Dzogchen Ponlop Rinpoche
Wie wir Stress in Lebenskraft umwandeln
Das 3-Schritte-Programm
Aus dem amerikanischen Englisch von
Susanne Kahn-Ackermann
Knaur eBooks
Dzogchen Ponlop Rinpoche gehört zu den führenden tibetischen Meistern der neuen Generation. Er wurde 1965 im Kloster Rumtek in Indien geboren und lebt heute in Seattle, USA. Nach einer traditionellen buddhistischen Ausbildung in Indien studierte er Vergleichende Religionswissenschaft und Englisch an der Columbia University in New York. Dzogchen Ponlop ist bekannt für seinen scharfen Intellekt, seinen Humor und die Klarheit seiner Unterweisungen.
E-Book zur vollständigen Taschenbuchausgabe Oktober 2021
Knaur.Leben Taschenbuch
© 2015 Ricky Kwahu Arnae
© 2015 der deutschsprachigen Ausgabe O. W. Barth Verlag
© 2021 Knaur Verlag
© 2021 der E-Book-Ausgabe Knaur eBook
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Vollständige Taschenbuchausgabe Oktober 2021
Redaktion: Horst Kappen
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München,
inHouse gestaltet Isabella Materne
Coverabbildung: FinePic®, München
ISBN 978-3-426-43532-8
1
Siehe Oxford Journal, Social Cognitive and Affective Neuroscience,
http://scan.oxfordjournals.org/content/8/1/85.short; und Science Codex, http://www.sciencecodex.com/mindfulness_meditation_may_improve_decision_making-127757.
2
von UCLA Today Website: http://www.today.ucla.edu/portal/ut/putting-feelings-into-words-155536.aspx; und aus dem Journal of Biobehavioral Medicine, Website: http://www.psychosomaticmedicine.org/content/69/6/560. abstract
3
Die Übungen zur Arbeit mit den äußeren und inneren Sinnen sind in modifizierter Form dem Werk von Nalandabodhi Mitra Lee Worley entnommen, der Autorin von Coming From Nothing: the Sacred Art of Acting (Turquoise Dragon Press). Ms. Worley ist zudem Gründungsmitglied der Naropa University.
Emotionale Befreiung ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen inneren Entwicklung seines Autors. Dzogchen Ponlop Rinpoche gehört zu der Generation tibetischer Lamas, die schon nach dem Exodus der tibetischen Kultur im indischen Exil geboren wurde. Anerkannt als die Wiedergeburt seines Vorgängers, des 6. Ponlop Rinpoche, wuchs er als Sohn von Damchö Yongdu, dem Generalsekretär des Exilklosters Rumtek und engstem Vertrauten des 16. Gyalwa Karmapa, in Sikkim/Indien auf. Er wurde dort mit allen Meditationsmethoden einer alten tibetisch-buddhistischen Übertragungslinie vertraut gemacht und in deren philosophischen Disziplinen geschult.
Von vorneherein war Ponlop Rinpoche dazu bestimmt, ein buddhistischer Lehrer für eine neue Zeitepoche zu werden, die damals gerade anbrach. Sein geistiger Hintergrund ist die 2500-jährige buddhistische Geschichte und die über 1000 Jahre alte tibetische spirituelle Übertragungslinie von Weisheitslehren. Doch der Buddhismus Tibets würde und musste sich durch die Annexion des Landes, die Zerstörung seiner Kultur und die Flucht vieler Tibeter, unter ihnen große Gelehrte und Meditationsmeister, völlig verändern.
Im Sommer 1980 traf ich Dzogchen Ponlop Rinpoche zum ersten Mal. Ich hatte ihn schon in der Entourage des 16. Karmapa gesehen, bevor ich einmal neben ihm auf der Rückbank eines weinroten amerikanischen Straßenkreuzers sitzen durfte, direkt hinter dem Karmapa, der vorne auf dem Beifahrersitz saß. Diese Begegnung fand in der Nähe des legendären Woodstock in Upstate New York statt, im buddhistischen Zentrum Karma Triyana Dharmachakra. Ponlop Rinpoche war damals ein 15-jähriger schlanker und noch nicht ganz ausgewachsener tibetischer Junge in Mönchsrobe mit der Andeutung eines kleinen Oberlippenbärtchens. Er wirkte geschmeidiger und irgendwie lockerer als andere junge Mönche, zeigte aber durchaus eine Haltung von völliger Hingabe und tiefer Bescheidenheit gegenüber seinem großen Lehrer.
