»Was immer sein Geheimnis sein mag: Um ihn sammelt sich eine Gemeinde, wo und wofür und wogegen er auch auftritt, spontan und mit einer unaufhaltsamen Dynamik. Er könnte eine Kirche gründen.« (Klaus Harpprecht in Die Zeit)
Hanns Dieter Hüsch (1925–2005) war Schriftsteller, Kabarettist, Liedermacher, Schauspieler, Synchronsprecher und Rundfunkmoderator. Mit über 53 Jahren auf deutschsprachigen Kabarettbühnen und 70 eigenen Programmen gilt er als einer der produktivsten und erfolgreichsten Vertreter des literarischen Kabaretts im Deutschland des 20. Jahrhunderts.
Herausgegeben anlässlich seines 90. Geburtstags am 6. Mai 2015 von Helmut Lotz
Ich sing für die Verrückten
Die poetischen Texte
Denn in jeder Leiche ist ein Kind versteckt
Die kabarettistischen Texte
… so dass sich die Landpfleger sehr verwundern
Die politischen Texte
Ich habe nichts mehr nachzutragen
Die christlichen Texte
Das Gemüt is ausschlaggebend. Alles andere is dumme Quatsch
Die Niederrhein-Texte
… dass die Erziehung seiner Kinder eine völlig verfahrene war
Die Hagenbuch-Texte
Gemacht aus Bauern- und Beamtenschwäche
Die autobiografischen Texte
… am allerliebsten ist mir eine gewisse Herzensbildung
Die Interviews
Hanns Dieter Hüsch
Ich habe nichts mehr
nachzutragen
Die christlichen Texte
Das literarische Werk, Band 4
Mit einem Vorwort
von Joachim Kosack
Edition diá
Vorwort
Die christlichen Texte
Editorische Notiz
Textverzeichnis
Impressum
Die einen sagen, es läge am Geld
Die andren sagen, es wäre die Welt
Sie läg in den falschen Händen
Jeder weiß besser, woran es liegt.
Doch es hat noch niemand den Hass besiegt
Ohne ihn selbst zu beenden.
Der Plattenschrank meiner Eltern war Anfang der 1970er Jahre alphabetisch korrekt aufgeräumt. Und hinter Händels »Messias« und Haydns »Schöpfung« stieß ich als – ich glaube – gerade mal Siebenjähriger auf Hüsch. Da war ein komisches Cover mit einem lustigen Gesicht, gemalt wie eine Karikatur, und drüber stand »Typisch Hüsch«. Die Platte legte ich auf und fand sie irgendwie interessant. Mal was anderes als Winnetou. Die Stimme kannte ich aus den Stummfilmen, die das ZDF freitags zeigte, mit das Einzige, was ich im Fernsehen schauen durfte. Deshalb fand ich es lustig, aber auch warm, und die Musik mochte ich ebenfalls, konnte man schnell mitsingen. Viel verstand ich natürlich am Anfang nicht, aber so etwas wie
Dass einige mächtig und die anderen ohnmächtig sind
Kann man damit erklären
Dass einige verschlagen und die anderen die
Geschlagenen sind
leuchtete mir irgendwie ein. Und mehr oder minder in einer evangelischen Kirche aufgewachsen, konnte ich mich über Texte wie »Kirche«
Gestern noch Inquisition,
Heute können auch Ungläubige in der Kirche Kaffee kochen
amüsieren. Oder auch über das »Wort zum Sonntag«, das ich gerne selber im Familienkreis vortrug:
Möge, der du sein werdest,
dann siehst du, was du sein dürftest.
Guten Abend.
Dass das alles christlich geprägte Texte eines gläubigen Menschen waren, begriff ich zunächst nicht. Denn da gab es ja auch all die anderen Texte über den Krieg, über den Niederrhein, über Frieda und den Wilden Westen und über Arbeiter, die jede Nacht um zwei Uhr aufstehen müssen.
In einem Vorwort zu einem seiner Bücher sagt Hüsch, lange Zeit sei ihm nicht bewusst gewesen, wie christlich geprägt sein Werk von Anfang an war. Er selber konnte im Nachhinein nicht beschreiben, wann ihm das immer klarer wurde. Erst in den Achtzigern definierte er Texte dann als christlich, sei es als Psalm oder Predigt.
Die politischen Texte waren teils links, teils friedensbewegt in späteren Jahren; die Niederrhein-Texte warmherzig und heiter, Hagenbuch verschroben-philosophisch. Und so weiter und so fort – ein heterogenes Gesamtkunstwerk. Wie passt das alles zusammen? Doch wenn man neben dieses Werk die Bibel legt, wird klar, welchem Geist all die Gedichte, Geschichten und Lieder entsprungen sind. Etwa dieser frühe Text:
Bedenkt, dass jetzt um diese Zeit
Der Mond die Stadt erreicht,
Für eine kleine Ewigkeit
Sein Milchgebiss uns zeigt.
Bedenkt, dass hinter ihm ein Himmel ist,
Den man nicht definieren kann,
Vielleicht kommt jetzt um diese Zeit
Ein Mensch dort oben an.
Und umgekehrt wird jetzt
Vielleicht ein Träumer in die Welt gesetzt,
Und manche Mutter hat erfahren,
Dass ihre Kinder nicht die besten waren.
[…]
Und dass gefoltert wird, das sollt ihr auch bedenken,
Gewiss ein heißes Eisen, ich wollte niemand kränken,
[…]
Soll’n wir sie lieben, diese Welt,
Soll’n wir sie lieben?
Ich möchte sagen:
Wir woll’n es üben.
Diese Zeilen sind ohne eine umfassend humanistische, aufgeklärte, aber eben auch christliche Weltsicht undenkbar.
Mich prägte Hüschs »Setzen auf die Liebe«, seine durch niemanden wegzudiskutierende Toleranz, seine Absage an den Hass, sein selbstverständliches Bekenntnis zu 1. Korinther 13
Denen, die sich jetzt entzweit sehn
Empfehlen wir 1 Korinther 13
wie auch sein stetiger Blick auf die schützenswerte Kreatur
Ich sing für die Verrückten
Die seitlich Umgeknickten …
Und all das machte mir darüber hinaus als christlich sozialisiertem Menschen klar, dass das Neue Testament eben nicht nur eine frohe Botschaft, sondern auch ein sozialer Auftrag ist, tagtäglich, im Großen wie im Kleinen.
Er kann mir sagen was er will
Und kann mir singen wie er’s meint
Und mir erklären was er muss
Und mir begründen wie er’s braucht
Ich setze auf die Liebe! Schluss!
Joachim Kosack, 2015
Joachim Kosack, geb. 1965 in Indonesien, aufgewachsen in Wuppertal, dort Kabarettist und Mitbegründer eines Zimmertheaters. Nach sieben Jahren als Regisseur an deutschen Provinztheatern Produzent bei der UFA, Fictionchef bei Sat1 sowie Professor an der Filmakademie Ludwigsburg. Heute Geschäftsführer der UFA Fiction. Wichtigste Projekte: »Die Flucht«, »Stauffenberg«, »Danni Lowinski«, »Bella Block«, »Der Rücktritt«.
Es ist dem Menschen beigegeben
Ein kleines Stück von einem großen Leben
Das sich vollzieht
Ohn Unterschied
Ob Bettler oder hohes Tier
Von einer Handvoll Erde sind wir alle hier
Bis Gras wächst über dieses Lied.
