Adele Mann
Bittersüß - davor & danach 2
Erotischer Liebesroman
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
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Rechtliches:
Impressum neobooks
Jan – 2013
Ich lebe.
Seltsamerweise bringt dieser Gedanke kein bisschen Erleichterung mit sich. Noch immer ist alles völlig schwarz. Ich fühle dumpf pochenden Schmerz überall. Im Moment macht genau das meine Welt aus.
Aber wieso?
Was ist passiert?
Da war ein Unfall. Ich hatte einen Unfall.
Aber egal wie sehr ich versuche, mich zu erinnern, die Bilder entgleiten mir schneller, als ich sie zusammensetzen kann. Es hilft nichts. Ich muss die Augen öffnen, auch wenn jede Faser meines Körpers sich dagegen sträubt. Meine Lider fühlen sich unfassbar schwer an, und je mehr ich versuche, sie auseinanderzubekommen, desto stärker wird das Pochen in meinem Schädel. Als würde eine derart banale Bewegung mir alles an Kraft abverlangen. Frustriert stoße ich Luft aus meiner Luge. Ein dummer Fehler. Sofort lodert ein stechender Schmerz in Brust und Bauch auf, der die bohrenden Kopfschmerzen fast vergessen macht. Doch es ist etwas ganz anderes, das mir wirklich Angst einjagt. Ich fühle unterhalb meines linken Oberschenkels kaum etwas. Angetrieben von der Panik, die genau dieser Gedanke ausgelöst hat, ziehe ich die verklebten Augen so lange auseinander, bis ein verschwommener heller Raum erscheint. Erst jetzt nehme ich die Geräusche dieses Zimmers bewusst wahr. Ein gleichmäßiges Piepen, das mit jeder Sekunde in einem immer schneller werdenden Rhythmus zu hören ist.
Krankenhaus. Unzufrieden stöhne ich. Allmählich fügen sich die einzelnen Bausteine zusammen. Ich hatte einen Autounfall, habe Schmerzen und liege in einem Krankenhaus, mit Gott-weiß-was für Verletzungen.
Scheiße!
Der Versuch zu sprechen, um nach Hilfe zu rufen, scheitert kläglich an meiner völlig trockenen Kehle und diesem widerlich pelzigen Geschmack in meinem Mund, der mir Übelkeit verursacht. Langsam wage ich es, mich umzudrehen. Vielleicht ist ja noch jemand mit mir hier drinnen.
Fehlanzeige. Bei der kleinsten Bewegung fühlt sich mein Kopf an, als hinge eine Kanonenkugel an ihm, eine ziemlich schwere sogar. Ich kann mich nicht erinnern, je solche Kopfschmerzen gehabt zu haben. Also gebe ich meinen Versuch, den Kopf zu drehen, auf und taste stattdessen mit den Fingern, die ich – Wunder, oh Wunder – tatsächlich schmerzfrei bewegen kann, nach einer Art Klingel. Doch außer einer Menge Schläuche, die mir eine Scheißangst machen, finde ich nichts dergleichen. Gleichzeitig sehe ich an die Decke und versuche mein Sehvermögen zu verbessern, indem ich mich so lange auf die Deckenverkleidung konzentriere, bis die porösen Platten klar vor mir erscheinen. Mein scharf gestellter Blick offenbart mir aber lediglich das, was ich ohnehin schon weiß. Ich liege in einem Krankenhauszimmer, allein. Mein linkes Bein hängt an einer Art Vorrichtung, und ich bin froh, dass ich es nicht genau sehen kann, denn bei dem Anblick wird mir richtig schlecht. Ein scheußlich saurer Schwall drängt sich meine Speiseröhre nach oben. So schnell ich kann, drehe ich mich zur Seite, was höllisch schmerzt und dennoch zu spät kommt. Ich kotze hässliche grüne Masse auf eine schneeweiß bezogene Matratze. Verdammter Mist! Wieso ist mein Erbrochenes grün?
Panik erfasst mich. Ich will hier weg. Nur weg. Was zur Hölle ist los mit mir? Das Piepen neben mir wird lauter und schneller, immer lauter und schneller. Mir bricht der Schweiß aus. Mein flacher Atem fällt schwer, und wütende Tränen brennen in meinen müden Augen.
Die Tür zu meinem Zimmer wird aufgerissen und zwei ernst aussehende Schwestern kommen an mein Bett gestürmt. Eine – groß, Mitte vierzig mit dunklen Haaren – drückt mich vorsichtig zurück ins Bett. Die andere – jünger und aschblond – überprüft die Schläuche, die an mir hängen, und drückt einen Knopf an einer schmalen Säule neben mir, die ich bisher gar nicht wahrgenommen habe. Während ich mich instinktiv dagegen wehre, länger hier festgehalten zu werden, fühle ich, wie sich eine dumpfe Müdigkeit über mich legt, die auch den Schmerz davonspült. Dankbar dafür, fallen mir die Augen zu.
