ein heiterer Roman
Lange nach Geschäftsschluß saß Barbara noch in ihrem Büro und suchte sich vergeblich über den plötzlichen Besuch Mr. Elburys klarzuwerden. Schließlich ging sie hinunter in die Verkaufsräume, wo die Verkäuferinnen gerade die ausgestellten Modepuppen mit langen, weißen Tüchern umhüllten. Putzfrauen fegten den Fußboden, und die jungen Mädchen, die mit ihrer Arbeit fertig waren, kleideten sich um.
Auch der Tagportier war gerade im Begriff, nach Hause zu gehen. Er diente schon lange bei der Firma und war ein ernster, schweigsamer Mann.
Barbara trat zu ihm und sprach ihn an.
"Diese Woche ist es leider immer sehr spät geworden, Mr. Beale."
"Jawohl, Miß."
"Haben Sie Ihre Überstunden aufnotiert? Ich glaube, einmal sind Sie erst um Mitternacht nach Hause gekommen. War es nicht am Montag?"
"Jawohl, Miß. Auch am Dienstag. Und am Mittwochmorgen war ich so müde, dass ich kaum die Augen aufhalten konnte. Ich sagte Mr. Maber ..."
"Sie meinen Mr. Lark", verbesserte sie ihn liebenswürdig. Der Mann mußte tatsächlich übermüdet sein.
"Nein, Mr. Maber", wiederholte der Portier. "Ich habe ihn doch ganz deutlich gesehen. Er kam etwa um zwölf Uhr hierher, kurz vor Mittagszeit. Da sagte ich zu ihm ..."
"Aber Sie irren sich doch, Beale. Mr. Maber ist die ganze Woche noch nicht im Geschäft gewesen." Er runzelte die Stirne, denn er liebte es nicht, wenn ihm ein junges Mädchen widersprach.
"Mr. Maber war bestimmt am Mittwoch da"; erklärte er mit Nachdruck. "Er kam mit dem anderen Herrn zusammen. Und da sagte ich zu ihm ..."
"Also, es ist ganz sicher ein Irrtum!"
Mr. Beale hatte es nun satt, die Wahrheit dauernd zu beteuern. Er drehte sich um, schloß das Pult auf und nahm das Buch heraus, in das sich die Besucher eintragen mußten.
"Sehen Sie her. Hier habe ich es sogar in mein Buch eingetragen: Elf Uhr fünfundfünfzig Mr. Maber mit einem anderen Herrn."
Sie starrte ihn verblüfft an.
"Ist er denn hier im Hause gewesen?"
"Nein, er kam nur vorbei und sagte 'Guten Morgen, Beale'. Und ich sagte ihm, dass Mrs. Maber soeben nach oben gegangen sei ..."
Barbara sank in den nächsten Stuhl.
"Und was war dann?"
"Dann gingen die beiden Herren sofort wieder weg. Ich sagte noch, dass es jetzt soviel zu tun gäbe, und dass wir immer erst spät nach Hause kämen. Aber er hat nicht mehr zugehört."
Auch Barbara hörte jetzt nicht mehr, was Mr. Beale sagte.
Mr. Maber war ins Geschäft gekommen, hatte aber sofort wieder kehrtgemacht, als Beale von Mrs. Maber sprach. Und dabei war Mr. Maber doch im Gefängnis und konnte unmöglich am Mittwoch zum Geschäft gekommen sein!
"Wie war er denn angezogen?" fragte sie schließlich.
"Er trug einen braunen Anzug, Miß Storr, und er hatte eine schwarze Krawatte mit weißen Tupfen. Ich dachte noch gerade, dass die eigentlich etwas zu lebhaft für einen älteren Herrn sei."
Es war der Anzug, den sie ihm geschickt hatte. Sie konnte sich auch auf das Muster der Krawatte genau besinnen. Wo mochte Mr. Maber jetzt stecken? Wie war er aus dem Gefängnis entkommen? Hatte ihn Mr. Elbury entführt?
"Woher wußten Sie denn, dass Mrs. Maber gekommen war?"
"Sie nannte mir ihren Namen. Er hat sie genau beschrieben. Eine starke Dame."
