Das Buch der Wandlungen, chinesisch I Ging, gehört unstreitig zu den wichtigsten Büchern der Weltliteratur. Seine Anfänge reichen in mythisches Altertum zurück. Bis auf den heutigen Tag beschäftigt es die bedeutendsten Gelehrten Chinas. Fast alles, was in der über 3.000 Jahre alten chinesischen Geschichte an großen und wichtigen Gedanken gedacht wurde, ist teils angeregt durch dieses Buch, teils hat es rückwirkend auf die Erklärung des Buches Einfluss ausgeübt, so dass man ruhig sagen kann, dass im I Ging die reifste Weisheit von Jahrtausenden verarbeitet ist. So ist es denn auch kein Wunder, dass beide Zweige der chinesischen Philosophie, der Konfuzianismus und der Taoismus, ihre gemeinsamen Wurzeln hier haben. Ganz neues Licht ergießt sich von hier aus auf gar manches Geheimnis in den oft dunklen Gedankengängen des geheimnisvollen Alten und seiner Schüler ebenso wie auf manches, was in der konfuzianischen Tradition als festes Axiom sich vorfindet, das ohne weitere Untersuchung hingenommen wird.
Ja, nicht nur die Philosophie, auch die Naturwissenschaft und die Staatskunst Chinas haben immer wieder aus diesem Weisheitsborn geschöpft, und es ist kein Wunder, dass dieses Buch als einziges der alten Weisheitsschriften der Konfuzianer selbst der großen Bücherverbrennung des Tsin Schï Huang entging. Bis in den Alltag hinein ist das ganze chinesische Leben von seinen Einflüssen durchtränkt. Geht man durch die Straßen einer chinesischen Stadt, so sieht man nicht nur da und dort an einer Ecke einen Wahrsager an einem reinlich gedeckten Tisch mit Pinsel und Tafel sitzen, um aus dem alten Weisheitsbuch Rat und Auskunft zu erteilen für die kleinen Nöte des Lebens, sondern selbst die goldbemalten Firmenschilder, die als senkrechte, schwarzlackierte Holzbretter die Häuser zieren, sind mit Zeichen bedeckt, deren blumige Sprache immer und immer wieder an Gedanken und Zitate jenes Buchs erinnert. Selbst die Politik eines so modernen Staates wie Japan, die sich durch ihre kluge Vorsicht auszeichnet, verschmäht nicht, in schwierigen Lagen auf die Ratschläge des alten Weisheitsbuchs zurückzugreifen.
Der hohe Ruf der Weisheit, in dem das Buch der Wandlungen steht, hat es freilich mit der Zeit bewirkt, dass eine Menge geheimnisvoller Lehren, deren Ursprung in andern Gedankengängen liegt – vielleicht z.T. selbst solchen außerchinesischer Herkunft –, sich mit seinen Lehren verknüpft haben. Seit den Zeiten der Tsin- und Han-Dynastie kam immer mehr eine formelhafte Naturphilosophie auf, die mit einem System von Zahlensymbolen die ganze Welt des Denkbaren umklammerte und durch eine Kombination einer streng durchgeführten Yin-Yang-Lehre dualistischen Gepräges mit der Lehre von den fünf Wandelzuständen, die dem Buch der Urkunden entnommen wurde, die ganze Weltanschauung Chinas immer mehr in starre Formen presste.
So ist es denn gekommen, dass immer spitzfindigere kabbalistische Spekulationen das Buch der Wandlungen wie mit einer Wolke des Geheimnisvollen umgaben, und indem sie alles Vergangene und Künftige in ihr Zahlenschema einfingen, dem I Ging den Ruf eines Buchs voll unverständlicher Tiefe verschafften (...). Doch darf nicht verkannt werden, dass außer jener mechanischen Zahlenmystik auch zu allen Zeiten ein freier Fluss tiefer menschlicher Weisheit auf den Bahnen dieses Buchs in das praktische Leben sich ergoss und der großen chinesischen Kultur diese Reife abgeklärter Lebensweisheit gab, die wir heute fast wehmütig an den noch vorhandenen Überresten dieser letzten bodenechten Kultur bewundern.
Was ist nun das Buch der Wandlungen eigentlich? Um zu einem Verständnis des Buchs und seiner Lehren zu kommen, müssen wir das dichte Geranke von Erklärungen, die alles Mögliche von außen her in das Buch hineinerklären, energisch ablösen, ganz einerlei, ob es sich um die abergläubischen Geheimnisse alter chinesischer Zauberer oder um die nicht minder abergläubischen Theorien moderner europäischer Gelehrter handelt, die ihre bei primitiven Wilden gemachten Erfahrungen in alle historischen Kulturen hineininterpretieren. Als Grundsatz müssen wir hier festhalten, das Buch der Wandlungen aus sich selbst und seiner Zeit zu erklären. Da lichtet sich denn das Dunkel recht merklich, und wir kommen zu der Erkenntnis, dass das Buch der Wandlungen zwar ein sehr tiefes Buch ist, aber dem Verständnis keine größeren Schwierigkeiten bietet als irgendein Buch, das aus dem Altertum in einer langen Geschichte auf unsere Zeit gekommen ist.