Als ich wieder zu mir komme, riecht es sauber und die Schweinerei auf den Krankenhauslaken ist verschwunden. Auch das trockene Gefühl im Mund ist besser. Offenbar hat mir eine von ihnen Flüssigkeit eingeflößt. Erschrocken bemerke ich, dass drei Männer neben meinem Bett stehen und mich besorgt und befangen ansehen. Einer davon ist Arzt. Er muss Ende fünfzig sein. In dem weißen Kittel wirkt er größer, als er eigentlich ist. Er hat dichtes graues Haar. Nur der Ausdruck auf seinem Gesicht gefällt mir nicht. So sieht jemand aus, der schlechte Nachrichten hat. Genau so sehen auch die anderen Männer aus, die in Polizeiuniform hinter dem Arzt warten. Beide sind etwa in meinem Alter. Vielleicht ist der größere auch schon dreißig. Stumm blicke ich sie an, während sie mich ganz offen anstarren.
„Herr Herzog. Mein Name ist Doktor Nowak. Die Herren hinter mir sind von der Polizei und haben ein paar Fragen zum Unfall, in den Sie verwickelt waren. Zuerst einmal … fühlen Sie sich schon bereit, mit ihnen zu sprechen?“
Ruhig und abwartend mustert der Arzt mich. Keine Ahnung, ob ich bereit bin. Ich will nur endlich wissen, was passiert ist.
„Ich denke schon“, krächze ich. Dr. Nowak reagiert sofort und reicht mir eine Schnabeltasse mit Flüssigkeit. Wasser. Noch nie hat einfaches Wasser so gut geschmeckt. Selbst aus dieser peinlichen Kindertasse.
„Gut. Wenn die Herren sich kurz fassen würden. Herr Herzog und ich müssen uns noch ausführlich über seinen Gesundheitszustand unterhalten. Das hat in jedem Fall Vorrang.“
Er wirft den Beamten einen warnenden Blick zu, ehe er den Raum verlässt. Nun bin ich alleine mit den beiden Polizisten. Der Kerl, der in meinem Alter ist und vielmehr wie ein Boxer aussieht als ein Gesetzeshüter, tritt näher an mein Bett heran.
„Ich hoffe, Sie haben nicht allzu schlimme Schmerzen?“ Betreten blickt er mich von oben bis unten an.
„Es ist besser, seit sie mir irgendein Zeug über diesen Knopf da geben“, lasse ich ihn wissen und blicke dabei auf die Säule neben meinem Bett, an der ein Infusionsbeutel hängt.
Knapp nickt er.
„Was können Sie uns über den Unfallhergang erzählen?“
Sein Kollege öffnet einen Notizblock und starrt mich dabei unverkennbar an, was mir gar nicht gefällt und mich wütend macht. Die Mütze ist ihm zu groß, was lächerlich aussieht.
„Ich weiß nur noch, dass ich mit dem Auto unterwegs war und einer von der anderen Spur zu mir rüber geschlittert ist. Alles danach ist irgendwie ein einziges Durcheinander … Es ging so schnell … Ich konnte nicht ausweichen und dann ist er mir reingefahren … Nach dem Aufprall kann ich mich an nichts mehr richtig erinnern. Da sind ein paar Bilder … aber viel zu undeutlich“, sage ich ihnen. Die Beamten sehen sich kurz an.
„Das ist nicht ungewöhnlich, Herr Herzog.“ Der jüngere Polizist verzieht mitleidig seinen Mund und richtet die schlecht sitzende Mütze.
„Weiß man schon, wieso der andere Fahrer auf meine Seite geraten ist?“, frage ich ihn und schlucke ein paarmal.
„Die Untersuchungen dazu laufen noch, und wir werden Ihnen natürlich Bescheid geben, sobald wir etwas Endgültiges wissen.“ Ernst sieht er mich an.
„Fest steht bisher nur, dass der Fahrer etliche Kilometer vor der Unfallstelle bereits zweimal auf die falsche Spur geraten ist. In der Notrufzentrale sind zwei Meldungen von Verkehrsteilnehmern dazu eingetroffen … Zu Ihrem Glück.“
Verständnislos sehe ich ihn an.
„Als die zweite Meldung über einen Fahrer bei uns eintraf, der beinahe mit einem Wagen zusammengekracht wäre, haben wir sofort eine Einheit losgeschickt, um die Strecke nach dem gemeldeten Fahrzeug abzusuchen. Dieses Einsatzfahrzeug hat Sie gefunden und den Notarzt gerufen, gerade noch rechtzeitig. Sonst wären Sie verblutet … Wissen Sie, auf dieser Strecke ist normalerweise um diese Zeit nicht besonders viel Verkehr.“
Eiskalt läuft es mir den Rücken hinab. Ich habe also nur überlebt, weil dieser Verrückte vor mir fast schon einmal mit einem anderen zusammengekracht wäre.
„Was ist mit dem anderen Fahrer?“ Wut brodelt in mir hoch.
„Ihr Unfallgegner ist tot. Er hat den Aufprall nicht überlebt.“
Ich schlucke, doch die Wut geht nicht weg. Sie ist wie eine harte Faust in meinem Magen. Er ist also tot. Und ich hätte auch tot sein können. Stattdessen liege ich hier und weiß noch nicht einmal, wie es um mich steht, weil der Arzt noch nicht mit mir gesprochen hat.
