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ISBN: 3-902475-22-6
ISBN: 978-3-902475-22-0
Unterhaltungsmusik und Propaganda im Rundfunk des Dritten Reichs
Unterhaltungsmusik und Propaganda im Rundfunk des Dritten Reichs
Mit einem Vorwort von
Hans-Ulrich Wehler
Die Propagandawelt des Dr. Joseph Goebbels ist inzwischen vielfach untersucht worden. Denn ihre Verführungskraft und machttechnische Modernität haben seit langem das Interesse von Historikern auf sich gezogen. Dabei hat sich allmählich die Unterscheidung zwischen harter, unverstellter, politischer Indoktrination und weicher einschmeichelnder, verkappter Beeinflussung herausgebildet. Goebbels selber, übrigens auch Hitler, hat frühzeitig erkannt und als Imperativ seiner Public-Relations-Arbeit fixiert, daß das Regime mit der Befriedigung gewachsener zivilisatorischer Bedürfnisse mehr Einfluß gewinnen und ausüben könnte als mit der direkten politischen Steuerung.
Die Studie von Hans-Jörg Koch analysiert die „weiche Welle“ am Beispiel des Wunschkonzerts, einer populären Veranstaltung des Rundfunks im „Dritten Reich“. Die Untersuchung erreicht vor allem zwei Ziele. Zum einen beschreibt, analysiert und erklärt sie eine wichtige Dimension der Massenbeeinflussung im NS-Regime. Sie tut das auf nüchterne, abwägende Weise, ohne jede dämonisierende oder exkulpierende Tendenz. Zum anderen leistet sie einen aufschlußreichen Beitrag zur Historisierung des Nationalsozialismus, die längst noch nicht weit genug gediehen ist. Denn es wird deutlich, wie auf dem Felde der Populärkultur gewisse Kontinuitätslinien aus den 1930er/40er Jahren bis weit in die Bundesrepublik hinein weitergelaufen sind. Insofern verkörpert Kochs Studie ein willkommenes Beispiel für eine bis in die Gegenwart führende Zeitgeschichte.
Hans-Ulrich Wehler
Auch Jahrzehnte nach ihrem Entstehen haben so bekannte und melodische Schlager wie „Kann denn Liebe Sünde sein?“, „In einer Nacht im Mai“ oder „Roter Mohn“ nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Einst auf Schellackplatten gepreßt, heute im Originalton als moderne CD-Aufnahmen erhältlich, sind diese 1938 entstandenen Lieder mit der Zeit gegangen. Noch immer werden sie, die längst ihre Interpretinnen Zarah Leander, Marika Rökk und Rosita Serrano überlebt haben, im Rundfunk gespielt. Damit sind sie nicht nur ein geschichtliches Phänomen, sondern Gegenstand unserer gegenwärtigen Kultur. Vergessen bleiben dabei oftmals der historische Hintergrund und die damit verbundenen „Rahmenbedingungen“ der Erstveröffentlichung jener Evergreens, die ein auch in der Gegenwart gefälliges Produkt des „Dritten Reiches“ darstellen.
Im Gegensatz zur ernst-pathetischen Musik, mit der die Nationalsozialisten sich und ihr Regime zu inszenieren versuchten,1 bot die Unterhaltungsmusik auf den ersten Blick einen Freiraum, der ganz der Privatsphäre zu gehören schien. Doch dieser scheinbar unpolitische Bereich war nicht weniger Teil der nationalsozialistischen Beeinflussung, die nichts dem Zufall überließ und planend und gestaltend Einfluß auf die Lebensgewohnheiten der Menschen nahm. Insofern standen viele Interpreten der Unterhaltungsmusik vermittelnd zwischen „Herrschaft“ und „Alltag“ und waren damit Teil der Sozial- und Kulturgeschichte des „Dritten Reiches“.
Musik, insbesondere Unterhaltungsmusik, Propaganda, Herrschaft und Alltag sind Stichworte, die, in Beziehung zueinander gesetzt, den Gegenstand vorliegender Veröffentlichung umreißen. Erläutert wird Art und Umfang der Politisierung und Instrumentalisierung der Unterhaltungsmusik durch das NS-Regime. Diese Studie beschäftigt sich also mit einer Facette des „Dritten Reiches“, die als „geschönte Wirklichkeit“ große Teile der Bevölkerung in ihren Bann zog. So allgegenwärtig nämlich die Musik war, so vielfältig war ihre Funktion im privaten wie im außerhäuslichen Bereich. Sie diente der Ablenkung und Entspannung ebenso wie der Umrahmung sportlicher und politischer Veranstaltungen: Reden, Großveranstaltungen, Paraden, Reichsparteitage, Gedenk-, Eröffnungs- und Einweihungsfeiern waren stets von musikalischen Darbietungen begleitet. Bei all diesen Ereignissen gehörte die Musik zum festen Bestandteil des Ablaufs, genau so wie Uniformen, Fahnen, Symbole oder Grußformen.
