Renate Behr
Mörderisches Sim-Jü
Werne Krimireihe Band 6
Kommissar Wischkamp
Benjamin Taylor trat ungeduldig von einem Bein auf das andere. Seit zwei Stunden wartete er nun darauf, dass endlich das Löschen des Containerschiffs aus New York beginnen würde. Er hatte eine Sondergenehmigung, den Entladevorgang selbst zu überwachen. Aber er war ungeduldig. Draußen, vor den Hafenanlagen, warteten die Sattelschlepper. Insgesamt fünf Stück waren es, die bald das Lebenswerk von Benjamin Taylor durch Deutschland fahren sollten. Er musste lächeln. Er war gerade einmal 32 Jahre alt, konnte man da schon von einem Lebenswerk sprechen? Er dachte daran, wie das alles angefangen hatte.
Benjamin Taylor war der einzige Sohn von Frank Taylor, einem Industriellen aus New York. Dass der Junge Maschinenbau und Elektronik studieren würde, war im Hause Taylor niemals eine Frage. Schließlich sollte er eines Tages das Familienunternehmen übernehmen. Für Benjamin war das überhaupt kein Problem. Technik und Elektronik interessierten ihn ungeheuer. Sein Lebensweg schien vorgezeichnet. Immer wieder machte er schon während seiner Studienzeit durch innovative Entwicklungen und technische Neuerungen in der Entwicklungsabteilung von Taylor Industries auf sich aufmerksam. Aber Benjamin Taylor hatte noch eine viel größere Leidenschaft. Ihn faszinierten die Fahrgeschäfte in den Freizeitparks, von denen es in den USA unzählige gab. Er träumte davon, eines Tages sein eigenes Fahrgeschäft zu entwerfen, zu bauen und zu betreiben. Diese Pläne behielt er jedoch lange Zeit für sich.
Als Sohn eines Unternehmers gehörte Benjamin Taylor zum elitären Kreis der Studenten aus der Oberschicht. Immer wieder aber gab es Stipendien für besonders begabte junge Leute, die sich den Besuch dieser Universität sonst nicht hätten leisten können. Sie wurden von den meisten Studenten gemieden. Umso verwunderlicher war es, dass sich ausgerechnet Benjamin Taylor mit einem von ihnen anfreundete.
Toni Banderoso stammte aus Little Italy, dem italienischen Viertel von New York. Sein Vater war Fleischer, seine Mutter ging putzen. Keine guten Voraussetzungen, um sich an der Uni wirklich durchzusetzen. Aber Toni Banderoso hatte etwas mit Benjamin Taylor gemeinsam. Auch ihn faszinierten außergewöhnliche Fahrgeschäfte. Die beiden jungen Männer waren eigentlich nur zufällig am Rande einer Sportveranstaltung ins Gespräch gekommen. Für das Publikum waren hier einige Karussells aufgebaut worden. Ganz beiläufig hatte Toni geäußert:
»Das ist doch alles Kinderkram. Das könnte man viel spezieller und viel spektakulärer bauen.«
Benjamin hatte ihn etwas irritiert angesehen.
»Wie meinst du das? Interessierst du dich für Fahrgeschäfte?«
Begeistert hatte Toni genickt.
»Ich würde gern selbst mal so ein Ding bauen, aber ich glaube, das würde ich allein niemals schaffen.«
Benjamin hatte damals nur mit den Achseln gezuckt und den kleinen Italiener einfach stehen gelassen. Aber die Bemerkung ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Da war jemand, der dieselben Träume hatte wie er. Vielleicht war das ein Fingerzeig des Schicksals. Ein paar Tage später wartete Benjamin auf dem Campus auf Toni Banderoso. Sie hatten die ersten Examina hinter sich gebracht, das Ende des Studiums rückte näher. Wenn er jetzt nicht mit Toni sprach, wäre der vermutlich aus seinem Leben verschwunden, bevor sich eine neue Gelegenheit ergab.