Das Buch der Wandlungen war zunächst eine Sammlung von Zeichen für Orakelzwecke. Orakel wurden im Altertum allenthalben gebraucht, und die ursprünglichsten unter ihnen beschränkten sich auf die Antworten Ja und Nein. So liegt auch bei dem Buch der Wandlungen diese Orakelentscheidung zugrunde. Das »Ja« wurde durch einen einfachen ganzen Strich angedeutet, das »Nein« durch einen gebrochenen Strich. Schon sehr früh scheint jedoch das Bedürfnis zu einer größeren Differenzierung vorhanden gewesen zu sein, und aus den einfachen Strichen ergaben sich Kombinationen durch Verdoppelung, denen dann noch ein drittes Strichelement hinzugefügt wurde, wodurch die sogenannten acht Zeichen entstanden. Diese acht Zeichen wurden als Bilder dessen, was im Himmel und auf Erden vorging, aufgefasst. Dabei herrschte die Anschauung eines dauernden Übergangs des einen in das andere, ebenso wie in der Welt ein dauernder Übergang der Erscheinungen ineinander stattfindet. Hier haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind Zeichen wechselnder Übergangszustände, Bilder, die sich dauernd verwandeln. Worauf das Augenmerk gerichtet, war, waren nicht die Dinge in ihrem Sein – wie das im Westen hauptsächlich der Fall war –, sondern die Bewegungen der Dinge in ihrem Wechsel. So sind die acht Zeichen nicht Abbildungen der Dinge, sondern Abbildungen ihrer Bewegungstendenzen. Diese acht Bilder haben dann auch einen mannigfaltigen Ausdruck gefunden. Sie stellten gewisse Vorgänge in der Natur dar, die ihrem Wesen entsprachen. Sie stellten ferner eine Familie von Vater, Mutter, drei Söhnen, drei Töchtern dar, nicht in mythologischem Sinn, wie etwa der griechische Olymp von Göttern bevölkert ist, sondern ebenfalls in jenem sozusagen abstrakten Sinn, dass nicht Dinge, sondern Funktionen dargestellt werden. Gehen wir diese acht Symbole, wie sie dem Buch der Wandlungen zugrunde liegen, durch, so bekommen wir folgende Anordnung:
Wir haben somit in den Söhnen das bewegende Element in seinen verschiedenen Stadien: Anfang der Bewegung, Gefahr in der Bewegung, Ruhe und Vollendung der Bewegung. In den Töchtern haben wir das Element der Hingebung in seinen verschiedenen Stadien: Sanftes Eindringen, Klarheit und Anpassung, heitere Ruhe.
Um nun eine noch größere Mannigfaltigkeit zu gewinnen, wurden diese acht Bilder sehr früh schon kombiniert, wodurch man die Zahl von 64 Zeichen bekam. Diese 64 Zeichen bestehen nun je aus sechs positiven oder negativen Strichen. Diese Striche sind wandelbar gedacht. Sooft ein Strich sich wandelt, geht der durch ein Zeichen dargestellte Zustand in einen andern über. So haben wir z.B. das doppelte Zeichen Kun, das Empfangende, die Erde. Es stellt die Art der Erde dar, das kraftvoll Hingebende, im Lauf des Jahres den Spätherbst, da alle Lebenskräfte ruhen. Wandelt sich nun der unterste Strich, so bekommen wir das Zeichen Fu, die Wiederkehr. Es stellt den Donner dar, die Bewegung, die sich zur Sonnwendzeit in der Erde wieder regt, die Wiederkehr des Lichten.
Wie aus diesem Beispiel hervorgeht, müssen sich nicht alle Striche wandeln. Es hängt ganz davon ab, welchen Charakter der Strich hat. Ein Strich, der die positive Natur in der Steigerung enthält, schlägt um in sein Gegenteil, das Negative; dagegen bleibt ein positiver Strich von geringerer Stärke unverändert, und entsprechend ist es mit den negativen Strichen.
Darüber nun, welche Striche so stark mit positiver oder negativer Kraft geladen zu denken sind, dass sie sich bewegen, geben im zweiten Buch Kapitel IX des ersten Abschnitts der großen Abhandlung sowie der Sonderabschnitt über das Wahrsagen genaueren Aufschluss. Hier sei nur so viel gesagt, dass die sich bewegenden positiven Striche mit Neun die sich bewegenden negativen Striche mit Sechs bezeichnet werden, während die Striche, die ruhen und also nur als Aufbaumaterial des Zeichens ohne innere Sonderbedeutung dienen, durch eine Sieben bzw. Acht repräsentiert werden. Wenn es also im Text heißt: »Anfangs eine Neun bedeutet«, so heißt das: Wenn der positive Strich auf dem Anfangsplatz durch eine Neun repräsentiert wird, so bedeutet er folgendes:... – Wird er dagegen durch eine Sieben repräsentiert, so kommt er für das Orakel nicht in Betracht. Ebenso ist es mit den Sechsen und Achten. In unserem vorigen Beispiel haben wir das Zeichen Kun, das Empfangende, das sich folgendermaßen zusammensetzt:
Es bleiben also die fünf oberen Striche außer Betracht, und nur die Sechs zu Anfang hat eine selbständige Bedeutung. Durch ihre Umgestaltung geht der Zustand Kun, das Empfangende, in den Zustand Fu, die Wiederkehr, über.
Auf diese Weise also haben wir eine Reihe von symbolhaft ausgedrückten Zuständen, die durch die Bewegung ihrer Linien ineinander übergehen können (nicht müssen; denn wenn ein Zeichen sich nur aus Siebenen und Achten zusammensetzt, so bewegt es sich nicht, und nur sein Zustand als ganzer kommt in Betracht).
Zu dem Gesetz der Wandlung und den Bildern der Wandelzustände, wie sie durch die 64 Zeichen gegeben waren, kommt nun noch ein weiteres. Jede Situation verlangte eine besondere Handlungsweise, um sich ihr anpassen zu können. In jeder Situation war eine Handlungsweise richtig, eine andere falsch. Offenbar brachte die richtige Handlungsweise Glück, die falsche Unglück. Welche Handlungsweise ist nun in jedem Fall die richtige? Diese Frage war das Entscheidende. Sie ist es, die dazu geführt hat, aus dem I Ging mehr zu machen als ein gewöhnliches Wahrsagebuch. Wenn eine Kartenlegerin ihrer Kundin sagt, dass sie in acht Tagen einen Geldbrief aus Amerika bekommen werde, so kann diese nichts tun als warten, bis dieser Brief kommt – oder nicht. Es ist Schicksal, das verkündet wird, das unabhängig ist vom Tun und Lassen des Menschen. Darum bleibt alle Wahrsagung ohne moralische Bedeutung. Indem sich in China zum ersten Male jemand fand, der sich mit den Zukunft verkündenden Zeichen nicht zufrieden gab, sondern fragte: »Was soll ich tun?« geschah es, dass aus dem Wahrsagebuch ein Weisheitsbuch werden musste.
