Günter Elsässer
Schiffe, Häfen, Mädchen - Seefahrt 1956 - 1963
Band 30 in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort des Herausgebers
Hamburg 1956
Das erste Schiff M.S. „QUARTETT“
Dampfer „DITMAR KOEL“
Mit Dampfer DITMAR KOEL in Kalkutta
Dampfer „REINBEK“
Mit der REINEK zum Mittelmeer
Dampfer „ELLERBEK“
Dampfer „REGINA“
Mit der REGINA Richtung Afrika
Die maritime gelbe Buchreihe
Weitere Informationen
Impressum
Vorwort des Herausgebers
Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig 140 Betten. In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.
Im Februar 1992 begann ich, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen, dem ersten Band meiner gelben Reihe „Zeitzeugen des Alltags“: Seemannsschicksale.
Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften zu meinem Buch.
Eine Rezension zur maritimen gelben Reihe: Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe“. „Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights der Seefahrts-Literatur. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechselungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlich hat. Alle Achtung!
Diese positiven Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage ermutigen mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben. Diese Zeitzeugen-Buchreihe umfasst inzwischen über siebzig maritime Bände.
In diesem Band 30 können Sie wieder Erlebnisberichte, Erinnerungen und Reflexionen eines ehemaligen Seemanns kennen lernen, der von 1956 bis 1963 weltweit, zunächst als Maschinenjunge, später als Reiniger, Kesselwärter und Maschinist unterwegs war. Er erzählt in farbigen Milieubeschreibungen von seinen interessanten Reisen auf teilweise alten Schiffen, von den Kollegen, von den damals oft noch sehr primitiven Lebens- und Arbeitsbedingen im Maschinenraum und in den Schiffsunterkünften. Zu der Zeit hatten die Schiffe noch lange Liegezeiten in den Häfen, und die Seeleute nutzten den Landgang zum Kennenlernen der Hafenorte, zu Kontakten mit den einheimischen Schönen und anderen abenteuerlichen Erlebnissen.
In diesem Zusammenhang wurde ich bei der Lektüre des Manuskripts wieder mal an den bekannten Theologieprofessor und langjährigen Prediger auf der Kanzel des Hamburger Michels, Helmut Thielicke, erinnert, der 1958, also etwa zur gleichen Zeit, eine Seereise nach Japan auf einem Frachtschiff der HAPAG unternahm und seine Erlebnisse an Bord in dem Buch ‚Vom Schiff aus gesehen’ zusammenfasste. Seine hautnahen Begegnungen auf dieser wochenlangen Reise mit Seeleuten brachten ihn zu dem Bekenntnis, dass ihm eine ganz neue, bisher unbekannte Welt erschlossen worden sei und er nun eigentlich sein kurz zuvor veröffentlichtes Ethikwerk umschreiben müsse: „Ich bemühte mich nach Kräften, offen zum Hören zu bleiben und - so schwer es mir fällt - selbst meine stabilsten Meinungen in diesem thematischen Umkreis als mögliche Vorurteile zu unterstellen, die vielleicht einer Korrektur bedürfen. Ich frage mich ernstlich, was an diesen meinen stabilen Meinungen christlich und was bürgerlich ist… Ich merke, wie schwer es ist, sich im Hinblick auf alles Doktrinäre zu entschlacken und einfach hinzuhören - immer nur hören zu können und alles zu einer Anfrage werden zu lassen... Bei meiner Bibellektüre achte ich darauf, wie nachsichtig Jesus Christus mit den Sünden der Sinne ist und wie hart und unerbittlich er den Geiz, den Hochmut und die Lieblosigkeit richtet. Bei seinen Christen ist das meist umgekehrt.“
Herrn Egbert Kaschner (†) sei für die Korrekturhilfe herzlich gedankt.
Hamburg, 2007 / 2015 Jürgen Ruszkowski
Schiffe, Häfen, Mädchen – Seefahrt vor fünfzig Jahren
Hamburg 1956
An einem heißen Sommertag des Jahres 1956 kam ich als 19jähriger Bursche per Autostop in Hamburg an. In der Tasche hatte ich noch ungefähr fünf Mark und im Kopf den Gedanken, was mir die Zukunft wohl bringen würde. Für die erste Nacht in der Jugendherberge am Stintfang direkt über dem Hafen reichte mein Geld gerade noch.
Von der Terrasse der Herberge konnte man auf die Werften von Blohm & Voss, Schlieker, Stülken und die Deutsche Werft AG blicken. Rund um die Uhr dröhnten die Niethämmer, nachts leuchtete der Feuerschein der vielen Kokskessel zum Glühen der Nieten über die Elbe. Sprühende Funken von Schleif- und Schweißgeräten erzeugten ein Feuerwerk auf den Hellingen, nur unterbrochen von vorbeifahrenden Schiffen, Barkassen, Hafenfähren und Schleppern.
Deutsche Werft Reiherstieg
Es war für mich, der ich aus einem kleinen Dorf im nördlichsten Bayern kam, eine überwältigende Kulisse, die ich staunend mit großen Augen ansah und sehr genoss.
In der Stadt lebte mein Onkel, der jedoch kein Telefon besaß, also setzte ich mich am nächsten Morgen in die nahe U-Bahn, um zu meiner Verwandtschaft zu fahren und um ein paar Tage Unterkunft zu bitten. Ich musste mir klar werden, wo ich in Zukunft Leben und mein Geld verdienen wollte.
In diese Überlegungen hinein platzte der Verlobte meiner Kusine, direkt von See kommend. Nachdem er mir die Vorzüge der Christlichen Seefahrt, freie Kost und Wohnung an Bord, obendrein Geld und Besuch fremder Länder, erklärt hatte, stand für mich fest: Ich fahre zur See!