Als Toni über den Campus auf Benjamin zuging, hob der die Hand. Toni reagierte nicht. Er war sicher, dass er nicht gemeint war. Keiner dieser Studenten würde freiwillig mit ihm reden wollen. Auch dieser Taylor nicht, obwohl er vor ein paar Tagen recht nett zu ihm gewesen war.
»Toni? Du heißt doch Toni, oder?«
Irritiert nickte Toni Banderoso.
»Eigentlich Antonio, meine Eltern sind aus Italien. Aber Toni ist vollkommen o. k.«
»Komm mit, wir müssen reden.«
Benjamin wartete gar nicht ab, ob der andere ihm auch tatsächlich folgte. Er ging schnurstracks auf seinen am Straßenrand abgestellten Pontiac zu. Toni folgte ihm, vorsichtig und ungläubig. Was sollte das? Bisher hatte ihn noch nie jemand von denen aufgefordert, mit ihm zu reden oder irgendwohin zu fahren. Was wollte dieser Kerl nur von ihm? Aber er stieg trotzdem in das Auto. Dann fasste er sich ein Herz.
»Worüber willst du denn mit mir reden? Ich meine, es ist ja nicht gerade üblich, dass sich einer von euch ...«
Er stockte. Er hatte so etwas wie „reiche Bengel“ sagen wollen, aber das wäre beleidigend gewesen. Schließlich schien dieser Benjamin Taylor ja eigentlich ganz nett zu sein.
Benjamin grinste.
»Ich weiß schon, wie wir von euch genannt werden. Aber manchmal scheinen die Dinge anders, als sie sind. Du hast gesagt, du träumst davon, mal ein eigenes Fahrgeschäft zu bauen. Genau das tue ich auch. Jeder von uns allein dürfte kaum eine Chance haben, seinen Traum zu verwirklichen. Aber vielleicht schaffen wir es ja gemeinsam, was meinst du?«
Toni riss die Augen auf.
»Du meinst, du und ich? Zusammen? Wie soll das denn funktionieren?«
»Das weiß ich auch noch nicht genau. Wenn ich mit meinem Studium fertig bin, fange ich in der Fabrik meines Vaters in der Konstruktionsabteilung an. Was hast du vor, wenn du bestanden hast?«
Toni zuckte mit den Schultern. Er hatte sich darüber noch gar keine Gedanken gemacht. Er würde Bewerbungen schreiben, Absagen kassieren und vielleicht irgendwann in irgendeiner kleinen Firma anfangen können, die möglicherweise von Italienern gegründet worden war. Die ach so gerühmte Chancengleichheit gab es in New York noch nicht wirklich. Hier zählten immer noch Name und Herkunft und der Sohn eines italienischen Fleischers hatte beileibe nicht dieselben Chancen wie ein Unternehmerssohn aus der High Society.
»Ich habe eine Idee. Ich werde mit meinem Vater sprechen. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn es mir nicht gelingen würde, dir auch einen Job in der Konstruktionsabteilung von Taylor Industries zu besorgen. Dann könnten wir zusammenarbeiten.«
Toni hielt die Luft an. Taylor Industries? Das war eines der größten Industrieunternehmen im Umkreis von mindestens 200 Meilen. Es wäre eine einmalige Chance für ihn, dort arbeiten zu können. Dafür würde er alles tun.
»Und du meinst, das würde funktionieren? Ich meine, dass dein Vater mir einen Job gibt?«
Benjamin nickte.
»Ich denke, das wird gar nicht so schwierig werden. Mein Vater ist so begeistert über meine guten Abschlussarbeiten und darüber, dass ich bald in seine Fußstapfen trete, der erfüllt mir diesen Wunsch sicher. Also, ich würde vorschlagen, du machst eine Bewerbungsmappe fertig. So ganz ohne Formalien wird das nicht gehen, wegen der Personalchefs. Um alles andere kümmere ich mich dann. Wir werden ein paar Monate brauchen, bis wir uns eingearbeitet haben und danach fangen wir an, das spektakulärste Fahrgeschäft zu entwerfen, das es in den USA jemals gegeben hat.«
Toni ließ sich von der Euphorie seines neuen Freundes anstecken.