Wollt darum freundlich sein
Und euch mit Heiterkeit versehn
Es hat der Mensch zu kommen und zu gehn
Dieses ist ausgemacht von Anfang an
Mit Hochmut ist nicht viel getan.
Es ist dem Menschen aufgegeben
Mit Güte Gutes zu erstreben
Ohn Unterlass
Auch soll er das
Was nötig ist zum Leben mit allen teilen
Und aller Kreatur zu Hilfe eilen
Bis Blumen wachsen aus dem Gras.
Wollt gnädig sein und nicht mit Hohn verachten
Die nichts auf dieser Welt zustande brachten
Wenn es bestimmt, dass wir gen Himmel reisen
Dann ist mit Reichtum nichts mehr zu beweisen.
Es wird dem Menschen nachgegeben
Wenn er bereut
Und ändert sein bisheriges Leben
Der Tanz ist tot
Der Mensch kehrt heim zu Tisch und Brot
Der Rausch verfliegt.
Die Demut siegt
Die Masken sind gefallen –
Doch größer wär des Menschen Not
Wär nicht ein Gott, der milde mit uns allen.
1956
Sie sagen
Idealismus ist ein Intelligenzdefekt
Ich glaube es nicht
Sie sagen
die Bergpredigt wäre nicht so gemeint
Ich glaube es nicht
Sie sagen
Du sollst nicht töten ist so zu verstehn, dass …
Ich glaube es nicht
Sie sagen
Bei etwas gesundem Menschenverstand müsste doch jeder …
Ich glaube es nicht
Sie sagen
Selbst Christus würde, wenn er heute …
Ich glaube es nicht
Und wenn man mir Berge
schwarzen und roten Goldes verspricht
Ich glaube es nicht
1956
Bedenkt, dass jetzt um diese Zeit
Der Mond die Stadt erreicht,
Für eine kleine Ewigkeit
Sein Milchgebiss uns zeigt.
Bedenkt, dass hinter ihm ein Himmel ist,
Den man nicht definieren kann,
Vielleicht kommt jetzt um diese Zeit
Ein Mensch dort oben an.
Und umgekehrt wird jetzt
Vielleicht ein Träumer in die Welt gesetzt,
Und manche Mutter hat erfahren,
Dass ihre Kinder nicht die besten waren.
Bedenkt auch, dass ihr Wasser habt und Brot,
Dass Unglück auf der Straße droht
Für die, die weder Tisch noch Stühle haben
Und mit der Not die Tugend auch begraben.
Bedenkt, dass mancher sich betrinkt,
Weil ihm das Leben nicht gelingt,
Dass mancher lacht, weil er nicht weinen kann,
Dem einen sieht man’s an,
Dem andren nicht.
Bedenkt, wie schnell man oft ein Urteil spricht.
Und dass gefoltert wird, das sollt ihr auch bedenken,
Gewiss ein heißes Eisen, ich wollte niemand kränken,
Doch werden Bajonette jetzt gezählt,
Und wenn eins fehlt,
Es könnte einen Menschen retten,
Der jetzt um diese Zeit in eurer Mitte sitzt,
Von Gleichgesinnten noch geschützt.
Wenn ihr dies alles wollt bedenken,
Dann will ich gern den Hut, den ich nicht habe, schwenken.
Die Frage ist:
Soll’n wir sie lieben, diese Welt,
Soll’n wir sie lieben?
Ich möchte sagen:
Wir woll’n es üben.
1958
Unter Stehlampen sitzen wir
Mit all unsren sterblichen Dingen
Und wir lieben diese alte Welt
Die keinen Urlaub kennt
Aber wir bleiben stumm
Denn unser Schmalspurschicksal interessiert ja nicht
Wir gehen weiter wenn Bäume abgesägt werden
Ein Schulterzucken ist kein Trost für die Blätter
Wenn wir unser Nebenan erblicken
Sind wir nicht mehr wie wir sind
Sehen wir an uns entlang
Denken wir an unsre Obduktion
Wir hören unser Umunsherum
Wissen auch viel von Biologie
Und feiern manchmal Triumphe
Doch säuberlich zusammengerechnet
Wohnen wir allein
Jeder in seinem Gartenzaun
Unsere Welt hat kein Dach über dem Kopf
Wir sitzen unter Stehlampen
Und warten auf das Kopfnicken der Katastrophe.
1959
Deckt den Tisch
Lasst jedermann eintreten
Gleich welchen Gruß er anbietet
Er kommt in Lumpen oder Seide
Verfolgt oder ausgesandt
Fragt nicht viel –
Wir sind alle arm geworden an Liebe
Und reich an Vorurteilen
Es kommen viele vorbei die bitten
Zögert nicht
Vermeidet Ausreden
Eines schwarzen Tages sind wir dran
Dann bitten wir
Glück ist keine runde Summe
Zirkus heißt Kreis
Bildet ihn
Steht euch gegenüber
Seht euch an
Liebt euch
Nehmt den Einsamen auf
Lasst ihn zuhören wenn ihr Pläne macht
Er macht keinen Strich durch eure Rechnung
Nehmt das Tuch auf dem gestickt steht
Eigner Herd ist Goldes wert
Und reicht es dem dessen Herd verlassen steht
Guckt nicht auf das Hemd dessen Farbe euch nicht passt
Es ist sauber und wärmt
Wie lange weiß keiner
Tod kommt Tod geht
Singt mit denen deren Lieder friedlich sind
Lasst die Dichter nicht zu kurz kommen
Haltet Wasser bereit um die Stirn zu kühlen
Lest die Sorgen von den Augen ab
Auf vielen Häusern ist ein Dach über vielen Menschen
Auf vielen Häusern ist kein Dach über vielen Menschen
Täglich werden es mehr
Überlegt wie sie zu gleichem Recht kommen können
Sprecht nicht von Naturgesetzen
Der Mensch ist nicht von Menschenhand
Erklär deinem Herzen keinen Bankrott
Und sind wir nicht von gleichem Stand
So doch vom gleichen Gott
Bietet einen Platz an
Jedem der nicht weiterweiß
Tragt ihn unter die Sonne
Wenn ihr einen Baum besitzt zeigt ihm wo Schatten ist
Er mag wählen
Ihr aber mögt ihn beschützen bis er weiterweiß
Hört auch andere Meinungen an
Vergleicht sie mit der euren
Gebt Auskunft wenn ihr lange nachgedacht habt
Lächelt wenn ihr sprecht
Es macht den anderen sicher und freundlich
Und lässt ihm Zeit selbst zu lächeln
Bis alles Schwere einfach ist
Nimm den Hut und hüte dich
Vor denen die schwätzen über dein Angesicht
Die aber schätzen dein Angesicht
Denen sei nah und brüderlich
Teilt den Tag nicht ein in Launen und Besserwissen
Er nimmt kein Ende dann
Und ist gefährlich gegen Abend
Wenn Flugzeuge rot und grün sich zeigen
Verzeiht den Einfältigen
Versteht die Vielfältigen
Sie lieben und verlieren damit ihr gewinnt
Übt euch
Prüft eure Mittel
Seht eure Grenzen
Vieles ist gutzumachen
Es soll keine Stunde sein die ich nicht günstig finde
Kein Gespräch kein Gruß kein Weg
Wo ich nicht hingehe und das alles versuche
Erklär deinem Herzen keinen Bankrott
Der Mensch ist nicht von Menschenhand