Eklatanten Mißbrauch trieben die Nationalsozialisten mit Musik und den ausführenden Musikern während des Krieges in den Konzentrationslagern, wo musizierende Häftlinge für „Unterhaltung“ sorgen mußten: „Die SS-Leute wollten Operettenmelodien, Foxtrotts und Walzer hören, die Musikerinnen mußten regelrechte Konzerte geben.“2 Die Musik in den Vernichtungslagern hatte „nicht nur den Zweck gehabt, die Schreie zu übertönen, sondern die SS-Leute wollten sich offenbar unterhalten“.3
Wie gezielt und geschickt das Regime die Musik als Kriegspropaganda benutzte, nahmen auch die europäischen Nachbarn wahr; zum Beispiel die Menschen in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten, die, sei es über die Truppenbetreuung für deutsche Soldaten oder außerhalb dieser Institution, mit der NS-Kulturpolitik konfrontiert wurden. Oder die nicht okkupierten Schweizer, die aus der Distanz den Eindruck gewannen, die Deutschen hätten „die blitzartige Besetzung der norwegischen Hauptstadt zu einem guten Teil mit Musik und Gesang vollzogen“:
Kleine Trupps deutscher Soldaten tauchten da und dort in Oslo auf, die, fröhliche deutsche Volks- und Soldatenlieder singend, durch die Straßen zogen, während vor dem Parlamentsgebäude ein deutsches Regimentsspiel Aufstellung nahm, das bis in die Nacht hinein ein Gratiskonzert gab. Unterdessen trafen ununterbrochen deutsche Verstärkungen ein, die alle wichtigen Punkte der Stadt besetzten, und zu spät merkten die guten Osloer, daß die deutschen Trupps keineswegs auf einer Vergnügungs- und Konzertreise begriffen waren.4
Dieser Artikel aus dem Jahre 1943, sicherlich überspitzt dargestellt, läßt dennoch den Stellenwert der Musik als Begleiterin des Krieges erkennen und ergänzt Hitlers „Kultur-Programm“. In seinen „Tischgesprächen“ vom März 1942 untermauerte er im Zusammenhang mit der Eroberung der Ostgebiete die nationalsozialistische Methode der Herrschaftssicherung durch eine bewußt entpolitisierend eingesetzte Freizeitgestaltung: „Durch den Rundfunk wird der Gemeinde vorgesetzt, was ihr zuträglich ist: Musik unbegrenzt. Nur geistige Arbeit sollen sie nicht lernen.“5
Nur am Rande sei erwähnt, daß selbstverständlich auch die Alliierten eine Unterhaltungsindustrie in Zeiten des Krieges besaßen (und noch immer besitzen): „Die Indienstnahme von Radio, Film, Theater und Musik zur Erheiterung der britischen Soldaten, aber auch der home front“ war „wie ein Feldzug“ geplant: „1938 wurde eine Unterabteilung der britischen Armee gegründet, die Entertainments National Service Association ENSA. Sie war eine ,Armee der Entertainer’, mehr als 80 Prozent der gesamten Unterhaltungsindustrie lagen bis 1946 in ihrer Verantwortung. Über 2,5 Millionen Aufführungen organisierte sie in den Kriegsjahren, und manche steile Nachkriegskarriere begann auf den wackligen Behelfsbühnen der ENSA.“6
Der Einsatz von Musik, die eine der wichtigsten Ausdrucks- und Erlebnismöglichkeiten des Menschen darstellt, die Verwendung von „Bildern und Zeichen, von Demonstrationen und öffentlichen Inszenierungen hatte vor allem die Aufgabe, Zustimmung und Identifikation des Publikums mit der nationalsozialistischen Bewegung und ihrer Herrschaft zu erzeugen“.7 In solchen Momenten „wurde aus Musik und theatralischer Politik ein Gesamtkunstwerk fabriziert“. Musik wurde zum „Markenzeichen“: „Ereignisse, Personen und militärische Einrichtungen bekamen ihre Erkennungsmelodien, die ihre rasche Identifizierung ermöglichten. Alle Truppenteile wurden so markiert und entsprechend leicht unterscheidbar.“8
Bei diesen Anlässen, bei denen sich der Staat selbst zur Schau stellte, diente die Musik als Helferin: „Die Musik hatte keine geringere, aber auch keine bedeutendere Aufgabe, als den Teilnehmern zu suggerieren, daß sie und die Staatsführung (bzw. die Partei) eine unverbrüchliche Einheit, Ganzheit und Gemeinschaft bilden.“9
Sehr effektiv ließ sich dieses Gemeinschaftsgefühl über den Rundfunk herstellen. Unabhängig von Zeit und Ort der Veranstaltung konnten Millionen Hörer an den „nationalen Ereignissen“ teilhaben. Gerade während des Krieges war Musik für alle Stimmungslagen notwendig. Heroisch-pathetische Klänge leiteten im Rundfunk Siegesmeldungen ein, gedämpft klassische Musik diente der Umrahmung von Trauerfeiern hoher NS-Funktionäre. Dank seiner Aktualität gab der Rundfunk dem Hörer das Gefühl des Dabei-Gewesen- und Dabei-Seins.
Bereits in der Weimarer Republik hatte das noch junge Medium die Funktion eines „Volksbildungsorgans“ erhalten, das eine allgegenwärtige und allumfassende Kulturgemeinschaft schaffen sollte. An diesem von staatlicher Seite propagierten Anspruch änderte sich im Nationalsozialismus nichts, inhaltlich dagegen sind Veränderungen festzustellen, da besonders dem Musikprogramm eine wesentlich größere Aufmerksamkeit geschenkt wurde als bisher. Nicht mehr nur privilegierte Schichten, die bislang zum Kreis der Rundfunkhörer gehörten, sollten angesprochen werden, vielmehr sollte mit den Darbietungen die breite Masse mobilisiert werden. Folglich hatte sich das musikalische Rundfunkprogramm, das die Gefühle der Hörer ansprach, den Vorlieben dieser Rezipienten anzupassen. Auch wenn sich die Programmgestaltung im Bereich der ernsten Musik inhaltlich und quantitativ zunächst nur unwesentlich von der Konzeption des Rundfunkprogramms in der Weimarer Republik unterschied, ließ sich für die Nationalsozialisten bereits frühzeitig die Einheit von Kunst und Politik am besten über die Unterhaltungsmusik herstellen: „Kein verständiger Kenner kann daran zweifeln, daß die Grundlage des Rundfunks das leichte musikalische Unterhaltungsprogramm ist. Die Musik muß den Hörer entspannen und erst einmal an den Lautsprecher heranholen.“10 Folglich kamen „der Musik im Rundfunk und der Filmmusik eine ganz wesentliche Propagandafunktion zu, zumal im Dritten Reich Millionen von Menschen die Kinos besuchten … In diesen Filmen wurde ein bestimmtes Lebensgefühl propagiert, das dem Zuschauer durch die Filmlieder vermittelt werden sollte“.11
Abgesehen von der hier angedeuteten Instrumentalisierung der Unterhaltungsmusik durch die Nationalsozialisten ist die Beschäftigung mit „Nazi-Schlagern“ heute auch deshalb so spannend, weil sie noch immer zu hören und ihre Interpreten präsent sind. Sie gehören, als Bestandteil der Ufa-Filme, ganz selbstverständlich zum Repertoire der öffentlich-rechtlichen und privaten Sendeanstalten, die in regelmäßigen Abständen diese alten Filme zeigen. Auch wenn die Zeit ihrer großen Auftritte längst hinter ihnen lag, sorgten einige dieser Künstler, die sich teilweise einer jahrzehntelangen Popularität erfreuen konnten, bis zu ihrem Tode immer wieder für Schlagzeilen und waren damit auch Jüngeren ein Begriff. Sofern die Stars von einst noch leben, werden sie als bewunderte Zeitzeugen in Talkshows und „Schlagerparaden“ oder historischen Rückblenden präsentiert (dieses Phänomen trifft besonders auf Johannes Heesters zu). Zum anderen sind geradezu im Übermaß vor allem die von den Comedian Harmonists und die von Zarah Leander interpretierten Schlager („Mein kleiner grüner Kaktus“, „Kann denn Liebe Sünde sein?“) immer wieder auf Kleinkunstbühnen zu hören.