„Ist alles so weit in Ordnung, Herr Herzog?“, fragt der Beamte, der die ganze Zeit mitgeschrieben hat. Ich möchte schreien, dass nichts in Ordnung ist und er nicht so eine dumme Frage stellen oder sich zumindest eine anständige Mütze besorgen soll. Stattdessen nicke ich unbestimmt und schlucke alles andere runter.
„Mein Wagen … Er ist bestimmt ein Totalschaden.“
Jetzt sind es die beiden, die stumm nicken. Was soll’s. Ich werde einen neuen leasen, sobald ich hier rauskomme. Je früher, desto besser. Hier ist es nicht auszuhalten.
„Wir haben übrigens Ihre Eltern verständigt. Sie sind derzeit im Ausland und kommen so schnell sie können.“
Mit einem Lächeln wartet er auf meine Reaktion. Doch er wartet vergebens. Denn das ist nicht die aufmunternde Nachricht, die ich mir erhofft habe. Denn ich weiß, sobald sie hier sind, werden sie eine Show abziehen und mit ihrem Geld um sich werfen, mir aber dennoch still und heimlich verübeln, dass mein Unfall ihren Urlaub zunichtegemacht hat. Ich kenne meine Eltern. Diese Polizisten würden das nicht verstehen. Vermutlich würden ihre Eltern panisch vor dem Zimmer sitzen, voller Sorge, ihres Lebens nicht mehr froh, weil ihr geliebter Sohn hier drinnen liegt. Wütend darüber presse ich die Augen zu und schiebe Schmerzen vor.
„Könnten Sie jetzt vielleicht meinen Arzt reinschicken?“
„Natürlich. Wir waren ohnehin fertig. Fürs Erste.“
Erleichtert atme ich aus und warte, bis die Polizisten den Raum verlassen haben und der Arzt zurückkommt.
Dr. Nowak schließt die Tür hinter sich. Er kommt langsam und vorsichtig auf mich zu. In der Hand hält er ein Klemmbrett. Er nimmt auf einem Stuhl neben meinem Bett Platz und setzt dabei eine randlose Brille auf.
„Herr Herzog.“
„Herr Doktor.“
Sein Blick huscht über die Blätter auf dem Klemmbrett, ehe er mich direkt ansieht. Kurz atmet er tief ein. Sein Blick ist freundlich, aber besorgt. Ich spüre eine Gänsehaut.
„Bevor wir zu Ihrer Operation und den Narben in Ihrem Gesicht kommen, müssen wir über Ihr Bein sprechen.“
Mehr muss er gar nicht sagen. Sein Blick und seine Körpersprache reichen völlig aus. Meine Finger tasten nach Verbänden in meinem Gesicht. Oh Gott! Wieso habe ich das nicht vorher bemerkt? Haben sie mich deshalb so angestarrt?
Ich bin am Arsch. Ich weiß es. So schnell komme ich hier nicht weg. Er muss es gar nicht aussprechen, auch wenn er das gleich tun wird. Ich weiß auch so, dass mein Bein kaputt ist, dass ich kaputt bin. Und allein.
Ella – Berlin, 2014
Ich bin nun seit zwei Monaten, vier Tagen und ein paar Stunden in Berlin und seit zwei Monaten, sechs Tagen und ein paar Stunden mehr habe ich das letzte Mal mit Jan gesprochen.
Wenn ich an ihn denke, schmerzt es die meiste Zeit über. Er hat mir vor meiner Abreise gesagt, ich müsse Vertrauen haben, er würde um mich kämpfen, um uns. Seit diesem letzten Telefonat und diesen Worten, die so ernst und aufrichtig geklungen haben, habe ich nichts mehr von ihm gehört, nicht ein Wort. Keine Nachricht. Gar nichts.
Und es tut weh, verdammt weh. Also arbeite ich. So viel und so lange ich kann. Der rege Hotelbetrieb in Berlin hilft mir dabei, er lenkt mich ab. Und dafür bin ich dankbar.
„Willkommen im Hotel No.2 Berlin.“
Einladend lächle ich mein Gegenüber an, einen VIP-Kunden aus Frankfurt, der hier ist für eine große IT-Convention. Als Managerin des Hotels gehört der spezielle Service für die VIPs zu meinen Hauptaufgaben. Der Mann im grauen Businessanzug ist in den Vierzigern und sieht auf eine sehr erwachsene Art gut aus. Sein Benehmen ist tadellos, genau wie sein Händedruck.
„Wie schön, wenn man so herzlich begrüßt wird.“ Wenig zurückhaltend erwidert er mein Lächeln und folgt meiner Einladung, mir zum Empfangstresen nachzukommen.