»In den USA? In der ganzen Welt, Benjamin. In der ganzen Welt.«
Benjamin Taylor zerriss wütend ein paar Konstruktionszeichnungen. Seit mehr als einem Jahr waren Toni und er jetzt in der Entwicklungsabteilung von Taylor Industries beschäftigt. Den täglichen Arbeitsablauf bewältigten die beiden jungen Männer fast im Schlaf. Schon seit drei Monaten versuchte Benjamin, die Ideen für ein spektakuläres Fahrgeschäft, die in seinem Kopf herumschwirrten, aufs Papier zu bringen. Aber immer, wenn er mit seinen Berechnungen begann, stellt er fest, dass sich das so nicht verwirklichen ließ. Es war zum Verrücktwerden. Benjamin wollte sich nicht damit zufriedengeben, eine neue Achterbahn oder einen sensationellen Looping zu bauen. Die gab es zu Tausenden auf der ganzen Welt. Er dachte an Schwerelosigkeit, an das Weltall und wie man es erreichen könnte, Menschen durch eine solche Atmosphäre gleiten zu lassen.
Toni kannte diese Stimmung bei Benjamin schon. Er wusste, er musste ihn vom Schreibtisch weglocken. Also stand er auf. »Lass uns zum Broadway gehen. In dem kleinen Programmkino zeigen sie heute ein paar alte Hollywood-Klassiker. Ein wenig Ablenkung kann nicht schaden. Im Augenblick stecken wir doch sowieso in einer Sackgasse.«
Benjamin sah etwas unwillig auf. Dann aber seufzte er und griff nach seiner Jacke.
»Wahrscheinlich hast du recht. Ich muss den Kopf mal wieder freikriegen. Ich habe so viele fantastische Ideen, aber mir fehlt noch immer der zündende Einfall, wie ich so etwas konstruieren und bauen könnte. Gehen wir also ins Kino und machen morgen weiter.«
Zwischen Toni und Benjamin hatte sich eine echte Freundschaft entwickelt. Sie machten fast alles zusammen. Wenig später saßen sie im Kino und sahen sich einen Film über die 30er Jahre in New York an.
Eben flackerten ein paar Bilder über das Postverteilungszentrum eines großen Bürogebäudes über die Leinwand, als Benjamin mit dem lauten Ausruf »Das ist es, genau das!« aufsprang. Er zog den verdutzten Toni am Arm, der ihm stolpernd in den Mittelgang folgte. Dieser plötzliche Aufbruch sorgte für Unmut bei den anderen Kinobesuchern, aber das war Benjamin total egal.
Als sie draußen waren, winkte Benjamin sofort ein Taxi herbei. Noch bevor er die Tür geschlossen hatte, sagte er: »Zu Taylor Industries und zwar möglichst schnell, bitte.« Zu Toni gewandt erklärte er kurz:
»Wir müssen sofort ins Büro. Jetzt weiß ich ganz genau, wie unser Fahrgeschäft aussehen wird und wie es funktioniert. Du wirst staunen, mein Freund.«
Es dauerte noch mehr als drei Stunden, bis Benjamin Taylor die Fahrer der Sattelschlepper anweisen konnte, wo sie die Container im Hamburger Hafen aufnehmen konnten. Er war durchgefroren, denn Mitte Oktober wehte hier an der Elbe ein empfindlich kalter Wind. Trotzdem war er ungeheuer aufgeregt. Jetzt würde er sein großer Lebenstraum in Erfüllung gehen. Wieder schweiften seine Gedanken ab zu dem Abend, an dem ihm ein alter Kinofilm diese außergewöhnliche Idee beschert hatte.