Unter Unterhaltungsmusik versteht man „Musik zur Unterhaltung, Belustigung, Ergötzung und Vergnügung“.12 Verbindliche musikalische Gemeinsamkeiten dieser nicht fest umgrenzten Gattung gibt es jedoch nicht. Im Gegensatz zur ernsten Musik liegt die Gemeinsamkeit unterschiedlicher Titel der Unterhaltungsmusik in ihrer Funktion: Sie spricht ein größeres Publikum an, das musikalisch weniger oder gar nicht gebildet ist.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts, als sich die Idee von der Autonomie der Kunst immer mehr durchsetzte, wurde die Kluft zwischen Unterhaltungsmusik und Kunstmusik immer größer. Je breiter sich das Musikleben in seiner kulturellen Vielfalt ausdifferenzierte und die Unterhaltungsmusik mit der Eroberung neuer sozialer Zielgruppen zur „Massenware“ wurde, desto vehementer versuchten Kritiker, die hohe Tonkunst (ernste Musik) als „einzig legitime Repräsentantin der Musik zu beschwören“ und die Unterhaltungsmusik, einschließlich ihrer Produzenten und Interpreten, als „Subkultur“ zu diffamieren.13 Das im Nationalsozialismus politisch beabsichtigte Nebeneinander von ernster Musik und Unterhaltungsmusik hat nicht zur Überwindung der Gegensätzlichkeit des musikalischen Denkens in der Gegenwart geführt. Dennoch kam es in den vergangenen Jahren zu einer gewissen musikwissenschaftlichen Anerkennung und Aufwertung der Unterhaltungsmusik, da sie sich problemlos für außermusikalische Zwecke verwenden läßt. Ihre Wirkung ist etwa dann kalkulierbar, wenn sie folgende Funktionen zu erfüllen hat, nämlich „auf ein Ereignis einzustimmen (Fernsehsendung), eine Person zu signalisieren (Wahlveranstaltungen), Kaufanreize zu verstärken (Warenhaus), von der Kauf-Atmosphäre abzulenken (Boutique), monoton Arbeitende zu erbauen (Arbeitsplatz), Fröhlichkeit zu verordnen (Feste), Behaglichkeit zu suggerieren (Busfahrten), Ängste zu zerstreuen (Wartezimmer).“14
Durch folgende Merkmale wird die Unterhaltungsmusik näher bestimmt: „Eine einfache, sinnfällige, periodisch angelegte und damit vorhersagbare Melodik, die einprägsam, liedhaft und zum Nachsingen geeignet ist; eine eindeutige, klar akzentuierte stereotype Rhythmik, meist körperlich wirkungsvoll, auch wenn sie nicht direkt tänzerische Funktionen hat … und schließlich eine knappe, überschaubare und einfache Formgestaltung.“15 Vom kompositorischen Standpunkt betrachtet, ist diese Musik von den Bedürfnissen und Ansprüchen der Rezipienten abhängig und damit auf eine möglichst weite Verbreitung ausgerichtet; die künstlerische Aussage erhebt in aller Regel keinen Anspruch auf Individualität.
Grundsätzlich erfordert die Unterhaltungsmusik keine besondere Aufmerksamkeit, kein besinnliches Schweigen vom Hörer; sie mag nicht, wie bei einem Choral, der inneren Sammlung, sondern der Zerstreuung dienen und sogar zum Plaudern anregen. Von der ablenkenden und kompensatorischen Funktion abgesehen, kann sie zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls (gemeinsames Nachsingen eines Schlagers) beitragen und für den einzelnen Menschen gewinnbringend sein. Oftmals ist es doch ein einprägender Melodiebogen, ein Schlagerrefrain, ein „Ohrwurm“, der starke Emotionen hervorruft, mit dem sich bestimmte Gedanken, vielleicht sogar entscheidende Augenblicke des Lebens (erste Liebe, Kennenlernen des Partners, Tanzstunde) verbinden. Gerade dann zieht die Unterhaltungsmusik, plötzlich nicht mehr schnellebige „Gebrauchsmusik“ und „Massenware“, den einzelnen in ihren Bann, läßt das Herz schneller schlagen und erzeugt Glücksgefühle. Besonders deutlich wird diese Funktion der Musik als Ausdruck einer persönlichen Gefühlslage in Zeiten depressiver wie auch lustvoller Stimmung. Genau mit dieser Absicht, ohne großen personellen, materiellen und technischen Aufwand den „Volksgenossen“ Entspannung und Erheiterung in schweren Tagen zu bieten, erhielt die Unterhaltungsmusik im „Dritten Reich“ eine so große Bedeutung. Das Regime förderte nachhaltig diese Musikrichtung, ebenso die Produzenten und die Interpreten.
Es liegt demnach nahe, daß die Unterhaltungsmusik ab September 1939 als Ablenkungs- und Entspannungsmittel zum Kriegsalltag gezielt und verstärkt eingesetzt wurde: „Humor und Musik sind dabei die ersten Helfer“, so Joseph Goebbels.16 Diese Musik, die für den Propagandaminister „genau so wichtig wie Kanonen und Gewehre“ war,17 bildete fortan eine Brücke zwischen den Soldaten an der Front und deren Angehörigen in der Heimat. Auch wenn dank dieser Absicht die Unterhaltungsmusik ab diesem Zeitpunkt ihren Stellenwert im Rundfunk festigen und ausbauen konnte, hatte ihr der Propagandaminister bereits in den zurückliegenden Jahren großes Interesse geschenkt.
Innerhalb dieses Genres galt seine Aufmerksamkeit mit zunehmendem Kriegsverlauf dem Schlager, also dem in erster Linie durch technische Medien in Massenproduktion verbreiteten, kurzlebigen populären Lied, das sich unter der Bezeichnung Schlager erst in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelt hatte. Eine eigenständige musikalische Gattungsbezeichnung ist der Schlager jedoch erst mit der massenhaften Verbreitung der Schallplatte, des Rundfunks und des Tonfilms geworden.
Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Operetten das musikalische Umfeld, aus dem sich der Schlager rekrutierte; vor dem Ersten Weltkrieg folgten die Kabarett-Schlager, in den 20er Jahren die Tanzschlager, die für Stimmung sorgten. Mit Einführung des Tonfilms zu Beginn der 30er Jahre begann so richtig der Siegeszug der Schlager, die nun an den Schauspieler zusätzliche Anforderungen stellten und dann als bekannte Filmschlager über den Rundfunk erneut massenhafte Verbreitung fanden. Ab Ende der 30er Jahre, als die zündenden Lieder in aller Regel für bestimmte Interpreten und deren persönliche Eigenart geschrieben wurden, verselbständigte sich der Schlager immer mehr. Nun paßte er sich den Gewohnheiten seiner Hörer an und wurde zu einem selbstverständlichen Teil des Alltags, unabhängig von Bildung, Status, Beruf oder Alter. Damit bildet der Schlager eine geeignete Quelle für die Ergründung bestimmter allgemeiner Stimmungen, Vorstellungen und Sehnsüchte. Der Schlager spürt und greift demnach das auf, was das breite Publikum empfindet; damit stellt Schlagergeschichte ein Stück Sozialgeschichte dar.
Da jedoch bei einer Betrachtung der Unterhaltungs- bzw. Schlagermusik stets der jeweilige alltags-, kultur- und musikhistorische Hintergrund zu berücksichtigen ist, darf eine mögliche ideologische Vereinnahmung der Musik nicht außer Betracht gelassen werden. Kennzeichnend für die Zeit des Nationalsozialismus ist nämlich die auffallende Wirklichkeitsferne der Texte („Ich tanze mit dir in den Himmel hinein“, 1942; „Mit Musik geht alles besser“, 1943; „Kauf dir einen bunten Luftballon“, 1943), die vor allem im Krieg als stimmungsvolle „Wunderwaffen“ im Dienste der NS-Propaganda erklangen.
„Propaganda“ wird in dem hier beschriebenen Zusammenhang verstanden als „Technik der Beeinflussung des menschlichen Denkens und Handelns mit Wort, Bild und Musik, die im totalitären Staat die Aufgabe hat, die Anschauung der Machthaber in der Bevölkerung durchzusetzten“. Für die Propaganda ist es unerheblich, ob sie „Informationen oder Halbwahrheiten oder Lügen bedient – nur glaubwürdig“ muß ihre Mitteilung sein.18 Propaganda zielt gleichermaßen auf Vernunft, Gefühle, Empfindungen, Stimmungen und Leidenschaften. Ihre Aufgabe im „Dritten Reich“ war es, „die vom Nationalsozialismus postulierte Einheit von Volk und Führung herzustellen, wachzuhalten und auf immer breitere Schichten zu übertragen. Ihr kam es zu, den erfolgreichen Konsens der Bevölkerung zu den Maßnahmen der Regierung zu sichern“,19 denn ohne Zustimmung der Beherrschten funktioniert grundsätzlich keine Herrschaft. Die Musik übernahm hierbei eine nicht zu unterschätzende Funktion.
Der Schwerpunkt dieser Veröffentlichung liegt auf der Unterhaltungsmusik, die im deutschen Rundfunk zwischen 1933 und 1945 gesendet wurde. Besonderes Interesse gilt dabei der Schlagermusik, die zwar, zumindest in den Kriegsjahren, quantitativ die Unterhaltungsmusik des Rundfunks nicht dominierte, mit Beginn des Krieges aber für die politische Indienstnahme der Musik zunehmend wichtiger wurde.
Neben dem Schlager waren in den 30er und 40er Jahren auch kurze Musikstücke „unterhaltenden Charakters“ Bestandteile der Unterhaltungskonzerte. Dazu gehörten populäre Operettenmelodien, Arien, Ouvertüren und Ballettmusik, die als „gehobene Unterhaltungsmusik“ bezeichnet wurden und die heute der ernsten Musik zugerechnet werden. Zwar ein eigenes Genre, waren in diesen Sendungen gelegentlich auch Militärmusik (Marschmusik und Soldatenlieder wie „Denn wir fahren gegen Engelland“) und Volkslieder sowie „völkisches Liedgut“ (HJ-Lieder) zu hören.
Ging der Anteil der Militär- und Marschmusik am Musikprogramm kontinuierlich zurück, so besaß der Jazz im Rundfunkprogramm während des Nationalsozialismus stets nur einen untergeordneten Stellenwert. Entgegen landläufiger Behauptungen war jedoch die Jazzmusik, die insgesamt in Europa noch nicht so stark verbreitet war wie nach dem Zweiten Weltkrieg, keinesfalls verboten. Zwar wurde immer wieder versucht, der als „Niggermusik“ bezeichneten Musikrichtung den Garaus zu machen, doch der Kampf der NS-Kulturpolitiker, den Jazz aus Deutschland zu verbannen, blieb letztlich erfolglos. Die Zielgruppe der als „Swingmusik“ bezeichneten Stilrichtung waren hauptsächlich politisch indifferente Jugendliche in Großstädten, die sich von ihrer Elterngeneration emanzipieren wollten, dann ab 1939 zur Wehrmacht eingezogen wurden und auf deren Musikwünsche bedingt Rücksicht genommen wurde.20
Im Rundfunkprogramm mit speziellen Sendungen eindeutig abgegrenzt war die traditionelle ernste Musik (Oper, Kammermusik, Sinfonik), die auch außerhalb des Rundfunks nicht massenwirksam war und die hauptsächlich vom Bildungsbürgertum rezipiert wurde.
Schlagermusik ließ sich hervorragend instrumentalisieren, da die Begegnung mit ihr in einem scheinbar politikfernen Rahmen stattfand: Meist abends in der Freizeit, als Rundfunkhörer oder als Kinobesucher. In diesem Kontext, in dem die Ablenkung und Entspannung an erster Stelle stand, war der Weg zur Manipulation nicht weit: Die den „schönen Schein“ propagierenden Schlager waren im Nationalsozialismus alles andere als sozialkritisch; sie hinderten den Menschen daran, über sich und ihre Situation nachzudenken, und gaukelten gleichzeitig vor, um diese Situation sei alles richtig bestellt.
