zu schreiben, als er fortgegangen ist«, fuhr Remi fort. »Aber er hat mir nie geantwortet.«

»Klingt, als wäre er ein Arschloch.«

Remi sah in sein Whiskeyglas hinunter und ließ die Eiswürfel aneinanderklirren. Sein Blick war nachdenklich. Er wirkte abwesend.

Ich stieß mein Bier gegen sein Glas und nahm einen Schluck. Wenn die Feier weiter so verlief, würde ich mehr davon brauchen.

»Ich frage mich, was er hier treibt«, sagte Remi. »Meinst du, er hat schon einen Job?«

Seufzend stellte ich mein Glas am Tresen ab. »Müssen wir über Darren reden?«

»Wieso nicht? Es beschäftigt mich halt gerade.« Remi betrachtete mich irritiert und fing dann an zu grinsen. »Du bist doch nicht eifersüchtig, oder?« Er klang doch tatsächlich erfreut darüber.

»Bin ich nicht. Es nervt mich bloß.«

»Sei doch nicht so miesepetrig. Wir sind auf einer Feier.«

»Das interessiert dich aber auch erst, seitdem wir Darren gesehen haben.«

»Was soll das wieder heißen?«

Keine Ahnung, was das sollte. Ich war wütend und wusste nicht einmal wieso. »Lass mich raten: Darren wäre mit dir im Partnerlook auf der Feier erschienen.«

Remi runzelte die Stirn. »Das habe ich nicht gesagt.«

»Schon gut.« Ich war genervt. Hauptsächlich von mir selbst, weil ich so überreagierte. Monatelang hatte ich mir die Vergleiche zwischen mir und Darren anhören dürfen. Wie viel risikofreudiger und spannender er war als ich. Ihn jetzt persönlich zu treffen, war eine Spur zu viel. Ich musste mich zusammenreißen. Es war doch echt lächerlich. Sonst wurde ich auch nie eifersüchtig und dabei war Remi jemand, der gerne mit alles und jedem flirtete.

»Ich muss noch ein paar Fotos schießen«, sagte ich und hielt meine Kamera hoch. »Okay? Wir sehen uns später.«

Remi murmelte irgendeine Zustimmung und sah wieder in sein Glas. Als ich mich schon ein paar Schritte entfernt hatte, drehte ich mich zu ihm herum. Remi hatte seinen Blick bereits wieder auf Darren geheftet. Ein nagendes Gefühl setzte sich in meiner Brust fest.

Diese Feier konnte kein gutes Ende nehmen.

 

***

 

Zwei Stunden später war Remi sturzbetrunken. Er saß noch immer an der Bar und scherzte lauthals mit den anderen Gästen. Er wurde immer auffallender und veranstaltete einen Zirkus, als der Barkeeper sich weigerte, ihm einen weiteren Drink auszuschenken. Es wurde Zeit, dass ich dazwischen ging. Ich setzte mich zu ihm, nahm ihm seinen Drink weg und bestellte ein großes Glas Eiswasser.

»Was soll das?«, fragte ich gereizt. »Es ist noch nicht einmal Abend und du kannst dich kaum noch am Stuhl halten.«

»Was ist? Das ist eine Hochzeit. Ich habe bloß etwas Spaß. Ganz im Gegensatz zu dir.« Remi schob das Wasserglas von sich weg und kippte es dabei fast um. Ein bisschen von dem Inhalt ergoss sich über meine Hose und Remi kicherte. Dann erweckte irgendwas am anderen Ende vom Saal seine Aufmerksamkeit und er richtete sich auf. »Da ist Teresa!«, rief er. Unbeholfen rutschte er von seinem Hocker und geriet ins Wanken. »Ich will mit der Braut tanzen!«

Ich hielt ihn am Handgelenk zurück. »Du tanzt heute nicht mehr mit der Braut. Du bist betrunken.«

»Dann tanz du mit mir«, sagte er schmollend und schlang hier und jetzt die Arme um meinen Nacken. Er wiegte sich bereits hin und her, aber mir war es peinlich in der Öffentlichkeit zu tanzen, vor allem, wenn er sich so verhielt, und ich löste seinen Griff.