Es könnte alles so schön sein, so einfach. Die Arbeit im Hotel läuft richtig gut, die neue Wohnung liegt nicht weit weg von der Arbeit, und meine Mitbewohnerin ist nett und wir verstehen uns, viel besser als erwartet sogar, zumindest wenn ich mal in der Wohnung bin. Aber nachts könnte ich die Wände hochgehen oder die ganze Nacht lang flennen, was ich am Anfang zugegebenermaßen einige Male auch getan habe. Man sieht es mir jetzt nicht an in meinem professionellen Hotelaufzug – beiger Taillenrock und rote Bluse – und mit dem stets positiven Ausdruck im Gesicht. Aber in meinem Innersten tobt das Chaos und die Angst, weil ein Teil von mir die Hoffnung verloren hat, dass Jan es ernst gemeint hat, als er sagte: „Es ist noch nicht vorbei.“
Ich darf nicht an ihn denken. Nicht hier. Nicht bei der Arbeit. Wie oft am Tag muss ich mich denn noch daran erinnern? Dennoch gelingt es mir nicht, ihn aus meinen Gedanken zu verbannen. Der bittere Schmerz der Enttäuschung erinnert mich ebenso an ihn und an alles, was zwischen uns passiert ist, wie die brennende Sehnsucht. Nachts ist es am schlimmsten, wenn ich wach werde und schwören könnte, ich fühle seine Arme um mich oder noch schlimmer, wenn ich für einen ganz kurzen wirren Moment glaube, ihn in mir zu spüren. Jedes Mal, wenn mir klar wird, dass es nur Einbildung ist oder einfach ein sehr realistischer Traum, könnte ich vor Wut und Enttäuschung zerspringen.
Ist Berlin ein gewaltiger Fehler? Oder war der wirkliche Fehler, je wieder etwas mit ihm anzufangen? Ich versuche, mich wieder auf den Gast vor mir zu konzentrieren.
Der Geschäftsmann liest sich in Ruhe das Spezialangebot des Hotels durch und blickt dabei ab und zu lächelnd zu mir auf. Zaghaft erwidere ich sein Lächeln, obwohl es ganz anders in mir aussieht und ich nicht will, dass er oder irgendjemand sonst es bemerkt.
Wie leicht wäre es, wenn ich mich in jemand anderes verlieben könnte? Wie leicht wäre es, wenn nicht jede Faser meiner Seele und meines Körpers nach Jan verlangen würde? Wütend darüber presse ich die Ledermappe an meiner Brust fester an mich und lächle noch breiter. Es hilft nur nicht.
„Das sieht alles sehr gut aus. Aber ich nehme mir lieber alle Angebote aufs Zimmer mit und sage Ihnen später Bescheid.“
„Natürlich. Sie können sich jederzeit an mich oder an die Rezeption wenden.“ Unauffällig gebe ich einem der Pagen ein Zeichen, damit er sich um sein Gepäck kümmert. Das Personal ist schnell und unaufdringlich, perfekter Service wie immer. Zufrieden sehe ich dabei zu, wie beide in den Aufzug nach oben verschwinden. Wenigstens hier im Hotel habe ich alles im Griff, wenn schon sonst in meinem Leben nur Ungewissheit und Chaos herrschen.
Heute ist einer dieser ruhigen Tage, die ich hasse. Sie lassen mir viel zu viel Zeit zum Nachdenken. An den wenigen Tagen, die ich bisher nicht arbeiten musste, konnte ich mich gut ablenken. Die erste Zeit nach meiner Ankunft habe ich hier im Hotel gewohnt, was freie Stunden zu einem nicht existierenden Zustand machte. Doch irgendwann musste ich mir eine Bleibe suchen. Leider verhält es sich mit den Mietpreisen in Berlin ähnlich wie mit den Mietpreisen in Wien. Sie sind völlig übertrieben. Vor allem dann, wenn man in einem Hotel arbeitet, das in der Schönhauser Allee liegt, und nach einer Wohnung sucht, die nicht zu weit weg und öffentlich gut erreichbar ist. Für mich bedeutete das, ich brauchte eine Wohnung in Prenzlauer Berg, einem heiß umkämpften Wohnungsmarkt. Gar nicht so einfach, wenn man sein Geld beisammenhalten will. Ich hatte Glück. Über eine spezielle Internetseite fand ich eine junge Wienerin, die ebenfalls für ein paar Monate in Berlin lebt und nach einer Frau suchte, die sich die Mietkosten für eine kleine Wohnung in der Kastanienallee mit ihr teilen wollte. Wir haben uns getroffen und gleich danach hat sie mir die Wohnung gezeigt. Ich fand Mitbewohnerin und Wohnung überzeugend und wir wurden uns schnell einig. Also lebe ich seit sechs Wochen mit Cami, einer fünfundzwanzigjährigen Grafikdesignerin, zusammen. Aus derselben Stadt zu kommen, hat gleich eine Brücke geschlagen, und wir haben ziemlich schnell gemerkt, dass wir auch Freundinnen werden könnten. Irgendwie sind wir das auch schon, auch wenn ich nicht sehr viel Zeit für unsere neue Freundschaft aufbringen kann. Cami nimmt sich hier in Berlin eine Auszeit. Sie hatte im letzten Jahr Jobprobleme und hat die Gelegenheit beim Schopf gepackt und sich um ein Kultur-Ferialpraktikum auf der Museumsinsel beworben. Mit ein paar Gelegenheitsjobs als Grafikerin hält sie sich in der Zwischenzeit über Wasser und bringt so ihren Teil der Miete auf. Ich bin froh, dass ich sie habe. Denn als mich Heimweh und Herzschmerz erst richtig gepackt haben, und Sascha, mein bester Freund, zu weit weg gewesen ist, war es Cami, die mich immer wieder daran erinnert hat, dass ich aus einem guten Grund in Berlin bin. Ich will eine Chance haben, zu Hause im Hotel No.1 Wien, meinem Hotel, Managerin zu werden. Und dafür brauche ich die Zeit in Berlin. Dafür habe ich einiges geopfert und mein Herz aufs Spiel gesetzt. Und wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, könnte ich es bereits verloren haben. Zumindest sieht es so aus.