Benjamin stürzte an seinen Schreibtisch und skizzierte mit wenigen Bleistiftstrichen etwas auf einem großen Bogen Papier. Toni sah ihm über die Schulter. Erst, als Benjamin die Fahrgastkabinen zeichnete, zog er die Augenbrauen hoch.
»Das sieht aus wie die Rohrpostbehälter in dem alten Film vorhin.« »Ganz genau. Schau her. Wir werden eine mobile Halle bauen, die vollständig dunkel ist. In die Mitte projizieren wir mit einem Laser den Globus. Ringsherum wird es ein Netz aus durchsichtigen Röhren geben, durch die Gondeln rings um den Globus fliegen. Mit Lasern werden wir einen Sternenhimmel konstruieren und natürlich bauen wir auch einen freien Fall mit ein. Mithilfe von starken Elektromagneten ist das gar kein Problem. Verstehst du? Die Menschen legen sich in diese Gondeln. Sie werden ein wenig Beklemmung verspüren, weil die Fahrt in totaler Dunkelheit beginnt. Dann fangen die Sterne an zu strahlen und damit wird auch der Globus erleuchtet. Jeder Fahrgast hat das Gefühl, als würde er im Weltall frei um die Erde herum schweben. So etwas hat es bisher noch nicht gegeben. Dadurch, dass die Röhren und die Gondeln absolut transparent sind, wird man die eigentliche Bahn so gut wie gar nicht sehen. Alles, was du mitbekommst, wenn du fährst, ist die unendliche Weite des Weltalls, die wir mit Lasertechnologie perfekt simulieren können. Was sagst du?«
Toni war sprachlos. Die Idee war simpel, aber absolut faszinierend.
Kaum zu glauben, dass bisher noch nie ein Konstrukteur auf den Gedanken gekommen war.»Human Space Shuttle wird es heißen. Toni, wir können mit der Arbeit jetzt richtig anfangen.«
»Sensationell«, murmelte Toni.
»In Ordnung, du hast mich überzeugt. Nennen wir es »Sensational Human Space Shuttle«, lachte Benjamin und schlug seinem Freund auf die Schulter.
In Magdeburg legte Peter Waldmann den Telefonhörer auf. Was er gerade von einem befreundeten Schausteller erfahren hatte, schmeckte ihm ganz und gar nicht. Seit vielen Jahren schon zog Waldmann mit seiner ganzen Familie und seiner Achterbahn von Kirmes zu Kirmes in Deutschland. Sie lebten gut davon, wenn auch die Bahn langsam in die Jahre kam und einige Reparaturkosten verursachte. Und jetzt das. Kurt aus Dortmund hatte ihm gerade gesteckt, dass es ein neues Fahrgeschäft ausgerechnet zu Sim-Jü in Werne geben würde. Mehr als ein Drittel der Fläche des großen Parkplatzes am Solebad würde es einnehmen. Eine Fläche, auf der bisher immer seine Achterbahn gestanden hatte. Als er den ersten Schock überwunden hatte, rief er die Stadtverwaltung in Werne an. Das Ordnungsamt war zuständig für die Vergabe der Standplätze. Er machte seinem Ärger gründlich Luft. Schließlich kam er seit Jahrzehnten dorthin und bekam immer den Stellplatz, den er sich wünschte. Freundlich, aber bestimmt, erklärte man Peter Waldmann, dass die Planung in diesem Jahr anders aussah. Seine Achterbahn sollte er auf dem Hotelparkplatz am Rand des Zentrums aufbauen. Das an sich wäre ja kein Problem, denn Platz gab es genug. Aber Peter wusste, dass dieser Platz abseits der stark frequentierten Laufwege lag. Besonders bei schlechtem Wetter kamen hier wesentlich weniger Besucher hin als auf die Straßen und die anderen großen Innenstadtplätze. Er würde also große Umsatzeinbußen hinnehmen müssen.