Dem König Wen, der ums Jahr 1000 v.Chr. lebte, und seinem Sohn, dem Herzog Von Dschou, war diese Wendung vorbehalten. Sie versahen die bisher stummen Zeichen und Linien, aus denen jeweils von Fall zu Fall die Zukunft divinatorisch erraten werden musste, mit klaren Ratschlägen für richtiges Handeln. Dadurch wurde der Mensch zum Mitgestalter des Schicksals; denn seine Handlungen griffen als entscheidende Faktoren ins Weltgeschehen ein, um so entscheidender, je früher man durch das Buch der Wandlungen die Keime des Geschehens erkennen konnte; denn auf die Keime kam es an. Solange die Dinge noch im Entstehen sind, können sie geleitet werden. Haben sie sich erst in ihren Folgen ausgewachsen, so werden sie zu übermächtigen Wesen, denen der Mensch machtlos gegenübersteht. So wurde denn das Buch der Wandlungen zu einem Wahrsagebuche ganz besonderer Art. Seine Zeichen und Linien bildeten in ihren Bewegungen und Wandlungen geheimnisvoll die Bewegungen und Wandlungen des Makrokosmos nach. Durch den Gebrauch der Schafgarbenstengel konnte man den Punkt erhalten, von dem eine Übersicht über die Verhältnisse möglich war. Hatte man die Übersicht, so gaben die Worte Auskunft über das, was man zu tun hatte, um der Zeit zu entsprechen.
Für unser modernes Empfinden ist hierbei nur die Methode, durch Abteilen von Schafgarbenstengeln die Situation zu erfahren, befremdlich. Dieser Vorgang wurde aber als ein geheimnisvoller betrachtet in der Weise, dass eben durch dieses Abteilen dem Unbewussten im Menschen die Möglichkeit verliehen wurde, sich zu betätigen. Nicht jedermann hat in gleicher Weise die Fähigkeit, das Orakel zu fragen. Es bedarf dazu eines klaren und ruhigen Gemüts, das empfänglich ist für die kosmischen Einwirkungen, die in den unscheinbaren Orakelstengeln verborgen sind, die als Produkte der Pflanzenwelt mit dem Urleben in besonderen Beziehungen standen. Sie entstammten heiligen Pflanzen.
1.Das Schöpferische ist der Himmel. Nr. 1
2.Himmel und Wind ist: das Entgegenkommen. Nr. 44
3.Himmel und Berg ist: der Rückzug. Nr. 33
4.Himmel und Erde ist: die Stockung. Nr. 12
5.Wind und Erde ist: die Betrachtung. Nr. 20
6.Berg und Erde ist: die Zersplitterung. Nr. 23
7.Feuer und Erde ist: der Fortschritt. Nr. 35
8.Feuer und Himmel ist: Besitz von Großem. Nr. 14
1.Das Abgründige ist das Wasser. Nr. 29
2.Wasser und See ist: die Beschränkung. Nr. 60
3.Wasser und Donner ist: die Anfangsschwierigkeit. Nr. 3
4.Wasser und Feuer ist: nach der Vollendung. Nr. 63
5.See und Feuer ist: die Umwälzung. Nr. 49
6.Donner und Feuer ist: die Fülle. Nr. 55
7.Erde und Feuer ist: die Verfinsterung des Lichts. Nr. 36
8.Erde und Wasser ist: das Heer. Nr. 7
1.Das Stillehalten ist der Berg. Nr. 52
2.Berg und Feuer ist: die Anmut. Nr. 22
3.Berg und Himmel ist: des Großen Zähmungskraft. Nr. 26
4.Berg und See ist: die Minderung. Nr. 41
5.Feuer und See ist: der Gegensatz. Nr. 38
6.Himmel und See ist: das Auftreten. Nr. 10
7.Wind und See ist: Innere Wahrheit. Nr. 61
8.Wind und Berg ist: die Entwicklung. Nr. 53
1.Das Erregende ist der Donner. Nr. 51
2.Donner und Erde ist: die Begeisterung. Nr. 16
3.Donner und Wasser ist: die Befreiung. Nr. 40
4.Donner und Wind ist: die Dauer. Nr. 32
5.Erde und Wind ist: das Empordringen. Nr. 46
6.Wasser und Wind ist: der Brunnen. Nr. 48
7.See und Wind ist: des Großen Übergewicht. Nr. 28
8.See und Donner ist: die Nachfolge. Nr. 17
1.Das Sanfte ist der Wind. Nr. 57
2.Wind und Himmel ist: des Kleinen Zähmungskraft. Nr. 9
3.Wind und Feuer ist: die Sippe. Nr. 37
4.Wind und Donner ist: die Mehrung. Nr. 42
5.Himmel und Donner ist: die Unschuld. Nr. 25
6.Feuer und Donner ist: das Durchbeißen. Nr. 21
7.Berg und Donner ist: die Mundwinkel. Nr. 27
8.Berg und Wind ist: die Arbeit am Verdorbenen. Nr. 18
1.Das Haftende ist das Feuer. Nr. 30
2.Feuer und Berg ist: der Wanderer. Nr. 56
3.Feuer und Wind ist: der Tiegel. Nr. 50
4.Feuer und Wasser ist: vor der Vollendung. Nr. 64
5.Berg und Wasser ist: die Jugendtorheit. Nr. 4
6.Wind und Wasser ist: die Auflösung. Nr. 59
7.Himmel und Wasser ist: der Streit. Nr. 6
8.Himmel und Feuer ist: die Gemeinschaft mit Menschen. Nr. 13
1.Das Empfangende ist die Erde. Nr. 2
2.Erde und Donner ist: die Wiederkehr. Nr. 24
3.Erde und See ist: die Annäherung. Nr. 19
4.Erde und Himmel ist: der Friede. Nr. 11
5.Donner und Himmel ist: des Großen Macht. Nr. 34
6.See und Himmel ist: der Durchbruch. Nr. 43
7.Wasser und Himmel ist: das Warten. Nr. 5
8.Wasser und Erde ist: das Zusammenhalten. Nr. 8
1.Das Heitere ist der See. Nr. 58
2.See und Wasser ist: die Bedrängnis. Nr. 47
3.See und Erde ist: die Sammlung. Nr. 45
4.See und Berg ist: die Einwirkung. Nr. 31
5.Wasser und Berg ist: das Hemmnis. Nr. 39
6.Erde und Berg ist: die Bescheidenheit. Nr. 15
7.Donner und Berg ist: des Kleinen Übergewicht. Nr. 62
8.Donner und See ist: das heiratende Mädchen. Nr. 54
Im alten I Ging wurden Stengel der Schafgarbe geworfen, um die Bilder zu erzeugen. Behelfsweise kann man das Orakel mit sechs Würfen von drei gleichen Münzen oder anderen Symbolen befragen. Der Wert jedes Wurfs wird notiert, aus diesen Zahlen ergibt sich das Hexagramm für die Antwort des Orakels. Ein Hexagramm mit Wandlungssymbolen gibt zwei Antworten.