Der 16. Karmapa war eine Gestalt von einer subtilen, aber äußerst kraftvollen Ausstrahlung, die unsichtbar alle erfasste, die in seiner Nähe waren. Er war einer der einflussreichsten Lamas, die in diesen Anfangsjahren des tibetischen Buddhismus in Europa und Nordamerika durch ihre Rundreisen mit Vorträgen, Zeremonien, Zentrumsgründungen und zahllosen Begegnungen mit Menschen wirkten. Und Ponlop Rinpoche wuchs an seiner Seite und in seinem Licht heran bis zu dessen frühem Tod im Jahr 1981.
Ein weiterer wichtiger Lehrer für ihn war und ist Khenpo Tsültrim Gyamtso Rinpoche, ein Lama mit einer ungewöhnlichen Direktheit und Klarheit, dem es neben den durchaus intellektuellen Studien der verschiedenen Philosophien des Buddhismus vor allem um die Erfahrung der Essenz des Buddhismus geht, die er auch westliche Schüler lehrt.
Vor 35 Jahren habe ich mir schon Gedanken darüber gemacht, was aus einem so jungen Lama einmal werden würde. Meine Generation von jungen Menschen, die sich damals von dem noch kaum im Westen etablierten tibetischen Buddhismus angezogen fühlte, hatte nur sehr vage Vorstellungen davon, wohin diese ganze »Reise« einmal gehen würde.
1986 traf ich Ponlop Rinpoche wieder, als er zu einem Besuch nach Europa aufbrach. Er war zwar erst 21 Jahre alt, aber nun bereits ein unterrichtender Lehrer. Sicherlich hat er damals vor allem den klassischen tibetisch-buddhistischen Unterrichtsstoff vermittelt, wie er ihn aus der Klosteruniversität in Rumtek kannte. Dazu gehören zum Beispiel die äußerst subtilen Beschreibungen der Funktionsweise des Bewusstseins (Abhidharma), die heute oft als buddhistische Psychologie bezeichnet werden. Diese werden in dieser Tradition im Zusammenhang mit den Mahamudra- und Dzogchen-Lehren betrachtet, speziellen meditativen Überlieferungen, die aufzeigen, wie man den Geist direkt anschauen und die Natur aller Gedanken und Gefühle in der Meditation betrachten kann, um sich so von emotionalem Leiden zu befreien.
So etwas konnte der junge Ponlop Rinpoche damals schon mit einer ganz ungewöhnlichen Brillanz und viel Humor vermitteln. Er schaute oft ganz verschmitzt aus seinen Augenwinkeln und konnte auch wunderbar mit den Augen rollen. Zudem gönnte er den Zuhörern durch sein gelegentlich etwas heiser wirkendes Lachen immer wieder kleine entspannende Pausen zur Verarbeitung des durchaus anspruchsvollen Lernstoffs. Er sprach bereits mit der Autorität eines Gelehrten, doch gleichzeitig war er irgendwie auch einer von uns, ein eher »westlicher« Typ, bei dem man sich durchaus vorstellen konnte, mit ihm auf ein Bier in eine Kneipe zu gehen, um ein Schwätzchen zu halten.
Ponlop Rinpoche hat dann tatsächlich auch an Universitäten in Nordamerika studiert und sich dort 1991 auch niedergelassen. Seit vielen Jahren leitet er in Seattle das Nalandabodhi-Institut, von dem aus verschiedene buddhistische Studien- und Meditationslehrgänge (wie das Nitartha-Programm) entwickelt und angeboten werden. Zudem widmet er sich der Übersetzung alter Texte des tibetischen Buddhismus und legt entsprechende Archive und Programme im Internet an.