Ich stieg wieder in die U-Bahn und fuhr von Wandsbek nach St.-Pauli Landungsbrücken und stieg die Treppen hoch zur Heuerstelle im Hamburger Seemannshaus, das heute zum Hotel Hafen Hamburg gehört.
Im heutigen ‚Hotel Hafen Hamburg’, damals ‚Hamburger Seemannshaus’,
befand sich der ‚Heuerstall’
Das Heuerbüro, bezeichnet wurde es von den Seeleuten als Heuerstall, bestand aus einem großen saalähnlichen Raum, die Fensterfront lag auf der Hafenseite über den Landungsbrücken, so dass fast jedes ein– und auslaufende Schiff, die meisten unter deutscher Flagge, zu sehen war und von den wartenden Seeleute mit entsprechenden Kommentaren bewertet wurde.
An der Stirnseite befanden sich drei oder vier Klappen, die von Zeit zu Zeit aufgingen und aus denen die Vermittler, meistens ehemalige Seeleute, die zu vergebenden freien Stellen mit Schiffsnamen und Fahrtgebiet ausriefen. In der Ecke eines Vorraums dröhnten aus der Musikbox die Lieder des damals neuen Stars Freddy Quinn. Die Hälfte der Anwesenden schlief zwischen vollen Aschenbechern über den Tischen hängend ihren Rausch der vergangenen Nacht aus oder versuchte durch ständigen Nachschub an Bier und Schnaps den Alkoholpegel nicht zu sehr sinken zu lassen. Die ganzen Räumlichkeiten, verqualmt und mit den Gerüchen und der Ausstattung eines heruntergekommenen Wartesaals dritter Klasse, dienten ungefähr einem Drittel der Anwesenden als Wohnzimmer. Schlafen und essen konnten sie zu günstigen Preisen im selben Haus. Die Reeperbahn und die noch mehr von den Seeleuten bevorzugten Bars der Seitenstraßen waren nur fünf Minuten entfernt.
Wenn das Geld zu Ende ging oder eine Beziehung zu anstrengend wurde, war es ein Leichtes, auf einem Schiff anzuheuern und auf elegante Art schnell zu verschwinden.
Matrosen und sonstiges Personal für Deck, Brücke und Kombüse fanden schnell einen Job auf einem neuen Schiff, doch für die meisten der Älteren aus dem Maschinenbereich, die vor und während des Krieges noch als Trimmer oder Heizer auf Kohlendampfern tätig gewesen waren, bestand kaum Aussicht, in Kürze eine Stelle an Bord zu erhalten.
Obwohl es kaum noch Kohledampfer gab, wollten die Heizer nur ungern auf einem Schiff mit Ölfeuerung anheuern und schon gar nicht auf einem neueren Schiff mit Dieselmotor. Sie konnten zwar die Kohle in die Kessel schaufeln und die Schlacke herausholen, hatten aber selbst mit der aus heutiger Sicht einfachen Technik der Ölfeuerung wenig im Sinn.
Ihre Gespräche drehten sich dann auch hauptsächlich um die so gute alte Zeit vor, während und auch nach dem Krieg, mit teilweise noch hölzernen Schiffen, aber immer eisernen Seeleuten.
Gute Themen waren auch, welcher Koch das schlechteste Essen kochte und welche Reederei am meisten an der vorgeschriebenen Verpflegungsgeldpauschale sparte oder wer wann und wie trotz Alkoholismus und ansteckender Krankheiten die Gesundheitsuntersuchung beim Amtsarzt überstand.
Dieses Milieu aus einer Mischung von großer weiter Welt, fahrenden, gesunkenen oder verschrotteten Schiffen, Alkoholikern und sonstigen gescheiterten Männern und unschuldigen Landeiern, wie ich selbst eines war, war faszinierend.
Das Rumhängen auf der Heuerstelle und die Gespräche mit den Seeleuten hatten nur ein Ergebnis: Es gab nur schlechte Reedereien, noch schlimmere Kapitäne und Schiffe mit fürchterlichen Fahrtgebieten.
Trotzdem stand für mich fest: Das ist meine Welt!
Also musste ich schnellstens die nötigen Papiere beschaffen. Das waren Einverständnis der Eltern, da die Volljährigkeit damals erst mit 21 Jahren erreicht war, ein polizeiliches Führungszeugnis und die Gesundheitskarte des Amtsarztes.
Das erste Schiff M.S. „QUARTETT“
6.8.1956 – 22.1.1957
Nach einer Woche hatte ich alles zusammen, der erste Schritt in ein neues, hoffentlich spannendes Leben konnte beginnen.
Die Klappe am Heuerbüro öffnete sich, ein prüfender Blick in die Runde. Alle schauten auf. „Ein Maschinenjunge für M.S. QUARTETT wird gesucht - Reisegebiet Ecuador.“
Da sich niemand meldete und ich dicht an der Klappe stand, fragte ich vorsichtig: „Kann ich die Stelle haben?“
Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, welche Aufgaben ein Maschinenjunge zu bewältigen hatte, noch war mir richtig klar, wo genau Ecuador lag.
Niemand fragte nach einer Schulausbildung oder abgeschlossenen Lehre, so erfuhr ich auch nicht, dass ich mit meiner Vorbildung auch als Ing.- Assi oder Schmierer zu einer sehr viel höheren Heuer hätte anmustern können.
Da meine Papiere für gut befunden wurden, bekam ich einen Zettel mit dem Liegeplatz des Schiffes sowie die Anweisung, unbedingt noch am gleichen Tag an Bord zu erscheinen, da das Schiff am anderen Morgen in aller Frühe auslaufen sollte.