"Das war Mrs. Maber, oder vielmehr die Frau, die sich so nannte."
"Ich frage die Leute nicht nach ihren Privatangelegenheiten. Wenn eine Person sagt, dass sie Mrs. Maber sei, dann ist sie für mich eben Mrs. Maber."
Barbara ging wieder in ihr Büro. Sie überlegte schon, ob es nicht das beste wäre, einfach zum Gefängnis von Pentonville zu gehen und sich dort nach Mr. Maber zu erkundigen. Es war allerdings fraglich, ob man ihr eine Auskunft geben würde. Aber sie mußte jetzt unter allen Umständen die Wahrheit herausbringen.
Plötzlich lachte sie herzhaft, denn sie ertappte sich bei dem heftigen Wunsch, dass Alan kommen möchte. Und als ob ihre Gedanken magische Kräfte besäßen, meldete im nächsten Moment auch der Nachtwachmann, dass ein junger Herr an der Türe warte. Nach der Beschreibung mußte es Mr. Stewart sein. Schnell nahm sie Hut und Mantel und eilte die Treppe hinunter.
Als sie aus der Nebenstraße in die Marlborough Avenue einbogen, fuhr ein Wagen an ihnen vorbei und hielt vor dem Haupteingang des Maberschen Geschäftshauses. Die Tür wurde aufgerissen, und Mr. Atterman sprang heraus. Als er Barbara sah, eilte er sofort auf sie zu.
"Miß Storr, kann ich Sie einen Augenblick sprechen?"
"Ins Büro möchte ich nicht zurückgehen. Können Sie hier mit mir verhandeln?"
Er warf einen Blick auf Alan, und der junge Mann trat diskret zur Seite.
"Sie wollten doch einen Scheck über zehntausend Pfund von mir", sagte Atterman schnell. "Ich habe mir die Sache überlegt. Ich bin bereit, Ihnen den Scheck zu geben."
"Ich brauche das Geld nicht mehr", erwiderte sie, erstaunt über diese plötzliche Meinungsänderung ihres großen Gegners. "Ich habe die Summe schon von Mr. Maber erhalten."
"Sie sind aber doch nicht böse auf mich? Ich bitte Sie vielmals um Verzeihung für alles, was ich gegen Sie gesagt und getan habe. Sie sind eine außergewöhnliche junge Dame, und Mr. Maber kann sehr stolz sein, dass Sie seine Firma leiten. Und die Sache mit dem Gefängnis ... na, das kann doch schließlich jedem passieren!"
"Er ist gar nicht im Gefängnis ... es war ein Justizirrtum, ein Mißverständnis, das sich aufgeklärt hat. Der Minister des Innern hat schon vor mehreren Tagen seine Entlassung verfügt."
"Das freut mich. Es war doch eine Schande, dass ein so vornehmer Mann wie er überhaupt verhaftet werden konnte. Sehen Sie, Miß Storr, Mr. Maber ist ein alter Freund unserer Familie ..."
Barbara war allmählich daran gewöhnt, merkwürdige Nachrichten zu hören, aber diese Mitteilung setzte sie doch in größtes Erstaunen.
"Ja, er kannte meine Schwester", fuhr er fort. Er sprach sehr schnell, als ob er rasch über eine peinliche Situation hinwegkommen wollte. "Sie lebt jetzt in Amerika, ist dort verheiratet, und es geht ihr sehr gut. Ich habe früher von der Sache nichts gewußt. Erst heute Abend hat meine Mutter mir alles erzählt. Rachel und Mr. Maber waren früher sehr befreundet ... und er hat sie einmal aus einer schwierigen Situation befreit. Es war damals im Empire, und er hat sogar einen falschen Eid auf sich genommen, um sie zu retten."
Barbara starrte ihn verblüfft an. Sie wußte wirklich nicht mehr, was sie zu diesen Enthüllungen sagen sollte. Sie kniff sich in die Hand ... sie war vollkommen wach.
"Meine Schwester hat damals ganz unentschuldbar gehandelt. Aber sie war immer ein sehr impulsives Mädchen ... ja, wenn das Herz jung ist ..."
