Prolog
Das Mahabharata erzählt von drei Königstöchtern, so strahlend und wertvoll wie Diamanten: Amba war die älteste, gefolgt von den Zwillingsschwestern Ambika und Ambalika. Amba war mit König Salwa verlobt, einem Mann, den sie weder hasste noch liebte – so wie es damals das Schicksal der meisten Frauen war.
Eines Tages war der Königshof plötzlich in blendendes Licht getaucht. Danach erzählten die Leute sich etwas von einem Räuber auf einem Streitwagen, von einem Mann übernatürlicher Gestalt. Sehr bald war klar: Amba und ihre Schwestern waren entführt worden. Der ganze Hof war in heller Aufregung; denn zu solch einer Tat war einzig der unvergleichliche Krieger Bhisma fähig. Das große Epos erzählt uns, dass das Schicksal zu Ambika und Ambalika freundlich war: Sie sorgten für das Fortleben des Bharata-Geschlechts mit Destarastra und Pandu, den Vätern der Kurawas und der Pandawas, als ihren Söhnen. Ambas Leben aber nahm einen anderen Verlauf.
König Salwa entsandte eine Armee, um seine Verlobte zurückzuerobern. Doch gegen Bhisma konnten seine Männer nichts ausrichten. Der nächste Morgen gab den Blick frei auf ein Leichenfeld: gebrochene Knochen, Blutlachen, die Häupter der halben königlichen Armee trieben auf dem Fluss. Währenddessen – und dies müssen wir uns ausmalen, da das große Epos hier nur eine zarte Andeutung macht – verliebte Amba sich in ihren Entführer und er sich in sie. Aber die Stärke dieses Gefühls ängstigte Amba. Es war stärker als alles, was sie jemals in ihrem Leben gespürt hatte. Überwältigt bat sie Bhisma, sie zu Salwa zurückzubringen. Bhisma sagte kein Wort zu ihrer tränenreichen Bitte, doch er zögerte keinen Augenblick und brachte sie zu dem von ihr auserkorenen Bräutigam.
König Salwa aber wollte Amba nicht annehmen. Sein Stolz war wie ein mächtiger Berg, von dem aus er herrschte. Er erklärte ihr, dass sie ihn entehrt habe. Wie eine Maske trage sie ihre Liebe zu Bhisma vor ihrem Gesicht; ihre Züge seien für alle Welt sichtbar verändert. Öffentlich beschämt, blieb der verzweifelten Prinzessin keine andere Wahl als die Rückkehr zu Bhisma, auf ihn nun richtete sie die Hoffnung auf Rettung ihrer Ehre. Aber wie hätte sie ahnen sollen, dass dieser lange Jahre vor ihrer Begegnung ein Gelübde abgelegt hatte? Als treuer Sohn seines Vaters hatte er ewige Keuschheit geschworen, nur damit sein Vater die Frau ehelichen konnte, die er begehrte. Immer schnell bereit, Pflichterfüllung vor Eigennutz zu honorieren, hatten die Götter Bhisma mit dem außerordentlichen Privileg beschenkt, den Zeitpunkt seines Todes selbst bestimmen zu können; bis dahin würde er unbesiegbar sein. Einem Mann, der liebte, bedeutete Unbesiegbarkeit natürlich nicht viel; doch mehr als jedem Mann war Bhisma bewusst, wann der Mensch endet und der Nachruhm beginnt. Als Amba zu ihm kam und ihn bat, ihr die Hand zur Ehe zu reichen, schüttelte er den Kopf und wandte sich ab. Aber selbst die Bäume und Vögel konnten seine Trauer spüren.
Hin und her verbracht und allseits abgewiesen, wandelte sich Ambas Herz zu Stein.
In ihrem nächsten Leben kam sie als Srikandi zur Welt und wurde eine von Prinz Arjunas vielen Frauen. Die indische Version des Epos kennt Srikandi als Sikhandin, einen männlichen Krieger, der vormals eine Frau gewesen war. Kein Text erzählt, dass Srikandi wunderschön war, aber jeder ist davon überzeugt; für eine Prinzessin wie sie war das selbstverständlich. Ihre Schönheit herauszuheben würde aber den Blick auf etwas Falsches lenken: Denn Srikandi war dazu ausersehen, den unbezwingbaren Bhisma zu Fall zu bringen.
Während der Schlacht auf dem Feld der Kuru, als sich die beiden Zweige der Bharata-Familie, die Kurawas und die Pandawas, bekriegten, achtete Arjuna darauf, dass Srikandi an seiner Seite war; und in der Tat ließ Srikandi hinter Arjuna auf dem Streitwagen stehend einen Schwall an Pfeilen losschnellen, gleich einem Vogelschwarm, der auf eine Insel niedergeht. In der indonesischen und auch der indischen Version des Epos entwaffnete Srikandis Weiblichkeit den edelmütigen Bhisma: Er ließ es zu, dass sein Körper von Srikandis Pfeilen so bespickt wurde, dass kein einziger Fingerbreit mehr frei blieb. In beiden Versionen traf Srikandi die gleiche Wahl: Bhisma zu töten und Arjuna zu retten, so als sei es nie jemandem in den Sinn gekommen, dass es vielleicht auch eine andere Lösung hätte geben können, ein weniger brutales, ein weniger gnadenloses Ende, eine Lösung, in der ihrer beider Los nicht so unauflöslich miteinander verbunden wäre wie das Rot und Weiß der indonesischen Flagge – so schwer, so schicksalsbeladen.