Ella – 2014
„Oh. Mein. Gott!“
Saskia, die Rezeptionistin der Tagesschicht, hat wohl wieder einen Promi entdeckt. Das könnte peinlich werden.
„Bitte sag mir, dass du dich nicht danebenbenehmen wirst!“, flehe ich sie fast schon an. Aber sie hört mir gar nicht zu und starrt weiterhin mit roten Wangen auf den Eingangsbereich. Als ich ihren aufgerissenen Augen folge, bleibt mein Herz beinahe stehen. Denn meine Augen bleiben tatsächlich an Jan hängen. Das darf doch nicht wahr sein!
„Wenn das nicht der heißeste Kerl ist, denn ich je gesehen habe. Er sieht aus wie eine Mischung aus Männermodel und Pirat, mit einem Schuss Herzensbrecher.“
Da kann ich ihr nicht widersprechen. Vor allem deshalb, weil ich im Moment tatsächlich nicht sprechen kann. Denn Jan Herzog steht, nach über zwei Monaten Funkstille, in meinem Hotel in Berlin. Und während eine meiner Mitarbeiterinnen ihn mit Blicken auszieht, bemerke ich mit einem Brennen im Magen, dass er mich gerade entdeckt hat. Ein schiefes Lächeln erscheint auf seinem unverschämt attraktiven Gesicht, und ich kann nicht anders, als ihn von oben bis unten zu mustern, während er auf die Rezeption zugeht, ohne den Blickkontakt zu mir zu unterbrechen. Wie eine Schlange, die ihre Beute hypnotisiert. Vielleicht bilde ich es mir ja nur ein, aber ich glaube, dass sein Gang sehr viel fester und sein Hinken deutlich besser geworden ist. Sein ganzer Aufzug lässt ihn männlich und selbstbewusst wirken. Er trägt eine schwarze Hose und einen schwarzen Blazer dazu. Sein T-Shirt darunter ist ebenfalls schwarz. Seine dunklen Haare wirken kürzer und seine Barstoppeln sind auf einen sehr anziehenden Dreitagebart reduziert. Saskia hat recht, er sieht aus wie ein heißer Pirat im Anzug, mit blauen Augen, die meine Knie weich werden lassen.
Verdammt, was macht er hier? Wieso hat er nicht einfach angerufen? Dann stünde ich nicht hier, in meinem Hotel, mitten bei der Arbeit und hätte Herzrhythmusstörungen.
An der Rezeption angekommen nickt Jan Saskia freundlich und knapp zu.
„Guten Tag. Willkommen im Hotel No.2. Wie kann ich Ihnen helfen?“, schnurrt sie ihm entgegen. Und alleine für dieses Schnurren möchte ich ihr am liebsten zwei Nachtschichten hintereinander verpassen. Doch ich kann nicht. Ich habe meine Sprache immer noch nicht wiedergefunden.
„Guten Tag. Ich habe reserviert. Auf den Namen Jan Josef Herzog.“ Ein durchtriebenes Lächeln blitzt auf seinem Gesicht auf, ehe er nach unten blickt und dann kurz wieder mich ansieht. Das darf doch nicht wahr sein? Er will hier wohnen, in meinem Hotel?
„Das ist nicht dein Ernst“, entkommt es mir.
Während Saskia mich wegen meines Tonfalls schockiert ansieht, grinst Jan mir zufrieden entgegen.
„Eigentlich hatte ich gehofft, du würdest vielleicht selbst darauf kommen. Doch dann fiel mir wieder ein, dass du meinen zweiten Vornamen gar nicht kennst. Und jetzt, da ich sehe, dass meine Überraschung gelungen ist, bin ich eigentlich sehr zufrieden damit.“ Ich verschränke die Arme vor der Brust, damit er nicht sehen kann, dass meine Hände zittern. Saskias graue Augen sehen mich Hilfe suchend an, als wolle sie sagen: „Was soll ich nur tun?“
„Ich übernehme diesen Gast, Saskia. Holst du mir in der Zwischenzeit meine Liste für den Nachmittag?“
„Natürlich“, stammelt sie und sieht mir und Jan noch mal kurz hinterher, ehe sie in den Bürotrakt verschwindet.