Nun interessierte mich erst mal, wie das Schiff aussah, mit dem ich meine erste Reise unternehmen wollte.
M.S. QUARTETT
Zur damaligen Zeit konnte man in mehreren Kiosken an den Landungsbrücken und am Baumwall Fotos von fast allen Schiffen, die unter deutscher Flagge fuhren, sowie eine kurze Beschreibung der Reederei und des Fahrtgebietes erwerben.
Es war ein kurzer Weg die Treppen hinunter zu den Landungsbrücken, um ein Bild von dem Schiff zu kaufen, welches zur damaligen Zeit ein Schmuckstück für jeden Hafen bedeutete und von dem ich sofort begeistert war.
Die meisten Schiffe jener Zeit waren stinkende, rauchende Dampfer, mit Öl oder noch mit Kohle befeuert und auf Grund ihres Alters und der nahenden Verschrottung wegen ungepflegt und verrostet. Sie erreichten mit guter Strömung und Rückenwind eine Spitzengeschwindigkeit von 10 bis 12 Knoten.
Die QUARTETT war ein knappes Jahr alt, schneeweiß und 18 Knoten schnell, vom Foto und der Beschreibung her ein Traum von einem Schiff.
Mit dem Foto in der Tasche ging ich zur U-Bahn, fuhr nach Wandsbek-Gartenstadt zu meiner Unterkunft, um in kurzer Zeit den vorsorglich angeschafften Seesack zu packen.
Ein Dankeschön an meine Verwandten, und schon ging es zurück zur U-Bahn und mit der zum Rödingsmarkt. Da die Zeit knapp war und ich nicht wusste, wie ich den Liegeplatz des Schiffes finden sollte, nahm ich für mein letztes Geld ein Taxi für die Fahrt durch den Freihafen. So fuhren wir durch den Hafen an die angegebenen Pier.
Der Taxifahrer und ich staunten nicht schlecht, dass scheinbar zu meiner Ankunft ein Teppich ausgelegt war und zwei Matrosen in weißer Uniform an der Seitenluke bereit standen, die mir sogar zur Begrüßung die Autotür aufrissen. Dieser nette Empfang hat mich sehr überrascht, doch wurde ich schnell aus meinen Träumen gerissen und mit den Tatsachen konfrontiert.
Nachdem ich ausgestiegen war und meinen Heuerzettel zeigte, erhielt ich die Aufforderung, sofort zu verschwinden, da diese Seitenluke für einen Empfang von Filmleuten geöffnet war, die mit der Kapitänstochter und einigen weiteren Filmstars der damaligen Zeit, u. a. Heinz Rühmann, das Ende von Dreharbeiten feiern wollten und ich ja wohl nicht zu diesem Personenkreis gehörte.
In einigem Abstand gab es eine zweite Gangway zum Achterdeck, wo mich der Storekeeper in Empfang nahm.
Ich erhielt meine Kabine zugewiesen und als erstes die Aufklärung, dass es auf dem Schiff vier Klassen von Besatzungsmitgliedern und Passagieren gab, die genau zu beachten waren.
Die erste Klasse setzte sich zusammen aus Eigner, Kapitän, erstem Ingenieur und den Passagieren. Ihre Messe hieß Salon, das spezielle Deck Salondeck. Die Personen, die sich dort aufhielten, durften von einem so niederen Dienstgrad wie mir nicht angesprochen und das Deck nicht betreten werden.
Die zweite Klasse trug den Kopf ein bisschen tiefer und setzte sich aus zweitem, drittem und viertem Ingenieur und den entsprechenden Steuerleuten sowie dem Zahlmeister-Funker, zusammen. Sie hatten Einzelkabinen mit eigenem Bad und hielten sich in der Freiwache in der Offiziersmesse auf.
In der dritten Klasse tummelten sich die so genannten Unteroffiziere: Chefkoch, Chefsteward, Bootsmann, Maschinenassistent, Zimmermann, Lagerhalter, Bäcker und Schlachter.
Für die restliche Besatzung waren die beiden Mannschaftsmessen unterteilt für Deck- und Maschinenpersonal vorgesehen. Die Unterkünfte bestanden aus Zweimann-Kabinen und Gemeinschaftsduschen, im Vergleich zu den meisten Schiffen der damaligen Zeit ein großer Luxus.
Die Mannschaftsdienstgrade bekamen teilweise schlechteres Essen und hatten nur zu gehorchen.
Da bei dem Bau des Schiffes mit fünf bis 10 Passagierkabinen, die aber nie komplett belegt waren, wohl mit mehr als die 43 Mann Besatzung gerechnet wurde, hatten auch viele der Mannschaftsmitglieder eine einzelne Kammer mit richtigen großen Fenstern, die fast bei jedem Wetter offen stehen konnten, zur damaligen Zeit ein unerhörter Luxus.
So ging ein ziemlich aufregender Tag für mich vorbei, und da ich mich am kommenden Morgen um 6:30 Uhr beim Storekeeper zum Dienstantritt melden sollte, ging ich früh in die Koje.
Gegen vier Uhr am Morgen wachte ich durch die Maschinengeräusche auf und stellte beim Blick durch das Bullauge fest, dass wir uns schon in Fahrt elbabwärts Richtung Nordsee befanden. In einigen Zeitabständen leuchteten beim Vorbeifahren das grüne Licht der Bojen und am ferneren Ufer vereinzelt Straßenlampen oder Hausbeleuchtungen durch die Dunkelheit.
Es war nicht viel zu sehen, so fiel es mir nicht schwer, wieder in die Koje zu gehen, um für die kommenden Aufgaben ausgeschlafen zu sein.