Und sind wir nicht von gleichem Stand
So doch vom gleichen Gott
1960
Ich glaube an die Güte
Ich glaube an den Fluch und an den Zweifel
Ich glaube an den hoffnungslosen Menschen
Ich glaube an die Fehler unsere Fehler
Ich glaube an die Armut
Ich glaube an die Anstrengung gut zu sein
Ich glaube an die geringste Freundlichkeit
Ich glaube an den plötzlichen Tod auf freier Strecke
Ich glaube an eine schreckliche Welt voller Irrtümer und später Einsichten
Ich glaube an die geringste Freundlichkeit auf Erden
Ich glaube an den Sommer und den Herbst
Ich glaube an die täglichen Versuchungen und an die nächtliche Verlorenheit
Ich glaube dies auf meinem Rücken auszutragen
Ich glaube an die vollendete Sinnlosigkeit dieser Welt
Ich glaube an die Güte
Ich glaube an die geringste Freundlichkeit
Ich glaube an das Leben
1960
Es ist aufgezeichnet dass er manches Haus betrat
Und zugegen war in vielen Städten
Die ihn auch behalten hätten
Doch er war kein Mann der Tat
Wenn man ihn zur Rede stellte
Sagte er er wisse nicht worum es ginge
Denn er lege seinen Kopf nicht gerne in die Schlinge
Die schon viele in die Hölle schnellte
Mittags wenn die Leute sich beeilen
Leib und Seele zu erhalten
Sah man in der Sonne ihn mit anderen Gestalten
In die Stuben blinzeln ob auch alle redlich teilen
Manchmal sagte er nur ja
Und das hieß wohl dass die Menschheit wächst
Es war dann ein unsichtbarer Text
Auf seiner Stirne da
Grinsen war für ihn ein Wort
Und das bot er feil den feinen Herren
Die Zigarren aus den Schränken zerren
Doch er war nur einmal dort
Meistens ließ er seine Mütze liegen
Bei den Mädchen die er nahm
Und er ging wenn der Gedanke kam
Über andere zu siegen
Denn er wollte nicht gewinnen auf der Erde
Darum sprach er auch nicht viel
Darum bat er auch sehr oft und kühl
Dass es Abend mit ihm werde.
1961 oder früher
Es fressen aus der Hand mir die Kälber
Immer dann
Wenn meine Haut härter wird und gelber
Und ich keinen Schirm aufspann
So ich über Wiesen mondwärts eile
Man muss sich bei den Blumen bücken
Mit ihnen und den kleinen Gräsern heile
Ich meinen gebeugten Rücken
Es kommen Vögel nachts in meine Gegend
Die wissen nicht was sie singen
Und sehen mich im Schlafe überlegend
Wie den nächsten Tag verbringen
Teilweis will ich’s zufrieden sein
Zu hausen bei den Bäumen
Doch muss manches allzeit vermieden sein
Unter der Haut und in den leichten Träumen
Vom vielen Durch-die-Wolken-Gucken
Ward der Himmel alt und ungemein
Doch kann er noch den Regen auf die Erde spucken
Und gegen Morgen warm und freundlich sein
Es regnet auf mein Herz
Man zählt die Sterne besser nicht
Es huschen Mond und schwarzer Scherz
Über mein Angesicht
1961 oder früher
Lasset den Himmel hoch oben
Die Hölle in Ruh
Wollet die unerbittlichen Nächte loben
Den Leib und die abgelaufenen Schuh
Kommen die Nöte zuhauf
Nehmet den Mund voll Melancholie
Niemand steht für euch auf
Niemand und nie
Leget das Haupt in die Hand
Wenn ihr verletzt und verlassen seid
Lobet die Uhren aus Sand
Lobet den Gott Gelassenheit
Achtet das Brot und den Wein
Trachtet nicht nur nach Gewinn
Seht es weiß keiner von eurem Gebein
Woher und wohin
Lasset den Wald und das Gras
Öffentlich mit euch sprechen
Lobet den täglichen Spaß
Und das tägliche Kopfzerbrechen
Strecket den Leib nach der Decke
Damit ihr so schnell nicht zu fassen seid
Lobet die Wurzel den Wurm und die Schnecke
Lobet den Gott der Gelassenheit
1961 oder früher
Ich fahre die Straßen entlang
In Zeiten die nicht sicher sind
Flöte und Baum
Trommel und Traum
Sind in meinem Gesang
Ich bin gekommen um Trost zu schreiben
Auf ein Blatt Papier
Mit einem vergilbten Klavier
Versuche ich Nachrichten aufzutreiben
Aus der Stadt
Die kleinlich klein
Im Grab mit einem Bein
Mich ausgespien hat
Bin ich gekommen euch zum Spaß
Und gehe hin wo Leides ist
Und Freude
Und wo beides ist
Zu lernen Mensch und Maß
Bis unter der Hand
Trommel und Traum mich verneinen
Flöte und Baum zu Gebeinen
Gott weiß in welchem Land
1961 oder früher
Hört dieses Lied,
aus drei Worten gemacht –
Hört dieses Lied,
das den Menschen erst macht –
Hört dieses Lied,
das den Tag überdacht –
Hört dieses Lied
das die Nacht überwacht:
Liebe deinen Nächsten,
der neben dir weint;
liebe deinen Nächsten,
beschäme deinen Feind;
liebe deinen Nächsten
und gib auf ihn acht!
Wir sind an Liebe alle arm geworden
und reich an Vorurteilen;
Glück ist keine runde Summe –
Steht euch gegenüber,
seht euch an und liebet euch.
Nimm deinen Hut und hüte dich
vor denen, die schwätzen über dein Angesicht,
die aber schätzen dein Angesicht,
denen sei nah und brüderlich!
Hört dieses Lied,
das älter als wir und älter noch:
Biete einen Platz an
jedem, der nicht weiterweiß –
Wenn ihr einen Baum besitzt,
zeigt ihm, wo der Schatten ist.
Hört auch andere Meinungen an,
vergleicht sie und gebt Auskunft,
wenn ihr nachgedacht habt.
Lächelt, wenn ihr sprecht,
es macht den anderen sicher und freundlich
und lässt ihm Zeit, selbst zu lächeln –
Erkläret euren Herzen keinen Bankerott.
Der Mensch ist nicht von Menschenhand,
sind wir auch nicht vom selben Stand,
so doch vom selben Gott!
Liebe deinen Nächsten,
der neben dir lacht;
liebe deinen Nächsten,
beschäme deinen Feind;
liebe deinen Nächsten
und gib auf ihn acht –
Hört dieses Lied,
aus drei Worten gemacht:
Der Folterknechte sind gar viele,
die Nacht ist ihre Zeit
und hält das Licht verborgen.
Sie haben Nationalgefühl,
so hör’n sie nicht auf, wenn jemand schreit,
und foltern bis zum Morgen.
Weh dem, der eine schwarze Haut
und sich nicht schön beiseitehält,
um Abstand zu beweisen.
Der Sklavenmarkt ist abgebaut,
doch heißt’s noch immer: Unterwelt
in manchen weißen Kreisen.