»Du bist in keiner guten Verfassung mehr. Wir fahren heim.«

Remi löste sich mit einem wütenden Gesichtsausdruck von mir. Er hatte die Oberlippe vorgeschoben, wie immer, wenn ihm etwas nicht passte. »Fahr du doch heim. Ich will noch nicht gehen.«

»Nein, du willst dich offensichtlich vor allen anderen Gästen blamieren. Ich meine es ernst. Wir fahren.«

»Du kennst hier doch gar niemanden. Was kümmert es dich, wie ich mich aufführe?«

»Es kümmert mich, weil du dich wie ein betrunkener Idiot verhältst und ich nicht will, dass du dem Brautpaar die Hochzeit versaust.«

»Hochzeiten werden gefeiert, damit die Leute sich amüsieren. Aber das Wort kennst du ja nicht.«

»Ich sagte –«

»Schon gut.« Remi hob die Hände vor sich, wie um mich abzuwehren und rollte dramatisch mit den Augen. »Ich fahre ja mit dir. Darf ich noch ungestört aufs Klo gehen oder willst du mir dort auch Lehrpredigten halten?«

Ich winkte gereizt. »Geh nur. Ich muss noch meine Kameraausrüstung zusammenpacken.«

Nach zwanzig Minuten war Remi immer noch nicht von seinem Gang zum Klo zurück und ich begann mir Sorgen zu machen. Er war ein echtes Leichtgewicht was Alkohol betraf. Was, wenn er schon irgendwo am Boden lag? Schließlich beschloss ich, ihm hinterherzugehen, aber das Männerklo war leer und keine Spur von Remi. Ich fragte herum, aber niemand wusste, wo er war. Langsam wurde die Sache frustrierend. War ich denn sein Babysitter? Ich suchte den gesamten Saal ab und sah sogar im Damenklo nach, weil er das manchmal aus Protest besuchte. Erfolglos. Auf der Terrasse ging ein starker Wind, deshalb war draußen niemand. Ich ging trotzdem raus, um mich umzusehen, aber bis auf eine gestresste Kellnerin, die fliegenden Stoffservietten nachjagte, war ich allein.

Ich drehte den Kopf, aber das Blattwerk war zu dicht, um etwas zu erkennen. Da hatte sich jemand aber ein nettes Plätzchen für ein Stelldichein ausgesucht. Am besten ich verschwand unauffällig, bevor das Pärchen mich bemerkte.

Ich ging um die Steinbank herum und schob einen Ast beiseite. Es gab nicht genug Licht, um Einzelheiten auszumachen, aber ich erkannte genau Remis blonden Haarschopf und den muskulösen Männerkörper, der ihn gegen einen Baum gepresst hielt. Darren verteilte Küsse seinen Hals hinunter und Remi hatte seinen Kopf ekstatisch nach hinten geworfen. Seine Augen öffneten sich einen spaltbreit, als er Blätter rascheln hörte. Dann sah er mich dort stehen und fuhr panisch zusammen.

Remi schob Darren mit beiden Händen von sich, sodass dieser mehrere Schritt zurück stolperte. Verwirrt sah dieser sich um. Seine Augen wurden groß, als er mich bemerkte, aber er fing sich schnell. »Ups«, sagte Darren und lächelte ertappt. Als hätte er aus Versehen am falschen Drink genippt.

Remi machte den Mund auf, aber keine Worte kamen heraus. Er war ganz blass geworden. Schließlich nickte er hektisch und kam auf mich zu. Ich hatte die Zigarette noch in der Hand. Sie war zu einem Stumpen heruntergebrannt. Achtlos warf ich sie ins Gebüsch und ging los. Ich hörte Schritte hinter mir, aber ich drehte mich nicht zu Remi um, um mich zu vergewissern, dass er mir folgte. Es war mir ganz egal. Um ehrlich zu sein, am liebsten hätte ich ihn hier gelassen und wäre ohne ihn heimgefahren. Alleine der Gedanke an die lange Autofahrt war unerträglich. Ich sah ihn und Darren noch immer deutlich vor mir. Es war ein Gefühl, als würde eine Faust meine Lungen zusammendrücken. Im Moment wollte ich Remi eigentlich nicht einmal in meiner Nähe haben.

Ich weckte ihn nicht, als wir ankamen. Ließ ihn einfach im Wagen und ging ohne ihn in mein Apartment hinauf. Ich duschte noch ausgiebig, dann schleppte ich Remis Bettzeug ins Wohnzimmer und legte mich selbst schlafen. Eine Minute später hörte ich, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Remi ging noch eine Weile im Wohnzimmer auf und ab, aber er versuchte nicht ins Schlafzimmer zu kommen. Irgendwann hörte ich ihn leise weinen.