Barbara lauschte und hörte nun die Geschichte von Mr. Mabers Abenteuer. Es hatte sich vor vielen Jahren im Empire-Theater zugetragen, nach einem Festessen, das er der Rudermannschaft von Cambridge gab, und es endete mit einer Katastrophe. Eine junge Dame hatte versucht, Mr. Maber aus den Händen der Polizei zu befreien, und war bei diesem Versuch auch verhaftet worden. Die Sache hätte noch weitere Folgen nach sich gezogen, aber Mr. Maber hatte in ritterlicher Weise der Dame versprochen, sie zu heiraten, als er sah, wie hoffnungslos er sie kompromittiert hatte. Und sie hatte sein Anerbieten tatsächlich angenommen ...
"Rachel hätte ihn nicht heiraten sollen, aber sie war eben immer so impulsiv. Das hätte sie Freddie niemals antun dürfen ... er ist nämlich ihr Mann."
"Sie war also schon vorher verheiratet?" fragte Barbara atemlos.
"Ja, das ist doch das Entsetzliche. Sie hat Mr. Maber früher nie etwas davon gesagt, dass sie schon mit Freddie verheiratet war, aber mit dem nächsten Dampfer folgte sie ihrem Mann nach Amerika. Er hat ihr versprochen, die Geschichte nie zu erwähnen. Nur meine Mutter wußte davon. Es war sehr leichtsinnig von Rachel, aber wenn das Herz jung ist..."
* * *
Alan Stewart war wirklich ein Muster von Geduld und Ausdauer. Er ging vor den dunklen Schaufenstern der Firma auf und ab, selbst als Atterman und Barbara nach einer halben Stunde immer noch miteinander sprachen.
"Aber sehen Sie", schloß Atterman gerade seine Ausführungen, "die Sache hat auch ihr Gutes gehabt. Unter diesen Umständen hat meine Mutter kein Recht, eine Ehe zwischen Maudie und mir zu verhindern. Das habe ich ihr erklärt, und nun heiraten wir nächste Woche. Und dann noch eins, Miß Storr. Wenn dieser verrückte Colesberg nicht gewesen wäre, hätte ich Maber tatsächlich eine anständige Kaufsumme geboten. Also, überlegen Sie es sich noch einmal."
Barbara versprach es, eilte zu Alan und legte ihren Arm in den seinen.
"Ich fahre heute nicht nach Hause. Wir gehen jetzt ins Ritz-Carlton. Dieser Abend muß gefeiert werden. Wir wollen Sekt trinken und vergnügt sein. Aber vorher muß ich noch ein Telegramm fortschicken."
Ihr Taxi hielt vor dem Postamt in der Regent Street, und Barbara setzte das Telegramm auf.
"Marcus Elbury, Hotel Majestic, Paris.
Maber mitteilen, dass Rachel bereits seit langem verheiratet. Barbara."
* * *
Am nächsten Morgen kam Inspektor Finney mit neuen Nachrichten. Rechtsanwalt Hammett hatte man in Gravesend verhaftet und bei der Gelegenheit an Bord der "Silina" auch Mr. Peeker gefunden, der bei der Verfolgung Hammetts seinen Mantel abgeworfen hatte. In Hammetts Besitz wurde noch das ganze Geld gefunden.
"Wissen Sie schon, dass Mr. Maber aus dem Gefängnis entlassen ist?" fragte Finney.
"Ich dachte es mir schon ..."
"Bereits am zweiten Tag wurde er entlassen. Die Polizei hat einen Irrtum begangen. Er erhielt nur eine kleine Geldstrafe wegen Trunkenheit. Ich bin sehr erstaunt, dass er nicht gleich zu Ihnen ins Geschäft gekommen ist. Zeigen Sie jetzt doch vor allem diesen Colesberg an. Er hat ja alles eingestanden."
* * *
Am Nachmittag kehrte Mr. Maber von Paris zurück. Er war braungebrannt und in bester Stimmung. Barbaras Telegramm erwähnte er ebenso wenig wie den Brief, den sie ihm nach Dover entgegengeschickt hatte, als sie von seiner Absicht erfuhr, nach London zurückzukehren.