Geht in die Häuser
und rufet hinein,
geht auf die Straßen
und hämmert es ein,
geht auf die Plätze
und malet es an:
dass der Mensch ohne Mitmensch
nicht bestehen kann!
Zähl deine Chancen
die du verpasst –
verschenke ein Kleid,
wenn auch zwei du nur hast.
Liebe deinen Nächsten
und gib auf ihn acht.
Hört dieses Lied,
das den Menschen erst macht!
1961
Wenn ich mir jetzt, meine lieben Zuhörer, eine Brille aufsetze – und Sie mir freundlichst erlauben in Ihre Stube hinein zu Ihnen zu sprechen, in Ihren eigenen Bereich hineinzuschaun, so hat das mit der Brille ja heute eine eigene Bewandtnis.
Vor einigen Tagen sah ich, wie ein netter junger Mann nach Anbruch der Dunkelheit sich eine alles noch mehr verdunkelnde Sonnenbrille aufsetzte. – Ein andermal hörte ich, wie jemand zu seinem Nachbarn sagte: Eine rosarote Brille, und alles sieht gleich ganz anders aus.
Da habe ich mich gefragt: Was sieht denn gleich ganz anders aus?
Und wie oft hören wir doch heute, ich habe nicht den richtigen Überblick, ich sehe da nicht mehr klar, ich schaue da nicht mehr hindurch. – Sollten da vielleicht zu viel Sonnenbrillen und zu viel rosarote Brillen mit im Spiel gewesen sein? Wer immer nur Buttercremetorte isst, weiß eines Tages gar nicht mehr, wie Buttercremetorte schmeckt. Und wer sich eine Sonnenbrille oder eine rosarote Brille aufsetzt, der muss nicht meinen, dass Gott unseren wahren Alltag nicht sieht. ER ist unser Optiker. ER braucht keinen Kneifer und keinen Aussichtsturm. ER ist weitsichtig und kurzsichtig zugleich. ER sieht uns an und durch uns hindurch. Durch und durch. Für und für.
Lassen Sie mich schließen mit einem Wort, das uns die Augen öffnen helfen will, mit einem Wort des böhmischen Wanderpredigers Heinrich Ignaz Mützenbecher, der da sagt: »Möge, der du sein werdest, dann siehst du, was du sein dürftest!«
Guten Abend.
1971 oder früher
Als aber alles durchorganisiert und multipliziert und durchprogrammiert
da sahen sich die Chefdurchblicker an und sprachen:
Den Heiligen Geist den ham wir
aus der Welt geschafft
jetzt kommen Sohn und Vater dran
und lobten gegenseitig sich
die Profis und die Macher
und schafften Seel’ und Seele ab
die großen Herrn der weiten Welt
und teilten sich das große Geld
und teilten nicht zu knapp.
Als aber alles durchreflektiert und durchdirigiert und durchexerziert
da sahen sich die Menschen an und sprachen:
Uns geht es gut, wir können nicht klagen
weg mit der Seele
erst kommt der Magen dran
sie fühlten sehr zufrieden sich
an Hab und auch an Gut
und wenn der Mensch im Glücke schwimmt
dann denkt er nicht daran
wie man sich denken kann
dass er sein Glück von andren nimmt.
Ich weiß nicht, wie es plötzlich kam
wie jetzt durch diese Tür
es rief mich an bei meinem Nam’
und sprach: So folge mir
in meine Welt, die nicht von dieser Welt
und doch im Diesseits liegt
Das Brot, dass dich lebendig hält
ist leicht, doch wer es wiegt
weiß, dass ich ihn geliebet hab
Und wer sich will befrein
der lässt vom Haben langsam ab
und kehrt zurück zum Sein
und kehrt zurück zur Kreatur
weiß sich mit allem eins
und teilt das Brot auf jeder Spur
zurück zum Kern des Seins.
Heut hungern Milliarden schon
in Elendsvierteln hausend
und warten auf den Menschensohn
damals warn’s nur 5000
und Fisch und Brot
und Sein und Tod
denn Mensch sein heißt
Brot und auch Geist
Es kommt die Zeit
es kommt der Tag
wo man nicht mehr gewinnen mag
die Stund ist nicht sehr weit
Du isst dein Brot
du schenkst es her
ob all der Not
und bist zum Sein bereit
Und sich beweist
schon tot gesagt
und ungefragt
der Heil’ge Geist.
1979 oder früher
Und Gott sprach zu den Wesen die nun auf der Erde sich tummelten
Wenn ihr tief genug grabt oder geduldig die Angel auswerft
Dann wird auch die Stunde kommen wo ihr auf Menschen stoßt
Die ich nach meinem Bilde dereinst gemacht
Aber nach ihrem Bilde leben wollten
Sich mit Schmutz und Gift bewarfen bis sie schließlich
Darin ertrunken erstickt oder verdurstet sind
Weil jeder mit seinem Besen den Schutt vor des anderen Türe kehrt
So lange bis Wälder und Flüsse Kapellen und Kirchen
Häuser und Hütten
Kinder und Kegel nicht mehr zu sehen
Sondern nur noch zu riechen waren.
Und Gott sprach zu den Wesen die nun auf der Erde sich tummelten
Eigentlich ist es schade
Denn der Mensch war mein Lieblingsspielzeug und ich hatte meinen Gefallen an ihm
Und vielleicht war es ein Fehler von mir
Ihm zu gestatten eigene Wege zu gehn
Denn meine Wege sind zwar unerforschlich aber die Wege des
Freien Menschen führten ihn in Schlamm und Morast
Wie er es haben und nicht haben wollte.
Nun liegt die Menschheit unter Abfall und Auswurf
Tief im eigenen Schmutz
Erst warf man Papier und Steine weg
Tüten und Taschen
Speise und Plastikeimer
Dann warf man die Kühe weg
Sie fraßen vergiftetes Gras
Und zuletzt warf der Mensch sich weg
Immer einer zum andern immer einer zum andern
Die Letzten fielen von selbst um
Und ich ließ sie zuregnen mit himmlischer Asche
Und als sich der Letzte noch einmal bewegte las ich von
Seinen Lippen: Es muss was geschehn
Da ließ ich ihn langsam ertrinken.
Und Gott sprach zu den Wesen die nun auf der Erde sich tummelten
Wenn ich noch einmal Menschen mache bekommen sie keinen freien Willen
Dann werde ich sie dumm aber glücklich halten
Geht nun an eure Arbeit
Und die Wesen gingen an ihre Arbeit
Es waren Geier
Die sollten das Oberflächlichste vom Oberflächlichen säubern
Und fanden bald ein Papier
Darauf stand noch mit Filzstift geschrieben:
Kundgebung gegen die Umweltverschmutzung
Kommt alle in Massen
Es muss was geschehn
20.15 Uhr Gemeindehaus
Kommt alle in Massen
Es muss was geschehn
20.15 Uhr Gemeindehaus
Kommt alle in Massen
Es muss was geschehn
20.15 Uhr Gemeindehaus …
1981 oder früher
Ich sehe ein Land mit neuen Bäumen.
Ich sehe ein Haus aus grünem Strauch.
Und einen Fluss mit flinken Fischen und einen
Himmel aus Hortensien sehe ich auch.
Ich sehe ein Licht von Unschuld weiß.
Und einen Berg, der unberührt.