Besonders Schlager eigneten sich gut für eine politische Indienstnahme, da sie, meist als Kernstücke der Unterhaltungsfilme, eine große Reichweite hatten. War bei alten Menschen die Kenntnis von Volks- und Kirchenliedern verwurzelt, so dürfte die Aufmerksamkeit junger Menschen vornehmlich der Schlagermusik gewidmet gewesen sein. Zwar waren bei jugendlichen Hörern die hauptsächlich in den Jugendorganisationen der NSDAP verwendeten „Nazi-Lieder“ („Unsre Fahne flattert uns voran“)21 ebenso bekannt und haben sich diese bei den Zeitzeugen zum Teil bis heute verinnerlicht, so ist aber von folgendem Unterschied auszugehen: Schlager gehörten dem Bereich der politikfreien Freizeit an und wurden „freiwillig“ aufgenommen und (nach)gesungen. Den HJ-Liedern dagegen haftete ein gewisser Zwang an; sie mußten auswendig gelernt und in einer nicht selbst auserwählten Gemeinschaft gesungen werden, ohne bewußte Verinnerlichung. Ein Schlager dagegen lud zum Träumen ein, sein Text glich mehr einem Gedicht, das emotional berührt.
Zwei Beispiele von Zeitzeugen sollen die hier aufgestellte Behauptung belegen:
Noch [1938] war es nicht Zwang, sondern eine Ehre, in diesem Bund [BDM] aufgenommen zu werden, die Mädchen rissen sich darum, man sprach von Rangabzeichen, Knoten und Schnürchen. Ich war durchaus bereit, dazuzugehören, und ich hätte auch dazugehört, wenn nicht zweierlei mich davon abgehalten hätte: das erste waren die sehr rhythmischen Lieder, die den Verstand benebelten, ein Effekt, der mich erst stutzig und dann widerspenstig machte: ich wollte diesen Zauber nicht … Der zweite Punkt war die schier unaussprechliche Öde, die von den „Heimabenden“ ausging und mich beängstigte.22
Man kann sich durchaus wenigstens den Beginn der Nazizeit als ein immerwährendes Turnfest mit sehr vielen Marschliedern vorstellen. „Unsere Fahne flattert uns voran! Unsere Fahne ist die neue Zeit!“ So übel sang sich das nicht einmal, wenn wir zum Sport durch die Kolonie Grunewald marschierten. Keiner nahm die Worte ernst. Niemand glaubte daran, aber schön klang es schon, musikalisch.23
Die hier aufgestellte These wird zudem untermauert von einer Klage, die einer „Programmbeobachtung“ der Deutschen Arbeitsfront (DAF) vom Sommer 1944 entstammt. Darin wird bemängelt, daß sich das Rundfunk-Programm zu wenig den „Liedern der Bewegung“ widmet:
Es ist beschämend, wenn man immer wieder feststellen muß, wie wenig diese Lieder, die doch Ausdruck des Wollens unserer Bewegung sind, im Volke verankert sind. Die Jugend kennt den Text der meisten Schlager auswendig und die Kampflieder sind ihr in der Mehrzahl noch nicht einmal der Melodie nach bekannt, vom Text ganz zu schweigen.24
Zudem erreichten viele Erfolgsschlager, nachdem sie ins Repertoire der zahlreichen Tanz- und Unterhaltungsorchester eingegangen waren, als Instrumentaltitel eine zusätzliche Verbreitung, erfreuten sich also auch ohne Text einer großen Beliebtheit.
Unterhaltungsmusik als Angebot der Zerstreuung ist ein grundlegendes Bedürfnis der Menschen. Der Wunsch nach Entspannung geht einher mit der Herstellung eines psychischen Gleichgewichts. Die unterhaltenden Inhalte der Schlager regen ferner die Fantasietätigkeit an, ebenso kann es zu einer abwechslungsreichen, lustvollen Erregung kommen. Zufrieden fühlen sich die Hörer dann, wenn ihr Geist, ihre Laune und ihr Körper durch Musikaufnahme angesprochen werden.
Schlager können darüber hinaus eine wichtige Rolle bei der Lebensbewältigung spielen, besonders in Krisenzeiten. Sie geben den rechten Schwung und lassen Einsamkeit vergessen. Sie erfüllen stellvertretend die Sehnsüchte nach Gefühlen und bieten einen Ausgleich für etwas, was sonst versagt bleibt. Diese „Ersatzfunktion“ war gerade während der Kriegsjahre von großer Bedeutung, entsprachen doch die emotionalen Inhalte der Schlager den real vorhandenen subjektiven Befindlichkeiten der Menschen.
Unabhängig von Raum und Zeit verlangt der Hörer von der Musik die Verkündung einer „heilen Welt“, die ihm in schwieriger Zeit Verständnis, Geborgenheit und Trost verheißt und ihm das Gefühl des Verstandenseins, des Nicht-allein-gelassenseins bietet. Die Trostbedürftigkeit des Schlagers war bereits vor 1933 gefragt, da die Existenz breiter Mittelschichten und besonders der Arbeiter und Arbeitslosen durch die sozialen Folgen der Weltwirtschaftskrise bedroht war und eine allgemeine Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen der Weimarer Republik herrschte. Diese Rolle der Schlager gewann seit Kriegsbeginn an Bedeutung, half die Musik nämlich, die Einsamkeit zu überwinden, im wahrsten Sinne des Wortes zu überspielen. Die einprägsamen sentimentalen und rührseligen Klänge setzten Empfindungen und verdrängte Gefühle frei. Gerade Jugendliche konnten sich von der besonderen Wirkung des Schlagers angezogen fühlen, da diese verstandesferne Sentimentalität zu den typischen Erscheinungen Heranwachsender gehört.
Doch abgesehen vom Gefühlsleben Jugendlicher, herrschte in der deutschen Bevölkerung jener Jahre eine Stimmung, die geprägt war von Kummer, Trauer und Schmerz durch den Verlust und die Trennung nahestehender Menschen bzw. durch den Wegfall wichtiger sozialer Beziehungen. Weit verbreitet waren außerdem Ängste und Streßzustände, hervorgerufen durch die ständige Gefahr, durch die psychische und physische Überbelastung. Es entstanden Frustrationen durch Entbehrungen. Körperliche und sexuelle Bedürfnisse mußten unterdrückt werden. Diese negativen Emotionen konnte der Schlager dank seiner bestimmten Funktionen ausgleichen, auch weil der Hörer, und vor allem die Hörerin, sich mit dem musikalischen Ich identifizierte, das wiederum die Isolierung und die Einsamkeit milderte. Gleichwohl änderte sich objektiv an der gegebenen Situation nichts.