Er sah um zehn Jahre jünger aus und rauchte vergnügt eine Zigarette.
"Du hast eine fabelhafte Idee gehabt, Barbara!" rief er. "Unsere 'Billige Woche' war ja die Sensation Londons! Und die vielen Leute im Geschäft! Ich habe so etwas noch nie erlebt. Eigentlich wollte ich mit Marcus nach Amerika fahren, um dort das moderne Geschäftsleben kennenzulernen. Er hätte mir viel beibringen können. Aber das ist ja nun alles nicht mehr nötig. Übrigens habe ich in Paris verschiedene neue Kollektionen von Herrenwäsche gesehen, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. Ich habe natürlich sofort eine unserem Betrieb entsprechende große Order gegeben."
"Aber jetzt verkaufen Sie doch hoffentlich Ihre Firma nicht", sagte sie bittend.
"Ich denke nicht daran! Außerdem gehört mir das Geschäft nicht mehr allein, in Zukunft hat noch jemand mitzureden. Ich habe dich bei Gericht schon als Mitinhaberin eintragen lassen!"
Ende
An diesem Schicksalstage schien es für die alte, vornehme Firma Maber & Maber keinen Ausweg mehr zu geben. Die blendendweiße Marmorfassade des Hauses Atterman Brothers schaute schon triumphierend auf das gegenüberliegende Konkurrenzgeschäft, als ob sie in prahlenden Goldbuchstaben die Aufschrift trüge: "Dich stecke ich jetzt in die Tasche!"
Leider hatte Mr. Maber an diesem verhängnisvollen Tage keine Zeit, sich um sein Geschäft zu kümmern, denn er wollte der Bootsmannschaft von Cambridge ein Essen geben.
Und um das Unglück vollzumachen, stieg Barbara Storr an demselben Morgen mit dem falschen Fuß aus dem Bett. Ihr Mädchen sah beim Frühstück die gerunzelte Stirne der Herrin und dachte schon, der gebratene Schinken sei zu salzig gewesen.
"Myrtle, ich bin unbeliebt!" erklärte Barbara plötzlich mit düsterer Stimme.
"Aber Miß Storr!" rief Myrtle erschrocken.
"Ganz verdammt unbeliebt!" sagte Barbara finster, als sie sich bückte, um ihre Schuhe zuzumachen. "Wenn mich Mr. Maber nicht hielte, könnten wir heute Abend im Armenhaus schlafen ... hoffentlich schnarchen Sie nicht ..."
"Ich dachte, Sie hätten selbst Geld! Sonst wäre ich doch nicht nach London mitgekommen. Ich war auch ganz erstaunt, dass Sie in diese entsetzlich große Stadt gezogen sind. In Ilchester sieht man doch auch allerhand vom Leben! Denken Sie bloß an die Markttage! Und hier kenne ich außer dem Polizisten in unserer Straße keinen einzigen Menschen."
"Als anständiges Mädchen dürften Sie nicht einmal den kennen!"
Myrtle wurde rot bis über die Ohren. Sie war noch nicht neunzehn Jahre alt, und sie hielt Londoner Polizisten für Götter.
"Schauen Sie einmal hinaus, ob der junge Mann da unten schon fort ist", sagte Barbara etwas sprunghaft.
Myrtle lugte durch die Vorhänge auf die düstere Doughty Street hinaus.
"Er ist noch da."
"Sehen Sie genau hin!"
"Er ist wirklich noch da. Dort an der Ecke steht er. Er hat elegante, graue Hosen an ..."
"Das interessiert mich nicht. Er ist also noch da?"
"Ja."
"Dann jagen Sie ihn zum Teufel!"
Myrtle wußte nicht, wie sie diesen Auftrag ausführen sollte, und sah ihre Herrin verstört an. Sie hatte sie schon immer schön gefunden, wenn ihr auch nicht klar zum Bewußtsein kam, worin diese Schönheit eigentlich lag. Vielleicht in der zarten Haut und dem wundervollen Haar, vielleicht aber auch in den großen, grauen Augen oder in dem feingeschnittenen Profil.