„Jan Josef Herzog … Und ich dachte, das wäre nur einer dieser bizarren Zufälle … Schwarzer Humor des Universums.“
„Nein, das war nur ein Versuch, dich kalt zu erwischen und dafür zu sorgen, dass du nicht weglaufen kannst“, gibt er zu und bohrt dabei seine erstaunlich blauen Augen in meine.
Mein Magen schrumpft zu einem eiskalten Klumpen zusammen, als ich auf dem Bildschirm vor mir lese, was zu dieser Reservierung, seiner Reservierung, eingetragen ist. Jan Josef Herzog, Juniorsuite – Einzelzimmer, reserviert für zweiundzwanzig Nächte – mit Option auf Verlängerung.
Heilige Scheiße!
„Du willst fast einen Monat lang im Hotel wohnen?“, zische ich ihn an.
„So lautet der Plan.“ Mehr sagt er nicht dazu, lehnt sich an den Tresen und lässt seinen Blick offenkundig über meinen Körper wandern. Seine Gedanken kann ich nicht lesen, doch ich sehe den Hunger in seinen Augen.
„Gott, siehst du gut aus. Der heiße, strenge Look macht es sogar noch besser.“ Ich schließe die Augen, denn ich kann nicht glauben, dass er das hier gerade gesagt hat. Und noch weniger kann ich glauben, dass mir dabei heiß wird.
„Das geht doch nicht. Du kannst nicht hier in meinem Hotel bleiben, jeden Tag. Wie stellst du dir das vor?“
Nackte Panik erfasst mich. Ich spüre deutlich, wie mein Deo versagt und sich Schweiß unter den Achseln sammelt.
„Du solltest mich besser nicht hier fragen, wie und vor allem was ich mir alles vorstelle, wenn ich dich so ansehe“, flüstert er mir zu. Jan hat wieder diesen Blick, der mich schier wahnsinnig macht. Doch das geht nicht. Nicht hier und schon gar nicht nach zwei Monaten, in denen er sich nicht gemeldet hat. Er kann nicht einfach so tun, als hätte es die letzten Wochen nicht gegeben.
Ich will ihm gerade die Leviten lesen, als mir plötzlich etwas klar wird. Vor mir steht nicht nur der Jan Herzog von vor ein paar Wochen, vor mir steht irgendwie auch der alte Jan, der selbstbewusste Verführer von damals, vor dem Unfall. Erstaunt blicke ich ihn an. Verschwunden scheinen Angst und Bitterkeit. Jedenfalls kann ich sie in seinem Gesicht nirgends entdecken. Außerdem versteckt er seine Narben nicht, trägt sie ganz offen hinter dem zugegeben sehr sexy aussehenden Bartschatten. Und seit er hier aufgetaucht ist, hat er nicht einmal seine linke Gesichtshälfte verborgen oder ist sich über den Mund gefahren. Selbst dann nicht, als ich ihn eindeutig angestarrt habe.
Was hat das zu bedeuten? Was ist die letzten zwei Monate mit Jan passiert? Oder ist das nur Show? Ein Trick?
Saskia steht plötzlich wieder neben mir mit einem Papierstapel in der Hand und räuspert sich. Abwartend sieht sie zwischen uns hin und her. Kurz schüttle ich den Kopf, um zu mir zu kommen, während ich mir die Mappe mit den losen Blättern schnappe, die sie mir aufdringlich entgegenhält.
„Danke … Könntest du Herrn Herzog bitte einchecken?“
„Ja, natürlich“, erwidert sie. Ehrlich, ich bekomme kaum mit, was die beiden miteinander reden oder ob Jan mich noch mal ansieht. In einer Art Schockstarre sehe ich aus den großen Glasfenstern und höre dem schweren Regen zu, den der Spätherbst seit ein paar Tagen in die Stadt gebracht hat. Erschrocken zucke ich zusammen, als ich Jans Stimme höre.
„Ich habe ihr gesagt, dass du mir mein Zimmer zeigen würdest.“ Sanft lächelt er mich an und hält mir seine Zimmerkarte entgegen. Wie in Trance lese ich die Nummer darauf und gehe zu den Fahrstühlen. Jan folgt mir. Ich weiß es, auch ohne es zu sehen. Deutlich spüre ich seine Blicke auf mir. Meine Brust zieht sich schmerzvoll und warm zusammen. Die Aufzugtüren öffnen sich zum Glück sofort. Ich betrete die leere Kabine und drehe mich erst um, als die verspiegelte Tür sich schließt und Jan neben mir steht. Völlig von der Rolle beobachte ich unsere beiden Spiegelbilder vor uns.
„Ich hatte eigentlich gehofft, du würdest dich freuen, mich zu sehen“, lässt er mich flüsternd wissen. Jetzt, wo wir alleine in diesem winzigen Raum sind, ist er wieder so, wie ich ihn in Erinnerung habe. Nervös. Ehrlich.
„Es waren zwei Monate, Jan. Zwei verdammt lange Monate.“
„Ich weiß.“
Unser angespannter Atem füllt den Raum. So lange ist mir die Fahrt bisher nie vorgekommen. Endlich öffnen sich die Aufzugtüren wieder und wir betreten die dritte Etage.
