Javier Marías
Böses Blut oder mit Elvis in Mexiko
Erzählung
Aus dem Spanischen von Susanne Lange
FISCHER digiBook
Javier Marías, 1951 als Sohn eines vom Franco-Regime verfolgten Philosophen geboren, veröffentlichte seinen ersten Roman mit neunzehn Jahren. Seit seinem Bestseller ›Mein Herz so weiß‹ gilt er weltweit als interessantester Erzähler Spaniens. Sein umfangreiches Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Nelly-Sachs-Preis sowie dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. Seine Bücher wurden in über vierzig Sprachen übersetzt.
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Elvis dreht einen Film in Acapulco, und weil der Spanier Marías alias Roy Berry zur selben Zeit in der Nähe weilt, wird er angeheuert, Elvis Spanisch beizubringen bzw. die wenigen Worte wie »muchas muchachas bonitas«, die der berühmte Sänger sagen muss, Spanisch klingen zu lassen. Als die Filmcrew in einer Bar landet und um die Aufmerksamkeit der hübschen Sherry oder Terry buhlt kommt es zu einer Schlägerei. Zwischen Fäusten und Messern versucht Roy zu schlichten. Aber am Ende wird der Spanier für die wild gewordenen Mexikaner selbst zur Zielscheibe und rennt um sein Leben.
Erschienen bei FISCHER digiBook
Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel ›Mala índole‹,
enthalten im Erzählband ›Mala índole. Cuentos aceptados y aceptables‹ im Verlag Alfaguara, Madrid
© Javier Marías, 2012 published by agreement with Casanovas & Lynch Agencia Literaria S. L., Barcelona and Michi Strausfeld, Barcelona-Berlin
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015
Covergestaltung: hißmann, heilmann, hamburg
Coverabbildung: Purestock/Gettyimages
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403502-4
Für jemanden, der mir ins Ohr lacht
Niemand weiß, was es bedeutet, verfolgt zu werden, wenn er es nicht am eigenen Leib erfahren hat und die Verfolgung nicht beharrlich und unerbittlich war, ausgeführt mit Bedacht und Entschlossenheit, mit Eifer und ohne Rast, hartnäckig oder fanatisch, als hätten die Verfolger nichts anderes im Leben zu tun, als uns zu packen, nachdem sie uns gesucht, verfolgt, gehetzt und ausfindig gemacht haben und höchstens noch auf eine bessere Gelegenheit warten, die Rechnung mit uns zu begleichen. Es geht nicht darum, dass uns jemand aufs Korn genommen hat, dass er bereit ist, uns zu vernichten, wenn wir ihm über den Weg laufen oder die Chance dazu geben, es geht um niemanden, der uns Rache geschworen hat und wartet, wartet, einfach nur wartet, also passiv bleibt oder seine Attacken erst ausbrütet, die noch keine Attacken sind, solange sie Pläne bleiben, wir rechnen mit ihnen, aber vielleicht treten sie niemals ein, vielleicht erleidet unser Feind einen Herzinfarkt, bevor er sich tatsächlich ans Werk machen kann, bevor er sich wirklich ins Zeug legt, um uns zu schaden oder zu zerstören. Vielleicht vergisst er es auch, beruhigt sich, wird abgelenkt und vergisst es, und wenn wir ihm nicht wieder über den Weg laufen, kommen wir womöglich davon, die Rache ermüdet, und oft verblasst der Hass, ein zerbrechliches, flüchtiges Gefühl, wenig dauerhaft und schwer aufrechtzuerhalten, sogleich weicht es dem Groll oder der Erbitterung, leichter zu ertragende, leichter abzurufende Gefühle, weit weniger gewaltsam und schon gar nicht dringlich, jetzt, jetzt sofort, ich will ihn tot sehen, bringt mir den Kopf dieses Hurensohns, zieht ihm das Fell über die Ohren, teert und federt ihn, das Fell über die Ohren und den Kopf gleich mit, ein Haufen Dreck, damit er niemand mehr ist und der Hass aufhört, der mich so quält.