Ponlop Rinpoche ist inzwischen zu einem der bekanntesten Lamas im Westen geworden und hat sich durch mehrere Buchpublikationen hervorgetan. Sie stellten zunächst komplexe traditionelle Lehren auf inspirierende und verständliche Weise dar wie in seinen Werken Der Geist überwindet den Tod zu den Bardo-Lehren über die Geschehnisse im Bewusstsein eines sterbenden Menschen, in Der große Augenblick, wo er erklärt, wie man mit Meditation die Natur des Geistes erforschen kann, und zuletzt in Rebell Buddha, wo er einen frischen und unkonventionellen Blick auf das Wirken des Buddha selbst und die Möglichkeit eines neuen Leitbilds für den modernen Menschen aufzeigt.
In Emotionale Befreiung spürt man das Ausmaß, mit dem sich Ponlop Rinpoche mittlerweile in die Mentalität, die Alltags- und Geisteszustände des westlichen Menschen hineingelebt hat und vermutlich selbst zu einem solchen geworden ist. Jetzt ist er ein über 50-jähriger Amerikaner und Kosmopolit mit vielfältigen Aktivitäten und nimmt auch im Rahmen der säkularen »Achtsamkeitsbewegung« seinen Platz als Lehrer und Ratgeber ein.
Der Zeitgeist erfordert eine Synthese aus Psychologie und meditativen Übungsmethoden, und diese bietet Ponlop Rinpoche hier auf eine originelle und erfrischende Weise an. Entstanden ist ein »Drei-Schritte-Programm« bei Stress und negativen Gefühlen. Es basiert auf einem meditativen Ansatz des Buddhismus, ohne dass die Leserin oder der Leser es besonders merken wird. Kaum ein buddhistischer Begriff fällt in diesem Buch, und würde ich nicht vom Autor dafür vorgeschlagen worden sein, dieses Vorwort zu schreiben, hätte vermutlich auch niemand erraten, dass es hier diesen »buddhistischen Hintergrund« gibt.
Häufig sind in den letzten Jahrzehnten westliche Menschen zu tibetischen Lehrern gegangen und haben sie mit Fragen zu psychologischen Problemen und existenziellen Krisen herausgefordert. Diese Lehrer wurden oft von solchen Anliegen überrascht, denn in ihrer Kultur war es völlig unüblich, persönliche Emotionen anzusprechen oder sich über das eigene Leben zu beklagen. Dennoch gaben sie oft unerwartete Antworten und Ratschläge, die auch für die westliche Psychologie originelle Neuerungen darstellten. Sie sagten Dinge wie:
»Wenn du eine Emotion hast, schaue direkt in sie hinein, bis sie sich von selbst auflöst!« Oder: »Bei starken Emotionen suche nach demjenigen, der die Emotion hat, und wenn du dabei niemanden findest, bleibe in dem offenen Raum, der sich auftut.« Oder: »Schau direkt in die ›Lücke‹ zwischen den Gedanken.« Oder sie fragen: »Wer ist derjenige, der meint, ein Problem zu haben?« Oder: »Lerne schwierige Emotionen und Probleme selbst als die Lehrmeister zu sehen, die dir den Weg des Erwachens weisen.«
Anhand dieser Aussprüche erfasst man, dass Gedanken und Emotionen allesamt nur geistige Kreationen sind, die durchschaut werden können. Ponlop Rinpoche ist natürlich nicht zuletzt durch seine eigene langjährige Meditationspraxis bestens vertraut mit solchen Ansätzen, wie sie in den besonders tiefgründigen Sichtweisen des tibetischen Buddhismus zum Tragen kommen. Sie bilden die Grundlage dieses völlig säkularen, im Sinne von religions- und ideologiefrei gestalteten »Drei-Schritte-Programms«.