Das nächste Erwachen war kurz hinter Cuxhaven und für mich fürchterlich. Ich dachte, ich befände mich in einer Achterbahn, denn das Schiff hob und senkte sich und rollte bei jedem Kurswechsel um die Längsachse. Hinzu kam das Knarren und Schlagen von losen, nicht richtig gesicherten Gegenständen, Türen gingen auf und wieder zu, die Maschine teilte durch die ständig wechselten Drehzahlen mit, ob der Propeller im Wasser oder in der Luft war.
Es war die Begrüßung der Nordsee durch einen mittleren Sturm, der mir sehr stark vorkam, aber von den meisten an Bord gar nicht zur Kenntnis genommen wurde, obwohl er das schnelle Schiff mit den im Verhältnis zu seinem Tiefgang hohen Aufbauten richtig durchschüttelte.
Mir war so schlecht, wie ich es so noch nie erlebt hatte, und ich war nicht in der Lage, auch nur einen Fuß aus der Koje zu bringen. Der Magen drehte sich um und der Kopf dröhnte. Zum Glück hatte ich am Abend kaum etwas gegessen, so dass vom Mageninhalt nicht viel heraus kommen konnte.
Gegen sieben Uhr wurde vom Storekeeper, meinem direkten Vorgesetzten, der Versuch unternommen, mich aus der Koje zu holen und mir die Aufgaben beizubringen, für die ich ja an Bord angemustert hatte.
Der Versuch misslang total. Ich erhielt daraufhin ein paar Scheiben trockenes Brot und den Hinweis, dass ich drei Stunden Zeit habe, um mich zu erholen.
Gegen zehn Uhr erschienen zwei Mann, griffen mir unter die Arme und schleppten mich in die Duschräume des Maschinenpersonals.
Die Ansage war klar und deutlich: „Alles schön sauber machen, hinreihern wo und sooft du willst, danach wieder ordentlich reinigen und um 11 Uhr beim Storekeeper (Lagerhalter) melden.“ Wenn etwas Rotes aus dem Hals käme, sofort runterschlucken, denn das sei der leere Magen, und der würde weiterhin gebraucht.
Nach einer Stunde hatte ich absolut nichts mehr im Magen, überall am Körper blaue Flecken, da ich die meiste Zeit auf dem mit geriffelten Fliesen bedeckten Boden umher gerutscht war und fürchterliche Kopfschmerzen. Doch es wurde langsam besser.
Die Gewaltkur – arbeiten und bewegen – hatte geholfen.
Ich erfuhr nun vom Storekeeper, welche Aufgaben ich an Bord zu erledigen hätte: Für das Maschinenpersonal – ohne Offiziere – Duschräume, Unteroffiziersmesse, Mannschaftsmesse reinigen, bei Tisch bedienen, das Geschirr abräumen und abwaschen.
In der übrigen Zeit waren weitere Reinigungs- und Pflegearbeiten im Maschinenraum angesagt.
So wurde mir schnell klar, dass ich zusammen mit den beiden Deckjungen auf der untersten Stufe der Besatzung stand, obwohl ich eine abgeschlossene Lehre hinter mir hatte und von der Qualifikation her den meisten ungelernten Reinigern und Schmierern an Bord überlegen war. Von den dreiundvierzig Mann Besatzung standen also einundvierzig über mir.
Ich beschloss in diesem Moment, nach dem Ende der Reise in fünf Wochen das Schiff zu verlassen, meine Seefahrtszeit zu beenden und mich für mein zukünftiges Leben neu zu orientieren. Doch vorher wollte ich das Beste aus dieser Fahrt machen.
Am späten Nachmittag hatte sich die See ein bisschen beruhigt, die Sonne schien, und ich war offenbar der Einzige an Bord, der merkte, dass das Schiff schaukelte.
Die frische Luft wirkte wie ein Wunder, die Kopfschmerzen ließen nach und auch mein Magen stellte seine Bemühungen ein, nach oben zu kommen.
Der Himmel war blau und wolkenlos, an Backbordseite sah ich das erste knallrote Feuerschiff meines Lebens, mit der Aufschrift „TERNEUZEN“ und im Hintergrund die holländische Küste.
Ein Kollege erklärte mir bei einem ersten vernünftigen Gespräch in dieser für mich so neuen Umgebung, dass auf den in der Nähe zu sehenden Schiffen, die von Möwenschwärmen umgeben waren, gerade die Netze eingeholt würden und folglich die qualmenden Dampfer Fischdampfer seien, auf denen man zwar sehr gut verdienen könne, die Arbeitsbedingungen aber um vieles härter wären und kaum ein Seemann vom Frachter zu einem Fischdampfer wechseln würde.
Einige Schiffe fuhren langsam in die gleiche Richtung wie wir, dem Englischen Kanal zu und konnten von uns auf Grund unserer für damalige Verhältnisse hohen Geschwindigkeit leicht überholt werden.
So sah für mich diese unbekannte Welt schon wieder freundlicher aus.
Nach ein paar Tagen klappte mein Servieren auch bei Seegang schon ganz gut, und ich hatte mich auf meine Aufgaben als Putzfrau und Kellner für die Kameraden eingestellt.
Langsam gewöhnte ich mich an das Bordleben und das, was zur damaligen Zeit als völlig normal galt, heute aber als große Umweltverschmutzung hart bestraft werden würde: Sämtliche in den Häfen und selbst in Hamburg anfallenden Abfälle wurden in alten Ölfässern gesammelt und spätestens nach Erreichen der hohen See durch einen speziellen Trichter am Heck über Bord gekippt.
Die Küchenabfälle und Essensreste lockten sofort große Schwärme von Möwen an, die alles, was an der Oberfläche schwamm, gierig hinunter schlangen.
