……………….und plötzlich war alles anders.
Ich war nach einer gescheiterten Ehe zum zweiten Mal verheiratet. Wir lebten mit unseren beiden Hunden Trixie und Lisa in meinem kleinen Haus am Stadtrand der Kreisstadt im Südsauerland. Meine drei Kinder aus der ersten Ehe hatten alle ihre Ausbildung abgeschlossen und führten ihr eigenes Leben.
Stefanie, die Älteste, wohnte ein paar Kilometer entfernt mitten in der Stadt, zusammen mit ihrem Lebensgefährten und ihrer kleinen Tochter Lena.
Janina lebte in Ludwigshafen und ihr Zwillingsbruder Jan hatte sich zusammen mit seiner Frau Steffi und Sohn Robin in meinem Dachgeschoß eine kleine Wohnung eingerichtet.
Klar gab es hier und da Probleme, aber wo gibt es die nicht.
Dann brach innerhalb weniger Wochen alles zusammen. Jans Ehe ging in die Brüche, Steffi zog mit Robin aus.
Kurz darauf wurde unsere Hündin Trixie von unserem Nachbarn vergiftet und starb.
Mein Mann war vollkommen außer sich vor Wut und Trauer und kaufte sofort einen neuen Hund, unsere Sandy, eine Kleine Münsterländerin, 12 Wochen alt.
Wenige Wochen später nahm sich mein Mann das Leben. Sein größtes Problem, seine Tablettensucht, hatte ihn mal wieder eingeholt. Nach einem erneuten Rückfall hat er wohl für sich selbst keinen Ausweg mehr gesehen.
Die folgenden Wochen waren nicht spaßig. Zu der plötzlichen Einsamkeit kamen die finanziellen Probleme, wenn plötzlich die Hälfte der Einkünfte wegfällt. Der chronische Zeitmangel für Hunde, Haus und Garten brachte mich an meine Grenzen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mein Leben wieder in den Griff bekam und mich neu sortiert hatte.
Jan war kaum noch zu Hause, er hatte scheinbar das Bedürfnis, sich auszutoben. Irgendwann fand er dann eine neue Partnerin und lebte fast ausschließlich bei ihr. Die kleine Wohnung oben stand durchschnittlich 360 Tage im Jahr leer.
Ich war allein – mit einem erwachsenen Hund und einem Welpen, einem Haus mit Riesengarten und einem Ganztagsjob.
7 Jahre sollte mein Single-Leben dauern. In dieser Phase fing ich an, ein paar Alltagsgeschichten aufzuschreiben, zum Reden war ja niemand da.
Wenn ich dann die Geschichten noch einmal durchlas, musste ich oft herzhaft lachen, sah Vieles aus einem ganz anderen Blickwinkel und begann, diese Geschichten zu sammeln. Denn eigentlich gibt es kaum etwas Amüsanteres, als den Alltag.
Weihnachten gehört der Familie. Den Heiligabend feiern die Eltern mit ihren Kindern, an den beiden Weihnachtstagen kommt bei den Großeltern die ganze Familie zusammen. So war es schon immer und es war wundervoll so.
Der Tod meines Mannes war fast ein Jahr her. Ich hatte eigentlich alles ganz gut gemeistert, obwohl es nicht gerade einfach war. Und dann stand Weihnachten vor der Tür.
Meine erwachsenen Kinder hatten schon alles geplant – so wie immer eben. Die Vorweihnachtszeit war hektisch, und bevor mir klar wurde, dass ich ja wohl alleine bleiben würde, war der halbe Dezember auch schon um …………….
O Tannenbaum!
Na, das nennt man mal verkorkste Weihnachten.
Die Vorweihnachtszeit im Geschäft war schon alles andere als lustig. Wir mussten förmlich zu Hochform auflaufen, um überhaupt alles auf die Reihe zu bekommen. Wahnsinnig viel zu tun, Hektik, Chaos und dann noch die Aussicht, am Heiligabend arbeiten zu müssen.
O Tannenbaum ….
Zwei Wochen vor Weihnachten frage ich mal vorsichtig, was meine Kinder denn Heiligabend so geplant haben. Bei Stefanie, Michael und Lena gibt es Putenkeulen, 3 Stück, für jeden eine …. Na ja, nach Einladung klang das nicht!
Jan ist bei den Eltern von Sabrina eingeladen. Freut mich ja auch für ihn, wenn er in die Familie aufgenommen wird. Und das an Heiligabend, das ist schon ein dickes Kompliment.
Nina ist viel zu weit weg und hat auch ihre eigenen Pläne.
Mutter, finde dich damit ab, an Heiligabend gehören die jungen Familien in den eigenen Stall. In Bethlehem gab’s zwar Hirten, Ochs und Eselein, Engel, 3 Könige – aber von einer Oma steht nirgends etwas. Also alles ganz normal. Meine Weihnachtsstimmung allerdings macht sich so langsam auf den Weg Richtung Nullpunkt. Ich beschließe spontan, dass es den dieses Jahr nicht gibt, den …
O Tannenbaum ….