Beispielwürfe mit drei Pfennigstücken
Kopf zählt 2 Punkte
Zahl zählt 3 Punkte
Jede Punktzahl (mögliche Zahlen sind 6, 7, 8, 9) entspricht einem Symbol.
1. Wurf
6 Punkte
Symbol: altes Ying
2. Wurf
7 Punkte
Symbol: junges Yang
3. Wurf
8 Punkte
Symbol: junges Ying
4. Wurf
9 Punkte
Symbol: altes Yang
5. Wurf
8 Punkte
Symbol: junges Ying
6. Wurf
6 Punkte
Symbol: altes Ying
Das erzeugte Beispielhexagramm sieht also so aus:
6
8
9
8
7
6
Wenn ein Hexagramm die Wandlungssymbole ( oder ) enthält, kann ein zweites (Wandlungs-) Hexagramm daraus erzeugt werden.
Dabei verwandelt sich
(= ) in und
(= ) in
Das Orakel gibt also manchmal zwei Antworten auf eine Frage; in unserem Beispiel ergeben sich zwei Bedeutungen:
Zur Befragung des Orakles wird in der Tabelle (siehe unten) die erste Dreiergruppe jeweils in der Waagerechten, und die zweite in der Senkrechten gesucht. In unserem Beispiel ergäbe sich 40. HIE / DIE BEFREIUNG bzw. 41. SUN / DIE MINDERUNG
oben Kien, das Schöpferische, der Himmel
unten Kien, das Schöpferisch, der Himmel
Das Zeichen besteht aus sechs ungeteilten Strichen. Die ungeteilten Striche entsprechen der lichten, starken, geistigen, tätigen Urkraft. Das Zeichen ist ganz einheitlich stark in seiner Natur. Da ihm keinerlei Schwäche anhaftet, ist es seiner Eigenschaft nach die Kraft. Sein Bild ist der Himmel. Die Kraft wird dargestellt als nicht gebunden an bestimmte räumliche Verhältnisse. Darum wird sie aufgefaßt als Bewegung. Als Grundlage dieser Bewegung kommt die Zeit in Betracht. So ist denn auch die Macht der Zeit und die Macht des Beharrens in der Zeit, die Dauer, in dem Zeichen begriffen.
Bei der Erklärung des Zeichens ist durchgehend eine doppelte Deutung zu berücksichtigen: die makrokosmische und die Wirkung in der Menschenwelt. Auf das Weltgeschehen angewandt ist in dem Zeichen das starke schöpferische Wirken der Gottheit ausgedrückt. Auf die Menschenwelt angewandt bezeichnet es das schöpferische Wirken des Heiligen und Weisen, des Herrschers und Führers der Menschen, der ihr höheres Wesen durch seine Kraft weckt und entwickelt . (Das Zeichen ist dem 4- Monat (Mai-Juni) zugeordnet, wenn die lichte Kraft auf ihrer Höhe steht, noch ehe die Sonnenwende den Rückgang des Jahres beginnt.)
Das Schöpferische wirkt erhabenes Gelingen,
fördernd durch Beharrlichkeit
Dem ursprünglichen Sinne nach gehören die Eigenschaften paarweise zusammen. Für den, der dies Orakel gewinnt, bedeutet das, daß ihm Gelingen aus den Urtiefen des Weltgeschehens zuteil werden wird und daß alles darauf ankommt, daß er allein durch Beharrlichkeit im Rechten sein und anderer Glück sucht.
Sehr früh hat sich das Nachdenken den vier Eigenschaften in ihrer Sonderbedeutung zugewandt. Das chinesische Wort, das mit «erhaben» wiedergegeben ist bedeutet «Haupt, Ursprung, groß». Darum heißt es in der Erklärung des Kungtse:: «Groß wahrlich ist die Ursprungskraft des Schöpferischen, alle Wesen verdanken ihm ihren Anfang. Und diese Kraft durchdringt den ganzen Himmel.» Denn diese erste Eigenschaft geht auch durch die drei andern hindurch.
Der Anfang aller Dinge liegt sozusagen noch im Jenseitigen in der Form von Ideen, die erst zur Verwirklichung kommen müssen. Aber im Schöpferischen liegt auch die Kraft, diesen Urbildern der Ideen Gestalt zu verleihen. Das wird in dem Wort «Gelingen» bezeichnet. Dieser Vorgang wird dargestellt unter einem Bild der Natur (Vgl. Genesis Kap. z, I ff., wo auch die Entfaltung des Einzelwesen auf das Fallen des Regens zurückgeführt wird.)
«Die Wolken gehen, und der Regen wirkt, und alle einzelnen Wesen strömen in ihre Gestalt ein.» Auf das menschliche Gebiet übertragen zeigen diese Eigenschaften dem großen Mann den Weg zu großem Erfolg: «Indem er in großer Klarheit die Ursachen und Wirkungen schaut, vollendet er zur rechten Zeit die sechs Stufen und steigt zur rechten Zeit auf ihnen wie auf sechs Drachen empor zum Himmel.» Die sechs Stufen sind die sechs Einzelpositionen des Zeichens, die weiter unten unter dem Bild von Drachen dargestellt werden. Als Weg zum Erfolg ist hier das Erkennen und Verwirklichen des Weltsinnes bezeichnet, der als durchlaufendes Gesetz durch Ende und Anfang alle zeitlich bedingten Erscheinungen bewirkt. So wird jede erreichte Stufe zugleich die Vorbereitung für die nächste, und die Zeit ist dann kein Hemmnis mehr, sondern das Mittel der Verwirklichung des Möglichen.