Genau hier aber liegt die Gefahr der Manipulation. In den Liedern werden die ganz realen Bedürfnisse der Menschen nach Glück, Geborgenheit, Verständnis, Liebe etc. verfälscht: „Schlager präsentieren Scheinlösungen für Konflikte, deren stete Wiederholung … die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Traum verwischt. Ohne daß sich der Rezipient einer Lenkung bewußt wird, internalisiert er die Normen und Verhaltensmuster aus der Schlagerwelt.“ Dazu gehörten im Nationalsozialismus z. B. die Rolle der Heimat und die der Frau. Die „kompensatorischen Funktionen der Schlager werden so um die manipulativen ergänzt“.25
Mit den Schlagern wurde vordergründig eine Idylle aufgebaut, die in ihrem Genuß, in der bloßen Freude dazu führte, die Welt ringsum zu vergessen. Das konnte tröstlich sein, auf Dauer aber zu erheblichem Realitätsverlust führen.
In jenen Jahren entstand die „personalisierte“ Musik: Viele Schlager wurden eigens für bestimmte Künstler und Künstlerinnen geschrieben und erst durch die Bezogenheit auf ihre Interpreten bzw. Interpretinnen kamen die Lieder voll zur Geltung. Das bedeutete, daß der Erfolg eines Musikstückes abhängig war von der Attraktivität des Vortragenden, denn dieser stand im Vordergrund, weniger der Texter oder Komponist. Wie Filmschauspieler und Sportler gehörten auch die Schlagerstars zu den Idolen Jugendlicher. Prominente Schauspieler und Sänger sowie deren Kolleginnen waren folglich auch für das Regime von großer Bedeutung, da sie als Leitbilder fungierten. Dann etwa, wenn sie für das „Winterhilfswerk“ spendeten oder gar sammelten, also mit „gutem Beispiel“ vorangingen und mit ihrem Verhalten den Zuschauern und Hörern Orientierung boten.
Zwar appellierten auch einige Lieder an das Gemeinschaftsgefühl, wirksamer aber praktizierten sie die Gemeinschaft selbst. Unterhaltungssendungen, wie das „Wunschkonzert“, wurden zu einer „Familiensendung“ inszeniert. Filme und damit Schlager wurden in der Regel gemeinschaftlich gesehen bzw. gehört, und schließlich wurden diese Lieder oftmals in der Freizeit oder im „Arbeitseinsatz“ in Gruppen (nach-)gesungen. Möglich war dies, da man sich noch auf die reine, unverfälschte Singstimme konzentrieren konnte. Von wenigen Ausnahmen abgesehen („Und die Musik spielt dazu“, 1938; „Kauf dir einen bunten Luftballon“, 1943), wurde der Vortrag des Interpreten erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit Summchören unterlegt, traten textlose Begleitgesänge auf bestimmte Vokale, Vogelgezwitscher oder Meeresrauschen, Echoeffekte und andere Produktionstricks hinzu. Mit der Vorgehensweise des gemeinschaftlichen Singens wurden soziale Gegensätze verschleiert. Zugleich wurde die solidarische, Schutz bietende Gemeinschaft und der Glaube an gleiche Interessen und Bedürfnisse aller Menschen propagiert.
Mit den Schlagern wurde massenwirksam ein Teil des nationalsozialistischen Gedankengutes in gefühlvolle Texte verpackt. Zu den Grundmotiven der NS-Ideologie, die Eingang in die Lieder fanden, gehörten die (Volks-)Gemeinschaft, der Nationalismus, das Führerprinzip, die Propagierung eines Feindbildes, der Militarismus und die Rolle der Frau. Waren vor allem die Soldatenlieder geeignet, diese Ideologie zu verbreiten, so konnten die Schlager das Bewußtsein für die Liebe und Treue zur Heimat schärfen.
Schließlich waren Schlager zur Instrumentalisierung über Film und Funk bestens geeignet, da sie die Zuschauer und Zuhörer von intellektuellen Anstrengungen entlasteten und sie damit staatlicherseits besser zu kontrollieren waren.
1 |
Hanns-Werner Heister/Jochem Wolff: Macht und Schicksal. Klassik, Fanfaren, höhere Durchhaltemusik, in: Hanns-Werner Heister/Hans-Günter Klein (Hg.): Musik und Musikpolitik im faschistischen Deutschland, Frankfurt/M. 1984, S. 115–125. |
2 |
Fania Fénelon: Das Mädchenorchester in Auschwitz, München 1981, S. 153. |
3 |
Gabriele Knapp: Das Frauenorchester in Auschwitz. Musikalische Zwangsarbeit und ihre Bewältigung, Hamburg 1996, S. 119. |
4 |
Schweizer Illustrierte Zeitung, Nr. 41/1943, 6.10.1943, S. 19. |
5 |
Henry Picker: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, München 21981, S. 119 („Tischgespräch“ vom 3.3.1942). |
6 |
Christof Siemens: Nach der Schlacht, in: Die Zeit, 16.4.2003. |
7 |
Hans-Ulrich Thamer: Geschichte und Propaganda. Kulturhistorische Ausstellungen in der NS-Zeit, in: Geschichte und Gesellschaft, Heft 3/1998, S. 349. |
8 |
Peter Reichel: Der schöne Schein des Dritten Reiches. Faszination und Gewalt des Faschismus, Frankfurt/M. 1993, S. 350 f. |
9 |
Albrecht Riethmüller/Helmut Rösing: Musik und Politik im 3. Reich, in: Herbert Bruhn u. a. (Hg.): Musikpsychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen, München/Wien/Baltimore 1985, S. 342. |
10 |
Eugen Hadamovsky: Dein Rundfunk. Das Rundfunkbuch für alle Volksgenossen, München 1934, S. 50. |
11 |
Konrad Vogelsang: Filmmusik im Dritten Reich. Die Dokumentation, Hamburg 1990, S. 22. |
12 |
Andreas Ballstaedt: Unterhaltungsmusik, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie, hg. von Ludwig Finscher, Kassel/Basel 1998, Bd. 9, S. 1187. |
13 |
Ebd., S. 1193. |
14 |
Hildegard Köhne: Politische Dimensionen im modernen deutschen Schlager, Diss. Paderborn 1980, S. 13. |
15 |
Ballstaedt, S. 1191. |
16 |