Im Vergleich zu anderen heute bekannten achtsamkeitsbasierten Übungen, die in der Regel der frühbuddhistischen Tradition folgen und auf der »Einsichts-Meditation« des Vipassana fußen, kommen hier unkonventionelle und überraschende Vorschläge hinzu, die eher dem essenziellen und direkten Stil von Anleitungen aus dem tibetischen Buddhismus entsprechen. Diese bringt der Autor zudem mit der ganzen Würze seines Humors, der spielerischen Denkart seines »beautiful mind« und seiner ganzen Erfahrung aus einem Leben herüber, in dem er sich auch selbst – aus einer alten Kultur kommend – in die postmoderne Epoche hineinversetzt sieht.
Dieses Buch ist als Selbsthilfe-Programm konzipiert, und es bleibt zu wünschen, dass es als eine Methode verstanden wird, die von Menschen auch tatsächlich individuell oder in sich organisierenden Gruppen angewendet werden kann.
Man kann nun dieses Vorwort getrost vergessen und sich ganz dem »Drei-Schritte-Programm« anvertrauen, das auch ohne buddhistische Vorzeichen und Grundkenntnisse auskommt und keine wie auch immer gearteten Bekenntnisse erfordert.
Yesche U. Regel
(im Frühjahr 2015 in der Nähe des Kamalashila-Instituts in der Eifel, dessen spiritueller Leiter Dzogchen Ponlop Rinpoche seit vielen Jahren ist)
Sei du selbst. Alle anderen sind schon belegt.
Oscar Wilde
Was wäre das Leben ohne Emotionen? Irgendwie langweilig, fade? Wie abgestandene Limonade? Wäre da nicht dieses Prickeln und Funkeln, wir hätten wohl kaum großes Interesse daran, das Leben in uns aufzusaugen. Emotionen bringen Energie, Farbe und Vielfalt ins Dasein, doch geraten wir durch sie einen Großteil unserer Zeit auch reichlich in Verwirrung. Sie können uns in Abgründe der Enttäuschung und Verzweiflung hinabziehen und in Zustände glückseliger Gipfelerfahrung versetzen – sowie in alles, was dazwischenliegt.
Emotionen treiben uns Menschen dazu, einander zu heiraten oder umzubringen (leider manchmal die Person, die wir geehelicht haben). Jeden Tag reihen wir uns ein in diese Achterbahnfahrt der Emotionen, die uns im einen Moment erregt, fasziniert und entzückt und im nächsten kopfstehen lässt und alles in uns umkrempelt. Was hat es mit diesen unberechenbaren Gefühlen auf sich, und warum scheinen sie uns zu beherrschen, statt dass wir sie beherrschen?
Die Antwort fällt unterschiedlich aus, je nachdem, wen wir fragen: Wissenschaftler, Therapeuten, Priester, Künstler oder die üblichen Adressaten unserer Liebe und unseres Abscheus, Familienangehörige und Freundfeinde. Es gibt ein asiatisches Sprichwort, das besagt: »Nimmt man es mit Kenntnis ein, ist es Medizin, missbraucht man es, ist es Gift.« Und so verhält es sich auch mit unseren Emotionen. Wenn wir uns mit Geschick auf sie zu beziehen lernen, sind sie wie Medizin und bergen große Weisheit in sich; fehlt uns aber dieses Verständnis, sind sie wie Gift, das großen Schaden anrichtet und viel Leid verursacht. Wenn wir unter dem Bann unserer Emotionen stehen, sind wir gleichsam krank. Wir können die Qualen und Schmerzen und das Fieber nicht einfach wegwünschen. Wir müssen der Krankheit ihren Lauf lassen oder mit irgendeiner Art Behandlung eingreifen.
Wenn wir unsere Krankheit kennen und verstehen, können wir Schritte zur Selbstheilung unternehmen und unser Leiden beenden. Wenn wir aber nicht wissen, was wir tun – wenn wir die falsche Medizin nehmen –, kann uns das noch kränker machen. Und so verhält es sich auch mit unseren Emotionen: Wenn wir sie verstehen und wissen, wie sie funktionieren, können wir mit ihrer gewaltigen Energie arbeiten und anfangen, unser Leiden zu heilen.