Nachdem durch die beiden Eigenschaften erhaben und Gelingen der Schöpfungsakt zum Ausdruck kam, wird im Anschluß an die beiden Ausdrücke «fördernd», d. h. wörtlich «schaffend, was das dem Wesen Entsprechende ist»,und «beharrlich», d.h. wörtlich «recht und fest», das Werk der Erhaltung als fortlaufend sich verwirklichende Ausgestaltung aufgezeigt. «Der Lauf des Schöpferischen verändert und gestaltet die Wesen, bis jedes seine rechte, ihm bestimmte Natur erlangt, dann bewahrt er sie in Übereinstimmung mit dem großen Gleichmaß. So zeigt er sich fördernd durch Beharrlichkeit.»
Auf das menschliche Gebiet übertragen ergibt sich hieraus, wie der große Mann durch seine ordnende Tätigkeit der Welt Frieden und Sicherheit bringt: «Indem er sich mit seinem Haupt erhebt über die Menge der Wesen, kommen alle Lande zusammen in Ruhe.»
Eine andere Spekulation geht mit der Trennung der Worte «erhaben, Gelingen, fördernd, beharrlich» noch weiter und setzt sie in Parallele mit den vier menschlichen Kardinaltugenden: Der «Erhabenheit», die zugleich als Grundprinzip alle andern Eigenschaften einschließt, wird die Liebe zugeordnet. Der Eigenschaft «Gelingen» wird die Sitte zugeordnet, die die Äußerungen der Liebe ordnet, organisiert und darum erfolgreich macht. Der Eigenschaft «fördernd» wird die Gerechtigkeit zugeordnet, die Zustände schafft, in denen jeder das seinem Wesen Entsprechende, was ihm gebührt und sein Glück ausmacht, erhält. Der Eigenschaft der «Beharrlichkeit» wird die Weisheit zugeordnet, die die festen Gesetze alles Geschehens erkennt und darum dauernde Zustände zu schaffen vermag.
Diese Spekulationen, die schon in dem Aufsatz Wen Yen im zweiten Teil des Buchs der Wandlungen angeregt sind, haben dann die Brücke gebildet, auf der die Philosophie der fünf Wandlungsstufen (Elemente) die im Buch der Urkunden verankert ist, mit der Philosophie des Buchs der Wandlungen, die rein auf der polaren Zweiheit von positiven und negativen Prinzipien beruht, kombiniert wurde, wodurch dann im Lauf der Zeit einer immer weiter gehenden Zahlensymbolik die Tür geöffnet wurde .
(Das Schöpferische bewirkt Anfang und Zeugung aller Wesen. Man kann es daher bezeichnen als Himmel. lichte Kraft, Vater, Herr. Es ist nun eine Frage, ob das Schöpferische im Chinesischen persönlich gedacht ist wie Zeus bei den Griechen. Die Antwort lautet, daß dieses Problem für das Chinesentum gar nicht das Wichtigste isr. Das Göttlich-Schöpferische ist sozusagen überpersönlich. Es macht sich nur fühlbar und bemerkbar durch seine übermächtige Aktivität. Wohl hat es sozusagen ein Äußeres, das ist der Himmel. Und der Himmel hat wie Das Lebende ein seelisches Selbstbewußtsein, das ist Gott (der höchste Herrscher). Allein ganz objektiv redet man von dem allen als dem Schöpferischen.)
Des Himmels Bewegung ist kraftvoll.
So macht der Edle sich stark und unermüdlich
Die Verdoppelung des Zeichens Kien, dessen Bild der Himmel ist, deutet, da es nur einen Himmel gibt, auf die Bewegung des Himmels. Eine vollendete Kreisbewegung des Himmels ist ein Tag. Die Verdoppelung des Zeichens bedeutet, daß auf jeden Tag ein weiterer folgt. Das erzeugt die Vorstellung der Zeit und zugleich, da es derselbe Himmel ist, der sich in unermüdlicher Kraft bewegt, der kraftvollen Dauer in und über der Zeit, einer Bewegung, die nie stillsteht oder erlahmt, wie Tag um Tag einander dauernd folgen. Diese Dauer in der Zeit ist das Bild der Kraft, wie sie dem Schöpferischen zu eigen ist.
Der Weise entnimmt daraus das Vorbild dafür, wie er sich zu dauernder Wirkung zu entwickeln vermag. Er muß sich ganz einheitlich stark machen. indem er alles Niederziehende. Gemeine bewußt ausschaltet. So gewinnt er die Unermüdlichkeit, die auf geschlossenen Tätigkeitskreisen beruht
Anfangs eine Neun bedeutet:
Verdeckter Drache, handle nicht!
Der Drache hat in China eine ganz andere Bedeutung als in der westlichen Auffassung. Der Drache ist das Symbol der beweglich-elektrischen, starken, anregenden Kraft, die sich im Gewitter zeigt. Diese Kraft zieht sich im Winter in die Erde zurück, tritt im Frühsommer wieder in Wirkung und erscheint am Himmel als Blitz und Donner. Infolge davon regen sich dann auf der Erde auch die schöpferischen Kräfte wieder.
Hier ist diese schöpferische Kraft noch verdeckt unterhalb der Erde und hat daher noch keine Wirkung. Das bedeutet, auf menschliche Verhältnisse übertragen, daß ein bedeutender Mensch noch unerkannt ist. Aber er bleibt sich darum dennoch selber treu. Er läßt sich von äußerem Erfolg und Mißerfolg nicht beeinflussen, sondern wartet stark und unbekümmert seine Zeit ab.