Aus der Rede Goebbels’ anlässlich des 50. „Wunschkonzerts“, zit. nach VB, 2.12.1940. |
17 |
Joseph Goebbels: Die Zeit ohne Beispiel. Reden und Aufsätze aus den Jahren 1939–1941. München 1941, S. 219. |
18 |
André Uzulis: Nachrichtenagenturen im Nationalsozialismus, Frankfurt/M. 1995, S. 28 f. |
19 |
Marlies G. Steinert: Hitlers Krieg und die Deutschen. Stimmung und Haltung der deutschen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg, Düsseldorf/Wien 1970, S. 30. |
20 |
Franz Ritter (Hg.): Heinrich Himmler und die Liebe zum Swing. Erinnerungen, Leipzig 1994. |
21 |
Zu den „typischen“ Nazi-Liedern s.: Anne Niessen: Die Lieder waren die eigentlichen Verführer! Mädchen und Musik im Nationalsozialismus, Diss. Mainz 1999; Richard Kopffleisch: Lieder der Hitlerjugend, Frankfurt/M. 1995; Georg Walter Heyer: Die Fahne ist mehr als der Tod, München 1980. |
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Barbara König (geb. 1925): Die verpaßte Chance, in: Marcel Reich-Ranicki (Hg.): Meine Schulzeit im Dritten Reich. Erinnerungen deutscher Schriftsteller, München 21985, S. 128. |
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Horst Krüger (geb. 1919): Das Grunewald-Gymnasium. Eine Erinnerung an die Banalität des Bösen, in: Reich-Ranicki, S. 44 f. |
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BA, R 55/557, fol. 1, S. 6. |
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Köhne, S. 96. |
Im Zeitalter moderner Massenkommunikationsmittel ist es kaum nachvollziehbar, daß ein so alltägliches Gerät wie der Radioapparat in früheren Tagen etwas Besonderes darstellte. Noch vor zwei Generationen war es ein Ereignis, wenn die ganze Familie in der guten Stube beisammensaß und gemeinsam den Stimmen und Tönen, die aus dem bestaunten Wunderwerk der Technik erklangen, zuhörten. Heute dagegen ist das Rundfunkprogramm in den Hintergrund getreten, es wird beiläufig gehört und dient, von Nachrichtensendungen abgesehen, meist nur der Berieselung. Die Anfänge dieses Mediums, seine Entwicklung und Verbreitung fallen in eine spannende Zeit, in die Nachkriegszeit, die mit Schlagworten wie „Ruhrkampf“, „Inflation“, „Weltwirtschaftskrise“, „Demokratie ohne Demokraten“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Mit den Worten „Achtung! Hier Sendestelle Berlin, Voxhaus, Welle 400 m“ begann am 29. Oktober 1923 mit Sendungen der Berliner Radio-Stunde A. G. der allgemein zu empfangende Rundfunk in Deutschland.1
In jenem Jahr war der Radioempfang allerdings nur in Berlin möglich – ein besonderes, aber technisch noch unausgereiftes Vergnügen, das bis zum Jahresende von 1.580 offiziell gemeldeten Rundfunkteilnehmern in Anspruch genommen wurde. Doch ab 1924 – am 1. Juli war eine Teilnehmerzahl von 100.000 erreicht – wurde reichsweit gesendet: Der ersten deutschen Rundfunkgesellschaft folgten die Hauptsender Leipzig, München, Frankfurt, Hamburg, Stuttgart, Breslau, Königsberg und Münster (später Köln). Damit gliederte sich das Deutsche Reich in neun Sendebezirke. 1926 wurden die regionalen Rundfunkgesellschaften in der Dachorganisation der Reichsrundfunkgesellschaft (RGG) zusammengefaßt. Der Beginn des Rundfunkzeitalters fiel in die Zeit der Inflation und konnte sich erst mit der wirtschaftlichen Stabilisierung ab 1925 entfalten. War der Radioempfang bislang nur einer privilegierten Schicht wohlhabender Bürger vorbehalten, so nahm in den „goldenen“ zwanziger Jahren die Rundfunkdichte in Deutschland kontinuierlich zu. Parallel dazu kam es in der Rundfunkindustrie zu einem wahren Gründerboom. Durch Konzentration und Verdrängungswettbewerb auch in diesem Sektor schrumpfte dann jedoch die Zahl der radioproduzierenden Unternehmen am Ende der Weimarer Republik auf 39 Firmen.
Der Popularität des Rundfunks stand die Angst der Varieté-, Kabarett- und Kaffeehausbesitzer entgegen, die um ihre Einnahmen fürchteten, da die rasche Verbreitung des Rundfunks die Unterhaltungsmusik, insbesondere den Tanzschlager, immer mehr aus den Salons löste und via Rundfunkübertragung einer breiten Hörerschaft zugänglich machte. Die Unterhaltung als Freizeitbeschäftigung mußte nun nicht mehr außer Hauses gesucht werden, sondern sie konnte in der Wohnung gemeinschaftlich und kostengünstiger genossen werden. In jenen Jahren schlug sich der Fortschrittsglaube auch im Schlager nieder. Das Lied „Die schöne Adrienne hat eine Hochantenne“ mit seinen textlichen Zweideutigkeiten war 1925 in aller Munde:2
Wo man geht, wo man sitzt und steht
Ist von Radio heut nur die Red .
Vom Kellerloch bis hoch zur Mansard
Ist alles drin vernarrt.
Manche Maid, wenn schon Schlafenszeit,
steigt ins Bettchen empfangsbereit,
und sie genießt mit dem Ohr
ihren Lieblingstenor horizontal ideal.
Die schöne Adrienne,
tschintarata-ta-ta-ta-ta-ta-radio,
hat eine Hochantenne,
tschintarata-ta-ta-ta-ta-ta-radio,
aus aller Herren Länder,
tschintararta-ta-ta-ta-ta-ta-radio,
trara-trara-ra-dio
Manchmal sucht ein junger Mann
schnell ein Zimmer, schwer kommt s ihn an,
Bad, Telephon und wie es heut Brauch,
Radioanschluß auch.
Ganz verzagt trifft er und befragt
Einen Freund, dem sein Leid er klagt.
Der hat voll fröhlicher Hast
Ihn beim Arm gleich gefaßt:
„Komm nur, ich weiß was dir paßt“.
Die schöne Adrienne …
Sie und er als ihr Zimmerherr
Suchen Wellen nun kreuz und quer.
Sie dreh n zusammen am Radiophon,
Paris berauscht sie schon.