Dabei hatte er sich das alles schon so schön ausgemalt. Die Einnahmen aus Werne würden ausreichen, um seine alte Bahn wieder flott zu machen. Er wollte in die Erneuerung von Gondeln und Schienensystemen investieren. Er hatte in Werne immer reichlich Geld verdient. Das war bisher immer so gewesen. Bisher! Und jetzt kam dieser dahergelaufene Ami und machte ihm den besten Standplatz für eine Achterbahn streitig.
» Herr Waldmann, wir mussten diese einzigartige Chance ergreifen, das verstehen Sie doch sicher«, hatte die Dame von der Stadtverwaltung Werne gesagt.
» Mister Taylor bietet uns die Premiere für ein Fahrgeschäft an, das es in dieser Art auf der ganzen Welt noch nie gegeben hat. Diese Attraktion konnten wir uns einfach nicht entgehen lassen. Sehen Sie es positiv. Wir können Ihnen einen Nachlass von 25 Prozent auf die Standgebühren gewähren. Damit holen Sie eventuelle Umsatzeinbußen doch wieder raus.«
Die hatte ja keine Ahnung, wovon sie sprach. Peter Waldmann wusste, er musste etwas unternehmen. Dagegen, dass sich Benjamin Taylor, ein junger Bengel, von dem bisher noch niemand gehört hatte, in Werne breitmachte, konnte er im Vorfeld nichts unternehmen. Aber den Umsatz, den er sich von diesem geheimnisvollen und ach so sensationellen Fahrgeschäft versprach, den konnte man ihm sicher irgendwie vermasseln. Wenn zum Beispiel Sicherheitsmängel festgestellt wurden, würde diese Sensation, wie sie sogar von der Presse bezeichnet wurde, keinen Kirmesgast hinter dem Ofen vorlocken. Peter Waldmann musste sich etwas einfallen lassen. Soviel war sicher. Aber erst einmal sollte er versuchen herauszufinden, was denn so sensationell an diesem neuen Fahrgeschäft war.
Fast drei Monate waren seit dem Kinobesuch vergangen, der Benjamin zu seiner Idee verholfen hatte. Toni und er hatten nächtelang durchgearbeitet. Aber jetzt war es soweit. Die Konstruktionszeichnungen waren fertig, alle Berechnungen zeigten, dass der Bau möglich war. Auch ein Modell hatten sie in mühevoller Kleinarbeit hergestellt.
» Toni, jetzt wird es ernst. Wir werden ein Patent auf unser „Human Space Shuttle“ anmelden müssen. Sonst schnappt uns am Ende noch jemand unsere Idee weg.«
» Hast du eine Ahnung, was das kosten wird? Wie sollen wir das denn finanzieren?«
»Nun, ich denke, wir sollten eine eigene Firma gründen. Da erleichtert auf jeden Fall die Patentanmeldung. Ich kenne jemanden von der Uni, der gerade in der Anwaltskanzlei seines Onkels angefangen hat. Die sind auf Patentrecht spezialisiert, er wird uns sicher einen guten Preis machen. Natürlich brauchen wir Gründungskapital für die Firma. Was glaubst du, wie viel Geld könntest du auftreiben bis zum Jahresende.«
Toni überlegte. Sie hatten in den letzten Monaten so viel gearbeitet, dass er kaum Gelegenheit gehabt hatte, etwas von seinem Verdienst auszugeben. Sein Sparkonto wies bereits einen Betrag von mehr als 8.000 Dollar auf und es waren noch fünf Monate bis zum Jahresende.
»Ich denke, 10.000 Dollar kriege ich zusammen.«
»Perfekt. Mit einem Stammkapital von 20.000 Dollar ist die Gründung unserer Firma kein Problem. Ich kann auf einen Investmentfonds zugreifen, den mein Großvater mir vererbt hat. Das Geld wird am Jahresende frei. Daraus kann ich auch die notwendigen Gebühren für das Patent bezahlen. Wir machen einfach einen Vertrag, dass ich das Geld aus meinen privaten Mitteln der Firma leihe und zurückbekomme, wenn wir positive Einnahmen haben. Was meinst du?«
Toni Banderoso war ganz schwindlig. Er kam aus einfach Verhältnissen und jetzt sollte er mit dem Sohn eines bekannten Industriellen eine Firma gründen. Aber dann schüttelte er sich kurz. Das war die Chance seines Lebens und er würde sie mit beiden Händen ergreifen.