Echte Selbsthilfe setzt voraus, dass wir mit dem Verständnis unserer Emotionen über das simple Lehrbuchwissen hinausgehen. Es reicht nicht, einfach nur zu wissen, wie viele und welche Arten von Emotionen es gibt. Was finden wir, wenn wir einmal alles, was wir zu wissen glauben, beiseitelassen und uns mit unverstelltem Blick unsere persönlichen Erfahrungen von Wut, Begierde oder Eifersucht anschauen? Es geht nicht einfach darum, nur zu erkennen, welche Gedanken wir haben. Es geht darum, zu entdecken, welcher Art unsere Emotionen in ihrem innersten Kern sind. Zu sehen, dass die Wut in uns den Wunsch weckt, zurückzuschlagen, oder dass unser Verlangen dazu führt, dass wir jemandem gefallen möchten, ist nur der Anfang. Unsere Emotionen wirklich kennenzulernen bedeutet eine Herausforderung – kann uns aber auch Anregung und Ansporn sein. Wenn wir sehen, dass wir von unseren Emotionen ständig Prügel beziehen, kann das in uns den Entschluss wecken, zu lernen, wie wir uns davor schützen und bewahren können.
Bevor wir zu einem echten Verständnis unserer Emotionen kommen und tiefere Einsicht in ihr Wesen erlangen können, brauchen wir zunächst eine klare Vorstellung von ihrer Beschaffenheit und Funktionsweise. Emotionen beziehen ihre Energie aus einer einfachen, aber tiefsitzenden Quelle: unserem Mangel an Selbstkenntnis. Aus diesem Grund geschieht etwas ganz Erstaunliches, wenn wir unser Gewahrsein darauf richten, wie wir unsere Emotionen erfahren. Unsere Emotionen verlieren die Kraft, uns elend fühlen zu lassen. Es ist also von ganz entscheidender Bedeutung, dass wir erkennen, wie Emotionen sich in unserem Leben auswirken und wie verheerend ihr Einfluss sein kann, wenn wir uns von ihnen beherrschen lassen. Mit diesem Wissen beginnen wir, unsere Unabhängigkeit zurückzugewinnen. Wir erkennen allmählich, wie wir uns von den alten Mustern der Angst, des Zweifels, der Wut, und Eifersucht befreien können, die uns um so viel Glück gebracht haben. Wir gewinnen die Macht zurück, die Richtung unseres Lebens selbst zu bestimmen.
Doch unsere Emotionen begleiten uns schon lange, sind wie alte Freunde, deren vertraute Gesichter uns fehlen würden, wenn sie sich eines Tages nicht mehr blicken ließen. Und doch ist uns auch bekannt, wie sie uns täuschen, wie sie uns mit ihren Versprechungen immer und immer wieder hereinlegen können: »Hör auf mich, dieses Mal ist es etwas anderes! Dieses Mal hast du jedes Recht, vor Wut zu explodieren! Du wirst dich so viel besser fühlen. Dieses Mal wird es dieses Loch in deinem Innern füllen.«
Was tun, wenn Sie von Emotionen gequält werden? Vermutlich suchen Sie nach einem Fluchtweg. Aber wohin sich wenden, da Emotionen für uns nun mal nicht so sichtbar sind wie zum Beispiel Rauch oder Feuer? »Meine Wut hämmert gegen die Haustür, dann geh ich eben durch die Hintertür raus«, so läuft das hier nicht. Wenn Sie panisch reagieren und die Sache nicht durchdenken, kommen Sie möglicherweise vom Regen in die Traufe. Sie wissen nie, was Sie im Hinterhof erwartet. Statt Ihr Wohlbefinden dem Zufall zu überlassen, wäre es gut, für die Fälle, in denen Sie sich emotional auf schwankendem Boden befinden und nach einem Rettungsseil Ausschau halten, einen Rettungsplan zu haben.
Das in diesem Buch vorgestellte Drei-Schritte-Programm kann Ihnen helfen, die Fähigkeiten zu erlernen, die Sie brauchen, um schmerzvolle alte Gewohnheiten zugunsten neuer und angenehmerer Methoden des Selbstausdrucks aufgeben zu können. Diese drei Schritte sind: Auf die Lücke gerichtete Achtsamkeit, Klares Sehen und Loslassen. Es sind progressive, aufeinander aufbauende Methoden, die Sie nach und nach befähigen, auch mit Ihren allerschwierigsten Emotionen zu arbeiten und sie umzuwandeln.