Myrtle wußte aus Zeitungsannoncen, die Seifen, Cremes und andere Schönheitsmittel anpriesen, dass reiner Teint und gepflegtes Haar zu einer schönen Frau gehörten und die jungen Herren am meisten fesselten.
"Wartet der Herr draußen auf Sie, Miß Storr?" fragte sie ein wenig boshaft.
"Natürlich wartet er auf mich. Tun Sie doch nicht so", erwiderte Barbara etwas von oben herab. "Sie wissen ganz genau, dass es Mr. Stewart ist, der Reklamefachmann."
"Ich weiß nicht, was ein Reklamefachmann ist", entgegnete Myrtle, die Unschuld vom Lande. "Aber warum wartet er denn an der Straßenecke ... kennt er unsere Hausnummer nicht?" fragte sie verschmitzt.
Barbara sah sie aber so vernichtend an, dass sie entsetzt schwieg.
Miß Storr schlüpfte in den Mantel, nahm Handtasche und Schirm und verließ das Haus. Es schlug gerade neun.
Als der junge Mann ihre Schritte hörte, drehte er sich schnell um und zog den Hut.
"Ich dachte schon, Sie wären ..."
Barbaras unwillige Handbewegung ließ ihn sofort wieder verstummen.
"Wissen Sie auch, dass Sie mich bei Myrtle in ein ganz falsches Licht gebracht haben?" sagte sie ungnädig, als er sich entschuldigen wollte. "Myrtle hat eine Tante in meiner Heimatstadt Ilchester, und die ist die größte Klatschbase im ganzen Nest. Wenn die etwas weiß, ist es gerade so gut, als ob es durch Radio verbreitet würde! Ich selbst kümmere mich um die Ansichten der Leute in Ilchester nicht im mindesten, aber bedenken Sie, dass Mr. Maber dort Kirchenältester ist. Er hat mich nach London gebracht, und ich darf seinem Namen keine Schande machen."
"Es tut mir wirklich aufrichtig leid", erwiderte Alan Stewart geknickt, "aber wir sind doch Nachbarn, und es kommt mir tatsächlich komisch vor, dass jeder von uns allein zum Büro gehen soll."
"Können Sie denn nicht mit dem Autobus in die Stadt fahren?" fragte sie ungerührt. "Ich muß ja zugeben, Mr. Stewart, dass Ihnen das Wohl meines Chefs sehr am Herzen liegt, aber es wäre mir viel lieber, wenn Sie dann mit ihm in die Stadt gingen und ihm alles direkt sagten. Wenn Sie übrigens darauf angewiesen sind, dass Mr. Maber in Ihren Zeitungen Annoncen aufgibt, können Sie getrost mit Ihren Hoffnungen einpacken und sich begraben lassen."
Mr. Stewart wollte gerade antworten, dass ihn die Annoncenaufträge Mr. Mabers herzlich wenig interessierten, aber er besann sich eines Besseren.
"Ich fürchte, dass ich Ihnen sehr auf die Nerven gefallen bin. Aber wer ist denn eigentlich Myrtle ... Ihre Schwester?"
"Nein."
Barbara schaute ihn kühl an.
"Ach so, Ihr Mädchen?" verbesserte er sich schnell. "Entschuldigen Sie bitte vielmals!"
Sie rümpfte die Nase.
Er entschloß sich, nun doch zu sprechen.
"Ich habe es übrigens jetzt aufgegeben, mich um Mr. Maber zu kümmern", begann er etwas anmaßend und hochmütig, denn schließlich war er der Vertreter dreier großer Zeitungen. "Wenn jemand sein Firmenschild an das Dach der Arche Noah aufpinseln läßt und glaubt, damit für alle Zeiten genügend Reklame gemacht zu haben, zählt er für mich eben nicht länger zu den Lebenden. Wenn ich an dem Geschäftshaus Ihres Mr. Maber vorbeikomme, ziehe ich ehrfürchtig den Hut und zerdrücke eine Träne im Auge für den Frühverstorbenen."
"Hat der Firmenname tatsächlich auf dem Dach der Arche Noah gestanden?" fragte sie interessiert.