»Und wie nennen wir unsere Firma?«
»Taylor und Banderoso?«
»Klingt nicht besonders spannend, Benjamin. Ich finde, wir müssen einen Namen haben, der kurz und knackig ist. Was hältst du zum Beispiel von BENTO Incorporated? Das kann sich jeder leicht merken und niemand weiß auf Anhieb, wer dahintersteckt.«
Benjamin Taylor überlegte einen Augenblick. Dann nickte er.
»Abgemacht. BENTO Inc. klingt gut. Ich mache morgen den Termin beim Anwalt.«
Dann streckte er Toni Banderoso die rechte Hand hin.
»Partner?«
Toni zögerte keinen Augenblick und schlug ein.
»Partner!«, bekräftigte er mit rauer Stimme.
Als Toni an diesem Abend nach Hause kam, war er ungeheuer aufgeregt. Er wollte seiner Familie gleich mitteilen, dass ihr Sohn bald Mitinhaber einer eigenen Firma sein würde. Als der die Wohnküche betrat, schlug ihm Stimmengewirr entgegen. Seine Eltern hatten Besuch, einen Besuch, den Toni nicht sehr mochte. Sein Onkel Luciano, der Bruder seiner Mutter, hatte für ihn schon immer etwas Unheimliches an sich gehabt. Er fühlte sich in seiner Gegenwart immer sehr unsicher. Außerdem hatte er so einen stechenden Blick, bei dem Toni das Gefühl hatte, Onkel Luciano könnte seine Gedanken lesen. Aber er gehörte zur Familie und Familie war bei den Banderosos das Wichtigste überhaupt. Seine Mutter sah sofort, dass ihn etwas stark beschäftigte.
» Toni, Liebling, was ist los? Du siehst ganz aufgeregt aus. Ist etwas mit der Arbeit?«
Toni wusste, dass seine Mutter natürlich sehr stolz darauf war, dass er einen Job bei Taylor Industries hatte.
»Nein, Mama, auf der Arbeit ist alles in Ordnung. Aber du hast recht, es ist etwas sehr Aufregendes passiert. Ich arbeite doch seit Monaten gemeinsam mit Benjamin Taylor an der Entwicklung eines Fahrgeschäftes. Wir haben es geschafft. Wir haben etwas ganz Sensationelles entworfen und damit wir es bauen können, gründen wir jetzt unsere eigene Firma und melden unserer Erfindung zum Patent an.«
Triumphierend sah Toni in die Runde. Es blieb eine kleine Weile still, dann stürmten endlos viele Fragen auf ihn ein. Sein Onkel Luciano war es schließlich, der etwas Ruhe in das Chaos brachte.
»Eine eigene Firma, also. Und woher habt ihr das Geld dafür. Ihr braucht Eigenkapital, Geld für die Patentanmeldung und die Anwälte und auch Material, um euer Ding zu bauen. Woher kommt das Geld dafür? Wird dein reicher Freund das alles allein bezahlen?«
Toni hörte den seltsamen Unterton sofort. Onkel Luciano hielt nichts von den reichen Amerikanern.
»Nein, Benjamin und ich, wir finanzieren das zusammen. Ich steuere meine Ersparnisse bei und was dann noch fehlt, streckt Benjamin vor. Er bekommt sein Geld dann aus den ersten Gewinnen, die wir machen werden, zurück. Benjamin hat das alles sehr genau durchgerechnet.«
»Und du vertraust ihm, einfach so?«
»Ja, sicher. Wieso sollte ich auch nicht? Wir sind Freunde und außerdem werden wir einen Vertrag machen, der uns beide absichert.«
Luciano Borgatelle grinste hämisch.