Auf die Lücke gerichtete Achtsamkeit meint kurz gesagt die Praxis, zwischen sich und den eigenen Emotionen eine sichere Distanz herzustellen, die Ihnen dann den psychischen Freiraum zum Arbeiten mit deren Energien lässt. Klares Sehen ist die Praxis, sich die Emotionen im Kontext der Situation anzuschauen. Sie versuchen ein Gesamtbild zu erkennen, das zugleich Ihre Verhaltensmuster sichtbar macht. Loslassen ist die Praxis, sich durch Körperübungen, Entspannung und vor allem Gewahrsein von physischem und emotionalem Druck zu befreien.
Mit jedem Lernschritt werden Sie mit den inneren Mechanismen und Funktionsweisen Ihrer Emotionen zunehmend vertrauter. Sie durchdringen allmählich die äußeren Schichten, die deren wahre Natur verhüllen. Schließlich blicken Sie direkt ins Zentrum Ihrer Wut, Ihrer Begierde, Ihrer Eifersucht und Ihres Hochmutes. Sogar die Unwissenheit und Angst werden durchsichtig.
Alles in allem kann das Meistern dieser drei Schritte eine tiefgreifende emotionale Heilung bewirken. Jeder Schritt kann zum Wendepunkt werden, zu einem Ort, an dem sich Ihre Beziehung zu Ihren Emotionen verändern und weiterentwickeln kann. Sie können eine kreative Partnerschaft mit Ihren Emotionen aufbauen, statt einfach nur mit ihnen zu kämpfen. Mit der Zeit und Übung weichen Angst und Zweifel dem Selbstvertrauen und der Zuversicht. Sie entdecken nach und nach, dass die Emotionen selbst das Tor zur Freiheit sind, nach dem Sie suchen – dass sie den Weg für Sie frei machen, statt Sie zu behindern.
In gewisser Weise lehrt das Buch Sie nichts, was Ihrer Erfahrungswelt völlig fremd wäre. Sie tragen bereits viel vom Wissen in sich, das Sie brauchen, um sich vom gewohnheitsmäßigen Umgang mit Ihren Emotionen befreien zu können. Es sind schließlich Ihre Gewohnheiten. Wer könnte besser mit ihnen vertraut sein als Sie selbst? Doch hilft es, neue Anwendungsmethoden dieses Wissens – Ihr gesunder Menschenverstand und Ihr Einsichtsvermögen – zu erlernen, um zu erkennen, was Sie zurückhält und was Sie voranbringt und in die Freiheit führt.
Es ist nützlich, wenn wir uns, bevor wir auf die Einzelheiten dieses Drei-Schritte-Programms bei emotionalem Stress eingehen, die Definition von »Emotion« ansehen. Was sagen die Lexika? Haben wir eine solche Grunddefinition, können wir uns anschauen, was eine Emotion aus der Sicht unseres Drei-Schritte-Programms ist, wodurch eine weitere Dimension hinzukommt. Würde die Definition im Wörterbuch schon alles erklären, könnten wir möglicherweise genug daraus lernen, um unsere Emotionen zu beherrschen und ihren Schmerz auf ein Mindestmaß zu reduzieren, müssten uns aber nach wie vor andernorts umsehen, um einen flüchtigen Einblick in eine transzendente Erfahrung zu erhalten.
Laut dem Oxford English Dictionary ist Emotion »eine jede Aufregung oder Störung des Geistes, des Gefühls (oder der) Leidenschaft; ein jeder vehemente oder aufgeregte geistige Zustand«. Solche Gefühlszustände unterscheidet man im Allgemeinen von mentalen Zuständen, bei denen wir wissen, was passiert, und bewusste Entscheidungen treffen können. Zustände emotionaler Verstörung werden auch oft von körperlichen Symptomen begleitet (Herzklopfen, schnelles Atmen, vielleicht auch Weinen oder Zittern).