Im Tal des Friedens geht ein junger Schäfer,
der alle Tiere in die Freiheit führt.
Ich hör ein Herz, das tapfer schlägt –
in einem Menschen, den es noch nicht gibt,
doch dessen Ankunft mich schon jetzt bewegt,
weil er erscheint und seine Feinde liebt.
Das ist die Zeit, die ich nicht mehr erlebe.
Das ist die Welt, die nicht von unserer Welt.
Sie ist aus feinstgesponnenem Gewebe,
und Freunde, seht und glaubt: Sie hält.
Das ist das Land, nach dem ich mich so sehne,
das mir durch Kopf und Körper schwimmt.
Mein Sterbenswort und meine Lebenskantilene,
dass jeder jeden in die Arme nimmt.
1983
Nein, ich wollte eigentlich ein Programm machen,
das mit der Bundesrepublik überhaupt nichts zu tun hat.
Und als es fertig war, das Programm, stellte ich fest,
dass es mit der ganzen Welt nichts zu tun hat.
Oh nein, mein Gott, hab ich gedacht.
Aber keine Angst.
Natürlich hat dieses Programm was mit dieser Republik zu tun.
Und auch mit dieser Welt,
die ja von oben bis unten durch und durch eine völlig erbarmungslose ist.
Der Humanismus faul und eitel.
Der Sozialismus unfehlbar, großspurig, selbstgerecht.
Die Kirchen beide immer noch von oben herab,
halbherzig, überheblich zugleich,
verwechseln gnadenlos nach wie vor
Religion mit Moral.
Der Kapitalismus korrupt und kriminell.
Die fortschrittlichen Zirkel
lügen sich täglich die Taschen voll,
und auf alles bin ich hereingefallen.
Heute noch, selbst heute Abend noch.
Und bin immer noch der kaputte Christ.
Der auf die Bergpredigt schwört.
Der alte gläubige Vollidiot.
1984, aus dem Programm »Und sie bewegt mich doch«
Liebe Freunde und Freundinnen mit Christus! Es ist für mich eine hohe Auszeichnung, mit euch in dieser Messe eine Predigt zu versuchen. Ich sage versuchen, weil ich bis zu diesem Augenblick immer noch nicht recht begriffen habe, das ich das tun darf. Denn predigen heißt ja verkünden, verkündigen, heißt auch schelten oder sogar im Zorn sich für oder gegen etwas ereifern, die Leviten lesen. Was aber kann ich verkünden, wen sollte ich schelten, und für wen oder gegen was soll ich mich an dieser Stelle ereifern. Und siehe da, ich fand einen Ausweg und dachte mir: Du musst dich für etwas begeistern!
Nun ist das wie immer und alles leichter gedacht und gesagt als getan. Wir leben wieder in einer Welt der Knechtschaft, der Ausbeutung, der bedingungslosen Polarisierung, wir leben in einer Todeslandschaft und wissen oft nicht mehr ein noch aus. Wie soll da noch Begeisterung übrig bleiben oder neu aufkommen und wachsen, zumal wir selber schon halb gefangen sind in den Netzen unserer ideologischen Weismacher und ihrer pragmatischen Handlager, Spekulanten und Interessenkrämer, die Gottes Erde und was darin ist, den Erdkreis und die darauf wohnen, verkaufen und verkommen lassen.
Nun, ich halte hier keine politische Rede, obwohl es vielleicht für mich leichter wäre. Nein, ich will mich für etwas begeistern! Vielleicht für eine Devotio moderna, für eine neue Frömmigkeit ohne Aufsehen, ohne unsere irdische Betriebsamkeit, ohne Raserei durch die erbarmungslose Öffentlichkeit unserer Tage. Ich weiß, wie schwierig das ist, wie viele Konflikte auszuhalten sind, wie viele Widersprüche anzunehmen und zu ertragen sind, wie viele Enttäuschungen verarbeitet werden müssen, wie viel täglicher Kleinkram uns einen Strich durch unsere Hoffnungen macht und wie viele Menschen dann oft in einem Labyrinth der Aussichtslosigkeit enden.
Manch gutes Wort und manch schöner Spruch sind dann für viele Menschen nicht mehr annehmbar. Das ist nicht so einfach, dann nur mit der Bibel zu kommen und zu glauben, dann ginge es schon wieder, dann sei wieder alles gut. Das müssen wir wissen, wenn wir öffentlich darüber nachdenken wollen. Das müssen wir wissen, wenn wir unserer Soziabilität treu bleiben wollen. Aber dennoch und gerade deswegen bleiben wir bei dem Wort Gottes, dennoch und gerade weil wir es wissen, setzen wir auf die Bibel, dennoch harren wir aus und setzen unsere Hoffnung auf die Sprache Jesu Christi. Warum?
Weil es die freieste Sprache, die umfassendste, die menschlichste und die innigste Sprache ist. Selbst im Schweigen sagt und zeigt uns Christus, dass es, meine Freunde, um eine andere Weltgeschichte geht als die, die wir hier und jetzt so jämmerlich fabrizieren. »Und er antwortete ihm nicht auf ein Wort, so dass sich der Landpfleger sehr verwunderte.« Ein Bibelsatz, der mich in den letzten Jahren immer wieder beeindruckte und begleitete. Und ich meine, es ist ein hochpolitischer Satz. Wie tief muss Jesus durch Pilatus und dessengleichen hindurchgesehen haben und wahrlich eine andere Geschichte gemeint haben, und das angesichts des nahen Todes. Wie lächerlich sie uns doch alle erscheinen müssen, die Herren Landpfleger und ihresgleichen früher und heute, wenn wir uns die übermenschliche und überweltliche Contenance des Jesus von Nazareth vorstellen. Ich sage es so salopp, um mir überhaupt nur einen Bruchteil von diesem Geist, der die Welt überwunden hat, vorstellen zu können.
Und vielleicht muss man es ganz anders sagen und sehen, ganz anders auslegen, »des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg, aber der Herr allein lenkt seinen Schritt«, das wissen wir zu gut, aber gleichviel, warum das alles:
Weil er uns erlösen wollte, weil er uns geliebt hat, weil er von uns gewusst hat, weil er unser Kommen und Gehen und das, was an schwerem Leben dazwischen ist, weil er dies vorausgefühlt hat und immer voraussehen wird bis in alle Ewigkeit, weil er uns geliebt hat.
Ich will hier nicht den Theologen spielen und keinem ins Handwerk pfuschen, aber könnte es vielleicht nicht daran liegen – der organisierte Tod marschiert immer schneller mit Gift und Gas, mit Hunger und Folter, mit den teuflischsten Waffen seit Menschengedenken durch unsere Welt, mit Hass und Habgier in den Hirnen laufen die Menschen Programmen und Funktionären nach – könnte es vielleicht nicht auch daran liegen, dass wir alle noch nicht mit der Geschichte Jesu Christi begonnen haben, oder dass wir alle meinen, die Geschichte Gottes schon so gut zu kennen.