Bierflaschen, Blechdosen und Eimer sanken auf den Grund der Fahrrinne. Maschinenabfälle, wie Altöl, Putzlappen, Filtermatten, Farbeimer, Verdünnung gingen ebenfalls diesen Weg. Das Bilgenwasser, bestehend aus Kühl- und Schwitzwasser, mit Lecköl gemischt, wurde in den Häfen nachts, auf See am Ende der Wachen alle vier Stunden über Bord gepumpt.
Auf einem neuen Schiff, wie der QUARTETT, war zwar ein Ölabscheider vorhanden, doch war dieser vermutlich bis zur Verschrottung des Schiffs nicht ein einziges Mal in Betrieb.
Fäkalien und Küchenabwässer wurden sofort ohne Umwege durch Rohre nach außen geleitet und waren in den Häfen bei einigen Fischarten sehr begehrt.
Dieser Umgang mit den Abfällen war für alle an Bord vollkommen normal, und jeder Vorschlag zur Änderung der Entsorgung wäre auf großes Unverständnis gestoßen.
Die Reise ging weiter, und der Atlantik zeigte sich von seiner besten Seite, das Wasser und die Luft wurden jeden Tag wärmer.
Die Offiziere und Ingenieure zogen ihre kurzärmeligen Tropenhemden und kurze Hosen an und stolzierten mit allen Rangabzeichen und weißer Mütze über Deck. Die Mannschaftsdienstgrade in der Maschine und an Deck schnitten einfach die Beine ihrer ältesten Hose ab, dazu ein altes Unterhemd, und die Tropenausrüstung war komplett.
Das wichtigste Zubehör für alle im Maschinenraum Beschäftigten war aber das Schweißtuch, welches jeder um die Schulter trug, und man hatte immer einen total zerkauten Zipfel zwischen den Zähnen. Das Tuch bestand aus grobem Baumwollgewebe, ähnlich einem Putzlappen, aber dünner und grobmaschiger, und es diente zum Schweißwischen und Naseputzen, bei jedem Duschen wurde es wie auch das Unterhemd mit gewaschen und war bis zur nächsten Wache wieder sauber und trocken.
Seit mehreren Tagen schlich an der Kombüse der Chefsteward um mich herum, bis er mich zu einem Abend zu dritt mit einem weiteren Jungen in seine Einzelkabine einlud.
Naiv, wie ich war, sagte ich sofort zu und fand mich in seiner großen Kabine ein. Der Abend begann mit kühlem Bier und Gesprächen über das Schiff und seine Besatzung. Immer näher rückte mir der Steward, der für mich ja eine Respektsperson war, auf die Pelle, obwohl ich versuchte, einen gewissen Abstand zu wahren. Nachdem auch noch eine Flasche Rum und die dazugehörige Cola auf dem Tisch stand, versuchte er mich zu überzeugen, dass es wahre Liebe nur unter Männern gäbe. Bei mir fiel nun endlich der Groschen, denn mit schwulen Stewards hatte ich keinerlei Erfahrung, und ich verspürte auch nicht die geringste Neigung, dieses zu ändern.
Mir gelang es, ihn von meiner Müdigkeit zu überzeugen, was er vermutlich nicht glaubte, aber sehr bedauerte, so konnte ich ohne Schaden in meine Kabine verschwinden.
Der Steward hat sich dann für die weitere Reise ein anderes Opfer gesucht. Mich ließ er fortan in Ruhe, aber begegnete mir auf der weiteren Reise immer freundlich und korrekt.
In der Freizeit, für mich zwischen 13:00 und 15:00 Uhr, konnte man sich auf dem für die Besatzung reservierten Deck in die Sonne legen und die gleichen Schönheiten der Seefahrt genießen wie die zahlenden Passagiere zwei Decks höher.
Die ersten Tümmler zeigten sich und sprangen am Bug des Schiffs aus dem Wasser, konnten aber nur vom Deckpersonal und den wenigen Passagieren gut beobachtet werden. Für das Maschinenpersonal war nur das Betreten des Achterdecks erlaubt, so dass die flotten Schwimmer von uns nur in größerer Entfernung zu sehen waren.
Zwischen den niedrigen Wellen der tiefblauen See tauchten erst einzelne und einige Tage später große Schwärme fliegender Fische auf und stoben nach allen Richtungen davon.
Das Meer war spiegelglatt, deshalb konnten auch die Bullaugen der Duschräume, die ungefähr einen Meter über der Wasserlinie lagen, in der Nacht geöffnet bleiben, Wasser, welches bei einem Kurswechsel hereinschwappte, lief ja sofort wieder ab.
Am Morgen befanden sich an die 50 fliegende Fische, die das beleuchtete Bullauge mit dem Mond verwechselt hatten, in den Duschräumen und brauchten nur eingesammelt zu werden. Der Koch war begeistert, und die Fische wurden auf den Speiseplan gesetzt, die meisten wie üblich nur für Passagiere und Offiziere. Sie hatten ein festes weißes Fleisch und die Größe von Heringen und schmeckten vorzüglich, was ich als Mitglied der Servicemannschaft ausnahmsweise testen konnte.
Nach einigen weiteren Tagen tauchten in der Ferne die ersten Inseln der Karibik auf, und der für mich erste Auslandshafen, Curacao auf den Niederländischen Antillen wurde angelaufen.
Der einzige Zweck dieses Besuchs war das zollfreie Bunkern von Dieselöl und Wasser für die weitere Rundreise und den Rückweg bis Hamburg.
Der Rohölumschlag war eine der Haupteinnahmequellen der Insel. In einiger Entfernung von der Inselhauptstadt Willemstaad waren die riesigen Öltanks und die Anlegebrücken für die großen Tankschiffe.