***
Nun sollten Sie wissen, dass Javaner bei der Namensgebung für ihre Kinder große Vorsicht walten lassen. Sie haben ein feines Gespür für die große Last und die Geschichte eines Namens: Ein Leben sollte dem Namen gerecht werden; gelingt dies nicht, so ist etwas aus dem Lot. Unglück, Krankheiten oder Missgeschicke sind die Folge. Mit dem Ausdruck keberatan nama beschreibt man einen Menschen, der durch einen großen oder bedeutungsschweren Namen über Maß belastet ist.
Wenn Sie heutzutage nach Indonesien reisen, werden Ihnen viele Menschen, insbesondere Javaner und Javanerinnen, begegnen, deren Namen an Figuren aus den großen Hindu-Epen erinnern: Rama, Shinta, Laksmana, Krishna, Yudhistira, Larasati, Arjuna. Sie werden wahrscheinlich auch einige Bhismas finden; denn er zählt zu den edelsten unter den Kriegern, ein Mann, für den die Pflicht über allem steht. Und Sie werden immer wieder den Namen Srikandi hören, als Beispiel für eine starke, kühne Frau, die sich behaupten kann, eine Kriegerin unter den Frauen.
Wenn Sie über die Figuren des Epos nachdenken, mögen Sie sich vielleicht fragen, warum Ihnen nie der Name Amba begegnet ist, weder auf Ihrer Reise noch in den Nachrichten oder den Familiengeschichten. Und dies, obwohl es doch letztlich Amba war, die Bhisma getötet hat und somit das Ende der Schlachten aller Schlachten ermöglicht hat. Hat ihre Geschichte überhaupt keinen Glanz? Amba ließe sich doch als eine mythische Heldin sehen – könnte sie nicht Vorbild und Inspiration für die Frauenbewegung sein?
Aber nein, der Name Amba erinnert die Menschen noch immer an das übelste Schicksal, das eine Frau ereilen kann: Amba ist die Frau, die zweimal verächtlich zurückgewiesen wurde, die nicht nur von einem, nein, von zwei edlen Männern im Stich gelassen wurde, und das Bild, das wir uns von ihr machen, wird nicht durch die Vorzüge ihres Verstandes, ihrer Fähigkeiten, ihres Herzens oder auch ihrer Schönheit bestimmt, nein – erinnert wird einzig ihr brennendes Begehren nach Rache. Und es gibt nichts Schändlicheres als eine Frau, die sich nicht würdevoll in ihr Schicksal fügt, sondern die stattdessen an den Männern, die aus welchen Gründen auch immer sie aus ihrem Leben ausgestoßen haben, Rache zu nehmen sucht.
In der Tat ist dieses Bild so übermächtig, dass die Leute vergessen, dass ohne Amba die große menschliche Tragödie der Schlacht auf dem Kurufeld nie ein Ende gefunden hätte; denn es war Amba in der Gestalt der Srikandi, die das Leben des großen Kriegers Bhisma beendete. Als Bhisma fiel, legten beide Kriegsparteien sofort die Waffen nieder und waren in Trauer vereint; der Verlust erinnerte sie schmerzlich an ihre gemeinsame Herkunft.
Anders als im Fall ihrer beiden Schwestern stand Ambas Sieg nicht am Anfang der Geschichte.
Vielleicht möchten Sie jetzt einwenden, dass diese Zeit doch wirklich unvorstellbar lange zurückliegt und sich das Bild von Heldinnen während der letzten Jahrhunderte sehr gewandelt hat. Aber hierin liegt die verstörende Kraft der Mythen: Sie schleichen sich auch jetzt noch an uns heran, um uns das Schicksal anzudeuten. Manchmal können sie die Wahl eines Menschen beeinflussen, lange bevor sich ihm der Zwang zur Entscheidung stellt. Das ist der Grund, warum Sie kaum eine Amba in Indonesien finden und ebenso selten eine Ambika oder Ambalika. Man will Unglück nicht herbeireden. Heißt es nicht auch mancherorts bei Ihnen: Wenn ma’ de Deifl nennt, kumd er grennt?
Einzelne aber wagen es, ihrem Nachwuchs kulturell unpopuläre Namen zu geben. Vielleicht treffen sie diese Wahl, weil sie den Mythos und seine Wirkung anders deuten; vielleicht wollen sie auch gerade die Ansicht, ein Name beeinflusse das Leben, herausfordern. Manchmal ist es auch nur das Gefühl, dass einzig dieser Name passt.
Und ist es nicht so, dass alle Geschichten da sind, um neu geschrieben zu werden?