Nein, es geht um niemanden, der uns aufs Korn nimmt, wenn wir in sein Schussfeld geraten, es sind nicht diese zivilisierten Feindschaften, bei denen man sich schadlos hält, indem man einen Namen von der Gästeliste des Botschaftsballs streicht, bei denen man seiner Redaktion die Erfolge des Widersachers verschweigt oder ihn nicht zu einem Kongress einlädt, weil man früher einmal von ihm übergangen wurde. Es ist auch nicht der Gehörnte, der sich um Revanche bemüht oder um das, was er für Revanche hält, es ist nicht einmal der Mann, der dir seine Ersparnisse anvertraut hat und übers Ohr gehauen wurde, der im Voraus für ein Haus bezahlt hat, das niemals gebaut wurde, oder der alles Geld in einen Film gesteckt hat, von dem niemals auch nur ein Meter gedreht werden sollte, unglaublich, wie viele der Film umgarnt und betrügt. Es ist auch nicht der Schriftsteller oder Maler, der nicht den Preis bekommen hat, den du gewonnen hast, und glaubt, sein Leben wäre anders verlaufen, wenn es damals gerecht zugegangen wäre, vor zwanzig Jahren schon; es ist nicht einmal der einfache Tagelöhner, tausendmal geschlagen vom Vorarbeiter, gewalttätig, erbarmungslos, mit Rückendeckung des Besitzers, und der sich nach einem Befreier, einem neuen Zapata sehnt, in dessen Schatten er unbemerkt ein Messer in den Bauch seines Peinigers stoßen kann und nebenbei gleich in die Halsschlagader des Großgrundbesitzers, denn dieser Tagelöhner ist ebenfalls im Modus des Wartens, um nicht zu sagen, in dem des kindlichen Phantasierens, in den wir alle ab und an verfallen, um uns unsere Sehnsüchte in Erinnerung zu rufen, ja, genau, um sie nicht zu vergessen, die Wiederholung dient nur zum Schein dem Gedächtnis, aber in Wahrheit verwischt und täuscht sie es, beschwichtigt es auch, verweist die Bedürfnisse in die Sphäre der Heilserwartung, und so scheint nichts mehr von uns abzuhängen, nichts hängt mehr von den Tagelöhnern ab, und der Vorarbeiter weiß, dass eine vage oder unwirkliche Drohung über ihm schwebt, er leidet unter seiner eigenen Phantasie, der Angstphantasie, die bloß dazu führt, dass er Brutalität und Wut auf die Spitze treibt und sich im Voraus für den Messerstich in den Bauch revanchiert, den er nur im Traum erhält, in seinem und in dem des anderen.
Nein, verfolgt zu werden, ist nichts davon, ist nicht das Wissen um die Möglichkeit, nicht das Wissen um den Mörder, der kommen wird, wenn wieder ein Bürgerkrieg in unseren so schnell gekränkten, unbeherrschten Ländern ausbrechen sollte, ist nicht die Gewissheit, dass uns jemand auf die Hand treten würde, wenn wir uns an den Rand eines Abgrunds klammern (gewöhnlich gehen wir dieses Risiko nicht ein, nicht in Gegenwart der Unbarmherzigen), ist nicht die Furcht vor einer unliebsamen Begegnung, die man vermeiden kann, indem man andere Straßen frequentiert, andere Bars, andere Wohnungen, es ist nicht die Furcht vor dem Zufall, der uns verhöhnt, vor dem Blatt, das sich eines Tages gegen uns wendet, es sind nicht die möglichen oder wahrscheinlichen, nicht einmal die gewissen, jedoch stets künftigen Feinde, die man sich schafft, nicht die Beleidigung, deren Vergeltung in eine noch nicht eingetroffene Zeit verbannt ist, für fast alles gibt es Aufschub, fast nichts ist unmittelbar, ist nicht einmal existent, wir leben mit der Verzögerung, der Ankündigung, den Plänen, Projekten und Absichten, wir vertrauen auf die unendliche Trägheit und Lethargie eines jeden, auf die Trägheit der Dinge beim Vollziehen, Verwirklichen, Ausführen.