„Hier sind wir. Zimmer 307.“ Er schnippt die Schlüsselkarte immer wieder gegen seinen Handballen und sieht mich dabei abwartend an.
„Ich nehme an, du wirst jetzt nicht mit reinkommen.“
Hitze schießt mir in die Wangen und meine Haut kribbelt, alleine bei der Vorstellung. Aber seine Annahme ist berechtigt, das kann ich nicht machen. Vorsichtig schüttle ich den Kopf.
„Schon in Ordnung. Ich habe ja fast einen Monat Zeit, dich umzustimmen.“ Wieder dieses teuflische Lächeln.
„Jan, ich …“ Doch weiter komme ich nicht. Er hat mich an die Wand im Flur vor seiner Suite gedrängt und sieht mir fest in die Augen. Seine Hände stützen sich links und rechts neben meinem Kopf ab. Eine sehr deutliche Ansage. Ich schlucke und halte die Luft an.
„Nur damit das klar ist: Ich bin deinetwegen hier. Denn ich habe verdammt ernst gemeint, was ich dir am Telefon sagte. Ich gebe uns nicht auf, und ich kämpfe um dich. Das hier ist erst der Anfang, Ella … Also bereite dich darauf vor!“ Seine blauen Augen sehen eindringlich in meine.
Kurz denke ich, dass er mich küssen wird, doch er lehnt sich nur weiter zu mir, bis ich seinen hektischen Atem an meinem Mund fühlen kann, ehe er sich langsam wieder zurückzieht. Ich kann nicht verhindern, dass mir ein Wimmern entkommt. Alleine der Gedanke, ihn zu küssen oder ihn wieder zu berühren, kehrt mein Innerstes nach außen.
Jan stemmt sich von mir, sieht mich noch mal von oben bis unten an, ehe er die Karte ins Schloss steckt und in seinem Zimmer verschwindet.
Was zur Hölle ist gerade passiert? Ich stehe zitternd, aufgebracht, verschwitzt und erregt im Hotelflur und habe das Gefühl, gleich schreien zu müssen.
Ich habe mich doch vor zwei Monaten gefragt, ob ich mit meinen Gefühlen für Jan Herzog umgehen könnte. Jetzt habe ich die Antwort.
Ich kann es nicht.
Ella – Wien, 2011
Ich starre seit mindestens fünf Minuten mein eigenes Brieffach an und finde nicht den Mut, nachzusehen. Die letzten drei Tage quäle ich mich nun damit herum, nach Hause zu kommen und auf mein graues Kästchen zu starren, in der Angst, den Schlüssel darin zu finden und zu wissen, dass Jan ihn dort zurückgelassen hat. Alleine der Gedanke dreht mir den Magen um. Bisher war das ganze Theater umsonst. Aber schließlich ist es doch das, was ich will. Oder?
Vorsichtig stecke ich den Schlüssel ins Schloss und öffne das Postfach. Erleichtert atme ich aus, als ich lediglich bunte Werbeprospekte zu sehen bekomme. Ich schnappe mir den Stoß und fühle, wie mir heiß und kalt wird, als ich auf dem Boden liegend meinen Wohnungsschlüssel sehe, ein Stück silbernes Metall, sonst nichts. Keine Nachricht.
Verdammt, Ella! Als ob es da noch etwas zu sagen gebe.
Was stimmt nur nicht mit mir? Seit Tagen heule ich mir die Augen aus dem Kopf, kann nicht mehr essen und fühle mich hundeelend. Nicht einmal an ihn denken kann ich, ohne dass ich mich leer und roh und wütend fühle. Wieso machte es mir dann so viel aus, den Schlüssel zu sehen und zu wissen, dass es damit nun endgültig vorbei ist?
Kopfschüttelnd stecke ich den Zweitschlüssel ein und gehe rüber zu meiner Wohnung. Als ich sie betrete, ist alles wie immer. Der winzige Flur ist gemütlich warm und vertraut, doch der Hauptraum jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken. Die verstreuten T-Shirts sind weg und auch seine Sporttasche, die immer neben dem Kleiderschrank stand. Sein MP3-Player, der heute Morgen noch auf der Kommode lag, ist verschwunden. Vorsichtig gehe ich nach hinten und werfe einen Blick in die Küche. Seine Lieblingstasse hat Jan mitgenommen, alles andere hat er dagelassen. Ich mache Licht im Bad und sehe sofort, dass all seine Sachen nicht mehr da sind. Es sind nur Kleinigkeiten, die niemandem außer mir auffallen würden, schließlich haben wir nicht zusammengewohnt. Dennoch schlägt es ein Loch in mein Inneres, das sich ohnehin leer anfühlt, seit ich diese verdammte SMS gelesen habe. Seit ich ihn für immer weggeschickt habe. Langsam gehe ich zurück und setze mich auf das Sofa. Ich habe immer noch meine Jacke an.