»Ach ja, und den Vertrag macht der Anwalt von deinem Freund, stimmt‘s? Toni, du hast doch gar keine Ahnung von solchen Dingen. Du wirst es gar nicht merken, wenn er dich über den Tisch zieht. Und was machst du, wenn mehr Geld gebraucht wird, als du aufbringen kannst? Dann gehört die Firma ruck-zuck deinem Freund und du bist draußen.«
Toni schüttelte den Kopf.
»So was würde Benjamin nie machen. Wir sind Freunde. Wir können einander vertrauen.«
Dann verließ er die Küche und schwor sich, erst zurückzukommen, wenn Onkel Luciano gegangen war. Bisher hatte er noch keinen Grund gehabt, Benjamin zu misstrauen.. Ganz im Gegenteil: Nur durch Benjamin Taylor hatte er doch überhaupt diese großartige Chance bekommen. Er war sich sicher, dass sie für jedes Problem gemeinsam eine Lösung finden würden, auch wenn sie wirklich mehr Geld brauchen würden und Toni nicht den vollen Betrag zusammenbekam. Er schob die Zweifel, die sein Onkel zu säen versucht hatte, einfach beiseite.
» Toni, wir müssen reden. Als Gründungskapital brauchen wir mindesten 25.000 Dollar. Wenn wir das Unternehmen als gleichberechtigte Partner gründen wollen, musst du weitere 2.500 Dollar bis zum Jahresende aufbringen. Besser wäre es sogar, du hättest noch mehr, denn die Patentanmeldung mit allen Prüfverfahren wird uns laut Ansicht meines Freundes mindestens noch mal so viel, wenn nicht sogar mehr kosten. Ich kann zwar am Jahresende auf den Fonds zugreifen, aber ich fürchte, das wird nicht ganz reichen. Was meinst du, kannst du irgendwoher noch Geld beschaffen? Ich würde nur sehr ungern meinen Vater um ein Darlehen bitten, auch schon in deinem Interesse.«
» Wieso in meinem Interesse?«, fragte Toni irritiert.
»Weil mein Vater kein Geld in ein Unternehmen stecken würde, an dem ihm nicht ein Anteil gehört. Er würde, wenn er selbst investiert, einer gleichberechtigten Partnerschaft zwischen uns beiden niemals zustimmen. Wir müssen das anders regeln, wenn wir unsere Pläne durchsetzen wollen. Ich weiß ja, dass deine Familie nicht gerade auf Rosen gebettet ist, aber gibt es nicht irgendjemanden, der dir Geld leihen könnte. Wir werden ganz sicher sehr schnell Gewinne einfahren und du kannst das Darlehen dann zurückzahlen. Denk drüber nach, aber nicht zu lange. Bis nächste Woche muss ich wissen, ob du Geld beschaffen kannst.«
Toni nickte. Er wusste, Benjamins Vater würde nicht damit einverstanden sein, dass er, Toni, der gleichberechtigte Partner von Benjamin Taylor wurde. Sollte er sich mit weniger zufriedengeben? Nein, das wollte Toni auf keinen Fall. In diesem Moment ging ihm sein Onkel Luciano durch den Kopf. Er war wohlhabend. In der Familie wurde manchmal gemunkelt, dass er sein Geld nicht nur auf legale Art und Weise verdiente, aber offen wurde darüber nie geredet. Onkel Luciano wäre aber der Einzige, der überhaupt die Mittel dazu hätte, Toni Geld zu leihen. Obwohl sich alles in ihm eigentlich dagegen sträubte, nickte er.
»Ich werde es versuchen, Benjamin. Vielleicht kann mein Onkel mir helfen. Ich werde ihn heute Abend noch besuchen.«
Dann wandten die beiden jungen Männer sich wieder ihrer Arbeit zu, aber Toni fiel es schwer, sich zu konzentrieren. Seinen Onkel um Geld zu bitten, ging ihm gewaltig gegen den Strich. Aber eine andere Möglichkeit hatte er nicht.