Martin Luther sagt: »Wir hingegen, liebe Freunde, wollen uns so verhalten, als ob wir die Geschichte noch nicht kennen.« Wollen wir vielleicht annehmen, wir sind schon ganz ordentliche Christen, wenn wir ein Transparent höher halten, oder etwas mehr beten und singen, ein Grab schmücken, Geld nach Lateinamerika schicken, damit sei schon alles getan. Natürlich ist damit vieles getan. Aber ich meine, ich fürchte sogar, wir haben mit dem größten und schwersten Mittel noch nicht begonnen: mit der Liebe, wie sie uns Christus demonstriert hat. Mit der Nächstenliebe nicht und mit der Feindesliebe haben wir noch nicht begonnen, und sind frei nach Goethe ein düsteres Geschlecht geblieben, dem nicht zu helfen ist.
Bertolt Brecht, der sicher kein Christ war, hat es uns vorgehalten: »Wollt nicht in Zorn verfallen, denn alle Kreatur braucht Hilf’ von allen.« Der Ton liegt auf alle und allen, die Freundlichkeit und die Hilf’ für jede Kreatur. Die Solidarität der Kreaturen. Das braucht Geduld, aber es heißt auch: »Ein Geduldiger ist besser als ein Starker, und wer sich selbst beherrscht, ist besser als einer, der Städte gewinnt.«
Lasst uns, meine Freunde, die Geschichte Jesu Christi beginnen. Die große Geschichte der Liebe, daraus die Geschichte des Friedens wächst, blüht und gedeiht. Verlassen wir die Geschichte der kleinlichen Polarisierer, deren Mittelmäßigkeit stets in Anmaßung übergeht. Lasst uns, wie der große griechische Prediger Johannes Chrysostomos gesagt hat, das Kreuz Christi wie eine Krone tragen. Beginnen wir mit der Geschichte Gottes, unsere Weltgeschichte wird eine andere werden, und wir werden erlöster aussehen.
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete
und hätte der Liebe nicht
so wäre ich ein tönend Erz
oder eine klingende Schelle
Und wenn ich weissagen könnte und wüsste
alle Geheimnisse und alle Erkenntnis
und hätte allen Glauben
also dass ich Berge versetzte
und hätte der Liebe nicht
so wäre ich nichts
Die Liebe ist langmütig und freundlich
die Liebe eifert nicht
die Liebe treibt nicht Mutwillen
Sie blähet sich nicht
Sie stellet sich nicht ungebärdig
Sie suchet nicht das Ihre
Sie lässt sich nicht erbittern
Sie rechnet das Böse nicht zu
Sie verträgt alles
Sie glaubet alles
Sie hoffet alles
Sie duldet alles
Die Liebe höret nimmer auf
So doch die Weissagungen aufhören werden
Und die Sprachen aufhören werden
Und die Erkenntnis aufhören wird
Denn unser Wissen ist Stückwerk
Und unser Weissagen ist Stückwerk
1. Korinther 13
Und so werden auch die Soldaten langsam nicht mehr durch die Stadt marschieren, sie werden langsam nach Hause gehen und Apfelbäume – wenn ich ein Dichter wäre, müssten’s Apfelbäume sein – und Apfelbäume pflanzen. In Peking werden die Soldaten mit ihren Bajonetten kleine Holzvögelchen schnitzen. Und überall werden die Soldaten voller Freude wieder ein richtiges Handwerk erlernen und mit den Kindern sonntags auf den Hügeln sitzen und Pflanzen beschreiben. Die großen Raketen werden zwar zunächst noch in den großen Museen zu sehen sein, aber dann wird man bald darüber lachen. Und der große amerikanische Präsident wird am lautesten darüber lachen. Die ganze Welt wird lachen.
Und wie das so ist, zuerst werden alle Menschen etwas verlegen grinsen, dann werden sie lächeln, dann lachen und schließlich so losprusten, dass die, die noch vor kurzem sehr geweint hatten, schon ein bisschen mitlächeln. Man wird sich auf die Schulter schlagen und sagen: Mensch!
Denn ein anderes Wort wird ihnen zunächst nicht einfallen. Mensch!, werden sie alle sagen, und denken werden sie alle, wie konnten wir nur so lange so dumm sein, wo wir doch immer dachten, wir wären so klug. Und wenn wir dann sehen, wie die Marxisten nicht mehr Marxisten und die Kapitalisten nicht mehr Kapitalisten und die Faschisten nicht mehr Faschisten und die Kommunisten nicht mehr Kommunisten und die Nationalisten nicht mehr Nationalisten und die Rassisten nicht mehr Rassisten und die Stalinisten nicht mehr Stalinisten zu sein brauchen, dann werden wir sehen, wie eine zufriedene Menschheit durch Täler und Schluchten, über Gebirge und auf wilden Flüssen sich auf den Weg macht, um sich Guten Tag zu sagen und zu fragen: Wie geht es dir?
Und wen wundert’s dann, wenn dann die Chinesen in Bonner Cafés sitzen und Deutsche auf dem Roten Platz in Moskau Luftballons steigen lassen, wen wundert’s dann, wenn Orthodoxe mit Atheisten sich übers Wetter unterhalten und Farbige in europäischen Krankenhäusern operieren und Juden und Kleinbürger, Hindus, Christen und Zigeuner an einem schönen runden Tisch im Freien sitzen und sich alte Witze erzählen.
Wen wundert’s dann?!
Und dann kommen auch noch die Amerikaner (die kommen ja immer) und singen eines ihrer vielen lustigen Lieder. Und der Refrain eines Liedes könnte vielleicht heißen:
Wenn wir ehrlich sind, alter Bursche
Müssen wir doch zugeben
Dass wir alle gleich sind
Das bisschen Fleisch und Knochen
Das ist doch nichts Besonderes
Darum lass uns daran denken, alter Bursche
Dass von uns das Gleiche übrig bleibt.
Keiner fragt mehr nach Konfession oder Hautfarbe, nach Weltanschauung oder Parteibuch, nach Bankkonto oder gesellschaftlicher Position. Aller ideologischer Ballast kann endlich über Bord geworfen werden. Besserwisser und Sklavenhalter, Rechthaber und Ausbeuter werden nie mehr gesehen.
Der Mensch kommt zur Ruhe. Die Zukunft leuchtet. Der Frieden ist mit uns.
Ja! Ich will mich für etwas begeistern!
Ich setze auf die Liebe
Das ist das Thema
Den Hass aus der Welt zu entfernen
Bis wir bereit sind zu lernen
Dass Macht Gewalt Rache und Sieg
Nichts anderes bedeuten als ewiger Krieg
Auf Erden und dann auf den Sternen
Ich setze auf die Liebe
Wenn Sturm mich in die Knie zwingt
Und Angst in meinen Schläfen buchstabiert
Ein dunkler Abend mir die Sinne trübt
Ein Freund im anderen Lager singt
Ein junger Mensch den Kopf verliert
Ein alter Mensch den Abschied übt
Ich setze auf die Liebe
Das ist das Thema
Den Hass aus der Welt zu vertreiben
Ihn immer neu zu beschreiben
Die einen sagen es läge am Geld
Die andern sagen es wäre die Welt
Sie läg in den falschen Händen
Jeder weiß besser woran es liegt
Doch es hat noch niemand den Hass besiegt
Ohne ihn selbst zu beenden
Er kann mir sagen was er will
Er kann mir singen wie er’s meint
Und mir erklären was er muss
Und mir begründen wie er’s braucht
Ich setze auf die Liebe! Schluss!