Eine Woche vor Weihnachten ein Lichtblick – Chef beschließt, den Laden an Heiligabend und Silvester gar nicht erst zu öffnen. Ich beeile mich, ihm zu versichern, dass an Heiligabend sowieso niiiiie etwas los ist. (Ist noch nicht einmal gelogen, außerdem würde er sich hüten, es auszuprobieren).
O Tannenbaum ….
Am letzten Samstag Geschenke und Lebensmittel für den 2. Feiertag kaufen. Glück gehabt, für jeden was gefunden. Lenas Geschenk kommt von ebay, Robins besorgt der Jan. Süßigkeiten werden in der Woche noch eingekauft und das war’s dann.
Zu Hause war inzwischen grade die Sandy durch die Glastür gesprungen, aber ein Lichtblick – unverletzt -.
Abends zerdeppere ich noch meine Fensterbank – noch ein Lichtblick – nur in 2 Teile.
O Tannenbaum ….
Die letzte Woche fordert uns in der Firma bis kurz vor dem Zusammenbruch. Ich klappere so ziemlich alle Supermärkte ab – jeden Abend einen – um noch ein paar Süßigkeiten zu ergattern. Für wen eigentlich? – Was ich so insgesamt erstehe, reicht mindestens bis Ostern.
Lisa hinkt, weigert sich aber mit überzeugendem Knurren, sich die Pfote näher zu untersuchen zu lassen. Ich befürchte einen Glassplitter von der Tür, warte aber erst einmal ab.
Das Wetter ist mies, jeder Hundespaziergang wird zum Schlammbad.
Die Wohnung sieht fürchterlich aus. Ich erstehe noch ein beleuchtetes Drahtgestell in Tannenbaumform, und bin vollkommen fertig.
O Tannenbaum ….
Am Tag vor Heiligabend will ich noch putzen, bin aber so erledigt, dass ich das auf den – welch Geschenk des Himmels – freien Heiligabend verschiebe.
Ein Lichtblick - Lisa hinkt nicht mehr ganz so schlimm.
Ich stelle noch das Drahtgestell auf – na denn.
O Tannenbaum …
Heiligabend – Putzen – Geschenke einpacken – Hexenschuss. Na wunderbar! Ich stehe mit dem Wischmop im Flur und komme nicht mehr hoch.
Jan bastelt fast den ganzen Tag an Sabrinas Weihnachtsgeschenkverpackung herum. Aufräumen und Schnipsel einsammeln überlässt er mir dann. Na, wenigstens dafür bin ich noch zu gebrauchen.
Sabrina bügelt die Schleifen für den Tannenbaum auf – mein Bügeleisen ist bis jetzt noch nicht wieder aufgetaucht.
Ich werfe eine ungesunde Menge Schmerztabletten ein und putze weiter.
Telefon! Robin ruft an: Hallo Omi, ich wollte dir frohe Weihnachten wünschen. Ich bin so gerührt und könnte losheulen. - Ein richtiger Lichtblick - Der kleine Schatz.
O Tannenbaum …
Jan war wohl doch etwas erschrocken, als er feststellt, dass ich alleine bleibe und bringt mir vor seiner Abfahrt schon mal mein Weihnachtsgeschenk.
Ich erleuchte meinen Drahtweihnachtsbaum, drapiere Geschenke und Süßigkeiten auf dem Esszimmertisch. Schön! Ich ziehe den Stecker wieder raus und mache die Tür zu.
O Tannenbaum …
Morgen gibt es noch mal dasselbe, Stefanie hatte die Sets auch entdeckt.
O Tannenbaum …
Ein heißes Bad macht den Hexenschuss erträglich. Ich setze mich mit einer Tasse frischen Kaffee und einer Tüte Blätterkrokant vor ein Computerspiel. Fröhliche Weihnachten, Mutter.
Sabrina freut sich über Kerzenständer – Glückstreffer, ich hatte nicht gewusst, dass sie auch ein Kerzenfan ist. Na ja, wenigstens ein Lichtblick.
Stefanie kommt zum Stricken, mit viel Spaß, wie eigentlich immer.
Für Stefanie hatte ich nichts doppelt gekauft, und die gelbe Jacke steht ihr einfach einmalig gut. - Schon wieder ein paar Lichtblicke. –
Leute, wisst ihr was. Ich muss mich wohl damit abfinden, die Abende unter dem Tannenbaum, drei Kinder mit blanken Augen, der Duft nach Kerzen und Plätzchen, nach Nüssen und Lebkuchen, sind ein für allemal Vergangenheit.
Morgen klappe ich das Drahtgestell zusammen und fange an, mein Esszimmer zu renovieren – oder vielleicht doch besser erst nächste Woche, mit Rücksicht auf den Hexenschuss?
O Tannenbaum ….