Hafen von Curacao
Unser Schiff legte jedoch fast mitten in der Stadt an, und da die Entfernung zu den ersten Geschäften keine 100 Meter betrug, nutzte jeder, der frei hatte, die knappe Zeit für einen Landgang.
Die Häuser, Kirchen, Brücken sahen nicht viel anders aus als in Holland, doch die Bäume, Pflanzen und Menschen zeigten, dass es doch ein anderer Kontinent war, auf dem wir uns befanden.
Der Markt, auch nur ein paar Schritte vom Schiff entfernt, bot uns unbekannte Früchte und Fische an, Sachen die aber kaum interessierten.
Vorsorglich hatten wir ein paar Dollars eingetauscht, die zur damaligen Zeit überall in der Karibik gebräuchliche Währung. Bei einem Wechselkurs von einem Dollar für 4,20 DM konnte in den vielen kleinen Geschäften günstig zollfrei eingekauft werden. Gefeilscht wurde mit den meistens holländischen Besitzern der Läden nicht, es war ein ruhiges entspanntes Einkaufen, wobei die Händler sich mehr auf die Bedürfnisse und Wünsche der Tankerbesatzungen eingestellt hatten.
Markt in Curacao
Die Tankschiffe hatten meistens längere Fahrzeiten und seltenere Liegezeiten als die Frachter, so dass die Besatzungen mehr Geld hatten und das leichter ausgaben.
Ein Oberhemd kostete einen Dollar und die Jeans von Wrangler oder Lee zwei Dollar. Der absolute Renner waren aber die bunten Seidenjacken, Made in Japan, die von zwei Seiten zu tragen waren. Auf den mindestens vierfarbigen Jacken war die eine Seite mit einem Tiger im Sprung und die andere Seite mit einem Adler bestickt, darüber die Überschrift: Curacao. Diese Jacken kosteten auch nur zwei bis vier Dollar und wurden von fast allen gekauft, obwohl sie im normalen Leben kaum getragen wurden.
Meine Jacke war später der Knaller auf den Karnevalsveranstaltungen in der Heimat, ging dann aber im Laufe der Saison bei einer heißen Feier verloren.
Gegen Abend verließen wir den freundlichen Hafen, in dem laut Aussage der älteren Kollegen eh nichts los war, da die Frauen trotz karibischer Luft im Laufe der Jahre die Trägheit der Holländer angenommen hatten.
In der Morgendämmerung des nächsten Tages tauchten die Umrisse einer größeren Stadt auf, es war Cartagena in Kolumbien, unser erster und bei den meisten Reisen einziger Löschhafen.
Vor der Hafeneinfahrt lag ein altes Motorboot mit dem Lotsen und einigen Zöllnern, daneben an die zwanzig Einbäume mit Kindern und Jugendlichen, die paddelnderweise mit dem langsam fahrenden Schiff den Hafen ansteuerten. Sie lauerten auf Münzen, egal welcher Währung, die von der Besatzung über Bord geworfen wurden und in dem milchig-grünlichen Wasser langsam im Zick-Zack zum Grund sanken. Von jedem Boot sprangen dann zwei bis drei der Kinder in das knapp dreißig Grad warme Wasser, um die Münzen im Sinken einzusammeln. Wir hatten unseren Spaß, die Kinder verdienten sich ein kleines Taschengeld.
Es gab nur eine einzige, ungefähr zweihundert Meter lange Pier, die wie ein Finger in die Bucht ragte. Sie bestand aus Betonpfählen. In der Mitte über die ganze Länge standen die Schuppen. Es gab einen einzigen Kran, der aber kaum benutzt wurde.
Löscharbeiten in Cartagena
Vor einem Schuppen saßen einige gelangweilte Zöllner, lasen Zeitung, spielten Domino oder dösten vor sich hin.
Unser Schiff hatte als Ladung fast nur den damaligen Exportschlager, nämlich VW–Käfer an Bord, die mit schiffseigenen Ladebäumen gelöscht wurden.
Für die Entladearbeiten wurden für jedes Fahrzeug mindestens elf Leute benötigt, vier Anschläger im Schiff, ein Einweiser, zwei Winschenleute und vier, die das Anschlaggeschirr auf der Pier lösten, dazu noch einige Oberaufseher.
Die Autos wurden von der Pier direkt durch den Zoll gefahren und vermutlich gleich von ihren zukünftigen Besitzern übernommen.
Da unsere Liegezeit nur von kurzer Dauer sein sollte, verließen alle, die frei hatten, nach dem Anlegen schnell das Schiff, die Neulinge um die Stadt zu besichtigen, die anderen, um nach ihrer Braut der vorigen Reise zu gucken oder sich eine neue anzulachen.
Es war ein kurzer Weg zum Zolldurchgang, und dort standen schon Mädchen, Schlepper, Händler und Taxifahrer bereit, die alle in unserer kurzen Aufenthaltszeit ihre Geschäfte machen wollten.
Die Stadt war zu dieser Zeit sehr friedlich und die Bewohner uns gegenüber immer freundlich, wobei wir aber kaum etwas von ihrer spanisch-englischen Sprache verstanden.
Schiffe kamen nur ein- bis zweimal die Woche in den Hafen, und das ganze Leben lief in Ruhe und ohne jegliche Hektik ab, Zustände, die nur einige paar Jahre später kaum noch zu finden waren.
Nach drei bis vier Stunden kamen die ersten Landgänger zufrieden, aber ohne Dollars zurück. Dafür hatten sie den Alkohol im Kopf, leicht instabile Beine, aber viele neue Freunde und vor allem Freundinnen in den auch am Tage geöffneten Bars gefunden.