Gott schütze euch
Gott schütze und befreie uns
Amen
1985, auf dem 21. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Düsseldorf
Nun gut
Die Geschichte läuft
Das Spiel wird gespielt
Alles ist gesagt
Ich habe nichts mehr nachzutragen
Und das hab ich mir eigentlich immer gewünscht
Dass ich eines Tages nichts mehr nachzutragen habe
Also
Dass ich in der Lage bin
Nichts mehr nachtragen zu müssen
Dass ich niemandem etwas nachtrage
Mit anderen Worten
Dass ich fähig werde
Nicht mehr nachtragend zu sein
So dass ich wahrhaftig sagen kann
Ich habe nichts mehr nachzutragen
Oder ich trage niemandem etwas nach
Und der Friede
Kann endlich
In mein Herz einziehen.
1985
Freunde lasst uns singen aber was
Ich habe Menschen gesehen die
wenn sie ihr Opfer gefunden hatten
sofort etwas schneller und etwas lauter sprachen
Im Namen des Volkes im Namen des Vaters
Im Namen der Was-weiß-ich-Revolution
Ich habe Menschen gesehen die sofort etwas schneller
Und etwas lauter sprachen oder vorlasen aus Büchern
Und mit belegter Stimme alles belegten nur um Sieger zu werden
Die immer etwas mehr wussten und etwas besser wussten als ihre Opfer
Auch wenn es sich um einen Witz drehte
Seht welch ein Mensch
Wir haben Augen im Kopf
Wir haben gute Augen
Wir haben schlechte Augen
Wir haben Augen die sprechen
Wir können mit anderen Augen sehen
Wir können mit eigenen Augen im Spiegel unsere eigenen Augen sehen
Wir können andere Augen sehen
Wir können Augen machen
Wir können anderen schöne Augen machen
Wir können ein Auge zudrücken
Wir können die Augen schließen
Wir können unsere Augen einen Spalt öffnen
Wir können unsere Augen weit aufreißen
Wir können unseren Augen nicht trauen
Die immer wieder jawohl sagten jawohl jawohl
In Violinkonzerten ertranken und die restlichen Bilder
Luther Kindheitsbestecke
Hölderlintastaturen
Einfach verbrannten
Einfach sich nicht mehr stören ließen
Und versteinerten
Seht welch ein Mensch
Wir können uns auf unsere Augen verlassen
Wir haben unsere Augen überall
Ich habe Menschen gesehen
Die sich alles an fünf Fingern ausrechneten –
Das kann man sich doch an fünf Fingern ausrechnen
Sagten sie
Beim Straßburger Münster und beim längsten Fluss Asiens
Und wurden doch ausgesetzt auf getarnte Seelen-Verkäufer
Von denen die etwas lauter und etwas schneller gesprochen hatten
Ich habe Menschen gesehen die ganz plötzlich aufsprangen
Um etwas zu sagen und sich wieder hinsetzten
Mit schneeweißem Gesicht
Abgeschlagen
Hinterher sich dann heimlich betranken
Die lichterloh durch Kornfelder streiften
Deutschland die zweigeteilte Dame auf dem Rücken
Selbst zweigeteilt sich nicht entscheiden konnten
Und in motorisierten Küchen unter den Tisch fielen
Ohne Unterschrift
Seht welch ein Mensch
Wir können mit unseren Augen beobachten
Wir haben wachsame Augen
Wir sehen wie man sich auf dem Bahnsteig begrüßt
Wir sehen wie man sich auf dem Bahnsteig verabschiedet
Wir können wegsehen
Wir sehen wie ein Kind langsam einschläft
Wir sehen eine öffentliche Hinrichtung
Wir sehen wie Rudi Völler in eine Abseitsfalle läuft
Wir sehen den Präsidenten nach einer Operation
Wir sehen Astronauten auf Flugzeugträgern
Wir sehen Schweißtropfen auf der Oberlippe eines Funktionärs
Wir haben Augen im Kopf
Wir sehen wie Kinder in eine Gaskammer stolpern
Wir sehen mit einem Opernglas La Traviata
Ich habe Menschen gesehen
Aufgeregte mit beschlagenen Brillengläsern
Denen ihr ganzes Wissen zertreten wurde
Erasmus von Rotterdam und die Biologie
Weil sie sich nicht ausdrücken konnten
Mit zitternden Händen
Wir sehen uns vor
Wir sehen uns um
Wir sehen durch jemanden hindurch
Wir sehen das Ganze
Wir sehen das Ganze als Einheit
Wir sehen die Teile als Ganzes
Wir sehen die Teile nur im Zusammenhang mit dem Ganzen
Wir sehen das alles von einer anderen Warte aus
Wir sehen es als Prozess
Wir sehen es als Prozess der sich ständig abbaut und ständig aufbaut
Wir sehen es als gegeben
Wir sehen es als gegebenes Ganzes im Zusammenhang mit einem gänzlichen Ganzen
Wir sehen es philosophisch
Seht welch ein Mensch
Ich habe Menschen gesehen
Die auf dem Boden ihre Schreibunterlagen suchten
Zu Hause alles genau überlegt
Und nun keinen Zusammenhang mehr fanden
Sich immer wieder zusammensetzten
Sich auseinandernahmen und sich wieder zusammensetzten
Und um einen Moment baten – Einen Moment bitte
Große Menschen
Die wenn sie aufstanden noch größer wurden
Nicht durch die Tür gingen
Und doch nach drei Worten geschlagen waren
Wie sie zu leise sprachen
Es nicht aushalten konnten und weggingen
Seht welch ein Mensch
Wir sehen es nicht so schwarz
Wir sehen es mehr grau in grau
Wir sehen es schwarzweiß
Wir sehen es mehr rosa
Wir haben ja Augen im Kopf
Wir können mit den Augen sehen
Wir können unsere Augen schließen
Wir wollen nichts mehr sehen
Wir können nichts mehr sehen
Wir können nicht mehr sehen dass man unsere Augen zudrückt
Wir brauchen nun nicht mehr zu sehen was andere dann sehen
Wir sehen dann etwas anderes was die anderen noch nicht sehen
Seht welch ein Mensch
Ich habe Menschen gesehen
Wenn sie ihr Gehirn durchwühlten
Fanden sie keinen gültigen Ausweis
Nahmen ihre Mäntel und krochen durch die Straßen
Bis sie verrosteten
In Bahnhofshallen auf Zeitungen saßen
Abgeschlagen und weit hinten
Die auf Züge sprangen den Spiegel im Kopf
Die Zeit unterm Arm und konkret sagten
Dass es konkret gesehen konkret doch wohl so sei
Freunde vielleicht können wir uns eine Schnittmuster-Chirurgie erfinden
Und schneiden uns selbst so aus dass wir passen
Schneiden uns Beine und Finger zurecht
Und sind so entstellt und verschlüsselt
Als Probe Mensch – Liebling der ganzen Nation
Seht welch ein Mensch
Heiliger Busen – Heiliger Bauch
Heilig heilig die Arbeitslosen zuhauf
Heilig die Schwätzer – Heilig die Ketzer
Heilig alles was da schon marschiert
Heilig alles
Bis es dann passiert
Wir werden es ja sehen
Ihr werdet es ja sehen
Wir werden es ja sehen
1987, auf dem 22. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Frankfurt am Main
Stellt die Meinungen ein
Dass die Liebe gedeiht
Lasst die Liebe blühen