So gilt es für den, der diesen Strich zieht, zu warten in ruhig starker Geduld. Die Zeit wird sich schon erfüllen. Man braucht nicht zu fürchten, daß ein starker Wille sich nicht durchsetzt. Doch gilt es, seine Kraft nicht voreilig auszugeben und etwas erzwingen zu wollen, das noch nicht an der Zeit ist.
Neun auf zweitem Platz bedeutet:
Erscheinender Drache auf dem Feld.
Fördernd ist es, den großen Mann zu sehen.
Hier beginnen die Wirkungen der lichten Kraft sich zu zeigen. Auf menschliche Verhältnisse übertragen bedeutet das, daß der große Mann auf dem Felde seiner Tätigkeit erscheint. Noch hat er keine herrschende Stellung, sondern ist noch unter Seinesgleichen. Aber was ihn vor andern auszeichnet, ist sein Ernst, seine unbedingte Zuverlässigkeit, der Einfluß, den er ohne bewußte Anstrengung auf seine Umgebung ausübt. Ein solcher Mensch ist dazu bestimmt, großen Einfluß zu bekommen und die Welt in Ordnung zu bringen. Darum ist es fördernd, ihn zu sehen.
Neun auf drittem Platz bedeutet:
Der Edle ist den ganzen Tag schöpferisch tätig.
Des Abends noch ist er voll innerer Sorge.
Gefahr. Kein Makel.
Ein Wirkungskreis eröffnet sich für den bedeutenden Mann. Sein Ruhm beginnt sich auszubreiten. Die Massen fallen ihm zu. Seine innere Kraft ist der gesteigerten äußeren Tätigkeit gewachsen. Es gibt alle Hände voll zu tun, und selbst abends noch, da andere ruhen, drängen sich die Pläne und Sorgen. Eine Gefahr ist hier vorhanden am Platz des Überganges aus der Niedrigkeit in die Höhe. Schon mancher große Mann ging dadurch zugrunde, daß die Massen ihm zueilen und ihn mitrissen in ihre Bahnen hinein. Ehrgeiz verdarb die innere Reinheit. Aber wahre Größe wird durch Versuchungen nicht beeinträchtigt. Wenn man in Fühlung bleibt mit den Keimen der neuen Zeit und ihren Forderungen, so besitzt man genügende Vorsicht, sich vor Abwegen zu hüten, und bleibt ohne Makel.
Neun auf viertem Platz bedeutet:
Schwankender Aufschwung über die Tiefe.
Kein Makel.
Hier ist die Stelle des Übergangs erreicht, wo die Freiheit sich betätigen kann. Eine doppelte Möglichkeit liegt vor dem bedeutenden Mann: entweder sich aufzuschwingen und im großen Leben maßgebend zu sein oder sich zurückzuziehen und in der Stille seine Persönlichkeit auszubilden: der Weg des Helden oder des verborgenen Heiligen. Welches der richtige ist, darüber gibt es kein allgemeines Gesetz. Jeder, der in solcher Lage ist, muß nach den innersten Gesetzen seines Wesens sich frei entscheiden. Wenn er ganz wahr und folgerichtig handelt, so findet er den Weg, der ihm entspricht, und dieser Weg ist für ihn recht und ohne Makel.
Neun auf fünftem Platz bedeutet:
Fliegender Drache am Himmel.
Fördernd ist es, den großen Mann zu sehen.
Hier ist der große Mann in der Sphäre der Himmlischen angelangt. Sein Einfluß erstreckt sich weithin sichtbar über die ganze Welt. Jeder, der ihn sieht, kann sich selig preisen. Kungtse sagt darüber: «Was im Ton übereinstimmt, schwingt miteinander. Was wahlverwandt ist im innersten Wesen, das sucht einander. Das Wasser fließt zum Feuchten hin, das Feuer wendet sich dem Trockenen zu. Die Wolken (des Himmels Atem) folgen dem Drachen, der Wind (der Erde Atem) folgt dem Tiger. So erhebt sich der Weise und alle Wesen blicken nach ihm. Was vom Himmel stammt, fühlt sich verwandt mit dem was droben ist. Was von der Erde stammt, fühlt sich verwandt mit dem, was drunten ist. Jedes folgt seiner Art.»
Oben eine Neun bedeutet:
Hochmütiger Drache wird zu bereuen haben.
Wenn man so hoch emporsteigen will, daß man die Fühlung mit den übrigen Menschen verliert, so wird man vereinsamt, und das führt notwendig zu Mißerfolg. Hier liegt eine Warnung gegen ein titanisches Emporstreben, das über die Kraft geht. Ein Sturz zur Tiefe würde die Folge sein.
Wenn lauter Neunen erscheinen, bedeutet das:
Es erscheint eine Schar von Drachen ohne Haupt. Heil
Wenn alle Linien Neunen sind, so kommt das ganze Zeichen in Bewegung und verwandelt sich in das Zeichen Kun, das Empfangende, dessen Charakter die Hingebung ist. Die Stärke des Schöpferischen und die Milde des Empfangenden vereinen sich. Das Starke ist angedeutet durch die Schar der Drachen, das Milde durch den Umstand, daß ihre Häupter verborgen sind. Das bedeutet: Milde in der Handlungsweise verbunden mit Stärke des Entschlusses bringt Heil.
oben Kun, das Empfangende, die Erde
unten Kun, das Empfangende, die Erde
Das Zeichen besteht aus lauter geteilten Linien. Die geteilte Linie entspricht der schattigen, weichen, rezeptiven Urkraft des Yin. Die Eigenschaft des Zeichens ist die Hingebung, sein Bild ist die Erde. Es ist das vollkommene Gegenstück zu dem Schöpferischen, das Gegenstück, nicht der Gegensatz; eine Ergänzung keine Bekämpfung. Es ist die Natur gegenüber dem Geist, die Erde gegenüber dem Himmel, das Räumliche gegenüber dem Zeitlichen, das Weiblich-Mütterliche gegenüber dem Männlichen-Väterlichen. Der Grundsatz dieses Gegenstückes findet sich aber, auf menschliche Verhältnisse übertragen, nicht nur in den Beziehungen zwischen Mann und Weib, sondern auch von Fürst und Minister oder Vater und Sohn; ja selbst in den einzelnen Menschen ist diese Zweiheit in dem Zusammensein von Geistigem und Sinnlichem.