"Aber nein, das habe ich doch bildlich gemeint, um Ihnen zu zeigen, wie vorsintflutlich und altertümlich Ihre Firma ist. Mr. Maber annonciert ja auch, das stimmt. Ab und zu eine halbe Seite in den vornehmen Zeitschriften. Aber reklametechnisch kommt das doch gar nicht in Frage. Ich nenne das eher Mitteilungen ans Publikum, dass er noch nicht ganz verschieden ist. Und während die Firma Maber & Maber auf der einen Seite der Straße immer mehr zurückgeht, wächst, blüht und gedeiht auf der anderen Seite Atterman, obwohl das Geschäft erst vor acht Jahren gegründet worden ist. Das Haus Maber & Maber kann allerdings auf das beträchtliche Alter von hundertfünfzig Jahren zurückschauen, aber es ist augenblicklich das größte Verkehrshindernis auf dem Weg moderner Geschäftsentwicklung. Mehr möchte ich über diese Angelegenheit nicht mehr sagen."
"Ach, bitte sprechen Sie doch weiter", bat sie. "Sie gefallen mir, wenn Sie sich so bilderreich ausdrücken. Wenn ich sage, Sie gefallen mir", fügte sie schnell hinzu, "dann soll das heißen, dass ich Sie nicht ganz so unausstehlich finde wie sonst. Wir haben es nicht nötig, zu annoncieren. Der Name Maber allein garantiert eben schon für beste Qualität bei unseren Waren."
"Das wäre ja ganz gut und schön, wenn die Leute nur Ihre Waren kauften!"
"Wir sind ebenso groß wie Atterman." Sie blieb herausfordernd stehen, runzelte die Stirne und sah ihn kampflustig an.
"Oberflächlich gesehen, haben Sie recht. Ihr Haus ist ebenso groß wie das andere, aber Atterman ist eben ein viel tüchtigerer Geschäftsmann. Die Leute setzen zehnmal soviel um wie Ihre Firma. Als Mensch mag ich Mr. Maber ja sehr gern. Er stammt aus einer guten, alten Familie, und zu Atterman verhält er sich ungefähr wie eine Orchidee zu Blumenkohl."
Barbara nickte. Sie hielt es nicht für unbedingt notwendig, ihm mitzuteilen, dass Mr. Maber ihr Pate war. Ebenso wenig brauchte er zu wissen, wie sehr sie den armen Mann gequält hatte, ihr eine Stellung in London zu besorgen. Nur widerstrebend hatte ihr Mr. Maber den Posten einer Privatsekretärin in seiner eigenen Firma gegeben, aber sie hatte sich schon nach kurzer Zeit durch ihre ungewöhnlichen Fähigkeiten unentbehrlich gemacht.
"Mr. Julius Colesberg, der Juniorpartner, ist für Ihre Firma genau so nutzlos wie ein elektrischer Glühofen für die Sahara."
Barbara mußte ihm darin recht geben. Sie sah ihn jetzt etwas freundlicher von der Seite an. Er war gut gewachsen und hatte auch eine tadellose Haltung.
"Warum sind Sie eigentlich ein Reklamefachmann? Sie sehen viel mehr wie ein Offizier aus."
"Ich habe diesen Beruf nun einmal gewählt. Im Krieg war ich ja auch Soldat", fügte er diplomatisch hinzu. "Schließlich muß man doch seinen Lebensunterhalt auf die eine oder andere Weise verdienen."
"Aber ist Ihnen denn noch nie der Gedanke gekommen, in die weite Welt hinauszugehen, in Länder, wo ein Mann noch seine vollen Kräfte entfalten kann, wo sich der Energie und Tatkraft noch weite Betätigungsfelder bieten?"
Er nickte.
"Ja. Erst gestern habe ich mit der Siedlungsgesellschaft 'Goldner Westen' in Kanada drei ganzseitige Annoncen abgeschlossen. Und dann habe ich mir natürlich ebenso viele Filme angesehen wie Sie. Daraus lernt man die Welt ja auch einigermaßen kennen. Was ich Ihnen noch sagen wollte", fuhr er plötzlich in ernstem Ton fort, "Atterman hat heute morgen eine Besprechung mit Mr. Maber."