Plötzlich da sind zum Greifen nah
Wellen aus Zentralafrika,
und ganz entsetzt kommt sie knapp
unverhofft bis zum Kap
der guten Hoffnung hinab.
Die schöne Adrienne …
Zu Beginn des „Dritten Reiches“ war erst etwa jeder vierte Haushalt mit einem eigenen Rundfunkgerät bestückt, doch als Sensation galt das Radio nicht mehr. In den zehn Jahren seit Aufnahme des Sendebetriebs war eine einflußreiche Rundfunkindustrie entstanden, die durch eine rasche technische Entwicklung einen immer reineren Hörgenuß präsentierte und neben musikalischen Darbietungen Informationen aus dem politischen, kulturellen und sportlichen Bereich bot. Die Nationalsozialisten konnten nun den Rundfunk für ihre Zwecke in Anspruch nehmen und ihn uneingeschränkt als Herrschaftsinstrument einsetzen. Einige Jahre zuvor hatte sich Joseph Goebbels, seit März 1933 Propagandaminister der neuen Regierung, noch ablehnend gegenüber dem neuen Medium geäußert: „Radio! Radio! Radio im Hause! Der Deutsche vergißt über Radio Beruf und Vaterland! Radio! Das moderne Verspießungsmittel! Alles zu Hause! Das Ideal des Spießers!“3 Aber seine Einstellung änderte sich sehr rasch, nachdem er erkannt hatte, wie virtuos sich der Rundfunk am 30. Januar 1933 für die „nationale Sache“ hatte einsetzen lassen.4 Es sollte nicht lange dauern, bis Goebbels, der bekanntlich das gesprochene Wort als Propagandamittel geeigneter hielt als das geschriebene, sich den Rundfunk als Mittel der politischen Propaganda zu eigen machte. Als Instrument einer großen politischen Absicht wertete auch Eugen Hadamovsky, Reichssendeleiter der Reichsrundfunkgesellschaft, den Rundfunk, der möglichst schnell und umfassend zu „einem geistigen Willensträger der politischen Führung sowie zum Sprachrohr des Führers“ werden sollte.5 Das Rundfunkhören hatte nicht länger mehr „die Privatangelegenheit jedes einzelnen“, sondern „eine staatspolitische Pflicht für jeden am Aufbau des neuen Reiches tätigen Deutschen“ zu sein.6
Die Zielsetzung einer allumfassenden Hörerschaft konnte jedoch nur erreicht werden, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben waren. Dazu zählte zunächst einmal die Schaffung einer mächtigen Organisation mit weitreichenden Kompetenzen, dann die Herstellung und Sicherung einer sendetechnischen Rundfunkversorgung, also die Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl preisgünstiger Rundfunkgeräte, sowie die Gestaltung eines Programms im nationalsozialistischen Sinne. Mit Weitsicht hatten die Verantwortlichen erkannt, daß der Rundfunk zunächst als „ein künstlerisches Instrument und erst in zweiter Linie“ als „ein Nachrichteninstrument“ fungieren sollte. Folglich galt der Musik höchste Aufmerksamkeit: Denn während der Rundfunk auf der Musik aufbaut und die Nachricht nebenbei pflegt, baut die Zeitung auf der Nachricht auf und pflegt die künstlerische Kultur nebenbei.“7 Mit diesem hörerfreundlichen Programm, das weniger sprachbetont war als in der Weimarer Republik, wirkte der Rundfunk an der „Gleichschaltung“ der Bevölkerung mit, das heißt, er besaß, wie auch das Kino jener Jahre, eine milieunivellierende Kraft.
Als sich Jahre später die Zeiten geändert hatten, der Kriegsalltag in das „Tausendjährige Reich“ eingekehrt war und die Nachrichten und Frontberichte eine immer größere Bedeutung erlangten, erweiterte sich die Rolle des Rundfunks. Nun sollte er „den im schweren Kampf stehenden Soldaten und den in der Heimat hart Arbeitenden ein treuer Helfer“ sein. Er sollte, wie auch der Film, „Kraftspender derer sein, deren täglich erneuertes Bekenntnis zum nationalsozialistischen Gedanken der Einsatz ihres Lebens und ihrer Gesundheit ist.“8 Besonders gefordert und gefördert wurde mit Kriegsbeginn die Unterhaltungsmusik, die laut Goebbels nun „genau so wichtig wie Kanonen und Gewehre“ war.9 Auf der Jahrestagung der Reichskulturkammer und der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ am 27. November 1939 erklärte der Propagandaminister:
Wir müssen uns auf den Standpunkt stellen, daß, je dunkler die Straßen sind, desto heller unsere Theater und Kinosäle im Lichterglanz erstrahlen sollen. Je schwerer die Zeit, desto leuchtender muß sich über ihr die Kunst als Trösterin der Menschenseele erheben.10
Die ständige Berieselung mit Musik sollte den Hörer erst gar nicht auf den Gedanken bringen, ausländische Sender einzuschalten. Bis zum 31. August 1939 galt es zwar als „unerwünscht“, doch verboten war das Abhören ausländischer Sender nicht. Vielmehr warben bis Kriegsbeginn alle Rundfunkzeitschriften mit einem „großen Europaprogramm“. Das änderte sich schlagartig mit der vom Ministerrat für die Reichsverteidigung erlassenen „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“ vom 1. September 1939:
§ 1 Das absichtliche Abhören ausländischer Sender ist verboten. Zuwiderhandlungen werden mit Zuchthaus bestraft. In leichteren Fällen kann auf Gefängnis erkannt werden. Die benutzten Empfangsanlagen werden eingezogen.
§ 2 Wer Nachrichten ausländischer Sender … vorsätzlich verbreitet, wird mit Zuchthaus, in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft.11
Gegen Ende des Jahres wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sich das Abhörverbot auch auf das Hören von Musikdarbietungen ausländischer Sender erstreckte.12 Ebenso beim Kauf eines Rundfunkgerätes wurde stets auf dieses Verbot aufmerksam gemacht, denn es kam immer wieder zu Verstößen, die vor allem in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten schwer geahndet wurden. Aber auch im Reich ergriff man drastische Maßnahmen, die das verbotene Abhören „ausmerzen“ sollten. Die Zeitungen erwiesen sich hierbei als Abschreckungsorgan, berichteten sie doch regelmäßig und ausführlich über die Konsequenzen:
Abhören ausländischer Sender bleibt nach wie vor verboten. Verstöße werden mit aller Strenge geahndet …