Dennoch kann von einem eigentlichen Dualismus nicht geredet werden denn es besteht zwischen den beiden Zeichen das Verhältnis einer klaren Rangordnung. An sich ist natürlich das Empfangende ebenso wichtig wie das Schöpferische. Aber dadurch die Eigenschaft der Hingebung ist die Stellung dieser Urkraft, dem Schöpferischen gegenüber bezeichnet. Sie muß0 unter der Leitung und Anregung des Schöpferischen sein, dann wirkt sie heilvoll. Nur wenn sie aus dieser Stellung heraustritt und dem Schöpferischen ebenbürtig zur Seite treten will, wird sie böse. Daraus ergibt sich dann Gegensatz und Kampf gegen das Schöpferische, der für beide Teile unheilvoll wirkt.
Das Empfangende wirkt erhabenes Gelingen,
fördernd durch die Beharrlichkeit einer Stute.
Hat der Edle etwas zu unternehmen und will voraus,
so geht er irre; doch folgt er nach, so findet er Leitung.
Fördernd ist es, im Westen und Süden Freunde zu finden,
im Osten und Norden der Freunde zu entraten.
Ruhige Beharrlichkeit bringt Heil.
Die vier Grundrichtungen des Schöpferischen: »erhabenes Gelingen, fördernd durch Beharrlichkeit« finden sich auch als Bezeichnung des Empfangenden. Nur ist die Beharrlichkeit näher definiert als die Beharrlichkeit einer Stute. Das Empfangende bezeichnet die räumliche Wirklichkeit gegenüber der geistigen Möglichkeit des Schöpferischen. Wenn das Mögliche wirklich wird, das Geistige räumlich, so geschieht das immer durch eine einschränkende, individuelle Bestimmung. Das ist bezeichnet dadurch, daß hier dem Ausdruck »Beharrlichkeit« die nähere Bestimmung »einer Stute« beigefügt ist. Das Pferd gehört zur Erde wie der Drache zum Himmel, es symbolisiert durch seine unermeßliche Bewegung über die Ebene hin die Weiträumigkeit der Erde. Der Ausdruck »Stute« ist gewählt, weil die Stute die Kraft und Schnelligkeit des Pferdes mit der Sanftheit und Hingebung der Kuh vereinigt.
Die Natur kann nur darum, weil sie dem Wesen des Schöpferischen gewachsen ist, dessen Anregungen verwirklichen. Ihr Reichtum besteht darin, daß sie alle Wesen ernährt, und ihre Größe, daß sie alles verschönt und herrlich macht. So schafft sie Gedeihen für alles Lebendige. Während das Schöpferische die Dinge zeugt, werden sie vom Empfangenden geboren (Es findet sich hier ein ähnliche Auffassung, wie Goethe sie in den Versen ausdrückt:
So schauet mit bescheidenem Blick
Der ewigen Weberin Meisterstück,
Wie Tritt tausend Fäden regt;
Die Schifflein hinüber herüber schießen,
Die Fäden sich begegnend fließen,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt;
Das hat sie nicht zusammengebettelt,
Sie hat´s von Ewigkeit angezettelt,
Damit der ewige Meistermann
Getrost den Einschlag werden kann.)
Auf menschliche Verhältnisse übertragen, handelt es sich darum, der Lage entsprechen sich zu verhalten. Man ist nicht in selbständiger Stellung, sondern als Gehilfe tätig. Da gilt es, etwas zu leisten . Nicht führen zu wollen - dadurch verirrte man sich nur - , sondern sich führen zu lassen, ist die Aufgabe. Wenn man es versteht, dem Schicksal gegenüber sich hingebend zu verhalten, so findet man sicher eine entsprechende Leitung. Der Edle läßt sich leiten. Er geht nicht blindlings voran, sonder er entnimmt den Verhältnissen, was von ihm verlangt wird, und folgt dieser Weisung des Schicksals.
Da man etwas leisten soll, bedarf man der Gehilfen und Freunde zu Zeit der Arbeit und Anstrengung, wenn die Gedanken, die ausgeführt werden sollen, schon festliegen. Die Zeit der Arbeit und Anstrengung wird durch den Westen und Süden ausgedrückt. Denn der Süden und Westen ist das Symbol für den Ort, da das Empfangende für das Schöpferische arbeitet - wie die Natur im Sommer und Herbst - ; wenn man da nicht alle Kräfte zusammenfaßt, wird man nicht fertig mit der Arbeit, die man zu leisten hat. Darum bedeutet hier, Freunde zu bekommen, eben ,daß man Leistung findet. Aber außer der Arbeit und Anstrengung gibt es auch eine Zeit des Planens und Ordnens; da bedarf´s der Einsamkeit. Der Osten symbolisiert den Ort, da man die Aufträge von seinem Herrn erhält , und der Norden den Ort da man über das Geleistete berichtet. Da gilt es allein und sachlich zu sein. In dieser Heiligen Stunde muß man der Genossen entraten, damit nicht durch der Parteien Haß und Gunst die Reinheit getrübt wird.
Ebenso wie es nur einen Himmel gibt, gibt es auch nur eine Erde. Während aber beim Himmel die Verdoppelung des Zeichens zeitliche Dauer bedeutet, bedeutet sie bei der Erde die räumliche Ausdehnung und Festigkeit, mit der sie alles, was da lebt und webt, trägt und erhält. Die Erde in ihrer Hingebung trägt ohne Ausnahme Gut und Böse. So macht der Edle seinen Charakter weiträumig, gediegen und tragfähig, so daß er Menschen und Dinge zu tragen und ertragen vermag.