Ich kann nicht glauben, dass er mich betrogen hat. Und doch ist es wahr. Ich habe es in seinen Augen gesehen. Noch nie hat etwas so wehgetan wie die Schuld, die ich dort erkennen musste. Und zu hören, dass er mich noch liebt. Der Gedanke verursacht ein Stechen in der Brust, das mir Angst macht, weil ich es nicht kontrollieren kann, genauso wenig wie die Tränen, die schon wieder hervorbrechen.
Vor ein paar Tagen noch habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, ob ich den Abschluss schaffe, und Jan hat mir erzählt, er wolle mit mir zur Feier meines so gut wie sicheren Abschlusses nach Budapest fahren, in das gleiche Hotel, in dem ich damals als Kind war. Damals war ich so glücklich, so verliebt und so dumm. Jetzt wird das alles nie passieren. Ich werde natürlich meinen Abschluss machen, das lasse ich mir von niemandem nehmen. Aber er wird nicht dabei sein. Noch habe ich es niemandem erzählt. Ich weiß nicht, wie ich es meiner Familie erklären soll. Erst letztes Wochenende habe ich meiner Mutter erzählt, dass wir vielleicht bald zusammenziehen, und jetzt …
Wie kann man behaupten, jemanden zu lieben, und ihm das antun? Wie geht das? Verdammt noch mal. Ich bin so wütend.
Außer mir schnappe ich mir das einzig ausgedruckte Foto von uns, das am Rand einer kleinen Pinnwand klebt, und drücke es so fest zusammen, bis es völlig ruiniert ist. So wie es jetzt aussieht, bis zur Unkenntlichkeit zerstört, genauso fühle ich mich.
Ich möchte mich niemals wieder so fühlen. Ich möchte nie wieder auch nur ein Wort mit Jan wechseln, ihn nie wieder sehen. Ich verspreche mir selbst, hier und jetzt, niemals wieder so dumm zu sein, Jan zu vertrauen. Nie wieder.
Jan – Berlin, 2014
„Ich weiß, deine Leute vom Housekeeping leisten gute Arbeit … Dennoch hat es eine Beschwerde zum Schuhputzdienst gegeben. Angeblich dauerte es zu lange, bis die Schuhe abgeholt waren.“
Ella spricht mit einer etwas rundlichen Frau mit lockigen Haaren, die sie aufmerksam ansieht. Ihr Auftreten ist freundlich, aber bestimmt. Es ist sehr interessant, sie bei der Arbeit zu beobachten.
Noch hat sie mich nicht entdeckt.
„Ich werde es weitergeben, Frau Vogel. Aber es kann bestimmt nicht sehr lange gedauert haben, bis die Schuhe abgeholt wurden. Ich ordne immer an, dass meine Leute Runden machen sollen, falls die Rezeption mal vergisst, die Service-Anforderungen weiterzuleiten.“
Die Frau, von der ich denke, dass sie das Housekeeping leitet, reibt sich über den Nacken und wirft Ella einen leicht nervösen Blick zu.
„Das weiß ich doch, Frau Kadakis. Es handelt sich bei der Beschwerde um einen unserer anspruchsvolleren Gäste … Doch ich musste es zumindest erwähnen.“ Sanft lächelt Ella ihre Mitarbeiterin an und berührt kurz ihren Arm. Sie hat wirklich ein Händchen für Menschen.
„Ich verstehe schon … Dann geh ich mal wieder an die Arbeit.“
Zügig verschwindet die griechisch aussehende Frau, und Ella steht nun alleine an der fast leeren Bar. Suchend gleitet ihr Blick durch den Raum, bis er an mir hängen bleibt. Ich erkenne sofort die Nervosität und Anspannung, die ich bei ihr auslöse. Vielleicht hätte ich sie gestern doch küssen sollen, als sie mir so verdammt nahe war. Es ist mir verflucht schwergefallen, ihrem Duft und ihrem Mund zu widerstehen. Sie hat mir wahnsinnig gefehlt in den letzten Wochen. Etwas verunsichert verlässt sie die Hotelbar und kommt auf mich zu. Dieser enge Rock und der knappe Blazer, der sich über ihre Brüste spannt, sind Zündstoff für meine erotischen Fantasien, die mich neuerdings ständig quälen, natürlich mit Ella in der Hauptrolle. Ihre dezent geschminkten Lippen presst sie fest aufeinander, als sie vor mir stehen bleibt.
„Scheint, als hättest du hier alles im Griff.“
„Ja. Es … Es läuft ganz gut so weit. Am Anfang hat es gedauert, bis sie mich akzeptiert haben, vermutlich weil ich deutlich jünger bin als meine Vorgängerin.“ Offenbar unbewusst wiegt sie sich kaum merkbar hin und her. Ihre Stimme klingt unglaublich vertraut, als wäre sie so etwas wie ein Zuhause für mich. Das Gefühl ist schwer zu ignorieren. Zusammen mit meinem Hunger nach ihr treibt es mich an, weiterzumachen. Ihr endlich wieder näherzukommen.
„Dann denkst du, dass die Entscheidung, hierherzukommen, richtig war?“, frage ich sie herausfordernd, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich die Antwort hören will.
„