Einige, zu denen auch ich zählte und die das erste Mal in der Stadt waren, begeisterten sich über die vielen tollen Sachen, die von den Händlern zu sicher überteuerten Preisen angeboten wurden.
Diese Umgebung mit all ihren noch nie von mir gesehenen Menschen von weiß bis dunkelbraun, Pflanzen und Tieren, dazu der einzigartige Duft der Tropen, kam mir wie ein Traum vor.
Es gab da Papageien und sonstige unbekannte Vögel, Nasenbären, Schildkröten, lebende und tote Alligatoren, Schlangen in allen Größen sowie aus diesen Reptilien gefertigte Schuhe, Taschen und Gürtel.
Hauptsächlich Indio-Frauen boten Flechtarbeiten aus Bast von Figuren bis zu Hüten und indianische Stickereien aller Art an.
Obwohl kaum einer der Mannschaft wusste, für wen oder für was er die Sachen kaufte, konnte man sich dem Angebot nicht entziehen. Am meisten wurden Produkte aus Schlangenleder oder Alligatorenhäuten, wie Gürtel, Handtaschen und Schuhen gekauft, die zwar schön aussahen, aber meistens von schlechter Qualität waren.
Ich hatte nach meinem ersten Landgang außer dem üblichen Krimskram, Rumbarasseln aus bemalten Kokosnüssen, einen ausgestopften Alligator von knapp einem Meter Länge und zwei lebende Schildkröten als Mitbewohner in meiner Kammer.
Zu der vorgegebenen Abfahrtzeit stellte sich heraus, dass die Entladearbeiten nicht so schnell wie geplant voran kamen und das Schiff über Nacht im Hafen bleiben musste.
Vor dem Funkraum herrschte nun Hochbetrieb, da der Funker, der auch als Zahlmeister für die Geldausgabe zuständig war, neue Dollars ausgeben sollte, was jedoch infolge der bei vielen schon leeren Konten oft mit längeren Diskussionen verbunden war.
So betrug meine Bruttoheuer für die erste Reise von knapp sechs Wochen ganze DM 206,-.
Nach dem Abendessen hatten wir bis zum nächsten Morgen frei und zogen mit vier Kameraden los, um unsere erste Nacht in Südamerika zu feiern.
Wir wurden auf der Straße von der einheimischen Bevölkerung wie immer freundlich begrüßt. Die hübschen Mädchen versuchten, uns, ohne sehr aufdringlich zu werden, in die Bars zu locken. Sie sprachen uns in ihrem Gemisch aus Spanisch und Englisch an, wir sprachen nur deutsch, doch hinderte uns das nicht daran, die Völkerverständigung voran zu treiben
Einige Abwehrversuche hatten wir hinter uns, dann betraten wir das erste Lokal, welches praktisch nur aus einem mit unbekannten Bäumen und Büschen bepflanzten Innenhof und einem langen Tresen bestand.
Um den Innenhof, nur durch eine Schwingtür getrennt, lagen die Zimmer der meist sehr jungen und hübschen Bräute. Die Einrichtung bestand nur aus einem Bett, darüber ein Muttergottesbild, ein Spiegel, sowie ein Regal für Kleider und Wäsche. Auf einem Stuhl stand eine Schüssel mit Wasser und Seife.
Diese Räumlichkeiten standen natürlich auch jedem müden Seemann offen und wurden gegen ein kleines Geldgeschenk gerne und häufig für Entspannungsübungen zur Verfügung gestellt.
Schon beim Hinsetzen an der Bar wurden die Plätze so eingeteilt, dass zwischen uns immer Platz für eines der Mädchen war, die den kleinen Abstand sofort verringerten und ihre Formen und Wärme voll zum Einsatz brachten, ein Vorgang, den ich nicht kannte, der mich aber nicht störte.
Da ich aus einem streng katholischen Elternhaus kam und mein Umgang mit dem anderen Geschlecht hauptsächlich bei Veranstaltungen der katholischen Jugend stattgefunden hatte, wobei vorher bei mir auch andere Dinge, wie Motorradrennen, wichtiger waren als Mädchen, wusste ich nicht, wie ich mich verhalten sollte.
Im Laufe des Abends dämmerte es mir auch, warum uns der Pfarrer immer vor den Schönen der Nacht und der damit verbundenen Hölle gewarnt hatte, denn beim ersten Kontakt mit den doch so hübschen Mädchen war in meiner Hose plötzlich der Teufel los.
So machten wir uns an die ersten bestellten Biere und das Standardgetränk Cuba Libre.
Wir hatten noch nicht ausgetrunken, als wir deutsche Stimmen hörten, die ersten Offiziere unseres Schiffes wollten die gleiche Bar besuchen.
Nach einer kurzen Gewöhnung an das nicht all zu helle Licht konnten Sie nun erkennen, dass schon einige Mannschaftsmitglieder den Tresen besetzt hatten. Doppelt so schnell wie sie herein gekommen waren, verließen sie das Lokal gleich wieder, denn es war für einen Schiffsoffizier zwar offiziell nicht verboten, jedoch gehörte es sich nicht, sein Bier in der gleichen Bar zusammen mit normalen Besatzungsmitgliedern zu trinken, und es hätte auch für den Offizier einigen Ärger bringen können. Es gab jedoch auch einige Ausnahmen bei den Offizieren, die gerne mal mit den Kollegen, mit denen sie sonst die Wachen teilten, einen getrunken haben. Sie achteten dann aber darauf, sich nicht von anderen Offizieren sehen zu lassen und gingen auch mit zeitlichem Abstand zurück auf das Schiff.