"Woher wissen Sie denn das?" fragte sie erstaunt.
"Ich weiß alles. Mir bleibt nichts verborgen", erwiderte er und lächelte geheimnisvoll.
An der Ecke der Marlborough Avenue trennte er sich von ihr. Sie ging an den großen, vornehmen Schaufenstern der Firma Maber & Maber vorüber. Die prachtvollen Auslagen waren so herrlich anzusehen, aber so schwer zu verkaufen. An dem großen Haupteingang mit den Schwingtüren blieb sie stehen und sah nach der strahlendweißen Fassade von Atterman hinüber. Auf dem fünf Stockwerke hohen Gebäude wehten die verschiedensten Flaggen, um anzudeuten, dass es nicht darauf ankam, welcher Nationalität der Käufer angehörte. Mr. Atterman hatte einen gut trainierten Stab von Leuten, die fremde Sprachen beherrschten, und das Geld der Ausländer wurde ebenso gerne genommen wie das der Einheimischen.
Drüben wurden gerade einige Schaufenster neu dekoriert. Die Firma Atterman hatte sich schon mehrfach vor dem Gericht verantworten müssen, weil ihre Ausstellungen Verkehrsstockungen hervorriefen. Und beinahe jeder Autobus, der vorüberfuhr, trug in großen Buchstaben die Reklameaufschrift: "Wer bei Atterman kauft, ist stets vergnügt."
"Verdammte Konkurrenz!" sagte Barbara wütend, trat durch die Schwingtür und ging zum Büro hinauf.
Mr. Lark, der Chef der Einkaufsabteilung und der Kasse, beobachtete sie, machte eine Pause in der Arbeit und sah ihr mit bissigen, feindseligen Blicken nach.
"Sie kommt schon wieder zehn Minuten zu spät", sagte er gehässig. "Wenn's nach mir ginge, würde ich diese Person glatt auf die Straße setzen! 'Miß Storr', würde ich sagen, 'hier ist Ihr Geld, und nun. machen Sie, dass Sie fortkommen. Ich kann nicht dulden, dass Sie hier herumlaufen und alle Leute mit gnädiger Herablassung behandeln! Suchen Sie sich gefälligst eine andere Stellung.'"
Seine Stenotypistin, die ihm aufmerksam zugehört hatte, nickte beifällig, um ihre Anerkennung für seinen Mut und seine Energie auszudrücken.
"Ich würde ihr ganz einfach erklären: 'Sie sind entlassen!' Was ist denn schon eine Privatsekretärin? Doch weiter nichts als ein Dienstmädchen, das für alle Leute zu laufen und zu springen hat!"
"Ja, es ist wirklich entsetzlich mit ihr", pflichtete seine Stenotypistin bei.
"Entsetzlich? Das ist noch gar kein Ausdruck für ihr Benehmen. Denken Sie doch nur einmal daran, wie sie mit Mr. Colesberg umgeht. Wie einen Hund behandelt sie den armen Mann! Den Teilhaber der Firma! Aber ich sage es ja immer, die Sozialdemokraten haben überhaupt keine Achtung vor anderen Leuten."
"Ist sie denn eine Sozialdemokratin?" fragte Miß Leverby interessiert.
"Ich weiß nichts von ihren Privatverhältnissen", erwiderte er abweisend. "Mit derartigen Menschen komme ich gesellschaftlich nicht zusammen. Wenn ich ihr auf der Straße begegnete, würde ich sie überhaupt nicht grüßen. In der Beziehung ist mit mir nicht zu spaßen. Ich behandle die Leute genau so, wie sie es verdienen."
Miß Leverbys Hochachtung für diesen tüchtigen Mann stieg mehr und mehr.