Anfangs eine Sechs bedeutet:
Tritt man auf Reif, so naht das feste Eis
Wie die lichte Kraft das Leben darstellt, so die schattige Kraft den Tod. Im Herbst, wenn der Frühreif fällt , ist die Kraft des Dunkels und der Kälte erst in der Entfaltung. Nach den ersten Spuren werden sich nach festen Gesetzen die Äußerungen des Todes allmählich mehren, bis schließlich der starre Winter mit seinem Eis da ist.
Genau so geht es im Leben. Wenn sich leise, kaum merkliche Zeichen des Verfalls zeigen so geht es weiter, bis schließlich der Untergang da ist. Aber im Leben kann man vorbeugen, wenn man die Anzeichen des Verfalls beachtet und ihnen rechtzeitig entgegentritt.
Sechs auf zweitem Platz bedeutet:
Gerade, rechtwinklig, groß.
Ohne Absicht bleibt doch nichts ungefördert.
Der Himmel hat als Symbol en Kreis, die Erde das rechtwinklige Quadrat. Somit ist das Rechtwinklige eine ursprüngliche Eigenschaft der Erde. Dagegen ist die geradlinige Bewegung ursprünglich eine Eigenschaft des Schöpferischen, ebenso wie die Größe. Aber alle rechtwinkligen Dinge haben ihre Wurzel in der geraden Linie und bilden ihrerseits wieder körperliche Größen. Wenn man in der Mathematik Linien, Flächen und Körper unterscheidet, so ergebe sich aus geraden Linien rechtwinklige Flächen und aus rechtwinkligen Flächen kubische Größen, Das Empfangende richtet sich nach den Eigenschaften des Schöpferischen und macht sie zu seinen eigenen. So wird aus einer Geraden ein Quadrat und aus einem Quadrat ein Würfel. Das ist die Einfache Hingebung an die Gesetzt des Schöpferischen ohne etwas davon oder dazuzutun. Darum bedarf es für das Empfangende nicht einer besonderen Absicht oder Anstrengung, und alles wird recht.
Die Natur erzeugt die Wesen ohne Falsch, das ist ihre Geradheit; sie ist ruhig und still, das ist ihre Rechtwinkligkeit; sie weigert sich nicht, irgendein Wesen zu dulden, das ist ihre Größe. Darum erreicht sie ohne äußeres Machen oder besonders Absichten für alle das Rechte. Für den Menschen bedeutet es höchste Weisheit, in seinem Wirken so selbstverständlich zu werden wie die Natur.
Sechs auf drittem Platz bedeutet:
verborgene Linien; man vermag beharrlich zu bleiben.
Folgst du etwa eines Königs Diensten,
so such nicht Werke, aber vollende !
Wenn man frei von Eitelkeit ist, so vermag man seine Vorzüge so zu verdecken, daß sie nicht vorzeitig die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen. So kann man in der Stille reifen. Wenn es die Verhältnisse erfordern, so mag man auch in die Öffentlichkeit hervortreten, aber auch dann zurückhaltend. Der Weise wird den Ruhm gern andern lassen. Er sucht nicht fertige Tatsachen, die ihm als Verdienste angerechnet werden. wohl aber erhofft er wirkende Ursachen, d.h. er vollendet die Werke so, daß sie für die Zukunft fruchtbringend sind.
Sechs auf viertem Platz bedeutet:
Zugebundener Sack. Kein Makel; Kein Lob.
Das Schattige öffnet sich , wenn es sich bewegt, und schließt sich , wenn es ruht. Hier ist die strengste Verschlossenheit gezeichnet. Die Zeit ist gefährlich: Jedes Hervortreten führt entweder zur Feindschaft übermächtiger Gegner, wenn man sie bekämpfen wollt, oder zu mißverstandener Anerkennung, wenn man sich läßlich gäbe. So gilt es, sich zu verschließen, sei es in der Einsamkeit oder im Weltgetriebe: denn auch da kann man sich so gut verbergen, daß niemand einen kennt.
Sechs auf fünftem Platz bedeutet:
Gelbes Untergewand bringt erhabenes Heil.
Gelb ist die Farbe der Erde und der Mitte, das Symbol des Zuverlässigen und Echten. Das Untergewand ist unauffällig verziert, das Symbol vornehmer Zurückhaltung. Wenn jemand zu wirken berufen ist an hervorragender, doch nicht unabhängiger Stellung, so beruht der wahre Erfolg auf der höchsten Diskretion. Die Echtheit und Feinheit darf nicht direkt hervortreten, sondern nur als Wirkung von innen her sich mittelbar äußern.
Oben eine Sechs bedeutet:
Drachen kämpfen auf dem Anger.
Ihr Blut ist schwarz und gelb
Auf dem obersten Platz sollte das Schattige dem Lichten weichen. Will es sich auf dem Platz, der ihm nicht gebührt, behaupten, und statt zu dienen, herrschen, so zieht es sich den Zorn des Starken zu. Es kommt zum Kampf, in dem es gestürzt wird, in dem jedoch beide Teile zu Schaden kommen.
Der Drache, das Symbol des Himmels, kommt herbei und bekämpft den falschen Drachen, zu dessen Bilde hier das Irdische sich gesteigert hat. Schwarzblau ist die Farbe des Himmels, Gelb ist die Farbe der Erde. Wenn also schwarzes und gelbes Blut fließt, so ist das ein Zeichen, daß durch diesen unnatürlichen Kampf beide Grundkräfte Schaden leiden.
(* Während die oberste Linie des Schöpferischen Titanenstolz zeigt und eine Parallele bildet zur griechischen Sage des Ikarus, ist in der obersten Linie das. Empfangende eine Parallele zum Mythos von Luzifer, der sich gegen die oberste Gottheit empört, oder zu dem Kampf der dunklen Mächte gegen die Götter Walhalls. der mit der Götterdämmerung endet.)
Wenn lauter Sechsen erscheinen, bedeutet das:
Fördernd ist dauernde Beharrlichkeit.
Wenn lauter Sechsen erscheinen, verwandelt sich das Zeichen des Empfangenden in das Zeichen des Schöpferischen. Es gewinnt so die Kraft der Dauer im Festhalten des Rechten. Es gibt zwar keinen Fortschritt, aber auch keinen Rückschritt.