Nach dem Besuch noch einiger anderen Bars hatten wir zwar noch nicht genug erlebt, mussten aber aus Geldmangel gegen Mitternacht wieder zurück an Bord.
Am frühen Nachmittag des folgenden Tages lief das Schiff wieder Richtung Panama aus.
So näherten wir uns am nächsten Morgen der Einfahrt in den Panamakanal, was sich durch die Zunahme des Schiffsverkehrs von und zum Kanal bemerkbar machte.
Das Schiff musste vor der Kanaleinfahrt über Nacht vor Anker gehen, da die Durchfahrt nur bei Tageslicht erlaubt war und konnte erst am nächsten Morgen in die Schleuse einlaufen.
An diesem Ankerplatz war außer dem nahen Urwald und einigen fernen Lichtern nichts von Panama zu sehen.
Einige an Bord hatten schon mehr als zwanzig Fahrten durch den Kanal gemacht, aber noch nie einen Fuß auf das Land oder in die Stadt Panama gesetzt.
Obwohl also kaum einer dieses Land aus eigener Anschauung kannte, wurde an Bord nur schlecht darüber geredet, da dort unter der amerikanischer Verwaltung nichts los sei, dafür aber alles sehr teuer.
Ich war für das rechtzeitige Servieren und Abräumen verantwortlich, konnte mir aber die Zeit dazwischen für die Reinigungsarbeiten selbst einteilen. So hatte ich genug Zeit, immer mal an Deck zu gehen und die Einschleusung in den Kanal mit Hilfe kleiner Lokomotiven sowie die spätere Fahrt durch die grüne und, wie es schien, fast unbewohnte Landschaft rechts und links zu genießen.
Das Wasser im Kanal war sehr sauber, man konnte Fischschwärme, die von tauchenden Pelikanen verfolgt wurden, unbekannte Vögel und vereinzelt auch schwimmende Schildkröten beobachten.
Durch teilweise sehr enge Stellen im Kanal war der Gegenverkehr nicht überall möglich, deshalb musste unser Schiff nach dem Verlassen der Schleuse auf entgegenkommende Schiffe warten und ging deshalb im Gatunsee vor Anker.
Die Gangway wurde abgelassen und die Gelegenheit von jedem, der Zeit hatte, genutzt, um ein Bad im sauberen, ungefähr dreißig Grad warmen See zu nehmen.
Während des Mittagessens gab es plötzlich Lärm und Rufen vor der Messe. Drei Mann jagten einen fast kuchentellergroßen bunten Schmetterling, ein Insekt in einer noch nie gesehenen Größe. Er wurde mit vereinten Kräften gefangen und mit einer Nadel an die Holzwand gepinnt. Es war offenbar ein zäher Bursche, denn nach einigen Tagen, an denen er gelegentlich flatterte, hatte sich die Nadel soweit von der Wand gelöst, dass der Schmetterling wieder den Weg in die Freiheit fand, immer noch mit der Nadel im Körper.
Nach dem Ausschleusen in den Pazifik erreichte das Schiff einen Tag später den Äquator, dessen Überquerung aber kurz vor unserem Endhafen nicht gefeiert wurde.
Einige an Bord waren damit jedoch nicht einverstanden und veranstalteten eine private Feier in der Mannschaftsmesse. Gegen Mitternacht musste der total betrunkene Schlachter von zwei Begleitern in seine Koje gebracht werden.
Nach einer halben Stunde und einigen weiteren Getränken stellten die versammelten Teilnehmer fest, dass an einem solch schönen Feiertag der Schlachter doch nicht so alleine schlafen könne. Der Koch ging voran in Richtung Proviantraum. Ein halbes tief gekühltes Schwein fand den Weg in die Kabine des Schlachters und in seine Koje.
Beim ersten Morgengrauen ertönte ein fürchterlicher Schrei, und ein halbnackter Schlachter mit der Schweinehälfte auf der Schulter lief mit schnellen Schritten über Deck zur Reeling. Erst verschwand das Schwein und dann der Mageninhalt des Schlachters in den Fluten des Pazifiks. Haie und andere Meeresbewohner haben sich sicher über diese Gaben gefreut, während der Schlachter seinen Kumpanen fürchterliche Rache schwor, aber einen Tag später, wie alle anderen, über die Geschichte nur noch lachen konnte.
Das tiefblaue Wasser wechselte in die grau-braunen Fluten des Rio Guayas, die QUARTETT fuhr gegen eine starke Strömung flussaufwärts, um fast in Flussmitte vor der Stadt Guayaquil zu ankern.
Sofort kamen die Schlepper mit mehreren Schuten im Schlepptau, beladen mit Bananenstauden sowie den zum Ent- und Beladen nötigen Arbeitern und machten seitlich am Schiff fest.
An jeder Seite des Schiffs lagen so bis zu zwanzig Schuten, und alle wollten schnellstens ihre Ladung loswerden.
Die bis zu fünfzig Kilogramm schweren Stauden wurden auf den Schultern kräftiger Indios und Mischlinge über Laufstege durch die seitlichen Öffnungen in die Laderäume getragen und dort wie Weihnachtsbäume abgestellt, wobei fast auf jeden Arbeiter ein Aufpasser kam. Letztere standen aber meistens nur zusammen und diskutierten.
An Bord lief die Kühlung bereits auf vollen Touren und brachte auch die in den Stauden versteckten gar nicht so seltenen Schlangen, große Spinnen und sonstiges Viehzeug in eine Starre. Diese wachten dann zwei Wochen später, bei wärmeren Temperaturen in den Lagerhallen des Hamburger Hafens wieder auf und sorgten für einige Aufregung bei den Hafenarbeitern, besonders große Exemplare fanden Notiz im „Hamburger Abendblatt“ oder der „Bild“.