Dass der Frieden wächst
Lasst den Frieden in euer Herz
Dass die Menschen erlöster aussehen
Befreit den Menschen
Damit er von den Ansichten lässt
Und die Meinungen einstellt
Und sagen kann
Ich bin für dich
Und nicht gegen dich
Ich bin mit dir
Und nicht vor dir oder nach dir
Ich bin neben dir und nicht über dir
Ich bin bei dir
Auch wenn du gegen mich bist
Lasst uns Gottes versammelte Großzügigkeiten werden
Und seine Artisten sein
Die Welt überwinden
Nicht mit Leichtigkeit gewiss
Aber mit Zuversicht
Geduld und Freundlichkeit
Lasst uns Nachsicht üben
Wo andere den Schlussstrich ziehen
Lasst uns spielerisch auftreten
Wo andere mit dem Fuß aufstampfen
Lasst uns Feinde in Freunde verwandeln
Darum stellt die Meinungen ein
Dass die Liebe gedeiht
Lasst die Liebe blühen
Dass der Frieden wächst
Lasst den Frieden in euer Herz
Dass die Menschen erlöster aussehen
Befreit den Menschen
Damit er von den Ansichten lässt
Und die Meinungen einstellt
Und sagen kann
Ich bin für dich
Und nicht gegen dich
Ich bin mit dir
Und nicht vor dir oder nach dir
Ich bin neben dir
Und nicht über dir
Ich bin bei dir
Auch wenn du gegen mich bist
Viele sagen
Das sei ihnen unmöglich
Andre sagen
Das entspräche nicht ihrem gesunden Menschenverstand
Es kann auch nicht unserem Verstande entsprechen
Es kann nur der Liebe Gottes entsprungen sein
Und ist ein Geschenk außerhalb unserer Reichweite, außerhalb der Geschichte
Öffnen wir unsere Augen und unsere Herzen und nehmen wir endlich das Geschenk an
Es ist unsere einzige Chance Weltfrieden zu machen
Und allen Menschen ein Wohlgefallen zu bereiten
1987, auf dem 22. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Frankfurt am Main
Sich versöhnen gehört zu den Dingen, die, frei nach Bertolt Brecht, einfach, aber schwer zu machen sind. Versuchen wir, meine Freunde, wieder einmal das Schwere mit Heiterkeit so leicht zu machen, wie es schwer ist.
Oft hören und lesen wir in der letzten Zeit überall das Wörtchen »dennoch« im einem sehr merkwürdigen und eigenartigen Sinn. Etwa:
Obwohl die Atmosphäre eisig war, verlief das Gespräch dennoch mit herzlicher Offenheit.
Die Zahl der Arbeitslosen wird zwar nicht geringer, dennoch besteht kein Grund zur Panik.
Trotz Ramstein und Remscheid sollten wir dennoch unsere atlantische Bündnisverantwortung nicht aus den Augen verlieren.
Auch wenn der Kollege X in seiner wichtigen Rede recht ungereimte bis gefährliche Behauptungen aufstellte, bleibt er dennoch ein ehrenwerter Mann.
Auch wenn immer mal wieder technische Pannen in Kernkraftwerken passieren, ist das dennoch kein Grund, das Geschäft mit der Angst zu schüren.
Die Gesundheitsreform mag sicher nicht in allen Punkten ideal sein, dennoch ist sie für den Einzelnen von hoher sozialer Ethik.
Und so weiter und so weiter.
Wenn der Frieden längst ein Gruß ist
und die Fahne aller Menschen nur noch weiß ist
und die Friedenstaube keine Ente,
Rupert Scholz ist auch schon lange in Rente,
alle Menschen Zivilisten und die Friedenspfeife rauchen,
weil sie keinen Feind mehr brauchen.
Und der Osten mit dem Westen
auf dem langen Marsch zum Besten,
was der Mensch sich antun kann,
nämlich Freundschaft und Versöhnung, dann,
dann kommt immer einer bei uns um die Ecke,
hebt den Zeigefinger warnend und erklärt:
Dennoch sollten wir Deutschen das Gefühl
der Bedrohungsangst nicht verlieren,
weil wir auf der Hut sein müssen,
und nicht gleich jedem Russen um den Hals fallen.
Nun, das finde ich allmählich, mit Verlaub, auch an so ’nem schönen Sonntagmorgen in der Kirche zum Kotzen.
Dennoch, meine Freunde,
das kleine Wort jetzt mal umgekehrt benutzt,
lasst uns dennoch heiter bleiben,
und auf dem Wege zur Versöhnung mit den Völkern
und mit allen Menschen,
bleiben wir bei uns,
schieben wir nicht immer gleich alles auf andere.
Wir sollten dazu eigentlich am ehesten in der Lage sein,
mit Christus an unserer Seite.
Geben wir uns hin,
und geben wir uns auf, das heißt,
wir geben unsere eigenen kleinen Vorurteile,
die gar nicht so recht in Gottes Plan passen,
auf, und geben uns mit Demut dem anderen Menschen hin.
Ich habe schon einmal gesagt, an anderer Stelle:
Keiner erhebe sich über den anderen
oder erniedrige sich unter den anderen.
Keiner kommt auf den Gedanken,
er sei besser oder schlechter,
wichtiger oder wertloser als der andere, keiner.
Hingabe und Aufgabe »der Menschen wegen« sollten eigentlich für uns Christenmenschen ganz klare Ausgangspositionen sein. Ich weiß, es ist natürlich das Einfache, das schwer zu machen ist, ich sagte es schon, und der Mensch kann sich nichts aussuchen. Er wird ja in die Welt gesetzt, und nun muss er sich durchstrampeln durch seine Zeit, durch unsere Zeit, die er sich nicht aussuchen kann, sagen wir mal von Hindenburg bis Helmut Kohl. Oder … von 1925 bis vielleicht zum Jahr 2000, wenn’s gutgeht, toi, toi, toi. Ich drück mich jetzt mal salopp aus: Fertig ist der Zeitgenosse. Jetzt kannst du zusehen, armes Menschlein, wie du damit fertig wirst. Niemand fragt dich, ob du vielleicht in der Renaissance oder um Friedrich den Großen herum hättest wohl leben wollen oder bei Friedrich II. von Hohenstaufen. Das Land, dein Land kannst du dir auch nicht aussuchen. Und wenn du ganz langsam bei Verstand oder zu Verstand gekommen bist, dann merkst du erst: Ah, du bist Deutscher – nicht Russe. »Deutschland« heißt das Land. Und nun sieh zu, wie du damit fertig wirst. Da lernst du ein bisschen Geschichte in der Schule, und dann wirst du sehen, was das für einen Spaß macht, Deutscher zu sein. Den Stolz darauf, den kriegst du auch noch später beigebracht. Die Religion kannst du dir auch nicht aussuchen. Du kannst zwar später von einer Kirche in die andere treten, das ist alles erlaubt, aber am Anfang bekommst du deine Religion angezogen wie deinen Kieler Matrosenanzug. Deinen Vornamen kannst du dir nicht aussuchen. Du heißt Günter. Gewöhn dich dran. Dein Großvater hieß auch Günter.
Du kannst dich dann später mit th schreiben. So wie ich ja später eigenmächtig Hans einfach mit zwei n geschrieben habe. Weil: Mein Großvater hieß Johannes.