"Immer liegt sie dem Chef in den Ohren, dass er mehr annoncieren soll. Sie läßt ihm keine Ruhe. Ich habe selbst gehört, wie sie ihm zugesetzt hat. Glauben Sie vielleicht, der bekommt überhaupt noch ein Bein auf die Erde? Alles weiß sie besser. Und ständig fragt sie, warum wir diesen und jenen Artikel nicht führen. 'Miß Storr', habe ich neulich noch zu ihr gesagt, 'wenn die Leute eben nicht kaufen wollen, was wir haben, dann können sie ja in ein anderes Geschäft gehen. 'Das tun sie auch', gibt mir die unverschämte Person zur Antwort. 'Sie gehen zum Beispiel zu Atterman, da bekommen sie alles ... von einer Stecknadel bis zu einer komplett ausgestatteten Villa.' 'Aber Miß Storr, wir sind eine gediegene Firma', erkläre ich ihr. 'Unser Haus besteht seit hundertfünfzig Jahren, und alle Leute kennen uns! Wir haben es weder nötig, zu vulgären Geschäftspraktiken zu greifen, noch irgendwelchen billigen Plunder zu verkaufen!' 'Nötig haben Sie es schon', sagte sie darauf ganz frech, 'Sie wissen nur nicht, wie Sie es anfangen sollen!' Mein Gott, dieses Frauenzimmer tut wirklich, als ob ihr die ganze Firma gehörte, und als ob sie allein alles zu sagen hätte!"
"Ja, das stimmt tatsächlich", bestätigte die Stenotypistin eifrig.
"Sie muß den Chef irgendwie in der Tasche haben, passen Sie nur auf. Sie werden noch an meine Worte denken. Neulich stand ein ähnlicher Fall in der Sonntagszeitung. Vielleicht haben Sie die Überschrift gelesen: 'Junges Mädchen hat alten Millionär in der Gewalt.' Genau so eine ist die auch!"
* * *
Eine Verkettung von merkwürdigen Umständen brachte an diesem Morgen Barbaras Abneigung gegen den Juniorpartner zum Siedepunkt.
Mr. Colesbergs Sekretärin hatte sich erkältet und war nicht im Geschäft erschienen. Barbara mußte deshalb zu Mr. Julius gehen, um sein Diktat aufzunehmen.
Vom ersten Augenblick an hatte sie einen instinktiven Widerwillen gegen diesen Menschen gefühlt. Besonders mißfiel ihr sein aalglattes Wesen. Er stand in den Dreißigern, sah aber noch jugendlich aus, ging stets elegant gekleidet und parfümierte sich. Barbara haßte Männer, die Parfüm gebrauchten und Diamantringe trugen, aber es war zwischen ihr und Mr. Julius Colesberg bisher noch nicht zu einem offenen Zusammenstoß gekommen.
"Guten Morgen."
"Guten Morgen, Miß Storr", sagte er nachlässig, als sie eintrat. Er saß an seinem luxuriösen Empireschreibtisch und sah mit müdem Ausdruck zu ihr auf. "Ist der Alte schon im Geschäft?"
"Mr. Maber ist noch nicht da."
Er fuhr mit einem kostbaren Spitzentaschentuch nachdenklich über die Lippen.
"Die entscheidende Konferenz findet heute Vormittag statt. Die Firma Atterman macht uns ein sehr ... sehr günstiges Angebot. Mr. Maber wird alt ... es wäre eine Torheit von ihm, wenn er nicht darauf einginge."
Julius hatte kurze Zeit vorher in Mr. Attermans Villa in Regent's Park gefrühstückt und verschiedene Vereinbarungen mit ihm getroffen. Zwar hatte Mr. Colesberg nur ein fünfundzwanzigstel Anteil an der Firma und mit der Geschäftsleitung direkt nichts zu tun, aber Mr. Atterman hatte ihm einen größeren Anteil und einen Sitz in der Direktion versprochen, falls der Verkauf zu seinen Bedingungen zustande käme.
Barbara schlug ihren Stenogrammblock auf und zückte den Bleistift, um Mr. Julius an den Zweck ihres Kommens zu erinnern.
"Also, hören Sie, mein liebes Kind." Der väterliche Ton, in dem er sprach, machte sie ganz krank. "Sie nehmen heute auch an der Konferenz teil, und Sie erweisen sich und allen anderen einen guten Dienst, wenn Sie Ihren zweifellos großen Einfluß auf Mr. Maber in der richtigen Weise geltend machen."
"Wozu soll ich ihn denn beeinflussen?"